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04 | 2011 Tierisch viel los hier ... Hund, Esel & Co. in der sozialen Arbeit Nachrichten | Berichte | Reportagen 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 1 n e em h T n de ziale . e l ra le so t en r al z l zia et fü o .s ern w t wwm In ti k un p eff r T r h I 18.07.2011 08:11:53 Inhalt Editorial 3 Thema Tierisch viel los hier ... Hund, Esel & Co. in der sozialen Arbeit Foto: Bernd Schüler Leben und lernen mit Tieren Lebensretter auf vier Pfoten Achtung! Max zeigt, was in ihm steckt „Im Stall lernt man, Verantwortung zu übernehmen“ Pferd und Ziege als Co-Therapeuten Straßenköter Kalle sucht ein Zuhause Manchmal zickt Eselin Lotti „Streicheln bis in die Unendlichkeit“ „Das lernt man nicht im Crashkurs“ Tierpension mit viereinhalb Sternen 4 4 6 8 10 12 13 14 15 17 18 Sozialpolitik Aktionsplan stößt nicht auf Begeisterung „Bildungspaket geht an der Lebensrealität vorbei“ Bundesfreiwilligendienst: „Erstmal eine Lücke“ Arbeitsgelegenheiten ohne Perspektive Aufruf: „Arbeitsmarktpolitik für alle“ 20 21 22 23 24 Foto: Bundesverband Deutsche Tafel Verbandsrundschau „Gute Pflege ist soziale Wertschöpfung“ Wichtiges Know-how für Regelsatz-Klagen Gemeinsam gesund genießen „Eine bessere Unterstützung ist nötig“ 32 Forum Foto: AGJ | Petra Berger Immer mehr Kinder und ältere Menschen sind auf die Hilfe der Tafeln angewiesen Starke Paritätische Präsenz beim 14. Deutschen Jugendhilfetag Für eine gerechte Steuer- und Abgabenpolitik Das besondere Produkt: Luftig-leichter Hauchschal 2 33 www.der-paritaetische.de 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 2 25 27 28 30 32 33 34 34 Literaturhinweise | Impressum 35 was · wann · wo 36 4 | 2011 18.07.2011 08:11:58 Editorial Dr. Eberhard Jüttner, Vorsitzender des Paritätischen Gesamtverbandes Liebe Leserinnen und Leser, Jeder, der selbst ein Tier hat oder hatte, weiß, wieviel Freude sie dem Menschen bringen können. Egal ob Pferde, Hunde, Katzen, Hamster oder Zierfinken – die Menschen lieben den Kontakt mit ihren Haustieren und profitieren auch davon. Vor ungefähr 14.000 Jahren hat der Mensch begonnen, wilde Tiere zu domestizieren und als Haustiere zu halten. Neben den Tätigkeiten als Zug- und Schutztiere und natürlich als Nahrungslieferanten bekamen die Haustiere über die Jahrhunderte hinweg immer mehr soziale und psychologische Funktionen. In der Nähe von Tieren fühlen sich viele Menschen wohler und sind körperlich wie mental aktiver. Für viele sind Haustiere zu wichtigen Sozialpartnern geworden – zu „Familienmitgliedern“. Auch in der sozialen Arbeit ist längt erkannt worden, dass der Umgang mit Tieren von großem Nutzen ist. Das Thema „Tiergestützte Therapie“ wurde in der Vergangenheit bereits in zahlreichen Studien wissenschaftlich untersucht. Demnach wirkt sich der Umgang mit Tieren – wenn man ihnen gegenüber offen eingestellt ist – psychisch und physisch positiv auf die Menschen aus. Diese Erkenntnis hat zur Grün- dung zahlreicher Organisationen beigetragen, die Tiere mit hilfebedürftigen Menschen in Kontakt bringen. Die Einsatzbereiche sind außerordentlich vielfältig: Ob in der pädagogischen Betreuung, der Sozialarbeit, der Hilfe für Menschen mit Behinderungen oder der Geriatrie – tiergestützte Aktivitäten sind heute in fast allen sozialen und pflegerischen Arbeitsbereichen anzutreffen. Durch die tolle Arbeit, die dort geleistet wird, finden diese Einrichtungen immer mehr Anerkennung: Besuchshundedienste unterstützen beispielsweise die Arbeit in Seniorenheimen, in Kindergärten oder Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen. Benachteiligte Jugendliche gewinnen zum Beispiel über Reittherapien neuen Mut, oder über die Arbeit mit Pferden wird ihnen bei der Vorbereitung auf die Jobsuche geholfen. Und auf Bauernhöfen können Jugendliche und Erwachsene mit oder ohne Behinderung durch den alltäglichen Umgang mit Nutztieren ihr Selbstbewusstsein und ihre Sozialkompetenzen stärken. Auch in der Altenpflege hat sich der Einsatz von Tieren bewährt: Denn der Umgang mit ihnen fördert die Kommunikation, lindert das Gefühl der Einsamkeit und unterstützt die Therapie von Senioren, die an einer Demenz oder psychischen Gesundheitsstörung erkrankt sind. Mittlerweile arbeiten viele Berufsgruppen im Sozial- und Gesundheitswesen mit Tieren: Ergotherapeuten, Mediziner, Psychologen oder Sozialarbeiter beziehungsweise Sozialpädagogen und -pädagoginnen nutzen das Potenzial der Tiere unterstützend neben der medizinischen, pflegerischen und psychotherapeutischen Betreuung. Die vielen Beispiele in diesem Heft zeigen, wie hilfreich der Einsatz von Tieren in der sozialen Arbeit sein kann, um das Wohlbefinden von hilfebedürftigen Menschen in vielerlei Hinsicht zu verbessern. Ich wünsche Ihnen viel Spaß bei der Lektüre dieses Heftes! Herzliche Grüße, Ihr 4 | 2011 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 3 www.der-paritaetische.de 3 18.07.2011 08:12:04 Thema Leben und lernen mit Tieren Ferienziel Schulbauernhof: In Hardegsen eröffnen sich neue Horizonte Stall ausmisten, Unkraut jäten – auf dem Internationalen Schulbauernhof in Hardegsen bei Göttingen können Schul- und Jugendgruppen hautnah erleben, was Landwirtschaft bedeutet. Die UNESCO zeichnete die Einrichtung aus, weil sich dort gut „Nachhaltigkeit lernen“ lässt. H undert Euro werden geboten, fünfzig, vierzig. Oder sind es fünf Euro, die man für ein Kilo Schafwolle erhält? Während die Grundschüler die faserigen Knäuel waschen und von Heupartikeln befreien, lässt Betreuerin Sila Meynberg den derzeitigen Marktwert erraten. Es dauert, bis die richtige Zahl fällt – 60 Cent. „Oh Gott, so wenig!“, ruft ein Mädchen. „Dabei ist das noch ein guter Preis“, klärt Sila auf. „Schafwolle ist nicht mehr so gefragt.“ Die Umgebung, in der die Kinder sitzen, lässt nichts von solch harten wirtschaftlichen Fakten erahnen. Ein kleiner Hof mit schönem Fachwerkbau, mit Kühen, Schweinen im Stall und freilaufenden Hühnern – der Internationale Schulbauernhof gleicht dem idyllischen Bild, wie viele es sich gerne vom bäuerlichen Leben machen. Man- ches gerät dabei in Vergessenheit. Wie aufwendig es ist, Tiere zu halten. Wie lange es dauert, bis Gemüse, Eier und Milch verzehrbereit sind. Und überhaupt: Seit im Supermarkt alles fertig daliegt, ist unklar, woher das Brot kommt, die Butter, die Pommes. „Den wenigsten ist noch bewusst: Ernährung hat mit der landwirtschaftlichen Erzeugung und Verarbeitung von Lebensmitteln zu tun“, sagt Axel Unger. „Was alles damit verbunden ist, das soll man bei uns erleben können, vor allem durch eigenes Tun.“ Tolles Ziel für Klassenfahrten Seit Eröffnung des außerschulischen Lernorts 2005 begrüßt der Geschäftsführer jedes Jahr über 60 Gruppen. Die meisten kommen für eine Woche im Rahmen von Klassenfahrten oder Ferien-Freizeiten. Alle Gäste werden vom Viel Arbeit für wenig Geld: Nur 60 Cent gibt es für ein Kilo gereinigter Schafwolle. Während die Schülerinnen und Schüler mit Freude ans Werk gehen, erfahren sie harte wirtschaftliche Fakten über die Landwirtschaft. Foto: Bernd Schüler 4 www.der-paritaetische.de 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 4 ersten Tag an in den laufenden Betrieb eingebunden. Morgens und spätnachmittags sind die Tiere zu versorgen. Einmal eingewiesen, übernimmt man alle Aufgaben selbst. Für Lorenz, wie für die anderen Kinder einer Göttinger Grundschulklasse, ist das kein Problem. Im Gegenteil, den Schweinestall auszumisten macht ihm richtig Spaß. „Wie die quieken, das ist so süß“, meint der Junge. Nebendran steht ein Betreuer, der hier und da assistiert. Vieles wusste Lorenz schon, aber dass Schweine sehr gut hören können, hat er hier gelernt. Im Hühnerstall ist unterdessen Luca zugange. Gestern hat er mit seiner Gruppe den Kot vom Boden gekratzt. Eklig, aber auch das muss sein. Der Neunjährige sammelt nützliche Einsichten, schließlich will seine Familie bald zuhause Hühner halten. Später beim Mittagessen diskutiert er mit den Klassenkameraden, ob man das Geflügel essen würde. Luca ist sich sicher: „Nein, wenn sie tot sind, sollte man sie begraben.