Mater dolorosa - Staatliche Museen zu Berlin

Transcription

Mater dolorosa - Staatliche Museen zu Berlin
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
Dr. Sigrid Otto
Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie
und im Bode-Museum
Rogier van der Weyden, Der Marienaltar (Miraflores-Altar). Um 1435. Gemäldegalerie Berlin (Detail)
Gliederung
Seite
1. Ein mögliches Unterrichtsthema
S. 2
2. Mater dolorosa – wer ist das?
S. 3
2.1. Maria unter dem Kreuz
S. 5
2.2. Maria mit den Sieben Schwertern
S. 6
Die sieben Schmerzen Marias
S. 7
1.
2.
3.
4.
5.
Beschneidung des Christuskindes
Flucht nach Ägypten
Suche nach dem 12jährigen Christus im Tempel
Gefangennahme und Kreuztragung (Abschied und Entkleidung Christi)
Kreuzigung Christi
13./14. Jh.
15. Jh.
Renaissance in de niederländischen Malerei
15./16. Jh.
Mater dolorosa in der Ohnmacht
6. Kreuzabnahme/Beweinung Christi (Pietá)
7. Grablegung Christi
S.
S.
S.
S.
S.
S.
S.
S.
S.
S.
S.
S.
2.3. Pietá
S. 21
3. Fazit
S. 24
4. Didaktische Anregungen
S. 25
5. Literaturhinweise
S. 28
1
7
7
7
8
10
11
12
15
16
16
17
20
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
„Stund die Mutter voller Schmerzen an dem Kreuze, weint von Herzen, da ihr Sohn von
Qual verzehrt. Durch die Seele angsterfüllet, grambeladen, wehumfüllet, schneidet tief
des Jammers Schwert…. Unsere Schuld sah sie ihn tragen, sah von Geißeln ihn
zerschlagen, dass sein Blut zum Himmel raucht, sah den teuren Sohn erblassen, da er
trostlos, gottverlassen, seine Seele von sich haucht… Heil’ge Mutter, alle Wunden, so am
Kreuz du hast empfunden, präge meiner Seele ein.“
(lateinischer Text von Jacoponus de Benedictis, übersetzt von Richard Wagner)
Ein mögliches Unterrichtsthema
Wem ist heute noch das Leben Marias, der Mutter des Gottessohnes, vertraut? Allenfalls
die Weihnachtsgeschichte ist bekannt – Maria und Joseph mit dem Kind in der Krippe
oder auf dem Boden liegend, die Hirten und Heiligen Drei Könige bereits im Anmarsch,
um dem neugeborenen König der Juden zu huldigen. Die Madonna mit dem Kind - ein
schönes Motiv, auch ohne religiösen Hintergrund - immer wieder gern betrachtet.
Doch mit der Geburt des Herrn ist die Leidensgeschichte vorbestimmt. Auf den Stationen
seines Leidensweges wird ihn immer seine Mutter begleiten. Sie ist es, die sich von ihm
verabschiedet, wenn er seinen schweren Gang antritt, sie wird ihren Schleier zum
Bedecken seiner Blöße reichen, sie steht unter dem Kreuz, gehalten von den anderen
Frauen und gestützt von Johannes, dem Lieblingsjünger Christi, wenn sich seine Passion
vollendet. Sie erleidet die Schmerzen ihres Sohnes mit und sie ist es, die der
Kreuzabnahme beiwohnt und ihren Sohn beweint. War Maria doch seit der Darstellung
der Passion Christi immer mit im Bild und erfuhr unterschiedliche künstlerische
Ausformungen in der christlichen Bildkunst, die heute im Mittelpunkt unserer
Betrachtungen stehen sollen.
Schmerz, das Gefühl von Verlassenheit hat fast jeder von uns bereits einmal empfunden,
wenn er einen geliebten Menschen verlor. Schmerz hat viele Facetten und oft mag man
nicht darüber sprechen, worüber man ganz tief im Innern trauert. Durch das Betrachten
von Darstellungen der schmerzensreichen Muttergottes, eingebettet in das
Kreuzigungsgeschehen, lassen sich vielleicht Identifikationsmöglichkeiten und
Gesprächsanlässe finden. Als Betrachter von Leid (passio) ist man eher dazu bereit, sich
einzufühlen, mit zu leiden (compassio). Diese Gefühle zuzulassen, sich einzulassen auf
diese Art von Empfindungen und Überlegungen, streben wir im Folgenden an.
Das Museum als Ort der Aufbewahrung, Pflege und Ausstellung von gemalten und
geschnitzten Altären, die vormals zu Kirchenausstattungen gehörten, lädt ein zur aktiven
Betrachtung, sei dies nun im Rahmen des Kunst-, Geschichts-, Religions- oder Ethik- und
Lebenskundeunterrichts. Schwerpunkt ist dabei die schmerzensreiche Muttergottes, die
Mater dolorosa, „das Gegenbild zu dem […] der glücklichen, lieblichen jungen Mutter“
(Wilhelm Pinder).
2
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
„Denn meine Hände haben dir früher gedient, als du zum Kinde wurdest, und sie leisten
dir auch jetzt Dienste beim Begräbnis … Die ich dich ehemals mit Windeln umgab, ich
sorge wieder für deine Grabtücher. Mit warmem Wasser wusch ich dich einst, und jetzt
netze ich dich mit Tränen, die heißer sind. Auf Mutterarmen trug ich dich leicht, wenn du
nach Kinderart jubeltest und hüpftest, und auch jetzt trage ich dich leicht mit denselben
Armen, aber als hauchlos unter den Toten Liegenden. Damals tauchte ich meine Lippen
in deine honigsüßen und tautropfenden Lippen. Damals konnte man mich selig preisen,
weil ich die Gebärerin meines Bildners war. Jetzt aber bin ich stattdessen
gramdurchbohrt, weil ich die Bestatterin meines Sohnes geworden bin … Wie ein Kind
bist du oft an meiner Brust eingeschlafen und jetzt schläfst du als Toter an ihr.“
(zitiert bei Elisabeth Reiners-Ernst, S. 32)
• Niclaus Gerhaert von Leyden
• Südliche Niederlande, um 1420/30, • Vesperbild. Maria
(tätig in Straßburg und Wien, gest. 1473), Maria aus einer Kreuzigung Christi.
mit dem Leichnam
Die Dangolsheimer Muttergottes.
Nussbaumholz, H. 125 cm
Christi. Salzburg o.
Straßburg, um 1460/65. Nussbaumholz,
(Raum 208/SKS)
Passau, um 1435.
Reste der ursprünglichen Fassung. H. 102 cm
Lindenholz. H. 89,5
(Raum 139/SKS)
cm, B. 83 cm (Raum
107/SKS im BM)
Mater dolorosa – wer ist das?
Bereits die hl. Birgitta von Schweden sah in ihren Offenbarungen im 14. Jahrhundert
Maria (im Vorausahnen der Leiden ihres Sohnes) als traurigste aller Mütter an:
„Als sie ihn in die Windeln wickelte, betrachtete sie in ihrem Herzen, wie sein ganzer Leib
mit scharfen Geißeln zerrissen werden sollte, so dass er wie ein Aussätziger anzuschauen
sein würde. Und wenn die Jungfrau ihres kleinen Sohnes Hände und Füße leise in die
Windeln band, vergegenwärtigte sie sich, wie hart dieselben mit eisernen Nägeln am
Kreuze durchbohrt werden sollten…“ (zitiert bei E. Reiners-Ernst, S. 77)
Der Begriff der Mater dolorosa (lateinisch: schmerzensreiche Mutter) stammt aus der
Marienverehrung und stellt in der christlichen Kunst einen Marienbildtypus dar. Nicht die
Bibel bildete die Quelle für Darstellungen der leidenden Gottesmutter, die ihren Sohn auf
dem Kreuzweg begleitet, um ihn trauert, als er am Kreuz stirbt, ihn beweint nach der
Kreuzabnahme und Grablegung, sondern die Mystik und Hymnen des 13./14.
Jahrhunderts. Anregungen zur bildlichen Umsetzung gab auch das vom
Franziskanermönch Bonaventura (gest. 1274) verfasste Reimgebet Stabat mater: „Es
stand die Mutter schmerzensreich bei dem Kreuz, tränenreich...“. Durch die Betrachtung
der religiösen Darstellungen sollten die Gläubigen animiert werden, den Schmerz der
Gottesmutter nachzuempfinden.
