Deutscher und Chinesischer Humor - E-LIB

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Deutscher und Chinesischer Humor - E-LIB
Deutscher und Chinesischer Humor
- eine kontrastive Studie zu deutschen und chinesischen
ethnischen und Familienwitzen
Dissertation
zur Erlangung der Doktorwürde
durch den
Promotionsausschuss Dr. Phil.
der Universität Bremen
genehmigte Dissertation
von
Peiling Cui
Bremen, den 26. August 2008
Für meine Familie
䘧ৃ䘧ˈ䴲ᐌ䘧˗ৡৃৡˈ䴲ᐌৡDŽ
- 㗕ᄤ lj䘧ᖋ㒣NJ
Der Sinn, der sich aussprechen lässt,
ist nicht der ewige Sinn.
Der Name, der sich nennen lässt,
ist nicht der ewige Name.
- Lao Tse, Tao Te King
(Das Buch vom Sinn und Leben.
Übersetzung von Richard Wilhelm)
2
Danksagung
Diese Arbeit entstand durch die Betreuung von Prof. Dr. Wolfgang Wildgen. Hiermit
möchte ich mich vor allem bei meinem Doktorvater für seine wissenschaftliche
Inspirierung, die fruchtbaren Diskussionen und die ausgezeichnete Betreuung bei der
Fertigung dieser Arbeit bedanken.
Mein besonderer Dank gilt auch Prof. Dr. John Bateman und Prof. Dr. Gudrun Spitta,
die jeweils wertvolle Vorschläge bzw. eine intensive sprachliche Korrektur zu dieser
Arbeit gemacht haben. Prof. Dr. Eva Schoenke schulde ich herzlichen Dank für ihre
ständige Unterstützung und die ergiebigen Diskussionen. Prof. Dr. Jinyang Zhu
möchte ich für seine Betreuung beim chinesischen Teil dieser Arbeit danken. Bei Dr.
Armin Hetzer bedanke ich mich herzlich für seine Teilnahme an meiner Disputation.
Außerdem möchte ich auch Prof. Dr. Salvatore Attardo, Prof. Dr. Christie Davies, Dr.
Christian F. Hempelmann und Dr. Jocelyn Chey danken, die mir entweder bei der
theoretischen Darstellung oder bei der empirischen Untersuchung wertvolle
Ratschläge gemacht haben.
Meinen Freunden in Deutschland und in China möchte ich für ihre Hilfe bei der
Zusammenstellung des Korpus danken. Sie sind Familie Daiminger, Birgit Jürgens,
Meike Hahne, Antje Wagenknecht, Magdalena Wojcieszyk-Kluge, Ingrid Röder,
Johannes Rosendahl, Yong Cheng, Yin Chen, Diandian Zhang und Ying Li.
Zuletzt möchte ich besonders meiner Familie danken, die mir ständig mit Liebe,
geistiger und finanzieller Unterstützung beigestanden hat. Ohne die Ermutigung
meiner Mutter (Hairui Li) hätte ich den Schritt nach Deutschland zur Promotion nicht
machen können. Ohne die Liebe und ständige Unterstützung meines Ehemanns
(Tiansi Dong) hätte ich die jahrelange Forschung nicht durchsetzen können. Ihnen
widme ich mit herzlichem Dank die vorliegende Arbeit.
Bremen, November 2008
3
4
Inhaltsverzeichnis
Danksagung ...................................................................................................................3
Inhaltsverzeichnis ..........................................................................................................5
Tabellen .........................................................................................................................9
Abbildungen ................................................................................................................11
1. Einleitung.................................................................................................................13
1.1 Motivation und Zielsetzung...............................................................................13
1.2 Theorie, Korpus und Methode...........................................................................15
1.3 Struktur ..............................................................................................................16
2. Zur Forschungsgeschichte über Witz als Phänomen im Westen bzw. in China ...17
2.1 Begriffsbegrenzungen........................................................................................18
2.1.1 Witz, Humor und Komik im Deutschen .....................................................18
2.1.2 ュ䆱(xiàohua), ᑑ咬(yumò) und ⒥】(huáj) im Chinesischen..............21
2.1.3 Vergleich der deutschen und der chinesischen Begriffe.............................25
2.2 Überblick über die Geschichte der Witzforschungen im Westen bzw. in China
.................................................................................................................................26
2.2.1 Die Geschichte der Forschungen über Witz und Humor im Westen..........26
2.2.2 Die Geschichte der Humorkultur in China .................................................34
2.2.3 Vergleich der Forschungsentwicklungen ...................................................39
2.3 Fazit ...................................................................................................................41
3. Das Wesen des Witzes.............................................................................................43
3.1 Die Abhängigkeit des Witzes ...........................................................................43
3.1.1 Die Abhängigkeit von den Menschen.........................................................43
3.1.2 Die Abhängigkeit von den Zeiten...............................................................46
3.1.3 Die Abhängigkeit von den Kulturen und den Sprachen .............................47
3.2 Die Gegensätzlichkeit des Witzes .....................................................................50
3.2.1 Die Erklärung des Begriffs Skript ..............................................................50
3.2.2 Der Grundgedanke der SSTH.....................................................................51
3.3 Fazit ...................................................................................................................58
4. Die Aspekte in der Witzanalyse ..............................................................................61
4.1 Die Generelle Theorie des Verbalen Humors – GTVH.....................................62
5
4.2 Die Zielscheibe ..................................................................................................66
4.2.1 Harmlose und tendenziöse Witze ...............................................................66
4.2.2 Die Zielscheibe in den ethnischen und den Familienwitzen ......................69
4.3 Die Eigenschaft der Zielscheibe ........................................................................70
4.3.1 Die Eigenschaft und das Skript 2 im Witz..................................................70
4.3.2 Die fünf grundlegenden Skriptoppositionen von Raskin............................71
4.3.3 Die Eigenschaft der Dummheit...................................................................72
4.3.4 Witze mit oder ohne Realitätsbezug ...........................................................73
4.4 Das Hintergrundwissen......................................................................................75
4.4.1 Sprachliches Wissen ...................................................................................75
4.4.2 Kulturelles Wissen......................................................................................79
4.4.3 Common Sense-Wissen ..............................................................................82
4.4.4 Kontextwissen ............................................................................................83
4.5 Die Situation ......................................................................................................85
4.6 Die Erzählform des Witzes................................................................................86
4.6.1 Die Struktur des Witzes ..............................................................................87
4.6.2 Die verschiedenen Formen des Witzes.......................................................90
4.7 Fazit ...................................................................................................................94
5. Ethnische Witze ......................................................................................................97
5.1 Die ethnischen Gruppen in Deutschland bzw. in China ....................................98
5.1.1 Vorstellung der ethnischen Gruppen in Deutschland .................................98
5.1.2 Vorstellung der ethnischen Gruppen in China..........................................101
5.2 Die wichtigen Forschungen über ethnische Witze ..........................................104
5.3 Die Korpusauswahl in diesem Kapitel ............................................................109
5.4 Die Zielscheiben und deren Eigenschaft in den ethnischen Witzen................110
5.4.1 Die Zielscheiben und deren Eigenschaften in den deutschen ethnischen
Witzen................................................................................................................110
5.4.2 Die Zielscheiben und deren Eigenschaften in den chinesischen ethnischen
Witzen................................................................................................................120
5.4.3 Vergleich...................................................................................................131
5.5 Das Hintergrundwissen zum Verstehen der ethnischen Witze........................133
5.5.1 Hintergrundwissen zum Verstehen der deutschen ethnischen Witze .......134
5.5.2 Hintergrundwissen zum Verstehen der chinesischen ethnischen Witze...135
5.5.3 Vergleich...................................................................................................136
6
5.6 Die Situationen in den ethnischen Witzen.......................................................137
5.6.1 Die Situationen in den deutschen ethnischen Witzen...............................137
5.6.2 Die Situationen in den chinesischen ethnischen Witzen ..........................139
5.6.3 Vergleich...................................................................................................142
5.7 Die Erzählformen in den ethnischen Witzen ...................................................143
5.7.1 Die Erzählform in den deutschen ethnischen Witzen...............................145
5.7.2 Die Erzählform in den chinesischen ethnischen Witzen ..........................146
5.7.3 Vergleich...................................................................................................146
5.8 Fazit .................................................................................................................147
6. Familienwitze ........................................................................................................149
6.1 Familienstruktur und Familienwerte in China bzw. in Deutschland ...............150
6.1.1 Die Relevanz der Familie in China...........................................................150
6.1.2 Die abnehmende Sehnsucht nach der Familie in Deutschland.................152
6.1.3 Vergleich der chinesischen und der deutschen Familienstrukturen .........154
6.2 Korpusauswahl in diesem Kapitel ...................................................................155
6.3 Die Zielscheiben ..............................................................................................157
6.3.1 Überblick über die Zielscheiben in den Familienwitzen ..........................157
6.3.2
Zielscheiben in den deutschen Familienwitzen .................................157
6.3.3 Zielscheiben in den chinesischen Familienwitzen....................................159
6.3.4 Vergleich...................................................................................................161
6.4 Die Eigenschaften der Zielscheiben ................................................................161
6.4.1 Eigenschaften der Zielscheiben in den deutschen Familienwitzen ..........161
6.4.2 Eigenschaften der Zielscheiben in den chinesischen Familienwitzen......166
6.4.3 Vergleich...................................................................................................175
6.5 Das Hintergrundwissen zum Verstehen der Familienwitze.............................176
6.5.1 Hintergrundwissen zum Verstehen der deutschen Familienwitze............177
6.5.3 Vergleich...................................................................................................179
6.6 Die Situationen ................................................................................................180
6.6.1 Situationen in den deutschen Familienwitzen ..........................................180
6.6.2 Situationen in den chinesischen Familienwitzen......................................182
6.6.3 Vergleich...................................................................................................184
6.7 Die Erzählformen.............................................................................................186
6.7.1 Erzählformen in den deutschen Familienwitzen ......................................187
6.7.2 Erzählformen in den chinesischen Familienwitzen ..................................188
7
6.7.3 Vergleich...................................................................................................189
6.8 Fazit .................................................................................................................189
7. Zusammenfassung und Ausblick...........................................................................191
7.1 Zusammenfassung des Untersuchungsergebnisses .........................................191
7.2 Witz als Unterhaltungstext ..............................................................................192
7.3 Witz und Metapher ..........................................................................................195
8. Literatur .................................................................................................................201
8
Tabellen
Tabelle 1:
Die Zahl der Verfasser/Herausgeber der Witzsammlungen in den
chinesischen Dynastien
37
Tabelle 2:
Aufschwungsphasen der Humorkultur im Westen bzw. in China
40
Tabelle 3:
Zielscheiben und deren Eigenschaften in den deutschen ethnischen
Witzen
110-111
Tabelle 4:
Skripte und deren Anteile in den deutschen ethnischen Witzen
Tabelle 5:
Zielscheiben und deren Eigenschaften in den chinesischen ethnischen
Witzen
119
120
Tabelle 6:
Skripte und deren Anteile in den chinesischen ethnischen Witzen 130
Tabelle 7:
Hintergrundwissen zum Verstehen der deutschen ethnischen Witze
134-135
Tabelle 8:
Hintergrundwissen zum Verstehen der chinesischen ethnischen Witze
135
Tabelle 9:
Die fünf relevantesten Situationen in den deutschen ethnischen Witzen
137
Tabelle 10:
Die fünf relevantesten Situationen in den chinesischen ethnischen
Witzen
140
Tabelle 11:
Erzählformen der deutschen ethnischen Witze
145
Tabelle 12:
Erzählformen der chinesischen ethnischen Witze
146
Tabelle 13:
Zielscheiben in den deutschen Familienwitzen
158
Tabelle 14:
Zielscheiben in den chinesischen Familienwitzen
Tabelle 15:
Eigenschaften der Zielscheiben in den deutschen Familienwitzen 162
Tabelle 16:
Eigenschaften der Zielscheiben in den chinesischen Familienwitzen
159-160
167
9
Tabelle 17:
Hintergrundwissen für das Verstehen der deutschen Familienwitze
178
Tabelle 18:
Hintergrundwissen für das Verstehen der chinesischen Familienwitze
178
Tabelle 19:
Die fünf relevantesten Situationen in den deutschen Familienwitzen
180-181
Tabelle 20:
Die fünf relevantesten Situationen in den chinesischen Familienwitzen
183
Tabelle 21:
Erzählformen der deutschen Familienwitze
187
Tabelle 22:
Erzählformen der chinesischen Familienwitze
188
10
Abbildungen
Abbildung 1: Landkarte von Deutschland
99
Abbildung 2: Landkarte von China
102
Abbildung 3: Standard-Darstellung des Blending
197
Abbildung 4: Darstellung des Witzes (11, Kapitel 3) anhand der Blending-Theorie
198
11
12
1. Einleitung
1.1 Motivation und Zielsetzung
Als Germanistikstudentin mit dem Chinesischen als Muttersprache hatte ich die
Möglichkeit, gleichzeitig zwei Sprachen und die damit verbundenen Denk- und
Verhaltensweisen, die sich in vieler Hinsicht voneinander unterscheiden, kennen zu
lernen. Dabei ist mir als ein interessantes Phänomen aufgefallen, dass Menschen mit
verschiedenen Sprach- und Kulturhintergründen häufig über unterschiedliche Witze,
Figuren oder Gegenstände lachen. Ein Souvenir aus Mallorca fand ich z.B. nicht so
witzig wie der deutsche Freund, nur weil eine Dschunke in dem Bild dargestellt war.
Erst später ist es mir klar geworden, dass die Dschunke für ein typisches chinesisches
Segelschiff steht, was vielen Chinesen aber nicht bekannt ist. Ein ehemaliger
deutscher Lehrer von uns entdeckte immer Wortpaare im Chinesischen, die bei
ähnlicher Aussprache ganz verschiedene Bedeutungen haben, z.B. ㄨ䕽 (dábiàn1, eine
Arbeit mündlich verteidigen) vs. ໻֓ (dàbiàn, Stuhlgang haben), oder 㒗д⫳ᄫ
(liànxí shngzì, neue Vokabeln üben) vs. 㒗 д ⫳ ᄤ
(liànxí shngz, üben,
Söhne/Kinder zu kriegen).
Andererseits gibt es auch Fälle, bei denen die Chinesen etwas lustig finden, was den
Deutschen aber ganz normal scheint. Wir hatten z.B. einen netten und intelligenten
Gastprofessor, der wegen des Alters kaum Haare auf dem Kopf hatte. Er heißt aber
„Schönhaar“. Über diesen Namen mussten viele chinesische Studenten lachen, als der
Professor sich bei der ersten Seminarsitzung vorgestellt hatte. Ein Erlebnis, das ich
bis heute nicht vergessen kann, hat mit einer alten chinesischen Geschichte zu tun.
Sie handelt von einem faulen Mann, der einmal zufällig einen Hasen gesehen hat, als
dieser aus einem Wald neben dem Feld des Mannes gesprungen war und sich dann
auf einem Baumstamm zu Tode stürzte. Der Mann war sehr glücklich, weil er
umsonst etwas zu Essen bekommen hatte. Von da an wartet er jeden Tag an
1
Die Aussprache der chinesischen Schriftzeichen wird durch die Pinyin-Umschrift dargestellt, die auf
dem lateinischen Alphabet basiert und seit 1957 in der VR China benutzt wird. Das Hochchinesische
ist eine Tonsprache, d. h. jede Silbe wird in einer bestimmten Stimmlage, einem so genannten Ton
gesprochen. Es sind insgesamt fünf Töne zu unterscheiden: Der erste Ton wird durch ein Makron (),
der 2. Ton durch einen Akut (á), der 3. Ton durch ein Hatschek () und der 4. Ton durch einen Gravis
(à) dargestellt. Der leichte Ton wird meistens nicht markiert. In dieser Arbeit wird für alle chinesischen
Schriftzeichen außer den Eigennamen für Orte und Personen ihre Pinyin-Umschrift mit Tönen
angegeben.
13
demselben Ort auf weitere Hasen, statt in seinem Feld zu arbeiten. Als ich meinen
deutschen Bekannten diese Geschichte erzählt habe, fingen sie mit einer heißen
Diskussion über die Erlaubnis zum Hasenessen an, statt sich über die Geschichte zu
amüsieren.
Lachen ist ein universales menschliches Verhalten, genau wie Sprechen, Laufen oder
Weinen. Aber über welche Sachen wir lachen, kennt kulturelle Grenzen oder auch
individuelle Grenzen, denn jeder lacht auf Grund seiner eigenen Kenntnisse oder
Lebenserfahrungen. Goethe schrieb in den „Wahlverwandtschaften“: „Durch nichts
bezeichnen die Menschen mehr ihren Charakter als durch das, was sie lächerlich
finden“ (zitiert nach Lentz et al. 2001: 126). Da die Individuen ihre
Lebenserfahrungen aber auch in einer gemeinsamen Gesellschaft oder Kultur machen,
gibt es neben einem universell gültigen individuellen Lachen gleichzeitig auch
kulturspezifisches Lachen (vgl. ein Interview von W. Fry in der Zeitschrift
„Psychologie Heute“, Heft 190/20052). In gewissem Sinne kann man aus den Witzen
in einer Gesellschaft Erkenntnisse über die entsprechende Kultur oder die Mentalität
der Menschen gewinnen. Der Witz stellt ein wichtiges konzeptuelles und
methodologisches Instrument für die Beförderung der Kulturkenntnisse dar (vgl. Apte
1985: 16).
In der vorliegenden Arbeit wird eine Vergleichsstudie zu deutschen und chinesischen
Witzen durchgeführt, und zwar am Beispiel der ethnischen und der Familienwitze. Zu
der ersten Kategorie gehören die Witze, in denen eine spezielle (oft negative)
Eigenschaft der Menschen aus einer Region dargestellt wird (vgl. Davies 1990: 1),
z.B. die Ostfriesenwitze im Deutschen oder die Schottenwitze im Englischen. Die
Familienwitze beschäftigen sich vor allem mit speziellen Eigenschaften der
Familienmitglieder
oder
den
Beziehungen
zwischen
ihnen
in
familiärem
Zusammenhang, z.B. Witze über die Schwiegermutter oder über die Beziehung
zwischen Vater und Sohn.
In dieser Arbeit wird zuerst versucht, die Frage zu beantworten, warum Witze aus
einer anderen Kultur nicht witzig oder verständlich sind. Danach werden
Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen deutschen und chinesischen Witzen
herausgearbeitet, damit die Leser Einsichten in die Humorkultur der beiden Länder
2
Psychologie Heute Compact: Lebensfreude - 7 Strategien der Lebenskunst. Weinheim: Beltz Verlag.
14
bekommen und Missverständnisse in der Kommunikation zwischen Deutschen und
Chinesen in gewisser Hinsicht vermieden werden können.
1.2 Theorie, Korpus und Methode
Die Untersuchung wird auf Grund der Semantischen Skript Theorie über Humor –
SSTH (Raskin 1985) und deren Erweiterung der Generellen Theorie des Verbalen
Humors – GTVH (Attardo/Raskin 1991) durchgeführt. Nach dem Hauptgedanken der
SSTH lässt sich ein Witztext auf zwei verschiedene Weisen interpretieren, die im
Zusammenhang mit der Witzanalyse auch als zwei Skripten bezeichnet werden. Das
eine Skript entspricht der Erwartung des Lesers/Hörers von der Geschichte im
Witztext, während das andere Skript auf das reale Geschehen verweist, das der
Witztext am Ende dem Leser/Hörer zeigt. Nach der SSTH sind die beiden Skripte
einerseits miteinander verbunden, andererseits stehen sie in Opposition zueinander. In
der GTVH werden zusätzlich neben der Skriptopposition fünf weitere Faktoren
eingeführt, die zur Beschreibung eines Witztextes beitragen3. In dieser Arbeit werden
vier Faktoren aus der GTVH für die Witzanalyse gewählt: Die Zielscheibe, die
Skriptopposition, die Situation und die Erzählform. Als Zielscheibe werden die
Personen bezeichnet, die im Witz präsentiert und verlacht werden. Mit der
Skriptopposition werden die Eigenschaften, die den Zielscheiben im Witz
zugeschrieben werden, analysiert. Die Situation bezieht sich vor allem auf die
Aktivitäten, den Ort oder andere Rahmenbedingungen, die im Witz dargestellt
werden. Als Erzählform gilt die Gattung, in der der Witzinhalt ausgedrückt wird.
Neben diesen vier Aspekten wird noch ein anderer Parameter, das Hintergrundwissen
des Lesers/Hörers eingeführt. (Darunter versteht man die verschiedenen Wissensarten,
die der Leser/Hörer beim Bilden seiner Erwartung von dem Witzgeschehen benutzt
hat.)
Das Korpus besteht aus ungefähr 1200 ethnischen und Familienwitzen, die vier
Webseiten und zwei neu veröffentlichten Witzbüchern4 jeweils im Deutschen bzw.
im Chinesischen entnommen wurden. Die Entscheidung für aktuelle Witze liegt an
3
Eine genaue Erläuterung der beiden theoretischen Ansätze siehe Kapitel 3 und 4.
Die vier chinesischen Webseiten für Witz und Humor sind: http://joke.tom.com,
http://www.sunvv.com, http://www.haha365.com und http://www.jokescn.com. Die beiden
chinesischen Witzbücher sind jeweils im Jahre 2002 bzw. 2003 erschienen.
Die vier deutschen Webseiten sind: http://www.witz-des-tages.de, http://www.dein-witz.de,
http://www.witzdestages.net und http://www.witzcharts.de. Die beiden Witzbücher wurden 2003 bzw.
2005 veröffentlicht.
4
15
deren enger Verbundenheit mit der Zeit. Als ein kulturelles und soziales Phänomen
bezieht sich Witz meistens auf die aktuellen Ereignisse oder Themen in einer
Gesellschaft. Deshalb ist es nötig, die neu erschienenen Witze zu untersuchen, wenn
man die chinesische und die deutsche Gesellschaft bzw. Kultur in der Gegenwart
kennen lernen will. Bei der Zusammenstellung des Korpus wurde auch eine Umfrage
unter 20 Deutschen und 20 Chinesen durchgeführt. Dabei sollte jede/jeder Befragte
zumindest drei Witze, die sie/er gut kannte, aufschreiben. Es stellte sich heraus, dass
die meisten Teilnehmer weniger als drei Witze kannten. Außerdem sind alle von
ihnen beigetragenen Witze identisch mit denen, die aus dem Internet ausgewählt
worden waren. Aus diesem Grund wurden die Beispiele nur den Webseiten und den
neueren Witzbüchern entnommen.
Die Forschung selbst wird nach der induktiven Methode durchgeführt. Dabei werden
alle gesammelten Witze nach den oben genannten fünf Aspekten analysiert. Die
Ergebnisse werden gemäß den verschiedenen Faktoren zusammengestellt, diskutiert
und zwischen den beiden Sprachen verglichen.
1.3 Struktur
Diese Arbeit besteht aus sieben Kapiteln. Kapitel 1 gilt als Einleitung und gibt einen
Überblick über die gesamte Arbeit. In Kapitel 2 werden zuerst die Grundbegriffe im
Chinesischen bzw. im Deutschen, die mit dem Phänomen Witz zusammenhängen,
erläutert. Anschließend werden die Geschichte und der aktuelle Stand der
Witzforschungen in Deutschland und in China vorgestellt. Kapitel 3 befasst sich mit
der Analyse der grundlegenden Eigenschaften des Witzes – Abhängigkeit von den
Menschen, Zeiten und Kulturen bzw. Gegensätzlichkeit zwischen den Erwartungen
des Lesers/Hörers auf der einen Seite und dem realen Geschehen im Witz auf der
anderen Seite. In Kapitel 4 werden die verschiedenen Faktoren, die auf die Analyse
und den Vergleich der Witze angewendet werden, ausführlich dargelegt. Kapitel 5
und 6 stellen die empirischen Teile dieser Arbeit dar, die sich mit der konkreten
Analyse der ethnischen und der Familienwitze bzw. dem Vergleich zwischen dem
Deutschen und dem Chinesischen beschäftigen. Im letzten Kapitel werden die
Untersuchungs- und Vergleichsergebnisse zusammengefasst. Außerdem wird ein
Ausblick auf die zukünftigen Forschungen in diesem Bereich gegeben.
16
2. Zur Forschungsgeschichte über Witz als Phänomen im
Westen bzw. in China
Humor ist, wenn man trotzdem lacht.
- Otto Julius Bierbaum
Im Deutschen denkt man bei dem Begriff Witz vor allem an die kurzen Geschichten
oder Dialoge, die zum Lachen reizen (Duden 1999), Z.B. in (1):
(1)
Er kann gut Witze erzählen.
Neben dieser Bedeutung lässt sich der Witz auch als eine Fähigkeit verstehen,
Lustiges treffend zu erzählen oder sich schlagfertig und geistreich zu äußern
(Brockhaus 1984, Duden 1999), wie in (2):
(2)
Er hat viel Witz.
Diese Unterscheidung geht auf die Geschichte des Wortes Witz zurück, das seinen
Ursprung in dem indogermanischen vid, dem griechischen bzw. dem lateinischen
videre hat (Blasius 2003: 3). Im Mittelalter hieß diu wizze soviel wie Denkkraft,
Klugheit, gesunder Menschenverstand, wobei mehr an eine erworbene als an eine
angeborene Eigenschaft gedacht ist. Ende des 17. Jahrhunderts verengte sich die
Bedeutung unter dem Einfluss des Französischen und meinte etwa dasselbe wie das
noch heute geläufige Fremdwort Esprit; witzig hieß soviel wie geistreich und
bezeichnete besonders die geschwinde Gedankenverbindung, die intellektuelle
Kombination, die geistige Beweglichkeit, die Leichtigkeit des Beziehens und
Assoziierens. Erst mit dem 19. Jahrhundert wurde es üblich, das Wort in erster Linie
auf die Produkte witziger Äußerungen zu beziehen und in diesem Sinne von einem
Witz zu sprechen (Preisendanz 1970: 7-8).
Die chinesische Entsprechung für Witz ist ュ䆱(xiàohua). ュ(xiào) bedeutet lachen,
während 䆱 (hua) für Wort steht. Deshalb versteht man unter ュ䆱 (xiàohua) direkt
„Wort zum Lachen“. Im Lexikon lässt sich dieser Begriff in den folgenden zwei
Möglichkeiten erläutern: 1. Kurze Dialoge oder Geschichten, die zum Lachen reizen.
2. Verlachen (LMC5 2002). Man kann sehen, dass die erste Bedeutung des Begriffs ュ
䆱 (xiàohua) mit dem Witz im Deutschen als „sprachlichem Gebilde“ identisch ist,
5
Abkürzung für das Lexikon des Modernen Chinesischen, 2002. Beijing: Shangwu Verlag.
17
während die andere Interpretation vom Witz als „Schlagfertigkeit“ bei dem
chinesischen ュ䆱 (xiàohua) keine Entsprechung findet. Letzteres konzentriert sich
mehr auf die soziale Funktion, das Lachen. Das chinesische Wort für Lachen - ュ
(xiào) erscheint in den Titeln von mehreren Witzsammlungen, z.B. ュᵫ6(Xiào Lín,
Das
Lachwäldchen) aus dem dritten Jahrhundert,
ュ ᑰ (Xiào
F,
Die
Lachschatzkammer) und ᑓュᑰ(Gung Xiào F, Die Große Lachschatzkammer) aus
dem 16. Jahrhundert.
In diesem Kapitel werden zuerst die Begriffe, die mit Witz oder ュ 䆱 (xiàohua)
zusammenhängen, erläutert und ihr Vorkommen in den beiden Sprachen Deutsch und
Chinesisch verglichen, dann wird ein Überblick über die Geschichte der Forschungen
zum Witz oder ュ䆱(xiàohua) im Westen bzw. in China gegeben.
2.1 Begriffsbegrenzungen
2.1.1 Witz, Humor und Komik im Deutschen
Wie oben erläutert, gilt der Witz im Deutschen entweder als ein sprachliches Gebilde,
das zum Lachen reizt, oder als eine Fähigkeit, sich geistreich und lustig zu äußern.
Diese Fähigkeit bezeichnet Jean Paul auch als ästhetischen Witz, d.h., spontan “das
Verhältnis der Ähnlichkeit unter größerer Ungleichheit versteckt” zu finden (Marfurt
1977: 2). Diesen Gedanken hat er auch mit einer Metapher ausgedrückt: „Der Witz ist
der verkleidete Priester, der jedes Paar traut.“ Theodor Fischer fügt die Fortsetzung
an: „Er traut die Paare am liebsten, deren Verbindung die Verwandten nicht dulden
wollen“ (Freud 1905: 7-8).
André Jolles begreift den Witz als „einfache Form“, als literarische Gattung im
weitesten Sinn. Bestimmungsmerkmal des Witzes ist, „dass in der Form Witz, wo
immer wir sie finden, etwas gelöst wird, dass der Witz irgendein Gebundenes
entbindet“, womit die Aufhebung eines erwarteten Zusammenhangs gemeint ist
(Jolles 1930; 1968: 248). Bemerkenswert an dieser Darstellung ist, dass trotz der rein
“morphologischen” Bestimmung der Gattung Witz das dynamische Moment seiner
Wirkungsweise in der Definition erhalten bleibt (Jolles 1930; 1968: 252). Hier wird
6
ュᵫ(Xiào Lín) ist die erste Witzsammlung in der chinesischen Geschichte. Sie wurde im dritten
Jahrhundert von dem Literaten Handan Chun aus dem Wei-Königreich herausgegeben. Obwohl nur 20
Witze in diesem Buch zusammengestellt wurden, zählt xiào lín zu den wichtigsten Werken in der
ganzen Geschichte der chinesischen Humorkultur (Hu 1987: 14).
18
in den Text verlegt, was bei den früheren Autoren noch vor allem als Leistung der
ästhetischen Vorstellungsart begriffen wurde (Marfurt 1977: 4).
Ein Begriff, der häufig mit dem Witz zusammen vorkommt, ist der des Humors.
Humor wurde ursprünglich aus dem lateinischen Wort hmor entlehnt, das eigentlich
„Feuchtigkeit“ bedeutet. In der mittelalterlichen Medizin umfasst hmor auch die
„Körpersäfte“, deren Mischung die Temperamente (cholerisch, phlegmatisch,
sanguinisch und melancholisch) bewirkt. Deshalb bedeutet hmor auch „Laune,
Stimmung“. Im Englischen wird das Wort (eigentlich good humor „gute
Säftemischung“) zur Bezeichnung für ein bestimmtes, Heiterkeit und gute Laune
ausstrahlendes Temperament benützt. Es liegt also eine Bedeutungsspezialisierung
vor, die im 18. Jahrhundert auch ins Deutsche übernommen wurde (Kluge 2002: 426).
Heute wird Humor im Deutschen vor allem als „Gabe eines Menschen, der
Unzulänglichkeit der Welt und der Menschen, den Schwierigkeiten und
Missgeschicken des Alltags mit heiterer Gelassenheit zu begegnen“ bezeichnet
(Duden 1999). „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“ (Otto Julius Bierbaum). Humor
ist einerseits eine angeborene Fähigkeit der Menschen – jedes Baby lächelt und in
jeder Interaktion spielender Kinder ist das Lachen wesentliches Element. Andererseits
kann man auf Grund von Lebenserfahrungen seinen eigenen Sinn für Humor
entwickeln. Das Lernen von Humor ist nicht wie das Beherrschen einer
mathematischen Formel oder der Vokabeln einer Fremdsprache, sondern immer eine
kreative, tiefsinnige Erfahrung (vgl. ein Interview von Fry in der Zeitschrift
„Psychologie Heute“, Heft 190/2005).
Neben dem Humor gibt es noch einen anderen Begriff, der ebenfalls eng mit dem
Witz zusammenhängt, die Komik. Mit Komik wird die Wirkung einer Situation, einer
Person oder einer sprachlichen Äußerung betont, die zum Lachen reizt (Duden 1999,
Metzler 2001). Bei der Analyse komischer Effekte wird zwischen mehreren Ebenen
unterschieden: entweder dual (Wort- vs. Sachwitz) oder triadisch (Sprach-, Figurenund Situations- bzw. Handlungskomik). Linguistische Untersuchungen von
Sprachkomik konzentrieren sich auf die Funktionsweise komischer Textsorten (z.B.
Witz) oder auf potentiell komisch wirkende Stilmittel (z.B. Wortspiel, Schüttelreim).
Nash (1985) betont, dass es keine sprachlichen Merkmale gibt, die komikspezifisch
sind. Was scheinbar intrinsisch komisch ist, habe nur durch seine häufige
Verwendung in komischen Kontexten eine entsprechende Färbung angenommen.
Figurenkomik entsteht auf der Basis der besonderen Physiognomie oder der
19
Charaktereigenschaften einer meist auf wenige Merkmale reduzierten Figur, die
durch Aussehen oder Verhalten von der Norm abweicht und mit der sich der
Rezipient nicht identifizieren darf (vgl. Bergson 1988, Stierle 1975). Bei der
Handlungs- und Situationskomik wird das Individuum von außen dominiert. Diese
Form der Fremdbestimmtheit, die dem Subjekt im Moment des Handelns nicht
bewusst ist, zieht das Scheitern der Handlung nach sich, deren Ergebnis nun das
Gegenteil der ursprünglichen Handlungsabsicht des Individuums darstellt (Metzler
2001: 317-318).
Wenn man die Erläuterung der oben genannten drei Begriffe Witz, Humor und
Komik vergleicht, kann man sehen, dass im Deutschen mit dem Humor vor allem die
menschliche Gabe gemeint wird, Schwierigkeiten und Unzulänglichkeiten mit
Gelassenheit zu begegnen. Der Witz gilt als eine der verschiedenen Formen, die den
Humor
darstellen,
während
die
Komik
sich
auf
die
Wirkung
dieser
Darstellungsformen bezieht. Gernhardt bezeichnet Humor als eine Haltung, als eine
Einstellung, während Komik das Resultat einer Handlung darstellt: „Humor hat man
– oder auch nicht, Komik macht man oder entdeckt man.“ (Gernhardt 1996: 11, zitiert
nach Lambernd 1998: 26).
Zu den Darstellungsformen des Humors gehören neben dem Witz auch noch weitere
typische Möglichkeiten, z.B. Karikatur als Bild, Kabarett als Bühnenkunst und
Karneval (oder Fasching) als lustige Veranstaltung.
Karikaturen sind Bilder, die die Wirklichkeit aus kritischem Blickwinkel erschließen.
Die übertreiben, verzerren, blasen ihre Wahrheit auf. Von daher haben sie nicht eine
unmittelbare Erkenntnisfunktion. Sie verdeutlichen bestimmte Aspekte, bringen aber
kein ausgewogenes Bild des „Ganzen“. Man mag sie aus diesem Grund als ungerecht
empfinden, überzogen in ihrer Kritik. Aber das ist gerade ihr Merkmal, ihre Eigenart,
ihre Wirkung: Karikaturen sind wie Säuren, die erweisen, was widerstandsfähige,
erhärtete Gewissheiten und Überzeugungen sind und was nur so tut (vgl. Fritz 1980:
6)
Kabarett ist die Kleinkunst in Form von Sketchen und Chansons, die in parodistischer
und witziger Weise politische Zustände oder aktuelle Ereignisse kritisieren (Duden
1999). Anfang der 1880er Jahre wurde in Paris das erste Kabarett eröffnet. Erst 20
Jahre später gründete Ernst von Wolzogen mit „Überbrettl“ das erste deutsche
Kabarett, das später nur noch „Buntes Theater“ genannt wurde. In der ersten Hälfte
des 20. Jahrhunderts erlebte das deutsche Kabarett einen ersten Aufschwung mit dem
20
Hauptvertreter Otto Reuter. Der zweite Boom kam erst in den 1970er Jahren, als sich
neue Formen des Kabaretts entwickelten, wie Dieter Hildebrandts kabarettistische
TV-Sendung „Notizen aus der Provinz“ und ab 1977 das Szenekabarett „Die 3
Tornados“. In den 1990er Jahren sorgten aber der Comedy-Boom, das
Privatfernsehen und die damit verbundene Prioritätensetzung der öffentlichrechtlichen Anstalten und ein geringer werdendes Interesse des Publikums für einen
Rückgang von Kabarettprogrammen (Wikipedia).
Als Karneval, Fasching oder Fas(t)nacht bezeichnet man traditionell die Zeit der
Ausgelassenheit, Fröhlichkeit und überschäumenden Lebensfreude vor Beginn der
österlichen Fastenzeit (Passionszeit). Das Wort Karneval bezieht man in Deutschland
in erster Linie auf den rheinischen Karneval (Kölner, Düsseldorfer oder Koblenzer
Karneval). Als Beginn der Fastnachtszeit galt bzw. gilt in den deutschsprachigen
Ländern traditionell der Dreikönigstag (der 1. Januar). In der jüngeren Vergangenheit
hat sich indes teilweise eine Vorverlegung auf den 11. November, 11:11 Uhr,
eingebürgert. Beim Karneval zieht man bunte Kleider an, trägt übertreibende Masken
und macht Umzüge auf der Straße. Früher wollte man damit den Winter vertreiben.
Die bösen Geister, die Wachstum und Ernte bedrohen, sollten verscheucht werden.
Und die guten Geister, die den Frühling bringen, sollten geweckt werden. Heute
glauben nicht mehr viele Menschen daran. Der Höhepunkt des Karnevals ist der
Rosenmontag (48 Tage vor dem Osterdatum). Viele Stunden lang gehen die Festzüge
mit bunten Wagen und verkleideten Menschen durch die Stadt. Ende des Karnevals
ist der Aschermittwoch (46 Tage vor dem Ostersonntag) (vgl. Wikipedia).
2.1.2 ュ䆱(xiàohua), ᑑ咬(yumò) und ⒥】(huáj) im Chinesischen
Als eine Art Volksgeschichte zählt ュ䆱(xiàohua) ursprünglich zu den literarischen
Formen in der chinesischen Antike (Duan 1991). Zusammen mit den Parabeln aus der
Prä-Qin-Zeit (bis 221 v. Chr.), den komischen Theaterstücken (⒥】៣, huájxì) und
Sprüchesammlungen (⏙㿔䲚, qngyánjí) gehört ュ䆱(xiàohua) zu den vier originalen
Formen des chinesischen Humors (Chen 1985, zitiert nach Liao 2001: 30). Der
ursprüngliche Begriff für ュ 䆱 (xiàohua) hieß ‫ ׇ‬䇈 (páishu), was „Worte zum
Unterhalten und Verlachen“ bedeutet. Anders als Witz im Deutschen, der von der
Geschichte her neben der sprachlichen Form auch Schlagfertigkeit und Intelligenz
bedeutet, wurden ュ䆱(xiàohua) / ‫ׇ‬䇈(páishu), die nur zum Lachen reizten, im alten
21
China von den Intellektuellen als oberflächlich und vulgär betrachtet, es sei denn,
wenn mit dem ュ 䆱 (xiàohua) eine moralische Lehre geliefert oder ein von der
Gesellschaft nicht akzeptiertes Verhalten verspottet wird (vgl. Liu Xie, Das Herz der
Literatur und das Schnitzen des Drachens, Kapitel 15). Das könnte eine der Ursachen
dafür sein, dass der Sinn für Humor in der chinesischen Gesellschaft weniger beliebt
als im Westen (inkl. Deutschland) ist (Yue 2006).
Im modernen Chinesischen heißt das Wort für Humor ᑑ咬(yumò), das zuerst in den
1920er Jahren von dem Linguisten Lin Yutang als eine lautliche Übersetzung für das
englische humour verwendet wurde. Das Wort ᑑ咬(yumò) gibt es aber schon lange
in der chinesischen Sprache. Es stammt aus dem klassischen literarischen Werk Ἦ䕲
(Chcí) und bedeutet ursprünglich Stille, Ruhe7. Lins Vorschlag geht einerseits auf
die ähnliche Aussprache von yumò und humour zurück, andererseits meinte er, dass
der beste chinesische Humor ein verstehendes Lächeln statt eines lauten Lachens sei ...
