Der Diskus von Phaistos
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Der Diskus von Phaistos
– 1 – Startseite Dr. agr. Karl Decker Der Diskus von Phaistos Seine Geschichte und Entzifferung Bearbeitet, ergänzt und herausgegeben von Burghard Schmanck Januar 2013 – 2 – 1 Fundort und Fundstelle der Tonscheibe Im Jahre 1908 wurde im nordöstlichen Teil des Palastes von Phaistos von dem italienischen Archäologen Pernier eine Tonscheibe gefunden, in die Hieroglyphen eingedrückt waren; ihrer Form und ihrer Größe wegen wurde sie als Diskus bezeichnet und ist als solcher weltberühmt geworden. 2 Beschreibung des Diskus Eine der ersten Beschreibungen der Scheibe verdanken wir dem bekannten Altertumsforscher Eduard Meyer1: „Sie ist auf beiden Seiten mit Schriftzeichen bedacht, die mit einem vermutlich hölzernen Stempel eingedrückt sind. Die Schrift läuft spiralförmig von rechts nach links und vom Rande nach der Mitte; die Wörter sind durch senkrechte Striche abgegrenzt, die ebenso wie die Trennungslinien der Zeilen mit einem Griffel eingeritzt sind, dem Schlußzeichen eines Wortes ist nicht selten ein schräger Strich angefügt. Das wird Vokallosigkeit bedeuten. Die Schrift ist deutlich eine Silbenschrift ähnlich der akkadischen, auch hier verbunden mit idiographischen Zeichen. Sie ist rein hieroglyphisch, aber von der altkretischen (piktographischen) so gut wie von der ägyptischen und der chetitischen durchaus verschieden. Die Bildzeichen sind deutlich als Köpfe, männliche und weibliche Gestalten, Fische, Vögel, Pflanzen und als Gebrauchsgegenstände zu erkennen. Die Frauen tragen eine Art Reifrock und langes Haar ähnlich den kretischen; die Männer dagegen sind sowohl in den Köpfen wie in den ganzen Figuren bartlos, der oft vorhandene Kopf mit dem Rundschild trägt eine Kopfbedeckung von Federn. Eine Kappe mit Federkrone ist in den ägyptischen Darstellungen im Unterschied von anderen Seevölkern wie den Serdana und Tursa, das charakteristische Abzeichen der Philister und Zakkari; auch sie tragen weder Bart noch Haupthaar. So ist es recht wahrscheinlich, daß wir in dem Diskus und seiner Schrift eine Schöpfung der Philister zu erkennen haben.“ 3 Vermutungen über die Herkunft der Tonscheibe: Schon frühzeitig hat sich auch darüber der bekannte Altertumsforscher vernehmen lassen: „Offenbar ist dies Denkmal nicht auf Kreta selbst entstanden; es wird ein Beutestück oder eine Tributgabe sein. Wir lernen durch dies eine Dokument eine ganz eigenartige, selbständige Kultur kennen, die sich unabhängig von Kreta und doch in Verbindung mit ihm irgendwo im Bereich des ägäischen Meeres entwickelt, und die in ganz überraschender Weise einen Vorläufer der Buchdruckerkunst geschaffen hat.“ Der Auffassung dieses Altertumsforschers über die außerkretische Herkunft der Scheibe haben sich bisher die meisten Nachfolger angeschlossen.. Nur so läßt sich erklären, daß in Abhandlungen über die Insel Kreta wie in den Reise- und Kunstführern die Mitteilung zu finden ist, daß der Diskus aus Kleinasien stamme. Darauf dürften auch die vielen und so unterschiedlichen Mutmaßungen zurückzuführen sein, die sowohl über das Alter der Scheibe, wie den Inhalt der Inschrift, über die Bedeutung der Schriftzeichen, wie über die damit zum Ausdruck gebrachte Sprache bekannt geworden sind. Für die Herkunft des Diskus wird man nicht nur die Schriftzeichen berücksichtigen dürfen, sondern vielmehr auch das eigentliche Verfahren bei der Herstellung. Auch dieses wurde bereits von Meyer2 beschrieben, scheint aber auch von ihm nicht genug gewürdigt worden zu sein; denn seine Ausführungen über die altkretische Kultur beginnen mit der Feststellung: „Am Westhof des Palastes von Phaistos liegen außer zahlreichen anderen Gelassen die Überreste einer rechteckigen Kammer mit niedrigen Steinbänken an den Wänden; in der Mitte ist in den Boden eine Opfertafel von grobem Ton eingelassen, deren Rand mit Reihen von S-förmigen Spiralen und kleinen Rindern 1 2 1. II 217 1. I 704 – 3 – geziert ist, die mit einem Stempel eingedrückt sind. Auf den Bänken stehen Schalen, Tassen, Krüge von Stein und Ton; auch ein Siegel und ein Siegelabdruck in Kreide haben sich hier gefunden. Hier hat sich also ein altes Heiligtum erhalten, wie es scheint eine kleine Kapelle ohne Kultbild.“ Außer dieser Opfertafel, die nach dem gleichen Verfahren wie die Tonscheibe hergestellt ist, wurden auf Kreta auch noch weitere Gegenstände mit den gleichen Schriftzeichen gefunden, die zu anderer Auffassung über die Herkunft des Diskus geführt haben. Darauf hat besonders Guanella3 in ihrer Schrift über Kreta nachdrücklich aufmerksam gemacht: „Die Annahme, es handle sich bei dieser Tonscheibe um ein aus Vorderasien importiertes Objekt, scheint durch die Tatsache widerlegt zu sein, daß auch an anderen Stellen auf Kreta (z.B. in der Höhle bei Arkalochori und auf dem Phourni bei Archanes) Gegenstände gefunden wurden, auf denen sich gleiche Schriftzeichen finden.“ Deutlicher noch hat Robin Bryans4 in seiner Kreta-Ausgabe zu der Auffassung, der Diskus stamme aus Kleinasien, Stellung genommen: „Nicht wenige glauben, empörenderweise, die Scheibe sei überhaupt nicht kretischen Ursprungs, sondern sei aus Kleinasien importiert worden oder irregelaufen.“ Er erinnert in diesem Zusammenhang an eine Äußerung Prof. Perniers, der seinen Fund veröffentlichte und ihn mit dem dünnwandigen, polychromen Töpfereityp verglich, der um 1880 v. Chr. hergestellt wurde und „Kamares-Keramik“ genannt wird. Auch die Mutmaßungen der Forscher über das Alter der Tonscheibe müssen mit der Stellungnahme Meyers zu deren Herkunft zusammenhängen. Anders können die Ausführungen von Andrew Tomas5, die in seiner Schrift „Das Geheimnis der Atlantiden“ über das Alter des Diskus enthalten sind, nicht gedeutet werden: „Zweifellos wurde in früheren Jahren, als man noch nicht über die zuverlässigen modernen Methoden verfügte, das Alter mancher Gegenstände nicht richtig bestimmt; archäologische Funde, die vermeintlich von bekannten Zivilisationen herstammten, könnten in Wirklichkeit vorsintflutlichen Ursprungs sein. Als Beispiel nennen wir die rätselhafte Platte, die in Phaistos auf Kreta gefunden wurde. Es handelt sich um einen Keramikteller, der mit fremdartigen spiralförmig angeordneten Hieroglyphen bedeckt ist. Die Schriftzeichen haben nicht die geringste Ähnlichkeit mit der uns bekannten Linear-Schrift A und B der alten Kreter.“ - Diese Keramikscheibe, deren Inschrift bisher noch nicht entziffert werden konnte, wurde in Phaistos auf Kreta zusammen mit einer minoischen Schrifttafel aufgefunden und daher der gleichen Epoche (2700 v. Chr.) zugeschrieben. Da nach den bereits mitgeteilten Feststellungen die Tonscheibe doch in Kreta hergestellt worden sein soll - wer könnte bei der Menge von Tonidolen, Tongefäßen und Opfertafeln aus Ton den kretischen Töpfern die Fähigkeit dazu absprechen wollen - und da schriftliche Nachweise auf Kreta vor 2000 v. Chr. nicht vorliegen, dürfte sich jede weitere Erörterung über das hier mitgeteilte Alter erübrigen. Gelingt es, die Zeitspanne zu erfassen, in der die Tonscheibe angefertigt sein könnte, wären vielleicht auch die Siedler ausfindig zu machen, die damals in der Gegend von Phaistos ansässig waren, und ebenso deren Sprache, die aus der Deutung der Schriftzeichen erschlossen werden kann. Auch wenn es ein Vorgriff auf den noch nachzuweisenden Inhalt der Inschrift sein sollte, dürften für das Alter des Diskus die Verehrung der Gottheiten wie die dafür ausgewählten Kultstätten besonders bedeutungsvoll gewesen sein. Matz6 hat nachgewiesen, daß am Anfang der minoischen Religionsgeschichte - wie in der alten Ägäis überhaupt - die „Große Muttergöttin“ stand. Deren frühe Kultstätte waren nach der Feststellung des bekannten Höhlenforschers Faure7 ursprünglich die in der Nähe der Siedlungen gelegenen Höhlen. Mit der „Jüngeren Palastzeit“ scheint aber ein 3 2. 168 3. 196 5 22. 123 6 15. 135 7 23. 64 4 – 4 – Wechsel in den Kultstätten gewesen zu sein, was auch mit der Verehrung der örtlichen Gottheiten zusammenhängen kann; denn beim Aufbau der „Neuen Paläste“ wurden in diesen eigene Kulträume eingerichtet, was auch in den Mitteilungen von Matz8 und Faure9 hervorgeht. Damit wird auch die Ansicht von Matz10 bestätigt, daß sich etwas wie ein minoisches Pantheon nicht vor der „Jüngeren Palastzeit“ (1700 - etwa 1620 v. Chr.) bildete. Wenn der Diskus seit Jahren fast durchweg als minoische Schöpfung der Jahre 1700-1600 v. Chr. bezeichnet wird, so scheint die Auffassung von Matz allgemein Anerkennung gefunden zu haben. - Als solche ist er auch von Gallas11 aufgeführt und zwar aus der Zeit um 1700 v. Chr., obwohl er anfänglich als Import aus Kleinasien angesehen wurde. Beigetragen hat dazu der Fund einer bronzenen Doppelaxt aus der Kulthöhle von Arkalochori, die mit ähnlichen hieroglyphischen Schriftzeichen versehen ist. Guanella12 hat diese Annahme bestätigt, daß die Scheibe aus einer Palastschicht um 1650 v. Chr. stammt. Bryans13 läßt uns in gleichem Sinne wissen, daß der Diskus von Phaistos nach seiner Fundstelle im nördlichen Teil des Palastes und nach anderen Gegenständen, die mit ihm zusammen entdeckt wurden, um das Jahr 1650 v. Chr. zu datieren ist. Lediglich Faure14 hat nach seinen eingehenden Untersuchungen die Scheibe für jünger gehalten: „Die Säle im Nordosten des Palastes bildeten sowohl im Erdgeschoß als auch im Obergeschoß ein Heiligtum mit seinem Schatz, seinen speziellen Gefäßen, besonders einem Rhyton in Stierform, seinen Opfertieren, seiner kultischen Küche und vor allem dem berühmten ‘Diskus von Phaistos’, dem ersten auf der Welt bekannten Exemplar eines in Ton eingestempelten Textes in Hieroglyphenschrift (Anfang des 16. Jahrhunderts v. Chr.)