Erst im 15. Jahrhundert wird die volkstümliche Mater dolorosa als Einzelfigur ins Bild
gesetzt – die „schmerzensreiche Mutter Gottes“ mit einem bzw. sieben Schwertern in der
Brust, die ihren Schmerz symbolisieren, so wie es der greise Simeon bei der Darbringung
Christi im Tempel prophezeit hatte:
„Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: siehe, dieser ist gesetzt
zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen
3
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
wird – und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen -, damit vieler Herzen
Gedanken offenbar werden.“ (Lukas 2,34, 35)
Der Schmerz der Gottesmutter sollte unabhängig vom Anlass der Seelenpein (dem
Leiden Christi) zum Gegenstand der Meditation werden. Derartige Bilder der Andacht
findet man in besonderem Maße bei ‚Herauslösungen’ (vgl. nachfolgende Beispiele) der
Figur der Gottesmutter bzw. ihres Antlitzes aus dem Kontext bevölkerungsreicher
Kreuzigungsszenen bzw. Kalvarienbergsdarstellungen – als Einzelikontypus.
• Hans Holbein d. Ä. (um 1465 Augsburg? – 1524 Isenheim/Elsaß),
Maria als Schmerzensmutter. 1495. Lindenholz mit originalem Rahmen,
74,2 x 54,5 cm (Raum 3/GG)
Die Mater dolorosa begegnet uns als trauernde
Marienfigur. Mit vom Weinen geröteten Augen und über die
Wangen perlenden Tränen (einer malerischen
Glanzleistung) wendet sich die Gottesmutter zugleich
schmerzvoll und doch auch verhalten dem Betrachter zu.
Ihr Antlitz bedeckt ein weißer Schleier, über den der blaue
Mantel gezogen ist, den wiederum ein goldener,
zwölfzackiger Stern ziert. Ihren Kopf hinterfängt ein
Strahlenkranz, der sich kostbar vor dem krapproten
Damast mit Granatapfelornamenten abhebt. Ihre Hände
verharren in anbetender Haltung. Das Motiv der Fürbitte
verbindet der Maler kongenial mit der eindringlichen
Präsentation der Schmerzen Marias, die als Vermittlerin
zwischen Gott und dem Betrachter fungiert.
Der Typus der Mater dolorosa kommt üblicherweise in der Marienfrömmigkeit nicht allein,
sondern als Bildpaar vor. Das einst vorhandene Gegenstück „Christus als
Schmerzensmann“ befand sich in Straßburg, wo es 1947 leider verbrannt ist.
Zwei weitere Beispiele in der Gemäldegalerie und in der Skulpturensammlung zeigen
Maria als Schmerzensmutter und den geschundenen Gottessohn als Schmerzensmann –
einmal auf den (für den Betrachter leider nicht sichtbaren) Außenflügeln des
Weltgerichtsaltars von Lucas Cranach d.Ä. nach einem Gemälde von Hieronymus Bosch
aus der Mitte des 16. Jahrhunderts und zum anderen auf der Innenseite eines
niederländischen Diptychons Ende des 15. Jahrhunderts im Bode-Museum – hier in Form
einer Pietá.
• Lucas Cranach d. Ä., Flügelaltar
mit dem Jüngsten Gericht. Um 1524.
Außenseiten des rechten und linken Altarflügels:
Christius als Schmerzensmann /
Maria als Schmerzensmutter.
Lindenholz, 163 x 58 cm (Raum III/GG)
• Niederländisch um 1482
Diptychon des Guilelmus Scultetus,
Innenseite: Pietá, Eichenholz,
30,5 x 24 cm
(R. 208/SKS)
„Maria erlebte ein Martyrium, nicht durch das Schwert des Scharfrichters, sondern durch
das bittere Leid des Herrn.“ (hl. Bernhard von Clairvaux, 1091-1153)
4
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
• Pedro Roldán (Sevilla 1624-1699
Sevilla) zugeschrieben, Mater dolorosa.
Um 1670-75. Pappelholz, ursprüngliche
Fassung. H. 37 cm (R. 131, SKS)
Derartige Büsten der trauernden
Gottesmutter waren als Motive
privater Andacht besonders in
der Provinz Andalusien beliebt.
Die äußerst realistische
Darstellung und die scheinbare
körperliche Präsenz, verstärkt durch die mit Glas überfassten Augen und die gläsernen
Tränen, beeindruckten den gläubigen Betrachter zutiefst und evozierten ein Mitleiden der
Schmerzen der Gottesmutter, die diese bei der Passion Christi durchlebt hatte. Kein
konkreter Moment aus der Leidensgeschichte ist erfasst, sondern es geht um die
Veranschaulichung des Schmerzes schlechthin. Die gewählte Büstenform erinnert an die
aus früheren Jahrhunderten bekannten Reliquienbüsten, die leibliche Überreste von
Heiligen aufbewahrten.
Die Berliner Gemäldegalerie am Kulturforum und die Skulpturensammlung im BodeMuseum auf der Museumsinsel beherbergen eine ganze Reihe von Passionsdarstellungen
auf gemalten und geschnitzten Altarretabeln, Trauergruppen und Einzeldarstellungen der
Schmerzensmutter Gottes – unterschiedliche Bildtypen, die im Folgenden an konkreten
Beispielen veranschaulicht werden sollen
1. Maria unter dem Kreuz
Im Johannes-Evangelium (19, 25-27) wird berichtet, dass Maria mit Johannes unter dem
Kreuz stand – „Da nun Jesus seine Mutter sah und den Jünger dabeistehen, den er lieb
hatte …“. Erste Kreuzigungsdarstellungen nach Etablierung des Christentums zeigen zu
Beginn des 5. Jahrhunderts diese Konstellation. Aus der Trauergruppe kristallisierte sich
um 1300 ein eigenständiger Bildtypus heraus: die Pietá bzw. das Vesperbild.
Während das Kreuz als Lebensbaum, als verbindendes Symbol zwischen Himmel und
Erde im frühen Mittelalter in der Regel nur von Maria und Johannes flankiert wurde,
setzen sich ab 1400 figurenreiche Darstellungen der Kreuzigung durch. Die Teilnahme
Marias am Sterben ihres Sohnes, ihr Mitleiden, wird als Vollzug des Erlösungswerks
verstanden. Jesus und Maria sind eins geworden - compassio und corredemptio
untrennbar miteinander verknüpft, wie es bereits in den Visionen der hl. Birgitta von
Schweden (1303-73) ausgedrückt wird:
„Denn ich war in seinem Leiden ganz nahe bei ihm und ließ mich nicht trennen von ihm.
Ich stand ganz dicht an seinem Kreuze, und wie dasjenige schärfer sticht, was dem
Herzen nahe ist, so war mir auch sein Schmerz härter als andern. (…) Darum sage ich
kühn, dass sein Schmerz mein Schmerz gewesen, weil sein Herz das meinige war. Denn
wie Adam und Eva die Welt für einen Apfel verkauften, so haben mein Sohn und ich die
Welt gewissermaßen mit einem Herzen zurückerkauft.“
• Obersachsen um 1220. Maria aus einer Triumphkreuzgruppe. Eichenholz, Reste
der ursprünglichen Fassung. H. 260 cm. (Raum 072/SKS) DETAIL
Die zugehörige Johannesfigur ist verschollen. Maria wird im
Abwehrgestus und in tiefer Trauer gezeigt, wie sie sich die Tränen
abwischt. Der ursprünglich blaue Mantel über dem vormals goldenen
Kleid ist über den Kopf gezogen. Die Triumphkreuzgruppe stammt
aus dem späten Mittelalter. Die Gruppe mit dem Gekreuzigten sowie
Maria und Johannes waren auf einem Balken im Triumphbogen
zwischen Kirchenschiff und Chor montiert.
5
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
• Französisch. Um 1400. Diptychon. Linker Flügel:
Christus am Kreuz zwischen Maria und Johannes;
Rechter Flügel: Der geistliche Stifter, von Maria
begleitet, kniet vor dem Schmerzensmann in der Glorie.
Holz, je 34 x 26,5 cm (Raum 5/GG)
Links neigt sich der Gekreuzigte der
Gottesmutter zu, deren Hände schmerzvoll in
ihr langes Kopftuch verschlungen sind.
Rechts steht Maria gramgebeugt und mit
verkrampften Händen hinter dem Stifter vor
dem in einer Gloriole erscheinenden
Schmerzensmann.