Je versteckter und ruhiger der Humor ist, desto besser (vgl. Lin 1924). Heute wird ᑑ
咬 (yumò) vor allem erläutert als: 1. interessant, witzig und bedeutungsvoll; 2. Gabe,
durch Übertragung, Satire, Doppelsinn und andere Stilmittel die widersprüchlichen
und irrationalen Erscheinungen im Leben zu entdecken und diesen mit einem gut
gemeinten Lächeln entgegenzukommen (LMC 2002). Die zweite Interpretation ist
ähnlich wie die des deutschen Wortes Humor.
Der ursprüngliche chinesische Begriff für Humor ist ⒥】(huáj) (Yue 2006, zitiert
nach Kao 1974: Ҏ ). ⒥ (huá) steht für „verwechseln“, während 】 (j)
„Gleichheit“
bedeutet
(Qian
1979:
316,
zitiert
nach
Zheng
1994:
86).
Zusammengesetzt heißt huáj „die Gleichheit (mit dem Unterschied) zu verwechseln“,
was ähnlich wie die Definition des ästhetischen Witzes von Jean Paul ist. Im
modernen Chinesischen betont ⒥】 (huáj) aber eher die komische Wirkung einer
Handlung oder einer sprachlichen Äußerung. Außerdem versteht man darunter auch
eine Art Komödie, die besonders in Shanghai und dessen Umgebung bekannt ist
(LMC 2002).
Fasst man die Erläuterungen von ュ 䆱 (xiàohua), ᑑ 咬 (yumò) und ⒥ 】 (huáj)
zusammen, kann man sehen, dass ュ䆱(xiàohua) im Chinesischen vor allem als ein
7
Chcí ist die Gedichtessammlung aus dem Königreich Ch, das vor ca. 2300 Jahren existierte. In
Chcí findet man die Wendung ᄨ䴭ᑑ咬(k
ng jìng yu mò), die „still und ruhig“ bedeutet. Der
Literaturkritiker Wáng Yì (ca. 1. - 2. Jahrhundert n. Chr.) erklärte, dass 咬(mò) in der Wendung auch
für „Ruhe“ steht (Hu 1987: 5).
22
sprachliches Gebilde mit der sozialen Funktion Lachen verstanden wird. ᑑ咬(yumò)
bezieht sich auf die menschliche Gabe, den Widersprüchen im Leben mit heiterer
Gelassenheit zu begegnen. Unter ⒥ 】 (huáj) versteht man ursprünglich die
künstlerische Fähigkeit, die Gleichheit mit dem Unterschied zu verwechseln. Im
modernen Chinesischen betont dieser Begriff aber eher die Wirkung des Komischen.
Zu den verschiedenen Darstellungsformen des Humors gehören neben xiào huà noch
einige andere Kunstformen, z.B. ⓿ ⬏ (mànhuà, Karikatur), Ⳍ ໄ (xiàngsheng,
komischer Dialog auf der Bühne oder Sprachkabarett), ୰࠻ᇣક(xjù xiopn, kurzes
Komödiestück) usw. Im Folgenden werden diese verschiedenen Kunstformen
vorgestellt.
⓿⬏ (mànhuà) ist die chinesische Entsprechung für Karikatur, deren Geschichte im
19. Jahrhundert begann, als die westlichen Missionare die ersten Zeitungen in
chinesischer Sprache herausgaben. Jedoch reichen die verschiedenen Elemente und
spezifischen Stilmittel, die heute in der chinesischen Karikatur Anwendung finden,
tief in die künstlerische und kulturelle Tradition Chinas zurück (Bauer 1983: 15, 22).
Der bekannte Karikaturist Hua Junwu betont die „enge Beziehung zwischen Poesie
und Malerei“ und er hebt hervor, dass die „Methode der Beschreibung in der Poesie,
die Verwendung von Sinnbildern, genau die Methode ist, die Karikaturen
benötigen“ (Erling/von Graeve 1978: 120-122). Neben den poetischen Emblemen
sowie Redewendungen und Sprichwörtern verwendet die chinesische Karikatur auch
Allegorien aus alten Fabeln, Sagen und klassischen Romanen wie z.B. aus dem
Zyklus der Abenteuergeschichten „Die Räuber vom Liangshan-Moor“, aus der
phantastischen Spotterzählung von einem Mönch, einem Schwein und einem Affen in
der „Pilgerreise nach dem Westen“ oder aus dem Familien- und Entwicklungsroman
„Der Traum der Roten Kammer“ (Bauer 1983: 18-19). Die modernen chinesischen
Karikaturen dienen vor allem dazu, durch Übertreibung oder Allegorie die aktuellen
Probleme in der Gesellschaft, der Politik oder dem Leben der Chinesen zu kritisieren
oder zu verspotten. Es gibt aber auch andere Karikaturen, die sich auf die positive
Seite der gesellschaftlichen Erscheinungen konzentrieren. Die berühmtesten
chinesischen Karikaturisten aus dem 20. Jahrhundert waren Fang Cheng, Zhang
Leping und Feng Zikai.
Eine andere Darstellungsform des chinesischen Humors ist die traditionelle
Bühnenkunst Ⳍໄ(xiàngsheng, komischer Dialog), die Mitte des 19. Jahrhunderts in
23
Beijing entstanden ist. Dabei bringen die Schauspieler durch Witzerzählen, komische
Dialoge oder Nachahmen des speziellen Stils einer Figur das Publikum zum Lachen.
Neben der Unterhaltungsfunktion setzt sich xiàngsheng auch zum Ziel, aktuelle
Ereignisse oder bestimmte Figuren zu kritisieren oder zu loben. Nach der Zahl der
Schauspieler unterscheidet man komische Monologe, Dialoge und Gruppengespräche
(LMC 2002). Im Vergleich zu anderen traditionellen Bühnenkünsten, z.B. PekingOper, ist die Sprache von Ⳍໄ(xiàngsheng) viel leichter zu verstehen. Deshalb zählt
sie seit deren Entstehung immer zu den beliebtesten Volkskunstformen in China.
Besonders in den 1980er Jahren erlebte Ⳍໄ(xiàngsheng) einen großen Aufschwung.
Während dieser Zeit konnte man sich jeden Tag im Radio oder Fernsehen zahlreiche
xiàngsheng-Stücke anhören oder ansehen. Die berühmtesten Schauspieler waren Hou
Baolin, Ma Ji und Jiang Kun.
Ende der 1980er Jahre ist eine andere Art der komischen Bühnenkunst entstanden, ୰
࠻ᇣક (xjù xiopn, kurzes komisches Theaterstück). Sie entwickelt sich so schnell,
dass sie in den letzten Jahren sofort die Position von Ⳍໄ(xiàngsheng) ersetzt hat.
Auf der großen Veranstaltung zum chinesischen Frühlingsfest8 erweist sich ୰࠻ᇣક
(xjù xiopn) häufig als das beliebteste Programm. Der Humoreffekt bei ୰࠻ᇣક
(xjù xiopn) wird nicht nur durch die Dialoge der Schauspieler, sondern auch durch
deren Gesten, das Bühnenbild, die Musik und das Kostüm erzielt. ୰࠻ᇣક (xjù
xiopn) dient vor allem dazu, die aktuellen gesellschaftlichen Erscheinungen witzig
darzustellen oder die sozialen Probleme zu kritisieren. Dabei beschäftigen sich die
Themen seit einigen Jahren meistens mit der Ehe, Familie, Kindererziehung, mit den
Wanderarbeitern.
Neben den oben erwähnten speziellen Darstellungsformen des Humors verbindet man
in China auch manche traditionellen Veranstaltungen mit komischer Kunst. In vielen
Regionen wird zum Feiern des Frühlingsfestes auf Stelzen getanzt. Der Stelzentanz
benötigt eine besondere Technik, denn die Schauspieler gehen immer auf ein Meter
hohen Stangen. Sie verkleiden sich häufig als bekannte Figuren aus der chinesischen
Geschichte oder Literatur, z.B. als Affenkönig oder als Schwein aus dem Roman
8
Das Frühlingsfest gilt als das wichtigste Volksfest in China. Es wird immer zwischen dem 1. und
dem 15. Januar nach dem chinesischen Mondkalender gefeiert. Jedes Jahr wird am Silvester (dem
letzten Tag nach dem Mondkalender) eine große live Bühnenveranstaltung von der zentralen
chinesischen TV-Sendung CCTV organisiert. Zu den aufgeführten Programmen gehören Solo-Gesänge,
Chöre, Tänze, komisches Theater, usw.
24
„Der Pilgerreise nach dem Westen“. Durch übertreibende und lustige Gestik, Mimik
und Bewegungen bringen die Schauspieler das Publikum zum Lachen.
2.1.3 Vergleich der deutschen und der chinesischen Begriffe
In diesem Teil werden die oben genannten deutschen und chinesischen Begriffe, die
mit Witz oder xiàohua verbunden sind, verglichen.
1. Witz und ュ䆱(xiàohua)
Im Grunde genommen sind Witz und ュ䆱(xiàohua) ähnlich, denn die beiden Begriffe
beschäftigen sich mit kurzen Geschichten oder Dialogen, die einen Lacheffekt
erzielen. Der Unterschied zwischen ihnen liegt darin, dass der Witz sich auch als die
Gabe verstehen lässt, sich geistreich und lustig zu verhalten, während bei ュ 䆱
(xiàohua) mehr dessen soziale Funktion betont wird. Neben der Bedeutung als „Stoff
zum Lachen“ lässt sich ュ䆱(xiàohua) auch als „verlachen“ interpretieren.
2. Humor und ᑑ咬(yumò)
Humor und ᑑ 咬 (yumò) sind identisch bei der Bedeutung als Fähigkeit der
Menschen, den Schwierigkeiten und der Unzulänglichkeit der Welt mit heiterer
Gelassenheit zu begegnen, weil beide die Übertragung des englischen Wortes humour
sind. Bemerkenswert ist, dass ᑑ 咬 (yumò) ursprünglich im Chinesischen für
Stille/Ruhe steht. Der Linguist Lin Yutang hat dieses Wort in den 1920er Jahren als
die Übersetzung von humour verwendet, weil er meinte, dass der chinesische Humor
statt durch lautes Lachen durch verstehendes Lächeln ausgedrückt worden sei (vgl.
Lin 1924).
3. Komik und ⒥】(huáj)
Komik und ⒥ 】 (huáj) betonen beide die komische Wirkung einer sprachlichen
Äußerung, einer Situation oder einer Figur. Huáj gilt auch noch als das ursprüngliche
Wort für Humor in Chinesischen, da es für das Wesen des Komischen steht, nämlich
die Gleichheit mit der Verschiedenheit zu verwechseln.
25
4. Karikatur und ⓿⬏(mànhuà)
⓿ ⬏ (mànhuà) ist die chinesische Entsprechung für Karikatur. Beide sind
Zeichnungen, in denen das reale Leben durch Übertreibung, Allegorie usw.
dargestellt wird. Der Unterschied zwischen den beiden Formen liegt in den
Darstellungstechniken: In ⓿⬏ (mànhuà) spielt die chinesische Sprache, die selbst
eine Bilderkunst ist, eine große Rolle.
5. Kabarett und Ⳍໄ(xiàngsheng)/୰࠻ᇣક(xjù xiopn)
Kabarett und Ⳍໄ(xiàngsheng)/୰࠻ᇣક(xjù xiopn) sind alle Bühnenkunstformen
mit komischem Effekt. Wie die Karikatur dient das Kabarett vor allem dazu, das reale
Leben oder das politische Geschehen zu verspotten bzw. zu kritisieren, während es in
den chinesischen Ⳍໄ (xiàngsheng) oder ୰࠻ᇣક (xjù xiopn) möglich ist, die
aktuellen
Ereignisse
auch
in
positiver
Weise
widerzuspiegeln.
Was
die
Darstellungsform betrifft, wird im Kabarett viel gesungen, während der komische
Effekt in Ⳍໄ (xiàngsheng) oder ୰࠻ᇣક (xjù xiopn) vor allem durch Dialoge
oder Nachahmen der spezifischen Züge einer Figur erzielt wird.
Zuletzt gibt es im Westen bestimmte Veranstaltungen, die eng mit dem Komischen
verbunden sind, z.B. den Karneval – die Zeit der Fröhlichkeit und des Amüsierens.
Im Vergleich dazu gibt es in China keine solchen Feste, obwohl die Chinesen auch
manche traditionellen Feiern mit komischer Kunst verbinden, z.B. den Stelzentanz
beim Frühlingsfest. Das Komische nimmt aber nur einen kleinen Teil bei dem Feiern
dieses größten Volksfestes ein.
2.2 Überblick über die Geschichte der Witzforschungen im Westen
bzw. in China
2.2.1 Die Geschichte der Forschungen über Witz und Humor im
Westen
Die Witzforschung hat im Westen eine lange Geschichte, die auf die griechische und
römische Antike zurückgeht (8. Jahrhundert v. Chr. – 476 n. Chr.). Nach Attardo
(1994) und Fietz (1996) sind vier Aufschwungphasen in der westlichen Geschichte
der Witz- und Humorforschung zu unterscheiden:
1) Die griechische und römische Antike (8. Jahrhundert v. Chr. – 476 n. Chr.)
2) Die Renaissance (14. – 16. Jahrhundert)
26
3) 18. bis Anfang des 20. Jahrhunderts
4) 20. Jahrhundert
1) Die griechische und römische Antike
Die Hauptvertreter der Humorforschung in der griechischen Antike sind Platon (428–
348 v. Chr.) und Aristoteles (384–322 v. Chr.). Platon wird allgemein als der erste
Theoretiker des Humors betrachtet (vgl. Attardo 1994: 18). Er sieht Humor als die
Mischung von Vergnügungen und Schmerz an (Philebus 50 A)9. Humor resultiere aus
den ambivalenten Gefühlen gegenüber dem Lächerlichen. Lachen ist im
Wesentlichen als Verlachen konzipiert. Der Lachende fühlt sich dem Verlachten
gegenüber überlegen. Platons Herabsetzung des Lachens zieht sich durch die
Geschichte des Abendlandes (Kotthoff 1996: 11-12). Aristoteles vertritt die Meinung,
dass die Komödie Nachahmung von schlechteren Menschen ist, aber nicht im
Hinblick auf jede Art von Schlechtigkeit, sondern nur insoweit, als das Lächerliche
am Hässlichen teilhat10 (vgl. Attardo 1994: 19).
Aristoteles’ These ist identisch mit der Ansicht von Platon, insofern die beiden
Humor als etwas Unschönes und Negatives betrachten. Aber der Fortschritt von
Aristoteles’ Ansicht liegt darin, dass er gleichzeitig auch den praktischen Gebrauch
von Humor berücksichtigt: In seiner Rhetorik (ca. 330 v. Chr.) vertritt er die Meinung,
dass der Witz der Argumentation des Redners dienen müsse. Der Sprecher sollte
unpassende Witze vermeiden.11
Die Römer waren auf ihren Humor stolz … Die zwei literarischen Hauptgattungen,
die dem Humor gewidmet sind, nämlich Komödie und Satire, waren in Rom gut
vertreten (Bremmer 1997: 32). Ein wichtiger Humorforscher aus dieser Zeit ist Cicero
(106–43 v. Chr.), der sich in seinem berühmten Werk De Oratore mit den folgenden
fünf Fragen über Humor auseinandersetzt: 1) Was ist Humor? 2) Woher kommt
Humor? 3) Ist Witzerzählen für den Redner passend? 4) Inwieweit ist Witzerzählen
passend? 5) Welche Eigenschaften hat Humor? (Unter den fünf Fragen scheint die
9
… Our argument declares that when we are laughing at the ridiculous qualities of our friends, we mix
pleasure with pain, since we mix it with envy; for we have agreed all along that envy is a pain of the
soul, and the laughter is pleasure, yet these two arise at the same time on such occasions (Philebus 50 A).
10
As for Comedy, it is (as has been observed) an imitation of men worse than average; worse,
however, not as regards any and every sort of fault, but only as regards one particular kind of the
Ridiculous, which is a species of the ugly… (De Poetics 1449a, zitiert nach Attardo 1994: 19).
11
Aristotle also considers the practical use of humour in the Rhetoric. According to Aristotle, joking
must serve the argumentation of the orator. The speaker must be careful to avoid using inappropriate
jokes (Rhetorica 1419b, zitiert nach Attardo 1994: 19).
27
letzte für die linguistische Forschung am interessantesten zu sein.) Außerdem führt
Cicero eine Unterscheidung zwischen verbalem und referentiellem Humor ein. Das
hat einen großen Einfluss auf die späteren Humorforscher ausgeübt12 (Attardo 1994:
26-27). Was die Angemessenheit der Witze betrifft, vertritt Cicero die Meinung, dass
der Witz sich innerhalb vorgegebener Grenzen der Ehrbarkeit bewegen muss, um
gesellschaftsfähig zu sein ... Gesellschaftliche Kategorien spielen dabei eine Rolle
(Bremmer 1997: 33, vgl. Cicero De officiis 1, 103 ff). Die Funktion des Witzes sieht
Cicero darin, die gesellschaftlichen Abweichungen zu zeigen und zu korrigieren, und
zwar in einer akzeptablen Weise (Attardo 1994: 34, vgl. Cicero De Oratore 2, 236).
Quintilian (ca. 35–100 n. Chr.), ein anderer Vertreter der Humorforschung aus der
römischen Zeit, betrachtet Humor als ein wichtiges Instrument der Rhetorik. Dabei
betont er die Angemessenheit der Witze und deren Entspannungsfunktion für die
Seele (Attardo 1994: 29-32).
Auf die griechische und römische Antike folgt das Mittelalter (10. – 15. Jahrhundert n.
Chr.), ein Zeitraum, in dem das mönchische Modell vorherrscht und das Lachen
unterdrückt wurde (Bremmer 1997: 54). Entsprechend wurden in dieser Zeit auch
wenige Forschungen über Witz und Humor durchgeführt. Nach dem dunklen
Mittelalter begann aber ein neuer Aufschwung der Humorforschung, gleichzeitig
auch eine boomende Phase aller anderen Wissenschaftsbereiche, nämlich die Zeit der
Renaissance.
2) Die Renaissance
In der Renaissance (14. – 16. Jahrhundert) gehen die Wissenschaftler und Künstler
auf die Leistungen der antiken griechischen Kultur zurück und entwickeln diese
gleichzeitig weiter. Im Bereich der Witz- und Humorforschung ist dies ähnlich.
Im 16. Jahrhundert wurden eine Reihe von Forschungen über Humor auf der Basis
von Aristoteles’ Poetik bzw. Ciceros De Oratore durchgeführt. Ein wichtiger
Vertreter ist Vettore Fausto (1480–1550) mit seinem Werk De Comoedia Libellus (im
Englischen „Booklet on comedy”). Dies ist eines der ersten Bücher, die eine Referenz
12
Among those who use the distinction with a different terminology are Morin (1966: 181) “referential
vs. semantic”, Eco (1983) “situational play vs. play on words”, Guiraud (1976) “bon mots vs puns”,
Hockett (1973) “prosaic vs. poetic”. The distinction is also used by Freud (1905), Piddington (1933),
Milner (1972), Todorov (1976), Pepicello and Green (1983), and many others (Attardo 1994: 27).
28
zur Poetik beinhalten. Darin hat Fausto die Opposition von verbal und referentiell
erläutert (vgl. Weinberg 1961: 90, zitiert nach Attardo 1994: 34 – 44).
Der
Wissenschaftler
Madius
(?–1564)
hat
in
De
Ridiculis
(1550)
den
Überraschungseffekt im Witz betont (Attardo 1994: 38).
„If ugliness alone was the cause of laughter (the thesis of Aristotle), while it
continues to exist, laughter also should continue. But, without ceasing the cause
of ugliness, we nevertheless cease laughing; also those things that are ugly but are
familiar to us, do not cause laughter. Therefore it is clear enough that the cause of
laughter does not reside only in ugliness, but it is also the work of surprise“(Die
englische Übersetzung von Madius 155013 stammt aus Weisberg 1970: 99, zitiert
nach Attardo 1994: 38).
Die meisten Witzforschungen während der Renaissance-Zeit gingen auf die
Ergebnisse in der Antike zurück. Aber es wurden auch neue Entdeckungen gemacht,
z.B. die Betonung des Überraschungseffekts im Witz.
Die Grundauffassungen von Platon und Aristoteles über Humor ziehen sich fast durch
die ganze Geschichte des Westens. Thomas Hobbes (1588 – 1679) hat die Gedanken
aus der Antike als „Überlegenheitstheorie“ zusammengefasst. Er führte in Treatise of
Human Nature (1651) aus, dass wir im Lachen unsere eigene Überlegenheit erlebten
angesichts
der
Schwäche
Überlegenheitsgedanke
zählt
eines
zu
anderen
den
drei
(Kotthoff
wichtigsten
1996:
11).
Theorien
in
Der
der
Humorforschung. Die anderen zwei Auffassungen werden im nächsten Abschnitt
vorgestellt.
3) 18. – Anfang des 20. Jahrhunderts
Mit Immanuel Kant (1724–1804) und Arthur Schopenhauer (1788–1860) tritt die
Forschung über Witz und Humor in eine neue Phase ein. Die beiden werden als die
13
Si turpitudo tantum esset risus causa, ea perseverante, risum quoque perseverare necesse esset. At
nulla cessante turpitudinis causa, cessamus tamen a risu; ea enim turpia quae nobis familiaria sunt
risum non movet. Igitur satis constat turpitudinem ipsam tantum risus causam non existere, sed
admiratione quoque opus esse.
29
früheren Vertreter der so genannten „Inkongruenztheorie“ betrachtet14 (vgl. Morreal
1987: 45–64), die von Schopenhauer (1819, 1947) so erläutert wurde, dass der Grund
für das Lachen in der plötzlichen Wahrnehmung einer Inkongruenz zwischen
Konzept und realem Objekt liege (Kotthoff 1996: 10). Diesen plötzlichen
Wahrnehmungsprozess sieht Kant als die Verwandlung einer gespannten Erwartung
in nichts (Kritik der Urteilskraft § 54, 1790, zitiert nach Preisendanz 1970: 10).
Der französische Philosoph Henri Bergson (1859–1941) sieht die Lächerlichkeit auch
in einer Inkongruenz, aber nicht einer zwischen Konzept und realem Objekt, sondern
in der Inkompatibilität zwischen etwas Lebendigem und etwas Mechanischem
(Bergson 1900, 1988: 33). Komisch sind die Handlungen, Gebärden und
Bewegungen des menschlichen Körpers genau in dem Maß, wie uns dieser Körper an
einen gewöhnlichen Mechanismus erinnert (Bergson 1988: 28). Wir lachen immer
dann, wenn eine Person uns an ein Ding erinnert (Bergson 1988: 44).
Die Inkongruenztheorie hat einen großen Einfluss auf die späteren linguistischen und
kognitiven Humorforschungen ausgeübt (McGhee 1979: 9, Kotthoff 1996: 11), die
im folgenden Teil dieses Kapitels näher erläutert werden.
Im Jahr 1905 öffnete Sigmund Freud (1856–1939) mit seinem berühmten Werk Der
Witz und seine Beziehung zum Unbewussten wieder ein neues Kapitel der
Witzforschung. Für Freud und einige seiner Schüler resultiert die Lust am Witz aus
einem plötzlichen Abbau von Hemmungsaufwand. Dieser Hemmungsaufwand, den
normalerweise Erziehung und Gesellschaft von uns fordern, den uns der Witz doch
erspart, entstehe durch das Tabu bestimmter Gedanken, Vorstellungen, Gefühle,
Triebregungen, die nicht ins Bewusstsein treten sollen, die blockiert, ausgesperrt,
verdrängt, umgangen werden sollen (Preisendanz 1970: 15). Freud gilt als der
berühmteste Vertreter der „Entlastungstheorie“ des Humors (Kotthoff 1996: 12).
Auch für die erzählende Person resultiert die Lust am Witz aus der Aufhebung der
Hemmung. Sie bringt allerdings die Kraft dazu selbst auf. Auch sie kann im Lachen
überflüssig gewordene Besetzungsenergie freilassen (Kotthoff 1996: 13).
14
The first authors generally associated with incongruity theories of humor are Kant (1724-1804) and
Schopenhauer (1788-1860) (see Morreall 1987: 45-64), but it has been shown, “incongruity based”
issues were already discussed in the Renaissance (e.g., Madius) and can be traced back to the earliest
theories: for example, Aristotle’s definition of humor as “something” bad was interpreted as meaning
something unbefitting, out of place, thus not necessarily “evil” (Attardo 1994: 47-50).
30
Bis Anfang des 20. Jahrhunderts sind die drei Haupterklärungslinien des Humors
festgestellt worden: Die Überlegenheitstheorie (Hobbes), die Inkongruenztheorie
(Kant, Schopenhauer) und die Entlastungstheorie (Freud).
Inkongruenz,
Degradation
und
Entspannung
müssen
sich
in
der
Scherzkommunikation keinesfalls gegenseitig ausschließen. Sie wirken häufig
zusammen, verstärken sich gegenseitig oder schwächen sich wechselseitig ab
(Kotthoff 1996: 10).
4) 20. Jahrhundert
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich immer mehr wissenschaftliche
Disziplinen mit dem Thema Humor/Witz. Die relevanten Forschungen stammen in
erster Linie aus der Literaturwissenschaft, der Soziologie und Volkskunde, aus den
Kognitionswissenschaften, der Psychologie und der Linguistik.
Im Bereich der Literaturwissenschaft ist André Jolles (1874–1946) ein wichtiger
Vertreter der Humorforschung. Er begreift Witz als “einfache Form”, als literarische
Gattung im weitesten Sinn. Bestimmungsmerkmal des Witzes ist, “dass in der Form
Witz, wo immer wir sie finden, etwas gelöst wird, dass der Witz irgendein
Gebundenes entbindet”, womit die Aufhebung eines erwarteten Zusammenhangs
gemeint ist (Jolles 1930; 1968: 248). Bemerkenswert an dieser Darstellung ist, dass
hier die Gattung Witz in den Text verlegt wird, während er bei den früheren Autoren
vor allem als Leistung der ästhetischen Vorstellung begriffen wurde (Marfurt 1977:
4).
Wenn es um die Humorforschung in der Soziologie und Volkskunde geht, gehören
Herbert
Schöffler
und
Lutz
Röhrich
zu
den
wichtigen
Vertretern
im
deutschsprachigen Gebiet. Schöffler hat eine umfassende Forschung zu den
ethnischen Witzen des deutschsprachigen Raums durchgeführt (1955) 15 . Röhrich
erläutert ausführlich die Figuren, Formen und Funktionen des Witzes (1977)16.
Außerhalb des deutschsprachigen Gebietes sind die Forschungen von Avner Ziv
(National styles of humour, 1988) und Christie Davies (Ethnic humor around the
world, 1990) besonders zu erwähnen. Die beiden haben jeweils eine umfassende
Forschung zum Witz aus verschieden Ländern durchgeführt und eine Weltkarte des
15
Schöffler, Herbert (1955, 1995). Kleine Geographie des deutschen Witzes. Göttingen: Vandenhoeck
und Ruprecht.
16
Röhrich, Lutz (1977). Der Witz: Figuren, Formen, Funktionen. 1. Auflage. Stuttgart: Metzler.
31
Humors zusammengestellt. Während Ziv sich mit dem gesellschaftlichen Hintergrund,
den verschieden Darstellungsformen des Humors in jedem Land befasst, geht es in
Davies’ Forschung vor allem um die ethnischen Witze aus den verschiedenen
Kulturgebieten. In den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts haben Suls, Schultz u.a. Witz
in kognitiver Hinsicht analysiert. Suls (1972)17 hat ein Zwei-Phasen-Modell für die
Wahrnehmung des Witzes und der Cartoons entwickelt:
„In the first stage, the perceiver finds his expectations about the text
disconfirmed by the ending of the joke, or in the case of a cartoon, his
expectations about the picture disconfirmed by the caption. In other words, the
recipient encounters an incongruity – the punch line.
In the second stage, the perceiver engages in a form of problem solving to find a
cognitive role which makes the punch line follow from the main part of the joke
and reconciles the incongruous parts. A cognitive role is defined as a logical
proposition, a definition, or a fact of experience. The retrieval of such information
makes it possible to reconcile the incongruous parts of the joke“.
Nach Schultz’ (1976) 18 Ansicht lassen sich beim Humor ebenfalls zwei Teile
unterscheiden, die Entdeckung und die Resolution der Inkongruenz (McGhee 1979:
35).
Im Bereich der Psychologie gilt Ruch als ein wichtiger Vertreter im
deutschsprachigen Raum. Er hat ein Modell mit drei Witz-Dimensionen (3 WD)19
entwickelt, das als ein Testinstrument für die Wahrnehmung des Humors dienen kann.
Außerdem hat er auch eine Reihe von Forschungen über das Verhältnis zwischen dem
Humor und der Personalität bzw. interkulturelle Studien über die Wahrnehmung des
Humors durchgeführt.
17
Suls, Jerry M. (1972). “A Two-Stage Model for the Appreciation of Jokes and Cartoons: An
Information-Processing Analysis”. In: Goldstein, Jeffrey H. and McGhee, Paul E. (eds.) (1972) The
Psychology of Humor. Theoretical Perspectives and Empirical Issues. New York and London:
Academic Press.
18
Schultz, Thomas R. (1976). “A cognitive developmental analysis of humor”. In: Chapman, Antony J.
and Hugh C. Foot (eds.) (1976) Humor and Laughter: Theory, research and applications (1st edn).
London: Transaction Publishers.
19
In diesem Modell hat Ruch drei Witz-Dimensionen aufgestellt, um die Beziehung zwischen der
Humorwahrnehmung und der Persönlichkeit zu analysieren. Diese drei Dimensionen sind incongruityresolution humor, nonsense humor und sexual humor. Siehe bitte die folgende Literatur:
Ruch, Willibald (1992). “Assessment of appreciation of humor: Studies with the 3 WD humor test”. In:
Butcher, James N. and Charles D. Spielberger (eds.) Advances in Personality Assessment. Vol. 9.
Hillsdale: Erlbaum, 27-75.
32
Seit den 1970er Jahren gilt Humor/Witz auch als Gegenstand der linguistischen
Forschungen. Zuerst wird Witz mit der Einführung der Textlinguistik auf der
Textebene analysiert. Preisendanz betrachtet Witz in erster Linie als ein
Sprachgebilde, einen Text, der nicht durch den Gegenstand seiner Aussage, sondern
durch die Art und Weise des Aussagens definiert ist (Preisendanz 1970: 17). Das
spezifische Witzige liegt darin, dass sich “in der Aussage Gemeintes und Mittel des
Meinens voneinander abheben” (Preisendanz 1970: 21, zitiert nach Marfurt 1977: 4).
Marfurt untersucht Witz in seiner linguistischen Arbeit „Textsorte Witz“ (1977) unter
zwei zentralen Aspekten: Interaktionsmuster (Witzerzählen) und Vertextungsmuster.
Außerdem hat er weitere wichtige Aspekte der Textsorte Witz analysiert: die
Techniken, die Strukturen und die Funktionen des Witzes.
Raskin führt den Gedanken der semantischen Skripte für die Witzanalyse ein (1985).
Er behauptet, dass jeder Witztext mit zwei Skripten kompatibel ist, die sich sowohl
überlappen, als auch in Opposition zueinander stehen (vgl. Raskin 1985: 99). Einige
Jahre später wurde die Semantische Skript Theorie des Humors (SSTH) von Attardo
und seinem Lehrer Raskin weiter zur Generellen Theorie des Verbalen Humors
(GTVH) entwickelt (Attardo/Raskin, 1991). In der erweiterten Auffassung werden
neben der Skriptopposition fünf andere Faktoren ergänzt und analysiert, die für die
Beschreibung des Witztextes relevant sein sollen. In Kapitel 3 und 4 werden die
SSTH und die GTVH ausführlich erläutert.
Seit Mitte der 80er Jahre befasst sich auch die Semiotik mit dem Thema Humor und
Witz. Auf Grund der Theorie von Morris20 unterscheidet Wenzel in seiner Arbeit Von
der Struktur des Witzes bis zum Witz der Struktur (1989) drei semiotische
Dimensionen: Zeichensemantik, Zeichensyntaktik und Zeichenpragmatik. Die
Zeichensemantik teilt er weiter in vier Erklärungsmodelle: Begriffsdissoziation,
Begriffskonsoziation, Durchbrechung des Bezugsrahmens und Herstellung des
Bezugsrahmens, die alle der Witzpointierung dienen sollen (Wenzel 1989: 30ff).
Für Kotthoff ist Witz vor allem ein Untersuchungsgegenstand in der mündlichen
Kommunikation, deshalb beschäftigt sie sich mit Forschungen zu den Erzählstilen der
mündlichen Witze (1994, 1995, 1996). Außerdem hat sie auch den Umgang der
beiden Geschlechter mit Humor und Witz beobachtet (1996).
20
Morris, Charles W. (1938). Foundations of the Theory of Signs. International Encyclopedia of
Unified Science. Vol. 1, No. 2. Chicago.
33
Nachdem wir einen Überblick über die Witz- und Humorforschung im Westen
gegeben haben, gehen wir im nächsten Teil auf die Entwicklungsgeschichte von ュ䆱
(xiàohua) und ᑑ咬(yumò) in der chinesischen Kultur ein.
2.2.2 Die Geschichte der Humorkultur in China
Als eine Gattung der Volkskunde lässt sich xiào huà bereits in der Prä-Qin-Zeit (vor
221 v. Chr.) in China finden, während die wissenschaftlichen Forschungen über xiào
huà und yu mò erst im 20. Jahrhundert angefangen haben (Duan 2001). Deshalb
geht es in diesem Teil nicht um die Geschichte der Forschungen über xiào huà,
sondern die Entwicklung der Humorkultur in China.
Der moderne Linguist Hu Fanchou (1987) hat vier Aufschwungsphasen in der
Geschichte des chinesischen Humors zusammengefasst:
1) Prä-Qin-Zeit (bis 221 v. Chr.)
2) Wei-Jin-Zeit (220–420 n. Chr.)
3) Ming-Zeit (1368–1644 n. Chr.)
4) 20. Jahrhundert
1) Prä-Qin-Zeit ( bis 221 v. Chr.)
Qin ist die Bezeichnung der ersten Dynastie in der chinesischen Geschichte. Sie
entstand aus dem Königreich Qin und einigte unter Fürst Ying Zheng im Jahr 221 v.
Chr. das ganze Land. Danach existiert China die meiste Zeit als ein einheitliches
Land. Vor der Entstehung der Qin-Dynastie befanden sich auf dem heutigen
chinesischen Gebiet verschiedene Königreiche, z.B. Qin, Qi, Chu, Yan, Han. Unter
ihnen gab es lange Zeit Kriege, weil jeder Fürst das ganze Land beherrschen wollte.
Um die Kriege zu gewinnen, hatte jeder Fürst zahlreiche Berater angestellt, die den
Regierenden bei deren Entscheidungen helfen sollten. Außerdem wurden auch noch
Komiker für die Unterhaltung der Fürsten in der Freizeit angestellt. Viele Komiker
spielten aber gleichzeitig auch die Rolle der Berater, indem sie durch Witzerzählen
indirekt den Regierenden Vorschläge zu deren Politik machten (Sima Qian21, zitiert
nach Hu 1987: 10). Ein bekannter Komiker unter ihnen war You Meng aus dem
21
Sima Qian (145–87 v. Chr.) ist einer der größten Historiker im alten China. Er lebte in der HanDynastie (202 v. Chr.–200 n. Chr.) und erarbeitete 104–93 v. Chr. das große historische Werk Sh Jì
(„Die Geschichte”). Das ist die erste Zusammenstellung der chinesischen Geschichte von der Antike
bis zur Han-Dynastie, die länger als 3 000 Jahre umfasst.
34
Königreich Chu. Er hat einmal Fürst Xiong Lü davon abgeraten, sein Lieblingspferd
mit großem Aufwand zu beerdigen. Die Geschichte von You Meng sieht wie folgt aus.
(3)
Das Lieblingspferd des Fürsten Xiong Lü ist gestorben. Der Fürst war tief
traurig und erteilte den Befehl, dass sein Pferd nach dem Standard eines hohen
Beamten beerdigt werden sollte. Dagegen durfte niemand protestieren. Als
You Meng das erfahren hatte, ging er zu dem Fürsten und sagte ihm, dass die
Ausgaben für die Beerdigung des Pferdes immer noch zu wenig seien. Das
Tier sollte wie ein Fürst begraben werden. Als Xiong Lü das hörte, kriegte er
einen roten Kopf, denn er wusste, was You Meng damit meinte. Nach ein paar
Tagen hob er seinen Befehl auf und nahm einen anderen Vorschlag von You
Meng an, das Pferd mit Ingwer, Datteln und Getreide im Menschenmagen zu
entsorgen. D.h., das Pferd wurde gekocht und als Essen an alle verteilt. (vgl.
Hu 1987: 10, Übersetzung der Autorin).
Witze aus der Prä-Qin-Zeit wurden nicht nur am Königshof erzählt, sondern auch
unter den einfachen Leuten in den Städten oder auf dem Lande. In der folgenden
Geschichte22 geht es um einen Bauern aus dem Königreich Song.
(4)
Es war ein Bauer im Königreich Song. Er arbeitete jeden Tag hart in seinem
Feld, aber die Pflanzen wuchsen trotzdem sehr langsam. Eines Tages wurde er
ungeduldig und zog selbst die Pflanzen höher. Als er zu Hause seiner Familie
davon erzählte, wurde sein Sohn sehr neugierig und ging sofort ins Feld, um
sich die gezogenen Getreidepflanzen anzugucken. Als er dort ankam, sah er,
dass alle Pflanzen schon verwelkt waren.
In dieser Geschichte wird die Dummheit des Bauern dargestellt, der die Naturregel
gebrochen hat, um eine gute Ernte zu bekommen. Zum Schluss musste er negative
Folgen tragen. Diese Geschichte ist heute immer noch sehr beliebt in China. Man
erzählt sie, um den Menschen die Wichtigkeit der Naturregeln darzustellen.
22
Diese Geschichte stammt aus dem bekannten Werk des Konfuzianismus Mèng Z, das nach dem
Namen des Verfassers Meng Zi (ca. 385-304 v. Chr.), einem Schüler von Konfuzius’ Enkel und
gleichzeitig auch dem zweitwichtigsten Vertreter des Konfuzianismus, genannt wird.
35
2) Wei-Jin-Zeit (220 – 420 n. Chr.) 23
Der zweite Aufschwung der chinesischen Humorkultur fand in der Wei-Jin-Zeit (220420 n. Chr.) statt.
Nach der Qin-Dynastie trat China in eine 400-jährige einheitliche Geschichte. In der
darauf folgenden Wei-Jin-Zeit wurde das Land jedoch wieder in einige Königreiche
aufgeteilt, die sich langjährig im Kampf gegeneinander befanden. Aus diesem Grund
wurde die Kultur weniger stark kontrolliert als in den vorherigen Zeiten, in denen
eine einheitliche Regierung herrschte. Entsprechend hat sich die Humorkultur
während der Wei-Jin-Zeit auch schnell entwickelt.
Im dritten Jahrhundert n. Chr. entstand in China die erste Witzsammlung Xiào Lín –
„Das Lachwäldchen“, die von dem damaligen berühmten Literaten Handan Chun aus
dem Wei-Königreich zusammengestellt wurde (siehe Fußnote 6). Im Folgenden wird
ein bekannter Witz24 aus diesem Buch zitiert:
(5)
Es war einmal ein Mann aus dem Königreich Lu. Er wollte mit einer langen
Bambusstange durch ein Stadttor gehen. Zuerst trug er die Stange in
senkrechter Richtung. Aber das Tor war zu niedrig für die Stange. Dann
drehte er die Stange in waagerechter Richtung. Das Tor war wieder zu eng für
die Stange. Später kam ein Alter, der zu dem jüngeren sagte: „Ich bin kein
kluger Mensch, aber ich habe in meinem Leben viel erlebt. Warum sägst du
nicht die Stange in zwei Teile?“ Der junge Mann fand die Idee gut. Er sägte
die Stange in der Mitte durch und ging endlich durch das Tor.
