Die Erfolgsdroge

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Die Erfolgsdroge
FEUILLETON
KARFREITAG / OSTERN 2010
Die Erfolgsdroge
Ostern ist auch ein Einspruch gegen ein überzogenes Geltungsbedürfnis
– wie der Lebensweg Christi zeigt
Von Prof. Dr. Erwin Möde
Zu meinen niederbayerischen
Kindheitserinnerungen gehören Geschichten und Legenden aus dem
Bayerischen Wald beziehungsweise
dem Böhmerwald, einer eher abgelegenen und damals ärmlichen Grenzregion. Auch das rubinrote Böhmerwaldglas aus Zwiesel machte trotz
seiner Verkaufsattraktivität die
dortigen Menschen nicht wohlhabender, geschweige denn reich.
Die Legende um das rubinrote
Zwiesler Glas, die mich seit meiner
Grundschulzeit bewegt, erzählt von
einem seltsam erfolgreichen Glasbläsermeister, der das so gut verkäufliche, dunkelrote Glas als allererster erfunden haben soll: Eines
Winternachts, der Meister arbeitete
allein vor dem Schmelzofen, trat
diskret ein Mann – von draußen
kommend – auf ihn zu. Seinen Namen verriet er nicht. Dafür übergab
er dem Meister ein verschnürtes
Säcklein mit der Aufforderung, er
solle dessen Inhalt in das Feuer werfen und nichts fragen. Das Glas werde dann das schönste und weltweit
begehrteste sein. Der Fremde verschwand unversehens. Der Meister
öffnete das Säcklein voller roter
Kupfermünzen. Die warf er mit beiden Händen so lange in die Schmelze, bis der Sack leer war. Das Glas,
das er aus der Schmelze blasen und
bruchlos formen konnte, war rubinrot, mit dunkler Leuchtkraft und
einmalig. Dieses Zwiesler Glas wurde sehr gesucht, begehrt und über
weltweite Handelswege verkauft.
Auf diese Weise wurde der Glasbläsermeister berühmt.
Das Geld, das der Meister einnahm, wechselte er stets in Kupfergeld. Nachts und heimlich warf er es
in den Feuerofen, blies und verkaufte rubinrotes Glas, warf und warf
den Verkaufserlös ins Feuer, blies
und blies rubinrotes Glas. Einsam
und arm starb er eines Nachts vor
dem Ofen. Was blieb, war eine stolze
Aufschrift auf dem Werkstor der
Glasbläserei: „Zwiesler Glas und
Nürnberger Tand gehn in alle
Land.“
Das implantierte Auge als
elementare Entfremdung
„Verführung: Erfolg“. Die zweite
Legende, die ich Ihnen dazu erzählen möchte, hat nicht mit dem Glasblasen, sondern mit der Glockengießerei zu tun. Warum ist der Klang
der Kiewer Osterglocken, warum ist
deren Geläut so unübertroffen einmalig, so unwiderstehlich attraktiv.
Auf diese Frage gibt es, wie mir ein
ukrainisch-orthodoxer Priester erzählte, keine Antwort, sondern folgende Legende: Der berühmte Glockengießer von Odessa lag auf seinem Totenbett. Sein Sohn, ebenfalls
Glockengießer, trat allein an das
Sterbebett seines Vaters. Beide flüsterten miteinander. Die Anwesenden wussten, dass jetzt der Vater
seinem Sohn das bestgehütete Geheimnis des Glockengusses ins Ohr
sagt: Das tat er auch. Er sagte im
Flüsterton
seinem
ungeliebten
Sohn: Das Geheimnis sei, dass es
kein Geheimnis gäbe; dass dies aber
niemand wissen dürfe. Bald danach
starb der erfolgreiche Glockengießer von Odessa. Sein Sohn folgte
ihm nach, wurde noch erfolgreicher
und goss die Glocken mit dem
himmlischen Geläut der Patriarchenkirche zu Kiew. Als er kinderlos
und ausgezehrt starb, vertraute er
sein Geheimnis einem Priester an.
Der behielt es nicht für sich und
bekannte, nicht Menschenwerk,
sondern Gotteswerk sei das Glockengeläut der Kiewer Patriarchenkirche.