2. Maria mit den Sieben Schwertern
Der Marienkult im 12. und 13. Jahrhundert brachte die Motive der Sieben Schmerzen
(auch ‚schmerzensreicher Rosenkranz’ mit den 5 bzw. 7 ‚roten Rosen’ genannt) und der
Sieben Freuden Mariens auf. Die Freuden Marias – in der katholischen Kirche als
‚freudenreicher Rosenkranz’ mit ‚weißen Rosen’ bezeichnet - beinhalteten:
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
Verkündigung an Maria
Heimsuchung der Maria
Geburt Christi
Anbetung der Hl. Drei Könige
Begegnung mit Simeon (Darbringung im Tempel)
Wiederfinden des 12jährigen Jesus im Tempel
Krönung Maria
Sie wurden im 13. Jahrhundert durch den toskanischen Servitenorden verbreitet. Die
Zahl Sieben (bereits im Alten und Neuen Testament eine heilige Zahl – die 7 Augen
Gottes, die 7 Sakramente, die 7 Gaben des Heiligen Geistes, der 7armige Leuchter)
ergab sich aus der Anzahl der Kaufleute, die den Orden gründeten und dem weltlichen
Leben entsagten. Als Mitglieder einer marianischen Bruderschaft wurden sie 1233 in
besonderer Hingabe an die Gottesmutter zu Dienern Marias (servi Mariae) und gründeten
1241 das Kloster. Analog zu den Freuden Marias legte die Synode von Köln 1423 die
Reihenfolge der anfangs auf fünf beschränkten (angesichts der 5 Wunden Christi), dann
wechselnden Zahl von Ereignissen, auf sieben Schmerzen fest, die in der Volksreligiosität
schnelle Verbreitung fanden. Das Bildthema setzte sich offiziell erst im ausgehenden 16.
Jahrhundert mit der Gegenreformation durch. Das Leben Christi wurde aus der
Perspektive der Gottesmutter gesehen und dargestellt und sollte durch die intensive
Betrachtung der 7 Schmerzen bei den Gläubigen eine läuternde Kraft entfalten. Die 7
Leidensstationen Christi entsprechen den 7 Schmerzen Marias, die wie Schwerter ihren
Körper durchdringen und den leidvollen Weg verdeutlichen, den sie gemeinsam mit ihrem
Sohn gegangen ist. Das Schwert in ihrer Brust ist der Seitenwunde Christi vergleichbar.
„Maria ist die Schmerzensreiche schlechthin. Sie ist es, in der aller Schmerz
zusammenschlägt.“ (J.J. Berns, S. 257)
6
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
• Johann Benedikt Witz (Trappstadt 1709-1780 Würzburg).
Kalvarienberg. Würzburg, um 1770. Lindenholz, H. 57 cm, B. 33 cm,
T. 13 cm (Raum 254/SKS)
Auf dem Berg Golgatha erhebt sich das Kreuz, an dessen
Stamm sich jene Personen befinden, die Christus am
nächsten stehen: Maria als Schmerzensmutter mit dem
Schwert in der Brust, der Lieblingsjünger Johannes und
Maria Magdalena. Die pyramidale Komposition ist genau auf
den Gekreuzigten ausgerichtet.
„Dem Schmerz entging ich einstens, da ich wundersam dich
gebar, mein anfangloser Sohn, in höchstem Glück. Doch
erschaue ich jetzt dich entseelt, mein Gott, und als
Leichnam, spaltet das scharfe Schwert des Leids mir
furchtbar die Seele…“ (vgl. E. Reiners-Ernst, S. 11)
Die sieben Schmerzen Marias
1. Beschneidung des Christuskindes
• Kölnisch. Um 1410/20. Das Leben Christi.
Hier: Beschneidung Christi, Eichenholz, 84,5 x 113 cm;
jedes Bildfeld ca. 15-16 x 15-16,5 cm
(Raum 1/GG)
Im Tempel führt der Hohepriester die Zeremonie durch.
2. Flucht nach Ägypten
• Wolf Huber (Feldkirch 1480/85-1553 Passau),
Die Flucht nach Ägypten. 1525/30. Teil eines Marienaltars.
Lindenholz, 56,2 x 56,6 cm
(Raum 2/GG)
3. Suche nach dem 12jährigen Christus im Tempel
• Lodovico Mazzolino (tätig um 1480-1528/30 in Ferrara),
Der zwölfjährige Jesus im Tempel lehrend. Um 1524. Mittelbild des Altars für die
Kapelle von Francesco Caprara in S. Francesco in Bologna.
Pappelholz, 256 x 182,5 cm
(Raum XVII/GG)
Christus diskutiert mit den Pharisäern und Schriftgelehrten,
während sich seine Eltern, Maria und Joseph, unter den
Zuhörern rechts im Bild befinden.
7
-> Detail mit Maria
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
4. Gefangennahme und Kreuztragung (Abschied und Entkleidung Christi)
Der Abschied Christi von seiner Mutter kommt nicht in den Evangelien vor. Die Szene
wird erst unter dem Einfluss der „Meditationes“ des Pseudobonaventura durch die
spätmittelalterlichen Passionsspiele bekannt und in den Zyklus der „Sieben Schmerzen
Mariae“ aufgenommen. Nach der Erweckung des Lazarus und vor dem Einzug in
Jerusalem, wo das Leiden Christi seinen Anfang nimmt, verabschiedet sich Christus in
Bethanien von seiner Mutter. Als mitfühlende Mutter möchte Maria ihren Sohn nicht
gehen lassen, nachdem er ihr eröffnet hatte, dass er durch Gottes Willen sterben müsse.
Sie fällt auf die Knie, bittet ihn inständig, zu bleiben, umklammert ihn. Ihre Tränen, ihr
Schmerz treffen Christus mehr als zukünftig zu erduldende Qualen. Maria erbittet seinen
Segen, um besser mit der Situation zurechtzukommen. Nachdem er sie gesegnet hat,
beauftragt er Maria Magdalena, seiner Mutter beizustehen und ihm nicht zu folgen.
In frühen Ausprägungen des Themas nördlich der Alpen (Dürer, Cranach) steht Christus
vor Maria und segnet sie. In der italienischen Malerei kommt das Thema selten vor.
• Hans Schäufelein (Um 1480/85 Nürnberg oder Augsburg – um 1538/40
Nördlingen), Christus nimmt Abschied von seiner Mutter. Um 1504/05.
Außenseite Altarflügel. Lindenholz, 47,5 x 18,6 cm (Raum 3/GG)
Maria sinkt in die Knie, gestützt von einer der Marien, bleibt
zurück im Kreis der mit ihr trauernden Frauen am Haus von
Maria Magdalena und Martha von Bethanien, wo Jesus zuvor
den Bruder der beiden, Lazarus, vom Tod erweckt hat.
Ungewöhnlicherweise befindet sich die Gruppe der Abschied
nehmenden Frauen rechts im Bild und Christus verlässt
entgegen der gewohnten Sehrichtung nach links den Ort.
Hans Schäufeleins Werk ist stark von Dürer geprägt, in dessen
Werkstatt er 1503/04 tätig war.
• Meister von 1518, Christi Abschied von den Frauen. Um 1520.
Eichenholz, 79 x 37 cm (Raum 6/GG)
Das Thema ist in der niederländischen Kunst des 16.
Jahrhunderts häufig gestaltet worden, so auch von diesem
anonymen Antwerpener Maler. Anregende Wirkung hatten die
Holzschnittfolgen Dürers zum „Marienleben“ und zur „Kleinen
Passion“.
Christus wendet sich im Gehen ein letztes Mal zu seiner Mutter
um, die ihm bis vor das Stadttor von Bethanien nachgeeilt ist,
um ihn von seinem Weg nach Jerusalem abzuhalten. Maria
kniet klagend am Weg, die Hände in tiefem Schmerz
verkrampft. Johannes, Maria Magdalena und Martha stehen ihr
beim Abschied von ihrem Sohn bei.
8
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
• Bernhard Strigl (um 1460-1528 Menningen),
Christus nimmt Abschied von seiner Mutter.
Um 1520. Tannenholz, 86,5 x 71,5 cm; DETAIL
Aus der Nikolauskirche zu Isny im Allgäu (Raum III/GG)
Die Entkleidung Christi, Um 1520.
Tannenholz, 87 x 72 cm; DETAIL
Vor dem Stadttor von Bethanien umklammert die Gottesmutter ihren Sohn, um ihn am
Fortgehen zu hindern, er umfängt sie liebevoll. So wie Maria sich in ihren Mantel hüllt,
scheint sie völlig vom Schmerz überwältigt zu sein. Ihr Compassio geht so weit, dass sie
sich der Blöße ihres Sohnes erbarmt und ihm nach der Entkleidung durch die Schergen
vor der Kreuzigung ein weißes Tuch um die Lenden wickelt.
Im Unterschied zu den vorherigen Abschiedsszenen konzentriert der spätgotische Maler
das Geschehen ganz auf die großfigurige Gruppe von Maria und Christus.
• Lorenzo Lotto (Venedig um 1480-1556 Loreto),
Christi Abschied von seiner Mutter. 1521. Leinwand, 126 x 99 cm
(Raum 32/GG) DETAIL
Das Thema kommt südlich der Alpen selten vor. In
manieristischer Gespanntheit erzählt Lotto – ‚das
unruhige Genie der Renaissance’ und Zeitgenosse
Tizians – die Geschichte vom Abschied Christi von
seiner Mutter. Beide tragen die gleichen Farben: ein
rotes Gewand, einen blauen Mantel und ein weißes
Tuch.