Auch in der Wei-Jin-Zeit begannen die chinesischen Gelehrten mit der Suche nach
einer reinen Literatur und einer reinen Kunst. Der moderne Ästhetiker Li Zehou
betrachtet diese Zeit als die der Geistesbefreiung der chinesischen Intellektuellen
nach jahrhundertlanger Kontrolle. Während der Wei-Jin-Zeit sind eine rein rationale
Philosophie und eine rein gefühlsbetonte Literatur entstanden (Li 1981: 86-87, zitiert
nach Hu 1987: 15-16).
Wenn man die Wei-Jin-Zeit als den ersten Aufbruch in der chinesischen
Kulturgeschichte betrachtet, in der das individuelle Bewusstsein erblühte, dann ist die
Ming-Dynastie (1368-1644) das zweite Aufwachen der Menschen, die sich wieder
23
24
Wei und Jin sind beides Bezeichnungen der Dynastien in der chinesischen Geschichte.
Die zitierten chinesischen Witze wurden von der Verfasserin selbst ins Deutsche übersetzt.
36
mit der Suche nach ihrem inneren Willen befassten. Entsprechend gilt die MingDynastie auch als ein neuer Aufschwung in der Geschichte der Humorentwicklung
(vgl. Hu 1987: 16).
3) Ming-Dynastie (1368-1644)
Die chinesische Ming-Dynastie entspricht der Zeit der westlichen Renaissance.
Während dieser Phase erlebte die chinesischen Literatur und Kunst auch ihren
Entwicklungshöhepunkt. Zum Witz wurde so viel und erfolgreich geforscht wie nie
zuvor. Nach Hu ist die Zahl der Verfasser bzw. der Herausgeber der
Witzsammlungen allein in der Ming-Dynastie größer als die aus der ganzen
vorherigen Zeit, wie die folgende Tabelle darstellt (Hu 1987: 16, zitiert nach Wang
Liqi 1981).
Dynastien
Wei
Jin
Sui
Tang
Song
Yuan
Ming
Qing
Zahl der Verfasser/
1
1
3
3
19
2
49
20
Herausgeber
der
Witzsammlungen
Tabelle 1: Die Zahl der Verfasser/Herausgeber der Witzsammlungen in den
chinesischen Dynastien
Ein berühmter Literat aus dieser Zeit war Feng Menglong (1574 - 1646). Er hat drei
Witzsammlungen herausgegeben: Xiào F (Lachschatzkammer), Gu
ng Xiào F
(Große Lachschatzkammer) und G Jn Xiào (Lachen in den alten und den neuen
Zeiten). Eine große Menge Witze aus seinen Sammlungen sind bis heute überliefert
worden. Ein Beispiel aus dem Gu
ng Xiào F ist das folgende:
(6)
Ein neuer Bürgermeister fragte seine Beamten: „Wie soll ich mich als
Regierungschef benehmen? “
Darauf antwortete ein Beamter: „Im ersten Jahr muss alles klar sein, im
zweiten Jahr halb klar, ab dem dritten Jahr darf es schmutzig (Korruption)
werden.“
Der Bürgermeister seufzte: „Wie kann man bis zum dritten Jahr durchhalten!“
37
Außerdem findet man in den literarischen Werken der Ming-Dynastie auch zahlreiche
witzige Figuren, die heute immer noch sehr beliebt bei den Chinesen sind, z.B. Sun
Wukong und Zhu Bajie aus dem Roman „Die Pilgerreise nach dem Westen“. Darin
handelt es sich um einen Mönch, der mit seinen drei Schülern zum westlichen
Himmel (im heutigen Indien) reist, wo er Buddhas heilige Schriften bekommen und
sie dann zurück nach China bringen soll. Sun Wukong, einer der drei Schüler, war der
Affenkönig und auch eine mythische Kreatur mit einer Mischung aus großem Mut,
ungewöhnlicher Weisheit und viel Humor. Zhu Bajie, ein anderer Schüler des
Mönchs, war ein Schwein und wurde später in einen Menschen verwandelt. Er steht
für Faulheit und gilt als eine besonders witzige Figur in dem Roman.
Der vierte Aufschwung der Humorkultur findet im 20. Jahrhundert statt, in dem die
westliche Kultur nach China eingeführt wurde.
4) 20. Jahrhundert
Die Vierte–Mai–Studentenbewegung im Jahr 1919 ist ein Meilenstein in der
chinesischen Geschichte, weil von da an westliche Kultur und Gedanken nach China
übertragen wurden und einen immer größeren Einfluss auf die einheimische Tradition
ausübten.
Die Humorkultur erlebte im 20. Jahrhundert in China auch wieder einen Aufschwung.
Der berühmte Schriftsteller Lu Xun (1881-1936) hat in seinem wissenschaftlichen
Werk
Kurze
Geschichte
der
chinesischen
Romandichtung
(1923)
die
Witzsammlungen in der ganzen chinesischen Geschichte zusammengefasst und
ausführlich vorgestellt. Auf dieser Grundlage hat der Literaturkritiker Zhao Jingshen
(1902-1985) in den 1930er Jahren das Buch Überblick über die chinesischen Witze
geschrieben, in dem er nicht nur jede Witzsammlung vorstellt und beurteilt, sondern
auch Witze mit demselben Thema aus verschiedenen Zeiten miteinander vergleicht
und analysiert (vgl. Duan 1994).
Anfang des 20. Jahrhunderts gingen viele chinesische Gelehrte in die USA oder nach
Europa, um dort fortschrittliche Techniken und Gedanken kennen zu lernen. Sie
brachten später nicht nur die moderne Industrie nach China zurück, sondern auch
westliche Gedanken, Vorstellungen und Theorien aus verschiedenen Disziplinen.
Einer von ihnen ist der Schriftsteller und Linguist Lin Yutang (1895-1976), der 19191921 an der Universität Harvard kontrastive Literaturwissenschaft studierte und 1923
in Leipzig in Linguistik promovierte. 1924 gründete er die literarische Zeitschrift Lún
38
Y und begann mit der Vorstellung der westlichen Theorien über Humor und Witz. Er
gilt auch als der erste Wissenschaftler, der den Begriff ᑑ 咬 (yumò) für die
Übersetzung des englischen Wortes „humor“ benutzt hat (siehe Kapitel 2.1.2).
Während sich die chinesischen Wissenschaftler in der ersten Hälfte des 20.
Jahrhunderts vor allem mit der Vorstellung und der Beurteilung der Witzsammlungen
befassten, begannen sie in der zweiten Hälfte mit einer Reihe von wissenschaftlichen
Forschungen zu Humor und Witz in verschiedenen Disziplinen, wie der Linguistik,
der Volkskunde, der Psychologie, der Ästhetik, usw. Der Linguist Hu Fanchou gab
mit seinem Buch Linguistik des Humors (1987) einen Überblick über die
Entwicklung der Humorkultur in China und erläuterte darüber hinaus die Tiefen- und
die Oberflächenstrukturen der Witztexte. Der Ethnologe Duan Baolin analysierte die
Witze über „Afanti“ (Nasrettin Hoca), eine weise Figur in der islamischen Kultur,
und schrieb das Buch Lachen – über die Geschichten von Afanti (1988). Außerdem
fasste der Literat Yu Dequan (1988) die verschiedenen Themen in den modernen
chinesischen Witzen zusammen, wobei er die komischen Figuren aus der ganzen
Humorgeschichte vorstellte und die künstlerischen Techniken im Witz analysierte.
Weitere relevante Veröffentlichungen aus der chinesischen Humorforschung im 20.
Jahrhundert sind:
1. Xiao, Sa / Wang, Wenqin (1989). Psychologie des Humors.
2. Duan, Baolin (1991). Witz – die Komödienkunst der Menschenwelt, früher als
Ästhetik des Witzes publiziert.
3. Wang, Jianping (1992). Der Humor und die Weisheit der Logik.
Außerdem wurden jedes Jahr zahlreiche Witzblätter in China veröffentlicht. Dabei
findet man viele Witzbeispiele sowohl in den gedruckten Medien als auch im Internet.
Die bekannten chinesischen Webseiten zu Humor und Witz sind z.B.:
http://www.haha365.com
http://joke.tom.com
http://www.sunvv.com
http://www.jokescn.com
2.2.3 Vergleich der Forschungsentwicklungen
Vergleichen wir die vier Aufschwungphasen der westlichen Forschung über
Humor/Witz und die in der chinesischen Humorgeschichte, können wir sehen, dass
39
die wichtigen Phasen im Großen und Ganzen in den gleichen Zeitabschnitten
übereinstimmen. Die griechische und römische Antike (8. Jahrhundert v. Chr. – 476 n.
Chr.) entspricht den ersten zwei Aufschwungphasen in China – der Prä-Qin-Zeit
(Antike bis 221 v. Chr.) und der Wei-Jin-Zeit (220-420 n. Chr.). Die Renaissance (14.
– 16. Jahrhundert) ist mit der chinesischen Ming-Dynastie (14. – 17. Jahrhundert)
vergleichbar. Nur für den dritten Aufschwung im Westen (18. – Anfang 20.
Jahrhundert) gibt es keine Entsprechung in der chinesischen Humorkultur. Die vierte
boomende Phase fällt sowohl in Europa als auch in China ins 20. Jahrhundert. Die
folgende Tabelle zeigt einen Überblick über die verschiedenen Phasen.
Aufschwungphasen im Westen
Zeit
Aufschwungphasen in China
Die griechische und die römische
Antike
8.Jh. v. Chr.
bis
221 v. Chr.
221 v. Chr.
bis
220 n. Chr.
220 n. Chr.
bis
5. Jh.
5. Jh.
Die Prä-Qin-Zeit
Die Wei-Jin-Zeit
bis
Mitte 14. Jh.
14. Jh.
bis
17. Jh.
18. Jh.
bis
Anfang 20. Jh.
20. Jh.
bis
heute
Die Renaissance
18. Jh. bis
Anfang 20. Jh.
20. Jh.
bis heute
Die Ming-Dynastie
20. Jh.
bis heute
Tabelle 2: Aufschwungphasen der Humorkultur im Westen bzw. in China
Aber wenn man die Forschungsergebnisse über Humor und Witz im Westen mit
denen in China vergleicht, findet man sofort einen großen Unterschied zwischen
beiden.
Während
in
Europa
seit
der
Antike
immer
wissenschaftliche
Auseinanderstetzungen über das Wesen von Witz und Humor stattfanden, befassten
sich die chinesischen Literaten in der Geschichte vor allem mit dem Zusammenstellen
von Witzsammlungen und deren Beurteilung. Dabei legte man größeren Wert auf die
40
sozialen Funktionen des Witzes als auf den Grund zum Lachen oder auf das Wesen
des Humors.
Die geringe Forschung zum Witz geht in China auf die Morallehren des
Konfuzianismus zurück, der seit dem ersten Jahrhundert v. Chr. als das wesentliche
moralische Prinzip in der chinesischen Gesellschaft gilt. Nach den Gedanken des
Konfuzianismus sollen die Menschen ihre inneren Gefühle kontrollieren und das
Lachen in seriösen Situationen vermeiden
25
. Außerdem herrschte unter den
chinesischen Intellektuellen lange Zeit der Gedanke vor, dass der Witz nur dem Spaß
dient und deshalb unwichtig für die Entwicklung der Gesellschaft sei, weil er keinen
Beitrag zur Förderung der menschlichen Moral leiste26. Auch Lin Yutang, der erste
chinesische Humorforscher im 20. Jahrhundert, vertritt die Ansicht, dass die
Menschen Humor im Schreiben statt im Verhalten zeigen sollen (Liao 2001).
2.3 Fazit
In diesem Kapitel wurden zuerst die deutschen und die chinesischen Begriffe, die mit
Witz oder xiàohua zusammenhängend sind, aufgelistet, erläutert und in den beiden
Sprachen verglichen. Dabei hat es sich herausgestellt, dass Witz und xiàohua, Humor
und yumò, Karikatur und mànhuà im Großen und Ganzen miteinander identisch sind.
Wenn es um die Unterhaltung auf der Bühne geht, gibt es in Deutschland das
Kabarett, während in China vor allem xiàngsheng (komischer Dialog oder
Sprachkabarett) und xjù xiopn (kurzes komisches Theaterstück) als beliebte
Bühnenkunst gelten. Außerdem feiert man im Westen den Karneval (oder Fasching,
Fastnachtzeit), der in China keine Entsprechung hat.
Im zweiten Teil dieses Kapitels wurde die Geschichte der Forschungen über Witz und
Humor im Westen bzw. in China vorgestellt. Es ist zu bemerken, dass auf beiden
Seiten vier Aufschwungphasen in der Humorgeschichte zu finden sind, die zeitlich
sogar miteinander beinahe identisch sind. Nur die dritte Phase im Westen (18. –
Anfang des 20. Jahrhunderts) hat in China keine Entsprechung. Was die Forschungen
zum Witz betrifft, zeigt sich ein großer Unterschied zwischen dem Westen und China.
Die europäischen Wissenschaftler konzentrieren sich seit der Antike immer auf die
25
Siehe ⼐䆄 (L Jì) - das Buch der Riten, einer der fünf Klassiker des Konfuzianismus. In diesem
Buch werden die sozialen Verhaltensweisen, die Sitten und Bräuche, zum Beispiel die für den
Ahnenkult und für das Benehmen bei Hof, beschrieben (Wikipedia).
26
Siehe ᭛ᖗ䲩啭 (Wén Xn Dio Lóng) – Das Herz der Literatur und das Schnitzen des Drachens
von Liu Xie (465-522). Dieses Buch gilt als das erste literaturkritische Werk Chinas.
41
Ursache des Lachens und das Wesen des Humors. Im Vergleich dazu beschäftigen
sich die chinesischen Literaten hauptsächlich mit Witzsammlungen und deren
Beurteilung. Die geringe Forschungsdichte zum Lachen lässt sich durch die
Herrschaft des Konfuzianismus seit über 2000 Jahren in China erklären, nach dessen
Prinzipien die Menschen ihre inneren Gefühle kontrollieren und das Lachen in der
Öffentlichkeit vermeiden müssen.
Nach einer Vorstellung der Begriffe und der Forschungsgeschichte über Humor/Witz
gehen wir im nächsten Kapitel auf die grundlegenden Merkmale des Witzes ein, die
vor allem Abhängigkeit und Gegensätzlichkeit umfassen.
42
3. Das Wesen des Witzes
Durch nichts bezeichnen die Menschen
mehr ihren Charakter als durch das,
was sie lächerlich finden.
- Johann Wolfgang von Goethe
Von den Definitionen in Kapitel 2 wissen wir, dass Witz oder xiàohua vor allem dazu
dient, die Leser/Hörer zum Lachen zu bringen. Aber wir haben alle die Erfahrung,
dass nicht alle Witze witzig sind. Es gibt einige, die man nicht lustig findet oder die
sogar schwer zu verstehen sind. Was steckt in einem Witz? Wie wird ein Witz auf der
Sprachebene hergestellt? Welches Hintergrundwissen muss man haben, um einen
Witz zu verstehen bzw. darüber zu lachen? Um diese Fragen zu beantworten, wird in
dem vorliegenden Kapitel versucht, das Wesen des Witzes zu erläutern.
3.1 Die Abhängigkeit des Witzes
Witze existieren nicht allein. Sie sind immer abhängig von den Reaktionen der Leser
oder der Hörer, von den Zeiten, in denen sie geschaffen werden, bzw. von den
Kulturen (inkl. der Sprachen), mit denen sie eng zusammenhängen. Bei den erzählten
Witzen spielen auch noch die Darstellungstechnik des Erzählers und die Stimmung
des Zuhörers eine große Rolle. Da wir uns in dieser Arbeit von allem mit schriftlich
verbreiteten Witzen befassen, die in Büchern oder auf Webseiten erschienen sind,
werden die Technik des Witzerzählers und die Stimmung des Zuhörers nicht
berücksichtigt.
3.1.1 Die Abhängigkeit von den Menschen
Ob ein Witz bei einem Leser/Hörer gut ankommt, hängt weitgehend von den
individuellen Besonderheiten der betroffenen Person ab. Dabei spielt das Alter des
Lesers/Hörers vor allem eine wichtige Rolle. Wir wissen, dass Kinder meistens über
etwas Anderes lachen als Erwachsene. Sie führen gern mit ihren Eltern oder Lehrern
Spiele durch, die manchmal von den Erwachsenen als bedeutungslos angesehen
werden. Da die Eltern oder die Lehrer oft kein großes Interesse an oder kein
43
Vorwissen über solche Spiele haben, erweisen sie sich hier meist den Kindern als
unterlegen. Über die „Dummheit“ der Erwachsenen lachen die Kinder, denn sie
bekommen dadurch eine gewisse Überlegenheit den Eltern oder den Lehrern
gegenüber, die sie sonst immer für stärker und intelligenter als sich selbst halten. Auf
die Autorität der Erwachsenen sind die Kinder einerseits neidisch, andererseits fühlen
sie sich unterdrückt von den „intelligenten“ Eltern oder Lehrern. Deshalb versuchen
sie, durch die Spiele, von denen die Erwachsenen kein Vorwissen haben, eine
vorläufige Überlegenheit zu gewinnen, um von ihrer Frustration gegenüber der
Autorität befreit zu werden (vgl. Wolfenstein 1978: 12). Ein Spiel aus der Kinderzeit
der Autorin sieht wie folgt aus: Man fordert eine/n andere/n auf, eine Frage mit
„warum“ zu stellen. Darauf wird immer mit dem Mustersatz „weil und deswegen,
dafür braucht man nichts zu sagen27“ geantwortet. Offensichtlich bietet diese Antwort
keine sinnvolle Lösung zu den Fragen. Dabei geht es eher darum, den befragten
Personen
(besonders
den
Erwachsenen)
mit
einer
Universalantwort
entgegenzukommen, so dass man sich selber als intelligenter als die Befragten erweist.
Anders als Kinder lachen Erwachsene eher über die Sachverhalte, die Verstöße gegen
die vorhandenen Regeln der Gesellschaft oder die Abweichungen von diesen. Es wird
z.B. viel über die Situationen oder die Wörter gelacht, die auf das Thema
„Sex“ hindeuten. Oder man amüsiert sich über die Menschen, denen im Alltag ein
leichtes Missgeschick passiert. Außerdem lachen Erwachsene auch über die Personen,
die sich wegen des Mangels an bestimmtem Wissen in ihrer sozialen oder beruflichen
Rolle unfähig sind. Es ist zu erkennen, dass das Erwachsenenlachen immer einen
Wissensvorrat voraussetzt. Das Lachen findet in dem Moment statt, wenn etwas
Anderes passiert ist, als es die konventionellen Regeln, die man beim
Erwachsenwerden gelernt hat, vorschreiben. Ein solches Lachen kennen die Kinder
nicht, weil sie wegen ihres jungen Alters noch keinen solchen Wissensvorrat besitzen.
Aber im Grunde genommen ist das Lachen der Erwachsenen ähnlich wie bei den
Kindern, weil beide auf die Selbstbefreiung von den Frustrationen durch die Autorität
zurückgeht, d.h., der Grundanlass zum Lachen bleibt unverändert,
obwohl die
Themen oder die Situationen, über die man sich amüsiert, in verschiedenen
Altersphasen unterschiedlich sind (Wolfenstein 1978: 12).
27
Der originale chinesische Satz lautet: „Ynwèi su
y, bù shu y ky (಴Ў᠔ҹˈϡ䇈гৃҹ)“.
44
Neben dem Alter gilt das Geschlecht auch als ein wichtiger Faktor, durch den sich
das menschliche Lachen beeinflussen lässt. Früher herrschte lange Zeit die Ansicht,
dass Frauen keinen Sinn für Humor hätten, denn sie gehörten immer zu den passiven
Zuhörern, wenn die Männer Witze erzählten (Lakoff 1975; Sanborn 1994). In
jüngster Zeit sind die Wissenschaftler aber durch eine Reihe von Forschungen darauf
gekommen, dass es doch einen femininen Humor gibt, der sich aber anders als der
maskuline Humor ausweist (Naranjo-Huebl 1995). Es lässt sich feststellen, dass jedes
Geschlecht seinen eigenen Sinn für Humor hat, genau wie jeder Mensch das
natürliche Verhalten Lachen kennt. Es ist nicht wahr, dass jemand keinen Humor hat,
sondern es liegt daran, dass wir seinen Humor nicht verstehen. Das Vorurteil über den
Mangel an Humor bei Frauen lässt sich darauf zurückführen, dass die Frauen
Jahrhunderte lang immer dazu erzogen wurden, ihre Worte und ihr Verhalten in der
Öffentlichkeit zu beschränken. Auch die wenigen lustigen Aussagen von Frauen
wurden entweder ignoriert oder falsch interpretiert. Aus diesem Grund spielen in der
Humorwelt immer die Männer die dominierende Rolle. Sie entscheiden z.B., wie
Humor definiert werden soll und über welche Themen gelacht werden darf (vgl.
Naranjo-Huebl 1995).
Wenn wir behaupten, dass es doch einen weiblichen Humor gibt, stellt sich die Frage,
wie er sich vom männlichen Humor unterscheidet. Nach den verschiedenen
Forschungen von Grotjahn (1957), Harragan (1977), Crain (1981) und Apte (1985)
zeigt sich, dass Männer sich oft über aggressive oder erotische Witze amüsieren,
während Frauen lieber Witze mit Mehrdeutigkeit oder Anekdoten erzählen.
Außerdem mögen Männer die Einzeile- oder Zweizeilen-Witze, während sich Frauen
eher für die längeren Geschichten interessieren. Diese Verschiedenheit geht auf die
unterschiedlichen Zwecke des Witzerzählens bei Männern und Frauen zurück.
Männer fangen meistens an einen Witz zu erzählen, um die Aufmerksamkeit des
Publikums auf sich zu ziehen und sich dabei zu präsentieren. Deshalb können sie mit
wenigen Sätzen, die auf spezielle Themen wie Sex oder Aggression bezogen sind,
schnell ihr Ziel erreichen. Im Vergleich dazu erzählen Frauen Witze meistens, um den
Kontakt zu anderen Menschen herzustellen oder die Gemeinsamkeiten mit den
Freunden zu betonen. Dieser Zweck lässt sich mit einem neutralen Thema, das in
relativ ausführlicher Weise behandelt wird, besser erreichen (Jenkins 1985; NaranjoHuebl 1995; Schmid 2005).
45
3.1.2 Die Abhängigkeit von den Zeiten
Witz ist ein kulturelles Produkt, das immer eng mit der Zeit verbunden ist. Nicht alles,
worüber in früheren Zeiten gelacht wurde, muss unbedingt auch heute noch lustig
sein. Im Deutschen gibt es z.B. nicht mehr Kasino-Witze über monokeltragende und
schnarrend abgehackt redende Offiziere mehr, weil dieser Sozialtyp ausgestorben ist.
Andererseits sind noch immer Witze über die „Gnädige Frau und ihre Minna“ oder
über den „Butler und den gnädigen Herrn“ im Umlauf, obwohl „Dienstboten“ im
Sinne des 19. Jahrhunderts so gut wie nicht mehr existieren. Die Problematik der
ethnischen Vorurteile im Witz hat sich verlagert. Heute sind die Ostfriesen unsere
„Primitiven“ und Unterentwickelten. In einer Zeit sich wandelnder Sexualmoral sind
Hochzeitsnacht-Witze oder Witze über alte Jungfern nicht mehr gefragt. Aber trotz
der Freizügigkeit und Toleranz heutiger Auffassungen gibt es noch immer
Homosexuellen- oder Nudistenwitze. Außerdem hat die Entwicklung der Technik
auch immer neue Themen für den Witz geschaffen: Eisenbahn, Auto, Radio,
Fernsehen, Computer, Roboter, abstrakte Kunst, wechselnde Moden usw. (Röhrich
1977: 2).
Im Chinesischen findet man heute kaum Witze über die dummen xiù cái 28 , die
analphabetischen Reichen oder die am weltlichen Leben interessierten Mönche. Alle
diese sozialen Typen waren bekannte Figuren in den Witzblättern aus alten Zeiten. In
den modernen chinesischen Witzen geht es meistens um Familienbeziehungen,
Berufe, neue Technik, Sprachen usw. Außerdem sind ins Chinesische auch immer
mehr internationale Witze eingeführt worden, in denen mehrere Nationen mit ihren
(zugeschriebenen) Charaktereigenschaften präsentiert werden.
Die Zeitverbundenheit des Witzes lässt sich nicht nur an den speziellen Themen oder
Figuren feststellen, sondern auch an der beschränkten Gültigkeit von manchen
Witzen, die nur innerhalb einer bestimmten Phase funktionieren. Ohne das Wissen
über den zeitlichen Hintergrund ist es oft schwierig, die entsprechenden Witze zu
verstehen. Das Beispiel (1) funktioniert z.B. nur während der Zeit, als Ms. Thatcher
die britische Premierministerin war.
(1)
In der Thatcher-Zeit fragt ein Mädchen seinen Freund im Kindergarten:
28
Xiùcai war im alten China der Titel der Intellektuellen, die die staatliche Prüfung auf der Kreisebene
bestanden haben.
46
„Was willst du später machen?
Der Junge: „Ich will Premierminister werden!“
Darauf das Mädchen: „Was, können Männer auch Premierminister sein?“
(http://www.witz-des-tages.de)
Es ist offensichtlich, dass Männer Premierminister sein können, wenn man heutzutage
die Politik in Großbritannien oder auf der ganzen Welt beobachtet. Eigentlich spielen
Männer immer die dominierende Rolle, wenn es um die Spitzenpositionen in der
Politik geht. Das kleine Mädchen im Witz weiß dies nicht, weil sie wegen ihres
jungen Alters anscheinend nur die Premierministerin statt eines Premierministers
kennt. Dieser Witz würde heute in Großbritannien nicht mehr funktionieren, denn die
Nachfolger von Ms. Thatcher waren alle Männer.
Selbstverständlich sind nicht alle Witze so direkt mit der Zeit verbunden. Die meisten
gelten eher längere Zeit, wie z.B. die Ostfriesen- oder die Blondinenwitze. Aber im
Grunde genommen lässt sich der Zeitgeist immer im Witz widerspiegeln.
3.1.3 Die Abhängigkeit von den Kulturen und den Sprachen
Witze sind nicht nur diachron mit den Zeiten verbunden, sondern hängen auch
synchron mit den verschiedenen Kulturen und Sprachen zusammen. Das Verstehen
der Witze setzt häufig Kenntnisse über die Kulturen oder die Sprachen voraus, in
denen sie geschaffen worden sind. Wenn man z.B. die Ostfriesenwitze liest, muss
man das Hintergrundwissen haben, dass die Ostfriesen in der deutschen Humorkultur
meistens als die „Dummen“ betrachtet werden, wie in (2):
(2)
Haben Sie schon von dem Ostfriesen gehört, dessen Frau Drillinge bekam?
Er sucht noch immer die beiden anderen Männer.
(http://www.witz-des-tages.de)
Gelegentlich kommt auch der umgekehrte Fall dieses Witzes vor, in dem die
Ostfriesen
die
Klügeren
sind,
wobei
für
die
Bevölkerungsgruppe aus Süddeutschland eingesetzt wird.
(3)
Was machen die Ostfriesen bei Ebbe?
Sie verkaufen Land an die Schwaben.
47
Gegenseite
meist
eine
(Das extra dicke Witzbuch, 2005)
Die Ostfriesen wohnen in Nordwestdeutschland und stellen den östlichen Zweig der
friesischen Volksgruppe dar. Sie gehören neben den Dänen, Sorben und den Sinti und
Roma zu den anerkannten Minderheiten in Deutschland. Der Typus des
Ostfriesenwitzes entstand Ende der 1960er Jahre und löste eine der ersten großen,
landesweiten Witzwellen in Deutschland aus. Anders als bei anderen Witzen über
Bevölkerungsgruppen, ist für den Ostfriesenwitz die Entstehungsgeschichte relativ
genau bekannt. Das Gymnasium in Westerstede im Ammerland, einer Nachbarregion
Ostfrieslands, wurde und wird auch von ostfriesischen Schülern besucht. Wie bei
vielen anderen benachbarten Regionen gibt es auch zwischen den Bevölkerungen
Ostfrieslands und des Ammerlands immer wieder Sticheleien und Neckereien. Auf
dem besagten Gymnasium gipfelten diese in den Jahren 1968 und 1969 in einer von
dem
Schüler
Borwin
Bandelow
in
der
Schülerzeitung
„Der
Trompeter“ veröffentlichten Serie namens „Aus Forschung und Lehre“. In dieser
wurde über den so genannten „Homo ostfrisiensis“ berichtet, dem vermeintlich
unbeholfenen und dummen Bewohner Ostfrieslands (Wikipedia).
Neben den Ostfriesen ist die Blondine auch eine bekannte Witzfigur in der deutschen
Kultur. Dabei geht es meistens um ihre Dummheit, ihre Naivität oder das Thema
Sexualität, wie in dem folgenden Beispiel dargestellt wird.
(4)
Was sagt eine Blondine beim Frauenarzt, wenn sie erfährt, dass sie schwanger
ist?
Sind Sie sicher, dass es meines ist?
(http://www.witz-des-tages.de)
In der Antike war das dem Gold entsprechende Blond die Haarfarbe der Göttinnen
und Götter, der Heroen und der Herrscher. Dementsprechend war das Haar der heute
marmorweißen Skulpturen oftmals gelb gefasst oder vergoldet. Die Klischees über
die Blondinen gehen auf die 30er bis 50er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, als die
Wahrnehmung von Blondinen durch Filmstars wie Marilyn Monroe verstärkt wurde.
Seitdem werden dieser Gruppe Eigenschaften wie Dummheit, Naivität und erotische
Attraktivität zugeschrieben (Wikipedia).
48
Die Abhängigkeit des Witzes von der Sprache lässt sich vor allem in den Beispielen
finden, deren Effekt durch die Mehrdeutigkeit der Wörter oder der Phrasen im Witz
hergestellt wird. Das sind die so genannten Wortwitze, die im Chinesischen
besonders viel zu finden sind. Denn die chinesische Sprache verfügt über ein
Schriftzeichensystem, von dem eine große Menge Zeichen bei gleicher oder ähnlicher
Aussprache ganz verschiedene Bedeutungen haben. Z.B. hören sich die Wörter ཛྷ
(m), 偀(m) und 偖(mà) zwar ähnlich an, aber sie stehen jeweils für Mutter, Pferd
bzw. schimpfen. Aus diesem Grund können sich in der mündlichen Kommunikation
Missverständnisse leicht ergeben, wenn man die Wörter nicht richtig ausspricht. Der
folgende Witz ist ein Beispiel dafür:
(5)
ϔ໪೑᳟টএ佚ᄤᛇৗ∈低ˈԚᰃ䇈៤њ˖Āþⴵ㾝ÿ˄∈低˅໮ᇥ䪅˛āᇣ
ྤ໻ぬˈ᮶㗠ᯢⱑˈҪᰃ䯂∈低໮ᇥ䪅DŽ
低ᄤッϞᴹˈҪজ᢯ᴹᇣྤˈĀ䇋䯂᳝≵᳝þ㡖Ⳃÿ˄㡹㣝˅ଞ˛ā
ᇣྤ⠑ᖿഄ䇈˖Ā᳝ଞˈᙼᛇ㽕⚍ҔМḋⱘ㡖Ⳃਸ਼˛ā
Āህᰃ䙷⾡咘㡆ⱘ଺ĂĂā
(http://joke.tom.com)
Meine eigene Übersetzung:
Ein ausländischer Freund geht einmal in China in ein Restaurant und will
shujio (eine Art Teigtasche) essen. Da fragt er: „Wie viel kostet shuìjiào?
(Statt der richtigen Aussprache mit dem dritten Ton shujio hat er hier den
vierten Ton shuìjiào gesagt, der nicht mehr Teigtaschen, sondern Schlafen
bedeutet.)“ Die Kellnerin kriegt sofort einen roten Kopf und versteht später
endlich, dass der Kunde Teigtaschen haben möchte.
Nachdem das Essen an den Tisch gebracht worden ist, fragt der Ausländer
wieder die Kellnerin: „Haben Sie vielleicht jiémù? (Damit meint er Senf, der
auf Chinesisch jièmo heißt. Jiémù bedeutet Programm.)“
„Welches jiémù (Programm) möchten Sie denn?“ fragt die Kellnerin.
„Das Gelbfarbige29.“
Neben der Abhängigkeit von den Menschen, Zeiten, Kulturen und Sprachen sind
Witze auch durch die Gegensätzlichkeit gekennzeichnet, die darin besteht, dass das
29
Gelbfarbige Programme sind im Chinesischen eine metaphorische Wendung, die für die Erotik steht.
49
reale Geschehen im Text in Kontrast zu der Vorstellung steht, die der Leser/Hörer auf
Grund seines Hintergrundwissens gebildet hat. In Kapitel 3.2 wird auf dieses
Merkmal des Witzes eingegangen.
3.2 Die Gegensätzlichkeit des Witzes
Die Gegensätzlichkeit des Witzes lässt sich mit der semantischen Skript Theorie des
Humors – SSTH (Raskin 1985) erklären. Bevor wir auf den Grundgedanken der
SSTH eingehen, empfiehlt es sich, zuerst den Begriff Skript zu erklären.
3.2.1 Die Erklärung des Begriffs Skript
Das Wort Skript stammt aus dem lateinischen scriptum, das ursprünglich
Geschriebenes bedeutet. Im Duden (1999) wird Skript interpretiert als:
1) Manuskript, Niederschrift eines literarischen oder wissenschaftlichen Textes
als Vorlage für den Setzer;
2) Drehbuch in der Filmkunst;
3) einer Sendung zugrunde liegende schriftliche Aufzeichnungen beim Rundfunk
oder Fernsehen.
Im Grunde genommen ist das Skript ein niedergeschriebener Text als Vorlage für
einen literarischen, wissenschaftlichen oder künstlerischen Zweck.
Wenn es um das Skript im Witz geht, versteht es sich als semantische Informationen,
die mit den Wörtern im Witztext assoziiert sind oder von den Wörtern aufgerufen
werden. Das Skript ist identisch mit einer kognitiven Struktur, die ein/e
Muttersprachler/in zu einem Wort besitzt (vgl. Raskin 1985: 81). Im Folgenden wird
das Skript doctor (im medizinischen Sinne) dargestellt (Raskin 1985: 85):
DOCTOR
Subject: [+Human] [+Adult]
Activity: > Study medicine
= Receive patients: patient comes or doctor visits
doctor listens to complaints
doctor examines patient
= Cure disease: doctor diagnoses disease
doctor prescribes treatment
50
= (Take patient’s money)
Place: >
Medical school
= Hospital or doctor’s office
Time:
> Many years
= Every day
= Immediately
Condition: Physical contact
(“>” stands for “past”, “=” stands for “present”)
Das Skript lässt sich als die lexikalische Bedeutung eines Wortes verstehen (vgl.
Attardo 2001: 3). Jedes Wort im Witztext hat meistens mehrere lexikalische
Bedeutungen. Beim Verstehen eines Satzes wird bei jedem Wort nur eine von dessen
Bedeutungen ausgewählt, die zu der syntaktischen Funktion dieses Wortes im Satz
passt und gleichzeitig auch mit der Bedeutung der anderen Wörter kompatibel ist. Die
Zusammensetzung der Bedeutungen von allen Wörtern im Witz bildet das Skript für
den ganzen Text, das auch die semantische Interpretation des Witztextes darstellt. In
diesem Zusammenhang versteht man unter dem Skript im Witz die semantische
Interpretation des ganzen Textes (vgl. Attardo/Raskin 1991: 308).
3.2.2 Der Grundgedanke der SSTH
Der Grundgedanke der semantischen Skript Theorie über Humor besteht darin, dass
ein Witztext die folgenden zwei Bedingungen erfüllen muss (vgl. Raskin 1985: 99):
1. Der Text ist teils oder vollständig kompatibel mit zwei verschiedenen
Skripten;
2. Die beiden Skripten, die einander überlappen, stehen gleichzeitig in
Opposition zueinander.
Es bleibt offen, ob die beiden Voraussetzungen für einen Witztext ausreichend sind
oder nicht, denn der Humoreffekt eines Witzes ergibt sich nicht nur aus den
sprachlichen Elementen, sondern hat auch viel mit den psychischen Faktoren zu tun,
z.B. ob die Leser/Hörer in der Stimmung sind, einen Witz wahrzunehmen, oder ob
der Inhalt auf sie eher eine negative Wirkung ausübt usw. Aber wenn es um die
linguistische Seite geht, hat Raskin mit dem Gedanken der Skriptüberlappung und –
51
opposition einen Meilenstein in der Forschung über Humor und Witz gelegt (Davies
2005: 373).
Damit man eine klare Einsicht in die Skripttheorie bekommt, wird der folgende Witz
(6) als Beispiel genommen und nach der SSTH analysiert.
(6)
Ein Holländer trifft seinen Freund:
„Ich hab einen Rekord geschlagen!“
„So welchen denn?“
„Ich habe in vier Wochen ein Puzzle gemacht, auf dem ‚3-5 Jahre’ standen...“
(http://www.witz-des-tages.de)
Wenn man mit dem Puzzle-Spiel bekannt ist, versteht man unter den „3-5
Jahre“ normalerweise das Kinderalter, zu dem das Spiel geeignet ist. Diese
Interpretation gilt im Witz als Skript 1. Aber der Holländer hat anscheinend die „3-5
Jahre“ als die Zeitdauer verstanden, die für das Puzzlelösen benötigt wird. Deshalb
war er froh, als er für die Aufgabe statt 3-5 Jahre nur vier Wochen gebraucht hatte.
Des Holländers Interpretation ist Skript 2 im Witz. Auf diese Weise haben wir zwei
Skripten, deren Beziehung wie folgt dargestellt wird:
Skript 1
vs.
Skript 2
Alter (3-5 Jahre)
vs.
Zeitdauer (3-5 Jahre)
richtiges Verstehen
vs.
falsches Verstehen
normal/nicht-dumm vs.
dumm
Nach dem steigenden Abstraktheitsgrad werden Skript 1 und Skript 2 jeweils als
Alter vs. Zeitdauer, richtiges Verstehen vs. falsches Verstehen bzw. normal/nichtdumm vs. dumm dargestellt. Sie sind einerseits durch die Wortgruppe „3-5 Jahre“ im
Witz miteinander verbunden, andererseits stehen sie auf den letzten zwei Ebenen
(richtig vs. falsch, nicht-dumm vs. dumm.) direkt in Opposition zueinander.
3.2.2.1 Skriptüberlappen
Wenn man einen Witz liest oder hört, macht man auf Grund seiner Wissensvorlage
eine Interpretation des wahrgenommenen Witztextes. Durch die Einführung eines
52
Sprachelementes, das sich meist am Ende (oder manchmal auch in der Mitte) des
Witzes befindet, merkt man aber wieder, dass eine zweite Interpretation durch das
Sprachelement ausgelöst wird. Dieses Element bezeichnet Raskin als den
semantischen Trigger für den Skriptwechsel, den er weiter in zwei Sorten klassifiziert:
Ambiguität und Widerspruch (vgl. Raskin 1985: 114).
Unter Ambiguität versteht man „Doppelsinn, i.e., Eigenschaft von Ausdrücken
natürlicher Sprachen, denen mehrere Bedeutungen zukommen“ (Bußmann 2002: 73).
Im Witz hat das Wort oder die Wortgruppe, die als Trigger gilt, mindestens zwei
verschiedene semantische Bedeutungen. Beim Lesen oder Hören des Textes bis zum
Trigger wählt man eine dieser Bedeutungen aus und macht entsprechend die erste
Interpretation des ganzen Textes. Während man weiter den Witz bis zum Ende liest
oder hört, ist einem klar, dass die zweite Bedeutung des Triggers gewählt werden
sollte. Dadurch kommt man auf die zweite Interpretation des ganzen Witztextes. Auf
diese Weise sind zwei Skripten für den Witz entstanden. Folgendes ist ein Beispiel
von Raskin für den Ambiguitätstrigger:
(7)
The first thing which strikes a stranger in New York is a big car. (Esar, 1952:
77, Raskin 1985: 26)
Das Wort strike hat zwei Bedeutungen: „impress“ und „hit“. Wenn man den Satz bis
„...New York“ liest, denkt man meistens an die Bedeutung „impress“, aber wenn man
den Witz weiter bis zum Ende liest, dann merkt man, dass die zweite Bedeutung
„hit“ ausgewählt werden soll.