“. Das Mindestalter der Tonscheibe von Phaistos könnte aus dem Zeitpunkt geschlossen werden, zu dem der Palast zerstört und nicht mehr aufgebaut oder die zugehörige Kultstätte aufgegeben wurde. Bei Behn15 finden wir darüber die Mitteilung vor, daß die Paläste auf Kreta um 1400 v. Chr. zerstört und mit Ausnahme von Hagia Triada nicht wieder aufgebaut wurden. Guanella16 berichtet über die Spätzeit der „Neuen Paläste“ (1450-1400 v. Chr.), daß „die ausgedehnten Anlagen von Knossos, Festos, Malia und Kato Zakros“ einer gewaltigen Katastrophe zum Opfer fielen, die sich frühestens um 1450 v. Chr. ereignet haben mag. Die Theorie von Marinatos, der Vulkanausbruch von Thea (Santorin) habe jene Flutwelle erzeugt, die die nur 120 km entfernten Siedlungen an der kretischen Nord- und Ostküste überflutete, gewinnt immer mehr Anhänger, da bei den jüngsten Ausgrabungen des Palastes von Kato Zakros Brocken vulkanischen Gesteins zum Vorschein kamen. Als einziger lebt der Palast von Knossos wieder auf und scheint sogar eine Blütezeit erlebt zu haben. Denn nach Faure17 war Knossos nie so prächtig wie in der Zeit des „Palaststils“, d. h. nach 1450 v. Chr., als die anderen kretischen Paläste des Ostens nur noch verlassene Ruinen waren. Wenn auch fast gleiche Berichte über die Zerstörung der Paläste vorliegen, so erfahren wir aber von Gallas18 eine völlig andere Auffassung über den Wiederaufbau, wobei er sich sogar auf Bemerkungen von Evans bezieht: „Nachdem man sich von der Zerstörung der Paläste (von 1450 v. Chr.) einigermaßen erholt hat, wird Knossos gegen 1400 v. Chr. nochmals zerstört...“ Evans spricht von der Zeit nach der Zerstörung von der „reoccupation“, er meint damit die Wieder-Errichtung und 8 15. 210 23. 222 10 15. 135 11 13. 47 12 2. 168 13 3. 194 14 23. 232 15 24. 47 16 2. 171 17 23. 139 18 13. 99.100 9 – 5 – Besiedlung von Knossos durch kretische Einwohner, die aber sicher auch von fremden Völkern mitbestimmt wurde. Es kam zwar nur in Knossos zu einer neuen Palast-Epoche, doch auch die anderen Paläste wurden teilweise wieder besiedelt; in ihnen entstand jedoch kein höfisches Leben mehr. Weil die Fragen über den Zeitpunkt der Palastzerstörungen wie über deren Ursachen noch sehr umstritten sind, sollen zur Klärung die inzwischen bekannt gewordenen Ergebnisse der so sorgfältig angestellten Erkundungen des Kretaforschers Faure19 herangezogen werden. Faure erinnert zunächst an die Darstellung von Spiridon Marinatos; danach wurde „die Siedlung von minoischem Aussehen, die man beim Dorf Akrotiri an der Südküste von Santorin entdeckt hatte, um 1520 v. Chr. bei einem der Ausbrüche dieses Vulkans unter einer 3-7 m hohen, doppelten Schicht von Bimsstein und Asche begraben ... und daß dabei die ganze östliche Hälfte Kretas bis in eine Entfernung von 170 km mit giftigen Gasen und vulkanischen Bomben bedeckt wurde ... und daß eine über 25 m hohe Flutwelle, ein Tsunami, ausgelöst wurde, die alle in der Nähe der Nordund Ostküste gelegenen kretischen Städte, alle kleinen Häfen der Kykladen verschlang und dem Erdboden gleichmachte. Dieser titanische Ausbruch sei von Erdbeben begleitet gewesen. Diese hätten ihrerseits, was in Kreta noch stehen geblieben war, vollends zerstört und einen Großteil der Bevölkerung vernichtet.“ Faure widerlegt diese Annahme mit folgenden Begründungen: „Die Zerstörung der verschiedenen kretischen Siedlungen, besonders die der vier Palastkomplexe von Zakro, Malia, Knossos und Phaistos erfolgte mindestens 50 Jahre nach der Verschüttung von Santorin unter der Asche. Am Ende des 16. Jahrhunderts v. Chr. verspürte man in Knossos und in Zakro nur die Wirkungen von Erdbeben und nicht von Vulkantätigkeit. - Und was ist von einer Theorie zu halten, die von der Überflutung der Städte durch eine Springflut und zugleich von ihrem Brand durch Erdbeben spricht? Und was von der Tatsache, daß die Villa von Sklavokampos bei Gonies in mehr als 500 m Höhe am Nordhang des Ida liegt? Sollten die Wogen bis in diese Höhe gekommen sein?“ Diese so völlig verschiedenen Auffassungen über die Zerstörung wie über den Wiederaufbau der Paläste können zu einer Klärung über das Alter des Diskus nicht beitragen. Aufschlußreicher für die Sprache, in der dessen Inschrift abgefaßt ist, dürfte deshalb die Frage sein, ob die Scheibe noch in minoischer oder schon in mykenischer Zeit angefertigt wurde. 3.1 Die Bewohner Kretas und ihre Herkunft. Die erste Aufstellung über die Bewohner Kretas in früherer Zeit verdanken wir Homer, der uns durch Odysseus20 wissen läßt: „Kreta ist ein Land im dunkelwogenden Meere, Fruchtbar und anmutsvoll und ringsumflossen. Es wohnen Dort unzählige Menschen, und ihrer Städte sind neunzig, Völker von mancherlei Stämmen und mancherlei Sprachen. Es wohnen Dort Achaer, Kydonen und eingeborene Kreter, Dorier, welche sich dreifach verteilet, und edle Pelasger.“ Berichte über die Besiedlung der Insel und ihre Bewohner sind bei vielen Schriftstellern des Altertums, besonders auch bei Diodor und Strabo zu finden. Eingehend auch mit dieser Frage hat sich vor allem Faure befaßt, der auch die älteren Mitteilungen berücksichtigt hat. Wenn vor der Zeit Homers die letzten Einwanderer die Dorer waren, so setzt dessen Aufzählung also mindestens vier Kretas voraus, die vor der dorischen Besiedlung bestanden haben. Faure21 unterscheidet deshalb nach den Gelände-, Klima- und Bodenverhältnissen vier verschiedene Arten 19 23. 144ff Odyssee XIX, 172-177 21 23. 94f 20 – 6 – von Siedlungsgebieten, deren letztes im Süden der Insel gelegen ist. Die einzige wirklich große Ebene im Süden, die Mesara-Ebene, mit ihren natürlichen Ausläufern in das Amari-Gebirge und die Berge der Provinz Agios Vasilios im Westen mit den Asterousia-Bergen und den Südhängen des Ida, woher offensichtlich die ersten Siedler kamen, diese Ebene stellt schließlich nach unserer Meinung mit ihren kleinen Dörfern auf den flachen Vorbergen und ihrem großen Mittelpunkt Phaistos die letzte Einheit dar. Aus dieser warmen und fruchtbaren Gegend zogen die Eroberer der kleinen Küstentäler im Osten und Westen los, dorther kamen die Siedler der Inseln im Süden. „Wenn die Leute von Gortyn in geschichtlicher Zeit beständig mit den Leuten von Knossos Krieg führten, so geschah das nicht bloß aus imperialistischen oder wirtschaftlichen Gründen: die beiden Gegenden, die einander den Rücken kehren, haben verschiedenen Boden und verschiedenes Klima. Rhadamanthys, der König von Phaistos, und Minos, der König von Knossos, konnten miteinander nicht auskommen.“ Von Faure22 erfahren wir auch, daß Diodor wie Strabo ihr Wissen über Kreta im wesentlichen dem Ephoros von Kyme und anderen kretischen Autoren verdanken; wenn deren Werke auch verloren sind, so haben sie dennoch die Völker ihrer Heimat unmittelbar gekannt. Diodor23 faßt die Ergebnisse zusammen: „Die Bewohner von Kreta sagen, in den ältesten Zeiten seien in ihrem Lande die sogenannten Eteokraten (- echte Kreter) gewesen…“ Nach Ihnen kamen viele Menschenalter später herumirrende Pelasger, welche immer in Feldzügen und Wanderungen begriffen waren, und besetzten einen Teil der Insel24. Wir erfahren bei Faure25 aber weiter, daß nach Ephoros auch die Daktylen des Ida der Troas mit Minos über die Inseln bis nach Kreta gelangt wären; diese Kette von Eindringlingen enthielt also Bewohner der beiden Gestade des ägäischen Meeres, Griechen und Vorgriechen. - Wenn Diodor im selben Kapitel behauptet, eine vierte Gruppe habe aus einem Gemisch von Barbaren bestanden, so meint er damit Asiaten, die nicht griechisch sprachen: Lydier, Karer, Lykier. Der Gedanke einer engen Verwandtschaft zwischen den verschiedenen Kulten des thrakisch-phrygischen Bereichs und der kretischen Welt, die beide einen heiligen Berg, eine Muttergöttin, einen göttlichen Sohn und untergeordnete Dämonen kennen, erscheint übrigens in all diesen Berichten. 4 Meinungen über den Inhalt der Beschriftung Eine allgemein anerkannte Entzifferung der Schriftzeichen des Diskus von Phaistos liegt noch nicht vor, um so zahlreicher sind die Meinungen über den vermutlichen Inhalt. a) Bereits nach dem Fund hat sich ebenfalls der Altertumsforscher Meyer26 darüber geäußert: „Es liegt nahe, darin eine Namensliste zu sehen, vielleicht von Kriegern, die als Gesandte geschickt sein mögen.