Christus bittet Maria um ihren Segen, nachdem er vom bevorstehenden Leiden erzählt
und sie dem Schutz seines Jüngers Johannes und Maria Magdalenas anempfohlen hat.
Diese fangen die daraufhin ohnmächtig zusammensinkende Muttergottes auf.
-> Kreuztragung
-> Entkleidung
• Kölnisch. Um 1410/20. Das Leben Christi. 2 Szenen aus der Tafel,
Eichenholz, 84,5 x 113 cm; jedes Bildfeld ca. 15-16 x 15-16,5 cm (Raum 1/GG)
„Maria wird vom Leid ihres Sohnes so tief erschüttert, dass sie die Stimme verliert und
ihr die Sinne schwinden, so dass sie wie tot von den Frauen gehalten und dem
kreuztragenden Sohn nachgeführt werden muß.“ (vgl. Theo Meier, S. 164)
9
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
• Hans Multscher (um 1400-vor 1467), Flügel des Wurzacher Altars:
Kreuztragung. 1437. Leinwand auf Tannenholz, je 150 x 140 cm
(Raum 1/GG) DETAIL
Im Herzen fühlt Maria bereits das von Simeon verheißene
Schwert. Ihre Tränen sind das äußere Zeichen ihrer
Herzenswunde. Die ebenfalls auf dem Wurzacher Altar
geschilderte Szene mit der Geburt und Anbetung Christi zeigte
noch eine glückliche Mutter, die jetzt ob des Schmerzes starr
und hilflos dasteht.
• Johannes Koerbecke (Um 1410 – 1491 Münster/Westfalen),
Die Kreuztragung Christi. 1457. Leinwand über Eichenholz, 93 x 64,4 cm;
Zwei Fragmente von den Außenseiten der Flügel des Marienfelder Altars
(Raum II/GG)
Grenzenlos einsam, Körper und Antlitz unter dem Mantel
bergend, begleitet die Gottesmutter halbtot ihren Sohn auf
dem Weg der qualvollen Kreuztragung.
5. Kreuzigung Christi
• Kölnisch. Um 1410/20.
Das Leben Christi: Kreuzigung.
Eichenholz, 84,5 x 113 cm;
jedes Bildfeld ca. 15-16 x 15-16,5 cm
(Raum 1/GG)
Die traditionelle Bildform zeigt
auf der linken Seite des Kreuzes
Maria und auf der rechten
Johannes. Maria, hier trauernde
Mutter, verkörpert zugleich
Christi Geburt und seine
Menschwerdung. Unter dem
Kreuz wird sie zur zentralen
Fürbittgestalt der Christenheit,
deren Sünden Christus durch
seinen Opfertod auf sich nimmt.
Das Bild des jugendlichen
Johannes steht für eine
hoffnungsvolle Zukunft. In erweiterten Kreuzigungsdarstellungen ist die linke Fläche
Maria, Johannes und den trauernden Frauen bzw. allgemein den Leidtragenden
zugeordnet.
Während früher der Schwerpunkt auf der Schilderung des Leidens und Sterbens Christi
lag, gab man zunehmend der Freude über die Erlösung durch den Kreuzestod Raum.
Individuelle menschliche Reaktionen und Gefühlsregungen wurden Themen künstlerischer
Auseinandersetzungen.
10
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
Derartige Andachtsbilder in Kirchen stellten für die Gläubigen die Möglichkeit dar, sich in
das Leiden Christi zu versenken in Form von contemplatio, compassio, imitatio.
13. Jahrhundert
„Es stand die Mutter schmerzensreich bei dem Kreuz, tränenreich …“
Die Prophezeiung des Simeon hat sich erfüllt. Christi Leiden und Tod haben Maria
unsäglichen Schmerz bereitet. Ihr Herzensmartyrium ist Ausdruck einer übergroßen Liebe
zu ihrem Sohn, wie frühmittelalterliche Darstellungen es zum Ausdruck bringen.
• Obersachsen um 1220.
Maria aus einer Triumphkreuzgruppe.
Eichenholz, Reste der ursprünglichen Fassung
(Raum 072/SKS) DETAIL
• Westfälisch, Um 1230/40
Maria aus einem Kreuzigungsretabel.
Pergament auf Eichenholz
(Raum I/GG) DETAIL
• Westfälisch, Um 1230/40. Kreuzigungsretabel aus
Soest. Pergament auf Eichenholz, 86 x 195,5 cm
(Raum I/GG)
Die Form eines der ältesten erhaltenen
Altaraufsätze nördlich der Alpen erinnert an ein
Triptychon.
Traditionell befinden sich links unter dem Kreuz
die klagende Gottesmutter, Johannes und die 3
Frauen. Der Kopf Mariens ist dem Kopf des
Gekreuzigten und zugleich Johannes zugeneigt.
14. Jahrhundert
• Giotto di Bondone
(um 1267 Colle – 1337 Florenz),
Die Kreuzigung Christi. Um 1315.
Pappelholz, 59,7 x 36,2 cm
(Raum 41/GG)
• Bernardo Daddi
• Meister von San Martino alla Palma
(Ende 13. Jh. Florenz – 1348 Florenz),
(tätig in Florenz um 1310-1340),
Die Kreuzigung Christi (rechts).Um 1338/40.
Die Kreuzigung Christi.
Pappelholz; 58 x57,2 cm
Pappelholz, 41 x 48,5 cm
(R. 41/GG)
(R. 41/GG)
11
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
Details der Trauergruppe links unter dem Kreuz - Vergleich
Südlich der Alpen ist die Farbenkonstellation der Kleidung Marias oft entgegengesetzt der
nördlich der Alpen. Marias Untergewand ist blau wie der Himmel, während es sonst von
roter Farbe ist und Blau dem Marienmantel vorbehalten bleibt.
Die Altartäfelchen, zur privaten Andacht bestimmt, stammen alle aus dem Florenz des
Quattrocento. Sie sind auf Goldgrund gemalt. Die Christus am nächsten stehenden
Personen sind mit einem Heiligenschein versehen.
Maria, gestützt von Johannes,
wendet sich gramgebeugt ab.
Analoge Bildformel.
Die Geburt Christi wird
dem Tod am Kreuz in
diesem Tragaltar gegenübergestellt.
Maria wird von zwei
Frauen gestützt, ihr Blick
zum Gekreuzigten lässt
sie zu Boden sinken.
• Böhmisch, Um 1350. Die Kreuzigung Christi (Kaufmannsche
Kreuzigung). Leinwand über Holz, später auf Leinwand übertragen,
67,7 x 30,3 cm (Raum 1/GG)
Der Mittelteil eines kleinen Hausaltars mit einst
beweglichen Klappflügeln erinnert mit seinen
leuchtenden Farben an Buchmalerei. Er stammt von
einem unbekannten böhmischen Maler. Im Zentrum
steht das hoch aufgerichtete Kreuz; Christus ist
umgeben von den Kreuzen der Schächer, links in stolzer Trauerhaltung, wenngleich
von Johannes gestützt, Maria.
15. Jahrhundert
Details von Marienfiguren aus Kreuzigungsszenen in der Skulpturensammlung im Bode-Museum
12
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
Die Klage der Maria unter dem Kreuz wird nördlich der Alpen verhaltener und maßvoller
als südlich der Alpen ausgedrückt, wo die Gebärdensprache leidenschaftlicher ist. Die
Maler und Bilderschnitzer ließen sich von den Passionsspielen beeinflussen, die ihre
geistige Grundlage in den „Meditationes vitae Christi“ des Pseudobonaventura hatten,
denen wiederum das Bernhardtraktat zu Grunde lag.
• Böhmisch. Die Kreuzigung Christi. Um 1400/10. Pappelholz, 30 x 23 cm
(Raum 1/GG) DETAIL
Die Trauergruppe links unter dem Kreuz wird kreisförmig
zusammengehalten. Die ohnmächtig ob ihrer Schmerzen
zusammengesunkene Gottesmutter hat in einer der sie
begleitenden Frauen (Maria Magdalena?) und in Johannes eine
wahre Stütze. Der gläubige Betrachter ist gehalten, nicht nur
die Passion Christi, sondern auch die seelischen Qualen der
Gottesmutter mit zu erleiden.
• Kölnisch, um 1430.
Christus am Kreuz mit Heiligen.
Eichenholz, 111,5 x 171 cm
(Raum I/GG) DETAIL
• Österreichisch-Böhmisch (?)
Christus am Kreuz. Um 1410.
Nadelholz, 84 x 71 cm.
(Raum I/GG) DETAIL
Maria unter dem Kreuz zur Rechtern von Christus, den Kopf ihm zugeneigt, faltet die
Hände zur Andacht. Engel fangen das Blut des gemarterten Christus auf. Die Altartafel
aus der St. Petri Kirche zu Benz auf Usedom stammt von einem unbekannten kölnischen
Maler der Spätgotik und zeigt eine gelöste Gottesmutter, deren Trauer sich nach innen
richtet – das Werk des Erlösers ist vollbracht.