Der Widerspruchstrigger ist relativ einfach zu verstehen. Man liest den vorderen
Witztext und interpretiert dieses Textstück. Beim Lesen/Hören des letzten Textteils
kommt man auf eine widersprüchliche Interpretation zu dem vorherigen Textstück.
Mit einem Beispiel von Freud erläutert Raskin den Trigger des Widerspruchs:
(8)
A rogue who was being led out to execution on a Monday remarked: “Well,
this week is beginning nicely.” (Freud 1905: 294, Raskin 1985: 25)
Das Wort execution bedeutet das Todesurteil – das Ende des Menschenlebens. Im
Gegensatz dazu bezeichnet der Mann es als einen netten Wochenbeginn. Die beiden
Wörter „execution“ und „beginning nicely“ bilden einen Widerspruch zueinander.
53
Für die Kategorie des Ambiguitätstriggers unterscheidet Raskin weiter verschiedene
Arten: Reguläre Ambiguität (Polysemie und Homonymie), figurative Ambiguität,
syntaktische Ambiguität, Situationsambiguität und Quasi-Ambiguität (auf Grund
phonetischer
Mehrdeutigkeitsmöglichkeiten).
Für
die
Kategorie
des
Widerspruchstriggers hat er auch eine Variante, den Dichotomisierungstrigger,
festgestellt, der sich auf ein Paar von Antonymen im Witz bezieht (vgl. Raskin 1985:
114-117).
3.2.2.2 Skriptopposition
Die zweite These der SSTH lautet, dass die beiden Skripten in Opposition zueinander
stehen. Raskin hat ein Korpus von 32 Witzen analysiert und die folgenden drei Typen
von Oppositionen zusammengestellt (Raskin 1985: 108):
1. Ein Skript gilt direkt als die Negation oder das Antonym des anderen Skripts. Ein
Beispiel dafür sieht wie folgt aus:
(9)
By the time the wise man is old enough to marry, the fool has enough children
to support him. (Esar 1952: 18, Raskin 1985: 29)
In diesem Witz bilden “the wise man” and „the fool“ direkt ein Paar Antonyme (vgl.
Raskin 1985: 107).
2. Die beiden Skripten weisen gegensätzliche Eigenschaften auf. Unten ist ein
Beispiel dafür:
(10)
Should a person stir his coffee with his right hand or his left hand? Neither.
He should use a spoon. (Esar, 1952: 21, Raskin 1985: 26)
In dem Fragesatz geht man davon aus, dass der Mensch mit einem Instrument (Löffel)
in der Hand Kaffee trinkt, während die Antwort davon ausgeht, dass kein Löffel in
der Hand ist. Wenn man die beiden Skripte in diesem Witz ein bisschen umformuliert,
dann bekommt man ein Oppositionspaar: Hand mit Löffel vs. leere Hand (vgl. Raskin
1985: 107).
54
3. Die beiden Skripten bilden lokale Antonyme, d.h. Antonyme in dem Witzkontext.
(7)
“The first thing which strikes a stranger in New York is a big car.” (Esar,
1952: 77, Raskin 1985: 26)
Wie in Kapitel 3.2.2.1 dargestellt wird, kann man das Wort „strike“ in dem Witz auf
zwei Möglichkeiten verstehen: „beeinflussen“ und „schlagen“. Diese beiden
Bedeutungen führen zu den zwei verschiedenen Interpretationen des ganzen
Witztextes: 1. Das, was als Erstes einen Fremden in New York beeindruckt, ist ein
großes Auto. 2. Das, was als Erstes einen Fremden in New York anfährt, ist ein
großes Auto. Skript 1 und Skript 2 bilden keinen direkten Gegensatz zueinander. Sie
werden aber als lokale Antonyme betrachtet, was auf Grund der folgenden These
festgestellt worden ist:
Two linguistic entities whose meanings are opposite only within a particular
discourse and solely for the purpose of this discourse (cf. Lyons, 1977: 271-279,
Raskin 1985: 108).
Wenn man die drei Arten Opposition beobachtet, kann man sehen, dass die ersten
beiden eine relativ starke gegensätzliche Beziehung aufweisen, während die dritte Art
mit den lokalen Antonymen zu potenziellen logischen Problemen führen könnte: Es
bildet einen Teufelkreis, wenn man einerseits den Witz als einen Text mit zwei
gegensätzlichen Skripten definiert und andererseits wieder auf Grund der
Gegensätzlichkeit des Witzes die Beziehung zwischen den beiden Skripten als
Opposition feststellt (vgl. Attardo 1997, 2001).
Es erweist sich entweder eine Ergänzung oder eine neue Definition der Beziehung
zwischen den beiden Skripten als nötig. In dieser Arbeit vertreten wir die Ansicht,
dass die beiden Skripten im Witz wirklich in Opposition zueinander stehen, die aber
nicht zwischen den beiden konkreten semantischen Interpretationen des Textes
besteht, sondern eher auf einer höheren abstrakten Ebene auftritt. Auf der Ebene mit
dem höchsten Abstraktionsgrad kann die Opposition als normal vs. unnormal
ausgedrückt werden. Das Skript, das auf Grund des Wissensvorrates des
Lesers/Hörers gemacht wird, gehört zu der normalen Seite, während das andere
Skript, das sich direkt auf die reale Geschichte im Witztext bezieht, zu der
55
unnormalen Seite zählt. Mit anderen Worten, der Witz erweist sich in gewissem
Sinne als im Gegensatz zu dem Wissen des Lesers/Hörers, das er in einer bestimmten
Kultur- und Sprachumgebung erworben und gespeichert hat.
Der Wechsel von normal zu unnormal kann zuerst durch die Einführung eines
speziellen Konzepts (wie Sex, Ausscheidung usw.) stattfinden. D.h., es handelt sich
in dem Skript, das der Leser/Hörer gemäß seinem Hintergrundwissen gebildet hat,
zuerst noch nicht um das spezielle Thema Sex oder Ausscheidung, während in dem
anderen Skript, das dem Geschehen im Witztext entspricht, das spezielle Thema
durch die Neuinterpretation eines Sprachelements oder einer Textpassage eingeführt
wird. Ein Beispiel ist wie folgt:
(11)
“Is the doctor at home?” the patient asked in his bronchial whisper. “No,” the
doctor’s young and pretty wife whispered in reply. “Come right in.”
(American, 20th century, Raskin 1985: 32)
Wenn man den Witz bis „...whispered in reply“ liest, denkt man wahrscheinlich, dass
es sich um den Besuch eines Patienten bei seinem Arzt handelt; aber der letzte Satz
im Text weist darauf hin, dass der Besucher eigentlich der Geliebte der Frau des
Doktors ist. In diesem Witz versteht sich die Opposition als der Gegensatz zwischen
dem Patienten und dem Geliebten. Auf einer Ebene mit höherer Abstraktion lässt sich
die Opposition als kein Bezug auf Sex vs. Bezug auf Sex formulieren.
Außerdem kann der Wechsel von normal zu unnormal durch die Einführung einer
speziellen (meistens negativen) Eigenschaft stattfinden, z.B. Dummheit, Geiz, usw.
Dabei handelt es sich im Witz meistens um das Verhalten einer Person oder
Personengruppe, die der Witzleser/-hörer als dumm, geizig usw. betrachtet. Witz (12)
ist ein Beispiel für diese Kategorie:
(12)
Drei Schwaben sind auf einer Alpenwanderung in eine Gletscherspalte
gefallen.
Nach langer Zeit kommt die Hilfe.
Von oben rufen die Helfer:
„Wir sind vom Roten Kreuz.“
Rufen die Schwaben im Chor:
„Mir gäbet nix!“
56
(http://www.witz-des-tages.de)
Das Rote Kreuz will den drei Schwaben helfen, die in Schwierigkeit geraten sind.
Aber die Schwaben meinen, dass das Rote Kreuz nur Spenden von ihnen will.
Deshalb lehnen sie das Rote Kreuz ab, obwohl sie eigentlich Hilfe benötigen. Die
Opposition liegt in diesem Witz zwischen dem Geiz der Schwaben und der von dem
Leser/Hörer für normal gehaltene Reaktion in diesem Fall, nämlich Hilfe vom Roten
Kreuz anzunehmen.
Zuletzt gibt es noch eine Witzkategorie, deren Effekt nur durch die Ambiguität der
Sprache hergestellt wird. Dabei geht es weder um ein spezielles Thema wie Sex noch
um eine negative Eigenschaft wie Dummheit, sondern es handelt sich um die
Mehrdeutigkeit eines Wortes oder einer Wortgruppe. Der Leser/Hörer wählt nach
seinem Hintergrundwissen eine Bedeutung des Wortes oder der Wortgruppe aus,
während es sich am Ende des Witzes herausstellt, dass eine andere Bedeutung in
Frage kommt. Folgendes ist ein Beispiel für diese Kategorie:
(13)
He’s a man of letters; he works in the Post Office. (Esar, 1952, 13, Raskin
1985: 29)
Wenn man nur den vorderen Teil des Witzes liest, denkt man, dass unter
„letters“ Literatur verstanden wird, dann bedeutet „a man of letters“ einen
Schriftsteller. Aber wenn man den Witz bis zum Ende liest, ist einem klar, dass das
Wort „letters“ in dem vorderen Teil als Briefe verstanden soll. „A man of letters“ ist
dann ein Postbote.
Es ist zu bemerken, dass die letzte Kategorie sich nur mit den Witzen befasst, in
denen die sprachliche Ambiguität gleichzeitig den Witzinhalt bildet. Davon sind
diejenigen ausgeschlossen, in denen die Einführung des Konzeptes „Sex“ oder der
negativen Eigenschaften durch die Sprachtechnik ermöglicht wird, wie in (14) bzw.
(6) (siehe Kapitel 3.2.2) dargestellt.
(14)
ϔᑈ䕏ཇ䚢こ T-Shirt ߎ␌ˈ㛌᳝ࠡϸϾ༛⡍ⱘĀ99āᄫḋDŽϔ㗕໪ⳟ㾕ˈ㾝ᕫ
䖭㸷᳡དⳟˈᛇ⿄䌲ϔϟˈԚ᮴༜Ё᭛໾Ꮒˈᖬ䆄 9 ᗢМ䇏ˈᚙᗹПϟᣛⴔཇ
䚢㛌䚼䇈˖ĀԴ䖭ϸϾ nine nine ᕜⓖ҂ʽā
(http://joke.tom.com)
57
Meine eigene Übersetzung:
Eine junge Chinesin trägt ein T-Shirt mit den Zeichen „99“ an der Brust. Auf
der Straße trifft sie einen Ausländer, der ihr T-Shirt sehr hübsch findet. Der
Ausländer will der jungen Frau sagen, dass ihr T-Shirt mit den Zeichen schön
aussieht. Aber er vergisst, wie man „9” auf Chinesisch sagt. Deshalb zeigt er
direkt auf die Zahlen und lobt: “Ihre beiden nine nine’ sind wunderschön!”
Der Ausländer will die Zahl „9” sagen, die auf Chinesisch „ji” heißt. Aber er hat das
vergessen und nimmt dann das englische Wort „nine”, das zufällig die ähnliche
Ausprache wie das chinesische Wort ཊ(ni, Brust) hat. „Ihre beiden nine nine“ hört
sich dann ähnlich wie „Ihre beiden Brüste…“ an. Durch diese Verwechselung wird
das Konzept „Sex“ in die zweite Interpretation des Textes eingeführt.
In Witz (6) aus dem Kapitel 3.2.2 geht es um den Holländer, der unter „3-5 Jahre“ auf
der Packung des Puzzlespiels die Zeit versteht, die man für das Spiel benötigen wird.
Nach dem Hintergrundwissen wird mit „3-5 Jahren“ das zu dem Spiel passende
Kinderalter gemeint. Die Mehrdeutigkeit der Wendung dient hier nur als die Technik,
mit der der Wechsel vom richtigen zum falschen Verstehen der Wörter auf der
Spielpackung ermöglicht wird, so dass die spezielle Eigenschaft – in diesem Fall die
Dummheit des Holländers im Witz eingeführt wird.
3.3 Fazit
In diesem Kapitel sind die beiden grundlegenden Merkmale des Witzes erläutert
worden, die Abhängigkeit und die Gegensätzlichkeit.
Witze existieren nicht allein. Sie hängen immer von den Menschen ab, die sie
erzählen, lesen oder hören. Während die Stimmung und die Erzähltechnik eine große
Rolle beim Erzielen des Witzeffektes spielen, zählen das Alter und das Geschlecht
des Lesers/Hörers auch zu den Faktoren, die die Rezeption des Witzes stark
beeinflussen. Außerdem verändern sich der Inhalt und die Form des Witzes ständig
diachron mit der Zeit und synchron mit der Kultur und der Sprache, in der sie
geschaffen werden.
Der Witz lässt sich auch durch die Gegensätzlichkeit kennzeichnen, die darin besteht,
dass der Text immer mit zwei verschiedenen Skripten, die einerseits miteinander
verbunden sind, andererseits in Kontrast zueinander stehen, kompatibel ist. Das eine
58
Skript entspricht der Erwartung, die der Leser/Hörer nach seinem Hintergrundwissen
gebildet hat, während das andere sich mit dem realen Geschehen im Text
identifizieren lässt.
Nachdem wir die Grundmerkmale des Witzes erläutert haben, gehen wir im nächsten
Kapitel auf die empirische Untersuchung zu den deutschen und den chinesischen
Witzen ein. Dabei werden vor allem die verschiedenen Aspekte, unter denen die
Witzbeispiele genau zu analysieren sind, vorgestellt.
59
60
4. Die Aspekte in der Witzanalyse
Humor ist das, was man verliert,
wenn man den Vorgang definiert.
- Theodor Lessing
Mit diesem Kapitel beginnt der empirische Teil der Arbeit. Bevor wir auf die
konkrete Analyse und den Vergleich der deutschen und der chinesischen Witze
eingehen, empfiehlt es sich, zuerst die verschiedenen Aspekte, unter denen die
Witzbeispiele in dieser Studie analysiert werden, ausführlicher zu erläutern.
Wenn man sich Gedanken über die Witze aus einer anderen Kultur macht, denkt man
vor allem an die folgenden beiden Fragen:
1. Worüber wird in der anderen Kultur gelacht?
2. Warum lacht man über bestimmte Menschen oder Gegenstände in der anderen
Kultur?
Die Untersuchung in dieser Arbeit konzentriert sich auf die beiden Fragen und es
wird zuerst versucht, die „Zielscheiben“ in den deutschen und den chinesischen
ethnischen und Familienwitzen zu analysieren. Anschließend ist beabsichtigt, die
Ursache für das Auslachen der Zielscheiben herauszufinden, indem die folgenden
beiden Fragen beantwortet werden: 1. In Bezug auf welche Eigenschaften lacht man
über die Zielscheiben in den ethnischen und den Familienwitzen? 2. Warum lachen
die Chinesen oder die Deutschen über diese Eigenschaften?
Neben diesen grundlegenden Fragen wird darüber hinaus beabsichtigt, die typischen
Situationen, die in den deutschen und den chinesischen Witzen häufig vorkommen,
darzustellen. Z.B. geht es um eine Restaurantszene, das Einkaufen, den Verkehr, den
Gottesdienst, usw. Außerdem wird versucht, den Lesern zu zeigen, wie ein deutscher
bzw. ein chinesischer Witz aussieht. Mit anderen Worten: In welcher Textform wird
der Witzinhalt ausgedrückt?
Wie in der Einführung dieser Arbeit erwähnt, sind einige der oben genannten Aspekte
der erweiterten Skripttheorie, der Generellen Theorie des Verbalen Humors (GTVH)
entnommen worden, deshalb wird in diesem Kapitel zuerst die GTVH kurz
vorgestellt. Anschließend werden die fünf Aspekte der Witzanalyse – die Zielscheibe,
61
deren Eigenschaften, das Hintergrundwissen, die Situation und die Textform in fünf
Teilen mit Beispielen ausführlich dargestellt. Der letzte Teil gilt als die
Zusammenfassung des ganzen Kapitels.
4.1 Die Generelle Theorie des Verbalen Humors – GTVH
Die Generelle Theorie des Verbalen Humors (GTVH) von Attardo/Raskin (1991) gilt
als die Erweiterung der Semantischen Skript Theorie über Humor (SSTH), insofern
die GTVH eine Erklärung des Witzes nicht nur in semantischer Hinsicht, sondern
auch auf der weiteren linguistischen Ebene bietet. Diese Erweiterung wird dadurch
ermöglicht, dass neben der Skriptopposition fünf weitere Faktoren für die
Beschreibung des Witzes eingeführt werden: der logische Mechanismus (LM30), die
Situation (SI), die Zielscheibe (TA), die Erzählform (NS) und die Sprache (LA).
Diese fünf Faktoren und die Skriptopposition (SO) werden von Attardo und Raskin
als die sechs Knowledge Resources (KR) bezeichnet (vgl. Attardo 1994: 222 - 223).
Die Skriptopposition (SO) ist bereits im Kapitel 3.2 erläutert worden. Darunter
versteht man die Beziehung zwischen den zwei Skripten – den zwei
Verstehensmöglichkeiten des Witzes. Sie sind einerseits miteinander verbunden,
andererseits stehen sie in Kontrast zueinander. Die SO gilt als eine der notwendigen
Bedingungen dafür, dass ein Text als Witz bezeichnet wird.
Der logische Mechanismus (LM) bezieht sich auf die logischen Regeln, nach denen
von einem Skript zu dem anderen umgeschaltet wird. In den psychologischen
Forschungen über den Witz wird der logische Mechanismus auch als „Sinn im
Unsinn“ (Freud 1905: 204, zitiert nach Attardo 1997: 406) oder „lokale Logik“ (Ziv
1984: 90, zitiert nach Attardo 1997: 407) bezeichnet. Attardo, Hempelmann und Di
Maio (2002) haben eine Liste von verschiedenen LMs zusammengestellt, die z.B. die
falsche Analogie, den Figur-Hintergrund-Wechsel, die Übertreibung etc. umfasst. Um
den logischen Mechanismus besser zu verstehen, analysieren wir den folgenden Witz
(1), in dem der Figur-Hintergrund-Wechsel verwendet wird.
(1)
How many Poles does it take to screw in a light bulb?
30
Die Abkürzung der Knowledge Resourses kommt aus ihren englischen Bezeichnungen, nämlich: the
script opposition (SO), the logical mechanism (LM), the situation (SI), the target (TA), the narrative
strategy (NS) and the language (LA) (Attardo 1994: 222 – 223).
62
Five, one to hold the light bulb and four to turn the table. (Freedman and
Hoffman 1980, zitiert nach Attardo 2001: 22)
Der Begriff Figur-Hintergrund stammt aus der Gestalt-Psychologie, die in der ersten
Hälfte des 20. Jahrhunderts von Max Wertheimer, Wolfgang Köhler und Kurt Koffka
entwickelt wurde. Mit dem Begriff Figur-Hintergrund wird eine wichtige Eigenschaft
der menschlichen Wahrnehmung der Außenwelt dargestellt. Wir betrachten meistens
die Gegenstände, die leichter zu bewegen sind oder auf die wir unsere Wahrnehmung
fokussieren, als die Figur, während die Umgebung der Figur den Hintergrund darstellt
und meistens stabiler als die Figur ist (vgl. Talmy 1983). Nach dieser Unterscheidung
werden in der Situation des Glühbirneneinschraubens die stabile Umgebung, die den
Tisch und den Polen, der auf dem Tisch steht, umfasst, als Hintergrund gesehen,
während die Glühbirne, die von dem Polen in die Fassung eingedreht werden soll, als
Figur vorkommt. In (1) werden aber die beiden gewechselt, indem die Glühbirne als
der stabile Hintergrund dient, während der Tisch, der von den anderen vier Polen
gedreht werden soll, als Figur vorkommt. Auf diese Weise kann man wahrscheinlich
die Aufgabe auch erledigen. Aber der neue Prozess sieht ungewöhnlich aus und gilt
als Kontrast zu dem, was der Leser/Hörer sich bei dem Sachverhalt vorstellt (vgl.
Attardo/Raskin 1991: 303).
Das Knowledge Resource Situation (SI) lässt sich relativ einfach verstehen. Dabei
geht es um die konkrete Szene, die im Witztext dargestellt wird. Zu der Szene
gehören z.B. die Aktivitäten, die Zeit, der Ort und andere Rahmenbedingungen für
die Geschichte im Witz (vgl. Attardo 2001: 24). Die Situation in (1) lässt sich als das
Einschrauben der Glühbirne formulieren.
Das KR Target (TA) beschäftigt sich vor allem mit der Zielscheibe, die im Witz mit
ihren Eigenschaften präsentiert und ausgelacht wird. Als TA können die Mitglieder
eines Berufs (Ärzte, Beamten, Polizisten), eine ethnische Einheit (Ostfriesen,
Schotten) oder Menschen, die eine spezielle Gewohnheit haben (Alkoholiker) usw.
vorkommen. Die Zielscheibe in (1) sind die Polen.
Unter der Narrative Strategy (NS) versteht man die Gattung des Witztextes, die z.B.
eine Erzählung, ein Dialog, eine Frage-Antwort-Struktur oder ein Dreier-Modell31 ist
31
Die englischen Formulierungen von Attardo und Raskin sind „an expository text or a simple
narrative“, „a dialogue (question and answer)“, „a (pseudo-)riddle“ und „a triple
sequence“ (Attardo/Raskin 1991: 300, Attardo 2001: 23).
63
(vgl. Attardo 2001: 23). Der Witz (1) wird in der Frage-Antwort-Struktur ausgedrückt,
die aber auch in eine andere Form (wie (1a)) umgewandelt werden kann.
(1a)
It takes five Poles to screw in a light bulb: One to hold the light bulb and four
to turn the table he is standing on. (Attardo & Raskin 1991: 295)
(1a) wird in der Form einer Erzählung geliefert. Der Inhalt wird zwar nicht geändert,
aber das Original (1) wirkt spannender und geeigneter für die mündliche
Kommunikation als die Variante (1a).
Mit dem Knowledge Resource Language (LA) ist die konkrete sprachliche
Formulierung des Witzes gemeint. Dazu gehört die Wahl der Wörter, der
syntaktischen Konstruktionen bzw. der Erzählperspektive. Man kann denselben Witz
in verschiedener Weise formulieren. (1b) ist z.B. eine Variante von (1), die sich vom
Original nur in der Sprache unterscheidet.
(1b)
The number of Poles needed to screw in a light bulb? Five, one to hold the
light bulb and four to turn the table. (Attardo & Raskin 1991: 295)
Die Varianten, die sich vom Original nur in dem KR Sprache unterscheiden, machen
auf den Leser/Hörer den Eindruck, dass sie derselbe Witz wie das Original sind.
Nach der kurzen Vorstellung der Generellen Theorie des Verbalen Humors werden
wir sehen, warum die Skriptopposition, die Situation, die Zielscheibe und die
Erzählform auf die Vergleichsstudie über die deutschen und die chinesischen Witze
angewendet werden, während der logische Mechanismus und die Sprache nicht
berücksichtigt werden.
Von den sechs KRs sind die Skriptopposition, die Situation und die Zielscheibe auf
den Inhalt des Witzes orientiert, denn sie befassen sich mit der Witzfigur, deren
Eigenschaft und dem konkreten Geschehen im Witz. Im Vergleich dazu hängen der
logische
Mechanismus,
die
Erzählform
und
die
Sprache
eher
mit
der
Darstellungsweise des Witzes zusammen (vgl. Attardo/Raskin 1991: 321).
Angesichts der großen Unterschiede in der Geschichte, der Kultur und der
Gesellschaft zwischen Deutschland und China bzw. der engen Abhängigkeit des
Witzes von der Zeit und der Kultur können wir uns gut vorstellen, dass es
64
Unterschiede zwischen den deutschen und den chinesischen Witzen in Bezug auf die
inhaltsorientierten KRs gibt. D.h., man lacht über etwas Anderes in verschiedenen
Gesellschaften. Aus diesem Grund werden die Skriptopposition, die Zielscheibe und
die Situation in die Vergleichsstudie eingeführt. Wegen der Verschiedenheit in der
Sprache und der damit verbundenen Denkweise zwischen Deutschland und China
könnte die Erzählform des Witzes, d.h., wie man einen Witz darstellt, in den beiden
Ländern auch unterschiedlich sein. Deshalb wird dieses KR auch in die Studie
einbezogen.
Der logische Mechanismus wird hier nicht berücksichtigt, einerseits weil die
logischen Regeln, nach denen von einem Skript zum anderen gewechselt wird,
universal sind, d.h., sie verändern sich nicht mit der Sprache und der Kultur;
andererseits weil sich dieser Parameter nach den bisherigen Forschungen als
umstritten und unstabil zeigt (Attardo 2001: 25, Davies 2004: 379). Für eine
systematische Darstellung der logischen Regeln im Witz wird meiner Ansicht nach
eine Forschung innerhalb der kognitiven Wissenschaft benötigt, die bis jetzt kaum
durchgeführt worden ist 32 . In dieser Studie mit dem Schwerpunkt auf dem
linguistischen und dem kulturellen Vergleich wird deshalb auf die Analyse der
logischen Regeln verzichtet. Das Knowledge Resource LA beschäftigt sich mit der
konkreten sprachlichen Formulierung des Witzes. Eine Analyse dieses KRs zeigt sich
vor allem sinnvoll, wenn es um einen Witzvergleich innerhalb desselben
Sprachsystems geht, denn dadurch kann man die Wirkung der Sprache auf die
Erzeugung
des
Witzeffektes
genau
untersuchen.
Die
bestehenden
großen
Unterschiede zwischen dem Deutschen und dem Chinesischen machen einen
Vergleich von Witzen in diesen beiden Sprachen unter dem Aspekt LA wenig
aussichtsreich und eher problematisch. Aus diesem Grund wird das KR Sprache in
dieser Studie nicht berücksichtigt.
In den folgenden Teilen werden wir die verschiedenen Aspekte, die auf die
empirische Untersuchung angewendet werden, mit Beispielen ausführlich darstellen.
32
Die kognitiven Forschungen zum Witz wurden vor allem von Geert Brône, Kurt Feyaerts und Tony
Veale an der Universität Leuven, Belgien durchgeführt. Die wichtigen Veröffentlichungen von ihnen
sind: 1. „Assessing the SSTH and GTVH: A view from cognitive linguistics“. Humor: International
Journal of Humor Research 17 (4), 361-372. 2. „Cognitive mechanisms of adversarial humor“. Humor:
International Journal of Humor Research 19 (3), 305-339.
65
4.2 Die Zielscheibe
Unter der Zielscheibe versteht man die Menschen oder die Gegenstände, die im Witz
wegen bestimmter Eigenschaften ausgelacht werden. Die Witzeinträge auf den
Webseiten sind meistens nach deren Zielscheiben geordnet, z.B. die Ostfriesenwitze,
die Ärztewitze und die Beamtenwitze. (2) ist ein Beispiel für die Schottenwitze.
(2)
Der Schotte zum Bäcker:
„Bitte ein Stück Brot! Und wickeln Sie es bitte in die Zeitung von heute ein!“
(http://www.witz-des-tages.de)
In (2) geht es um den Geiz des Schotten. Er will von dem Bäcker nicht nur das Brot
kaufen, sondern auch noch die Zeitung umsonst bekommen. Die Zielscheiben werden
im Witz ausgelacht, weil ihr Verhalten vom Leser/Hörer als negativ oder unnormal
angesehen wird.
4.2.1 Harmlose und tendenziöse Witze
Es gibt aber auch Witze, in denen keine Zielscheibe vorkommt, z.B. in (7) aus Kapitel
3:
(7, Kapitel 3) The first thing which strikes a stranger in New York is a big car. (Esar,
1952: 77, Raskin 1985: 26)
Hier geht es weder um die Eigenschaft einer Person noch um das besondere Merkmal
eines Gegenstandes, aber die Mehrdeutigkeit des Wortes strike macht es möglich, den
Text auf zwei verschiedene Weisen zu interpretieren, was eine Voraussetzung für den
Witzeffekt bildet. Daraus kann man schließen, dass die Zielscheibe für einen Witz
nicht nötig ist.
Freud (1905) unterscheidet zwischen den harmlosen und den tendenziösen Witzen.
Die ersteren sind Selbstzweck und dienen keiner besonderen Absicht, während die
letzteren sich in den Dienst einer Tendenz stellen und deshalb Gefahr laufen, dass
bestimmte Personen sie nicht hören wollen (Freud 1905: 97-98).
In den harmlosen Witzen sind keine Zielscheiben vorhanden. Dazu gehören z.B. die
Wortwitze, deren Humoreffekt durch das semantische Potential der Sprachelemente
66
im Witz hergestellt wird, wie in dem oben genannten Witz (7). Aber nicht jeder
Wortwitz ist harmlos. So haben z.B. die, die mit „Eigennamen“ spielen, häufig eine
beleidigende und verletzende Tendenz, sie gehören selbstredend zu den Wortwitzen
(Freud 1905: 98). Zu den harmlosen Witzen gehören auch noch manche von den
Sachwitzen, die im Vergleich zu den Wortwitzen durch Verstöße gegen die Moral,
die Logik, die Kulturkonventionen usw. erzeugt werden. Unter den harmlosen
Sachwitzen sind viele Tierwitze, in denen die Tiere personifiziert werden und sich
anders verhalten, als die Menschen sie sonst kennen. Witz (3) ist ein Beispiel dafür.
(3)
Zwei Flöhe kommen aus dem Kino.
Fragt der eine:
„Gehst du auch zu Fuß?“
„Nein, ich hab’s eilig. Ich nehm’ mir ’nen Hund.“
(Die besten Witze von A-Z, 2003)
Nach unserem Common Sense-Wissen trifft es zu, dass der Floh im Pelz eines
Hundes bleibt und sich von ihm ernährt, was eine biologische Eigenschaft und
Lebensgewohnheit der Flöhe ist. Diese Tatsache wird aber in Witz (3) in ein
menschliches Verhalten umgewandelt, indem das Verweilen des Flohs auf einem
Hund als ein Taxinehmen betrachtet wird. Die Personifikation dient hier als ein
Verstoß gegen das Common Sense-Wissen. Eine Zielscheibe ist in Witz (3) nicht zu
finden, denn es wird nicht über eine spezielle Eigenschaft des Flohs gelacht, die der
Leser für negativ hält, sondern es geht eher um den Gegensatz zwischen der
menschlichen Kenntnis über Flöhe und der personifizierenden Interpretation des
Verhaltens der Flöhe.
Genau gesagt, sind die harmlosen Witze auch nicht wirklich zwecklos, denn sie haben
sich unverkennbar das Ziel gesteckt, Lust beim Hörer hervorzurufen (Freud 1905:
103). Eine ähnliche Ansicht haben die Philosophen, die den Witz dem Komischen
zurechnen und das Komische in der Ästhetik abhandeln. Nach ihrer Meinung ist der
Genuss rein ästhetisch. Der hat nur in sich seinen Zweck und erfüllt keine anderen
Lebenszwecke (Fischer 1889: 68, zitiert nach Freud 1905: 103).
In tendenziösen Witzen sind jedoch immer Zielscheiben vorhanden. Freud
unterscheidet hier zwei große Tendenzen: die Feindseligkeit (die zur Aggression,
Satire, Abwehr dient) und die Obszönität (welche der Entblößung dient) (Freud 1905:
67
105). Zu den ersteren gehören z.B. die Berufswitze (Ärztewitze, Beamtenwitze,
Juristenwitze, Politikerwitze), in denen die Angehörigen eines bestimmten Berufs
wegen ihrer Unfähigkeit oder Faulheit bei der Arbeit ausgelacht werden, oder manche
der Blondinenwitze, in denen die Blondinen immer als dumm und naiv präsentiert
werden. (4) ist ein Beispiel für den Bezug auf Faulheit.
(4)
„Donnerwetter!“ entfährt es dem Oberinspektor, als er den schlafenden
Kollegen sieht, „der hat sich aber überraschend schnell bei uns eingearbeitet.“
(Die besten Witze von A-Z, 2003)
Die feindseligen Witze dienen vor allem dazu, dass sich Menschen beim Erzählen,
Lesen oder Anhören solcher Witze wegen der Verstöße gegen die moralischen,
logischen oder kulturellen Regeln, die sie in ihrer Erziehung gelernt haben, von
diesen Beschränkungen befreien (vgl. Freud 1905: 110). Ähnlich sieht es auch bei
den obszönen Witzen aus. Dabei wird die Lust der Menschen durch eine Befreiung
von den Tabus im Bereich des Sexuellen hergestellt. Da die Blondinen neben dem
Symbol für Dummheit und Naivität auch ein Sex-Image besitzen, gehören viele
Blondinenwitze zu der obszönen Kategorie. Ein Beispiel wird in (5) gezeigt.
(5)
Auf der Straße treffen sich zwei Blondinen. Die eine: „Mein Vermieter will,
dass ich bis zum Monatsende ausgezogen bin!“ Darauf die andere: „Da hast
du aber noch Glück - meiner will das jeden Abend!“
(http://www.dein-witz.de)
Außerdem enthalten auch manche Tierwitze sexuelle Phantasien.
(6)
Zwei Schlangen kommen an einem Teller Spaghetti vorbei. Entrüsten sich
beide: „So klein und schon Gruppensex!“
(http://www.witzdestages.net)
68
4.2.2 Die Zielscheibe in den ethnischen und den Familienwitzen
In dieser Arbeit werden die ethnischen und die Familienwitze in der empirischen
Untersuchung als Beispiele analysiert. Aus der obigen Darstellung der harmlosen und
der tendenziösen Witze kann man herleiten, dass die ethnischen und die
Familienwitze zu der tendenziösen Kategorie gehören, was sich dadurch erklären
lässt, dass ethnische Witze immer von verschiedenen ethnischen Gruppen handeln,
denen eine spezielle Eigenschaft (wie Dummheit, Geiz, usw.) oder eine komische
Verhaltensweise zugeschrieben wird. Witze (1) und (2) in diesem Kapitel gelten als
Beispiele für die ethnischen Witze. Dabei dienen jeweils der Pole und der Schotte als
die Zielscheibe. Was die Familienwitze betrifft, geht es dabei immer um die
speziellen
Eigenschaften
untereinander.
D.h.,
Familienangehörigen
die
oder
der
Familienmitglieder
Zielscheiben
ihre
sind
Beziehungen,
oder
deren
hier
die
wie
z.B.
Beziehungen
verschiedenen
Vater,
Mutter,
Schwiegermutter-Schwiegertochter, usw. Sie werden meistens im Witz ausgelacht,
weil ihr Verhalten anders ist als das, was sich der Leser/Hörer nach seinem Wissen
über die Familie vorstellt. Ein Beispiel wird in (7) gezeigt.
(7)
кᑫЏ˖Ā䖭ᴀкⳟњˈ᳝䍷ᕫϔᅮৃҹュ⅏DŽā
ཛҎ˖Āфϔ‫ˈݠ‬៥ᣓএ㒭៥ယယDŽā
(http://www.jokescn.com)
Meine eigene Übersetzung:
Buchhändler: „Das Buch ist so lustig, dass man sich darüber totlachen kann.“
Frau: „Dann kaufe ich eins für meine Schwiegermutter.“
Nach der chinesischen Familienmoral soll die Schwiegertochter ihre Schwiegermutter
respektieren bzw. sich um ihr Leben kümmern. Das gilt als das Hintergrundwissen für
das Verstehen von (7). Was die junge Frau hier tut, ist aber genau das Gegenteil
davon. Sie will ein Buch kaufen, das ihre Schwiegermutter umbringen wird. Die
Wendung „totlachen“ versteht sie hier nicht als „viel lachen“, sondern wörtlich
„(jemand) lacht so sehr, dass er stirbt“.
Nachdem wir den ersten Aspekt in der Witzanalyse – die Zielscheibe – diskutiert
haben, gehen wir in den kommenden beiden Teilen auf das zweite grundlegende
69
Problem ein: In Bezug auf welche Eigenschaften der Zielscheiben und warum wird
über diese Eigenschaften gelacht?
4.3 Die Eigenschaft der Zielscheibe
4.3.1 Die Eigenschaft und das Skript 2 im Witz
In Kapitel 3 haben wir erfahren, dass der Witztext stets mit zwei verschiedenen
Skripten kompatibel ist. Mit anderen Worten: Der Text lässt sich nach zwei
unterschiedlichen Möglichkeiten interpretieren. Diese beiden Interpretationen sind
einerseits miteinander verbunden, andererseits stehen sie in einer Beziehung der
Opposition zueinander. Das eine Skript (S1) entspricht der Erwartung des
Lesers/Hörers von der Geschichte im Witz, während das andere Skript (S2) das reale
Geschehen im Text darstellt. Außerdem haben wir auch den Schluss gezogen, dass es
in S2 entweder um ein spezielles Konzept wie „Sex“, eine besondere Eigenschaft der
Zielscheibe, die meist von dem Leser/Hörer für negativ gehalten wird, oder um einen
ambivalenten Gebrauch der Sprachelemente im Witz geht. Die ersten beiden
Varianten sind auch identisch mit der obszönen bzw. der aggressiven Tendenz in
Freuds Unterscheidung. Wenn wir uns mit der Frage auseinandersetzen, in welcher
Hinsicht die Zielscheiben im Witz ausgelacht werden, dann kommt vor allem die
zweite Variante in Frage, die spezifische (oder negative) Eigenschaft. Aber es ist
nicht selten zu sehen, dass der Sexbezug und die negative Eigenschaft in einem Witz
zusammen vorkommen, wie in dem Beispiel (8) gezeigt wird.
(8)
Ein internationales Diplomatentreffen.
Beim Essen meldet sich ein Engländer: „Let’s drink to the ladies of the eastern
hemisphere!“
Dann meldet sich ein Diplomat aus Asien: „Let’s drink to the ladies of the
western hemisphere!“
Der französische Diplomat will auch die Gelegenheit ausnutzen, um die
Weltoffenheit und den internationalen Geist Frankreichs zu zeigen, dann
meldet er sich in trockenem Englisch: „Let’s drink to both of the hemispheres
of the ladies!“
(http://www.witzdestages.net)
70
Wie alle wissen, sprechen die Franzosen im Lande kaum Englisch oder eine andere
Sprache, weil sie den Purismus im Gebrauch ihrer Muttersprache schützen und
bewahren wollen. Deshalb werden sie oft wegen ihrer Unfähigkeit, Englisch zu
sprechen, ausgelacht, wie in (8) dargestellt wird. Der französische Diplomat will
eigentlich sagen: „Lasst uns auf die Damen der beiden Hemisphären anstoßen“. Sein
mangelndes englisches Wissen führt jedoch zu einem grammatischen Fehler bzw. zu
einem ganz anderen Satz: „Lasst uns auf die beiden Hemisphären der Damen
anstoßen“. Dabei hat er die Nominalgruppe „die Damen“ mit dessen Attribut „der
beiden Hemisphären“, das im Genitiv stehen sollte, verwechselt. In dem neuen Satz
lassen sich „die beiden Hemisphären der Damen“ auf die Brüste der Frauen beziehen,
weil die Hemisphäre und die Brust in gewissem Sinne von der Form her ähnlich
aussehen und in diesem Kontext auch dasselbe Attribut besitzen. Mit diesem Hinweis
wird das Konzept „Sex“ in den Text eingeführt, das einen starken Kontrast zu dem
seriösen Diplomatenkontext bildet. Auf diese Weise wird der Lacheffekt in (8)
hergestellt.