“ b) Eine ausführlichere Zusammenstellung über weitere Vermutungen hat uns Rob. Bryans27 geliefert: „Die Bedeutung der Scheibe hat jedoch den Gelehrten, die seit 1908 versuchen, die Hieroglyphen zu entziffern, schwer zu schaffen gemacht. Für den Uneingeweihten allerdings ist die Widersprüchlichkeit ihrer Auslegungen eine Quelle des Entzückens, wenn nicht gar der ausgelassenen Heiterkeit. Sir Arthur Evans meinte, die Scheibe könne eine Hymne an die Erdgöttin sein. Miss F. M. Stawell hielt sie ebenfalls für eine Hymne, aber an Rhea und ins Griechische übersetzt. F. G. Gordon erklärte, sie zeige die Bilderschriftform der Linear-A und gehe auf eine Sprachform des Nordwest-Semitischen zurück. Andere stellen fest, die Schriftzeichen der Scheibe seien mit der Keilschriftsprache der Hethiter verwandt, während Prof. Macalister behauptete, sie beinhalte ein Gerichtsliste mit den Magistratsrichtern, den Zeugen und 22 23. 118 V 80 24 Gallas, 13. 100 25 23. 119 26 1. II, 218 27 3. 195 23 – 7 – dem Datum, versicherte Kretschmer, es handle sich um eine Namensliste von 13 Soldaten, da die Zeichengruppen von Helm und Schild dreizehnmal auf der Scheibe auftauchen.“ c) Im Zusammenhang mit dem möglichen Inhalt der Beschriftung bleibt die Wiederholung gleicher Bildzeichen auf beiden Seiten der Tonscheibe beachtenswert. Lehmann Joh.28 hat nach der Entzifferung der hethitischen Keilschrifttafeln festgestellt, daß der größte Teil sich mit religiösen Ritualen und Regeln beschäftigt, für die besonders bezeichnend ist, daß jeder Gedanke wiederholt wird. Da auch beim Diskus auf beiden Seiten gleiche Zeichen wiederkehren, wird man auch hier mit einem religiösen Inhalt der Beschriftung rechnen dürfen. d) Gerade weil die Meinungen über den Inhalt der Scheibe, wie Bryans selbst feststellt, so außerordentlich widerspruchsoll sind, während man sich von der Entzifferung wertvollen Aufschluß über die Kultur und die Religion der frühen Minoer erhofft, mutet der Abschluß seines Berichtes etwas sonderbar an: „Ich hoffe, daß niemand je die Wahrheit herausbekommen wird. Es ist eine so hübsche Scheibe und ganz besonders reizvoll wegen ihres Geheimnisses.“ 5 Wer waren die frühen Minoer? 29 Ed. Meyer beginnt seine Beschreibung des Diskus mit der Bemerkung, daß „von den Volksstämmen in der Welt des ägäischen Meeres an dieser Stelle nur derjenige eine Erwähnung erfordert, von dem das vielleicht eigenartigste Fundstück aus dieser Epoche stammt, ein Diskus aus Ton, der sich zusammen mit Gefäßen und Schrifttafeln aus dem Beginn der kretischen Neuzeit am Palast von Phaistos gefunden hat.“ Wenn dann weiterhin dafür Stämme aus Kleinasien vermutet werden, so scheint der gleiche Forscher seine Mitteilungen30 über die altheimische Bevölkerung Kretas vergessen zu haben: „Im Osten die Eteokreter - im Westen die Kydonen. Von den Kydonen wissen wir weiter nichts, außer daß Beziehungen zum Westen des Peloponnes (Elis) vorhanden gewesen zu sein scheinen. Die Träger der Kulturentwicklung sind wahrscheinlich die Eteokreter gewesen. In den letzten Jahrhunderten des 3. Jahrtausends dürfte vermutlich ein fremdes Volk, eben das, welches die Griechen Eteokreter nennen, nach der Insel gekommen sein und die ältere Bevölkerung aus der Osthälfte verdrängt oder unterworfen, dabei aber ihre Kultur übernommen und weitergebildet haben. Diese ältere, den Kleinasiaten verwandte Bevölkerung könnte sich dann in der Westhälfte der Insel in den Kydonen erhalten haben. Bei Phryxa in der Pisatis liegt ein Tempel der ‘Athena Kydonia’.“ 6 Woher aber kamen diese frühen Siedler? a) Erst neuere Funde haben uns über die Besiedlung der Insel bessere Aufklärung gebracht. Danach werden die ältesten Siedlungen der minoischen Kultur an der Südküste Kretas nachgewiesen, am Rande der Messara-Ebene. Da die Form ihrer Gräber sich in Nordafrika noch lange bewahrt hat, scheinen ihre Begründer von dort gekommen zu sein. Neufunde westlich des Ida-Gebirges, so der eines Gaufürstenpalastes (um 2000 v. Chr.) von Monastiraki (bei Kloster Asomatos) haben erwiesen, daß die minoische Kultur nicht auf die Osthälfte der Insel beschränkt blieb. Ihre Träger sind vom Süden der Insel nach Westen und Norden vorgedrungen. An der Nordküste fanden sie die ältere steinzeitliche Bevölkerung des Ägäisraumes vor und verdrängten sie nach Osten, übernahmen aber ihre Siedlung Knossos, die bald den älteren minoischen Herrschersitz Phaistos überflügelte. b) Genauere Mitteilungen über den Zeitpunkt der Besiedlung und die Herkunft der Siedler verdanken wir vor allem v. Ranke - Graves31: „Ausgegrabene Tongefäße lassen darauf schließen, daß eine libysche Einwanderung nach Kreta schon im Jahre 4000 v. Chr. stattgefunden hat. Eine 28 4. 290 1. II, 126 30 1. I, 700-701 31 5. II, 37 29 – 8 – große Anzahl libyscher Flüchtlinge aus dem westlichen (Nil-)Delta scheint während der gewaltsamen Vereinigung von Ober- und Unterägypten um 3000 v. Chr. nach Kreta eingewandert zu sein. Bald darauf begann das erste minoische Zeitalter und kretische Kultur breitete sich bis nach Thrakien und dem frühhelladischen Griechenland aus.“ 7 Das vor- und frühgeschichtliche Libyen a) Dieses Libyen kennen wir ebenfalls aus den Mitteilungen Ed. Meyers32: „Sehr augenfällig ist die Übereinstimmung der Ägypter mit den Libyern, so daß wir wohl annehmen dürfen, daß ihre Vorfahren oder wenigstens das in Ägypten zur Herrschaft gelangte Element ein ursprünglich von seinem westlichen Nachbarn im Wüstenlande kaum verschiedener libyscher Stamm gewesen ist, der in das Niltal eingedrungen ist. Wie sich bei den libyschen Stämmen, bei Troglodyten und Kuschiten das ‘Mutterrecht’ und die lockere Ehe vielfach erhalten hat, so hat bei den Ägyptern die Frau eine freie Stellung und eigenes Besitzrecht; die Söhne werden in der Regel nach der Mutter benannt. - So sind die Ägypter bereits ein Kulturvolk gewesen zu einer Zeit, da überall sonst auf Erden, selbst in Babylonien, das Dunkel kulturloser und darum geschichtsloser Zustände das Leben der Völker bedeckt.“ b) „Im westlichen Delta wird weithin die große Kriegsgöttin Neith verehrt, die unter der ersten Dynastie bereits in ganz Ägypten Anerkennung gefunden hat.“ Nach den in Ras-Schamra gefundenen Tontafeln ist Anat-Neith eine Göttin des Krieges, der Liebe und der Fruchtbarkeit. c) Zu dem von Meyer erwähnten Zeitpunkt muß der Ackerbau im Niltal bereits eingeführt gewesen sein. Die ältesten Spuren, die wir aus dem Niltal kennen, sind durch Funde von Dair Tasa im mittleren Teil des Landes und bei Merimde-Beni-Salama im westlichen Teil des Deltas ausfindig gemacht worden, wie uns Kay Birket-Smith33 berichtet hat. Diese kleinen Frauenfiguren aus gebranntem Ton oder Elfenbein werden als Bilder der Muttergöttin gedeutet. 8 Muttergöttinnen als Sinnbild der Fruchtbarkeit a) Solche Muttergöttinnen wurden im Mittelmeergebiet weithin verehrt. Mit ihrer Bedeutung hat sich Joh. Lehmann34 etwas eingehender befaßt. Danach war deren Verehrung nicht allein von religiösen Vorstellungen abhängig, sondern auch von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen. „In den Nomaden- und Jagdgesellschaften der älteren und mittleren Steinzeit hingen Bestand und Glück der Gemeinschaft von der Tapferkeit und Ausdauer des Mannes ab, der die Beute erjagen mußte. In dem Augenblick, in dem die Menschen dazu übergingen, Tiere zu zähmen und Korn zu säen, gewann die Frau in dem Maße Einfluß, wie ihn der Mann innerhalb der Gesellschaft verlor.“ b) Dieser Wechsel in den religiösen Vorstellungen drückt sich auch in den Kultfiguren aus, der mit der Zeit zur Vorherrschaft der weiblichen Gottheiten führt, so daß schließlich nur noch weibliche Figuren als Zeichen der Muttergottheit gefunden werden. Diese wurden teils aus gebranntem Lehm, aus Speckstein oder Tropfstein und sogar aus Elfenbein hergestellt. Dabei wurden besonders die mit der Fruchtbarkeit verbundenen Körperteile hervorgehoben, weil man glaubte, damit auf magische Weise Fruchtbarkeit hervorrufen zu können. c) H. Guanella35 erwähnt auch die in Kreta aufgefundenen kleinen Idole, wie sie fast einheitlich in allen Frühkulturen auftreten; danach müssen bereits die frühen Einwanderer eine der Mutter- und Fruchtbarkeitsgöttinnen angebetet haben, die zunächst in einer Höhle verehrt wurde. Kulte und Symbole seien auch nicht verschwunden, als um 2000 v. Chr. heute noch unbekannte Einwanderer die Insel besiedelten. „Die einheimische neolithische Bevölkerung wurde von den 32 1. I, 46 6. 488 34 4. 158-161 35 2. 99 33 – 9 – ihr vielleicht sogar verwandten ‘Fremden’ aber nicht einfach überschwemmt, vielmehr langsam absorbiert.“ 9 Woher kamen die Muttergottheiten nach Kreta? Hierüber werden uns nur die ältesten Aufzeichnungen Aufschluß geben können. a) Diodor 36hat uns von den Kretern berichtet, „sie fabulieren, daß die meisten Götter, welche wegen ihrer gemeinnützigen Wohltaten göttliche Ehre erlangt haben, bei ihnen geboren wurden.“ Sicherlich sollte damit nur hervorgehoben werden, daß die griechischen Gottheiten über die Insel Kreta auf das Festland gekommen sind. b) Daß die Griechen ohne äußeren Zwang von den Minoern Weltanschauung und Götterhimmel übernommen haben, hat Thom. Münster37 zu dem Ausspruch veranlaßt, „die griechischen Götter stammen auch dann noch aus Kreta, wenn man ihren Kult auf der Insel nicht nachweisen kann.