Ebenfalls auf Goldgrund die Kreuzigungsszene eines anonymen Meisters aus Österreich
oder Böhmen, an der üppigen Faltendraperie zu erkennen, die eine zwar trauernde, aber
bereits in gemäßigtem Schmerz verharrende Gottesmutter zeigt. Sie vermittelt zwischen
dem heiligen Geschehen und dem Betrachter, der dadurch unmittelbar einbezogen wird.
Den Tafeln gemeinsam ist der liebliche Gesichtsausdruck der Marienfiguren, typisch für
die Malerei der Internationalen Gotik bis Anfang des 15. Jahrhunderts.
• Südliche Niederlande, um 1420/30. Trauernde Maria aus einer Kreuzigung Christi. Nussbaumholz, H. 125
cm (R. 208/SKS im BM)
13
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
Die Standfigur gehörte ursprünglich zu einer großen Kreuzigungsgruppe. Das
Gegenstück, die Johannesfigur, befindet sich in Stockhom. Maria scheint ganz in
stummem Schmerz versunken, eingehüllt in den kaskadenreichen Mantel, der gleichsam
ihre ungeheure Trauer symbolisiert und ihr Gesicht nur verschattet zeigt.
• Jacobo della Quercia
(Siena 1374-1438 Siena) zugeschrieben.
Kreuzigung Christi. Siena, um 1420 (?)
Gebrannter Ton, ursprüngliche Fassung,
H. 147 cm, B. 80,5 cm (R. 249/SKS im BM)
Aus der Frührenaissance stammt die
erregte Figurengruppe um die ohnmächtige Maria, die große Beweinungsgruppen Ende
des 15. Jahrhunderts in Italien vorwegnimmt. Der „laute Ausdruck des Schmerzes“
(Wilhelm von Bode) ist in dieser Form einmalig in der Kunstgeschichte. Es war völlig
unüblich, die mater dolorosa in liegendem Zustand zu präsentieren.
• Giovanni di Paolo (tätig seit 1420-1482 Siena), Die
Kreuzigung Christi.
Um 1440/45. Pappelholz, 40,1 x 56 cm (Raum 39/GG) DETAIL
Lauter Schmerz zeigt sich auch in dieser spätgotischen Bilderzählung
des sienesischen Malers Giovanni di Paolo: Maria und ihre
Begleiterinnen reißen in pathetischen Klagegebärden die Arme nach
oben. Die gesteigerten Emotionen ergreifen den Betrachter, erinnern
an das Leiden Christi und animieren so zum Mit-Leiden.
• Giovanni di Paolo (tätig seit 1420 – 1482 Siena),
Christus am Kreuz zwischen Maria und Johannes.
Pappelholz, 32,2 x 23, 6 cm (GG / Studiengalerie)
Im Unterschied zur vielfigurigen Kreuzigungsszene auf
obiger Predellentafel hier ein häusliches Andachtsbild
mit wenig Personal vor dem Goldgrund, aber gleicher pathetischer Klagegebärde Marias.
14
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
Die Vita Beate Virginis Mariae et Salvatoris rhytmica schildert den Schmerz der Mater
dolorosa sehr dramatisch: so rauft Maria ihre Haare, schlägt sich mit den Fäusten auf die
Brust oder kratzt sich mit den Fingernägeln die Wangen auf. Derartige Texte regten die
bildnerische Umsetzung des christlichen Themas an.
• Robert Campin Um 1375-1444 Tournai), Nachfolge,
Christus am Kreuz. Eichenholz, 77 x 47 (Raum IV/GG) DETAIL
Nicht nur in Italien vermochte man die Kreuzigung Christi
suggestiv zu gestalten, um an die Gefühle der Betrachter zu
appellieren. Auch diese Darstellung schildert eindrucksvoll, wie
Maria der Schmerz um den Verlust des Sohnes wie ein Schwert
ins Herz dringt. Unfassbares ist ihr geschehen. Im Zusammenbrechen umklammert sie
den Kreuzesstamm und richtet schmerzerfüllt ihren Blick nach oben.
Renaissance in der niederländischen Malerei
• Dieric Bouts), Nachfolge
(Haarlem 1410/20-1475 Löwen)
Christus am Kreuz zwischen
Maria, Johannes und zwei
Heiligen. Um 1450.
Eichenholz, 88 x 71 cm
(Raum IV/GG) DETAIL
• Dieric Bouts, Werkstatt.
Christus am Kreuz zwischen
Maria und Johannes. Um 1465
Eichenholz, 88 x 71 cm
(Raum 208/GG im BM)
• Jan van Eyck, Nachfolge,
Christus am Kreuz.
Leinwand (von Holz übertragen),
43 x 26 cm (Raum 5/GG)
In der Renaissance weicht der Goldgrund der
Landschaftsschilderung. Die niederländischen Meister sind von
großer Detailgenauigkeit. Laute Klage der Gottesmutter ist stiller
Einkehr und verhaltenem Schmerz über die Erlösung des
Gottessohnes durch den Kreuzestod gewichen, was sich in sanfter
Gestik und innerer Ruhe bemerkbar macht.
Die Darstellung in der Nachfolge von van Eyck thematisiert
dagegen schwerpunktmäßig die Trauer über den Tod Christi,
indem Johannes weinend und Maria mit schmerzverschlungenen
Händen neben dem Kreuz stehen (vgl. Abb. links)
15
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
15./16. Jahrhundert
• Hans Baldung Grien (1484/85-1545), Kreuzigung Christi. 1512.
Lindenholz, 151 x 104 cm (Raum II/GG) DETAIL
Aus der vielfarbigen Menschenmenge ragt Maria heraus: sie fällt auf
durch ihr weißes Gewand (vgl. dazu auch van Eyck, Nachfolge, mit
der Mater dolorosa im weißen Mantel) mit den kühlblauen Ärmeln.
Weiß als liturgische Farbe trug man an Festen des Herrn und der
Muttergottes. Sie bedeutet Reinheit. In ergebener Trauer kreuzt Maria
die Arme vor ihrer Brust. Ihr leidender Blick ist nach unten gerichtet
und spricht für stille Trauer. Ihre Emotionen zeigen sich im fahlen
Inkarnat, den blassen Lippen, den geröteten Augenlidern. Baldung
Grien zeigt sie wie die Christusfigur übergroß. Ihr gewölbter Leib soll
wohl auf Maria als Gottesgebärerin verweisen.
Mater dolorosa in der Ohnmacht
Die bildkünstlerische Umsetzung der Schmerzen der Mater dolorosa erfolgt in der
christlichen Bildkunst nach wiederkehrenden Bildformeln, wie wir bisher sehen konnten.
Zwar wieder erkennbar und doch individuell ausgeformt. Die Ohnmacht der Gottesmutter
als Ausdruck tiefen Miterlebens der Qualen ihres Sohnes wird erst seit dem 14.
Jahrhundert in Altarbildern formuliert. Diese Darstellung erschien Theologen später als
Gefühlsregung mit dem Schmerz nicht angemessen, nicht zu einer ‚Königin der Martyrer’
passend. Die Abbildungen zeigen in überzeugender Weise, wie die Muttergottes zwar
vom Schmerz überwältigt wird und mit nach unten gestreckten Armen zu Boden sinkt,
aber immer Fürsorge von Johannes und den trauernden Frauen erfährt – so, wie es das
Vermächtnis von Christus war. Mit Sicherheit wurden die Darstellungen von
zeitgenössischen Schauspielen inspiriert.
1
2
3
4
1• Oberschwaben, Anfang 15. Jh. Maria und trauernde Frauen. Pappelholz, alte Fassung. Aus
Mittelbiberach. Köpfe in der Barockzeit überarbeitet (Raum 111/SKS im BM) DETAIL
2• Oberbayern um 1480, Gruppe aus einer Kreuzigung Christi. Lindenholz (Raum 109/SKS im BM)
3• Mair von Landshut (tätig in Bayern um 1490-1504), Die Kreuzigung Christi. 1500. Holz, 70 x 45 cm
(Raum 1/GG) DETAIL
4• Antwerpen, Anfang 16. Jh., Retabel mit der Darstellung aus der Leidensgeschichte Christi.
Eichenholz, Reste der Fassung (Raum 208/SKS im BM) DETAIL
• Annibale Carracci, Christus am Kreuz. 1594. Leinwand,
33,8 x 23,4 cm (Raum 26/GG)
Maria ist am Fuße des Kreuzes ohnmächtig
niedergesunken. Die liegende Pose stand im
Widerspruch zu den Versen der traditionellen STABAT
Mater dolorosa.