4.3.2 Die fünf grundlegenden Skriptoppositionen von Raskin
Raskin hat in seiner Entwicklung und Erläuterung der Semantischen Skript Theorie
des Humors fünf grundlegende Skriptoppositionen für die Witze in den westlichen
Kulturen aufgelistet (1985: 113-114; 127):
good / bad
death / life33
non-obscene / obscene34
money / no-money
high stature / low stature
33
Die originale Reihenfolge von Raskin ist life / death. Ich habe hier die beiden Begriffe vertauscht,
weil ich meine, dass in den Witzen über Tod der Leser/Hörer meistens ein tragisches Ende mit dem
Tod erwartet, während das reale Geschehen im Witz immer darauf hinweist, dass kein Tod, sondern
dessen Gegenteil – das Leben gemeint wird. Der Lacheffekt ergibt sich daraus, dass die Spannung bei
der Erwartung des Todes durch den Wechsel zum Leben abgebaut wird. Der folgende Witz stellt ein
Beispiel für die Witze über Tod/Leben dar.
A rogue who was being led out to execution on a Monday remarked: “Well, this week is beginning
nicely.” (Freud 1905: 294, Raskin 1985: 25)
34
An dieser Stelle habe ich auch die Reihenfolge der beiden Begriffe geändert, denn das Original von
Raskin ist obscene / non-obscene. Wie in Kapitel 3.2.2.2 erläutert, kann der Wechsel von Skript 1 zu
Skript 2 durch das Hinzufügen eines speziellen Konzeptes wie „Sex“ ermöglicht werden. Deshalb soll
Skript 2 die obszöne Seite sein.
71
Die Begriffe auf der linken Seite des Schrägstrichs können als Skript 1 verstanden
werden, d.h. als die Erwartung des Lesers/Hörers von der Geschichte im Witz,
während die Begriffe auf der rechten Seite das reale Geschehen im Text – Skript 2
darstellen. Im Witz geht es meistens um den Wechsel von etwas Gutem zu etwas
Schlechtem, vom Tod zum Leben, von ohne-Sex zu Sex, von der Großzügigkeit zum
Geiz oder von hohem Status zu niedrigem Status. Mit anderen Worten, wir erwarten
eine gute Eigenschaft oder ein gutes Verhalten, während die Witzfigur immer eine
schlechte Eigenschaft zeigt. Wir denken beim Lesen des Witzes an den Tod, während
der Text mit Leben endet. Wir gehen von etwas Seriösem oder Neutralem aus,
während der Witz einen Hinweis auf Sex enthält. Wir stellen uns vor, dass die
Witzfigur Geld ausgeben soll, während diese sich besonders geizig verhält. Wir
glauben, dass die Witzfigur Macht oder Autorität hat, während diese immer die Rolle
eines Verlierers oder eines Feiglings spielt. Zusammengenommen kann man sagen,
dass die speziellen Eigenschaften der Zielscheiben vor allem Dummheit, Geiz,
Kleinmütigkeit usw. sind.
Im nächsten Teil wird die Dummheit als Beispiel genommen, denn sie kommt relativ
häufig in den verschiedenen Kategorien vor, wie in den ethnischen, den Blondinen-,
den Berufs- und den Familienwitzen. Wir werden sehen, wie die Zielscheiben in den
genannten Witzkategorien anhand der Eigenschaft Dummheit präsentiert werden.
4.3.3 Die Eigenschaft der Dummheit
In den ethnischen Witzen wird vor allem die Dummheit der Ostfriesen und der
Österreicher präsentiert, weil diese sich mit der Technik wie Radio, Fernseher, Auto,
Computer nicht auskennen, unfähig beim Sprechen, Schreiben, Lesen und Rechnen
sind oder das Grundwissen über den Alltag wie Glühbirnenwechsel, Kochen,
Familienbeziehungen, Kindergeburt nicht besitzen. Ähnlich geht es mit den
Blondinen, die in der westlichen Kultur auch das Image geringer Intelligenz haben.
Wie den Ostfriesen fehlt ihnen auch das Wissen über den Alltag, über die Technik
oder die neuen Begriffe. An den zahlreichen Ostfriesen- und Blondinenwitzen hat
sich eine spezifische Frage-Antwort-Struktur entwickelt, die in (9) gezeigt wird.
(9)
Woran erkennt man, dass ein Fax von einer Blondine gesendet wurde?
An der Briefmarke.
(Das extra dicke Witzbuch, 2005)
72
In den Berufswitzen gelten meistens die Mitglieder aus den Branchen, die eine hohe
Bildung und reiche Erfahrungen erfordern, als Zielscheiben, wie z.B. die Juristen, die
Ärzte oder die Beamten. Dabei werden die Beamten häufig wegen ihrer Faulheit bei
der Arbeit ausgelacht. Die Ärzte sind bekannt für ihre Ungeschicklichkeit bei
Operationen, ihre Geldgier bei der Behandlung und ihre schwer zu lesende
Unterschrift auf den Rezepten. (10) zeigt ein Beispiel für die Ärztewitze.
(10)
Vor der Blinddarmoperation beruhigt der Chirurg seinen Patienten:
„Herr Martin, machen Sie sich mal keine Sorgen. Ich habe diesen Eingriff
schon hundertmal vorgenommen!“
„Da bin ich aber beruhigt, Herr Doktor!“
„Na ja, einmal muss es ja klappen!“
(Das extra dicke Witzbuch, 2005)
Bei den Familienwitzen geht es meistens um die Dummheit der Eltern (besonders des
Vaters) oder der Großeltern gegenüber den Kindern. Die Erwachsenen sind entweder
naiv, angeberisch oder sie wissen weniger als die Kinder.
4.3.4 Witze mit oder ohne Realitätsbezug
Wenn man (9) und (10) im letzten Abschnitt vergleicht, kann man sehen, dass die
Dummheit der Blondine anders als die des Arztes ist. Die Unfähigkeit beim
Faxschicken hat nichts mit der Tatsache zu tun, Blondine zu sein, während die
Ungeschicklichkeit in der Operation direkt mit dem Beruf des Arztes zusammenhängt.
Mit anderen Worten, die Dummheit der Blondine im Witz nimmt keinen Bezug auf
die Realität, während sich die des Arztes auf die Realität bezieht. Ähnlich wie den
Blondinen geht es auch den Ostfriesen und den Österreichern im Witz. Ihre
Dummheit hängt auch nicht immer mit der Tatsache zusammen, Osterfriese oder
Österreicher zu sein, sondern es handelt sich eher um ein allgemeines Verhalten beim
Umgang mit dem Alltag, der Technik oder den neuen Begriffen.
Die Witze ohne Realitätsbezug werden häufig mit einem standardisierten FrageAntwort-Muster dargestellt, während die mit einem Realitätsbezug oft in einer
narrativen Form ausgedrückt werden. Die Entstehung eines Standardmusters der
Blondinen- oder der Ostfriesen-Witze liegt wahrscheinlich an deren schneller
73
Quantitätszunahme und ihrer weiten Verbreitung. Dabei will man sich nur über die
Ostfriesen oder die Blondinen lustig machen, ohne die spezifischen Kenntnisse über
solche sozialen Gruppen kennen lernen zu müssen. Das gilt auch für die Polenwitze
in der US-amerikanischen Kultur. Das Verstehen solcher Witze setzt kein Wissen
über das Land Polen oder die Menschen aus dieser Kultur voraus (vgl. Davies 2004:
377). Deshalb sind sie einfach zu verstehen und zu verbreiten. Außerdem kann man
schnell neue Witze zu dieser Kategorie erfinden, wenn man die vorhandenen Witze
über Dummheit so ändert, dass die Zielscheibe durch Polen, Ostfriesen oder
Blondinen ersetzt wird.
Wenn der Effekt nicht durch die Sprachtechnik hergestellt wird, lassen sich die
standardisierten Witze auch relativ einfach in eine andere Kultur übertragen, denn fast
in jedem Land gibt es eine oder mehrere Gruppen, die das Image der Dummheit
haben (Davies 1990: 11). In dem Witz (6) aus Kapitel 3 handelt es sich um einen
Holländer, der die Anweisung „3-5 Jahre“ auf der Packung eines Puzzlespiels falsch
versteht. Für diesen Witz findet man z.B. mehrere ähnliche Versionen, in denen nur
die Zielscheibe geändert wurde. Statt des Holländers geht es in den anderen
Versionen entweder um einen Ostfriesen, eine Blondine oder einen Österreicher.
Deshalb kann man sich vorstellen, dass das spezifische Kulturphänomen – Witz – mit
der großen Tendenz zur Globalisierung immer internationaler wird. Es werden dann
immer mehr ähnliche Witze entstehen, die sich nur in ihrer Zielscheibe voneinander
unterscheiden. Ein ähnliches Phänomen ist bereits im Bereich der Esskultur zu
beobachten, wo die verschiedenen Spezialitäten nur durch kleine Änderungen des
Rezepts schon in einem anderen Land großen Erfolg erzielt haben.
Nachdem wir die Eigenschaften der Zielscheiben – das Skript 2 – diskutiert haben,
gehen wir im nächsten Teil auf dessen Gegenteil – das Skript 1 – ein, und zwar auf
die Erwartung des Lesers/Hörers von der Geschichte im Witz. Da die Erwartung
immer auf der Basis des Hintergrundwissens entstanden ist, werden wir uns vor allem
mit den verschiedenen Sorten des Hintergrundwissens auseinandersetzen, die zum
Verstehen des Witzes benötigt werden.
74
4.4 Das Hintergrundwissen
4.4.1 Sprachliches Wissen
Der erste Wissensbereich, der als Hintergrund zum Witzverstehen gilt, ist das
sprachliche Wissen des Lesers/Hörers. Z.B. wie wird ein Wort ausgesprochen oder
geschrieben, welche Wörter gehören zusammen als eine Wendung, welche der
verschiedenen Bedeutungen eines Wortes passt zu dem Kontext usw.? Aufgrund
dieser Kenntnisse macht man beim Lesen/Hören eines Witzes eine semantische
Interpretation des Textes. Diese erwartete Interpretation wird aber durch die weitere
Entwicklung der Geschichte im Witz nicht bestätigt, sondern erweist sich als das
Gegenteil des realen Geschehens im Text.
Im Fall des sprachlichen Wissens als Hintergrund wird die Abweichung der
Witzgeschichte von der Erwartung des Lesers/Hörers meistens durch die spezifischen
Sprachphänomene ausgelöst, die vor allem lexikalische Ambiguität
35
(inkl.
Homophonie, Homographie, Polysemie und figurative Ambiguität) und syntaktische
Ambiguität sind. Im Folgenden werden diese verschiedenen Ambiguitätstypen mit
Beispielen genau dargestellt.
1. Homophonie
Unter Homophonie versteht man eine gewisse lexikalische Ambiguität. Homophone
Ausdrücke verfügen über eine identische Aussprache bei unterschiedlicher
graphischer Form und Bedeutung, wie z.B.: mehr/Meer, Wal/Wahl (Lyons 1995: 27,
Lübner 2003: 59, Bußmann 2002: 284). Im Witz wird immer das Element des
Wortpaars gewählt, dessen Bedeutung nicht zum Kontext passt. Wenn man sich den
Witz anhört, denkt man bei der ähnlichen Aussprache an das richtige von den beiden
im Wortpaar. Erst am Ende stellt sich heraus, dass das andere Wort gemeint worden
ist. Ein Beispiel mit Homophonie stellt (14) aus dem Kapitel 3 dar. In dem Witz will
der Ausländer das T-Shirt der jungen Frau loben, auf dem „99“ gedruckt ist. Da er
nicht mehr weiß, wie man die Zahl „9“ auf Chinesisch sagt, nimmt er direkt die
35
Unter Ambiguität versteht man „Doppelsinn. Eigenschaft von Ausdrücken natürlicher Sprachen,
denen mehrere Bedeutungen zukommen. Ambige Ausdrücke sind semantisch unbestimmt und folglich
präzisierungsbedürftig. Je nach Quelle und Art der Ambiguität unterscheidet man: (a) Lexikalische
Ambiguität mit den beiden Subtypen: Polysemie und Homonymie (inkl. Homophonie und
Homographie), (b) Syntaktische Ambiguität, (c) Skopusambiguität und (d) Relationale Ambiguität
(Bußmann 2002: 73).
75
englische Aussprache dafür „nine“, das zufällig ähnlich wie das chinesische Wort „ཊ
(ni, Brust)“ ausgesprochen wird. Deshalb heißt der Satz „Ihre beiden ‚99’ sind
wunderschön“ nicht mehr „die beiden Zahlen 99 sehen gut aus“, sondern „Ihre beiden
Brüste sind schön“. Das Wortpaar „nine (nain, das englische Wort für ‚9’) - ཊ(ni,
das chinesische Wort für ‚die Brust’)“ bilden hier Homophone, obwohl sie aus zwei
verschiedenen Sprachen stammen. Ein ähnliches Beispiel stellt das Wortpaar „ㄨ䕽
(dábiàn, eine Arbeit mündlich verteidigen) vs. ໻֓ (dàbiàn, Stuhlgang haben)“ dar.
2. Homographie
Homographie gilt auch als ein Typ lexikalischer Ambiguität. Zwei Ausdrücke sind
Homographe, wenn sie in graphischer Hinsicht übereinstimmen, aber verschiedene
Aussprache und Bedeutung haben, wie z.B.: Montage (pl. von Montag) vs. Montage
(Lyons 1995: 27, Lübner 2003: 59, Bußmann 2002: 283). Der folgende Witz (11) ist
ein Beispiel für diese Kategorie.
(11)
ϔ໪೑ᄺ⫳߱ᄺ∝䇁ˈ‫∝ݭ‬ᄫᐌᐌ᳝ೄ䲒DŽϔ᮹㽕∖‫ݭ‬ϔ㆛԰᭛ˈ乬Ⳃᰃlj㒭
ཛྷཛྷⱘϔᇕֵNJˈҪ‫ݭ‬䘧˖Ā҆⠅ⱘཇ偀ཇ偀ĂĂā
(Wahre Komik, 2002)
Meine eigene Übersetzung:
Ein ausländischer Student lernt Chinesisch. Er hat oft Schwierigkeiten mit den
Schriftzeichen. Einmal soll er einen Aufsatz mit dem Titel „Ein Brief an die
Mutter“ schreiben. Der Student fängt damit an: „Liebe ཇ偀ཇ偀(n m n
m)...“
An dem Kontext erkennt man, dass der ausländische Student am Anfang des
Aufsatzes „liebe Mutter“ schreiben wollte. Auf Chinesisch heißt „Mutter“ ཛྷ ཛྷ
(mma), das aus dem Zeichen ཛྷ(m, Mutter) und dessen Wiederholung besteht.ཛྷ
(m) setzt sich selbst wieder aus den beiden Teilen zusammen: ཇ(n) und 偀(m),
die jeweils für „weiblich“ bzw. „Pferd“ stehen. Der ausländische Student hat die
beiden Bestandteile von ཛྷ(m, Mutter) aus Versehen getrennt geschrieben. Deshalb
heißt der erste Satz im Brief nicht mehr „liebe Mutter“, sondern „liebes weibliches
76
Pferd weibliches Pferd“. Die beiden Wörter ཛྷ(m) und ཇ偀(n m) bilden hier zwei
Homographe.
3. Polysemie
Polysemie ist ein anderer Typ lexikalischer Ambiguität. Dabei weist ein Ausdruck (in
verschiedenen Kontexten) mehrere Bedeutungen auf, denen ein gemeinsamer
Bedeutungskern zugrunde liegt. Die Beispiele sind etwa grün als Farbe, frisch,
unerfahren oder Schule als Institution, Gebäude, Unterricht (Lyons 1995: 47,
Bußmann 2002: 524). In (7) aus dem Kapitel 3 und (4) aus diesem Kapitel geht es
beide Male um Polyseme. Das Wort „strike“ in (7) lässt sich sowohl als „impress“ als
auch als „hit“ verstehen. Diese beiden verschiedenen Bedeutungen führen zu zwei
unterschiedlichen semantischen Interpretationen des ganzen Textes „the first thing
that impresses a person in New York is a big car“ bzw. „the first thing that hits a
person in New York is a big car“. In (4) aus dem Kapitel 4 meint die erste Blondine
mit „ausziehen“ die Bedeutung „eine Wohnung für immer zu verlassen“, während die
zweite unter demselben Wort „die Kleider vom Körper zu nehmen“ versteht. Dadurch
wird ein Gegensatz zwischen zwei semantischen Interpretationen gebildet, der auf
einer abstrakten Ebene als „ohne-Sex vs. Sex“ formuliert wird.
4. Figurative Ambiguität
Die figurative Ambiguität gilt als ein Sonderfall der Polysemie, denn dabei geht es
auch um einen Ausdruck, dem mehrere Bedeutungen zur Verfügung stehen. Was sie
besonders macht, ist, dass die figurative Ambiguität sich vor allem mit den
Wendungen oder den Wörtern beschäftigt, die gleichzeitig eine bildhafte und eine
abstrakte Bedeutung haben. Dabei wird aber meistens die letzte in einem realen
Kontext benutzt. Mit diesem Hintergrundwissen wählt der Leser/Hörer bei solchen
Wendungen im Witz direkt deren abstrakte Bedeutung, während das reale Geschehen
im Text zeigt, dass die konkrete bildhafte Bedeutung gemeint wird. Ein Beispiel wird
in (12) dargestellt.
(12)
Faucht der Chef seinen jungen Buchhalter an: „Bringen Sie eigentlich auch
etwas zustande, was Hand und Fuß hat?“
Seufzt der Buchhalter: „Nicht, solange Ihre Tochter die Pille nimmt!“
(Faule Witze von A bis Z, 2002)
77
Die Wendung „Hand und Fuß haben“ heißt, wie der Chef hier meint, dass „etwas gut
durchdacht ist“. Das dient auch als die abstrakte und häufig benutzte Bedeutung der
Wendung. Was der Buchhalter unter der Wendung versteht, ist aber die bildhafte und
wörtliche Bedeutung: Hand und Fuß als Körperteile haben. Damit meint er hier einen
Menschen. Der Wechsel von der abstrakten zu der wörtlichen Bedeutung der
Wendung hier weist auf eine intime Beziehung zwischen dem Angestellten und der
Tochter des Chefs hin, wodurch das Konzept „Sex“ im zweiten Skript hinzugefügt
wird.
5. Syntaktische Ambiguität
Die syntaktische Ambiguität gilt als ein Charakteristikum der Konstituenten in einem
Satz, die bei gleicher linearer Abfolge unterschiedlich strukturiert bzw. interpretiert
werden können. Z.B. in dem Satz Heidi kommt mit dem Zug aus Hamburg kann die
Präpositionalphrase „aus Hamburg“ entweder als Adjunkt des Nomens „Zug“ oder
der Verbalphrase analysiert werden. Im ersten Fall dient die Präpositionalphrase zur
näheren Bestimmung des Zugs, im zweiten gibt sie den Ausgangspunkt der Reise an
(vgl. van Deemter/Peters 1996: XV, Bußmann 2002: 73). Der folgende Witz (13) gilt
auch als Beispiel für eine syntaktische Ambiguität.
(13)
Sagt die Kundin zum Verkäufer: „Ich möchte gern das rote Kleid da im
Schaufenster anprobieren.“
Darauf der Verkäufer: „Sehr gern, gnädige Frau, Sie dürfen aber auch eine
Kabine benutzen.“
(Faule Witze von A bis Z, 2002)
Mit dem Satz „… das rote Kleid da im Schaufenster anprobieren“ meint die Kundin,
dass sie gern das Kleid, das im Schaufenster hängt, anprobieren möchte. Dabei dient
die Präpositionalphrase „im Schaufenster“ als Adjunkt des Nomens „Kleid“. Anders
als die Kundin versteht der Verkäufer unter demselben Satz, dass die Kundin gern ins
Schaufenster geht und dort das Kleid anprobiert. In der letzten Interpretation gilt die
Phrase „im Schaufenster“ als Adjunkt des Verbs „anprobieren“. Wegen der
syntaktischen Ambiguität sind zwei verschiedene Interpretationen des Textes
entstanden. Daraus ergibt sich der Humoreffekt des Witzes.
78
4.4.2 Kulturelles Wissen
Neben dem sprachlichen Wissen setzt das Verstehen mancher Witze Kenntnisse über
die spezifischen Kulturphänomene oder -konventionen in einer Gegend voraus, wo
die Witze entstanden und verbreitet sind.
Das Wort „Kultur“ ist aus lateinisch colere („pflegen“, „urbar machen“, „ausbilden“)
abgeleitet und eine Eindeutschung von lat. cultura. Das deutsche Wort ist seit Ende
des 17. Jahrhunderts belegt und bezeichnet die Gesamtheit der Einrichtungen,
Handlungen, Prozesse und symbolischen Formen, welche mit Hilfe von planmäßigen
Techniken die „vorfindliche Natur“ in einen sozialen Lebensraum transformieren,
diesen
erhalten,
weiter
entwickeln
und
insofern
soziale
Ordnungen
und
kommunikative Symbolwelten befestigen (vgl. Böhme et al. 2000: 104-105). Oder
man kann auch sagen, dass die Kultur das Gedächtnis sozialer Systeme, vor allem des
Gesellschaftssystems ist (eine Definition von Niklas Luhmann, zitiert nach
Lüdemann 2007: 80). Mit anderen Worten, das Kulturwissen umfasst die Kenntnisse
über die Gesellschaft und die Menschen innerhalb der Gesellschaft, z.B. die
Lebensstile der Menschen, die religiösen, ethnischen und sozialen Rituale bzw. die
Techniken der gesellschaftlichen Reproduktion und Naturbearbeitung (Böhme et al.
2000: 108).
Wenn es um die Lebensformen der Chinesen und der Deutschen geht, legen die
ersteren z.B. großen Wert auf das Essen sowohl im privaten als auch im
geschäftlichen
Bereich.
Die
Chinesen
verbinden
viele
gesellschaftliche
Angelegenheiten mit dem Essen. Zu den meisten Treffen unter Verwandten,
Freunden oder bei den Verhandlungen unter Geschäftspartnern spielt das gemeinsame
Essen eine wichtige Rolle. Außerdem achtet man sowohl zu Hause als auch auf der
Reise immer pünktlich auf die drei Mahlzeiten. Im Vergleich dazu verwenden die
Deutschen mehr Zeit und Geld für die Hobbys, den Sport in der Freizeit oder den
Urlaub als für das Essen. Es ist üblich, dass die Menschen in Deutschland jedes Jahr
zumindest ein Mal in einem anderen Ort oder einem anderen Land Urlaub machen.
Nach einem EU-Bericht haben die Arbeitnehmer in Deutschland 40 Urlaubs- und
Feiertage im Jahr und gehören damit zu den Ländern in Europa mit den meisten
Ferien36.
36
Nur die Schweden haben zwei Tage mehr. Der EU-Durchschnitt liegt bei 33,7 Tagen (siehe den
Artikel „Weiterbildung statt Urlaub“ auf der „ZEIT online“ vom 03.08.2007).
79
Wenn es um die sozialen Rituale geht, spielt z.B. die Geburtstagsfeier in der
deutschen Kultur eine viel wichtigere Rolle als in China. Bei vielen wird der
Geburtstag jedes Jahr groß gefeiert. Dabei schickt man bereits einige Wochen vor
dem Tag Einladungen an die Freunde, die Verwandten oder Bekannten, von denen
eine offizielle Zu- oder Absage zur Teilnahme an der Feier erwartet wird. Im
Vergleich dazu feiert man in China kaum den Geburtstag, weil nach der chinesischen
Tradition alle gemeinsam zum Frühlingsfest ein Jahr älter werden. Eine Ausnahme
stellen nur die 60er, 70er oder weitere große Geburtstage bei den Senioren dar.
Solche Geburtstage werden meistens an den richtigen Tagen von den Kindern oder
Enkelkindern der Senioren groß gefeiert.
Ein tiefer Unterschied zwischen der deutschen und der chinesischen Kultur liegt in
der Einstellung der Menschen zu der Beziehung zwischen den individuellen Personen
und der familiären bzw. der gesellschaftlichen Umgebung. Während die Deutschen
den individuellen Meinungen viel Achtung und Respekt schenken, legen die
Chinesen großen Wert auf die Gruppenharmonie. Dabei stellt man immer die eigenen
Gedanken dem Gruppeninteresse hintan. Aus diesem Grund äußern sich die Chinesen
oft indirekt, wenn sie nicht sicher sind, was das gemeinsame Interesse ist. Man will
nicht durch die eigene „Direktheit“ bei den anderen das Gefühl des Gesichtsverlusts
hervorrufen. Außerdem schließen sich die Chinesen auch gern an Gruppenaktivitäten
an oder verbringen die Freizeit mit Kollegen, wenn es nötig ist. Nach einem
chinesischen Zeitungsbericht37 fand ein deutscher Praktikant in Shanghai z.B. manche
Rituale in China schwer verständlich, als er einmal mit seinen Kollegen eine gewisse
Geldsumme als Hochzeitsgeschenk an einen anderen Kollegen zahlen sollte. Dabei
brauchte er nur einen kleineren Anteil beizutragen, weil er als Praktikant weniger als
seine Kollegen verdiente. Auf der anderen Seite fällt es den Chinesen, die besonders
auf Ordnung und Zusammenarbeit in der Familie achten, wieder schwer, die
gelegentlichen Konflikte in deutschen Familien zwischen Eltern und Kindern zu
verstehen. Oder man stellt sich die Frage, warum die pensionierten Omas und Opas
lieber ihr eigenes Leben führen, statt sich die ganze Zeit um die kleinen Enkelkinder
zu kümmern, für die die jungen Eltern wegen ihrer Arbeit keine Zeit haben.
Im Großen und Ganzen gibt es viele Unterschiede zwischen der deutschen und der
chinesischen Kultur wegen deren Verschiedenheit in der Geschichte, der Sprache, der
37
Siehe den Artikel „Die internationalen Praktikanten“ auf der Webseite „http://news.163.com“ vom
03. Januar 2007.
80
geographischen Umgebung und dem Gesellschaftssystem. Deshalb sind die Witze,
die von den Kulturphänomenen des einen Landes handeln, bei dem anderen oft
schwer zu verstehen, wenn man sich mit dem entsprechenden Kulturhintergrund nicht
auskennt. Denn dadurch fehlt einem beim Lesen oder Hören des Witzes das nötige
Hintergrundwissen, nach dem die Erwartung gebildet wird. Diese soll im Gegensatz
zu dem realen Geschehen im Witz stehen. Mit anderen Worten, ohne das
Kulturwissen fehlt die Rückseite der Geschichte im Witztext. Dementsprechend lässt
sich der Text auch nicht mehr als Witz verstehen. (14) stellt ein Beispiel für die
Witzkategorie dar, deren Verstehen Kulturwissen voraussetzt.
(14)
ᇣྥ˖Ā႖ᄤˈԴⳟ៥ᡒᇍ䈵ᰃᡒ≵᳝ယယⱘདਸ਼ˈ䖬ᰃᡒ≵᳝႖
ᄤⱘད˛ā
႖ᄤ˖Ā᳔དᰃᡒ≵᳝ᇣྥᄤⱘʽā
(http://www.jokescn.com)
Meine eigene Übersetzung:
Xiog38: „Sozi, soll ich einen Mann heiraten, der keine Mutter oder keine
sozi hat?“
Sozi: „Am besten einen, der keine Schwester hat!“
In (14) geht es um die angespannte Beziehung zwischen xiog (der jüngeren
Schwester des Ehemanns) und sozi (der Ehefrau des Ehemanns). Während die erste
Frau meint, dass es besser wäre, einen Mann zu heiraten, der keine sozi hat, meint
die letztere, dass es ideal ist, in eine Familie ohne xiog zu gehen. Um diesen Witz
zu verstehen, muss man den Kulturhintergrund kennen, dass in einer traditionellen
chinesischen Familie das junge Ehepaar meistens mit den Eltern und den
Geschwistern des Ehemanns zusammen lebt. Die Ehefrau muss sich nach der Heirat
an die neue Großfamilie mit all den Beziehungen anpassen, unter denen die zu der
Schwiegermutter bzw. die zu der/den jüngeren Schwester/n als besonders angespannt
gelten.
Neben dem sprachlichen und dem kulturellen Wissen braucht man für das Verstehen
mancher Witze nur die Kenntnisse, die die meisten Erwachsenen mit einem gesunden
38
Xiog nennt eine verheiratete Frau die jüngere Schwester ihres Ehemanns. Umgekehrt nennt man
die Ehefrau seines älteren Bruders „sozi“.
81
Menschenverstand besitzen. Solche Kenntnisse werden in dieser Arbeit als Common
Sense-Wissen bezeichnet. Im nächsten Teil gehen wir näher darauf ein.
4.4.3 Common Sense-Wissen
Das Common Sense-Wissen bezieht sich auf die Kenntnisse über die Struktur der
Außenwelt, die nicht durch die konzentrierte Mühe der Menschen erlernt und
angewendet werden und diesen ermöglichen, ihre alltäglichen Ansprüche in der
physikalischen, räumlichen, zeitlichen und sozialen Umgebung erfolgreich zu erfüllen
(vgl. Kuipers 1979). Nach Raskin umfasst das Common Sense-Wissen die Kenntnisse
über die bestimmten Routinen, die Standardprozesse, die grundlegenden Situationen,
z.B. was die Menschen in einer gegebenen Situation tun, wie sie es tun und in
welcher Reihenfolge sie es tun (vgl. Raskin 1985: 81). Zum Bestand des Common
Sense-Wissens gehören z.B. die Kenntnisse über die Grundbegriffe (wie Raum, Zeit),
über die Bedingungen und Ergebnisse der Handlungen (wie das Essen in einem
Restaurant), die Eigenschaften der Gegenstände (wie die Farbe und Härte der Steine)
und andere ähnliche Aspekte in der physikalischen Welt, aber auch solche in der
geistigen oder der sozialen Welt, wie der Glaube, die Gedanken, die Emotionen der
Menschen, usw39. (vgl. Kuipers 2004). Einstein hat einmal witzig dargestellt, dass
Common Sense-Wissen die Sammlung der Vorurteile ist, die die Menschen bis zum
18. Lebensjahr gebildet haben (Wikipedia).
Im Grunde genommen besitzt jeder Erwachsene ein bestimmtes Repertoire von
Common Sense-Wissen. Beim Lesen oder Hören eines Witzes bildet er auf Grund
seines Wissenssvorrats eine Erwartung über den Verlauf der Geschichte und eine
Beurteilung über das Geschehen im Text. Witze, deren Verstehen nur das Common
Sense-Wissen voraussetzt, sollen zugänglich für die Menschen aus verschiedenen
Kulturen sein, denn das Common Sense-Wissen ist nicht durch die sozialen oder
geschichtlichen Bedingungen geprägt, sondern zeigt sich universal. (15) ist ein
Beispiel für die Witze mit dem Common Sense-Wissen als Verstehenshintergrund.
(15)
Zwei Österreicher kochen Kaffee. Als sie fertig sind, stellen sie fest, dass sie
noch heißes Wasser übrig haben. Sagt der eine: Was sollen wir mit dem Rest
39
Siehe http://www.cs.utexas.edu/users/Kuipers
82
heißem Wasser machen? Sagt der andere: Weißt du was, das gefrieren wir ein,
denn heißes Wasser kann man immer brauchen!
(http://www.witz-des-tages.de)
In (15) geht es um die Dummheit des Österreichers, denn seine Idee mit dem
Einfrieren des heißen Wassers bewerten wir nach unserem Common Sense-Wissen
als unmöglich. Anders als manche Lebensmittel, die durch das Gefrieren für längere
Zeit aufbewahrt werden können, lässt sich heißes Wasser nur in einer Thermoskanne
halten, wo die hohe Temperatur des Wassers nur langsam sinken wird. Die Idee des
Österreichers steht im Gegensatz zu unserem Common Sense-Wissen. Dadurch wird
der Humoreffekt in diesem Witz hergestellt.
Neben dem sprachlichen, dem kulturellen und dem Common Sense-Wissen lässt sich
das Skript 1 (die Erwartung des Lesers/Hörers von der Geschichte im Witz) auch
direkt nur auf Grund der Informationen im Witztext bilden. In diesem Fall dient der
Witzkontext allein als die Bedingung für das Bilden der beiden gegensätzlichen
Skripte. Im nächsten Teil wird auf diese Witzkategorie näher eingegangen.
4.4.4 Kontextwissen
Beim Lesen/Hören der Witze mit dem Kontext als Hintergrund kann man den
Widerspruch zwischen den beiden Skripten anhand der Wörter im Text, die direkt
Antonyme bilden oder antonymische Eigenschaften aufweisen, feststellen. Im
Beispiel (8) aus dem Kapitel 3 besitzen die beiden Wörter „execution“ und
„beginning“ nämlich antonymische Eigenschaft. Der Mann sollte am Montag
hingerichtet werden. Im Gegensatz dazu behauptete er, dass die Woche schön
begonnen habe. Im nächsten Beispiel (16) lässt sich der Widerspruch auch direkt an
beiden Wörtern feststellen.
(16) Ein Russe bestellt immer fünf Wodkas gleichzeitig im Restaurant. Er trinkt für
seine vier Kriegskameraden mit, die im Krieg gefallen sind; dies sei die
Abmachung gewesen, dass der Überlebende für die anderen mittrinken müsse,
und er habe als einziger überlebt, erklärt der Russe.
Eines Tages bestellt er nur noch vier Wodka.
„Ich trinke nur noch für meine gefallenen Freunde“, erklärt er, „ich selbst bin
Antialkoholiker geworden.“
83
(Die besten Witze von A-Z, 2003)
Der Widerspruch in (16) findet sich in dem letzten Abschnitt. Einerseits liegt die
Tatsache klar auf der Hand, dass der Russe immer noch „Alkohol trinkt“, andererseits
behauptet er, dass er „Antialkoholiker geworden ist“. Die beiden Phrasen „Alkohol
trinken“ und „Antialkoholiker sein“ bilden hier direkt ein Gegensatz-Paar. Daraus
resultiert der Humoreffekt in diesem Witz.
Nachdem wir die verschiedenen Wissensbereiche, die zum Verstehen der Witze
benötigt werden, diskutiert haben, bleibt noch anzumerken, dass bei manchen Witzen
nicht nur eine Wissenssorte als Voraussetzung des Verstehens dient. In diesem Fall
bezeichnen wir die verschiedenen Wissensbereiche, die zum Verstehen eines Witzes
benötigt werden, als ein zusammengesetztes Hintergrundwissen. (17) ist ein Beispiel
für Witze mit verschiedenen Wissenssorten als Hintergrund.
(17)
Ein Chinese kommt mit zwei Blondinen aus der Bäckerei.
Warum?
Er wollte zwei Blödchen.
(http://www.witze-fun.de)
Um (17) zu verstehen, muss man die folgenden drei Punkte als Hintergrund kennen:
a) Die Deutschen meinen, dass die Chinesen „r“ nicht aussprechen können und
diesen Buchstaben deshalb immer durch „l“ ersetzen.
b) „Blödchen“ und „Brötchen“ hören sich ähnlich an und bilden ein Paar
Pseudohomophone.
c) In der westlichen Kultur werden die Blondinen als das Symbol für Dummheit
angesehen.
Anhand dieser drei Punkte wird einem klar, warum der Chinese in der Bäckerei statt
„Brötchen“ zwei Blondinen bekommen hat. Der ganze Prozess des Geschehens im
Witz (17) lässt sich in den folgenden drei Schritten darstellen:
1) Der Chinese ging in eine Bäckerei und wollte zwei Brötchen kaufen. Wegen a)
und b) sagte er statt „Brötchen“ „Blödchen“.
2) Wegen c) verstand der Verkäufer unter den „zwei Blödchen“ zwei Blondinen.
84
3) Deshalb hat der Chinese am Ende bei der Bäckerei zwei Blondinen
bekommen.
Es ist zu sehen, dass a) und c) zum kulturellen Wissen gehören, während b) dem
sprachlichen Wissen zugeordnet ist. Deshalb ist es festzustellen, dass der Witz (17)
zwei verschiedene Wissenssorten als Hintergrund voraussetzt.
In diesem Teil haben wir die vier verschiedenen Wissenssorten, die Sprache, die
Kultur, das Common Sense und den Kontext, die als Hintergrund zum Verstehen der
Witze benötigt sind, vorgestellt. Davon gehören die letzteren beiden zu den
Kenntnissen, die nicht von Land zu Land und von Kultur zu Kultur variieren. Deshalb
sind die damit verbundenen Witze universal und lassen sich auch leicht in eine andere
Sprache übersetzen. Im Vergleich dazu hängen die ersteren beiden Wissenssorten eng
mit den Besonderheiten einer Gegend zusammen. Deshalb sind die entsprechenden
Witze auch relativ schwer in eine andere Sprache bzw. Kultur zu übertragen.
Bisher sind in diesem Kapitel drei verschiedene Aspekte des Witzes analysiert
worden, die u. a. die Zielscheibe, deren Eigenschaft und das Hintergrundwissen sind.
Alle diese Aspekte beschäftigen sich mit den beiden grundlegenden Fragen in der
Witzanalyse: worüber gelacht und warum darüber gelacht wird. Zu der ersten Frage
kann man sagen, dass der Leser/Hörer über die Zielscheibe wegen deren besonderer
(oft negativer) Eigenschaft lacht. Die zweite Frage wird damit beantwortet, dass die
Ursache für das Auslachen in der Überlegenheit liegt, die der Leser/Hörer gegenüber
den Zielscheiben dadurch bekommt, dass der erstere nach seinem Hintergrundwissen
das Verhalten der letzteren als negativ oder unnormal betrachtet.
Im nächsten Teil gehen wir auf den vierten Aspekt in der Witzanalyse ein – die
Situationen. Dabei werden wir sehen, an welchen konkreten Situationen oder
Geschehnissen die Eigenschaft der Zielscheibe dargestellt wird.
4.5 Die Situation
Wie in der Vorstellung der GTVH erwähnt, versteht man unter der Situation das
konkrete Geschehnis im Witz und die Rahmenbedingungen des Ereignisses. Dabei
sind vor allem die Aktivitäten der Zielscheibe, die eingesetzten Instrumente und die
Objekte der Aktivitäten gemeint (vgl. Attardo/Raskin 1991: 303, Attardo 2001: 24).
In (2) und (17) aus diesem Kapitel handelt es sich z.B. um die Situation
„Brötchenholen von einer Bäckerei“, in (4) um das „Schlafen bei der Arbeit“, in (9)
85
um das „Faxsenden“, in (13) um das „Kleidanprobieren bei einem Geschäft“ und in
(15) um das „Kaffeekochen“. Es ist zu sehen, dass die Situationen im Witz meistens
direkt als die Aktivitäten der Zielscheibe formuliert werden können, die dem realen
Leben entnommen worden sind. D.h., die Menschen lachen meistens über die
Situationen, mit denen sie sich gut auskennen. Oder umgekehrt gesagt: Man kann
sich nicht darüber amüsieren, was einem in seiner Lebensumgebung oder nach
seinem Wissensvorrat fremd zu sein scheint.
Da die Situationen im Witz direkt mit dem realen Leben in der Kultur
zusammenhängen, wo die Witze entstanden und verbreitet sind, kann man an der
Analyse und dem Vergleich der Situationen im Witz aus verschiedenen Ländern die
Unterschiede in den realen Lebensformen der Menschen aus diesen Ländern erkennen.
Aus diesem Grund ist es sinnvoll, den Aspekt Situation in der Witzanalyse in dieser
Arbeit zu berücksichtigen, wenn eine Vergleichsstudie zwischen den deutschen und
den chinesischen Witzen durchgeführt wird.
Außerdem ist zu bemerken, dass für die Situationen im Witz nur eine offene Liste mit
verschiedenen Beispielen aufzustellen ist, wie „Besuch der Freunde/Bekannten“,
„Essen in einem Restaurant“, „Feiern des Geburtstags“, usw. Die Unbeschränktheit
der Liste liegt daran, dass die Situationen direkt mit den realen Lebensbereichen
zusammenhängen, die von sich aus kein geschlossenes System bilden.
Die bisher diskutierten vier Aspekte – die Zielscheibe, deren Eigenschaft, das
Hintergrundwissen und die Situation – befassen sich alle mit der inhaltlichen Seite
des Witzes. Im nächsten Teil werden wir auf die formale Seite eingehen und uns
damit auseinandersetzen, in welchen verschiedenen Formen die Witze ausgedrückt
werden und wie die Beziehung zwischen der Form und dem Inhalt des Witzes
aussieht.