Beide, der Glockengießer und der
Glasbläser, hatten Zweierlei gemeinsam: 1. Den Erfolg und 2. Das
Geheimnis.
Die Legende um das Zwiesler Glas erzählt von einem seltsam erfolgreichen Glasbläsermeister, der seinen Erlös in
Kupfergeld wechselte und in das Feuer warf, um das besondere Rubinrot für seine Artefakte zu gewinnen.
Foto: dpa
Beides zusammen ergab jeweils
einen geheimnisvollen Erfolg, der
sich folgendermaßen buchstabieren
lässt: Der Erfolg machte beide Akteure, wie in einem bodenlosen
„Schneeballsystem“, immer erfolgreicher – und immer abhängiger vom
Erfolg. Diese selbstaffirmierende
Abhängigkeit steigerte die Leistung
des Glasbläsers wie des Glockengießers. Ein neuenglisches Modewort
sagt: „Nichts ist erfolgreicher als der
Erfolg.“ Ihr Ansehen, ihre Berühmtheit, ihr Alleinstellungsmerkmal exzellenter Meisterschaft wuchs und
wuchs. In den Augen, das heißt in
der Wahrnehmung und im Vorurteil
der Anderen, waren sie schon längst
mutiert zu Garanten erfolgreichen
Könnens und profitablen Machens.
Diesen Blick der Anderen auf ihre
Person übernahmen sie, verinnerlichten sie als Imperativ des „to get
on“, des „weiter so“, des „Mehr“.
Den Blick der Anderen auf einen
selbst in sich selbst verinnerlichen,
das nannte vor 200 Jahren die Romantik „das implantierte Auge“,
das nennt Winnicott die „transformierende Introjektion“. Das nenne
ich: Entfremdung im Kern, worin
Identität der erfolgreichen Persönlichkeit zum Opfer der projektiven
Identifikation und ihrer Folgespaltung wird.
Leere Geheimnisse mit
initialer Wirkkraft
Damit berühren wir eine „clivage“, einen „Abgrund“ des Geheimnisvollen und „Unheimlichen“. Der
Glasbläser und der Glockengießer –
beider Geheimnis ist ein sehr anderes als das, welches ihnen inhaltsreich projeziert wird. „Man“ munkelt und meint, sie hätten die geheimgehaltene Formel des Erfolges,
die große Formel chemischer Amalgamierung und Reaktion. So wie es
in der Mathematik „leere Mengen“
gibt, „Nullmengen“ als Leerstellen,
so sind die Geheimnisse der Beiden
paradoxale, (inhalts-)leere Geheimnisse ohne väterliche Erfinder und
Weitergabe. Der Gipfel philosophischer Erkenntnis und ihres Wahrheitsanspruches spricht in Sokrates’: „Ich weiß, dass ich nichts
weiß.“ Das aber war schon damals
500 v. Chr. Athens Oligarchen entschieden zu wenig. Irgendwann
sprechen sie das Todesurteil über
den sie enttäuschenden Philosophen
und dessen zur Schau getragenes
Nicht-Wissen.
Der Glasbläser wie der Glockengießer wollen aber leben und wo-
möglich ihrer armseligen Existenz
entrinnen. Ihre Initiation zum Erfolg stößt jedem der beiden plötzlich
zu, wie eine negative, verstümmelte
Offenbarung, deren Gebrauch gerade hinreicht, um auf die projektividentifikatorische Bahn von Erfolg
und Abhängigkeit gehievt zu werden. Der Glasbläser erfährt von seinem Anonymus nur wie es geht,
nicht aber weshalb: Kupfergeld statt
Formel. Der Glockengießer bekommt das sokratische Geheimnis
seines Vaters so zugeflüstert, dass es
magisch wirkt und rückwirkt. „Leere Geheimnisse“ mit initialer Wirkkraft bringen beide Akteure auf die
Erfolgsbahn mit Wiederholungszwang.
Vor 30 Jahren stieß mir J. Lacans
Psychoanalyse zu, und zwar als fortwährender Appell an mein Bewusstsein und meine Lebenshaltung. „Begehren“ (Desir) und „manque à
être“ (Seinsmangel) sind Grundfaktoren Lacanscher Analyse, die durch
Übersetzung allein noch längst nicht
verstehbar sind. Beide soeben erzählten Erfolgslegenden fungieren,
zumindest in meinem Verständnis,
als Metaphern, als metaphorische
Erzählungen zur szenischen Darstellung der fatalen Wechselwirkung von „Desir“ und „manque à
être“ im Erfolg.