“ Vielen Kindern erscheint es undenkbar, ein Tier, das sie hier umsorgen, später auf dem Teller zu haben. Auch in der Wollgruppe ist man sich einig: Das Schaf, das am Euter erkrankt ist, muss zum Tierarzt. Besorgt hören sie, dass es zum Schlachter kommen soll – aus ökonomischen Gründen. Verantwortung lernen Die begleitende Klassenlehrerin beobachtet, wie schnell sich ihre Schüler mit den Tieren identifizieren. Und sie lobt, wie viel Vertrauen die Betreuer den Kindern hier entgegenbringen. „So lernen sie Verantwortung“, sagt Silvia DraschoffSchmelzer. Meist verläuft alles reibungslos, aber am dritten Tag sagen ihr manche Schüler: „Nachher müssen wir schon wieder in den Stall, schuften.“ 4 | 2011 18.07.2011 08:12:05 Thema Der pädagogische Leiter kennt solche Rückmeldungen der jungen Gäste, auch über das frühe Aufstehen, und darüber, wie anstrengend viele Arbeiten sind. Für ihn kein schlechtes Zeichen, zeige das doch, dass die Kinder eine authentische Erfahrung machten. Auf dem Bauernhof, sagt Axel Unger, gebe es eben viele Routinen, die nicht dem Lust-Prinzip folgten. „Das hier ist kein Streichelzoo, hier wird die Mitarbeit wirklich gebraucht.“ Das Vieh gut zu versorgen ist ökonomische Notwendigkeit. Der Hof mit insgesamt 100 Hektar ist verpachtet. Landwirt Sven Westphal freut sich, dass er jungen Menschen vermitteln kann, was seine Branche leistet. Aber als Pächter muss er auch Erträge erwirtschaften. „Nur so bekommt unser Schulbauernhof eine große Authentizität“, sagt Axel Unger. Wolle kämmen oder Joghurt produzieren Sehr nahe am Leben eines Landwirts ist auch der Tagesablauf der Gäste – stark durchstrukturiert. Nach dem Füttern stehen für den Rest des Vormittags besondere Aufgaben an. Abhängig von der Jahreszeit ist die Streuobstwiese zu pflegen oder das Feld für die Schafe neu abzusperren. Andere waschen und kämmen Wolle oder produzieren für das Mittagessen Joghurt. Mal begleitet man eine Imkerin oder besucht eine Biogasanlage. Und weil aus Landwirten längst auch Energiewirte geworden sind, wird auch die hauseigene Photovoltaik-Anlage erläutert. Bei all diesen Gruppenarbeiten machen die Betreuer die Erfahrung: Sobald die Gäste die Zusammenhänge verstanden haben, sind sie eifrig bei der Sache. Zu erleben sei das zum Beispiel im Nutzgarten. Die Kinder sollen Unkraut jäten. Aber warum? Weil die Erdbeeren Platz und genügend Wasser brauchen. Umgehend legen die Schüler los und üben sich bei einer Aktivität, die die meisten von zu Hause nicht kennen. Auch in der Kartoffelgruppe betreten viele Neuland: Kaum ein Kind hätte gedacht, wie gut Pellkartoffeln schmecken können, nur mit ein wenig Butter. „Indem wir uns ausführlich mit einem Den Schweinestall auszumisten ist für die Kinder kein Problem. Das lustige Quieken der Tiere lässt den etwas herben Geruch schnell vergessen. Fotos: Bernd Schüler einzigen Lebensmittel beschäftigen, weckt das einen anderen Umgang“, berichtet Kathrin Kirchner. „Die Kinder werden viel wertschätzender.“ Ein bunt gemischtes Team Die Pädagogin ist eine von drei Lehrerinnen, die für ein paar Stunden vom niedersächsischen Kultusministerium abgeordnet sind. Nur durch die Zusammenarbeit vieler kann der Schulbauernhof ein wertvolles Angebot machen, sagt Axel Unger. Zum 19-köpfigen Team gehören neben Pädagoginnen unter anderem auch Hauswirtschafterinnen, Handwerker und junge Freiwillige. Das Zusammenfügen unterschiedlicher Perspektiven, das liegt bereits in der Struktur des Trägers: An der gemeinnützigen GmbH, die den Hof und das dazugehörige Jugendgästehaus betreibt, ist zum einen das Öko-Institut in Hardegsen beteiligt, von dort kam auch das Konzept für den Lern-Bauernhof. Und zum anderen gehört der Kreisbauernverband Osterrode-Northeim zu den Gesellschaftern. Finanziert wird alles über die Beiträge der Gäste und Sponsoren, 175 Euro kostet eine Woche pro Person. Dazu kommen Drittmittel, etwa vom Bun- desamt für Migration, das ein gemeinsam mit Migrantenorganisationen durchgeführtes Projekt ermöglichte: Menschen unterschiedlicher Herkunft waren auf den Schulbauernhof eingeladen, um über das Beispiel Ernährung und Kochen in einen interkulturellen Dialog zu kommen. Jetzt hofft Geschäftsführer Axel Unger mit der Auszeichnung durch die UNESCO neue Förderer zu finden. Die UNO-Organisation kürte den Schulbauernhof kürzlich für seine „Bildung für nachhaltige Entwicklung“. Silvia Draschoff-Schmelzer findet diese Auszeichnung berechtigt: „Oft ist Nachhaltigkeit ja nur ein schönes Wort“, sagt die Göttinger Lehrerin, „aber hier wird das wirklich gelebt.“ Bernd Schüler Kontakt Internationaler Schulbauernhof Hardegsen gGmbH, Lehmkuhlenstraße 3, 37181 Hardegsen, Tel. 05503/805521, E-Mail: [email protected], www.internationaler-schulbauernhof.de 4 | 2011 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 5 www.der-paritaetische.de 5 18.07.2011 08:12:06 Thema Lebensretter auf vier Pfoten Rettungshunde-Teams des Arbeiter-Samariter-Bundes Menschen verschwinden, werden verschüttet, finden nicht mehr nach Hause. Für die Suche nach ihnen braucht es oft Hightech – und tierische Helfer. Seit gut 20 Jahren unterhält der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) bundesweit Rettungshundestaffeln. Hund und Hundeführer arbeiten ehrenamtlich und bestens ausgebildet. Foto: ASB A gnes Winkler zieht ihre Einsatzjacke an, legt ihrer Hündin den Brustgurt um, nimmt sie an die Leine und führt sie im Kreis herum. Überall schnüffelt der Mischling ausgiebig. „Wenn sie es jetzt nicht tun darf, macht sie es später“, erklärt die erfahrene Rettungshundeführerin das Ritual. Dann bekommt Hündin Lena noch einen Schluck Wasser, und ihre Leine wird vom Halsband an den Brustgurt umgelegt. Das letzte klare Signal für den Hund: Jetzt ist nicht Gassi gehen angesagt, sondern Arbeit. Nun schnüffelt Lena an einem Kleidungsstück der vermissten Person – und schon geht es los. Zielstrebig und schnell folgt sie mit der Schnauze am Boden der Geruchsspur, an einer Kreuzung geht sie sorgsam alle Möglichkeiten ab, entscheidet sich und zieht weiter unbeirrt an bellenden Hunden, Rasenmähern und Passanten vorbei. Seit einem guten Jahr lernt die Hündin, sich durch nichts von ihrer Suche abbringen zu lassen. Nach circa 800 Metern hebt sie entschlossen den Kopf, überprüft die Witterung aus der Luft und folgt ihr bis zur gesuchten Person. Ihr Erfolg wird mit einem Leckerli und Spielen belohnt. Darum freuen sich die Hunde auf jede Übung und jeden Einsatz. Rund 210 geprüfte RettungshundeTeams zählt der ASB bundesweit, die meisten davon im bevölkerungsreichen 6 www.der-paritaetische.de 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 6 Christine Theiss, mehrfache Weltmeisterin im Kickboxen, suchte für ihren Hund eine Herausforderung – jedoch nichts, das mit Wettbewerb zu tun hat. Jetzt sucht die Boxerhündin vermisste Menschen. Nordrhein-Westfalen und in Bayern. 