4.6 Die Erzählform des Witzes
Zu den Erzählformen des Witzes wurden bisher sehr wenige Forschungen
durchgeführt. Attardo und Raskin (1991, 2001) haben einige Beispiele für diesen
Aspekt genannt, vor allem die Erzählung, den Dialog, das Rätsel und das DreierModell (vgl. Attardo/Raskin 1991: 300, Attardo 2001: 23).
Nach der Untersuchung von deutschen und chinesischen Witzen haben wir
festgestellt, dass die Erzählung und der Dialog in den Witzen aus diesen beiden
86
Ländern relativ häufig vorkommen. Außerdem sind zwei spezifische Witzformen zu
erwähnen, die Frage-Antwort-Folge und das Dreier-Modell. Sie werden nicht so
häufig wie die ersteren beiden Formen benutzt, spielen aber auch eine wichtige Rolle,
wenn es um die Witze geht, die häufig erzählt werden und sich schnell verbreiten.
Bevor wir auf die verschiedenen Witzformen eingehen, empfiehlt es sich, zuerst die
grundlegenden Strukturelemente, die für jede Witzform gelten, darzustellen.
4.6.1 Die Struktur des Witzes
Nach Marfurt (1977) besteht jeder Witz aus drei verschiedenen Teilen: Der
Einleitung, der Dramatisierung und der Pointe.
1. Einleitung
Die Bedeutung der Einleitung besteht zunächst darin, kurz und prägnant eine fiktive
Wirklichkeit zu entwerfen, in der sich dann das im Witz dargestellte Geschehen
abspielen wird. Zumindest zwei “slots” sind in der Einleitung zu finden: einer für die
Situationsangabe und einer für die Einführung der Figuren (Marfurt 1977: 93-94). In
den Beispielen (2), (3) und (10) aus diesem Kapitel lassen sich die beiden „slots“ gut
erkennen.
„Der Schotte zum Bäcker: …“ (Witz (2), Kapitel 4)
„Zwei Flöhe kommen aus dem Kino…“ (Witz (3), Kapitel 4)
„Vor
der
Blinddarmoperation
beruhigt
der
Chirurg
seinen
Patienten: …“ (Witz (10), Kapitel 4)
Die Einleitung ist durch zwei Merkmale, Kürze und Prägnanz, kennzeichnet. Das
erste erkennt man vor allem an der Verwendung der einfachen Hauptsätze, wie in
Beispiel (3) und (10). Oder man benutzt für den Witzanfang keine Sätze, sondern
stellt die Situation und die Figuren einfach in wenigen Worten dar, wie in Beispiel (2).
Der Verzicht auf eine längere Einleitung mit komplizierten Sätzen liegt vor allem
daran, dass eine zu ausführliche Vorstellung des Handlungsrahmens Gefahr laufen
könnte, die Aufmerksamkeit des Lesers/Hörers statt auf die Hauptgeschichte, die im
folgenden Teil des Witzes entwickelt wird, auf die Details in der Einleitung zu lenken.
Neben der Kürze ist die Prägnanz der Schilderung ausschlaggebend: Der Witzhörer
soll sich die entworfene Situation in ihren wesentlichen Zügen so konkret wie
87
möglich vorstellen können. Dafür werden sprachlich häufig der bestimmte Artikel
und Eigennamen benutzt, welche beide dazu dienen, Personen und Ereignisse mit der
Aura des schon Bekannten zu versehen (Marfurt 1977: 94-95).
„Faucht der Chef seinen jungen Buchhalter an: …“ (Witz (12), Kapitel 4)
„In
der
Thatcher-Zeit
fragt
ein
Mädchen
seinen
Freund
im
Kindergarten: …“ (Witz (1), Kapitel 3)
Ferner zeichnet sich eine prägnante Einleitung im Allgemeinen durch den Gebrauch
des Präsens aus: Nicht die zeitliche Einordnung der dargestellten Ereignisse, sondern
die Aktualität des witzigen Geschehens für den Hörer soll hervorgehoben werden, vor
allem auch dann, wenn ein Bezug zu historischen Hintergründen hergestellt wird
(Marfurt 1977: 95-96). Wir können sehen, dass in allen oben genannten Beispielen
das Präsens benutzt wird.
2. Dramatisierung
Nach der Einführung der Situation und der Figuren sind die Bedingungen dargestellt,
auf deren Hintergrund das Witzereignis in Gang kommt. Der zweite Teil des Witzes
wird als Dramatisierung bezeichnet, denn hier werden die Figuren und ihre
Handlungen in der Weise erzählt, die dem Hörer/Leser erlaubt, eigene Erwartungen
ins Spiel zu bringen, welche dann schließlich enttäuscht werden können (Marfurt
1977: 97). Nehmen wir Witz (5) aus diesem Kapitel als Beispiel, so können wir sehen,
dass nach der kurzen Vorstellung des Ortes und der Witzfiguren ein Dialog zwischen
den beiden Blondinen stattfindet. Das Gespräch bis vor dem Gedankenstrich dient
hier als der Teil der Dramatisierung. Denn beim Lesen oder Hören macht man sich
Gedanken über den Sachverhalt. Nach dem Hintergrundwissen hält man es meistens
für stressig, in kurzer Zeit aus einer Wohnung ausziehen zu müssen, was auch die
Ansicht der ersten Blondine ist. Die dazu unterschiedliche Auffassung der zweiten
Blondine, die den Umzug als ein Glück ansieht, löst bei dem Leser/Hörer eine Frage
bzw. eine Spannung aus. Man will wissen, warum sie es so sieht. Die Funktion der
Dramatisierung liegt darin, einerseits den Leser/Hörer anzuregen, eigene Erwartungen
von dem Geschehen im Witz aufzubauen, andererseits darin, mit einem Verweis auf
ein Resultat, das anders als die Erwartungen des Lesers/Hörers sein wird, dessen
Interesse für das Weiterlesen der Geschichte zu wecken.
88
(5)
Auf der Straße treffen sich zwei Blondinen. Die eine: „Mein Vermieter will,
dass ich bis zum Monatsende ausgezogen bin!“ Darauf die andere: „Da hast
du aber noch Glück - meiner will das jeden Abend!“
Der Teil der Dramatisierung wird oft in der Form eines Dialogs manifestiert. Denn
durch die direkte Rede zwischen den Witzfiguren kann der Leser/Hörer nicht nur den
Sachverhalt kennen lernen, sondern sich auch durch den Rollenwechsel in die
Gesprächssituation einfühlen und die Spannung dabei besser wahrnehmen. Aber der
Dialog gilt nicht als die einzige Möglichkeit, die Dramatisierung darzustellen. Man
kann auch in diesem Teil den Sachverhalt in einfacher erzählender Form ausdrücken,
wenn es z.B. nur um eine Witzfigur geht, wie in (16) aus diesem Kapitel. Oder man
stellt direkt eine Frage, die entweder dem Leser/Hörer komisch erscheint oder bei
diesem einen Denkvorgang veranlasst, nach dem er zu einer eigenen Antwort auf die
gestellte Frage kommen würde, wie in den Beispielen (1) und (14).
3. Pointe
Nachdem die eigenen Erwartungen des Lesers/Hörers entstanden sind und dessen
Interesse für das Weitergeschehen im Witz geweckt worden ist, geht man im dritten
Teil auf die Pointe ein, welche gleichzeitig das Hauptkennzeichen des Witzes darstellt.
Die Funktion der Pointe besteht darin, eine zweite semantische Interpretation des
Textes einzuführen, die einerseits mit dem vorangehenden Textteil verbunden ist,
andererseits aber zu diesem in Kontrast steht. Das erinnert uns an die Skripttheorie
von Raskin (1985). Der Pointeteil ist nämlich die Stelle, an der ein Wechsel von
einem Skript zum anderen ermöglicht wird (siehe Kapitel 3.2.2.1). Nach den
Untersuchungen von Raskin und Attardo befindet sich die Pointe meistens am Ende
eines Witzes. In dem oben genannten Beispiel (5) gilt der Satz nach dem
Gedankenstrich „meiner will das jeden Abend“ als die Pointe des Witzes, denn darin
wird eine zweite Bedeutung des Wortes „ausziehen“ aktiviert, was dann auch zu einer
zweiten Interpretation des Textes führt. Wenn man den Pointeteil in (5) liest, fällt es
einem zuerst schwer, den Satz zu verstehen, denn es kann nicht jeden Abend aus einer
Wohnung ausziehen, wenn wir angesichts des vorangehenden Textes das Wort
„ausziehen“ als „eine Wohnung für immer verlassen“ verstehen. Um dieses Problem
zu lösen, versucht man die Wörter oder die Textstelle herauszufinden, die sich auf
eine andere Weise interpretieren lassen. Nach dem kulturellen Hintergrund weiß der
89
Leser/Hörer, dass die Blondine das Image der Dummheit und erotischer Attraktivität
besitzt. Im Pointesatz wird auch noch die Zeit zum „Ausziehen“ betont – „jeden
Abend“, was nach dem Common Sense-Wissen als die Zeit fürs Schlafen gilt. Unter
diesen beiden Bedingungen kann man die Vermutung haben, dass es in der neuen
Interpretation des Textes um das Konzept „Sex“ geht. Um das genau festzustellen,
prüfen wir das Verb für die Handlung der Blondinen noch einmal. Das Wort
„ausziehen“
lässt
sich
zufällig
auch
als
„die
Kleidung
vom
Körper
entfernen“ interpretieren. Bisher ist das neue Skript mit dem Konzept „Sex“ bestätigt
worden. Für den Text sind dann zwei verschiedene Interpretationen möglich: eine als
der Auszug der Blondine aus ihrer Wohnung, die andere als das Schlafen mit dem
Vermieter. Die Pointe funktioniert.
Nachdem wir die drei grundlegenden Strukturelemente des Witzes kennen gelernt
haben, werden wir uns im nächsten Teil mit den verschiedenen Erzählformen des
Witzes befassen.
4.6.2 Die verschiedenen Formen des Witzes
Wie oben erwähnt wird, erweisen sich die Erzählung, der Dialog und die Mischung
der beiden als die häufig verwendeten Witzformen im Deutschen und im
Chinesischen.
1. Erzählung
Die Erzählung versteht sich hier nicht als die literarische Gattung, als die mündliche
oder schriftliche Darstellung von realen oder fiktiven Ereignisfolgen oder die
selbständige Einzelkategorie innerhalb der Grundgattung Epik, die vor allem Roman,
Novelle, Kurzgeschichte, Märchen, usw. umfasst (Metzler-Literatur-Lexikon, 1990).
Sie bezieht sich vielmehr auf die Witze, die in reiner narrativer Weise dargestellt
werden. Das oben genannte (16) ist ein Beispiel für diese Form.
(16) Ein Russe bestellt immer fünf Wodkas gleichzeitig im Restaurant. Er trinkt für
seine vier Kriegskameraden mit, die im Krieg gefallen sind; dies sei die
Abmachung gewesen, dass der Überlebende für die anderen mittrinken müsse,
und er habe als einziger überlebt, erklärt der Russe.
Eines Tages bestellt er nur noch vier Wodkas.
90
„Ich trinke nur noch für meine gefallenen Freunde“, erklärt er, „ich selbst bin
Antialkoholiker geworden.“
Man kann sehen, dass die drei Strukturelemente klar zu erkennen sind. Der erste Satz
gilt als die Einleitung, in der die Situation und die Witzfigur vorgestellt werden. Die
Dramatisierung umfasst den Teil vom zweiten Satz bis zum „ich trinke nur noch für
meine gefallenen Freunde“ im letzten Abschnitt. Hier wird das Hauptgeschehen in
erzählender Form dargestellt. Der Leser/Hörer erstellt inzwischen seine eigene
Interpretation von der Geschichte, nämlich dass der Russe Alkohol sehr mag, obwohl
er statt fünf nur noch vier Wodkas trinkt. Der letzte Satz gilt als die Pointe des Witzes,
denn mit der Behauptung, er sei „Antialkoholiker“, wird eine zweite Interpretation
des Textes ausgelöst, nämlich dass der Russe keinen Alkohol mehr trinkt. Es ist zu
sehen, dass dieses Skript in Kontrast zu dem ersten steht, dass er immer noch vier
Wodkas trinkt.
Witze in erzählender Form haben zwar eine klare und vollständige Struktur, sind aber
meistens lang und detailliert. Deshalb lassen sie sich relativ schwer einprägen und
weitererzählen. Im Vergleich dazu kann man die Witze in der Form eines Dialogs
mündlich besser verbreiten. Darauf wird im nächsten Teil eingegangen.
2. Dialog
Wie der Name sagt, besteht ein Witz in dieser Form aus einem reinen Dialog. Die
Einführung der Situation und der Witzfiguren findet man entweder in der kurzen
Beschreibung der Gesprächsteilnehmer (wie in dem oben genannten (13)) oder direkt
im Inhalt des Gesprächs (wie in (18)).
(13)
Sagt die Kundin zum Verkäufer: „Ich möchte gern das rote Kleid da im
Schaufenster anprobieren.“
Darauf der Verkäufer: „Sehr gern, gnädige Frau, Sie dürfen aber auch eine
Kabine benutzen.“
(Faule Witze von A bis Z, 2002)
(18)
„Frau Karl verehrt ihren Mann über alles. Sie sagt, er sei das Licht ihres
Lebens.“
„Aha, dann verstehe ich auch, warum sie ihn nie ausgehen lässt.“
91
(Faule Witze von A bis Z, 2002)
In (13) erkennt man direkt aus der Darstellung der Dialogsteilnehmer, dass es um die
Situation des Einkaufens zwischen Kundin und Verkäufer geht. In (18) werden die
Figuren und ihre Beziehung zueinander im ersten Satz des Dialogs eingeführt. Daraus
kann man auch schließen, dass es sich um eine Situation des Ehelebens handelt. Nach
der integrierten Einleitung findet im Dialogwitz auch direkt die Dramatisierung statt,
in der das Hauptgeschehen im Witz dargestellt wird. Der letzte Satz dient meistens als
Pointe. Diese führt eine zweite semantische Interpretation des ganzen Textes ein, um
so
eine
andere
Bedeutung
des
semantischen
Triggers,
die
nach
dem
Hintergrundwissen des Lesers/Hörers nicht zu dem vorangehenden Text passt oder
meistens nicht gewählt wird, hervorzuheben. In (18) denkt man beim „Licht des
Lebens“ meistens an dessen übertragene Bedeutung: „Jemand/etwas ist einem sehr
wichtig“, statt an den wörtlichen Sinn „die Naturerscheinung – das Tageslicht“ oder
den metaphorischen Sinn in der Religion, dass Gott das „Licht des Lebens“ 40 ist. In
der Pointe wird jedoch der wörtliche Sinn oder der religiöse Sinn dieser Phrase betont:
Die Frau will mit ihrem Mann den ganzen Tag zusammen sein, als ob er ihr das
Tageslicht oder Gott wäre. Durch die Betonung der anderen Bedeutung lässt sich die
Phrase auf zwei Weisen interpretieren. Entsprechend gibt es für den Text auch zwei
semantische Interpretationen.
Dialogwitze sind meistens kürzer und kompakter als Erzählungen, weil in den
ersteren die Einleitung in den Teil der Dramatisierung integriert ist. Durch eine
direkte Rede wird die Situation so anschaulich dargestellt, dass der Leser/Hörer sich
besser mit den Witzfiguren identifizieren kann und auch die Pointe besser
funktioniert.
3. Erzählung + Dialog
Als eine Mischung aus Erzählung und Dialog hat diese Form die Merkmale von den
beiden oben genannten Kategorien. Sie ist sowohl durch eine klare Struktur mit allen
drei voneinander getrennten Teilen als auch durch die Anschaulichkeit und die
Spontaneität des Gesprächs gekennzeichnet. Witze in der Form eines reinen Dialogs
40
In der Bibel nennt Jesus sich selber „das Licht der Welt“ oder „das Licht des Lebens“: „Da redete
Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht
wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Johannes 8: 12)
92
lassen sich besser schriftlich als mündlich verbreiten, denn die integrierte Einleitung
erscheint dem Hörer nicht immer klar, wodurch der Witzeffekt in gewissem Sinne
negativ beeinflusst wird. Im Vergleich dazu lässt sich die Mischform aus Erzählung
und Dialog sowohl mündlich als auch schriftlich gut verbreiten. Deshalb werden viele
Witze in dieser Form dargestellt, wie die Beispiele (3), (5), (10), (12) und (15).
Neben diesen drei grundlegenden Formen sind noch zwei spezifische Kategorien zu
erwähnen, die Frage-Antwort und das Dreier-Modell. Sie unterscheiden sich von den
oben genannten drei Formen vor allem dadurch, dass die letzteren beiden sich durch
ein künstlerisches Standardmuster auszeichnen, während die ersteren drei Formen
ähnlich wie eine authentische Situation aussehen. Im folgenden Teil wird auf die
Frage-Antwort und das Dreier-Modell näher eingegangen.
4. Frage-Antwort
Wie der Name sagt, bestehen die Witze in dieser Form aus zwei Teilen: einer Frage
und der Antwort darauf. Ähnlich wie in den Dialogwitzen findet man hier die
Einleitung und die Dramatisierung nicht getrennt, sondern integriert in der FrageZeile, während die Antwort-Zeile meistens als die Pointe dient. Der oben genannte
Witz (9) ist ein Beispiel für diese Kategorie. Mit der Frage „woran erkennt man, dass
ein Fax von einer Blondine gesendet wurde“ werden die Witzfigur „die
Blondine“ und die Situation „Faxsenden“ eingeführt. Außerdem dient die Frage
gleichzeitig als Dramatisierung, indem sie den Leser/Hörer veranlasst, sich Gedanken
über die Frage zu machen und nach einer eigenen Antwort darauf zu suchen.
Meistens wirkt die gestellte Frage entweder komisch oder schwer zu beantworten,
deshalb wartet der Leser/Hörer mit Interesse auf die Antwort im Folgenden, die aber
entweder ganz anders als die Lösung des Lesers/Hörers aussieht oder nach dessen
Hintergrundwissen überhaupt nicht zu der Frage passt. Jedenfalls kommt man auf
eine völlig unerwartete Antwort.
Wegen der kompakten und standardisierten Struktur mit nur zwei Zeilen lassen sich
die Frage-Antwort-Witze relativ einfach entwickeln bzw. schnell verbreiten.
Außerdem sind sie besonders geeignet für die mündliche Kommunikation, denn der
Erzähler kann nach der Fragestellung eine Pause machen und dadurch eine größere
Spannung aufbauen, was entsprechend auch den Überraschungseffekt in der Pointe
erhöhen kann. Aus diesem Grund wird die Frage-Antwort-Form viel und besonders
93
auf die Witze verwendet, in denen es um eine bekannte Figur oder Gruppe geht, wie
die Blondinenwitze oder die Ostfriesenwitze.
5. Dreier-Modell
Wie die Frage-Antwort gilt das Dreier-Modell auch als ein standardisiertes Muster
der Witzform. Dabei sind die drei Strukturelemente – Einleitung, Dramatisierung und
Pointe – voneinander getrennt zu erkennen. Die Situation und die Figuren werden
zuerst am Anfang mit einem kurzen Satz vorgestellt. Darauf folgt das
Hauptgeschehen, in dem zwei oder mehrere Figuren dieselbe oder eine ähnliche
Handlung ausführen. Die Pointe findet in dem letzten Abschnitt statt, in dem die
letzte Figur beim Wiederholen der eben erwähnten Handlung etwas Unerwartetes tut.
Die Bezeichnung „Dreier-Modell“ geht auf die Zahl der Witzfiguren zurück, die
dieselbe Handlung wiederholen. Witz (8) aus diesem Kapitel ist ein Beispiel für das
Dreier-Modell. Nach der kurzen Vorstellung der Situation und der Figuren fängt er
mit der Hauptgeschichte an. Während der britische und der asiatische Diplomat beide
einen ähnlichen Satz korrekt und höflich formuliert haben, jeweils mit dem Inhalt auf
die Damen der östlichen bzw. der westlichen Hemisphäre anzustoßen, wiederholt der
französische Diplomat den Satz mit einem grammatischen Fehler, so dass am Ende
statt eines höflichen Wunsches eine schlüpfrige Bemerkung ausgedrückt wird. Die
Äußerung des Franzosen bildet die Pointe in diesem Witz.
Das Dreier-Modell wird häufig auf die Witze über mehrere Figuren oder Gebiete
angewendet. Mit der Tendenz der Globalisierung ist eine Reihe von internationalen
Witzen entstanden, in denen verschiedene Länder oder Gebiete an demselben
Sachverhalt präsentiert werden. In solchen Witzen wird z.B. häufig das DreierModell benutzt. Wegen der klaren und standardisierten Struktur lässt sich das DreierModell schnell entwickeln und verbreiten.
4.7 Fazit
In diesem Kapitel haben wir nach der Vorstellung der GTVH die fünf verschiedenen
Aspekte, die Zielscheibe, deren Eigenschaft, das Hintergrundwissen, die Situation
und die Erzählformen, die bei der Analyse der Witze in der empirischen
Untersuchung angewendet werden, erläutert. Dabei konzentrieren wir uns vor allem
auf die Grundfragen, worüber im Witz und warum darüber gelacht wird. Basierend
94
auf der semantischen Skript Theorie des Humors werden mit dem Hintergrundwissen
die Bedingungen für das Entstehen des Skripts 1 erläutert, nämlich die Bildung der
Erwartung des Lesers/Hörers über den Witzverlauf, während mit der Zielscheibe und
deren Eigenschaft das Skript 2, das reale Geschehen im Witz ausführlich dargestellt
wird. Die Situation im Witz trägt auch zum Bilden der beiden Skripten bei, denn
sowohl die Erwartung des Lesers/Hörers von der Geschichte im Witz als auch das
Geschehnis selber finden immer im Rahmen einer Situation statt. Mit dem letzten
Aspekt, der Textform, werden die Struktur und die Gattungen des Witzes vorgestellt.
In den nächsten beiden Kapiteln werden die ethnischen bzw. die Familienwitze im
Deutschen und im Chinesischen unter den oben erläuterten fünf Aspekten analysiert
und miteinander verglichen.
95
96
5. Ethnische Witze
Sage mir worüber du lachst,
dann sage ich dir, woher du kommst.
In diesem Kapitel geht es um die Analyse und den Vergleich der deutschen und der
chinesischen ethnischen Witze. Unter ethnischen Witzen versteht man kurze
Geschichten mit einem komischen Ende, die von einer oder mehreren ethnischen
Gruppen handeln, denen eine spezielle Eigenschaft oder eine besondere
Verhaltensweise zugeschrieben wird41 (vgl. Davies 1990: 1).
Der Begriff ethnisch geht etymologisch auf das griechische Wort ethnikós zurück, das
als „zum Volk gehörend“ interpretiert wird (Duden 1989). In der modernen
Gesellschaft lässt sich das Konzept Ethnizität verallgemeinernd auf die Gruppen von
Menschen beziehen, die Gemeinsamkeiten von Kultur besitzen, geschichtliche und
aktuelle Erfahrungen miteinander teilen, Vorstellungen über eine gemeinsame
Herkunft
haben
und
auf
dieser
Basis
ein
bestimmtes
Identitäts-
und
Solidarbewusstsein ausbilden. Daraus sind die zentralen Merkmale von ethnischen
Gruppen zu erschließen: Der Glaube an eine gemeinsame Herkunft, an
Gemeinsamkeiten von Kultur und Geschichte sowie Elemente eines Identitäts- und
Zusammengehörigkeitsbewusstseins (Heckmann 1992: 30, 48-49). In diesem Sinne
bezieht sich eine ethnische Gruppe nicht auf eine große Einheit wie die deutsche
Nation, sondern auf die kleineren Teilbevölkerungen wie Schwaben und Bayern
innerhalb der deutschen Nation oder die Großstädter wie Beijinger und Shanghaier
innerhalb des chinesischen Volkes. Sie lassen sich durch den eigenen Dialekt, ihre
typischen Küchenspezialitäten und ihre geschichtlichen sowie aktuellen Erfahrungen
identifizieren. Dementsprechend beziehen sich die ethnischen Witze, die in dieser
Arbeit diskutiert werden, auf solche Teilbevölkerungen. Die in den letzten Kapiteln
erwähnten deutschen Witze über Ostfriesen bzw. Schotten und die chinesischen
Witze über Ausländer sind Beispiele für diese Kategorie.
41
Die originale Definition der ethnischen Witze von Davies lautet: „jokes about peoples that consist of
short narratives or riddles with comic endings which impute a particular ludicrous trait or pattern of
behaviour to the butts of the joke…“
97
Dieses Kapitel besteht insgesamt aus acht Teilen. Teil 1 stellt einige der ethnischen
Gruppen in Deutschland bzw. in China vor, die in den zu diskutierenden Witzen
vorkommen werden, damit die Leser eine allgemeine Vorstellung von den deutschen
und den chinesischen ethnischen Witzen bekommen. In Teil 2 geht es um die
Ergebnisse der bisherigen relevanten Forschungen über die ethnischen Witze. Teil 3
befasst sich mit den Auswahlkriterien für die Untersuchungsbeispiele in diesem
Kapitel. Von Teil 4 bis Teil 7 werden die gesammelten deutschen und chinesischen
ethnischen Witze unter den fünf verschiedenen Aspekten analysiert: 1. der
Zielscheibe, 2. der Eigenschaft der Zielscheibe, 3. dem Hintergrundwissen, 4. der
Situation und 5. der Erzählform. Darüber hinaus werden bei jedem Aspekt die
Ergebnisse der Analyse zu beiden Sprachen miteinander verglichen. Der letzte Teil
gilt als die Zusammenfassung des ganzen Kapitels.
5.1 Die ethnischen Gruppen in Deutschland bzw. in China
5.1.1 Vorstellung der ethnischen Gruppen in Deutschland
Geographisch besteht Deutschland aus 16 Bundesländern: Berlin, Hamburg, Bremen,
Schleswig-Holstein,
Mecklenburg-Vorpommern,
Brandenburg,
Sachsen-Anhalt,
Sachsen, Thüringen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland,
Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Die Nachbarländer von Deutschland sind
Dänemark an der nördlichen Seite, Polen, Tschechien, Österreich und die Schweiz an
der östlichen bis zur südlichen Seite bzw. Frankreich, Luxemburg, Belgien und die
Niederlande an der westlichen Seite. Abbildung 1 stellt die politische Karte von
Deutschland dar.
Die Gesamtbevölkerung Deutschlands beträgt Ende 2006 ca. 82 Mio. Davon sind
91% Deutsche42. Unter der Ausländerbevölkerung sind die polnische Minderheit, die
Türken, die Sorben und die dänische Minderheit relativ große ethnische Gruppen
(Wikipedia). Die deutschen ethnischen Witze handeln von diesen erwähnten Gruppen,
stärker aber noch von den deutschen ethnischen Gruppen, die die große Mehrheit der
Gesamtbevölkerung ausmachen. Im Folgenden werden einige der deutschen
ethnischen Gruppen vorgestellt.
42
Siehe die Webseite des Statistischen Bundesamtes Deutschlands: http://www.destatis.de (20.
September 2007).
98
Abbildung 1: Landkarte von Deutschland43
Zu den relativ großen ethnischen Gruppen in Deutschland gehören z.B. Schwaben,
Bayern, Sachsen und Ostfriesen. Die Volksgruppe Schwaben lebt vor allem in BadenWürttemberg bzw. dem westlichen Teil von Bayern. Etymologisch geht der Name
Schwaben auf die Sueben, eine Stammesgruppe germanischer Völker zurück, die im
dritten Jahrhundert nach Süddeutschland einwanderten und die römischen Agri
decumates besetzten (Zettler 2003: 17-19). Heutzutage werden mit dem Begriff vor
allem die Sprecher der schwäbischen Dialekte gemeint. Schöffler hat einmal in „Der
kleinen Geographie des deutschen Witzes“ das Schwäbische beschrieben: „Ein
Aeschthetiker Schwabens, Köstlin, zu sprechen Keschtle, mit starkem Ton auf der
ersten Silbe, hat an einer im Turnus widerkehrenden Stelle seines Kollegs in
Verzückung ausgerufen: ‚Das Schöschte und Erhabenschte, was die klassische
Kunscht hervorbegracht hat, ischt der Bruschte der Venus von Milo!’“ (Schöffler
1955: 21). Seit dem späten Mittelalter gab es nicht wenige auf die Schwaben
abzielende Sprichwörter, wie z.B. „Schwaben haben nur vier Sinne“, oder „Ein
Schwabe hat kein Herz, sondern zwei Mägen“. In der Schwankliteratur des 16.
43
Siehe http://www.mapsofworld.com (20.September 2007).
99
Jahrhunderts werden Schwabenspott und „Schwabenstreiche“ typisiert. Danach gilt
der Schwabe als groß, dumm, lügnerisch, händelsüchtig und hinterhältig. Solche
Vorurteile und Klischee-Vorstellungen haben Jahrhunderte lang angehalten. Erst die
letzten anderthalb Jahrhunderte bringen eine Wende ins Gegenteil. Das 19.
Jahrhundert,
in
dem
Schwaben
zugleich
Mittelpunkt
der
Literatur-
und
Geistesgeschichte wurde, brachte eine enorme Aufwertung des Schwaben, die auch
im populären Selbstlob der Schwaben ihren Niederschlag gefunden hat (Röhrich 1977:
249):
Der Schelling und der Hegel,
Der Schiller und der Hauff,
Das ist bei uns die Regel,
Das fällt uns gar nicht auf.
(Eduard Paulus, Arabesken, 1897, S. 70)
Nicht nur in den Geisteswissenschaften, sondern auch in der Wirtschaft und Industrie
haben die Schwaben in den letzten anderthalb Jahrhunderten einen großen Beitrag für
Deutschland geleistet. Einige wichtige Unternehmen in Deutschland, wie Daimler
und Bosch, wurden von den Schwaben gegründet.
Neben den Schwaben im Süden wird eine andere ethnische Gruppe aus
Norddeutschland ebenfalls häufig in den deutschen Witzen behandelt: die Ostfriesen.
Sie stellen den östlichen Zweig der friesischen Volksgruppe dar und gehören damit
neben den Dänen, Sorben und den Sinti und Roma zu den anerkannten Minderheiten
in Deutschland. Die Ostfriesen leben meistens in Ostfriesland, das sich im
Nordwesten des Landes Niedersachsen befindet (Wikipedia). Als historisch
gewachsene Einheit war das Gebiet von 1464 bzw. von 1600 bis 1744 mit der
Grafschaft Ostfriesland, später dann mit der Provinz Ostfriesland und schließlich mit
dem Regierungsbezirk Aurich identisch. Im Jahre 1978 wurden die Bezirke Aurich
und Oldenburg zum neuen Regierungsbezirk Weser-Ems vereinigt. Ostfriesland hatte
eine relativ schwer zugängliche und gefährliche Flachküste am Wattenmeer und einen
siedlungs- und verkehrsfeindlichen Moorgürtel, der das Gebiet stark von der
Außenwelt abschloss, so dass es Jahrhunderte lang in kultureller, ethnischer und
politischer Hinsicht ein Eigenleben führen und seine Eigenart herausbilden und
bewahren konnte. In wirtschaftlicher Hinsicht sind die Erwerbszweige in Ostfriesland,
100
wie Fischerei, Landwirtschaft, Fremdenverkehr, Tief- und Hochbau, stark
saisonabhängig (Rack 1998: 7, 107). Wegen der relativen Unterentwickeltheit und der
Abgeschlossenheit in der Geschichte werden Ostfriesen im Witz oft als dumm, faul,
unsauber usw. dargestellt. Wie oben erwähnt, sind Schwaben in der Vergangenheit
auch Gegenstand der Verspottung gewesen. Der Ostfriesenwitz ist dagegen die
jüngste Entwicklung solcher ethnischen Witze (Röhrich 1977: 272). In den folgenden
Teilen dieses Kapitels werden wir näher darauf eingehen. Bemerkenswert ist, dass die
meisten Ostfriesenwitze – so behauptet ihr Sammler und Herausgeber, der unter dem
Pseudonym Onno Freese schreibt – von den Ostfriesen selbst stammen (Röhrich 1977:
273).
5.1.2 Vorstellung der ethnischen Gruppen in China
Geographisch besteht China aus 34 Verwaltungseinheiten, zu denen 23 Provinzen
(wie Shandong, Henan, Sichuan, Guangdong usw.), fünf autonome Gebiete (z.B.
Xinjiang, Innere Mongolei usw.), vier regierungsunmittelbare Städte (Beijing, Tianjin,
Shanghai, Chongqing) und zwei Sonderverwaltungszonen (Hongkong, Macao)
gehören. Die Nachbarländer von China sind im Uhrzeigersinn von Süden ausgehend
Vietnam, Laos, Burma, Bhutan, Nepal, Indien, Pakistan, Afghanistan, Tadschikistan,
Kirgisistan, Kasachstan, Russland, Mongolei und Nordkorea. Abbildung 2 zeigt die
Verwaltungseinheiten und die Nachbarländer von China.
In den 34 Verwaltungseinheiten von China leben insgesamt 56 ethnische Gruppen,
wie Han, Zhuang, Mandschu, Hui, Mongolen usw. Darunter verteilen sich die HanChinesen, die 92% der gesamten Staatsbevölkerung bzw. fast ein Fünftel der
Weltbevölkerung ausmachen, vor allem in Mittel-, Ost- und Südchina in die
Provinzen, regierungsunmittelbaren Städte und Sonderverwaltungszonen. Die meisten
der anderen ethnischen Gruppen befinden sich in den fünf autonomen Gebieten, die
in Nord- und Westchina liegen. Jede ethnische Gruppe hat ihre eigene Sprache in
Wort oder auch in Schrift. Auf den chinesischen Geldscheinen findet man die fünf
Hauptschriftsprachen: Chinesisch, Mongolisch, Tibetisch, Uyghurche und ZhuangSchrift. Obwohl alle Han-Chinesen dieselbe Schriftsprache, Chinesisch (inkl. Kurzund
Langschriftzeichen)
benutzen,
werden
in
verschiedenen
Regionen
unterschiedliche Dialekte gesprochen. Darunter erweisen sich manche Dialekte, wie
Wu, Hakka, Kantonesisch, eher als eigene Sprachen denn als Dialekte. Außerdem
besitzen die Menschen aus vielen Provinzen ihre eigenen geschichtlichen und
101
aktuellen Erfahrungen in Kultur und Gesellschaft bzw. ein relativ selbständiges
Identitätsbewusstsein und eine klare Grenze zu anderen Gebieten, deshalb hat man
Recht, wenn man die These aufstellt, dass innerhalb von Han verschiedene kleinere
ethnische Gruppen zu unterscheiden sind. In dieser Arbeit werden nur diese kleineren
Gruppen diskutiert, einerseits weil die gesammelten Witze wegen meiner
Sprachbeschränktheit nur die, die im Chinesischen erschienen sind, andererseits ist
eine Forschung über diese Untergruppen von großer Bedeutung und Notwendigkeit,
denn sie machen mit 92% die absolute Mehrheit der gesamten chinesischen
Bevölkerung aus. Eine breitere Untersuchung zu den weiteren ethnischen Gruppen
neben Han wäre ebenfalls sinnvoll. Dazu müsste mehr Material über deren
Humorkultur bzw. die mündlich überlieferten Witze gesammelt werden, die in den
einheimischen Sprachen dargestellt werden.
Abbildung 2: Landkarte von China44
Unter den Han-Chinesen findet man eine Reihe kleinerer Gruppen, die durch ihre
eigene Sprache, Geschichte und ihre Lebensgewohnheiten charakterisiert werden. Als
Beispiel werden hier Beijinger und Shanghaier vorgestellt. Beijing hat eine
Geschichte von über 2000 Jahren. Sie ist nicht nur die Hauptstadt des heutigen
Chinas, sondern war auch das politische Zentrum der Dynastien Yuan (1276-1368),
44
Siehe http://www.wellesley.edu (22. September 2007).
102
Ming 45 (1368-1644) und Qing (1644-1911). Der Name bedeutet im Chinesischen
„Hauptstadt im Norden“. In Beijing wird ein Dialekt gesprochen, der sich ähnlich wie
die offizielle Sprache in China – das Ptnghuà – anhört. Auf Grund der
jahrhundertenlangen Position als politisches Zentrum hat sich eine so genannte
Beijing-Kultur entwickelt. Die Menschen fühlten sich als Nachbarn der kaiserlichen
Familie und deshalb als überlegen gegenüber den Provinzen. Sie zeigen ein großes
Interesse an der Politik des Inlands bzw. des Auslands. Die Taxifahrer sind bekannt
für ihre Informationsfreudigkeit, ihren Humor und ihre Redefähigkeit, so dass es
heißt, dass die Touristen bei der ersten Taxifahrt sofort alles von Beijing kennen
lernen können. Die Nudel mit einer besonderen Soße und verschiedenen
Gemüsesorten gilt als eine bekannte lokale Spezialität, obwohl die Beijinger Küche
wegen der Position als kulturelles Zentrum eher eine Mischung aus verschiedenen
Gebieten darstellt. Im Vergleich zu der Beijing-Kultur in Nordchina entwickelte sich
eine Shanghai-Kultur im Südosten. Mit einer relativ kurzen Geschichte von 700
Jahren zählt Shanghai nicht zu den alten Städten in China. Der große Aufschwung
findet seit der Mitte des 19. Jahrhunderts statt, als der Hafen Shanghai zur Außenwelt
geöffnet wurde. Heute gilt Shanghai als eine wichtige Wirtschaftsmetropole neben
Hongkong und darüber hinaus als das Kulturzentrum in Südchina. Die ShanghaiKultur ist bekannt für ihre Toleranz gegenüber Neuerscheinungen und ihre
Multikulturalität. Die Gebäude in Shanghai weisen eine Mischung aus europäischen
und asiatischen Stilen auf. Wegen der großen Bevölkerungsdichte und des
beschränkten Lebensraums vor den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts sind die
Shanghaier auch bekannt für ihr vernünftiges und genaues Rechnen beim
Konsumieren und die kleinen Essensportionen im Restaurant, über die die Touristen
aus anderen chinesischen Gegenden häufig lachen oder klagen, obwohl die
Shanghaier Küche durch ihren milden und gesunden Geschmack in Südostchina sehr
bekannt, beliebt und weit verbreitet ist.
Nachdem wir die geographische Zusammensetzung und einige ethnische Gruppen
von Deutschland bzw. von China kennen gelernt haben, gehen wir im folgenden Teil
auf die Forschungen über ethnische Witze ein, die in den letzten Jahrzehnten
durchgeführt wurden und mit denen unsere empirische Studie eng zusammenhängt.
45
In der Ming-Dynastie war Beijing erst vom Jahre 1421 an die Hauptstadt.
103
5.2 Die wichtigen Forschungen über ethnische Witze
Über ethnische Witze wurden im 20. Jahrhundert eine Reihe von Forschungen in
verschiedenen Disziplinen wie Volkskunde, Soziologie und Linguistik durchgeführt.
Schöffler (1955) hat eine kleine Geographie des deutschen Witzes zusammengestellt.
Raskin (1985) hat die Skripttheorie auf die ethnischen Witze angewendet. Davies
(1990) hat den ethnischen Humor auf der ganzen Welt untersucht. Hier werden nur
einige wichtige Ansätze aus den linguistischen und den soziologischen Forschungen
vorgestellt.
Eine der relevantesten linguistischen Theorien zur Witzanalyse ist die Semantische
Skript Theorie über Humor (SSTH) von Raskin (1985). Er behauptet, dass die
Skriptopposition eine der notwendigen Voraussetzungen für einen Witztext sei.
Aufgrund dieser These hat Raskin vier wichtige Skripten für die Kategorie der
ethnischen Witze zusammengefasst: Dialekt, Dummheit, Geiz und Arglist (Raskin
1985: 180-221).