“ 10 Welche Namen von Muttergöttinnen sind uns bekannt? Woher die Gottheiten auf die Insel Kreta kamen und welche wir davon mit Namen kennen, verdanken wir dem ersten Geschichtsschreiber Herodot38: „Es sind auch fast alle Namen der Götter aus Ägypten nach Griechenland gebracht worden; denn daß sie von ausländischen Völkern kommen, habe ich bei meinem Nachforschen als eine gewisse Sache gefunden. Es ist also wohl am wahrscheinlichsten, daß sie aus Ägypten abstammen. Denn außer den Namen des Poseidon und der Dioskuren, wie ich schon früher angedeutet habe, außer denen von Hera, Hestia, Themis, den Chariten und den Nereiden sind die Benennungen der anderen Götter in Ägypten seit jeher bekannt. Ich sage nur, was die Ägypter selber sagen. Die übrigen Götter aber, deren Namen sie nicht kennen, wie sie sagen, sind, meine ich, von den Pelasgern benannt worden, bis auf Poseidon. Diesen Gott haben sie durch die Libyer kennen gelernt; denn nur die Libyer sind von Anfang an im Besitz seines Namens gewesen und verehren diesen Gott von jeher.“ Außerdem versammeln sich die Ägypter nicht nur einmal im Jahr, sondern häufig, „am häufigsten und am liebsten in der Stadt Bubastis zu Ehren der Artemis und in Busiris zu Ehren der Isis. Denn dort ist das Größte Heiligtum der Isis und die Stadt liegt mitten im Delta; Isis aber ist der ägyptische Name für Demeter. Drittens versammeln sie sich in der Stadt Sais zur Festfeier der Athena.“ Minerva ist der etruskische - römische Name der griechischen Göttin Athene. Aus Platos Timaios39 ist uns auch der ägyptische Name dieser Göttin bekannt: „Diese Stadt (Sais) hat eine Schutzgöttin, in ägyptischer Sprache Neith, in hellenischer, wie jene sagen, Athene geheißen.“ 11 Minerva stammte vom tritonischen See aus Libyen. a) Eingehende Erkundigungen über die Herkunft dieser Göttin muß Herodot40 bei den Ägyptern und den Bewohnern am Tritonsee eingezogen haben. „Nur die Libyer am Tritonissee (die Machlyer und die Ausen) opfern hauptsächlich der Athena und nächst dieser dem Triton und dem Poseidon“ (der ja ein ausgesprochen libyscher Gott gewesen sein soll). „Jährlich am Fest der Göttin Athena teilen sich die Jungfrauen in zwei Gruppen und kämpfen gegeneinander mit Steinen und Stöcken. Das ist, wie sie sagen, die herkömmliche Festfeier zu Ehren ihrer eingeborenen Gottheit, die wir Hellenen Athena nennen. ... Athena, sagen sie, sei des Poseidon und der Tritonis Tochter; da sie aber ihrem Vater grollte, habe sie sich an Zeus gewandt, und Zeus habe sie als seine Tochter angenommen.“ 36 V, LXIV 8. 11 38 II, 50.59 39 10, 21c 40 IV, 180.188 37 – 10 – b) Das hat v. Ranke-Graves41 zu der Feststellung veranlaßt: „Neith aber, die fellbekleidete Göttin der Libyer, war eine Vorläuferin der Athena mit der Aigis.“ c) Das bestätigt bereits Herodot42 bei der Schilderung über das Aussehen der Athena. „Die Kleidung und die Aigide an den Athenabildern haben die Hellenen den libyschen Frauen entnommen. Denn davon abgesehen, daß die Kleidung der Libyerinnen aus Leder ist und die Zotten an ihren Aigiden keine Schlangen, sondern aus Lederriemen geflochten sind, ist die Bekleidung in allem anderen ganz dieselbe. Ja, selbst der Name verrät, daß die Bekleidung der Pallasbilder aus Libyen herstammt; denn die libyschen Frauen tragen über dem Kleid noch ein enthaartes Ziegenfell, das mit Krapp gefärbt und mit Zotten versehen ist, und eben von diesen Ziegenfellen (‘Aigeen’) haben die Hellenen die Aigiden benannt.“ Auch nach Aischylos soll die Athene aus Libyen stammen, wenn er in den Eumeniden den Orestes die Göttin anrufen läßt: Sei’s daß du jetzt in Libyens fernen Wüsteneien Am Ufer deines heimatlichen Tritonstroms Hochschreitend oder tiefverhüllten Fußes Dort den Deinen beistehst ... O komm - wie fern auch, hörst du, Himmlische mich dort Und offenbare dich als meine Retterin. d) Die obige Stelle Herodots dürfte v. Ranke-Graves zu der weiteren Aussage43 veranlaßt haben, „Athena, die frühere libysche Göttin Neith oder palästinensische Anatha, war die oberste Mutter, nun aber aus dem Kopf des Zeus wiedergeboren, die - wie Aischylos sagt - keine göttliche Mutter anerkennt.“ Daß die große Herrin Kretas bei den Griechen auch andere Namen führen konnte, daran hat uns Mühlestein44 erinnert, weil sie auch als Rhea, Gäa oder Diktynna getauft wurde. e) Auch im nördlicher gelegenen Ugarit begegnet uns diese Göttin, wie dies Kapelrud45 aus den Ras-Schamra-Funden mitgeteilt hat. Zwar gilt hier Baal als Gott der Fruchtbarkeit; aber auf dem Deckel eines Kästchens aus Elfenbein finden wir das Bild einer sitzenden Göttin, die in beiden Händen einige Kornähren hält, während zwei Ziegenböcke versuchen, sich zu ihnen hinaufzurecken. Man kann zwar nicht sicher ermitteln, um welche Göttin es sich handelt, doch auf jeden Fall ist es eine Fruchtbarkeitsgöttin. Auf einem weiteren Bild trägt die sitzende Göttin auf ihrem Kopf eine stilisierte Getreidegarbe. - Auf beiden Bildern vermutet man Baals Gattin Anat, die „wie Ischtar und noch früher in Sumer Inana als Göttin des Krieges, der Liebe und der Fruchtbarkeit galt.“ f) Wenn uns also die Libysche Minerva als ägyptische Neith begegnet, und diese als Anatha in Palästina und als Anat in Ugarit bekannt wird, so werden wir, wenn wir sie in Kreta als Atana wiederfinden sollten, „nicht an die spätere Athena der Griechen als Schutzgöttin, die Polias (Stadtgöttin), die Medeousa (Schirmherrin)“ denken dürfen, woran uns S. Dontas46 in seiner Abhandlung über die Akropolis nachdrücklich erinnert hat, sondern an die weniger bekannten ihrer Erscheinungsformen; „denn auch sie leitet sich, wie so viele Göttinnen und Halbgöttinnen von einer urgeschichtlichen Muttergottheit ab. (diese) Athena herrschte wie jene über die Mächte der Erde, sie beschützte die Früchte, die Ernten und Menschen.“ g) Von Diodor47 stammt deshalb die Nachricht, man fabuliere, daß „Minerva von Jupiter in Kreta in den Quellen des Flusses Triton geboren worden, weshalb sie den Beinamen Tritogenia erhalten. 41 5. II, 240 IV, 189 43 5. II, 26 44 16. 152 45 11. 19 u. 44 46 12. 10 47 V, LXXII 42 – 11 – Noch bis jetzt ist bei den Quellen dieses Flusses ein dieser geheiligter Tempel, da, wo sie nach dem Fabelgedichte geboren worden.“ 12 Die ausgeprägte Verehrung der Muttergottheiten im Jungsteinzeitalter weist nach den Ausführungen von Klaus Gallas48 im Ursprung auf die ältesten Ackerbaureligionen hin. Später kam es durch die umherziehenden Nomaden zu einer Verschmelzung mit den strengen patriarchalischen Gottheiten; da Kreta davon unberührt blieb, konnte sich hier der Mutterkult besonders rein erhalten und immer stärker entfalten, indem man die Mutter Erde, die Fruchtbarkeit und die Mutterschaft zugleich verehrte. 13 Die frühen Kultstätten a) Verehrt wurden die Gottheiten in der frühesten Zeit vornehmlich in Höhlen und Grotten, in denen bedeutende Funde gemacht wurden. Mit der Zeit wurden dafür weithin sichtbare Stellen in der freien Natur ausgewählt auf den Gipfeln der Berge und auf Hügelkuppen, die auf Kreta so zahlreich vorhanden sind. Geradezu ein Musterbeispiel dafür stellt die Lage des Palastes von Phaistos dar, wie ihn Rob. Bryans49 beschrieben hat: „Hier erhob sich die Pracht des minoischen Phaistos, auf einem abgeflachten Hügel wie auf einem Sockel errichtet, der unvermittelt achtzig Meter über der Ebene aufragt. Dieser Sockel ist den Göttern benachbart: gen Nordwesten erhebt sich majestätisch die riesige Kette des Ida-Gebirges. In den obersten Hangsenken des Ida-Berges liegt noch Schnee, selbst wenn der Frühling schon in den Sommer übergeht. Zwischen zwei Gipfeln sieht man, gleich dem Nabel der Erde, die geheiligte Kamares-Grotte. - An der Nordseite fällt der Akropolis-Felsen von Phaistos steil ab. Von dieser Seite kann der Blick unbehindert zu dem Berg Ida und weiter gen Westen zu dem riesigen Kegelbuckel eines anderen Gipfels schweifen. Die Ebene von Messara umschließt den Felsen wie ein Meer.“ b) An diesen Kultstätten unter freiem Himmel war ein Kultmal unerläßlich, an dem die heiligen Handlungen vollzogen wurden. Dafür wurde ein Altar errichtet und auch die heiligen Bäume fehlten an keiner Kultstätte. Das dafür benötigte Land galt als heiliger Bezirk und gehörte der dort verehrten Gottheit; er wurde von einer Mauer umschlossen oder durch Umzäunungen abgegrenzt, mitunter auch durch Inschriften auf Grenzzeichen gekennzeichnet. 14 Ausstattung der Kultstätten a) „Selbst in der Blütezeit der Paläste gab es noch keine Kultbilder, wie uns Fr. Matz50 unterrichtet hat, obwohl es an Darstellungen von Göttern in Menschengestalt nicht fehlt. Kleine Räume sind mit Recht als Hauskapellen bzw. als Opferstätten bezeichnet worden, ausgestattet mit den Kultursymbolen Doppelaxt und Kulthörnern. Es waren die Stätten, an denen die Gottheit als anwesend gedacht wurde, an denen man opferte und betete.“ Die Pfeilerkrypten in den Palästen wird man als Nachfolger und Ersatz der Kulthöhlen anzusehen haben. b) „Die Kehrseite der bildlosen Kultur in der Blütezeit“, so berichtet uns Fr. Matz51 an anderer Stelle, „ist der Glaube an die Epiphanie der Götter. Durch ekstatische Tänze und Gebete und Opfer wurden sie beschworen. Als Vögel und als Schlangen erscheinen sie auf den Bildern. Für die Göttererscheinungen in Menschengestalt und für die ekstatischen Formen, die ihre Voraussetzungen sind, zeugen nach einigen Vorläufern aus der frühen Palastzeit namentlich Siegelbilder, Fresken und unser vollständigster Bildertext zur minoischen Religion, der zyklische Freskenschmuck des Sarkophags von Hagia Triada.“ 48 13. 1 3. 171 50 15. 80 51 15. 