Der „manque à être“, diese dem
leidenden Subjekt schier unerträgliche Missbefindlichkeit, entfesselt im
„ganz normalen Elend“ (S. Freud)
menschlicher Existenz den Marathonlauf des Begehrens, das sich seine Objekte/Projekte/Utopien des
Erfolges sucht und von ihnen finden
lässt, um den Marathonläufer
Mensch daran zu binden wie Sysiphus an seinen Stein, wie den Glasbläser an die Kupfermünzen und
den Glockengießer an eine Geheimnisformel, die er nicht zu kennen
braucht, damit sie wirkt.
Im legendären Bildmotiv des „leeren Geheimnisses“, das aber paradoxal wirkt, lässt sich – um es mythisch zu sagen – der Anspruch des
„manque à être“ an das Subjekt aufzeigen: Die halbe, nur vermeintliche
Gabe, die sich andeutende Vaterschaft, die sich gleich wieder entzieht, um den bedürftigen Sohn in
die Leere des Erfolges und die entfremdende Qual des Wiederholungszwanges laufen zu lassen, diese
stimulierende, appellative Wirkung
des „manque à être“ ist es, die den
Menschen einfängt und überhaupt
erst zum „Subjekt“ von „manque à
être“, „Desir“, Verkennen und Erfolg werden lässt. Im „leeren Geheimnis“ verschlüsselt sich der
„manque à être“ und entfesselt sich
die Erfolgssucht der Akteure.
Bemerkenswert am deutschen
Wort „Erfolg“, in dem selbstverständlich das Verb „folgen“
steckt, ist dessen Sinnäquivalenz
zum Englischen „success“ beziehungsweise zu den romanischen
Sprachen, wie „succes“ im Französischen, „successo“ im Italienischen
usw. Wem folgt der Erfolg ? Jedenfalls, der, der dem Erfolg nachgeht,
der Erfolgsbestimmte, wird zu einer
Art Nach-folger, zum Folgesubjekt
des Erfolges.
Die Versuchung Jesu zum
ultimativen Erfolg
Genau um diese Thematik von Erfolg und Nach-Folge dreht sich dramatisch die „Versuchung Jesu“ im
Matthäus-Evangelium (Mt 4,1-11).
Eine der sieben Vaterunserbitten,
nämlich die sechste Bitte, sagt:
„Führe uns nicht in Versuchung...“
und fügt im Nebensatz die siebte
und letzte Bitte hinzu: „. . . sondern
erlöse uns von dem Übel“. Erlösung
statt Verführung erbittet der „Vater
unser“-Betende. Dieses sogenannte
„Herrengebet“ geht auf Jesus selbst
zurück, dessen wiederkehrende Versuchung durch den Satan in den
Evangelien konkretisiert wird und
von der „Kehrseite“ her sein Licht
wirft auf: „Verführung: Erfolg“.
In der Steinwüste, jenseits des
Jordans und nachdem Jesus 40 Tage
lang wie vor dem Mose fastete,
taucht die personifizierte Verführung auf und macht Jesus ihre drei
Vorschläge, denen er folgen solle.
Steinwüste, hartes Fasten und Einsamkeit, sie geben hier gehäuft die
biblischen Metaphern ab für den
„manque à être“: Dessen Verführungen zum Erfolg bietet der Satan dem
Subjekt des Mangels an. Unter einer
„Versuchung“ verstehe ich eine falsche, selbstschädigende Alternative.
Die Verführung führt den Betroffenen in die Versuchung der falschen, schädlichen Alternative, die
sich als wertvoller und zumeist
leichter Ausweg anbietet. Jede VerFührung ist sozusagen auf einen
doppelten Erfolg aus: Zum Ersten
möchte sie auf der motivationalen
Ebene den Menschen so sehr ansprechen, dass der Angesprochene der
vorgeschlagenen Alternative irreversibel folgt. Zum Zweiten verspricht sie stets Erfolg, Gelingen,
Befriedigung.