16
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
6. Kreuzabnahme/Beweinung Christi (Pieta)
• Kölnisch. Um 1410/20. Das Leben
Christi: Kreuzabnahme. Eichenholz,
84,5 x 113 cm; jedes Bildfeld ca. 15-16
x 15-16,5 cm (Raum 1/GG)
„Zu beweinen meinen süßen
Jesus, wer gibt meinem Auge
Wasser, wer den Tränen
Quelle?“ (Worte des Jeremias,
Maria in den Mund gelegt;
zitiert bei E. Reiners-Ernst, S.
11)
„Die losgelösten Glieder
umarmte und küsste sie, nahm
sie auf ihre Arme…“ (Georg von
Nikomedien in der
Karfreitagspredigt, 9.Jh.)
• Miechiel Cocxie (Mecheln 1499-1592), Kopie
nach Rogier van der Weyden, Die Kreuzabnahme
Christi. 1488. Eichenholz, 149 x 265 cm; oben in
der Mitte viereckiger Aufsatz, 51 x 57 cm
(Raum 208/GG im BM)
Das berühmte Altargemälde von Rogier
van der Weyden, ein Meisterwerk früher
niederländischer Malerei (entstanden um
1435), hängt heute im Museo del Prado
in Madrid. Die Kopie danach hat Cocxie
100 Jahre später gemalt. Sie ist nun im
Bode-Museum zusammen mit Skulpturen
aus der Zeit zu sehen.
In dem Gemälde drücken sich nicht nur
Schmerz und Trauer der Beteiligten bei
der Kreuzabnahme Christi, sondern auch die tiefe Religiosität Roger van der Weydens
aus.
Maria ist ohnmächtig zu Boden gesunken, gehalten von Johannes und einer der Marien.
Auffällig ist die Schräglage ihres Körpers – bildparallel zu dem ebenfalls diagonal ins Bild
ragenden Leib ihres Sohnes, der gerade vom Kreuz genommen wird. Nicht nur die
Körperhaltung der beiden von Schmerz überwältigten Protagonisten stimmt überein,
auch beide Arme sind kongruent angeordnet: Der rechte Arm hängt schlaff herunter,
während die linken Arme durch das Haltemotiv angewinkelt sind.
Die rechten Hände der Gottesmutter und des toten Christus bilden eine Klammer,
während die linken Hände nahezu identisch gemalt sind.
17
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
Beweinung Christi
Das Motiv der Beweinung Christi ist nicht in den Evangelien enthalten, tritt aber als
eigenständige Bilderfindung zwischen Kreuzabnahme und Grablegung ab dem 12.
Jahrhundert auf. Besonders an Gottesdiensten am Karfreitag wird die Darstellung von
Schmerz und Trauer als Angebot für Betrachtung und Andacht genutzt.
• Hugo van der Goes (um 1440-1482), Die Beweinung Christi. Um 1480.
Leinwand, 53,5 x 38,5 cm (Raum V/GG) DETAIL
Das in Tempera auf Leinwand gemalte „Tüchlein“
– eines der wenigen erhaltenen Gemälde in dieser Technik –
zeigt Maria mit Johannes, Maria Magdalena und den beiden
anderen Marien bei der Beweinung Christi. Die Darstellung wirkt
wie ein Ausschnitt aus einem Gemälde bzw. ein Fragment - was wir sehen, ist aber
ein neuer Bildtyp, denn Hugo van der Goes hat die Halbfigurengruppe der Trauernden
bewusst in den Mittelpunkt gesetzt und nicht den Leichnam Christi. Maria, gewandet
in den traditionellen Farben, mit überkreuzten Händen, neigt ihr Haupt zur linken
Seite zu einem imaginären Gegenüber, das in Form eines Gegenstücks mit einer
„Kreuzabnahme“ in New York existiert.
• Giovanni Bellini (Um 1430/31 Venedig – 1516
Venedig), Die Beweinung Christi. Um 1495.
Pappelholz, 68 x 86 cm- (Raum 111/GG im BM)
Es handelt sich hier um eine Herauslösung
der trauernden Gottesmutter mit Johannes
und dem Leichnam Christi. Die Beweinung
findet nicht unter dem Kreuz, sondern
unter strahlend blauem Himmel statt. Das die Blöße Christi bedeckende Lendentuch
und ein Wundmal erinnern an die Kreuzigung. Die wie ein Ausschnitt wirkende
Bilderzählung wird zum Hauptmotiv. Von dem Gemälde existieren etwa 19 Kopien. Es
ist Bellinis Spätstil zuzuordnen, der die venezianische Malerei der Frührenaissance
vertritt.
18
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
• Hans Baldung, gen. Grien (1484/85-1545), Die Beweinung Christi.
Um 1516. Lindenholz, 141,3 x 96 cm (Raum II/GG)
Wie schon bei der
Kreuzigungsdarstellung verwendet
Baldung Grien erneut das Motiv der
über der Brust gekreuzten Hände, das
bereits Riemenschneider in seinen
Kreuzigungsszenen eingeführt hatte.
Die am Fuß des Kreuzesstamms
sitzende, bleiche und mit
tränenverschleiertem Blick nach oben
schauende Muttergottes ist von ergreifender Physiognomie.
• Jan van de Beer (um 1475-vor 1536), Triptychon mit der
Beweinung Christi. Um 1525. Eichenholz, oben rund, Mittelbild
49,5 x 33,5 cm (Raum 6/GG) DETAIL
Als Vertreter der ‚Antwerpener Manieristen’ verband
van de Beer in seinem Werk Elemente der Spätgotik
und der Renaissance miteinander, wie es besonders
in dem unruhigen Faltenwurf der flatternden
Gewänder zum Ausdruck kommt, die wiederum die
aufgewühlte seelische Verfassung der Trauernden
spiegelt. Die Evangelien erwähnen das Motiv der
Beweinung nicht. Und doch führt uns der niederländische Meister eine ergreifende
Beweinungsszene vor Augen: Der tote Christus wird nach seiner Passion und
Kreuzabnahme mit unnatürlich gestreckten Gliedern im Schoß der trauernden
Gottesmutter präsentiert. Dabei ruht sein Oberkörper auf ihrem Schoß, während sein
Leib analog italienischen Beweinungsbildern auf der Erde liegt.
• Meister von Meßkirch (tätig um 1520-50 am Oberrhein), Die Beweinung
und Grablegung Christi. Tannenholz, 59,5 x 64 cm (Raum 4/GG) DETAIL
Die einstige Mitteltafel eines Altars zeigt die Beweinung Christi
und konzentriert sich auf drei Personen - den nur mit dem
Lendentuch bekleideten Leichnam Christi, Joseph von
Arimathia, der den Toten stützt und Maria, die seinen leblosen
Arm hält. Das weiße Kopftuch und der als Lendenschurz
dienende Schleier stellen eine besondere Verbindung zwischen
Mutter und Sohn her.
• Juan de Valmaseda (Palencia 1488-1548 Palencia?).
Beweinung Christi. Um 1525. H. 53 cm, B. 85 cm (Raum 131/SKS im BM) DETAIL
• Giovanni Giuliani,
Umkreis
(Venedig 1663-1744
Heiligenkreuz).
Beweinung Christi.
Erstes Viertel 18. Jh.
Lindenholz
(SKS im BM)
DETAIL
19
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
7. Grablegung Christi
• Kölnisch. Um 1410/20.
Das Leben Christi. Eichenholz. Szene
der Grablegung. 84,5 x 113 cm; jedes
Bildfeld ca. 15-16 x 15-16,5 cm
(Raum 1/GG)
„Beklage nicht mich, Mutter, da
im Grabe den Sohn du schaust,
den ohne Mannessamen du
empfingst. Denn ich werde
verherrlicht auferstehn und in
unaufhörlicher Herrlichkeit als
Gott auch jene erhöhn, die
gläubig dich und sehnsuchtsvoll
verehren.“
(Kosmas von Jerusalem, 7. Jh.)
Bei der Grablegung wird der
Tote mit weißen Leinentüchern
umwickelt (vgl. Kölnisch, um 1410/20, Szene der Grablegung). Maria hilft dabei. Südlich
der Alpen wird eine Darstellung bevorzugt, bei der der nackte Leib Christi auf ein
Leichentuch gebettet wird, das über den offenen Sarkophag gebreitet ist. Maria, in ihren
Mantel gehüllt, umarmt den Toten, schmiegt ihre Wange an die seine, hält ihn innig in
mütterlich sorgender Liebe. Sie will den toten Leib nicht freigeben und man könnte
meinen, sie will mit ihm gemeinsam bestattet werden. Diese sehr intime und ruhige
Abschiedsszene findet statt inmitten einer Vielzahl Trauernderer und wird flankiert von
der theatralischen Trauergestik der von Christus bekehrten Sünderin Maria Magdalena im
auffällig roten Kleid.