185 49 – 12 – c) „Der Epiphanieglaube der minoischen Kreter ist durch das Moment des Wirklichen in der vorübergehenden Zeit ebenso gekennzeichnet wie ihr Bildbegriff durch das Entzücken an der vorübergehenden Erscheinung.“ Meistens ist das Erscheinen der Gottheit angekündigt durch einen Vogel, der sich auf der vor dem Heiligtum aufgestellten Doppelaxt niedergelassen hat.“ 15 Vogelschau auf Kreta Vögel haben gerade in Kreta bei den Kulthandlungen wie zu anderen Gelegenheiten eine besondere Rolle gespielt, wie man den Ausführungen H. Mühlensteins52 entnehmen kann: „In der Tat gab es nur in Kreta, schon hoch im II. Jahrtausend, einen richtigen Vogelkult, und zwar in engster Verbindung mit der höchsten Gottheit, mit Potnia selber: auf dem Symbol ihrer Allmacht, dem Doppelbeil, so wie es als Kultobjekt in den von den Kretern selber dargestellten Kultszenen - wie vor allem auf dem berühmten Sarkophag von Hagia Triada - erscheint, nämlich auf hohen, schlanken, nach oben konisch zugespitzten Pfeilern, sitzt je ein schwarzer Vogel, der auf diese Weise als das nächstwichtige Symbol der Potnia neben der Bipennis bezeichnet wird. Nichts könnte neben diesem Zeichen der unerbittlichen Strenge des Weltgesetzes besser die Wandelbarkeit seiner Erscheinungsformen, die dämonische Beweglichkeit der Potnia, ihr überraschendes Auftauchen und Verschwinden symbolisieren, als der überall und nirgends seiende Vogel. Von diesem Vogelkult her hat die Fortsetzerin der Potnia bei Homer, Athena, das so merkwürdig ungriechisch-magische Vermögen, sich nach Belieben in einen Vogel und durch Berührung mit ihrer Zaubergerte auch andere Wesen, in was sie nur will, zu verwandeln.“ 16 Die Anrufung der Gottheit um ihr Erscheinen „Singe, o Göttin, den Groll des Peliden Achilleus“ sind die Worte, mit denen Homer die Mithilfe der Göttin zum Beginn seiner Ilias erfleht. Weit inniger noch pflegten die Menschen der Frühzeit die von ihnen verehrte Gottheit anzurufen oder vielfach anrufen zu lassen durch deren Priesterin oder durch eine örtliche Sondergottheit, in der Erwartung, daß man dann sicher und schnell mit deren Erscheinen rechnen dürfte; denn damit glaubte man, auch der göttlichen Unterstützung und Hilfe sicher zu sein. 17 Kultfeste in der Frühzeit a) Ausschließlich der Erdmutter galten die Kultfeste überall dort, wo die Bewohner bereits Ackerbau betrieben haben und seßhaft geworden waren. Walt. Kranz53 hat uns ausdrücklich daran erinnert, „daß diesen Menschen die Erde, die ihnen das Brot gibt, nachgerade die Mutter sei, die letzte dem ahnenden Geist zu fassende Urkraft. Der Name, den die Erde bei den ältesten griechisch sprechenden Völkern trägt, war Da oder Ga; werden diese unmittelbar neben die Worte gestellt, die man fast als die ältesten nennen könnte, Ma oder Mater - Mutter und Pa oder Pater - Vater, so erkennt man schon durch den Klang der Verbindung, daß wir es hier mit einem Urwort zu tun haben. Da - mater, später De - meter - Erdmutter bringt beides vereint und Aischylos läßt schon seinen Mädchenchor in grauer Vorzeit zum Ausdruck der höchsten Angst in ganz urtümlicher Vokalisation beten: Ma Ga - Ma Ga - o Pa Gas Pai, Zeu - Mutter Erde, Mutter Erde - o Vater, der Erde Kind Zeus.“ b) Die Kultfeste im östlichen Mittelmeerraum sind uns erst durch die Ras-Schamra-Funde Schaeffers aus dem frühen 3. Jahrtausend v. Chr. in manchen Einzelheiten bekannt geworden, die ausführlich von A. S. Kapelrud54 besprochen sind. „Das höchste kultische Ereignis war das große mehrtägige Fest, das bei Beginn des Herbstregens gefeiert wurde. Die Dürre des Sommers war zu Ende und ein neues Jahr konnte beginnen. Das herbstliche Neujahrsfest war nicht nur in 52 16. 156 17. 16 54 11. 71 53 – 13 – Ugarit ein wichtiges Ereignis, sondern in den meisten Ländern des Vorderen Orients.. Es war der Sinn der Feier, den Lauf des Jahres mitschöpferisch zu bestimmen und dafür von der Gottheit die für die Fruchtbarkeit der Fluren und für reichen Erntesegen erforderliche Regenfülle zu erbitten.“ 18 Die Entzifferung des Diskus Die Zahl der unternommenen Versuche an Entzifferungen ist mir nicht bekannt. Wenn Bryans55 die Widersprüchlichkeit der Auslegungen eine Quelle des Entzückens, wenn nicht gar der ausgelassenen Heiterkeit nennt, so dürfte dafür eine 1931 zu Oxford erschienene „Entzifferung“ eine Rolle gespielt haben. a) Einen Auszug davon aus Chadwiks Buch „Linear-B“ ist bei E. Doblhofer56 angeführt: „...Der Herr, wandelnd auf Flügeln die atemlose Bahn, der Sterntreffer, der schäumende Schlund der Wasser, der Seehundstreffer auf der kriechenden Blüte, der Herr, der Treffer der Pferdehaut (oder der Felsoberfläche), der Hund, der den Pfad erklettert, der Hund, der mit dem Fuß die Wasserkrüge leert, den umkreisenden Pfad erklimmend, den Weinschlauch ausdörrend...“ Man kann Doblhofer nur beipflichten, daß man bei den Versuchen der Entzifferung oft auf recht abseitige Wege geraten ist. b) Der Versuch einer Entzifferung wurde erst in jüngster Zeit von Neuss, Ottomar und Malte57 unternommen: Der Diskus von Phaistos, Kryptogramm eines Kalenders - Interpretation eines Kulttextes aus Kreta. Nach dem Schlußsatz der Seite B der Tonscheibe soll darin das Opfer von Mädchen mitgeteilt sein und zwar in griechischer Sprache. c) Pars hat uns in seiner umfangreichen Schrift über Kreta58 mitgeteilt, „daß im Sommer 1955 der geniale Pfadfinder im Dickicht der kretischen Schriftsysteme, Prof. Ernst Sittig, erneut die rätselhafte Tonscheibe von Phaistos in Angriff genommen habe. Schon damals verriet er uns optimistisch, die Festung werde sich erobern lassen, denn glücklicherweise seien die Hieroglyphen von Worttrennern unterteilt, und es fehle auch sonst nicht an „weichen Stellen“ im Mauerring, durch die der Einbruch gelingen müsse.“ Leider besitzen wir keine schriftlichen Mitteilungen von Sittig selbst, sondern lediglich die Aufzeichnungen des Schriftstellers, die dieser von Sittig bei dessen Besuch im Krankenhaus erfahren hat; da wir darin vor allem den Weg beschrieben finden und ebenso einige Angaben über bereits erzielte Ergebnisse, sollen Sittigs Worte hierüber angeführt werden: „Es ist eine piktographische Silbenschrift von etwa 1600 v. Chr. und es ist griechisch. Zweimal kommt in dem Text der Name Atana (Athene) vor. In aller Kürze werden die letzten Lücken ausgefüllt sein. Sie können damit rechnen, Ihren Bericht mit meiner Lösung des schwierigen Rätsels zu beschließen, das Sie im Eingangskapitel aufgeworfen haben.“ Pars teilt dann mit, daß am Abend des ersten Weihnachtstages 1955 Ernst Sittig die Augen geschlossen hat. Der Tod hat es ihm nicht vergönnt, sein Lebenswerk mit der unanfechtbaren Endlösung seines kühnsten Entdeckungsversuches zu krönen. Wie aber aus den Aufzeichnungen hervorgeht, die er noch auf dem Krankenlager zu Papier brachte und die von seiner Gattin aus einer für Uneingeweihte unlesbaren Stenographie übertragen wurden, konnte er sich immerhin für berechtigt halten, die bevorstehende Lösung des Rätsels anzukündigen. Er war auch diesmal seiner uns schon bekannten statistischen Methode, der Häufigkeitsberechnung von Silben nach ihrer Stellung im Wort, gefolgt. Dabei hatte sich ihm für eine beträchtliche Zahl der Piktogramme eine Deutung auf Silbenwerte ergeben, die Teile des Bildtextes lesbar machten, so daß er glauben durfte, über den Inhalt des Diskos von Phaistos schon einiges Aussagen zu können. - Für eine größere Gruppe dieser Silbenzeichen hatte sich überdies unverhofft noch eine Bestätigung der errechneten Werte angeboten. Die Bildzeichen enthüllten eine „akrophonische“ Verwendungsweise, das heißt, nicht die vollen Namen der Bildgegenstände konnten vom 55 3. 195 18. 260 57 19. 2-11 58 20. 365 56 – 14 – Schreiber gemeint sein; das Bild steht hier nur für den Anlaut des ganzen Wortes; gelten sollen also nur die ersten Buchstaben des Wortes, das aus dem Piktogramm redet. Mußte das nicht als Kontrollbeweis für die richtige Lösung gelten! Diese Bestätigung war sensationell! Drei Beispiele müssen hier genügen: Für das Bildzeichen eines Schiffes war Sittig auf rein rechnerischem Wege zu dem Silbenwert Na gelangt.; Dies Na ist aber zugleich der Anlaut des griechischen Wortes Naus (Schiff). Für das Bild eines Tierfelles, das er als Stierfell erklärte, bestätigte sich der Anlaut des Wortes Tauros (Stier) als Ta, und für das Bildzeichen eines Manneskopfes mit einem Federbusch (Archos Aner - Fürst) das anlautende A. Diese drei Silben ergeben in der linksläufigen Reihenfolge den Namen Atana, der sich mit den drei folgenden Silben zu Atana Mekala (- große Athene) vervollständigt. Diese verblüffende Lösung der sechs Bildzeichen war wie gesagt allein auf dem Wege statistischer Errechnung erzielt worden: nun zeigte es sich, daß die Bildzeichen nicht willkürlich für die Silben eingesetzt waren, sondern daß diese den Anlauten der Wortbedeutungen entsprachen. Wir müssen den erreichten Stand der Entzifferung noch besser präzisieren: von insgesamt 45 Bildzeichen sind nach Ernst Sittigs Methode 32 lesbar geworden. Verständlich sind jedoch noch nicht alle lesbaren Worte. Daher bleibt der Rede Sinn noch weithin dunkel, leider.