145 Einsätze meisterten die Teams im vorigen Jahr. Mindestens. Denn nicht alle werden der ASB-Zentrale in Köln gemeldet. „In manchen Großstädten müssen Staffeln täglich raus“, sagt Petra Albert vom Bundesverband. Die Polizei ruft die Staffeln der Hilfsorganisationen zu ihren Einsätzen – und zwar nach Dienstplan im wöchentlichen Wechsel. Doch vor dem Einsatz liegt eine dreijährige aufwendige Ausbildung von Mensch und Hund. Meist einmal während der Woche und einen Tag am Wochenende wird trainiert: Gehorsam, Gewandtheit, Spurensuche und Konzentration für den Hund; Orientierung, Kartenarbeit, Einsatztaktik, Unfallverhütung, Erste Hilfe, Fachkunde über Hunde und vieles mehr für den Menschen. Trotz des hohen Aufwandes sind derzeit beim ASB bundesweit über 470 Teams in Ausbildung. Start als Welpe Die Hunde beginnen am besten als Welpen, sobald ihre Belastbarkeit und ihr Interesse an Arbeit erkennbar sind. Nach zwei bis drei „Schnupperwochen“ in einer Staffel wird ihre Eignung getestet. Bei positivem Ergebnis werden sie je nach Veranlagung für die Suche in einem größeren Gebiet, unter Trümmern oder nach vermissten Personen (Mantrailing) ausgebildet. Jede Aufgabe hat ihre spezifischen Schwierigkeiten. Der „Trümmerhund“ muss sich trauen, durch dunkle Rohre zu kriechen und auf Balken zu balancieren. Der „Flächenhund“ für die Gebietssuche muss fähig sein, alleine seinen Zickzack-Weg immer kreuzend zum Hundeführer durch unwegsames Gelände zu finden. Während er allgemein nach menschlicher Witterung sucht, etwa im Wald, wird der Hund fürs Mantrailing spezialisiert, dem Individualgeruch eines bestimmten Menschen zu folgen. Und das Ganze bei sengender Hitze, klirrender Kälte oder strömendem Regen. „Ich kann mich an keinen Einsatz erinnern, der tagsüber war“, sagt Barbara Bodenberger, die seit sieben Jahren mit ihrem Flat coated Retriever dabei ist. Tageszeit und Wetter erschweren die Suche oft erheblich, wie Hündin Tiffany zu spüren bekommt. An diesem Übungsabend ist die Luft nach Sonnenuntergang stark abgekühlt, doch die Straßen sind noch aufgeheizt. Die Hautpartikel und Schuppen, die ihr den Weg weisen, nahm die aufsteigende Luft mit. Vorbeifahrende Autos verwirbelten die Spur. Mühsam muss sie rechts und links der Straße suchen, biegt in Einfahrten wenige Meter ein, um dann wieder umzukehren oder auch mal ratlos zu werden. Die Suche ist für Hund und Mensch eine Konzentrationsleistung. Die Führer und Führerin- 4 | 2011 18.07.2011 08:12:06 Thema nen müssen im Auge behalten: Wo waren wir schon? Bis wo war sich der Hund noch sicher? Wohin müssen wir zurück, um die Suche wiederaufzunehmen? Trotz der vielen Irritationen endet auch Tiffanys Suche erfolgreich. Es war ihr letzter Abend vor der Rettungshundeteam-Prüfung. Regelmäßige Prüfungen Neben einer gemeinsamen Suche muss der Hundeführer beziehungsweise die -führerin einen Theorietest bestehen. Umfang und Aufgaben gibt eine „Gemeinsame Prüfungs- und PrüferOrdnung“ vor, auf die sich ASB, DRK, Malteser und Johanniter geeinigt haben. Allein beim ASB legen bundesweit jährlich rund 30 Teams die Prüfung ab, die für 18 Monate als Qualifikation für den Einsatz gilt. Dann muss sie erneuert werden. Inzwischen gibt es auch Staffeln außerhalb der großen Rettungsorganisationen. Allerdings ohne die Leistungen des Katastrophenschutzes im Hintergrund. Doch die sind oft zusätzlich ge- fragt, etwa nach dem Einsturz von Häusern, Zugunglücken oder Waldbränden. „Am häufigsten rücken wir für Vermisste aus“, erzählt Angelika Stählin, die bereits ihren zweiten Hund für die Rettung trainiert, „verwirrte oder selbstmordgefährdete Menschen.“ Dabei muss das Team neben der körperlichen Anstrengung auch seelische Belastungen aushalten. „Mir geht noch immer der Fall eines jungen Mannes nach, der nicht gefunden wurde“, erzählt Chris Messerklinger, „Sowie eine Mutter, in deren Beisein wir ihren Sohn suchten.“ Dieser wurde gefunden, aber nicht mehr lebendig. Eine regelmäßige Supervision gibt es für die ehrenamtlichen Helfer nicht. „Aber im Notfall bekämen wir Unterstützung“, ist sich der Münchner Hundeführer sicher. viele andere Mitglieder aus weiteren Berufen, die eigentlich wenig Zeit übrig lassen. Doch alle engagieren sich mit Begeisterung: „Mein Hund brauchte einen Job“, sagt Angelika Stählin. Und Christine Theiss bestätigt: „Mein Hund ist dadurch zufrieden, ruhig und ausgeglichen.“ Die mehrfache Weltmeisterin im Kickboxen suchte für ihre Boxerhündin eine sinnvolle Aufgabe, aber bewusst jenseits von Wettkämpfen. Ausbilderin Irmi Bauer bestätigt, dass die Ehrenamtlichen ihre Arbeit gerne leisten, weil sie sinnvoll ist, und die Hunde, weil sie Freude daran haben. „Leider musste mein Hund mit Gisela Haberer elf Jahren in Rente.“ „Mein Hund brauchte einen Job“ Die Münchner Staffel bietet selbst vielfältige Hilfe: Zu ihren Mitgliedern zählen eine Krankenhaus-Seelsorgerin mit Zusatzausbildung für Krisenintervention, eine Ärztin und eine Tierärztin. Sowie Arbeiter-Samariter-Bund Regionalverband München/Oberbayern e.V. Adi-Maislinger-Str. 6-8 81373 München Telefon 089/74363-0 www.asb-muenchen.de Kontakt – Anzeige – Office-Lösungen EFFIZIENZ Brother Office-Lösungen überzeugen mit Effizienz und intelligenter Funktionalität. Vom Beschriftungssystem bis zum High-End Laser-MFC. Nutzen Sie die Rahmenvereinbarungen mit Brother Top-Konditionen! 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 7 Mehr Infos unter www.brother.de 18.07.2011 08:12:07 Thema 850 Kilogramm wiegt Kaltblut-Wallach Max. Das kräftige Pferd zieht nicht nur gefällte Baumstämme aus dem Wald, es hilft Jugendlichen im Rahmen des Projekts „Jugend forst“ auch beim Sprung ins Berufsleben. Foto: Bernd Kleiner Achtung! Max zeigt, was in ihm steckt Der Kaltblut-Wallach hilft Jugendlichen beim Sprung ins Berufsleben Max kennt jeder, der öfter im Mühlheimer Stadtwald nahe Frankfurt am Main unterwegs ist. Das stämmige Pferd rückt dort Holz, das heißt: es schleppt geschlagene Stämme zum Abtransport. Fast alle seine zweibeinigen Kolleginnen und Kolleginnen jedoch sind keine Forstprofis. Die jungen Frauen und Männer sammeln im Rahmen des Beschäftigungsprojekts „Jugend forst“ erste Erfahrungen in der Arbeitswelt. Dass Max dabei eine maßgebliche Rolle spielt, verrät der Name des Trägervereins: Zugpferd e.V. D ie Ziege mit dem ungewöhnlichen Namen „Tante Jürgen“ ist aufgeregt. Ihr Stallkumpel Max, ein 14-jähriger Rheinisch-Deutscher Kaltblut-Wallach, muss mal wieder zur Arbeit in den Wald, und sie will unbedingt mit. Mit Tricks und Tempo versucht Tante Jürgen, sich zu ihm in den Pferdehänger zu mogeln – vergeblich. Immer kommt ein Mensch dazwischen. Das Fernhalten des Meckertiers ist nicht die einzige körperliche An- 8 www.der-paritaetische.de 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 8 strengung, wenn Max für die Arbeit fertig gemacht wird: Vor dem Hinausfahren muss der Vierbeiner auch noch gestriegelt werden. Für die Initiatoren von Zugpferd, Frank Sobanski und Peter Nuß, sind Pferd und Ziege ideale pädagogische Mitwirkende, wenn es darum geht, jungen Leuten zu helfen, Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln. Füttern, Pflegen und Stall saubermachen gehören zum Alltag. Angesichts von Max’ be- eindruckender Statur und seinen tellergroßen Hufen müssen etliche Jugendliche erst einmal ihren Mut zusammennehmen, bevor sie auf „Tuchfühlung“ gehen. Aber Max, betont Frank Sobanski, „ist ein Verlasspferd“. Er lässt die am Anfang schüchternen oder nervösen Handgriffe über sich ergehen, ohne zu bocken. Tiere reagieren auf den Umgang mit ihnen immer unmittelbar, so Sobanski. Wer Max etwas Gutes tut, hat also sofort ein 4 | 2011 18.07.2011 08:12:07 Thema Zugpferd e. V. Der in Mühlheim am Main ansässige Verein Zugpferd e. V. gibt bis zu 30 benachteiligten Jugendlichen aus Stadt und Kreis Offenbach die Möglichkeit, sich auf den Arbeitsoder Ausbildungsmarkt vorzubereiten. Die Teilnahme dauert sechs bis neun Monate. Partner des Vereins sind die regionalen Jobcenter. Gemeinschaftliches Arbeiten im Stadtwald einschließlich Holzrücken mit Pferd, Herstellung und Verkauf von Brennholz sowie andere Holzarbeiten, zum Beispiel das Anfertigen von Bänken, stehen im Mittelpunkt des Projekts. Die Jugendlichen können zudem Qualifikationen wie Ersthelfer- oder Motorsägenschein erwerben. Ein Bildungstag pro Woche soll den Spaß am Lernen fördern. 