1
2
3
4
1 • Simone Martini (um 1284? Siena?-1344 Avignon), Die Grablegung Christi. Pappelholz, 23,7 x 16,7 cm
(Raum 40/GG) DETAIL
2 • Ugolino di Nerio (nachweisbar 1317-1327 in Siena und Florenz), Teile des Polyptychons vom Hochaltar in
S. Croce, Florenz. Um 1325/35. Predellentafel mit Grablegung Christi. Pappelholz, 40,8 x 58 cm (Raum 41/GG)
DETAIL
3 • Meister von San Martino alla Palma (tätig in Florenz um 1310-1340), Passionsszenen: Die Grablegung.
Pappelholz, 31,4 x 21 cm (Raum 40/GG) DETAIL
4 • Pietro da Rimini (tätig im 3. Jahrzehnt des 14. Jh.), Zwei Szenen aus dem Leben Christi. Die Grablegung
Christi. Um 1330. Pappelholz, 18,6 x 20,2 cm ( Raum 40/GG) DETAIL
• Vittore Carpaccio (um 1465/67 Venedig - 1525/26
Venedig), Die Grabbereitung Christi. Leinwand, 145 x 185
cm (Raum 37/GG)
In der Landschaft sehr kleinfigurig angelegt –
in der Rückenfigur Johannes, von vorn die auf
den Boden niedergesunkene Muttergottes, sich
in tiefem Schmerz an Maria Magdalena
anlehnend.
20
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
3. Pietá
• Kölnisch. Um 1410/20.
Das Leben Christi. Szene der Beweinung
(Pieta). Eichenholz, 84,5 x 113 cm;
jedes Bildfeld ca. 15-16 x 15-16,5 cm
(Raum 1/GG)
„Bei dem Mystiker Bernhardin
von Siena findet sich die
Deutung, dass Maria den Toten
wieder als ihr kleines Schoßkind
empfindet – es ist die uralte
Form der Sitzmadonna, die hier
anklingt.“ (W. Pinder, Die
deutsche Plastik, Handbuch der
Kunstwissenschaft, S. 100)
Die Mater dolorosa mit dem
Leichnam Christi auf dem Schoß
nennt man auch Pietá (ital.
Frömmigkeit, Mitleid). Als Andachtsbild weit verbreitet und unter den Gläubigen sehr
beliebt, weckt sie Assoziationen zum Madonnenbild: Maria mit dem (nunmehr toten) Kind
auf dem Schoß, verschmolzen mit der Szene der Beweinung nach der Kreuzabnahme.
Geburt und Erlösung, Anfang und Ende von Christi Dasein auf Erden vereinigen sich in
einer Darstellung. Ein Bild von innigster Mutterliebe und Verbundenheit stellt sich dar.
Maria beklagt nicht den toten Christus in ihrem Schoß, sondern verehrt ihn zutiefst.
Den Bildtyp der Pietá südlich der Alpen bezeichnet man nördlich davon als
Vesperbild. Die Zeit zwischen der Kreuzabnahme und Grablegung am Karfreitag nennt
man Vesper. Die Stundengebete hatten den Nachvollzug des Passionsgeschehens zum
Inhalt. Frühe Vesperbilder kennt man in Mitteldeutschland seit dem 14. Jahrhundert.
Christus wird auf dem Schoß der Maria als sog. treppenförmiger Diagonaltypus oder
Steilsitztypus dargestellt, der sich mit dem 15. Jahrhundert zum „horizontalen Typus“
wandelt, dem fast waagerecht präsentierten Leib Christi. Später liegt nur noch das Haupt
auf Marias Schoß,
während der Leib Christi auf den Boden gleitet. Weitere Spannung erwächst aus der
Draperie des Marienmantels im Kontrast zu dem nur mit einem Lendentuch bedeckten
Leib des Sohnes. Zu den sog. ‚schönen Madonnenbildern’ treten nun als Pendants die
„schönen Vesperbilder“.
• Rogier van der Weyden (1399/1400-1464),
Der Marienaltar (Miraflores-Altar) Um 1435.
Eichenholz, jede Tafel 71 x 43 cm (Raum IV/GG)
Der Marienaltar von Rogier van der Weyden stammt aus dessen früher Schaffenszeit und
besteht aus 3 gleichgroßen Tafeln, die von gemalter Architektur gerahmt sind.
Dargestellt sind links die Hl. Familie mit der Anbetung des Kindes und rechts die
Auferstehung Christi mit der legendären Begegnung zwischen Christus und Maria. Unsere
Aufmerksamkeit soll dem Mittelbild mit der Beweinung Christi in Form einer Pietá gelten:
21
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
Maria hält den leblosen Leib Christi mit dessen bereits erstarrten, diagonal gestreckten
Beinen auf ihrem Schoß. Liebevoll hält sie ihn mit beiden Armen umfasst, neigt sich zu
ihm und will sein Antlitz küssen. In dieser Verbundenheit mit dem Gottessohn wird Maria
zum Inbegriff der Kirche selbst.
Schmerzfrei hat die Muttergottes geboren, nun hat sie durch den Opfertod ihres Sohnes
ein Martyrium durchlitten, wofür zuerst ihr roter Mantel steht, aber auch ihr
tränenüberströmtes Gesicht. Bei der Verwirklichung des Heilsplans Gottes nimmt Maria
also eine bedeutende Stellung ein.
Die Trauergruppe mit Joseph von Arimathia, der das Haupt Christi stützt, Johannes, der
die Schultern Marias berührt und schließlich Maria mit dem Leichnam Christi ist als Pietá
herausgelöst. Nur der Ausblick in eine hügelige Landschaft mit dem leeren Kreuz erinnert
an die vormals große Kreuzigungsszenerie.
In den Archievolten oben links bis rechts sind die Szenen mit den Schmerzen Mariens auf
dem Kreuzweg festgehalten: Christi Abschied, Gefangennahme Christi, Kreuztragung,
Aufrichtung des Kreuzes, Kreuzigung, Grablegung. Den standhaften Glauben Marias und
ihre Demut belohnt ein Engel aus der Höhe mit einer Krone und einem Spruchband:
„Diese Frau war die Gläubigste im Leiden Christi, deshalb wird ihr die Krone des Lebens
gegeben.“ (Apok. 2, 10)
• Rogier van der Weyden, Werkstatt, Beweinung Christi.
Eichenholz, 46 x 33 cm (Raum IV/GG)
Diese Werkstattarbeit wiederholt
das Thema der Pietá im
Miraflores-Altar von Rogier van
der Weyden – allerdings
seitenverkehrt. Der Oberkörper
des toten Christus ruht mit leblos
herabhängenden Armen im Schoß
Marias, gestützt von Johannes.
Seine Beine liegen gestreckt auf
dem Boden. Der Betrachter wird in
Gestalt des Stifters in das
Geschehen aktiv einbezogen.
• Vesperbild. Maria mit dem Leichnam Christi. Salzburg oder Passau,
um 1435. Lindenholz, ursprüngliche Fassung, H. 89, 5 cm, B. 83 cm
(Raum 107/SKS im BM)
Wir begegnen hier einem
freudvollen Vesperbild. Der
Schmerz ist der Freude über die
Erlösung gewichen. Die Trauer
hat sich in Heilsgewissheit
aufgelöst.
Der Leichnam Christi wird als
treppenförmiger Diagonaltypus
präsentiert.
22
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
• Maria mit dem Leichnam Christi. Südliche Niederlande, um 1440. Alabaster,
H, 27 cm, B. 31,4 cm, T. 18,5 cm (Raum 219/SKS im BM)
Eine Skulptur ist von allen Seiten zu betrachten im Unterschied zu einem
eindimensionalen Gemälde. Diese Pietá aus Alabaster bietet verschiedene Ansichten und
sollte unbedingt im Original angeschaut werden. Der Tote scheint sich an seine Mutter
anzuschmiegen, wird mit ihr eins. Das Staccato des Faltenwurfs animiert zum Zeichnen.
• Erfurt, um 1480. Beweinung des Leichnams Christi.
Lindenholz, ursprüngliche Fassung (SKS im BM)
Wie bereits die Alabastergruppe pyramidal
komponiert war, tritt auch diese Szene in steiler
Dreieckskonstruktion in Erscheinung.
• Leonardo del Tasso zugeschrieben (Florenz 1466-1500 (?).
Beweinung Christi. Florenz, Ende 15. Jh. Gebrannter Ton,
Originalfassung verloren, heute Ölfarbenanstrich
(Basilika, 5. Nische) DETAIL
Der Leichnam Christi
liegt in waagerechter
Haltung auf dem Schoß
von Maria, die ihn
trauernd anbetet. Das
Haupt von Christus
wird von seinem
Lieblingsjünger
Johannes gehalten,
während die Füße in den Händen der reuigen
Sünderin Maria Magdalena ruhen.