“ Mit einer Fußnote sind die Aufzeichnungen über den Diskus abgeschlossen. Darin sind vermutliche Angaben über den Inhalt der beiden Diskusseiten enthalten, die nicht von besonderer Bedeutung sind; wichtiger sind die für einige Fächer mitgeteilten Wortbildungen, weil die dafür eingestempelten Bildzeichen bereits von Sittig erschlossen sein mußten. So hat auf Seite A Fach 2 Koloja - Chloja, Chloe d.h. die Grüne, ihre Mutter Aja (Fach 1) flehend gebeten. Atana Mekala ist in Fach 15 und Fach 21 zweimal als Lyter - Ryter genannt. Die Seite B des Diskus mag auf einen mit einer Toten- und Saatfeier verbundenen Kultus hinweisen. Die Wortbildung Anefelo in Fach 11 enthält wiederum die Bedeutung zweier weiterer Bildzeichen, nämlich für die Silben ne und fe. Damit sind bereits 13 Bildzeichen bekannt, die in der folgenden Aufstellung ausdrücklich gekennzeichnet werden. Damit hat Sittig fast allen bisherigen Auffassungen über die kretische Bilderschrift widersprochen, die darin eine nicht indogermanische, sondern eine den Minoern eigene Sprache vermuteten. Sittig hat demnach die bereits im Jahre 1912 von dem deutschen Archäologen Ernst Reisinger ausgesprochene Feststellung - mitgeteilt bei Pars59 - bestätigt: „Der Palaststil wirkt griechisch; das war zu einer Zeit gesagt worden, als noch niemand ernstlich an die Möglichkeit dachte, daß vor 1400 v. Chr. achaische Griechen in Knossos regiert haben können. Allein dem stilkundigen Auge war aus den Palastamphoren der Gegensatz zu den bisherigen minoischen Künstlerfreiheiten sichtbar geworden. Die Schrift- und Sprachforscher haben - vierzig Jahre später - den sicheren Blick des jungen Archäologen bestätigt.“ Und über mehr als ein weiteres Jahrzehnt später hat Sittig diese Erkenntnis auch auf die Bilderschrift des Diskus übertragen. Das macht auch die Ausführungen von W. Kranz60 verständlich, die wir dort über die Namen der griechischen Gottheiten vorfinden. „Als die Urgriechen das Land ihres Begehrens gefunden hatten, trafen sie überall auf Kultstätten der Vorbevölkerung, begegneten sie Göttern, von denen sie nichts wußten. Sie haben deren Verehrung übernommen, und wie groß äußerlich gesehen - der Einfluß fremder Religionen auf ihre eigene war, zeigt sich darin, daß die meisten Namen der griechischen Götter unindogermanisch sind, z. B. außer Athene die von Aphrodite, Artemis, Persephone, Leto und - wenigstens wahrscheinlich - von Hera, ebenso die von Apollon, Hermes und Hephaistos. Herodot61 weiß noch um die Herkunft der griechischen Götter aus der Fremde, und Euripides hat mit Recht von ihren ‘schweigenden’ Namen gesprochen, um das sie verhüllende Geheimnis zu bezeichnen. ... Oft gilt ein Göttername in der frühen Zeit nur für ein ganz eng begrenztes Gebiet, und für viele menschliche Handlungen gibt es Sondergötter als Helfer. Es wirken auch namenlose Götter, so schlechthin als Mutter oder Mütterchen (Maia) genannt.“ 59 20. 362 17. 13 61 II. 46 60 – 15 – 19 Die Lautwerte der Bildzeichen In der von meinem Onkel, Dr. Karl Decker, hinterlassenen Textfassung fehlte eine systematische Darstellung der akrophonischen Deutung der einzelnen Bildzeichen. Diesen Teil seiner Entzifferung des Diskus hatte er wohl nicht mehr selbst ausführen können. Anhand zahlreicher Notizen auf Zetteln und der zitierten Deutung von Sittig habe ich die folgende Tabelle zusammengestellt. 19.1 Erwartungshorizont Wenn man davon ausgeht, daß eine Schrift mit Vokalen und Konsonanten vor ihrer Existenz nicht vorhandene Möglichkeiten der Fortentwicklung und Ausgestaltung einer Sprache zur Folge hat und damit in ungeahntem Ausmaß lautliche, begriffliche und grammatische Differenzierung ermöglicht, ist offensichtlich, daß eine rein akrophonische Bilderschrift nur sehr unvollkommen in griechischen oder lateinischen Buchstaben erfaßt werden kann. Sicher verband der Benutzer des Diskus mit den einzelnen Bildern bestimmte Begriffe, die als eine Art Gedächtnisstütze über ihre jeweils erste Silbe dem Kundigen das gemeinte Wort so darstellten, daß er die litaneimäßige Anrufung der Gottheit alljährlich in gleicher Form vollziehen konnte. Die Einzigartigkeit des Diskus läßt ferner darauf schließen, daß der Kreis derer, die ihn zu nutzen verstanden, sehr klein gewesen sein muß. Nichts deutet auf eine fabrikmäßige Herstellung von etwa zahlreichen mit denselben Stempeln bearbeiteten Tonscheiben hin. Die erkennbaren korrigierenden Einstempelungen noch vor dem Brennvorgang legen eine recht unprofessionelle Herstellung nahe. Die zahlreichen zeitlich mehr oder weniger gleichzeitig auf Kreta benutzten Schriftsysteme lassen einen nur kleinen Benutzerkreis für den Diskus übrig. Angesichts der unterstellten kultischen Thematik der Scheibe wird verständlich, daß man mit etwa der Hälfte der für eine Silbenschrift notwendigen Zeichen auskommt. Eine litaneimäßige Ausdrucksform lebt vom Gleichklang und benötigt keine großen Formenvielfalt. Der Wortschatz selbst dürfte sich auf Namen und Begriffe beschränken, die auch über ein archaisches Griechisch hinausgehend in anderen Völkern und Kulturen ähnlich lauteten. Der Name der Göttin Athene ist in seinen Grundlauten ebenso allgemeinverständlich, wie die Begriffe Vater und Mutter. Dieser Umstand erleichtert den Wiedererkennungseffekt durch akrophonische Nutzung der Bildzeichen in besonderem Maße. 19.2 Inhalt einzelner Bildzeichen Als äußerst problematisch erweist sich die Verbindung mancher Bildzeichen mit einer konkreten griechischen Vokabel. Es ist nicht nur so, daß man kaum sagen kann, welcher Guttural oder Labial zu welchem oder gerade diesem Zeitpunkt üblich war. Auch das jeweils mit dem Bild zu kombinierende Wort hängt nicht zuletzt davon ab, woran der Betrachter beim Betrachten des Abdrucks zu denken gewohnt war. In kultischem Zusammenhang mag der Widderkopf durchaus den Begriff „Opfertier“ evozieren. Der Weissagevogel und die Taube passen ebenfalls gut in die besondere Welt eines damaligen Kultdieners. Dasselbe kann für die Fledermaus gelten, da der Kult in Höhlen ausgeübt wurde. Einen weiteren Gesichtspunkt legt die Auswahl der Symbole nahe. Da es sich um Fruchtbarkeitskulte im Zusammenhang mit Frühlingssymbolik handelt, gewinnen die dargestellten Pflanzen ein besonderes Gewicht. Die Bilder von Nr. 35 - 40 erwecken den Eindruck einer Übersicht über das pflanzliche Naturgeschehen vom frühesten Wachstumsbeginn mit Nr. 37, dem auffällig geschuppten Huflattichstengel bis zur Ernte mit der Schote als Nr. 40. Das Zeichen Nr. 24 kann als besonders aufwendig konturierte Form eines korbähnlichen Gestells mit Beinen und Traggriffen gedeutet werden. Es bietet sich das griechische Wort κοφινος an. Der in den vermuteten Text passende Anlaut findet sich auch in vergleichbaren Begriffen anderer Sprachen. Die Deutung ist also nicht völlig willkürlich und unbegründet. – 16 – Da die für die Stempelung verwandten Bildzeichen sehr klar und kaum abstrahierend gestaltet sind, liegt hier noch ein reizvolles Betätigungsfeld für Sprachforscher mit einschlägigen Spezialkenntnissen. 19.3 Erläuterungen zu den Bildzeichen Die Bildzeichen können Wortzeichen sein, die nicht alle einzelnen Silben enthalten, sondern durch die ein Begriff durch ein oder zwei Zeichen ersetzt wird und die als Ideogramme bekannt sind. Sie können aber auch nur einzelne Silben bedeuten, so daß sich erst durch verschiedene Zeichen ein Wort ergibt, das den Inhalt der Schrift ausdrückt. Als Wortzeichen müssen die oft eingedruckten Zeichen Aja angesehen werden. Zwar soll Sittig diese beiden Zeichen als Aja - Mutter gedeutet haben; da aber schon im Fach 1 noch der Zusatz me - te - la - Mutter steht, und da auch bei weiteren Wiederholungen die gleiche Zusatzbezeichnung folgt, können bei dem Inhalt der Scheibe, der ein Hymnus auf die große Muttergöttin sein soll, diese Silben nur als Wortzeichen in der Bedeutung „Große Göttin“ oder nach Homer als „Hehre Göttin“ gedeutet werden. Ein gleiches Ideogramm ist bei Schefold, K., in seiner Schrift „Frühgriechische Sagenbilder“ für die Göttin Aphrodite als Aja Apo zu finden. 19.3.1 Seite A Fach 2 u. 3: Man ließ in der Frühzeit die Göttin gerne durch die örtlich verehrte Gottheit oder durch deren Priesterin anrufen, in der Erwartung, dadurch sicherer und schneller erhört zu werden (s. Allg. Ausf. Nr. 16). Fach 6: (Ilias XXIV, 25) Alle Götter hießen es gut, nur Hera mißfiel es Und Poseidon auch und der strahlenäugigen Jungfrau (Athene). Fach 7: (Ilias IV, 75) Wie ein Stern entsendet der Sohn des verschlagenen Kronos Schiffern zum deutenden Zeichen und weit gelagerten Heeren Hell im Glanze und rings ein Regen sprühender Funken: So entstürzte Athene im Fluge nieder zur Erde, Sprang in die Mitte des Heeres. Fach 8: (Ilias X, 284) Neige auch mir dein Ohr, Zeus’ unbezwingbare Tochter. Fach 10: (Odyssee XXII, 255) … doch alle Würfe vereitelte Pallas Athene. Fach 10 u. 11: (Ilias X, 227) Odysseus … und flehte zur Göttin: Höre mich, Tochter des Zeus, des donnernden Gottes, die Immer schützend du neben mir stehst in allen Gefahren. Fach 13: (Ilias V, 744) Häuptlings setze ich dann den umbügelten, Vielbeknauften goldenen Helm … Fach 13: (Ilias V, 825) Ihm erwiderte drauf mit leuchtenden Augen Athene: Fürchte doch darum nicht den Ares noch einen der andern Ewigen Götter, ich leiste dir immer gewaltigen Beistand. Fach 15: (Ilias VI, 305) Hehre Göttin Athene, du stadtbeschirmende Pallas. – 17 – Fach 17: (Ilias XIX, 350) Wie ein kreischender Falk mit ausgebreiteten Schwingen Schoß sie vom Himmel herab durch die Lüfte. (Odyssee XXII, 239) Plötzlich entschwand sie den Blicken und gleich der Schwalbe von Ansehn Flog sie empor … (Sie konnte kommen und verschwinden!) Fach 23: (Ilias V, 738) Über die Schulter warf sie die Quasten der grausigen Aigis, Die am Rande im Kreis umkränzt mit bangem Entsetzen: Streit war darunter und Stärke und bluterstarrender Ansturm. Mitten darauf das gorgonische Haupt des entsetzlichen Scheusals, Grausig und gräßlich, das Zeichen des Zeus mit der schwingenden Aigis. Fach 23 u. 24: (Ilias II, 446) Hoch in der Hand die Aigis, die herrlich alterlos junge, Kunstgeflochtene Troddeln an hundert aus lauterem Golde Flattern um sie … Fach 27: (Ilias X, 507) wegweisend … da trat ihm nah’ Athene und sprach zu dem göttlichen Sohne des Tydeus: Denke der Rückkehr jetzt, du stolzer Held Diomedes! Heim zu den bauchigen Schiffen, daß du nicht müßtest entfliehn, Sollte ein anderer Gott jetzt gar die Troer erwecken. 