2010 haben mehr als ein Drittel der teilnehmenden Jugendlichen im Anschluss an die Zeit bei Zugpferd eine Arbeit, eine berufliche oder eine weitere schulische Ausbildung aufgenommen. Erfolgserlebnis. Heute muss Sandra das Kaltblut für die Arbeit im Wald rüsten. Sie streift Gebiss, Kummet und Schweifriemen über, legt Führungsleinen und Rückeketten an. Betreuer Peter Nuß gibt zwischendurch immer wieder Tipps. „Herr Nuß rückt auch meistens“, berichtet Sandra, die Tischlerin oder Kindergärtnerin werden möchte. Die 18-Jährige geht zwar schon beherzt mit dem Pferd um, aber ans Rücken wagt sie sich noch nicht. Es ist wahrlich respekteinflößend, wenn Max mit einem Ruck seine 850 Kilogramm Gewicht in Bewegung setzt und einen Birkenstamm wie nichts hinter sich herzieht. Da muss Peter Nuß die Führungsleinen straff halten, damit die Kontakt Zugpferd e. V., Mühlheim am Main Frank Sobanski Tel.: 06108/708678 E-Mail: [email protected] www.zugpferd-ev.de Schleppfracht in der Spur bleibt. Der gelernte Zimmermann hat sich das waldschonende Holzrücken mit Pferd selbst beigebracht und sich als LohnRücker verdingt, bevor er auf die Jugendarbeit umsattelte. Mit Frank Sobanski kam Nuß bei einem Projekt in Offenbach zusammen. Beide wollten in der Jugendarbeit „mal was mit Tieren“ machen und riefen 2007 Zugpferd e. V. ins Leben. Der Verein pachtete die ehemalige Waldarbeiterscheune der Försterei in Mühlheim und baute sie gemeinsam mit den Jugendlichen zu einem rustikalen Domizil mit Pferdestall um. Nebenan wohnt der Förster, der wichtigste Auftraggeber für die Zugpferd-Truppe. „Wir werden überall dort tätig, wo sich der Einsatz einer professionellen Firma nicht lohnt“, erklärt Frank Sobanski. Einzigartige Erfahrungen Die jungen Zugpferd-Leute lernen gemeinsam sämtliche Forstarbeiten kennen. Forstwirt Christoph Jöckel achtet als hauptamtliche Fachkraft darauf, dass die Aufgaben ordnungsgemäß erfüllt werden. Vom Hantieren mit Motorsäge, Spalthammer und Keil bis zum Rücken mit Max. Der Wallach bereitet den Jugendlichen – neben dem Teamwork von Pferd und Mensch – noch andere „einzigartige Erfahrungen, von denen sie dann erzählen können“, so Peter Nuß. Reiten und Kutschefahren zum Beispiel. Denn Max muss auch neben der Waldarbeit regelmäßig bewegt werden. Nach knapp zwei Stunden StämmeZiehen hat das vierbeinige Kraftpaket Feierabend. Sandra schirrt Max ab und führt ihn zum Hänger. Ein paar Minuten später ist das Pferd wieder daheim: Hufe säubern, füttern und tränken – dann hat Tante Jürgen ihren Freund wieder. Während Max sich behaglich in der Koppel wälzt, schreibt Sandra ihren Tagesbericht. Das Pferd trägt wesentlich dazu bei, dass sich die Jugendlichen in dem Forstprojekt wohlfühlen: ein Sympathieträger, „warm, weich und groß“, so Peter Nuß. Immer wieder kämen ehemalige „Zugpferde“ vorbei, erzählt Frank Sobanski, „um zu schauen, wie es Max geht“. Bernd Kleiner 4 | 2011 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 9 www.der-paritaetische.de 9 18.07.2011 08:12:08 Thema „Im Stall lernt man, Verantwortung zu übernehmen“ Ökolandbau betreiben und gleichzeitig Menschen mit Unterstützungsbedarf das Lernen und Arbeiten auf dem Land ermöglichen – diese Idee setzt Mosaik, ein Berliner Träger der Behindertenhilfe, um. Bereits 1991 wurde im brandenburgischen Havelland der Ökohof Kuhhorst gegründet. Der alltägliche Umgang mit Nutztieren, so zeigt sich, stärkt das Selbstbewusstsein und die Sozialkompetenzen. M anchmal schaut Ricardo ernst, aber wenn er seine Lieblingsschweine vorstellt, strahlt er. Raia zum Beispiel. „Die finde ich lieb, weil die so viele Kinder großzieht“, sagt der 19-Jährige. Auf die Zuchtsau gibt er besonders acht, etwa wenn alle Schweine aus dem Stall zu treiben sind. Das bereitet ihm Freude – und fordert seine Umsicht. „Man darf dabei nicht rumschreien, das ist Stress für die Tiere“, erklärt er. „Deshalb habe ich mir das abgewöhnt.“ Seit einem dreiviertel Jahr arbeitet Ricardo im Schweinestall. Eine verantwortungsvolle Aufgabe, die er mit sechs KollegInnen erledigt. Immerhin sind 100 Borstentiere auf artgerechte und ökologische Weise zu versorgen – genauso wie 200 Rinder, 900 Enten und 1.100 Gänse, die der Ökohof „Die Kuhhorster“ beheimatet. Auf 400 Hektar werden Fleisch, Milch, Getreide und Gemüse produziert, weiterverarbeitet und vermarktet. So vorbildlich, dass der Hof 2006 den Förderpreis Ökologischer Landbau erhielt. Dass der Betrieb läuft, dafür sorgt ein Team aus insgesamt 110 Menschen mit und ohne Unterstützungsbedarf. Ob in den Ställen, auf dem Feld, in der Schlachterei oder Käserei – überall sind die tätigen Hände der Werkstattbeschäftigten dabei. Ricardo wird zur Zeit im Berufsbildungsbereich Landwirtschaft qualifi10 www.der-paritaetische.de 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 10 Kuhhorst-Mitarbeiter Ricardo mit Raia, einem seiner Lieblingsschweine, einer Kreuzung aus den Rassen Sattelschwein und Pietrain. Foto: Bernd Schüler ziert und auf einen möglichen Arbeitsplatz vorbereitet. So hat er schon viel über Nutztiere erfahren: Raia ist eine Kreuzung aus den Rassen Sattelschwein und Pietrain. Und das Deutsche Schwarze Niederungsrind ist eine vom Aussterben bedrohte Art, die in Kuhhorst erhalten wird. Wichtiger für den Alltag ist jedoch: „Im Stall lernt man Verantwortung zu übernehmen. Ob man Lust hat oder nicht, Tiere brauchen regelmäßig Futter und Pflege – jeden Tag und bei jedem Wetter. Das erschließt sich unmittelbar und muss nicht herbeiargumentiert werden“, sagt die pädagogische Leiterin Kerstin Niehaus. „Auf diese Weise die Sinnhaftigkeit des eigenen Handelns zu erleben, stärkt das Selbstvertrauen.“ Harmonischeres Miteinander im Team Ricardos Gruppenleiter Johannes Nippert hat beobachtet: „Durch den Umgang mit den Schweinen verändert sich das Miteinander im Team.“ Er erklärt, wie man am besten auf Schweine zugeht: sich seitlich annähern, Schulter an Schulter, nur aus den Augenwinkeln anschauen. Der Anleiter ist stolz, wie gut die Werkstattbeschäftigten dieses indirekte Vorgehen umsetzen. Was sie bei den Tieren anwenden – Signale erkennen, angemessen reagieren –, überträgt sich auch auf den Umgang mit KollegInnen. „Nach und nach verhalten sie sich untereinan- der respektvoller“, sagt Johannes Nippert. Respekt wachse auch vor dem Tod: Laufend werden Tiere geschlachtet. So lernten alle zu trauern und zu akzeptieren, dass Abschied von Liebgewonnenem zum Leben dazugehört. Eine Gras-Mahlzeit an die Schweine ist verteilt, Mittagspause für Ricardo. Er ist froh, dass er hier beschäftigt ist. So wie eben Gras von einem Anhänger zu schieben, das macht Spaß. Als Praktikant hatte er zuvor mit Metall gearbeitet. „Stillsitzen müssen, das war nichts für mich“, sagt er. Und auch aus Berlin rauszukommen, behagt ihm. Während andere tagtäglich von dort hierher gefahren werden, ist er einer von 30, die in zwei Wohnheimen auf dem Hof untergebracht sind. Ein Vorteil: „Früher musste ich um fünf Uhr aufstehen, heute erst kurz vor sieben!