23
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
• Aelbrecht Bouts, Werkstatt, Die Beweinung Christi. Um 1500.
Eichenholz, 77 x 54 cm (Raum 208/GG im BM)
In der Beweinungsszene hält Maria den Leichnam
Christi auf ihrem Schoß in Form einer Pietá. Sie
liebkost seine Hand und ist mit ihm durch ihr weißes
Kopftuch und seinen weißen Lendenschurz
kompositorisch verbunden. Spannung erhält das
Bildmotiv durch die gegenläufige diagonale Anordnung
von Mutter und Sohn.
Dieser Bildtyp entwickelte sich im 14./15. Jahrhundert
nördlich der Alpen. Die Hinwendung zu vertiefter
volkstümlicher Frömmigkeit hatte zum Ziel, den
gläubigen Betrachter zu inniger Anteilnahme
aufzurufen.
• Süddeutschland (Bayern), 2. Hälfte 18. Jh.,Pietá. Gebrannter
Ton mit originaler Fassung (SKS im BM)
Die gemäßigte,
nach innen
gerichtete Trauer
der „freudvollen
Vesperbilder“ ist in
dieser Darstellung
nicht zu spüren,
denn Maria ist
gezeichnet von den
durchlittenen
Qualen als ‚Königin
der Martyrer’. Ihr
gen Himmel
gerichteter Blick
will sagen, dass das Erlösungswerk vollbracht ist.
Fazit
Die bisherigen Erläuterungen sollten verdeutlichen, dass das Bild der Mater dolorosa sehr
differenziert zu betrachten ist. Die Schmerzensmutter Gottes umfasst auch die Fürbitterin
Maria und die Gnadenvermittlerin. Nicht nur die Marienklage steht im Mittelpunkt,
sondern die Tatsache, wie Maria durch das Durchleben ihres Schmerzes und ihres
Verlustes schließlich zu einer höheren Ebene der Vereinigung mit Christus gelangt – aus
Schwäche wird Stärke - und uns so eine religiöse Grundhaltung vorlebt, die übertragbar
ist auf allgemeine Lebenssituationen auch in der heutigen Zeit.
24
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
Didaktische Anregungen
->
Sieben Schwerter symbolisieren die sieben Schmerzen Marias. Leider gibt es in der
Berliner Gemäldegalerie und auch in der Skulpturensammlung keine solche Darstellung.
Die Schmerzen erleidet die Gottesmutter an den verschiedenen Stationen des
Kreuzweges, die in Bildern und Skulpturen veranschaulicht sind. Bringe sie in die richtige
Reihenfolge:
Kreuzigung / Flucht nach Ägypten / Gefangennahme und Kreuztragung / Grablegung /
Suche nach dem 12jährigen Jesus im Tempel / Kreuzabnahme / Beschneidung
1. ……………………………………………………………………
2. ……………………………………………………………………
3. ……………………………………………………………………
4. ……………………………………………………………………
5. ……………………………………………………………………
6. …………………………………………………………………..
7. ……………………………………………………………………
->
An welchem Tag gedenkt man der Schmerzen Marias?
…………………………………………………………………………………………………..
->
Suche im Bode-Museum!
Wo stand diese Marienfigur einmal?
………………………………………………………………………………..
Was ist in der Gestalt ausgedrückt und wodurch?
………………………………………………………………………………..
Welche Personen gehören noch zu einer
Kreuzigungsgruppe außer der Muttergottes?
…………………………………………………………………………………
Zeichne die gesamte Gestalt mit dem Faltenwurf
oder zeichne einen Ausschnitt des Faltenwurfs!
25
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
->
Wo befindet sich diese Skulpturengruppe und wie nennt man sie?
……………………………………………………………………………………………………………….
->
Guck hin! (Gemäldegalerie und Skulpturensammlung)
1
2
1 Dieric Bouts, Werkstatt. Christus am Kreuz zwischen Maria und Johannes. Um 1465
(Raum IV/GG)
2 Dieric Bouts (Haarlem 1410/20-1475 Löwen), Nachfolge, Christus am Kreuz zwischen
Maria und Johannes. Um 1450. Eichenholz, 88 x 71 cm (Raum 208/GG im BM)
•
Finde die Unterschiede!
26
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
1
2
1 Rogier van der Weyden (1399/1400-1464), Der Marienaltar (Miraflores-Altar) Um 1435. Eichenholz, jede
Tafel 71 x 43 cm (Raum IV/GG)
2 Rogier van der Weyden, Werkstatt, Beweinung Christi. Eichenholz, 46 x 33 cm (Raum IV/GG)
•
Worin unterscheiden sich die beiden Bildausschnitte? Vergleiche!
…………………………………………………………………………………………………………………………………………………
•
Wie nennt man diesen Bildtypus, in dem Maria den Leichnam Christi auf dem Schoß
hält?
…………………………………………………………………………………………………………………………………………………
->
Die Hand der Gottesmutter
Hände sind bedeutende Symbolträger. Man kann sie auch als „Spiegel der Seele“
bezeichnen. Was drücken die Handhaltungen Marias aus?
Finde die entsprechenden Bilder dazu oder andere Bilder mit Handhaltungen der
Gottesmutter! Imitiere die Handhaltung und fühle dich in die Stimmung ein!
27
Sigrid Otto: Darstellungen der Mater dolorosa in der Berliner Gemäldegalerie und im BodeMuseum
Literaturhinweise
Berns, Jörg Jochen: Liebe & Hiebe. Unvorgreifliche Gedanken zur mnemonischen Kraft christlicher
Schmerzikonographie. In: Re-Visionen. Zur Aktualität von Kunstgeschichte. Hrsg. Von Barbara Hüttel, Richard
Hüttel und Jeanette Kohl. Akademie Verlag, Berlin 2002, S. 247 ff.
Bonsen, E./Glees, C. (hrsg.), Die Visionen der Heiligen Birgitta von Schweden, Augsburg 1989, S. 179)
Butzkamm, Aloys: Christliche Ikonographie. Zum Verstehen mittelalterlicher Kunst. Paderborn: Bonifatius, 1997
Calvocoressi, Peter: Who’s who in der Bibel? DTV München 1992
Duquesne, Jacques: Eine Frau mit Namen Maria. Paris 2005
Elbern, Victor H.: Wie im Himmel so auf Erden. Der christliche Bilderkreis in 150 Kunstwerken. Bilderheft,
Staatliche Museen zu Berlin 1990
Gemäldegalerie Berlin, Gesamtverzeichnis. Berlin: Nicolai 1996
Grosshans, Rainald: Rogier van der Weyden, Der Marienaltar aus der Kartause Miraflores, in: Jahrbuch der
Berliner Museen, 23, 1981, S. 113-123
Heinen, Ulrich: Passion und Emotion, in: Ansichten Christi, Christusbilder von der Antike bis zum 20.
Jahrhundert. Hrsg. Von R. Krischel, G. Morella, T. Nagel. Ausstellungskatalog, Du Mont 2005
Passion und Auferstehung, Bildsprache um 1500, 6 Gemälde der Alten Pinakothek. Museumspädagogisches
Zentrum München 1986
Reclams Lexikon der Heiligen und der biblischen Gestalten. Legende und Darstellung in der bildenden Kunst,
Philipp Reclam jun. Stuttgart 1991
Reiners-Ernst, Elisabeth: Das freudvolle Vesperbild und die Anfänge der Pietá-Vorstellung. Freiburg 1938
Sachs, Hannelore: Christliche Ikonographie in Stichworten. Berlin, Leipzig: Koehler & Amelang, 1991
Schiller, Gertrud: Ikonographie der christlichen Kunst, Bd. 3. Gütersloher Verlaghaus Gerd Mohn 1971
Schmidt, Heinrich und Margarethe: Die vergessene Bildersprache christlicher Kunst, München: Beck, 1989
Skulpturensammlung im Bode-Museum. Prestel Verlag München, Berlin, London, New York und SMB, SPK 2006
Stabat Mater, Maria unter dem Kreuz in der Kunst um 1400, Ausstellungskatalog, Salzburg 1970
Ströter-Bender, Jutta: Die Muttergottes. Das Marienbild in der christlichen Kunst. Symbolik und Spiritualität.
Köln: DuMont, 1992
Treutlein, Josef; Emge, Martin: Die Frau, die mich zu Christus führt, Modelle und Bausteine zu Marienfeiern. Bd.
1. Echter Verlag GmbH 2005
Tripps, Johannes: Nikolaus Gerhaert interpretiert ein italo-byzantinisches Thema: Die Dangolsheimer
Muttergottes. In: Jahrbuch der Berliner Museen, 41. Bd., Berlin 1999
Zeit und Ewigkeit. 128 Tage in St. Marienstern. Ausstellungskatalog. Halle a.d.S.: Stekovics, 1998
28