19.3.2 Seite B Fach 5 u. 6: (Odyssee III, 577) Siehe, kein anderer war’s der himmelbewohnenden Götter, Als des allmächtigen Zeus siegprangende Tochter Athene. (Ilias X, 552) Seid ihr doch beide geliebt von dem Lenker der Wolken Kronion Und des Donnerers Tochter, Athena mit leuchtenden Augen. Fach 7 - 14 lassen sich aus den Angaben in Reclams Lexikon der antiken Mythologie über Athene und ihre Mutter Metis (S. 113 u. 346) erläutern: Zeus erste Frau war die weise Okeanide Metis. Fach 7: Als diese schwanger war, verschlang sie Zeus (er war von Ge und Uranos gewarnt worden, daß ein zweites Kind ein Sohn sein sollte, der im Himmel herrschen werde. Da er selbst seinen eigenen Vater gestürzt hatte, wollte er nicht ein ähnliches Schicksal erleiden.) Fach 8: In der Zeit, als Metis hätte entbunden werden sollen, befahl Zeus dem Hephaistos oder Poseidon, Fach 10: sein Haupt mit einer Axt zu öffnen Fach 09: und heraussprang Fach 12: aus dem Zeushaupt Fach 11: unverhüllt Fach 13: die sieghafte Göttin in voller Rüstung (im Fellgewand). – 18 – Fach 12: „Ten“ oder „Tena“ ist der altkretische Name des Zeus; Mühlestein62 hat in einer Anmerkung daran erinnert, daß der große italienische Prähistoriker Giovanni Patroni diesen altkretischen Namen wiederentdeckt hat, von dem das etruskische „Tin“ oder „Tina“ eindeutig abstammt. Fach 14: (Pausanias I, 185) Die Kreter aber glauben, Eileithyia sei in einer Höhle in Amnisos als eine Tochter der Hera geboren. Fach 16 - 26: Die meisten Forscher haben in der Inschrift des Diskus einen Hymnus auf die „Erdgöttin“ oder die „große Mutter“ vermutet; Sittig glaubte, daß die Seite B auf eine Totenoder Saatfeier hinweise. Kapelrud63 hat nach Entzifferung der Tontafeln in Ugarit nachgewiesen, daß die Kulturbräuche der Frühzeit in enger Beziehung mit dem Kreislauf der Jahreszeiten stehen. Man glaubte, daß mit dem Beginn der sommerlichen Trockenzeit die Gottheit der Fruchtbarkeit in die Erdentiefe verschwunden sei und Wind und Wolken, Sturm und Regen dorthin mitgenommen habe. Man war sich aber der Tatsache bewußt, daß die Grundlagen der Bodenfruchtbarkeit und damit der Lebensmöglichkeit von ausgiebigen Niederschlägen im Winter eines jeden Jahres abhingen. Weil der Regen aber ausbleiben konnte, was Trockenheit und Mißernte zur Folge gehabt hätte, glaubte man, sich im Voraus der Hilfe aller günstigen Mächte versichern zu sollen, was man durch rechtzeitige Rückkehr der Gottheit aus der Erdentiefe und damit den Beginn der feuchten Jahreszeit zu erreichen hoffte. Der Kern der alljährlichen Herbstfeier war deshalb das Erscheinen der Fruchtbarkeitsgottheit, damit der durch den Sommer ausgedörrte Boden neue Saat aufnehmen konnte. Bedeutungsvoller als der Regen war für die Hochflächen Kretas der Schnee, den schon Diodor auf dem Ida erwähnt; denn bis zum Beginn des Sommers liefern die auf den umliegenden Höhen auftauenden Schneemassen die für Fruchtbarkeit des Bodens so unentbehrliche Feuchtigkeit. Es kann deshalb auch nicht wundernehmen, daß auf Kreta bei der Herbstfeier um ausreichende Schneefälle gebetet wurde. Fach 27 - 30: Sagen führen nach Dontas64 die Feiern der „Athenäen“ auf vorgeschichtliche Zeit zurück: „der Name deutet darauf, daß es ursprünglich ein religiöses Fest zu Ehren der Göttin Athene war. Den Höhepunkt des Festes bildete die Übergabe des neuen Gewandes (peplos) an die Göttin am letzten Tage des Festes. Da wurde das Holzbild mit dem Peplos bekleidet, der in monatelanger Arbeit auf der Akropolis von zwei der Aerephoren, den Ergastinen, gewebt und mit bunten Mustern bestickt worden war, die den Gigantenkampf darstellen, bei dem die Göttin sich ausgezeichnet hatte.“ Auch diese Feier wird, wie die Göttin selbst, von Kreta übernommen worden sein. 62 16. 146 11. 33 - 50 - 71 64 12. 18 63 – 19 – 19.4 Akrophonische Deutung der Bildzeichen deutscher Begriff griech. Vokabel Lautwert griechisch Lautwert deutsch 1 Kind τεκνον τε te 2 Anführer, Mann αρχος, ανηρ α anlautendes a 3 Kopf, Haupt, Gesicht καρα γα, κα ga/ka 4 Sohn κελωρ κε ke 5 Junges, Kind νοσσος νο no 6 Mütterchen, Nährerin, Amme μαια μα ma 7 Kopfbedeckung τιαρα τι, δι ti, di 8 Hand, Handschuh σο so lf. Nr. Bild – 20 – 9 πο po 10 Mohnkopf μακων μηκων με me 11 Bogensehne νευρα νη nä 12 Schild ασπις ια ia/ja 13 Mahlfrucht, Hirse με mä/ma 14 Tamburin, Handpauke ρομβος ρο ro 15 Streitaxt αξινη αν an 16 Schwert, Dolch; ägypt.: sefet ξιφος ξιφιδιον σι si 17 Licht, Leuchte, Augenlicht, Auge φαος φα fa 18 Seitengang, Korridor, Gasse λαυρα λα la τη tä 19 – 21 – 20 Becher, Pokal δεπας 21 δι di γε ge 22 Gamma γαμμα γη gä 23 Stiel καυλος κα ka 24 Korb κοφινος κο ko 25 Schiff ναυς να na 26 Sehne, Flechse, Muskelband νευρον νε ne 27 Stierfell ταυρος τα ta ρυ rhy 28 29 Fledermaus νυκτερις νι ni 30 Opfertier, bes. Schaf ιερειον ι i – 22 – 31 Vogel jeder Art, Weissagevogel ορνις ο o 32 Vogel der Istar, Taube περιστερα πε pe 33 Hecht λυκος λυ ly 34 Motte σης σε se 35 Veilchen ιον ια ja 36 Buche Speiseeiche φαγος φηγος φε phe 37 Pflanze Sprößling φυτον φι phi 38 Fackel, Sonne Licht λαμπας ρα, λα ra/la ? 39 gewürzige Pflanze κυπερος κυ ky 40 Schote λοβος λο lo 41 das Gebrochene κλασμα λε le – 23 – 42 γο go 43 σα sa 44 abgezogene Haut, Fell, bes. v. Rind ρινον ρι ri 45 Wasser, Flut λιβας λι li – 24 – 19.5 Darstellung der Zeichen im Silbenrost α anl. Vokale und Konsonant +Vokal γ, κ δ, τ ι κ, γ λ μ ν π, β ε η ι ο, ω υ ν – 25 – α ρ σ, ς τ, δ φ α ι ε η ι ο, ω υ ν – 26 – 19.6 Deutung der Zeichen auf Seite A Seite. A Zählung nach "Scripta Minoa" Zeichen Nr.: 1. Fach vom äußere n Rand 2 12 13 1 18 a ia me te la Fach 31 Große Göttin und Mutter Zeichen Nr.: 2 24 40 12 ko lo ja Fach 30 die Grüne Zeichen Nr.: 3 chloros - grün 29 45 7 ni li ti Fach 29 soll sie dringend bitten Zeichen Nr.: 4 litomai - dringend bitten 29 29 34 ni ni sa(i), se Fach 28 zu erscheinen Zeichen Nr.: 2 nissomai - erscheinen 12 4 40 33 – 27 – 5 Fach 27 a ja ke Große Göttin, angerufene Zeichen Nr.: 6 27 45 7 12 ta li di ja Fach 26 Zeichen Nr.: talis - Jungfrau 27 44 8 ta ri so Fach 25 kühne Zeichen Nr.: 8 ly kelomai - anrufen jungfräuliche 7 lo tarsos - mutig 2 12 6 18 44 a ja ma la ri Fach 24 Große Göttin, starke (gewaltige) maleros - gewaltig – 28 – Zeichen Nr.: 9 31 26 35 o ne ja Fach 23 hilfreiche Zeichen Nr.: 10 oninemi - helfen, nützen 2 12 41 19 35 a ja le te ja Fach 22 Große Göttin, die Entschlüsse; lambano, le(p)tea - sich vornehmen Zeichen Nr.: 11 1 41 40 7 te le lo ti Fach 21 vollendende Zeichen Nr.: 12 teleios - vollkommen 2 12 32 23 38 a ja pe ka ra Fach 20 Große Göttin, allgewaltige pagkrates - allgewaltig – 29 – Zeichen Nr.: 13 39 11 ky nae Fach 19 mit Helm (Rüstung) Zeichen Nr.: 14 kynae - Helm 2 27 25 10 23 18 a ta na me ka la Fach 18 Athene, große Zeichen Nr.: 15 28 1 ry te Fach 17 und Beschützerin Zeichen Nr.: 16 ryther - Beschützer 2 12 31 26 a ja o ne Fach 16 Große Göttin und Gebieterin Ona - Ana - Herrscherin – 30 – Zeichen Nr.: 17 2 12 27 27 35 37 21 a ja ta ta ja phi ge Fach 15 Große Göttin, schnell enteilende Zeichen Nr.: 18 33 23 ly ka teino - in gestrecktem Lauf eilen Fach 14 leuchtende Zeichen Nr.: 19 2 12 31 26 a ja o ne Fach 13 s. Nr. 16 Große Göttin und Gebieterin Zeichen Nr.: 20 Ona - Ana - Herrscherin 2 27 25 10 23 18 a ta na me ka la Fach 12 Athene, große – 31 – Zeichen Nr.: 21 1 Fach 11 s. Nr. 15 Zeichen Nr.: 22 28 ry te und Beschützerin ryther - Beschützer 2 12 31 26 a ja o ne Fach 10 s. Nr. 16 Große Göttin und Gebieterin Zeichen Nr.: 23 2 12 27 14 32 18 27 a ja ta ro pe la ta Fach 9 Große Göttin - mit dem Stierschild Zeichen Nr.: 24 Ona - Ana - Herrscherin peltes - Schild 6 18 17 19 ma la fa te Fach 8 im Wollfellgewand, im leuchtenden mallos - Flocke, Wolle; phaino, phantos leuchten – 32 – Zeichen Nr.: 25 31 26 12 o ne ja Fach 7 s. Nr. 9 hilfreiche Zeichen Nr.: 26 oninemi - helfen, nützen 2 12 13 1 a ia me te Fach 6 Große Göttin - Mutter Zeichen Nr.: 27 23 19 35 ka te ia Fach 5 Beschützerin - Wegweisende; Zeus ktesios - Beschützer; kataseio - Zeichen geben Zeichen Nr.: 28 10 3 38 me ga la Fach 4 große (gewaltige, starke) – 33 – Zeichen Nr.: 29 2 12 27 27 35 37 21 a ja ta ta