“ Landleben bedeutet für ihn weniger Hektik. So scheint es, Ricardo hat Bernd Schüler seinen Platz gefunden. Kontakt Ökohof „Die Kuhhorster“ gGmbH Dorfstr. 9, 16818 Kuhhorst Tel. 033922/60803, www.kuhhorst.de Mosaik-Unternehmensverbund Ifflandstr. 12, 10179 Berlin Tel.: 030/2199070 www.mosaik-berlin.de 4 | 2011 18.07.2011 08:12:09 SO VIEL können wir voneinander LERNEN. JOSIA und seine Klassenkameraden besuchen eine Grundschule in Bubenreuth. Dort lernen sie von Anfang an gemeinsam schreiben, rechnen, lesen – und die Welt verändern. Mehr über Josia und seine Freunde erfahren Sie unter www.aktion-mensch.de 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 11 18.07.2011 08:12:10 Thema Pferd und Ziege als Co-Therapeuten In die Fachklinik Vielbach dürfen Suchtkranke sogar ihre Hunde mitbringen In der Therapie suchtkranker Menschen geht die Fachklinik Vielbach im Westerwald neue Wege: Sie setzt erfolgreich Tiere als Co-Therapeuten ein. Auf dem großzügigen Areal des Junior’schen Reha-Zentrums versorgen die Klienten Ziegen, Hühner und Pferde. Auf den Zimmern können sie Kleintiere wie Meerschweinchen halten. Und Suchtkranke, die einen Hund haben, dürfen diesen sogar nach Vielbach mitbringen. Ein Angebot, das bundesweit als einmalig gilt. S tefan Breiter will seinen Tieren „das Leben so schön machen, wie es geht“. Sie sollen es gut haben bei ihm, immer versorgt sein und Streicheleinheiten bekommen. Cleopatra und Nofretete soll es an nichts fehlen. Cleopatra und Nofretete sind zwei Meerschweinchen, die in einem Käfig in Stefan Breiters Zimmer leben. Als der 32-Jährige noch in Frankfurt war, meist auf der Straße, da kümmerte er sich um vier Ratten. „Ich kann verstehen, dass das irritierend ist, sind ja keine normalen Haustiere“, sagt er. Über sein schmales Gesicht unter der Baseballkappe huscht ein Lächeln. Stefan Breiter ist draußen, draußen aus seinem „Alki-Dasein“. Eine Autostunde von Frankfurt entfernt steht der junge Mann nun im Freien, zwischen Geißen und Böcken im Gehege vor der „Ziegenvilla“ der Fachklinik Vielbach im Westerwald, einer Einrichtung zur medizinischen Rehabilitation von „chronisch mehrfachbeeinträchtigten abhängigkeitskranken Patienten“. Bald wird er mit einem Kumpel eine eigene Wohnung beziehen. „Die erste Miete ist schon überwiesen“, sagt der gebürtige Franke. Einen Praktikumsplatz im Tierheim Montabaur hat er auch. Dass er stolz darauf ist, muss er nicht sagen. Stefan Breiter, dessen Onkel an Leberzirrhose starb, in dessen Familie immer viel getrunken wurde, der selbst schon mit zwölf Jahren harte Spirituosen konsumierte, nach mehr als sechs trockenen Jahren durch „einen Nervenzusammenbruch“ wieder zur Flasche griff, will einen Arbeitsplatz und Freunde finden, akzeptiert werden – zusammen mit Cleopatra und Nofretete. „Tiere gab es hier immer“, sagt Joachim Jösch. Seit 27 Jahren arbeitet der Sozial12 www.der-paritaetische.de 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 12 Hans-Georg Reidt hat lange nach einer Therapieeinrichtung gesucht, in die er seine Hündin Senta mitbringen durfte. In Vielbach hat er sie gefunden. Foto: Corinna Willführ pädagoge und Psychotherapeut in der Fachklinik, seit fünf Jahren leitet er das 58-Betten-Haus. Bereits 1977, als der Frankfurter Verein für soziale Heimstätten in dem stattlichen Steinbau des ehemaligen Junior’schen Erholungsheims der Stadt Frankfurt die Arbeit mit Suchtkranken aufnahm, gehörten Enten, Hasen, Hühner, Gänse zum 15 Hektar großen Werk- und Bauernhof. „waren aber eher Beiwerk“, wie sich Jösch erinnert. Pferde und Ziegen sind dazugekommen. Fische in Aquarien, Vögel in Volieren, Amphibien im großen Teich vor dem Hauptgebäude. Seit zweieinhalb Jahren werden Tiere gezielt als „Co-Therapeuten“ in der medizinischen Rehabilitation der Patienten eingesetzt – auf vielfältige Weise und mit großem Erfolg. Tierpflege als Arbeitstherapie „Ich kümmere mich um die Tiere, als wären es meine eigenen“, sagt Bouzza, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte. Er striegelt Pony Susi, ruft nach Nicole und Paul, den beiden HaflingerPferden. Bei Wind und Wetter, ob werkoder sonntags: Nach dem Frühstück geht der 38-Jährige in den Stall, führt die Vierbeiner ins Freie. „Sie verstehen mich. Das 4 | 2011 18.07.2011 08:12:10 Thema sehe ich an ihren Augen.“ Der Umgang mit Susi, Paul und Nicole gehört zur Arbeitstherapie des Suchtkranken. „Seit ich hier bin, denke ich überhaupt nicht mehr an Alkohol.“ Auch Frank Groß hat jahrelanges, exzessives Trinken hinter sich, konnte sich um nichts und niemanden verantwortungsvoll kümmern. In Vielbach hat er Isis, eine 14 Wochen alte Hündin. „Sie ist der Liebling unserer Gruppe. Sie gehört einfach zu uns“, sagt der 50-Jährige und knuddelt den schwarzweißen Welpen. Hans-Georg Reidt wäre ohne seine Senta nie in Therapie gegangen. Die Mischlingshündin ist seit sechs Jahren stete Begleiterin des 58-jährigen alleinstehenden Mannes. Sie war immer an seiner Seite, auch dann, wenn er mal wieder „total besoffen war“. Senta schläft in einem der fünf Hundezwinger, die die Klinik für die Tiere von Suchtkranken wie Hans-Georg Reidt eingerichtet hat. Wissend, dass diese eher zugrunde gehen würden, bevor sie sich von ihrem Vierbeiner trennen würden, der für viele die einzige „Bezugsperson“ ist. „Die Beziehungen von Menschen mit Abhängigkeitserkrankungen sind aufgrund problematischer, nicht selten missbräuchlicher Lebenserfahrungen oft von Misstrauen geprägt“, erklärt Joachim Kontakt Fachkrankenhaus Vielbach Nordhofener Str. 1 56244 Vielbach, Tel.: 02626-9783-0 E-Mail: [email protected], www.fachkrankenhaus-vielbach.de Jösch. Tieren hingegen, die ihnen „vorbehaltlos Wertschätzung und Empathie entgegenbringen“, könnten sich Suchtkranke leichter und vorbehaltloser zuwenden. Vor drei Jahren hatte Jösch „ein Schlüsselerlebnis“. Es veranlasste den Klinikleiter, mit seinem 25-köpfigen Team ein neues, bundesweit einzigartiges Konzept zum Einsatz von Tieren in der Therapie schwerst Alkohol- und Suchtkranker einzusetzen. Bei der „Kölner Sucht Runde“ hörte der 52-Jährige den Vortrag „Tiere – Medizin für Körper und Seele“ des Schweizer Psychologen Professor Dr. Erhard Olbrich. „Ich bin immer davon ausgegangen, dass man ein Tier krault, damit es sich wohler fühlt. Damals habe ich gelernt, wenn ich ein Tier kraule, geht es auch mir besser.