1) Dialekt
In jedem Land gibt es eine oder mehrere offizielle Sprachen und gleichzeitig
verschiedene Dialekte, die von der/den offizielle(n) Sprache(n) abweichen. Im
Umgang mit den Menschen aus derselben Region spricht man häufig den
einheimischen Dialekt statt der Standardsprache. Für die, die einen relativ starken
Dialekt sprechen, ist es oft schwierig, die Standardsprache gut zu benutzen. Witze mit
dem Dialektskript beschäftigen sich mit den Unterschieden zwischen der Regionalund der Standardsprache bzw. der Unfähigkeit der Menschen beim Benutzen der
offiziellen Sprache. Die Standardsprache in Deutschland ist das Hochdeutsch, das vor
allem in Norddeutschland, besonders in der Umgebung von Hannover46 gesprochen
wird. Deshalb gibt es eine Menge Witze über den Dialekt in Sachsen, Bayern oder
Schwaben, der sich ganz anders als das Hochdeutsche anhört. In China gilt das
Mandarin oder P tng huà als die Standardsprache, die ähnlich wie der Dialekt in
der Hauptstadt Beijing klingt. In den anderen Regionen spricht man einen eigenen
Dialekt, der kleine oder große Abweichungen von der Standardsprache aufweist. Im
46
Die nördliche Aussprache wurde später als Standard bezeichnet und weiter nach Süden verbreitet. In
manchen Regionen (wie z.B. der Umgebung von Hannover) ist der lokale Dialekt nach einiger Zeit
völlig verschwunden (Wikipedia).
104
Chinesischen gibt es zahlreiche Witze über die verschiedenen lokalen Sprachen,
besonders wenn derselbe Satz im P tng huà und der Regionalsprache zwei völlig
verschiedene Bedeutungen besitzt, wie in Beispiel (1) dargestellt wird:
(1)
᯳᯳ⱘ᠟ᴎᬊࠄϔᴵ༛ᗾⱘⷁ⍜ᙃˈিҪ⫼ᷛ‫ⱘޚ‬᱂䗮䆱໻ໄⱘ䇏ߎᴹˈ᯳᯳
㞾㾝᱂䗮䆱䇈ᕫϡ䫭ˈህ໻ໄഄᗉњߎᴹ˖“ኌᰃ㓓ˈኌᰃ㓓ˈኌᰃ᯹㓓DŽ”
䖭ϔ䇏ϡ㽕㋻ˈᡞ䱨ຕⱘቅϰ໻ཛྷ㒭Фണњ˖“䇕ᆊⱘ㷶偈೼䙷‫ⵢܓ‬োਸ਼˛”
(http://joke.tom.com)
Meine eigene Übersetzung:
Xingxing (ein chinesischer Jungenname) hat auf seinem Handy eine Nachricht
bekommen:
„Àn shì l, àn shì l, àn shì chn l.” (Satz)
(Das Ufer ist grün, das Ufer ist grün, das Ufer ist frühlingsgrün.) (Bedeutung 1)
Die Nachbarin aus Shandong 47 hat das zufällig mitgehört und wollte sich
totlachen: „Welcher Dummkopf ist da drüben, der immer wiederholt: ‚Ich bin
(ein) Esel, ich bin (ein) Esel, ich bin (ein) dummer Esel! (Bedeutung 2)’“
In diesem Witz hat Xingxing die Nachricht auf Mandarin vorgelesen, was bedeutet,
dass „das Ufer im Frühling grün geworden ist (Bedeutung 1)“. Aber derselbe Satz
wird in Shandonger Dialekt anders interpretiert: „Ich bin (ein) Esel, ich bin (ein) Esel,
ich bin (ein) dummer Esel (Bedeutung 2).“
2) Dummheit
In vielen Ländern findet man eine Kulturgruppe, die im Witz als dumm bezeichnet
wird, z.B. die Ostfriesen in Deutschland, die polnischen Immigranten in den USA, die
Belgier in Holland. Witze mit dem Dummheitsskript bilden fast die größte Gruppe
unter allen ethnischen Witzen (Raskin 1985: 185). Dummheit bezieht sich hier auf die
Unfähigkeit der betroffenen Gruppe beim Umgang mit dem Haushalt oder der
Technik bzw. deren Unkenntnis der neuen Begriffe oder dem Fehlen eines Common
Sense-Wissens. In Kapitel 3 und Kapitel 4 haben wir die Witze diskutiert, die von
dem Ostfriesen handeln, der nach den anderen Vätern seiner Drillinge suchen wollte,
oder von den fünf Polen, die für das Schrauben einer Glühbirne eingesetzt werden,
47
Der Name einer Provinz in Ostchina.
105
von dem französischen Diplomaten, der kein gutes Englisch sprechen kann, von der
Blondine, die beim Faxsenden eine Briefmarke auf das Papier geklebt hat, bzw. von
den Österreichern, die heißes Wasser im Kühlschrank behalten wollen. All das sind
Beispiele für die Kategorie der Dummenwitze.
3) Geiz
Im Witz wird die Zielscheibe des Spottes als geizig bezeichnet, wenn sie alles
Mögliche tut, um das Ausgeben von Geld zu vermeiden. Nach Davies findet man
auch in vielen Kulturen eine Gruppe, deren Image durch den Geiz charakterisiert ist,
wie z.B. Schwaben in Deutschland, Holländer in Belgien, Mailänder in Italien,
Auvergner in Frankreich, Armenier in Griechenland, Griechen in der Türkei, Sindis
in Indien bzw. Shansier 48 in China. Manche Gruppen weisen keine starke eigene
Ethnizität auf, sondern werden eher als Bewohner einer Stadt oder eines Gebiets mit
einem speziellen Charakteristikum beschrieben. Ein interessantes Phänomen bei den
Geizwitzen stellt der internationale Bezug auf die beiden ethnischen Gruppen
Schotten und Juden dar. In vielen Englisch sprechenden, aber auch in einigen anderen
europäischen Ländern gelten Schotten und Juden im Witz als Vertreter für die
Eigenschaft Geiz (Davies 1990: 103). Der Witz (2) aus dem Kapitel 4 gilt als ein
Beispiel für diese Kategorie. Dabei fordert der Schotte den Bäcker auf, sein Brot in
die Zeitung des aktuellen Tages zu verpacken, so dass er das Geld für den Kauf der
Zeitung sparen kann. Ein Grund für die Internationalität der Juden- und der
Schottenwitze besteht wahrscheinlich in der Diaspora der ersteren und der
Massenemigration der letzteren bei der Suche nach wirtschaftlichen Opportunitäten
(Davies 1990: 102).
4) Arglist
In den Witzen mit dem Arglistskript tut die Zielscheibe (in hinterlistiger Weise) etwas
Ungewöhnliches, um ihr Ziel zu erreichen. Bekannte arglistige Gruppen im Witz sind
Holländer in Deutschland, Shanghaier in China, Juden in den USA und anderen
48
Davies meint hier wahrscheinlich die Menschen aus der Provinz Shansi, die heute als Shanxi
geschrieben wird. Sie liegt in Mittelwestchina und war im 18. – 19. Jahrhundert ein wichtiger Ort der
Wirtschaft und des Handels in China. Heute hat die Bedeutung von Shanxi wegen ihrer relativ
abgeschlossenen geographischen Lage abgenommen. Mit der Öffnungspolitik findet der
Wirtschaftsaufschwung seit zwei Jahrzehnten in den östlichen Küstengebieten statt. Entsprechend
werden Shanghaier als die Vertreter für die Eigenschaft Geiz dargestellt.
106
Ländern usw. In Witz (2) wird z.B. dargestellt, wie ein Holländer einen Apfel für
einen hohen Preis an einen Deutschen verkauft hat.
(2)
Ein Deutscher sitzt mit einem Holländer im Zug. Nach einer Weile öffnet der
Holländer seinen Rucksack und nimmt einige Apfelkerne heraus, die er dann
isst. Fünf Minuten später das gleiche Spiel. Da fragt der Deutsche:
„Entschuldigung, warum essen Sie die Apfelkerne?“
Der Holländer:
„Davon wird man intelligenter.“
Der Deutsche:
„Verkaufen Sie mir welche?“
Der Holländer:
„Natürlich! 3 Stück für 5 Euro.“
Der Deutsche:
„Das geht in Ordnung.“
Er nimmt die Apfelkerne und isst sie. Zehn Minuten später bemerkt er:
„Für fünf Euro hätte ich doch einige Äpfel bekommen und hätte mehr Kerne
gehabt!“
Darauf der Holländer:
„Sehen Sie, es wirkt schon!“
(http://www.witz-des-tages.de)
Es ist zu bemerken, dass die oben genannten geizigen Gruppen in gewissem Sinne
mit den arglistigen zu identifizieren sind, denn wer alles Mögliches tut, um das
Ausgeben von Geld zu vermeiden, gehört zu denen, die durch eine ungewöhnliche
Tätigkeit ihr Ziel zu erreichen versuchen.
Neben den oben genannten Typen, Dialekt, Dummheit, Geiz und Arglist, sind weitere
spezifische Skripte, die einzelne Kulturen betreffen, festzustellen, z.B. die Romantik
der Franzosen, die steife Höflichkeit der Engländer, die Arroganz der Amerikaner, die
Inflexibilität der Deutschen (Raskin 1985: 194-199).
Der englische Soziologe Christie Davies hat eine umfangreiche Studie zu den
ethnischen Witzen auf der ganzen Welt durchgeführt und stellt fest, dass Dummheit
und Geiz viel weiter verbreitet sind als alle anderen Skripte (Davies 1990: 10). In
Ethnic Humor Around the World (1990) hat er eine Liste erstellt, in der die Vertreter
107
für die beiden Skripten in jedem Land zusammengefasst wurden (Davies 1990: 1112):
TABLE The Stupid and the Canny
Country where both
“stupid” and “canny”
jokes are told
Identity of „stupid“
group of jokes
Identity of “canny”
group of jokes
____________________________________________________________________
United States
Poles (and others locally,
e.g., Italians, Portuguese)
Jews, Scots, New England
Yankees, Iowans
Canada (East and especially Ontario)
Newfies (Newfoundlanders)
Jews, Scots, Nova Scotians
Canada (West)
Ukrainians, Icelanders
Jews, Scots
Mexico
Yucatecos (people from
Yucatan)
Regiomontanos (citizens of
Monterrey)
Colombia
Pastusos (people from
Pasto in Narino)
Paisas (people from
Antioquia)
England
Irish
Scots, Jews
Wales
Irish
Cardis (people from Cardiganshire), Scots, Jews
Scotland
Irish
Aberdonians, Jews
Ireland
Kerrymen
Scots, Jews
France
Belgians, Ouin-Ouin
(French Swiss)
Auvergnats (people from
the Auvergne), Scots
Netherlands
Belgians, Limburghers
Jews, Scots
Germany
Ostfrieslanders
Swabians, Scots, Jews
Italy
Southern Italians
Milanese, Genovese, Florentines, Scots, Jews, Levantines
Switzerland
Fribourgers
Spain
People of Lepe in
Andalucia
Jews, Genevois, Balois
(people from Geneva and
Basel)
Aragonese, Catalans
Finland
Karelians
Laihians (people from
Laihia)
108
Bulgaria
Sopi (peasants from rural
area outside Sofia)
Gabrovonians (people
from Gabrovo), Armenians
Greece
Pontians (Black Sea
Greeks)
Armenians
Russia
Ukrainians, Chukchees
Jews
China
Sansui
People from Shansi
India
Sardarjis (Sikhs)
Gujaratis, Sindis
Pakistan
Sardarjis (Sikhs)
Hindus, especially
Gujaratis
Iran
Rashtis (Azerbaijanis
from Rasht)
Armenians, Isfahanis,
Tabrizis (people of Isfahan, Tabriz)
Nigeria
Hausas
Ibos
South Africa
van de Merwe (Afrikaners)
Jews, Scots
Australia
Irish, Tasmanians
Jews, Scots
New Zealand
Irish, Maoris (in the North
Island), West Coasters (in
the South Island)
Jews, Scots, Dutch
5.3 Die Korpusauswahl in diesem Kapitel
Es wurden insgesamt 534 deutsche bzw. 123 chinesische ethnische Witze aus den
verschiedenen Webseiten und Witzbüchern ausgewählt, die in Kapitel 1 vorgestellt
wurden. Bei der Sammlung wurden zuerst alle Witzeinträge, die unter dem Stichwort
Länder & Leute, Nationen oder verschiedenen ethnischen Gruppen (Ostfriesen,
Schotten etc.) eingeordnet sind, zusammengestellt. Anschließend wurden die Einträge
nach dem Maßstab geprüft, ob es sich im Witz vor allem um die Eigenschaften der
betroffenen ethnischen Gruppe handelt. Die Beispiele, die dieses Merkmal nicht
besitzen, wurden aus dem Korpus aussortiert. Auf diese Weise wurden zwei
Datenbanken jeweils für die deutschen und die chinesischen ethnischen Witze erstellt.
Es ist zu bemerken, dass die Zahl der deutschen Beispiele viel größer als die der
chinesischen ist. Damit das Untersuchungsergebnis zwischen den beiden Sprachen
vergleichbar ist, werden die Anteile der Witze statt deren absoluter Zahlen bei der
Analyse benutzt.
109
In den folgenden Teilen dieses Kapitels werden die gesammelten deutschen und
chinesischen ethnischen Witze unter den fünf verschiedenen Aspekten analysiert bzw.
miteinander verglichen: Zielscheibe, deren Eigenschaften, Hintergrundwissen,
Situation und Erzählform.
5.4 Die Zielscheiben und deren Eigenschaft in den ethnischen Witzen
5.4.1 Die Zielscheiben und deren Eigenschaften in den deutschen
ethnischen Witzen
In den 534 deutschen ethnischen Witzen geht es insgesamt um 23 Zielscheiben, wie
Ostfriesen, Schotten, Ossis/Wessis, Österreicher, Polen, Holländer, Bayern,
Schwaben, Russen, Türken, usw. Dabei erweisen sich drei ethnische Gruppen –
Ostfriesen, Schotten und Ossi/Wessi – als die am häufigsten anvisierten. Auf den
Webseiten bilden die Witze über diese drei Gruppen oft selbständige Kategorien, statt
unter dem Stichwort Länder & Leute oder Nationen eingeordnet zu sein. Im
Vergleich dazu gehören Araber, Indianer und Chinesen zu den ethnischen Gruppen,
die in den deutschen Witzen selten vorkommen. Das liegt wohl daran, dass die
arabische, indianische und chinesische Kultur wegen der geographischen Entfernung
oder geschichtlichen Entwicklung weniger Kontakt zu der deutschen Kultur als die
anderen europäischen oder nordamerikanischen Kulturen haben.
In der folgenden Tabelle 3 werden alle 23 Zielscheiben und deren im Witz
dargestellte Eigenschaften aufgelistet. Dabei findet man auch den Anteil der Witze
bei jeder Gruppe.
Platz Zielscheiben Anteil Eigenschaften
1
2
3
Ostfriesen
37%
Schotten
19%
Ossis/Wessis 9%
Dummheit
Geiz
Ossis: Dummheit, Faulenzen bei der Arbeit, Feindlichkeit gegen
Wessis, Warenmangel, schlechte Autos
Wessis: Arroganz, Feindlichkeit gegen Ossis
4
5
6
7
8
9
Österreicher
7%
Dummheit
Polen
5%
Autoklauen
Bayern
4%
Dialekt, Dummheit, Feindlichkeit gegen Protestanten
Holländer
2,2%
Arglist, Geiz, Leben im Auto, Unfähigkeit beim Autofahren
Amerikaner
2%
Dummheit, Arroganz
Schwaben
2%
Geiz, Dialekt
110
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
Deutsche
1,9%
Schlauheit, Faulenzen bei der Arbeit, Bürokratie, Arbeitslosigkeit,
Desinteresse
Russen
1,3%
Alkoholsucht, schlechte Technik, Warenmangel
Türken
1,1%
Autodiebstahl, schlechter Nachbar, Faulheit
Italiener
1,1%
Aussehen, Mafiakultur
Japaner
0,9%
Kein Unterscheiden von l / r, gute Technik, Schlauheit
Juden
0,9%
Schlauheit
Sachsen
0,9%
Dialekt, Dummheit
Schweizer
0,7%
Geiz, Schlauheit
Engländer
0,4%
Steife Höflichkeit
Franzosen
0,4%
Sex
Chinesen
0,4%
Kein Unterscheiden von l / r
Indianer
0,4%
Ungewöhnliches Ritual
Araber
0,2%
Niedrige Position der Frauen
Vermischtes
0,7%
Tabelle 3: Zielscheiben und deren Eigenschaften in den deutschen ethnischen Witzen
Es ist zu bemerken, dass die ersten zehn Zielscheiben entweder die inländischen
Ethnien sind, wie Ostfriesen, Ossis/Wessis, Bayern, Schwaben und Deutsche (als eine
Einheit), oder sie erweisen sich als die Nachbarländer von Deutschland, wie
Österreicher, Polen und Holländer. Die Schottengruppe steht auch ziemlich vorn, weil
sie in fast allen europäischen und nordamerikanischen Kulturen für ihren Geiz
bekannt ist (siehe die Liste von Davies 1990: 11-12). Amerikaner kommen auch
relativ häufig vor, wohl weil sich ein Teil von Deutschland zwischen 1945 und 1949
unter der amerikanischen „Besatzung“ befand. Außerdem liegt der große Einfluss der
Amerikaner auch an der schnellen Entwicklung und an der Verbreitung von
Wirtschaft und Kultur der USA im 20. Jahrhundert. Aus diesen beiden Gründen kennt
man sich in Deutschland mit der amerikanischen Kultur relativ gut aus und macht
entsprechend viele Witze über sie.
Im Grunde genommen kann man sagen, dass je mehr Kontakt eine Kulturgruppe zu
einer anderen hat, desto mehr Witze machen die Menschen in der ersten Gruppe über
die zweite. Deshalb lachen die Engländer über die Iren, die Franzosen über die
Belgier, die Deutschen über die Holländer, die Schweizer über die Österreicher, die
Chinesen über die Japaner, die Brasilianer über die Argentinier, usw. Alle Paare sind
Nachbarländer, die in engem Kontakt zueinander stehen.
Nun kommen wir zu den Skripten, die in den deutschen ethnischen Witzen
vorkommen. Es werden nach der Reihenfolge von Raskin (siehe Kapitel 5.3) erst
111
einmal die vier Hauptskripten Dialekt, Dummheit, Geiz und Arglist analysiert.
Anschließend werden die speziellen Skripten vorgestellt.
1. Dialekt
2% der gesammelten deutschen Witze handeln von dem Dialektskript, dessen
Hauptträger vor allem Bayern und Sachsen sind, weil diese beiden Gruppen jeweils
einen relativ starken Dialekt sprechen, der sich anders als die offizielle deutsche
Sprache – das Hochdeutsch – anhört, das vor allem in Norddeutschland gesprochen
wird. Im folgenden Witz (3) wird man „hören“, wie anders das Bayrische als das
Hochdeutsch klingt.
(3)
Ein Bayer kehrt von einem Urlaub in London zurück.
Wieder daheim angekommen fragt ihn ein Freund: „Sog amoi, wia wors do? “
Er erwidert: „Guat. Bloß a komische Sprochn homs. Zu I sogn’s EI, zu EI
sogn’s ECK, zu ECK sogn’s KOANA, und zu KOANA sogn’s NOBODY.“
(http://www.witz-des-tages.de)
Um den Witz (3) besser zu verstehen, werden wir zuerst einige Unterschiede in der
Aussprache zwischen dem Hochdeutschen und dem Bayerischen, die hier im Witz
betroffen werden, darstellen:
Hochdeutsch
Sag mal
wie war’s dort
gut
eine Sprache
haben sie
sagen sie
keine
ich
Bayerisch
Sog amoi
wia wors do
guat
a Sprochn
homs
sogn’s
koana
i
In dem letzten Satz fängt der Bayer mit dem Wort “i” (Entsprechung im Hochdeutsch:
ich) an und eröffnet eine Missverständniskette, indem er immer das bayerische Wort
ins Englische übersetzt und dann diese englische Übersetzung wieder durch ein
ähnlich klingendes Wort ins Bayerische rückübersetzt, wie das folgende Bild zeigt:
112
i (ich)
I /ai/ /ai/Ei
egg /eg/ /ek/Eck (Ecke)
corner/kornr/ /koana/koana (keine)
nobody
2. Dummheit
In 46% der gesammelten deutschen Witze geht es um die Dummheit der Zielscheiben.
Damit erweist sich dieses Skript als die am häufigsten präsentierte Eigenschaft in den
deutschen Witzen. Die Hauptvertreter dieser Eigenschaft sind Ostfriesen, Österreicher
und Amerikaner. Die Dummheit der Ostfriesen und der Österreicher zeigt sich
meistens in deren Unvertrautheit mit neuen Begriffen, dem Fehlen eines Common
Sense-Wissens oder deren Unfähigkeit beim Umgang mit dem Haushalt und der
modernen Technik. Sie stellen beide ein Image der zivilisatorischen Rückständigkeit
und der geringen Intelligenz dar. In den gesammelten Witzen geht es z.B. darum, dass
Österreicher an der knochentrockenen Einöde fischen, durch das Drücken von
Krapfen Marmelade produzieren. In anderen Beispielen wundern sie sich über das
bekannte Gesicht im Spiegel, den Doppelbus und den Film, der nach mehrmaliger
Wiederholung immer unverändert bleibt. Bei den Ostfriesen geht es darum, dass sie
belichtete Filme in die Entwicklungsländer schicken, damit die Filme dort entwickelt
werden können; sie streuen Pfeffer auf den Fernseher, damit das Bild schärfer wird;
sie gehen beim Stromausfall ins Watt, um ein paar Kilo zu holen; oder sie nähren sich
von Torf und kennen die einfachsten Regeln der Landwirtschaft und Viehzucht nicht.
Darüber hinaus wird den Ostfriesen im Witz noch Hässlichkeit, Gefräßigkeit und
Unsauberkeit zugeschrieben. Da wir in den letzten Kapiteln schon einige Beispiele
über Ostfriesen und Österreicher diskutiert haben, werden hier keine Witze über diese
beiden Gruppen analysiert.
Anders als Österreicher und Ostfriesen zeigt sich die Dummheit der Amerikaner im
Witz vor allem in deren Unkenntnis der Kultur, Geschichte oder Kunst. Das liegt
wohl daran, dass die USA eine relativ kurze Geschichte von ca. 200 Jahren haben und
sich vor allem auf die Wirtschafts- und Wissenschaftsentwicklung konzentrieren, so
dass es ihnen in den Augen des alten Europa an Tiefe und Vollständigkeit fehlt.
Witz (4) ist ein Beispiel für die Dummheit der Amerikaner.
113
(4)
Ein sehr reicher Amerikaner geht durch eine Stadt in Europa.
Plötzlich sieht er eine große Menschenansammlung. Er schickt einen
Bodyguard los, damit er herausfindet, was da passiert.
Nach ein Paar Minuten kehrt der Bodyguard zurück und erzählt, dass drüben
Bilder von Picasso verkauft werden. Aber niemand habe die nötigen Millionen.
„Bilder sagst du also.“ Sagt der Millionär, „kauf ALLE!“
Gesagt, getan.
Schaut er sich die Werke fünf Minuten später an:
„Na ja... Egal. Gut, die Postkarten haben wir, lasst uns nun die Geschenke
kaufen...“
(http://www.witz-des-tages.de)
In (4) kennt der reiche Amerikaner anscheinend Picasso – den großen spanischen
Maler – nicht, deshalb betrachtet er die Bilder von Picasso als Postkarten, obwohl er
für sie Millionen bezahlt hat.
3. Geiz
Nach unserer Zählung betragen die Witze mit dem Geiz-Skript insgesamt 24% des
deutschen Korpus. Dabei geht es vor allem um die ethnischen Gruppen Schotten und
Schwaben. Im Witz tun sie immer alles Mögliche, um ein Geldausgeben zu
vermeiden. Es handelt sich z.B. um den Schotten, der seinen Sohn im Koffer
versteckt, um eine Fahrkarte weniger zu kaufen; um einen anderen, der seine Frau ins
Fischgeschäft führt, weil sie nach dem Vorschlag des Arztes frische Seeluft
bekommen sollte; oder um den, der Sex für ein schlechtes Geschäft hält, denn man
stecke regelmäßig mehr ein, als man heraushole. Bei den Schwaben geht es z.B. um
den Sohn, der seinen im Sterbebett liegenden Vater bittet, vor dem Tod die Kerze
auszublasen; oder um den Touristen, der für das Sparen des Bustickets eine lange
Strecke gelaufen ist, wobei es sich herausstellte, dass er die ganze Zeit die falsche
Richtung genommen hat.
4. Arglist/Schlauheit
Witze mit dem Skript Arglist/Schlauheit machen nur 3% des deutschen Korpus aus.
Die Hauptvertreter dieser Eigenschaft sind Juden und Holländer. In Kapitel 5.3 haben
114
wir am Beispiel (2) gesehen, wie der Holländer dem Nachbarn im Zug Apfelkerne
essen ließ. Der folgende Witz (5) zeigt die Schlauheit der Juden.
(5)
Ein alter Jude läuft schwer bepackt über einen Bahnhof in einer Kleinstadt
und fragt nach längerem Zögern einen seiner Mitreisenden:
„Was halten Sie eigentlich von Juden?“
Darauf erwidert der Mann:
„Ich bin ein großer Bewunderer des jüdischen Volkes.“
Der alte Jude geht weiter und fragt den nächsten dieselbe Frage. Dieser
erwidert:
„Ich bin fasziniert von den Leistungen jüdischer Mitmenschen in der Kultur
und der Wissenschaft.“
Der Jude bedankt sich für diese Antwort und geht zu einem weiteren Mann.
Dieser erwidert auf die Frage:
„Ich mag Juden nicht besonders und bin froh, wenn ich nichts mit ihnen zu tun
habe.“
Darauf der alte Jude:
„Sie sind ein ehrlicher Mann, könnten Sie bitte mal auf mein Gepäck
aufpassen, ich muss auf die Toilette.“
(http://www.witz-des-tages.de)
In (5) geht es um die Selbstironie der Juden: Er vertraut dem am meisten, der eine
kritische Meinung gegenüber den Juden äußert. Die „Selbstkritik“ des jüdischen
Witzes wurde zuerst von Freud (1905) festgestellt. Er meinte, dass der jüdische Witz
von Juden selber erfunden und gegen Juden gerichtet sei. Eine Bestätigung der
jüdischen Masochismus-Theorie war wohl die Tatsache, dass sie von den jüdischen
Intellektuellen selbst allgemein akzeptiert wurde (D. Ben-Amos). Man hat auch
kulturhistorische Hintergründe für den angeblich selbstzerstörerischen Trieb des
jüdischen Witzes zu finden geglaubt: Der Jude schwebt – so meint Theodor Reik –
zwischen Selbsterniedrigung und Selbstüberheblichkeit. Ebenso vermutete der
amerikanisch-jüdische Psychoanalytiker Edmund Berger, dass das arme Leben in
europäischen
Ghettos,
der
Mangel
an
wirklicher
Lebensqualität
einen
psychologischen Masochismus als jüdischen Charakterzug habe entstehen lassen. Ein
selbsterzerstörerischer Witz fehlt umgekehrt überall dort, wo sich Juden in einer
115
emanzipierten Gesellschaft frei entfalten können, wie im heutigen Israel (Röhrich
1977: 275)
Nachdem wir die deutschen Witze, die mit den vier Hauptskripten Dialekt, Dummheit,
Geiz und Arglist/Schlauheit zusammenhängen, analysiert haben, gehen wir im
nächsten Teil auf die speziellen Skripte im deutschen Korpus ein.
5. Spezielle Skripten
25% der untersuchten deutschen Witze beschäftigen sich nicht mit den Hauptskripten,
sondern mit den spezifischen Eigenschaften mancher ethnischer Gruppen, wie
Ossis/Wessis, Polen, Türken usw. Im Folgenden werden ein paar Beispiele gezeigt.
Ossis/Wessis: Feindlichkeit gegeneinander
Die Unterscheidung zwischen Ossis und Wessis gehörte zu der Zeit zwischen 1949
und 1990, in der die damalige BRD und DDR nebeneinander existierten. Nach der
deutschen Wiedervereinigung im Jahre 1990 besteht zwar politisch kein Unterschied
zwischen den Westdeutschen und den Ostdeutschen. Trotzdem findet man eine
gewisse Verschiedenheit zwischen den beiden Seiten in den gesellschaftlichen
Bereichen wie Schule, Medien, Stadtinfrastruktur bzw. in den Vorstellungen der
Menschen über Umwelt, Politik usw. Alle diese Unterschiede gehen auf die
verschiedenen Entwicklungsgeschichten der beiden Seiten in den letzten Jahrzehnten
zurück. Im Witz zeigen Ossis und Wessis meist eine gewisse Feindlichkeit
gegeneinander. Darüber hinaus werden die ersteren von den letzteren als dumm und
faul betrachtet, während die letzteren in den Augen der ersteren meist zu arrogant
sind. Der folgende Witz (6) handelt von der Feindlichkeit der Ossis gegenüber den
Wessis.
(6)
Zwei Ossis rudern mit ihrem Boot auf der Ostsee. Plötzlich sehen sie im
Wasser zwei Schiffbrüchige schwimmen, einen Farbigen und einen Weißen.
Fragt der eine Ossi den anderen:
„Wir haben nur für einen Platz. Welchen wollen wir retten?“
Antwortet der andere Ossi:
„Den Farbigen natürlich, der andere könnte ein Wessi sein.“
(http://www.witz-des-tages.de)
116
Polen: Autodiebstahl
In den deutschen Witzen werden die Polen als dumm und faul dargestellt. Darüber
hinaus kommt häufig ein spezielles Skript vor – Autodiebstahl, wie in Witz (7)
gezeigt wird.
(7)
Wie lautet der neue Werbespruch des polnischen Tourismus-Ministeriums?
Kommen Sie nach Polen... Ihr Auto ist schon hier!
(http://www.witz-des-tages.de)
Deutsche: Bürokratie
In den gesammelten Witzen kommen Deutsche auch einheitlich als eine ethnische
Gruppe vor, der vor allem das Skript Bürokratie zugeschrieben wird. Dabei geht es
um die vielen und fein gestalteten Formulare, Bescheinigungen oder um Formalitäten,
die man in der Arbeit bzw. dem alltäglichen Leben erledigen muss. Solche Witze
können auch als eine „Selbstkritik“ der Deutschen betrachtet werden. Witz (8) ist ein
Beispiel dafür:
(8)
Ein amerikanischer und ein deutscher Unternehmer wetten, wer am
schnellsten ein Firmengebäude bauen kann.
Nach 3 Monaten faxt der Amerikaner an den Deutschen:
„Noch 30 Tage, und der Bau steht!“
Faxt der Deutsche zurück:
„Nur noch 30 Formulare, und die Baugenehmigung ist durch!“
(http://www.witz-des-tages.de)
Türken: Unbeliebtheit
In den 1950er Jahren wurde für den Wiederaufbau Deutschlands eine große Menge
Gastarbeiter aus Italien, der Türkei und einigen osteuropäischen Ländern nach
Deutschland geholt. Manche von ihnen sind später in Deutschland geblieben und
haben auch die deutsche Staatsangehörigkeit angenommen. Jedoch können sich nicht
alle Nachfahren der damaligen Gastarbeiter in die einheimische Kultur integrieren.
Manche von ihnen bleiben in einer relativ isolierten Gesellschaft, die nicht viel
Kontakt zu der Außenwelt hat. Auch heute findet man immer noch eine mehr oder
117
weniger deutliche Grenze zwischen der Gesellschaft der Einwanderer und derjenigen
der Deutschen. Als die größte ethnische Einheit unter allen Einwanderern haben die
Türken wegen ihres völlig anderen Kultur- und Religionshintergrunds eine besondere
Position in der deutschen Gesellschaft: Einerseits haben sie sich nach zwei
Generationen bereits gut an die einheimische Gesellschaft angepasst, andererseits
behalten sie immer noch viele eigene Traditionen und Lebensgewohnheiten bei. In
den Witzen über Türken geht es meistens um Faulheit und Unbeliebtheit. Witz (9)
stellt ein Beispiel dar.
(9)
Kauft ein Türke eine Villa, sein Nachbar auch. So ging das mit fünf Sachen
weiter. Dann sagte der Türke, dass er es besser habe. Fragt der Arzt wieso.
Darauf antwortet der Türke: Ich habe einen Arzt als Nachbar und du einen
Türken.
(http://www.witz-des-tages.de)
Der Türke, der neben einem Arzt wohnt, meint, dass er einen besseren Nachbarn als
der Arzt hätte. Das klingt wie eine „Selbsterniedrigung“ des Türken, weist aber
darauf hin, dass die Türken als keine guten Nachbarn gesehen werden.
Neben den oben genannten speziellen Skripten gibt es im deutschen Korpus noch
Witze über die Hässlichkeit der Italiener, die Arroganz der Amerikaner, die steife
Höflichkeit der Engländer, die Romantik der Franzosen und die Unfähigkeit der
Chinesen und Japaner beim Unterscheiden von l und r, usw.
Fasst man alle diskutierten Skripten in den deutschen ethnischen Witzen zusammen,
so kann man sehen, dass Dummheit und Geiz unter allen am häufigsten vorkommen.
Das ist identisch mit Davies’ (1990) These, dass Dummheit und Geiz in den
ethnischen Witzen viel weiter verbreitet als alle anderen Eigenschaften sind (siehe
Kapitel 5.2). Darüber hinaus werden die Skripten Dialekt und Arglist/Schlauheit auch
in den deutschen ethnischen Witzen verwendet. Dabei ist es zu bemerken, dass
Dialekt sich in gewissem Sinne auch unter dem Skript Dummheit einordnen lässt.
Eine Gruppe wird mit ihrem Dialekt präsentiert, was auch so interpretiert werden
kann, dass sie unfähig zum Benutzen der Standardsprache ist. Neben den
Hauptskripten wird eine Reihe spezieller Eigenschaften dargestellt, z.B. die
Feindlichkeit der Ossis und der Wessis gegeneinander, der Autodiebstahl der Polen,
die Unbeliebtheit der Türken usw. Es ist zu bemerken, dass die speziellen Skripten
118
vor allem mit den Witzen zusammenhängen, die zeitlich relativ spät entstanden sind.
Erst mit der Niederlassung der türkischen Mitbürger in Deutschland ist der Konflikt
zwischen der türkischen und der einheimischen deutschen Gesellschaft ein Thema im
Witz geworden. Gleichermaßen ist die Feindlichkeit der Ossis und der Wessis
gegeneinander erst nach der deutschen Wiedervereinigung Gegenstand im Witz
geworden. In der folgenden Tabelle 4 werden alle Skripten mit dem Anteil der damit
verbundenen Witze dargestellt.
Skripten
Dialekt
Dummheit
Geiz
Arglist/Schlauheit
Spezielle Skripte
Witzanteile
2%
46%
24%
3%
25%
Tabelle 4: Skripten und deren Anteile in den deutschen ethnischen Witzen
Die Analyse der Zielscheiben und deren Eigenschaften in den deutschen ethnischen
Witzen können wie folgt zusammengefasst werden:
1.
Die ethnischen Gruppen, die in den deutschen Witzen am meisten präsentiert
werden, sind vor allem die Nachbarländer, z.B. Österreicher, Polen und
Holländer. Im Vergleich dazu kommen die Gruppen, die geographisch weit
entfernt von Deutschland liegen oder in der Geschichte wenig Kontakt zu der
deutschen Kultur hatten, sehr wenig vor, wie die Araber, Indianer, Chinesen.
2. Wenn es um die Skripten geht, erweist sich das Untersuchungsergebnis als
identisch mit Davies’ These, dass Dummheit und Geiz unter allen am häufigsten
vorkommen. Darüber hinaus wird eine Reihe spezieller Skripte festgestellt, die
vor allem mit den Witzen zusammenhängen, die zeitlich relativ neu entstanden
sind, z.B. die Feindlichkeit zwischen Ossis und Wessis, der Autodiebstahl der
Polen, die Unbeliebtheit der Türken usw.
119
5.4.2 Die Zielscheiben und deren Eigenschaften in den chinesischen
ethnischen Witzen
Im Vergleich zu dem umfangreicheren deutschen Korpus kommen nur 123
chinesische ethnische Witze in den genannten Witzbüchern und Webseiten (siehe
Kapitel 1) vor. Dabei geht es insgesamt um 16 Zielscheiben, die vor allem Lowài49,
Chinesen (als eine Einheit), Amerikaner, Japaner, Shanghaier usw. sind. Alle diese
Zielscheiben mit ihrem Anteil bzw. den entsprechenden Skriptoppositionen werden in
der folgenden Tabelle aufgelistet.
Platz
Zielscheiben
Anteil
Eigenschaften
1
Lowài
36%
Dummheit: Unfähigkeit beim Benutzen des
Chinesischen, Nichtvertrautsein mit der
chinesischen Kultur; Schlauheit
2
Chinesen
Einheit
20%
Dummheit: schlechtes Englisch, niedriges
Fußballniveau; Schlauheit; Esskultur
3
Japaner
8%
Dummheit, Sex, Arroganz
4
Shanghaier
5%
Geiz, Schlauheit, Pantoffelheld
5
Amerikaner
4%
Dummheit, Arroganz
6
Guangdonger
3%
Dialekt, Essgewohnheiten
7
Südchinesen
3%
Dialekt
8
Beijinger
2%
Dialekt
9
Henaner
2%
10
Nordost-
2%
Dialekt, mangelnde Vertrauenswürdigkeit,
Dummheit
Dialekt
11
Chinesen
Shandonger
2%
Dialekt
12
Sichuaner
2%
Dialekt, Unbeliebtheit
13
Shanxier
1%
Dialekt
14
Zhejianger
1%
Dialekt
15
Vermischtes
(weltweit)
5%
Esskultur der Chinesen, Arroganz
Amerikaner, Ungepflegtheit der Inder
16
Vermischtes
(chinesisch)
4%
Arroganz der Beijinger, Schlauheit der
Shanghaier, Esskultur der Guangdonger
als
der
Tabelle 5: Zielscheiben und deren Eigenschaften in den chinesischen ethnischen Witzen
An dieser Tabelle kann man sehen, dass die Chinesen nicht die einzelnen Nationen
unterscheiden. Sie benutzen vielmehr einen Oberbegriff Lowài für alle Ausländer,
49
Chinesischer umgangssprachlicher Ausdruck für alle Ausländer. L
o ist ein Stützwort, wài bedeutet
ausländisch, zusammengesetzt heißt es wörtlich die Ausländischen.
120
die auch die größte Einheit unter allen Zielscheiben bilden. Entsprechend betrachten
die Chinesen sich selbst auch als eine Einheit, über die zahlreiche Witze zu finden
sind. Lowài und Chinesen (als eine Einheit) machen zusammen über die Hälfte aller
Beispiele im chinesischen Korpus aus. Darüber hinaus kommen Japaner und
Amerikaner auch relativ häufig vor. Als ein indirektes Nachbarland50 hat Japan seit
dem siebten Jahrhundert einen fast ununterbrochenen Kontakt zu China. Durch den
Buddhismus, den Konfuzianismus und die Schriftkultur waren die beiden Länder vor
dem 20. Jahrhundert lange Zeit miteinander verbunden. Vom Ende des 19. bis Mitte
des 20. Jahrhunderts befanden sich die beiden Länder wegen der zwei Kriege (1894
und 1937) in einer langen Konfliktphase. Der Wechsel fand im Jahre 1972 statt, als
diplomatische Beziehungen zwischen den beiden Ländern aufgenommen wurden.
Seitdem sind China und Japan wichtige Partner, aber auch Konkurrenten in den
Bereichen Wirtschaft, Handel und Kultur. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund
kennen die Chinesen Japan relativ gut und haben dementsprechend eine Reihe von
Witzen über die Japaner gemacht. Amerikaner kommen den Chinesen auch relativ
bekannt vor und werden in den Witzen präsentiert. Das liegt einerseits an der
Geschichte des 20. Jahrhunderts, als China und die USA in den 40er Jahren beide auf
der Seite der Alliierten am zweiten Weltkrieg teilgenommen haben und in den 50er
Jahren im Koreakrieg gegeneinander gekämpft haben. Andererseits hat sich die
amerikanische Kultur seit den 80er Jahren in China weit verbreitet. Durch Medien
haben die Chinesen relativ viel von den USA kennen gelernt und dementsprechend
auch eine Reihe von Witzen über sie produziert.