ja phi ge Fach 3 s. Nr. 17 Große Göttin, schnell enteilende Zeichen Nr.: 30 13 1 me te Fach 2 Mutter Zeichen Nr.: 31 10 3 38 me ga la Fach 1 große (gewaltige, starke) teino - in gestrecktem Lauf eilen – 34 – 19.7 Deutung der Zeichen auf Seite B Seite B Zählung nach "Scripta Minoa" Zeichen - Nr.: 2 12 22 40 7 a ia ge lo ti 1. Fach vom äußeren Rand Fach 30 Große Göttin, die uns erhört Zeichen - Nr.: 2 27 45 7 35 ta li di ja Fach 29 die jungfräuliche Zeichen - Nr.: 3 talis - Jungfrau 2 37 23 5 a phi ka no Fach 28 und zurückgekommene Zeichen - Nr.: 4 geloo - zulächeln, erhören aphikano zurückkommen 22 25 27 ge na ta Fach 27 geboren genaetes - erzeugt, geboren – 35 – Zeichen - Nr.: 5 33 20 20 12 ly ko di ja Fach 26 als leuchtende - (Zeus) Tochter; di - os - Zeus angehörig, Tochter Zeichen - Nr.: 6 23 18 43 si ka la sa sogar still sigaelos - still 13 1 39 33 me te ky ly Fach 25 Zeichen - Nr.: 7 16 Fach 24 von der Mutter empfangen Zeichen - Nr.: 8 kyeo - schwanger sein 15 7 13 1 18 an ti me te la Fach 23 statt aus der Mutter anti - an Stelle von – 36 – Zeichen - Nr.: 9 22 37 42 25 ge phi go na Fach 22 entronnen Zeichen - Nr.: 10 phyggano - pheugo - entrinnen 7 20 40 35 di ko lo ja Fach 21 durch die Axt (schwierig) Zeichen - Nr.: 11 tykos - Axt 2 26 36 40 a ne phe lo Fach 20 unverhüllt; Tana - kret. Zeus; krata - Haupt; anephelos - unverhüllt Zeichen - Nr.: 12 27 25 38 1 ta na ra te Fach 19 dem Zeushaupt – 37 – Zeichen - Nr.: 13 29 20 20 20 35 ni ko ko di ja Fach 18 sieghaft im Fellgewandni Zeichen - Nr.: 14 nikos/nikae - Siegesgöttin; kodion - weiches Fell 16 14 18 si ro la Fach 17 siros Höhle in der Höhle Zeichen - Nr.: 15 29 33 1 ni ly te Fach 16 bittet sie dringend Zeichen - Nr.: 16 litomai - dringend bitten 6 35 32 39 33 ma ja pe ky ly Fach 15 das eisbringende Mütterchen; maia - Mütterchen; paegylis - eisbkalt – 38 – Zeichen - Nr.: 17 2 9 27 1 a po ta te Fach 14 das ausdrücklich bestimmt (beauftragt, betraut) Zeichen - Nr.: 18 29 36 7 8 ni phe ti so Fach 13 auch für Schnee ist (auch des Schnees) Zeichen - Nr.: 19 29 8 13 ni so me Fach 12 zurückzukehren Zeichen - Nr.: 20 niphetos - Schnee nisomai - zurückkehren 29 45 7 ni li ti 22 29 36 7 8 ge ni phe ti so 23 25 Fach 11 sie soll dringend bitten Zeichen - Nr.: 21 Fach 10 auch für die Erde (um) Schnee Zeichen - Nr.: 27 34 – 39 – 22 Fach 9 ta se am geweihten Ort Zeichen - Nr.: 23 ka stasis - Standort; skana - geweihter Ort 7 18 35 ti la ia Fach 8 auf dem Gipfel Zeichen - Nr.: 24 na tylos - Buckel, Wulst 7 45 7 ti li ti 19 Fach 7 sie soll sogar noch dringender bitten Zeichen - Nr.: 25 7 23 18 20 di ka la ko Fach 6 doppelt starke chalkeos - stark – 40 – Zeichen - Nr.: 26 22 29 36 7 8 ge ni phe ti so Fach 5 Schneedecke auf für die Erde Zeichen - Nr.: 27 9 30 39 18 7 po i ky la ti Fach 4 schmücke Zeichen - Nr.: 28 poikillo - schmücken 2 6 35 23 7 a ma ja ka ti Fach 3 die ohne Mutter geborene Zeichen - Nr.: 29 29 34 23 25 ni se ka na Fach 2 am mit Opferduft erfüllten Ort; knisao - mit Opferduft erfüllen – 41 – Zeichen - Nr.: 30 45 7 li ti Fach 1 bitte – 42 – 20 Schlußbetrachtung Wenn die auf dem Diskus für die Muttergöttin genannte Herkunft, ihr Gewand, ihre Rüstung, wie ihre Eigenschaften in gleicher Form in der Ilias und Odyssee zu finden sind, ja sogar mit den dort vorhandenen ausführlicheren Angaben erklärt werden können, so kann daraus nur geschlossen werden, daß diese Göttin bereits vor dem trojanischen Krieg auch auf Kreta bekannt gewesen sein muß. Schon Homer65 hat einen Tempel der Athene in Troia erwähnt: „Hektor, du aber geh’ zur Stadt und melde geschwinde Deiner und meiner Mutter, sie soll die Matronen versammeln, Hoch auf der Burg bei dem Tempel der leuchtenden Göttin Athena.“ Daß diese Göttin später auch von den Griechen auf dem Festland übernommen wurde, geht aus ihrem Hymnus hervor, der auf dem Ostgiebel ihres Tempels auf der Akropolis angebracht war: „Pallas Athene besing ich zuerst, die erhabene Göttin: Hell ist ihr Auge und tief ihr Verstand, unbeugsam ihr Wille. Keusch ist die Maid, voll Stärke und Kraft, ihr Volk zu beschirmen. Tritogenaia, geboren von Zeus, dem allwissenden Vater, Aus dem erhobenen Haupt. Schon trug sie des Krieges Gewaffen, Gülden glänzte die Rüstung, daß all die unsterblichen Götter Ob dem Anblick erstaunten. Entsteigend dem göttlichen Haupte Sprang sie zu Boden und trat vor den Vater, den aigisbewehrten, Schüttelnd den spitzigen Speer. Da bebte der hohe Olympos Unter dem Schwunge der Hellgeäugten, und schauerlich dröhnte Rings der Boden der Erde. Des Weltmeers purpurne Fluten Brandeten auf. Dann plötzlich erstarb das Gewoge der Salzflut, Auch Hyperions strahlender Sohn hielt lange des Wagens Hurtige Pferde gebannt, bis von den unsterblichen Schultern Pallas Athene die Maid das göttlichschöne Gewaffen Abtat. Freudig schaute sie an der allwissende Vater.“ Wenn man die im Diskus angeführten Aufzeichnungen über die Göttin mit denen des Athenehymnus vergleicht, kann man nur feststellen, daß alle nicht nur in ähnlichen, sondern fast durchweg in den gleichen Ausdrucksformen wiederkehren. Das ist umso erstaunlicher, weil der Hymnus fast 1000 Jahre später abgefaßt wurde als die Beschreibung der Tonscheibe von Phaistos. Das dürfte auch als Beweis dafür gelten, daß mit der Entzifferung der ursprüngliche Sinn des Diskusinhaltes wiedergegeben ist, auch wenn das eine oder andere Fach noch eine Veränderung in der Deutung erfahren sollte; auf diese Möglichkeit wurde auf Seite A, Fach 27 bereits hingewiesen. 65 Ilias VI, 86 – 43 – 21 Schrifttum: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19. 20. 21. 22. 23. 24. Meyer, Eduard: Geschichte des Altertums Guanella, Hanni: Kreta, Reise- und Kunstführer, 4. Aufl. Zürich 1974 Bryans, Robin: Kreta, 3. Aufl. Passau 1975 Lehmann, Joh.: Die Hethiter v. Ranke - Graves: Griechische Mythologie Birket Smith, Kay: Geschichte der Kultur Diodor Münster, Thom.: Kreta hat andere Sterne Herodot Plato Kapelrud, Arvid S.: Die Ras-Schamra-Funde und das Alte Testament Dontas, Georg S.: Die Akropolis von Athen, in: Melas, Evi: Tempel und Stätten der Götter Griechenlands Gallas, Klaus: Kreta. Kunst aus 5 Jahrtausenden Matz, Friedr.: Kreta, Mykene und Troja Matz, Friedr.: Kreta und frühes Griechenland Mühlestein, H.: Die verhüllten Götter Kranz, Walt.: Griechentum Doblhofer, E.: Zeichen und Wunder, München 1964 Neuss, O. u. M.: Der Diskus von Phaistos, in: Kurz und Gut 1/75 S. 2-11 Parsw, H.: Göttlich aber war Kreta Schachermeyr, Fr.: Die ältesten Kulturen Griechenlands Tomas, Andrew: Das Geheimnis der Atlantiden Faure, Paul: Kreta, Stuttgart 1976 Behn, Prof. Dr. Friedr.: Kultur der Urzeit II 22 Anmerkungen des Herausgebers: Mein Onkel, Dr. agr. Karl Decker, geb. 1895, arbeitete nach seiner Pensionierung von 19741977 an der Entzifferung des Diskus. Nach Abschluß der Übersetzung der Seite B erkrankte er schwer und konnte sein Werk nicht mehr abschließen. Anläßlich eines Besuches in dieser Zeit erhielt ich Kostproben seiner Forschungsergebnisse und fand dieselben sehr plausibel und eindrucksvoll. „Siehe, es ist bestimmt die älteste Litanei.“, sagte er noch kurz vor seinem Tode zu seiner Tochter, Elisabeth Decker. Nach seinem Tode übergab mir daher seine Tochter die von ihr erstellte Textvorlage nebst zahlreichen handschriftlichen Unterlagen zur Bearbeitung. Die von mir vorgenommenen Ergänzungen (z. B. 19.1 und 2) habe ich nicht eigens gekennzeichnet, da diese auf seinen zahlreichen Notizen und einigen Gesprächen mit ihm beruhen und somit inhaltlich ihm zuzurechen sind. Das Ergebnis meiner Bemühungen liegt hiermit vor. Die für die Tabellen verwandten bildlichen Darstellungen sind den „Scripta Minoa entnommen. Eine sehr ausführliche Darstellung zum Diskus und dem Forschungsstand mit hervorragenden Abbildungen finden sich auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Diskos_von_Phaistos. Dieser Seite entstammen auch die Abbildungen auf der Titelseite. – 44 – 23 Inhaltsverzeichnis 1 Fundort und Fundstelle der Tonscheibe 2 2 Beschreibung des Diskus 2 3 Vermutungen über die Herkunft der Tonscheibe: 2 3.1 Die Bewohner Kretas und ihre Herkunft. 5 4 Meinungen über den Inhalt der Beschriftung 6 5 Wer waren die frühen Minoer? 7 6 Woher aber kamen diese frühen Siedler? 7 7 Das vor- und frühgeschichtliche Libyen 8 8 Muttergöttinnen als Sinnbild der Fruchtbarkeit 8 9 Woher kamen die Muttergottheiten nach Kreta? 9 10 Welche Namen von Muttergöttinnen sind uns bekannt? 9 11 Minerva stammte vom tritonischen See aus Libyen. 9 12 Die ausgeprägte Verehrung der Muttergottheiten im Jungsteinzeitalter 11 13 Die frühen Kultstätten 11 14 Ausstattung der Kultstätten 11 15 Vogelschau auf Kreta 12 16 Die Anrufung der Gottheit um ihr Erscheinen 12 17 Kultfeste in der Frühzeit 12 18 Die Entzifferung des Diskus 13 19 Die Lautwerte der Bildzeichen 15 Erwartungshorizont Inhalt einzelner Bildzeichen Erläuterungen zu den Bildzeichen 15 15 16 19.1 19.2 19.3 19.3.1 19.3.2 19.4 19.5 19.6 19.7 Seite A Seite B Akrophonische Deutung der Bildzeichen Darstellung der Zeichen im Silbenrost Deutung der Zeichen auf Seite A Deutung der Zeichen auf Seite B 16 17 19 24 26 34 20 Schlußbetrachtung 42 21 Schrifttum: 43 22 Anmerkungen des Herausgebers: 43 23 Inhaltsverzeichnis 44