“ Der Grund: Beim Streicheln eines Tieres werden „Glückshormone“ wie Oxytozin und Serotonin freigesetzt. Eine Erkenntnis, die gerade für Suchtkranke bedeutend ist. „Denn diese haben entsprechende Gefühlszustände bisher vorrangig durch den Konsum psychotroper Substanzen zu erlangen versucht“, so Jösch. Weniger Aggressionen, mehr Nähe Doch Berühren und berührt zu sein ist nicht der einzig positive Effekt. So berichten Vielbacher Patienten, die ein Tier betreuen oder im Zimmer haben, dass sich ihre Aggressionsbereitschaft verringert, sich Unsicherheit und Angst reduzieren, sie Nähe besser zulassen können. Seit Anfang des Jahres begleitet Carmen Lüger, Doktorandin an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Kölner Universität, im Rahmen ihrer Doktorarbeit „den Einsatz von Tieren in der statio- In der Fachklinik Vielbach werden nur Suchtkranke aufgenommen, die erfolgreich eine körperliche Entgiftung abgeschlossen haben. Diese erfolgt zumeist in einem Krankenhaus und dauert sechs bis acht Tage. Bis eine Kostenzusage der Rentenversicherung für ihre Therapie vorliegt, bietet die Fachklinik den Patienten an, in die Übergangseinrichtung „abstinente Unterbringung“ zu ziehen. Das Haus in der Westerwald-Gemeinde Vielbach verfügt über 15 Plätze. An die Therapie, die vier bis sechs Monate dauert, schließt sich eine Adaptionsbehandlung an. In dieser Zeit wohnen die Klienten in einem separaten Haus, werden aber weiter von MitarbeiterInnen der Facheinrichtung unterstützt – beispielsweise bei der Suche nach Wohnungen oder Praktikumsplätzen. nären medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitskranker im Fachkrankenhaus Vielbach“ über zwölf Monate mit einer empirischen Untersuchung. Michael Feick hatte in der Zeit seiner medizinischen Rehabilitation in der Fachklinik seinen Dackel dabei. Während seiner Therapie drehte der Cutter aus München einen Film. Er heißt: „Vielbach – Viel mehr als Therapie“, ist auf YouTube eingestellt oder direkt über die Startseite des Fachkrankenhauses abzurufen. Susi, das Pony, und die Haflinger-Pferde sind auch zu sehen – und Männer wie Stefan Breiter, die lange „draußen“ waren und auf eine neue Chance hoffen. Corinna Willführ Straßenköter Kalle sucht ein Zuhause ausruhen, sattessen, spielen und reden können und Zugang zu Hilfsangeboten finden. (Infos: www.strassenkids.de.) Das alles muss finanziert werden. Dazu trägt Kalle bei. Wer ihm für 15 Euro (plus drei Euro Versandgebühr) ein Zuhause gibt, hat nicht nur einen pflegeleichten Mitbewohner, sondern hilft auch, Straßenkindern bessere Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Bestellt werdenkannKalleperTelefon: 040/3984260, oder auf www.agapiswelt.de. © Agapi Kalle ist ein knuffiger Straßenköter und das Maskottchen von „Paten für Straßenkids“. Das ist eine Initiative des Hamburger Vereins basis & woge e.V., der unter anderem Hilfen für rund 700 Kinder und Jugendliche anbietet, die in der Hafenstadt auf der Straße leben. Dazu gehören das nachmittägliche Schulprojekt „Lern-Lust“, „Doktor Georg“, eine ärztliche Sprechstunde für junge Stricher, und die „Auszeit“, eine Anlaufstelle, in der die Straßenkids sich 4 | 2011 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 13 www.der-paritaetische.de 13 18.07.2011 08:12:12 Thema Manchmal zickt Eselin Lotti Dresdener Abenteuerspielplatz lockt mit besonderen Bewohnern Mitten in Dresden, nur ein paar Schritte von der Elbe entfernt und in Sichtweite der weltbe- rühmten Barockkulisse, liegt ein Paradies für Kinder. Der Abenteuerspielplatz Eselnest wirkt wie eine Mischung aus Pippi Langstrumpfs kunterbunter Welt, Bauernhof und Zirkus. Sein Name verrät die Hauptattraktion: fünf Esel. Die Tiere dienen nicht nur als Streichelobjekte. Sie sind wertvolle „Helfer“ bei der pädagogischen Jugendarbeit im „Nest“. N a komm, Dicker“, ruft Doreen liebevoll. Brav folgt Casimir der 13-Jährigen am Zügel durch ein Labyrinth aus Stangen, ohne vom verwinkelten Weg abzuweichen. Aufgabe erfüllt, Doreen schmust mit dem Esel. Felicitas versucht noch, Lotti mit allen Vieren auf eine Holzpalette zu bewegen, die „Bock“ genannt wird. Da braucht es etwas Geduld, weil die Eselin schon einige Zeit „Bodenarbeit“ in der Koppel hinter sich hat. Aber Felicitas nimmt der Stute das bisschen Unwilligkeit nicht krumm. „Lotti ist mein Lieblingsesel, auch wenn sie manchmal ziemlich zickt“, betont die Zehnjährige. Bewegung für Mensch und Tier Doreen kommt seit drei Monaten ins Eselnest, Felicitas schon seit zwei Jahren. Beide gehören zu den „15 bis 20 Stammkindern, die sich fast täglich mit den Tieren beschäftigen“, erklärt Projektleiterin Elke Raeder. Sie versor- gen die Esel, machen mit ihnen Folgsamkeits- und Geschicklichkeitsübungen in der Koppel, reiten und kutschieren. Ebenso wichtig wie beliebt sind die Spaziergänge mit den Langohren in den Elbwiesen. „Unsere Tiere brauchen Auslauf, und die Kinder bewegen sich in der frischen Luft“, sagt Elke Raeder. „Die Tiere als eigene Persönlichkeit begreifen“ Esel eignen sich gut für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Sie sind nicht so groß wie Ponys und haben kleinere Hufe, die Verletzungsgefahr ist dadurch geringer. Die Esel haben zudem ein sanftes Gemüt, können allerdings auch stur sein. Wenn die Tiere es mit einem Anfänger zu tun haben, „ist schon nach fünf Minuten Schluss“, erklärt Elke Raeder. Der Umgang mit den Eseln braucht Zeit. Den Kontakt zu den Tieren aufzubauen, sie als eigene Persönlichkeit zu begreifen und zu lernen, mit ihren „Macken“ umzugehen Das Eselnest Der Abenteuerspielplatz „Eselnest“ ist eine Initiative des Vereins Spielprojekt e.V. Das offene Angebot umfasst neben dem Umgang mit Tieren (außer den Eseln noch Kaninchen und Meerschweinchen) vor allem künstlerische und handwerkliche Aktivität. – diese Entwicklung wird später mit Zutraulichkeit, Erfolgserlebnissen und einer Menge Spaß belohnt. Guter Tausch: Mist gegen Gemüse Im Eselnest offenbart sich den Kindern eine Gegenwelt zu Fernsehen und Internet. Wenn sie mit den Betreuerinnen und Betreuern über Tiere in Gefangenschaft oder artgerechte Haltung sprechen, haben sie den Bezug „live“ vor Augen. Oder die Kinder stellen fest, dass sie beim Ausmisten des Eselstalls keinesfalls Abfall anhäufen. „Die Eselstute Lola kann auch ein zirkusreifes Kunststück vorführen. Schülerin Daniela belohnt sie dafür mit einer Extra-Streicheleinheit. Foto: Bernd Kleiner 14 www.der-paritaetische.de 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 14 4 | 2011 18.07.2011 08:12:13 Thema Kleingärtner nebenan bekommen den Mist“, sagt die Projektleiterin. Diese wiederum revanchieren sich mit Gemüse, aus dem dann etwas Leckeres gekocht wird. Die Mädchen und Jungen mussten aber auch Schmerzliches erfahren: Während des Gastspiels einer Puppenbühne starb die kranke Eselin Mary. Gemeinsam nahmen die Kinder von dem Tier Abschied, mit Bildern und Blumen. „Das war herzbewegend“, erinnert sich Elke Raeder. Während Doreen und Felicitas ihren Eseln Ruhe gönnen und sich dem Ku- chenbacken zuwenden, macht Daniela die Stute Jutta für ein Kutschentraining fertig. „Jutta habe ich großgezogen“, erzählt sie und reibt die Ohren mit Babyöl ein, „damit sich da keine Fliegen festsetzen“. Daniela kennt sich gut mit Eseln aus, findet sie faszinierend. Das „Nest“ war für die heute 18-Jährige nach dem frühen Tod der Mutter zu einem zweiten Zuhause geworden. Die angehende Fachabiturientin mit Schwerpunkt „Ernährung und Gesundheit“ kümmert sich mittlerweile auch um die „Stammkinder“ und Kontakt Eselnest Elke Raeder Tel.: 0351/8112345 [email protected] www.eselnest.de gibt ihnen Tipps für den Umgang mit den Eseln. Bei ihrer Erfahrung böte sich doch eine professionelle Tätigkeit mit Tieren an, oder? „Nein“, lacht sie, „bloß nicht das Hobby zum Beruf maBernd Kleiner chen.“ „Streicheln bis in die Unendlichkeit“ Besuchshundedienst des ASB ermöglicht berührende Momente Der Mittwoch ist ein ganz besonderer Tag für Hanne-Lore Ruden, Hildegard Gründker und einige andere ältere Damen und Herren im Elisabeth-Brune-Seniorenzentrum in Gladbeck. Dann ist Streicheltag. Egon Sudau vom Besuchshundedienst des ArbeiterSamariter-Bundes schaut mit seinen Leonberger-Hündinnen Birtje und Amarna bei den Seniorinnen und Senioren vorbei. H ildegard Gründker ist bestens für den Besuch der Hunde präpariert. Sie hat sich schon ein Handtuch auf ihren schicken gemusterten Rock gelegt. „Die Hunde sabbern manchmal ein bisschen“, sagt sie. Besonders, wenn sie eine Leckerli-Flut in Aussicht haben. Die Leckerli, die Egon Sudau mitbringt und den BewohnerInnen des Seniorenzentrums zum Verfüttern an die Hunde reicht, sind ganz spezielle: kein getrocknetes Fleisch mit irgendwas, sondern ungesüßte Kekse. „Da macht es gar nichts, wenn die älteren Leuten sie selbst in den Mund stecken“, sagt der 53-Jährige. „Das kommt auch manchmal vor.