Die
Versuchung
braucht und findet ihre Selbstbestätigung, indem der Versuchte ihr
nach-folgt. – Drei Vorschläge in Fol-
ge
unterbreitet
Satan
dem
Menschensohn:
1. Steine in Brot zu verwandeln.
2. Sich von des Tempels Zinne in die
Tiefe zu stürzen, um sich von Gottes Engeln tragen zu lassen.
3. Vor ihm, dem „Fürst der Welt“,
sich niederzuwerfen und ihn anzubeten, um so „alle Reiche dieser
Welt samt ihrer Herrlichkeit“ von
ihm zum Nießnutz zu bekommen.
Die drei archetypischen Versuchungen des „megalomanen Selbst“
zum Größenwahn gipfeln hier in einer unüberbietbar dramatischen
Enthüllung dessen, was Goethe in
Fausts Osterspaziergang „des Pudels Kern“ nennt.
Die ultimative Verführung zum
ultimativen Erfolg, das heißt nicht
des „Pudels“, sondern des „Begehrens Kern“ wird hier aufgedeckt:
Alles, was das Begehren überhaupt
nur begehren kann (Macht, Güter,
Genuss), wird dem Hungernden zum
greifbaren Angebot auf immer. Dem
„leeren Geheimnis“ des Glockengießers wird hier in entfesselter Utopie
das „volle Geheimnis“ entgegengesetzt. Dass es sich bei dem unüberbietbaren Erfolgsangebot nicht nur
um eine verführerische Gabe, sondern um ein sich enthüllendes Geheimnis handelt, das den Dreh- und
Angelpunkt der ganzen Versuchungsepisode ausmacht, das wird
erschreckend deutlich an der conditio sine qua non: (nur) „wenn du
niederfällt und mich anbetest“.
Höchster Erfolg soll eintauschbar
sein für total entfremdende Selbsthingabe, die ganz und gar im Begehren des Anderen aufgeht, nämlich
als gottgleich anerkannt, angebetet
zu werden. Diese Dynamik der vermeintlichen Erfolgsdialektik des
Begehrens stürmt auf Jesus ein.
Doch warum verfällt der Menschensohn dieser Verführung nicht?
Der Glockengießer wie der Glasbläser sind nicht nur „werkende Gesellen“, sondern „vaterlose Gesellen“. Deshalb verfallen sie der Dualbeziehung zum Erfolgsgeheimnis
und geraten unlösbar in den Wiederholungszwang. Die Alternative dazu
erzählt das Matthäus-Evangelium.
Der Menschensohn bleibt im Wort
und in der Sprachbeziehung: Und
zwar nicht nur dual zu seinem
flexiblen Versucher, sondern zur
Thora als anderer Sinndimension,
als sprechend Anderem und „Drittem“. Weil er in der triangulären
Beziehungsdynamik verbleibt, verfällt er nicht der Verführung. Die
„Sinnführung“ (J. Danis) vom
sprachlich sich artikulierenden,
ganz Anderen, vom „Vater-Pol“ her,
ist es, die den Menschensohn herausführt aus der „Verführung“, so
dass Versucher und Verführung –
wie es im Evangelium heißt – „eine
zeitlang von ihm weichen“.
Strukturell Ähnliches geschieht
Joseph, Jakobs nach Ägypten verkauften Sohn. Im Moment der Verführung durch Potiphera, des Pharaos Weib, steigt in ihm das Erinnerungsbild an seinen Vater Jakob auf,
so dass das Zweierverhältnis sich
trianguliert, Abstand und lösende
Reflexion da-„zwischen“-kommen,
zwischen Joseph und Pothiperas
verführerischem Begehren nach
ihm. Die Bibel wie das persönliche
Leben sind voller Beispiele für duale
Verführung und trianguläre Besinn-ung.
Schließen möchte ich mit einer
Schlüsselfrage: Fragen Sie sich,
woran Sie wirklich glauben! Ich
kann bestätigen: Diese Glaubensübung in Bezug zur Gegenwart
stärkt eine Ahnung für das Lebensschicksal, das einen betrifft und
führen möchte ohne zu verführen.
Erwin Möde, geboren 1954 in
Landshut, ist Psychologe, Priester
und Ordinarius für Christliche Spiritualität und Homiletik an der Katholischen Universität EichstättIngolstadt.