“ Viele Bewohnerinnen und Bewohner der Senioreneinrichtung sind demenziell erkrankt und verwechseln hin und wieder das eine oder andere. Inge Drzeniek kann das nicht passieren. Sie ist noch bestens orientiert und reicht Hündin Amarna souverän einen Keks nach dem anderen. Inge Drzeniek, das merkt man sogleich, ist routiniert im Umgang mit Tieren. „Wir hatten früher selbst einen Hund, Katzen, Hühner und einen Hahn“, sagt sie. „Ich finde es schön, dass die Hunde zu uns kommen.“ Auch Hanne-Lore Ruden ist der Kontakt mit den großen plüschigen Leos vertraut: „Ich habe früher auf den Hund meiner berufstätigen Enkelin aufgepasst, der kommt heute noch manchmal zu Besuch.“ Aber nicht so regelmäßig wie Birtje und Amarna. „Die könnte ich bis in die Unendlichkeit streicheln. Was Schöneres gibt es nicht“, sagt die 85-Jährige, die wegen ihrer Diabetes eine Netzhautablösung hat und immer weniger sieht. Da wird der Alltag manchmal arg langweilig. Viele ungewohnte Eindrücke Anderthalb Stunden verbringt der 53-jährige Egon Sudau mit seinen Tieren bei den älteren Menschen. Dann haben die Hunde genügend Streicheleinheiten und Kekse eingeheimst und können einen Spaziergang gut vertragen. „Die Tiere sind in dieser Zeit einer Unmenge von Eindrücken ausgesetzt, die sie verarbeiten müssen“, sagt Egon Sudau, der gemeinsam mit seiner Frau Ute die sanftmütigen Leonberger züchtet und seit vier Jahren ehrenamtlich im Besuchshunde- dienst des ASB-Regionalverbandes Ruhr aktiv ist – weil es ihnen soviel Freude macht, den Menschen mit ihren Hunden Freude zu bereiten. „Es kommt schon mal vor, dass jemand eine offene Wunde hat oder es im Zimmer ein bisschen streng riecht, wenn der Bewohner vorher auf der Toilette war. Darauf dürfen die Hunde, die ja viel besser riechen als wir, nicht allzu sensibel re- ASB-Besuchshundedienst Seit fünf Jahren gibt es beim Regionalverband Ruhr des Arbeiter-Samariter-Bundes einen Besuchshundedienst. „Wir zählen bundesweit zu den ersten, die so etwas eingerichtet haben“, sagt Projektleiter Weiß. Circa 40 Teams sind in 25 Einrichtungen im Einsatz: in Seniorenheimen, aber auch in Kindergärten und Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen sowie psychischen Erkrankungen. Essen, Bottrop, Mülheim und Hattingen gehören zum Haupteinsatzgebiet. 4 | 2011 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 15 www.der-paritaetische.de 15 18.07.2011 08:12:15 Thema agieren“, sagt Gerold Weiß, der seit vier Jahren den Besuchshundedienst leitet. „Die Tiere nehmen auch wahr, wenn ein Mensch bald stirbt. Aber sie haben gelernt damit umzugehen.“ Und sie jaulen auch nicht gleich auf, wenn ihnen mal jemand aus Versehen ein bisschen an den Ohren zieht, weil die Feinmotorik nicht mehr so gut ist, betont der ASB-Mitarbeiter. In ungewohnten Situationen ruhig bleiben All das sind wichtige Voraussetzungen, damit die Hunde für den Besuchsdienst in sozialen Einrichtungen geeignet sind. Und das wird vorher getestet. In der Regel sind die Tiere dann etwa ein Jahr alt. Hundehalter, die sich beim ASB als Interessenten für den ehrenamtlichen Besuchsdienst gemeldet haben, lädt Gerold Weiß mit ihren Vierbeinern zur Prüfung ein. Dabei müssen die Tiere ein paar Übungen bewältigen, die erkennen lassen, wie sie auf Ungewohntes reagieren, ob sie mit Lärm gut umgehen können, auch in stressigen Situationen die Ruhe bewahren und ein sanftes Gemüt haben. „Wir schauen beispielsweise, wie der Hund reagiert, wenn eine Testperson mit Krücken hinfällt, sich aufrappelt und schreiend davonläuft“, sagt der Projektleiter. „Er darf den Menschen weder anbellen noch hinterherhechten, aber auch nicht übertrieben ängstlich reagieren.“ Und der Vierbeiner muss es auch gelassen hinnehmen, wenn der Prüfer mit einem Hammer auf einem KochtopfDeckel furchtbar laute, unmelodische Klänge erzeugt. Haben die Tiere diesen Test bestanden, gibt es noch zwei Seminare für ihre Halter: Beim ersten erfahren die HundeführerInnen, die einen sehr unterschiedlichen Wissensstand mitbringen, Wichtiges über Hunde: über ihre Abstammung, ihr Verhalten im Rudel, über Beschwichtigungssignale, wie diese zu deuten sind, und vieles mehr. Beim zweiten Seminar geht es um Besonderheiten im Umgang mit demenziell erkrankten Menschen. Wer mit seinem Hund Menschen besucht, die psychisch erkrankt sind, wird darauf ebenfalls besonders vorbereitet. Ob das neue Besuchshundeteam tatsächlich für seine Aufgabe geeignet ist, zeigt sich in der Regel beim ersten Termin in einer Einrichtung. Da ist Gerold Weiß 16 www.der-paritaetische.de 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 16 Egon Sudau (rechts) ist mit seinen drei Leonberger-Hündinnen Birtje, Geelke und Amarna zu Besuch bei Hanne-Lore Ruden im Elisabeth-Brune-Seniorenzentrum. Dieter Gründel (hinten links im Bild), der ebenfalls in der Einrichtung lebt, unterstützt ihn beim Rundgang. Auch er freut sich immer auf den Hundebesuch. Foto: Bauer immer dabei. Er hat selbst mit seinem Hovawart Ares und der belgischen Schäferhündin Momo bis vor kurzem ehrenamtlich ältere Menschen besucht und weiß, worauf es ankommt. „Das Miteinander muss allen Beteiligten gut tun: den Menschen, die wir besuchen, ebenso wie dem Hundebesitzer und seinem Tier. Sie müssen beide gleichermaßen Freude am Kontakt zu anderen Menschen haben und sich auf die unterschiedlichsten Leute einstellen können, die vielleicht manchmal auch etwas anders reagieren, als man es gewöhnt ist.“ Therapeutische Effekte Auch wenn Besuchshunde keine Therapiehunde sind, hat das stundenweise innige Miteinander von Mensch und Tier nicht selten willkommene therapeutische Effekte. „Viele ältere Leute, die sich völlig zurückgezogen haben, finden über den Kontakt zum Hund wieder eine Brücke zu anderen Menschen“, sagt Gerold Weiß. „Manchen ist es förmlich anzuse- hen, wie gut ihnen der regelmäßige Umgang mit dem Hund tut. Die blühen richtig auf, werden wieder munter und interessieren sich auch wieder für ihre Umwelt.“ Neben der wohltuenden Wirkung auf die Seele hat der Umgang mit den Hunden mitunter auch verblüffende körperliche Effekte: bei einem älteren Mann beispielsweise, den Gerold Weiß als Beispiel anführt: „Seine Hand war schon länger ganz versteift. Durch das regelmäßige Streicheln haben sich die Verkrampfungen nach einer Weile total gelöst und die Hand ist wieder beweglich geworden.“ Ulrike Bauer Kontakt Arbeiter-Samariter-Bund Regionalverband Ruhr e. V. Besuchshundedienst, Gerold Weiß Richterstr. 20-22, 45143 Essen Tel.: 02041/3758000 E-Mail: [email protected] 4 | 2011 18.07.2011 08:12:15 Thema „Das lernt man nicht im Crashkurs“ Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten bildet Fachkräfte aus Pferde tun dem Menschen wohl – auch bei bestimmten Erkrankungen oder Behinderungen. „Das ist kein Hokuspokus“, betont Dr. Jan Holger Holtschmit, Vorsitzender des Deutschen Kuratoriums für Therapeutisches Reiten. Der 44-jährige Facharzt für Orthopädie und Rheumatologie ist außerdem aktiver Dressur- und Springreiter. Herr Dr. Holtschmit, was muss man sich unter therapeutischem Reiten vorstellen? Dr. Jan Holger Holtschmit: Therapeutisches Reiten ist ein Oberbegriff für verschiedene Formen. Weit verbreitet ist die Hippotherapie, also die Krankengymnastik mit dem Pferd. Damit verwandt ist das ergotherapeutische Reiten. Die heilpädagogische Förderung mit dem Pferd stellt die pädagogisch-psychologische Schiene dar. Und dann gibt es noch Reiten als Sport für Menschen mit Handicap. Wie sieht zum Beispiel Krankengymnastik mit dem Pferd aus, und was bewirkt diese Methode? Dr. Holtschmit: Bis auf wenige Ausnah- men wird nur im Schritt geritten. Das heißt: Das Pferd bewegt sich ohne Schwung, hat immer drei Füße am Boden und eine Schrittfrequenz von 100 bis 110 pro Minute. Daraus ergibt sich eine rollenartige, sozusagen dreidimensionale Bewegung: auf und ab und seitwärts. Bei Patienten mit neurologischen Störungen zum Beispiel wirkt das entspannend und Tonus-senkend. Doch es ist nicht nur die Bewegung, die bei den unterschiedlichsten Störungen oder Behinderungen hilft. Das Pferd wirkt selbst als Therapeut. Autistische Kinder zum Beispiel bekommen Lebensmut über den Kontakt mit dem Tier. Das Reiten ist ja nie die erste Therapieform, in der Regel fangen die Patienten und Patientinnen mit normaler Krankengymnastik an. Bei Kindern tritt oft sehr früh Therapiefrust ein, und den kann man beim Reiten überwinden. Da ist eine ganz andere Umgebung als so ein Behandlungszimmer, der angenehmen Pferdeduft und die Wärme des „Therapeuten“. Und auf einmal sehen Sie, dass Kinder, die vorher gefrustet waren, lachen und Freude haben. Bei der heilpädagogischen Förderung steht ein anderer Aspekt im Vordergrund: Bestimmte soziale Verhaltensund Handlungsweisen lernen die betroffenen Kinder schneller, wenn das Pferd die „Bezugsperson“ ist. Im direkten Dialog hätten Pädagogen oder Betreuer nicht den gleichen Erfolg. Als zentrale Aufgabe nennt das Kuratorium die Ausbildung von Fachkräften. Welche Voraussetzungen sind notwendig, um im therapeutischen Reiten tätig zu werden? Dr. Holtschmit: Wer sich bei uns qualifi- zieren möchte, muss eine den unterschiedlichen Bereichen entsprechende Berufsausbildung mitbringen, zum Beispiel als Krankengymnast, Ergotherapeut oder Psychologe. Und man muss einen „Pferde-Hintergrund“ nachweisen. Das ist zwingend. Ein Pferd ist zwar ein nettes Geschöpf, aber nun einmal ein Fluchttier. Wer einen Patienten auf seinen Rücken setzt, muss mögliche Reaktion des Tieres im Griff haben. Außerdem müssen die Pferde auf ihre Aufgabe vorbereitet werden, und sie müssen als Ausgleich zu den Therapiestunden longiert und geritten werden. Das alles braucht einen erfahrenen Reiter oder eine Reiterin. Das lernt man nicht im Wochenend-Crashkurs. Wie viele Therapeuten aus Ihrer „Schule“ gibt es derzeit, und wie wird die Ausbildung finanziert? Dr. Holtschmit: Von den 2.800 persönli- chen Mitgliedern des Kuratoriums sind 80 bis 90 Prozent Therapeutinnen und Therapeuten. Die Ausbildungskosten werden überwiegend von den Therapeu- Die heilpädagogische Förderung mit dem Pferd ist heute in der Pädagogik, der Psychologie und einigen Bereichen der Psychiatrie verbreitet. Der Umgang mit dem Pferd stärkt Selbstvertrauen und Verantwortungsbewusstsein. Die Konzentrationsfähigkeit wird geschult und verbessert, Vertrauen aufgebaut. Foto: Stephan Kube 4 | 2011 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 17 www.der-paritaetische.de 17 18.07.2011 08:12:16 Thema ten selbst übernommen. Es sei denn, Verbände oder Institutionen zahlen die Weiterqualifikation, wenn sie eine entsprechende Stelle in einer Einrichtung besetzen müssen. Freiber uf ler Dr. Jan Holger k Holtschmit Foto: Privat o o p e r i e r e n nach der Qualifikation meistens mit Reitvereinen, um eine Therapie anzubieten. Die Kosten für eine eigene Reithalle und Pferde wären immens. Wie groß ist die Nachfrage? Dr. Holtschmit: Das kann ich nur schätzen: Aber es sind bestimmt einige 10.000 Patienten und Klienten in Deutschland. Zahlen die Krankenkassen therapeutisches Reiten? Dr. Holtschmit: Leider nein, das ist ein Pro- blem. Therapeutisches Reiten steht nicht im Heil- und Hilfsmittelkatalog, wurde früher aber in Einzelfällen von einigen Krankenkassen bewilligt. Solche Ausnahmen sind mittlerweile aber per Gesetz untersagt. Wir hoffen jedoch, dass wir die Situation im Heil- und Hilfsmittelausschuss des Gesundheitsministeriums erneut verhandeln können. Bis dahin müssen die Patienten die Therapie selbst zahlen. Anders sieht es bei der heilpädagogischen Förderung aus, weil dort andere Kostenträger wie Sozial- oder Schulbehörden auftreten. Das Kuratorium engagiert sich auch im Reitsport. Was ist an Turnieren therapeutisch? Dr. Holtschmit: Reitsport für Menschen mit einer Behinderung ist sicher keine Therapie im klassischen Sinne. Aber es ist ein idealer Beitrag zur Integration. Das Angebot ist breit gestreut. Es reicht von Freizeitreiten bis zum Spitzensport – sogar bis zur Teilnahme an Weltmeisterschaften und den Paralympics. Das Interview führte Bernd Kleiner Kontakt Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e. V. Freiherr-von-Langen-Straße 8a 48231 Warendorf, Tel.: 02581/927919- 0/2 E-Mail: [email protected], www.dkthr.de Tierpension mit viereinhalb Sternen Bei der Lebenshilfe in Quedlinburg sind Katze, Hund & Co. bestens aufgehoben In vielen Haushalten gehören sie zur Familie. Aber wohin mit den Vögeln, Katzen und Hunden, wenn Frauchen einmal verreisen will oder Herrchen zur Kur muss? In der Tierpension der Lebenshilfe Harzkreis-Quedlinburg sind die Freunde mit Fell und Federn bestens aufgehoben – vor allem, weil sich viele Menschen mit Handicap liebevoll um sie kümmern. J erry muss man nicht lange bitten. Einmal die Hand ausgestreckt – und schon kann Christine Belkot den rotbraunen Kater auf den Arm heben. „Wir kennen uns ja auch gut“, sagt die 32-Jährige. Bei Lilli dagegen muss sie sich das Vertrauen erst noch verdienen. Die versteckt sich in ihrer Kiste und faucht bei jeder Annäherung, weshalb sie Christine Belkot erst mal beobachtet. „Jede Katze hat einen eigenen Charakter“, erklärt sie, „ich muss immer neu lernen, das Tier in einer passenden Tonart anzusprechen.“ Jerry und Lilli sind zu Gast in der Tierpension Quedlinburg. Am östlichen Rand des Harzes gelegen, beherbergt sie bis zu 20 Katzen, 20 Hunde sowie Nagetiere und Vögel. Eigentlich eine 18 www.der-paritaetische.de 016365_Bundesteil_4_11_winCS3.indd 18 schwierige Situation für die Tiere – plötzlich umgeben von vielen Fremden. Dennoch sollen sie sich so heimisch wie möglich fühlen. Die Tiere bekommen ihr Fressen, so wie sie es von Zuhause kennen. Die Katzen können im gewohnten Körbchen schlafen. Die Hunde werden täglich bis zu zwei Stunden einzeln ausgeführt. Aber wichtiger noch: 16 Beschäftigte sorgen für individuelle Betreuung – und für viele Streicheleinheiten. „Manche Katze will gar nicht mehr weg“, meint Christine. Besondere Fürsorge „Das ist hier eine Super-Truppe“, sagt Wolfgang Hille. Seit neun Jahren bringt er Boxer Wins vorbei, wenn er in den Urlaub fährt. Dem Hundehalter fiel das erst nicht leicht, denn Wins ist chronisch krank und braucht Medikamente. Doch zeigte sich: Sonderwünsche gelten in der Pension nicht als Last, sondern als Voraussetzung für das Wohlbefinden der Gäste. „Sie erledigen alles, wie man es sich wünscht“, sagt das Herrchen. Wenn Wins abgegeben wird, springt er inzwischen gleich auf Mitarbeiterin Yvonne Tangemann zu. „Die sind hier alle viecherverrückt“, sagt Wolfgang Hille. Die besondere Fürsorge kommt an: Die Tierpension ist im Schnitt zu 85 Prozent ausgelastet. Mehr als die Hälfte der Kunden sind Stammgäste. Als die Einrichtung 1997 eröffnet wurde, war dieser Erfolg nicht zu erahnen. Groß war die Skepsis: Menschen mit Behinde- 4 | 2011 18.07.2011 08:12:18