In Bezug auf die inländischen Zielscheiben geht es in den chinesischen Witzen vor
allem um die verschiedenen Provinzen oder Gebiete, in denen ein starker Dialekt
gesprochen wird, wie Guangdong, Shandong, Nordosten, Shanxi usw. Außerdem
gelten Shanghaier als die geizige und schlaue Gruppe, während Henaner für Vertreter
von mangelnder Vertrauenswürdigkeit bzw. von Dummheit gehalten werden.
Nachdem wir einen Überblick über die Zielscheiben und deren Eigenschaften in den
chinesischen ethnischen Witzen bekommen haben, gehen wir im nächsten Teil auf die
einzelnen Skripten ein, die im chinesischen Korpus verwendet werden.
50
Japan liegt vor den Küsten des ostchinesischen Meers.
121
1. Dialekt
Dialekt ist ein häufig vorkommendes Skript in den chinesischen ethnischen Witzen.
Die davon betroffenen Gruppen sind z.B. die Menschen aus den Provinzen
Guangdong, Zhejiang, Shandong, Sichuan, die jeweils in Süd-, Ost- und Westchina
liegen. In dieser Witzkategorie geht es meistens um die Mehrdeutigkeit der Sprache
und die damit entstehenden Missverständnisse in der mündlichen Kommunikation;
das liegt vor allem daran, dass gleich gesprochene Äußerungen in einem Dialekt oft
anders als in dem Standardchinesischen zu interpretieren sind. Z.B. hört sich das
Wort für „fragen“ – wèn – in Sichuaner Dialekt gleich an wie das Wort für
„küssen“ im Standardchinesischen. Deshalb müssen alle Schüler lachen, wenn eine
Mathematiklehrerin in ihrem Dialekt dem Schüler sagt, dass er nach dem Unterricht
in ihr Büro gehen und sie küssen(fragen) soll. Ein anderes Beispiel ist, dass das Wort
für „Chance“ – jyù – in einem Dialekt aus der Provinz Zhejiang jn heißt, was
ähnlich wie „Prostitutierte“ in der Standardsprache klingt. Deshalb ist es verwirrend,
wenn ein Regierender aus dieser Gegend sagt, dass ihre Wirtschaftsentwicklung von
allem von der guten „Prostituierten(Chance)“ abhängt. Der in Kapitel 5.2 diskutierte
Witz (1) gehört auch zu dieser Kategorie, die insgesamt 14% des ganzen chinesischen
Korpus ausmacht.
2. Dummheit
Das Skript Dummheit wird in den chinesischen Witzen vor allem den Zielscheiben
Lowài, Chinesen (als eine Einheit) und den Amerikanern zugeschrieben. Damit
beschäftigt sich fast die Hälfte der Witze des gesamten Korpus.
Die Dummheit der Lowài versteht sich als deren Unkenntnis der chinesischen
Sprache oder der Kultur (inkl. der Essgewohnheiten). In Kapitel 4 haben wir einen
Witz über die Schwierigkeit eines ausländischen Studenten beim Schreiben der
chinesischen Zeichen analysiert. Dabei trennt der Lowài unglücklicherweise das
Wort für „Mutter“ - ཛྷ(m) und schreibt es als ཇ偀(n m), was nicht mehr „Mutter“,
sondern „weibliches Pferd“ bedeutet. Im folgenden Witz (10) geht es um die
chinesische Esskultur, mit der ein Lowài sich nicht gut auskennt.
122
(10) ྤ໿ϔ⃵䗕㒭㗕໪䚏ሙ޴Ͼ㊑ᄤDŽ㄀Ѡ໽ˈҪֽ೼⬉ẃ䞠䘛Ϟњˈ㗕໪ᇍ៥ྤ
໿䇈˖ĀԴ䗕ⱘ㊑ᄤᕜདৗˈ䴲ᐌᛳ䇶DŽā᥹ⴔҪজ㸹‫ܙ‬䇈˖Āህᰃ໪䴶ࣙⱘ
㬀㦰໾⹀њDŽā
(Wahre Komik, 2002)
Meine eigene Übersetzung:
Mein Schwager hat einmal seinem ausländischen Nachbarn ein paar zòngzi51
zum Essen gegeben. Am nächsten Tag traf er im Fahrstuhl den Nachbarn, der
zu ihm sagte: „Danke für die zòngzi. Die schmeckten sehr gut.“ Anschließend
fügte er hinzu: „Nur das einwickelnde Gemüse war ein bisschen zu hart.“
In (10) geht es um die Unbekanntheit des ausländischen Nachbarn mit der
chinesischen Spezialität zòngzi, die eine Sorte in Bambus- oder Schilfblätter
eingewickelter Klebreisklößchen ist. Gegessen wird statt der Blätter nur die Füllung –
das Klebreisklößchen. Da der ausländische Nachbar sich mit dieser Spezialität nicht
auskannte,
hatte er beim Essen einen Fehler gemacht. Dass die
unpassenden
Manieren sowohl der ausländischen als auch der inländischen Fremden beim Essen
Gegenstand der chinesischen Witze sind, weist darauf hin, dass die Chinesen großen
Wert auf ihre Esskultur und Küchentradition legen. Es ist gut, hier die deutschen
Leser darauf hinzuweisen, dass lautes Naseputzen beim Essen in China nicht üblich
ist, obwohl man sehen wird, dass viele Chinesen schmatzen, rülpsen oder beim
Suppenessen schlürfen. Außerdem ist es in einem Restaurant in China üblich, dass
man Fisch oder Fleisch mit Knochen angeboten bekommt, weil die Chinesen meinen,
dass das Fleisch am Knochen viel besser als das anderswo sei. Dass man überall in
China Hund, Schlange oder andere Tiere auf den Tisch bringt, ist aber nicht die
Wahrheit.
Später
werden
wir
auf
das
spezielle
Skript
„ungewöhnliche
Essgewohnheit“ eingehen.
Einen anderen Vertreter für die Eigenschaft Dummheit stellt die Gruppe – Chinesen
als Einheit – dar, die im Witz vor allem wegen ihrer schlechten Englischkenntnisse
oder des niedrigen Fußballniveaus der Nationalmannschaft ausgelacht werden. In
China wird Englisch sehr selten gesprochen, obwohl die Schüler von der dritten
Klasse an schon Englisch lernen. Die Schwierigkeit der Chinesen beim Benutzen des
51
In Bambus- oder Schilfblätter eingewickeltes Klebreisklößchen. Gegessen wird nur die Füllung statt
der Blätter. Zòngzi gilt als eine traditionelle Spezialität, die in China zum Drachenbootfest am 5. Mai
nach dem Bauernkalender gegessen wird.
123
Englischen liegt erstens an den großen Unterschieden zwischen dem Englischen und
dem Chinesischen, zweitens auch an der Lernmethode der Schüler, denen meistens
die Grammatik und das Schreiben beigebracht werden. Heute erkennt man dieses
Problem und bietet durch Einstellung von Muttersprachlern den Schülern viele
Chancen für die praktische Anwendung des gelernten Englischen. Jedoch bleibt der
Anteil der Chinesen, die gut Englisch sprechen können, immer noch sehr klein. Für
die Olympischen Spiele 2008 gab man sich in China große Mühe, um die
Englischkenntnisse
zu
(chinesischenglischen)“
verbessern
Wörter
zu
und
die
korrigieren
sonst
bzw.
üblichen
zu
„chinglishen
vermeiden,
z.B.
„scattering“ für „den Notausgang“ im Hotel, „no smork“ für „Rauchverbot“,
„deformed man toilet“ für „Behindertentoilette“ oder „don’t forget to carry your
thing“ für „vergessen Sie bitte Ihr Gepäck nicht“ usw. 52
Über das Thema Fußball sind in den letzen paar Jahren in China immer mehr Witze
entstanden, die sich vor allem mit dem niedrigen Niveau der chinesischen Mannschaft
beschäftigen. Der folgende Witz (11) ist ein Beispiel dafür.
(11)
ϔϾ䶽೑Ҏ䯂ϞᏱ˖ĀϞᏱਔˈ៥Ӏ೑ᆊⱘ䎇⧗ԩᯊᠡ⿄䴌Ϫ⬠ଞ˛ā
ϞᏱ䇈˖ĀㄝಯѨकᑈ৻DŽā䶽೑Ҏુњ˖Āࠄᯊ៥ৃ㛑Ꮖ㒣⅏њāDŽ
ϔϾ᮹ᴀҎ䯂ϞᏱ˖ĀϞᏱਔˈ៥Ӏ೑ᆊⱘ䎇⧗ԩᯊ㛑⿄䴌Ϫ⬠ਸ਼˛ā
ϞᏱ䇈˖Āㄝ݁ϗकᑈ৻DŽā᮹ᴀҎુњ˖Āࠄᯊ៥ৃ㛑Ꮖ㒣⅏њāDŽ
ϔϾЁ೑Ҏ䯂ĀϞᏱਔˈ៥Ӏ೑ᆊⱘ䎇⧗ԩᯊᠡ㛑⿄䴌Ϫ⬠ଞ˛ā
ϞᏱુњ˖Āࠄᯊ៥ৃ㛑Ꮖ㒣⅏њāDŽ
(http://joke.tom.com)
Meine eigene Übersetzung:
Ein Südkoreaner fragt Gott: „Wann wird unsere Fußballmannschaft
Weltmeister?“ Gott antwortet: „In 40-50 Jahren. “ Der Koreaner ist sehr
traurig: „Bis dahin bin ich bestimmt schon gestorben.“
Ein Japaner fragt auch Gott: „Wann wird unsere Fußballmannschaft
Weltmeister?“ Gott antwortet: „In 60-70 Jahren. “ Der Japaner ist auch sehr
traurig: „Bis dahin bin ich bestimmt schon gestorben.“
Ein Chinese stellt Gott dieselbe Frage. Darauf antwortet Gott mit sehr
trauriger Stimme: „Bis dahin bin ich bestimmt schon gestorben.“
52
Siehe http://www.chinglish.de.
124
Obwohl das Fußballspiel ursprünglich auf Spiele in China bzw. Japan vor über 1000
Jahren zurückgeht, hat der moderne Fußball eine relativ kurze Geschichte in Asien.
Erst seit Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts gilt Fußball in China als eine
Wettbewerbssportart. Wegen der kurzen Entwicklung sind die asiatischen
Mannschaften weltweit nicht so konkurrenzfähig wie die Europäer oder die
Südamerikaner. Bisher ist in der Geschichte des modernen Fußballs noch keine
Mannschaft aus Asien Weltmeister geworden. In Witz (11) geht es um die Frage, bis
wann Japan, Korea oder China Weltmeister in Fußball wird. Dabei wird ironisch
dargestellt, dass China die geringste Chance hat.
3. Geiz
Das Skript Geiz kommt nur in 2% des chinesischen Korpus vor und thematisiert vor
allem die Gruppe der Shanghaier. Wie in Kapitel 5.1 vorgestellt wurde, sind die
Shanghaier gemäß dem Vorurteil in China bekannt für ihr genaues Rechnen und ihre
kühle Vernunft beim Konsumieren. Witz (12) ist ein Beispiel für diese Kategorie.
(12)
ϔϾϞ⍋‫ܓ‬スএଚᑫф䩜ˈ䩜ⱘӋḐᰃ ߚ䪅 ḍDŽᇣᄽҬ ߚ䪅ˈ㒭њҪ ḍ䩜ˈҪैϡ䍄ˈ৥ଂ䋻ਬ䇈˖ĀԴ䖬ᕫᡒ៥ϸᓴ㤝㒌DŽā
(http://www.jokescn.com)
Meine eigene Übersetzung:
Ein Kind ging einmal in Shanghai in einen Laden, um eine Nadel zu kaufen.
Drei Nadeln kosteten damals zwei Fen53. Das Kind wollte aber nur eine Nadel.
Es zahlte einen Fen, bekam eine Nadel, ging aber nicht weg. Es sagte weiter
zu dem Verkäufer: „Sie sollten mir noch zwei Blätter Toilettenpapier als
Entgelt für die 0,3 Fen geben.“
Drei Nadeln kosteten zwei Fen, d.h., der Preis pro Nadel betrug nur 0,7 Fen. Das
Kind hatte einen Fen gezahlt und wartete dann auf die 0,3 Fen, die zurückgegeben
werden sollten. Jedoch waren 0,3 Fen so wenig Geld, dass es nicht zurückgezahlt
werden konnte, weil ein Fen die kleinste Währungseinheit in China ist. Deshalb
wartete das Kind auf den Ersatz der 0,3 Fen durch zwei Blätter Toilettenpapier, was
53
Fen ist die kleinste chinesische Währungseinheit. 1 Fen macht ca. 1/10 Zent. Deshalb ist die
Ausgabe für eine Nadel sehr wenig Geld.
125
ein Vorschlag seiner Eltern gewesen sein muss. Durch das genaue Rechnen wird der
Geiz der Shanghaier dargestellt.
4. Schlauheit/Arglist
Witze mit dem Skript Schlauheit beschäftigen sich mit den Zielscheiben Lowài,
Chinesen (als Einheit) und Henaner. Der Anteil dieser Witzkategorie liegt bei 11%
des ganzen Korpus.
Lowài werden im Witz als schlau dargestellt, weil sie gutes Chinesisch sprechen
können, was heute tatsächlich auch immer häufiger zutrifft. Die Arglist der Chinesen
zeigt sich im Witz meistens in ihrem Überlegenheitsgefühl gegenüber anderen
Nationen. Der folgende Witz (13) handelt von einem Chinesen, der sich intelligenter
als der Amerikaner und der Franzose fühlt.
(13)
ϔϾ㕢೑ҎˈϔϾ⊩೑Ҏ䖬᳝ϔϾЁ೑Ҏ䍄೼໻≭⓴Ёˈ䍄ⴔ䍄ⴔⳟࠄϔϾ⫊
ᄤˈᠧᓔ⫊าৢ京ߎᴹϔϾҎᴹDŽ䙷ϾҎ䇈˖Ā៥ᰃ⼲ˈ៥㛑⒵䎇ԴӀ↣ϾҎ
ϝϾᜓᳯʽā
㕢೑Ҏ㄀ϔϾᡶⴔ䇈˖Ā៥㄀ϔϾᜓᳯᰃ㽕ᕜ໮ⱘ䪅DŽā⼲䇈˖Ā䖭Ͼㅔऩˈ
⒵䎇Դʽ䇈䇈㄀ѠϾᜓᳯ৻DŽā 㕢೑Ҏ䇈˖៥䖬㽕ᕜ໮ⱘ䪅ʽā⼲⒵䎇Ҫⱘᜓ
ᳯৢˈ㕢೑Ҏজ䇈њҪⱘ㄀ϝϾᜓᳯ˖Āᡞ៥ᓘಲᆊDŽā⼲䇈˖Ā≵䯂乬DŽā
Ѣᰃ㕢೑Ҏᏺⴔᕜ໮ⱘ䪅ಲњ㕢೑DŽ
⼲জ䯂⊩೑ҎDŽ⊩೑Ҏ䇈˖Ā៥㽕㕢ཇʽā⼲㒭њҪ㕢ཇDŽ⊩೑Ҏজ䇈˖៥䖬
㽕㕢ཇʽā⼲г⒵䎇њҪˈ㒭њҪ㕢ཇDŽ⊩೑Ҏ᳔ৢ䇈ࠄ˖Āᡞ៥䗕ಲ⊩
೑DŽā
⼲ᡞ⊩೑Ҏ䗕ಲ೑ৢ䯂Ё೑Ҏ㽕ҔМDŽЁ೑Ҏ䇈˖Ā‫ܜ‬ᴹ⫊Ѡ䫙༈৻DŽā⼲㒭
њҪDŽ䯂Ҫ㄀ѠϾᜓᳯᰃҔМDŽЁ೑Ҏ䇈˖Ā‫ݡ‬ᴹϔ⫊Ѡ䫙༈ʽā⼲䯂Ҫ㄀ϝ
ϾᜓᳯᰃҔМDŽЁ೑Ҏ䇈˖Ā៥ᤎᛇ⊩೑Ҏ੠㕢೑ҎⱘˈԴᡞҪӀ䛑ᓘಲᴹ
৻DŽā
(http://www.sunvv.com)
Meine eigene Übersetzung:
Ein Amerikaner, ein Franzose und ein Chinese sind in der Wüste. Plötzlich
sehen sie eine Flasche. Nach dem Öffnen des Flaschendeckels kommt ein
Mensch aus der Flasche heraus. Der sagt: „Ich bin Gott und kann jedem von
euch drei Wüsche erfüllen.“
126
Der Amerikaner meldet sich sofort: „Ich will viel Geld haben.“ Gott: „Das ist
einfach. Ich verspreche dir, dass du viel Geld bekommen wirst. Und dein
zweiter Wunsch?“ Der Amerikaner sagt: „Ich will weiter viel Geld.“ Nachdem
Gott auch seinen zweiten Wunsch erfüllt hat, sagt der Amerikaner seinen
dritten
Wunsch:
„Schicke
mich
bitte
nach
Hause.“
Gott:
„Kein
Problem.“ Dann geht der Amerikaner mit viel Geld nach Hause.
Gott fragt den Franzosen nach seinen Wünschen. Der Franzose sagt: „Ich will
eine schöne Frau!“ Gott bringt ihm eine schöne Frau. Dann sagt der Franzose
seinen zweiten Wunsch: „Ich will noch eine schöne Frau.“ Gott lässt auch
seinen zweiten Wunsch in Erfüllung gehen. Bei dem dritten Mal sagt der
Franzose: „Schicke mich bitte nach Frankreich.“
Nachdem Gott den Franzosen auch nach Hause geschickt hat, fragt er den
Chinesen, was er will. Der Chinese sagt: „Ich wünsche mir eine Flasche Èr
gu tóu (eine bekannte und günstige Schnapsmarke in China).“ Gott gibt ihm
den Schnaps und fragt nach seinem zweiten Wunsch. Der Chinese antwortet:
„Ich will noch eine Flasche Èr gu tóu“. Nachdem Gott dem Chinesen eine
zweite Flasche Èr gu tóu gebracht hat, fragt er nach seinem dritten Wunsch.
Der Chinese: „Ich vermisse meinen amerikanischen und meinen französischen
Freund sehr. Schicke sie bitte sofort zurück. “
In Witz (13) haben die drei Figuren – der Amerikaner, der Franzose und der Chinese
– jeweils drei Wünsche geäußert. Die ersten beiden Ansprüche des Amerikaners bzw.
des Franzosen scheinen höher zu sein als die des Chinesen, weil „viel Geld“ und
„schöne Frauen“ offensichtlich wertvoller als zwei Flaschen „Èr gu tóu“ sind. Beim
dritten Mal des Wunschäußerns erwartet der Leser/Hörer, dass der Chinese ähnlich
wie seine beiden Partner auch nach Hause geschickt werden will, denn im
vorangegangen Text ist ein Muster eingeführt worden, nach dem der Chinese ähnlich
wie der Amerikaner und der Franzose beim zweiten Wunsch auch einfach den ersten
wiederholt hat. Die Pointe im Witz zeigt jedoch, dass der Chinese am Ende einen
vom Leser/Hörer nicht zu erwartenden Anspruch gestellt hat. Er wollte nämlich, dass
seine beiden Partner zurück zu ihm geschickt werden sollten. Die Arglist des
Chinesen liegt vor allem darin, dass er durch seinen letzten Wunsch den Willen des
Amerikaners bzw. des Franzosen unwirksam machte.
127
Die vier Skripten Dialekt, Dummheit, Geiz und Schlauheit kommen in insgesamt drei
Viertel der chinesischen ethnischen Witze vor. Das restliche Viertel hängt mit einigen
speziellen Skripten zusammen, auf die im folgenden Teil näher eingegangen wird.
5. Spezielle Skripten
Zu den speziellen Skripten in den chinesischen Witzen gehören z.B. die mangelnde
Vertrauenswürdigkeit der Henaner, die ungewöhnlichen Essgewohnheiten der
Guangdonger, die Arroganz und der Sex der Japaner etc. Im Folgenden werden einige
Beispiele dafür gezeigt.
Die mangelnde Vertrauenswürdigkeit der Henaner
Henan ist eine Provinz, die in Mittelchina direkt am Gelben Fluss liegt. Als eins der
Ursprungsgebiete des chinesischen Volkes hat Henan eine lange Geschichte hinter
sich. Die Städte Zhengzhou, Kaifeng und Luoyang sind mehrmals Hauptstadt von
verschiedenen Dynastien gewesen. Heute hängt die Entwicklung dieser Provinz vor
allem von der Landwirtschaft ab. Die Landbevölkerung betrug Ende 200554 über zwei
Drittel der ganzen Provinz, die mit 97,7 Mio. in Bezug auf die Einwohnerzahl die
größte chinesische Provinz darstellt. Mit der technischen Modernisierung bleibt aber
eine große Anzahl der ländlichen Arbeitskräfte unbeschäftigt. Um zu überleben,
gehen viele von ihnen in andere Provinzen oder Städte, um einen Job als Bauarbeiter,
Reinigungskraft, Lebensmittelhändler oder Restauranthilfe zu bekommen. Laut einer
Statistik hat Henan mit knapp 16 Mio. 55 die größte Wanderarbeiterzahl in China.
Wegen der schweren Arbeit und des relativ schlechten Wirtschaftszustandes werden
viele Wanderarbeiter (inkl. denjenigen aus Henan) von den Städtern vernachlässigt
oder negativ beurteilt. Den Henanern wird z.B. in vielen mündlich verbreiteten
Witzen, die von den Städtern ausgedacht wurden, ein Image von Armut, Dummheit
und mangelnder Vertrauenswürdigkeit zugeschrieben. Dieses Vorurteil geht auch auf
die Tatsache zurück, dass jeweils im Jahre 1993 bzw. 2000 gefälschte Medikamente
und giftige Getreide auf den Märkten der Provinz Henan entdeckt wurden. Der
folgende Text (14) ist ein Beispiel für die Witze über die Henaner.
54
Die Zahlen über die Provinz Henan wurden der Webseite des Statistischen Amtes der Volksrepublik
China entnommen, siehe http://www.stats.gov.cn (23.September 2007).
55
China hat insgesamt ca. 126 Mio. Wanderarbeiter.
128
(14)
Ё༂ীᓔᠧ‫؛‬Ӯ䆂DŽӮৢˈᘏк䆄ᡞ⊇फⳕྨк䆄⬭ϟˈ䇈˖Ā䛑䇈⊇फҎ䗴
‫⦄ˈ؛‬೼া᳝અӀϸϾҎˈԴ䇈ᅲ䆱ˈ⊇फ䗴‫ࠄ؛‬ҔМ⿟ᑺњ˛ā
䙷ԡ⊇फⳕྨк䆄䇈˖“ᘏк䆄ˈ䎳ᙼ䇈ᅲ䆱৻ˈ⊇फⳕྨк䆄䖭޴໽ϔⳈ೼䚥
ᎲDŽā
(http://www.haha365.com)
Meine eigene Übersetzung:
Auf einer Sitzung in Beijing wird über Fälschung und Raubkopie diskutiert.
Nach der Sitzung lässt der Präsident den Provinzgouverneur aus Henan kurz
bleiben. Dann sagt der Präsident: „Ich habe gehört, dass bei euch falsche
Produkte hergestellt werden. Jetzt sind wir nur unter uns. Sage mir bitte die
Wahrheit, wie weit sich die Fälschung verbreitet hat.“ Darauf antwortet der
Mann voller Angst: „Bitte entschuldigen Sie mich, aber ich bin nicht der
richtige Leiter. Der ist zurzeit in Zhengzhou (der Provinzstadt von Henan).“
In Witz (14) wollte der Präsident den Gouverneur aus Henan nach der Fälschung von
Waren in dieser Provinz fragen. Es stellte sich aber heraus, dass auch der Gouverneur
nicht der richtige war, was als eine Bestätigung für die Fälschung in dieser Provinz
galt. In gewissem Sinne ist der Betrug des Beamten noch schlimmer als die
Produktfälschung.
Die ungewöhnlichen Essgewohnheiten der Guangdonger
Die chinesische Küche verbreitet sich auf der ganzen Welt. Man sagt auch, dass die
Chinesen eine größere Auswahl von Tieren zum Essen hätten. Z.B. würden neben
Schweinen, Rindern und Hühnern auch Hunde, Schlangen, Würmer usw. gegessen.
Tatsache ist aber, dass innerhalb von China nur die Guangdonger bekannt für ihre
speziellen Essgewohnheiten sind. Da eine große Anzahl der Überseechinesen aus
Guangdong stammt, hat man den Eindruck bekommen, dass alle Chinesen die
„komischen“ Dinge essen würden. Bei den chinesischen Witzen lachen die Menschen
aus anderen Regionen auch über die ungewöhnlichen Essgewohnheiten der
Guangdonger. Ein Beispiel wird in (15) dargestellt.
(15)
ϸᴵ㝓ⱘ䰸њҎˈಯᴵ㝓ⱘ䰸њḠᄤˈ݊ᅗᑓϰҎҔМ䛑ᬶৗDŽ
(http://joke.tom.com)
129
Meine eigene Übersetzung:
In Guangdong isst man alle Zwei-Beinigen außer den Menschen und alle
Vier-Beinigen außer den Tischen.
Fasst man alle oben genannten Skripten zusammen, kann man sehen, dass die von
Raskin zusammengefassten vier ethnischen Skripten (Dialekt, Dummheit, Geiz und
Schlauheit) auch in den chinesischen Witzen vorkommen. Darüber hinaus sind einige
spezielle Skripten zu finden. Ihre Verteilung im chinesischen Korpus wird in der
folgenden Tabelle 6 dargestellt.
Skripten
Dialekt
Dummheit
Geiz
Schlauheit
Spezielle Skripte
Witzanteile
14%
48%
2%
11%
25%
Tabelle 6: Skripte und deren Anteile in den chinesischen ethnischen Witzen
Fasst man bei einer Analyse der Zielscheiben deren Eigenschaften in den
chinesischen ethnischen Witzen zusammen, ist zunächst festzustellen, dass die
Chinesen nicht einzelne Nationen unterscheiden, sondern sie betrachten alle
Ausländer als eine einheitliche Gruppe mit der Bezeichnung Lowài. Unter ihnen
werden Japaner und Amerikaner auch in einigen Witzen als einzelne Zielscheiben
behandelt, was wohl auf den Kontakt zwischen China und den beiden Ländern im 20.
Jahrhundert zurückgeht. In ähnlicher Weise sehen Chinesen sich selbst auch eher als
eine Einheit. Die Unterscheidung der verschiedenen inländischen Gruppen orientiert
sich meistens an den Dialekten, die in den unterschiedlichen Gebieten gesprochen
werden. Die einfache Zweiteilung zwischen Chinesen und Nichtchinesen liegt an der
fast ununterbrochenen einheitlichen Geschichte Chinas seit dem dritten Jahrhundert v.
Chr. Seit über 2000 Jahren existiert China fast immer als ein Staat mit einheitlicher
Politik, Kultur und Schriftsprache.
Wenn es um die Skripte geht, werden Dialekt, Dummheit, Geiz und Schlauheit alle in
den chinesischen Witzen benutzt. Darüber hinaus erweisen sich Dummheit und
Geiz/Schlauheit auch als charakteristisch für die chinesischen ethnischen Witze,
obwohl das erstere Skript einen viel größeren Witzanteil als das letztere hat. Die
Hauptvertreter für Dummheit sind Lowài und verschiedene Provinzbewohner in
130
China. Dabei geht es vor allem um deren Unfähigkeit beim Benutzen der
chinesischen Standardsprache. Die Gruppe – Chinesen (als eine Einheit) – wird in
einigen Witzen auch als dumm bezeichnet, weil sie schlecht im Englischen oder im
Fußballspiel sind. Die Eigenschaften Geiz und Schlauheit beschäftigen sich mit den
Shanghaiern, die bekannt für ihr genaues Rechnen sind, mit den Lowài, die gut
Chinesisch sprechen können, bzw. den Chinesen, die sich gegenüber anderen
Nationen überlegen fühlen. Zu den speziellen Skripten gehören die ungewöhnlichen
Essgewohnheiten der Guangdonger, die mangelnde Vertrauenswürdigkeit der
Henaner und die Arroganz der Japaner.
Nach der Analyse der Zielscheiben und deren Eigenschaften in den gesammelten
deutschen und chinesischen Witzen ziehen wir im nächsten Teil einen
zusammenfassenden Vergleich zwischen den beiden Seiten.
5.4.3 Vergleich
In Kapitel 5.4 haben wir die Zielscheiben und die damit verbundenen Skripten in den
534 deutschen bzw. den 123 chinesischen ethnischen Witzen vorgestellt und
analysiert. Dabei findet man zuerst einige große Unterschiede zwischen den
deutschen und den chinesischen Witzen:
1.
Trotz des ähnlichen Umfangs der Witzbücher und Webseiten (siehe Kapitel 1)
wurden viel mehr deutsche Beispiele als chinesische zusammengestellt, woran
erkennen lässt, dass die Kategorie der ethnischen Witze im Deutschen relevanter
als im Chinesischen ist.
2.
Außer Amerikanern und Japanern gibt es keine identischen Zielscheiben in den
deutschen und den chinesischen ethnischen Witzen. Trotz des Auftretens in den
beiden Sprachen werden Japaner im Deutschen als unfähig beim Unterscheiden
zwischen l und r dargestellt, während sie im Chinesischen als arrogant betrachtet
werden.
3.
Die Zielscheiben in den deutschen Witzen sind vielfältiger als in den
chinesischen. Während die vorderen meistens einzelne inländische oder
ausländische Ethnien sind (wie Ostfriesen, Schotten, Österreicher, usw.), geht es
in letzteren vor allem um die Zweiteilung von Chinesen und Nicht-Chinesen
(Lowài). Das geht auf die Geschichte der beiden Länder zurück: Während
131
Deutschland bis Anfang 19. Jahrhunderts sowohl als ein großes Reich – das
Heilige Römische Reich Deutscher Nation – als auch als eine Zusammensetzung
von verschiedenen Fürstentümern existierte und erst ab 1871 ein einheitliches
Land mit der Ausnahme zwischen 1949 und 1990 bildete (siehe Boden 1993: 7577), blieb China seit dem dritten Jahrhundert v. Chr. (mit der Ausnahme im 3.-4.
bzw. im 10. Jahrhundert) fast immer ein einheitlicher Staat. Die lange
Abgeschlossenheit von der Außenwelt führte in China zu einer Selbstzentrierung
und einer einfachen Zweiteilung der Weltbevölkerung in Chinesen und
Nichtchinesen.
4.
Obwohl die Eigenschaft Dummheit in den Witzen aus den beiden Sprachen
präsentiert wird, bezieht sie sich im Deutschen vor allem auf die Unfähigkeit der
Zielscheiben beim Umgang mit der Technik, dem Haushalt oder deren
Unkenntnis neuer Begriffe, während die Dummheit im chinesischen Witz vor
allem als die Unfähigkeit der Zielscheiben beim Benutzen der Standardsprache
oder deren Nichtvertrautheit mit der chinesischen Esskultur bezeichnet wird.
Dies weist darauf hin, dass die Chinesen großen Wert auf ihre Sprache und
Esstradition legen.
Trotz der oben genannten Unterschiede sind auch einige Gemeinsamkeiten zwischen
den deutschen und den chinesischen ethnischen Witzen festzustellen:
1.
Obwohl die Zielscheiben in den Witzen aus den beiden Kulturen sehr
unterschiedlich sind, erweisen sich die ausländischen Gruppen meistens als die
Nachbarländer von Deutschland oder China, wie z.B. Japaner in den chinesischen
Witzen und Holländer/Polen/Österreicher in den deutschen Witzen. Im
Gegensatz dazu werden die Nationen, mit denen Deutschland oder China wenig
Kontakt hat, selten in den Witzen erwähnt.
2. In beiden Kulturen werden die vier ethnischen Skripten (Dialekt, Dummheit, Geiz
und Arglist/Schlauheit), die von Raskin zusammengestellt wurden, angewendet.
Darüber hinaus erweisen sich Dummheit und Geiz/Schlauheit als relevant für
beide Kulturen, obwohl im Chinesischen Dummheit viel häufiger als
Geiz/Schlauheit präsentiert wird. Das kann als eine Bestätigung für Davies’
132
Hypothese gelten, dass Dummheit und Geiz die beiden wichtigsten ethnischen
Skripte darstellen.
3. Neben den vier Hauptskripten findet man in den hier analysierten Witzen eine
Reihe spezifischer Skripte, wie das Autodiebstahl der Polen und die Unbeliebtheit
der Türken im Deutschen bzw. die ungewöhnliche Essgewohnheit der
Guangdonger und die Arroganz der Japaner im Chinesischen.
Nachdem die Zielscheiben und deren Eigenschaften in den deutschen und den
chinesischen ethnischen Witzen analysiert bzw. miteinander verglichen wurden,
gehen wir im folgenden Teil auf das Hintergrundwissen ein, das zum Verstehen der
Witze aus den beiden Kulturen benötigt wird.
5.5 Das Hintergrundwissen zum Verstehen der ethnischen Witze
In Kapitel 4.4 haben wir das zum Verstehen der Witze benötigte Hintergrundwissen
erläutert, wie z.B. sprachliches, kulturelles, Common Sense-, Kontextwissen bzw. die
Mischungen aus einigen von ihnen. Beim Lesen oder Hören eines Witzes erzeugt
man häufig auf Grund seines Hintergrundwissens eine eigene Erwartung zum
Fortgang der Geschichte im Witz. Das reale Geschehen am Ende des Textes steht
jedoch häufig im Gegensatz zu der Erwartung des Lesers/Hörers stehend. Durch die
Opposition zwischen dem realen Geschehen und der vorher entstandenen Erwartung
wird der Lacheffekt im Witz erzeugt (Siehe Kapitel 3.2).
Witze, deren Verstehen sprachliches oder kulturelles Wissen voraussetzt, sind relativ
schwer auf ein anderes Gebiet oder Land mit verschiedenem Sprach- oder
Kulturgrund zu übertragen, denn ohne die Bekanntheit mit den im Witz behandelten
sprachlichen oder kulturellen Erscheinungen kann der Leser/Hörer keine Erwartung
an den Fortlauf der Geschichte bilden. Dementsprechend verliert die Pointe ihre
Bedeutung, da sie in Opposition zu der Erwartung stehen und damit einen
Überraschungseffekt auf den Leser/Hörer auslösen soll. Ohne die nötige Pointe gilt
der Text nicht mehr als Witz. Eine ergänzende Darstellung der im Witz behandelten
sprachlichen oder kulturellen Phänomene ist meistens nicht empfehlenswert oder
hilfreich, denn dadurch wird der Leser/Hörer von zu vielen Details beeinflusst, so
dass er sich schwer auf das Hauptgeschehen im Witz konzentrieren kann. In anderen
Fällen können die mit Absicht ausführlich dargestellten Informationen dem
133
Leser/Hörer zu früh die Pointe verraten, so dass der Überraschungseffekt – die
plötzliche Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts – damit verloren geht
(Kant, zitiert nach Preisendanz 1970: 10).
Im Vergleich zu den Witzen mit
sprachlichem oder kulturellem Wissen als Verstehenshintergrund lassen sich die, die
mit dem Common Sense oder Kontextwissen zusammenhängen, relativ einfach in
eine andere Kultur übertragen, denn die letzteren beiden Wissenssorten sind nicht mit
einem spezifischen Gebiet verbunden, sondern für alle Menschen in der modernen
Gesellschaft zugänglich. Man kann beim Lesen/Hören solcher Witze direkt eine
eigene Erwartung bilden, ohne sich über weitere Kenntnisse zu informieren. Mit der
entstandenen Erwartung ist die Pointe im Witz sinnvoll, denn die beiden stehen im
Gegensatz zueinander. Damit werden sowohl der Überraschungseffekt als auch der
Lacheffekt im Witz produziert.
Im Folgenden fragen wir, welches Hintergrundwissen relevanter für das Verstehen
der deutschen bzw. der chinesischen ethnischen Witze ist und was die
Gemeinsamkeiten und die Unterschiede zwischen den beiden in Bezug auf das
Hintergrundwissen sind.
5.5.1 Hintergrundwissen zum Verstehen der deutschen ethnischen
Witze
Nach der Untersuchung zum Hintergrundwissen stellt sich heraus, dass das Common
Sense-Wissen unter allen oben erwähnten Wissenssorten am häufigsten vorkommt.
Darauf folgen kulturelles, sprachliches und Kontextwissen. Die Relevanz des
Common Sense-Wissens geht vor allem auf den großen Anteil der Ostfriesen-,
Österreicher- und Schottenwitze zurück, deren Verstehen diese Wissenssorte
voraussetzt, weil die präsentierten Eigenschaften der genannten Zielscheiben, wie
Dummheit oder Geiz, hauptsächlich an ihrem Verhalten anhand der allgemeinen
Tätigkeiten (wie Haushalt, Autofahren, Fernsehen, usw.) dargestellt werden, statt an
die kulturspezifischen Tätigkeiten (wie Sprachverstehen, Sittenpflege) gebunden zu
sein.
Eine genaue Verteilung der verschiedenen Wissenssorten findet man in der folgenden
Tabelle 7.
Hintergrundwissen
Anteil
Common Sense-Wissen
44%
Kulturelles Wissen
29%
134
Sprachliches Wissen
12%
Kontextwissen
11%
Vermischtes
4%
Tabelle 7: Hintergrundwissen zum Verstehen der deutschen ethnischen Witze
An der Tabelle 7 kann man auch feststellen, dass Common Sense- und Kontextwissen
insgesamt bei über der Hälfte der Witze im deutschen Korpus den Hintergrund bilden.
Mit anderen Worten, mehr als 50% der deutschen ethnischen Witze lassen sich relativ
einfach in eine andere Kultur übertragen oder von den Lesern/Hörern verstehen, die
sich mit der deutschen Kultur nicht gut auskennen.
5.5.2 Hintergrundwissen zum Verstehen der chinesischen ethnischen
Witze
Bei der Analyse der chinesischen ethnischen Witze ist festzustellen, dass sprachliches
Wissen unter allen vier Sorten am häufigsten benutzt wird. Darauf folgen kulturelles,
Common Sense- und Kontextwissen. Die Wichtigkeit des sprachlichen Wissens lässt
sich durch den großen Anteil der Witze über Lowài und die chinesischen
Provinzbewohner erklären. Diese Witze machen über der Hälfte des chinesischen
Korpus aus. Das Verstehen solcher Witze setzt sprachliches Wissen voraus, weil
darin vor allem die Unfähigkeit der Zielscheiben beim Benutzen der chinesischen
Standardsprache bzw. die Unvertrautheit der Lowài mit der chinesischen
Esstradition behandelt werden, was sich als spezifisch für die chinesische Kultur
erweist.
Die genaue Verteilung der verschiedenen Wissensbereiche in den chinesischen
ethnischen Witzen findet man in der folgenden Tabelle 8.
Hintergrundwissen
Anteil
Sprachliches Wissen
48%
Kulturelles Wissen
25%
Common Sense-Wissen
18%
Kontextwissen
8%
Vermischtes
1%
Tabelle 8: Hintergrundwissen zum Verstehen der chinesischen ethnischen Witze
An der Tabelle 8 kann man sehen, dass das Verstehen von knapp drei Viertel der
chinesischen ethnischen Witze sprachliches und kulturelles Wissen voraussetzt,
135
während Witze, die mit dem Common Sense- oder Kontextwissen zusammenhängen,
nur ein Viertel des Korpus ausmachen. Nach den obigen Erklärungen kann man sagen,
dass die meisten chinesischen ethnischen Witze wegen der Sprach- und
Kulturbedingtheit relativ schwer direkt in eine andere Kultur übertragen werden
können.
5.5.3 Vergleich
Wenn man das Ergebnis der Untersuchung zum Hintergrundwissen, welches beim
Verstehen deutscher und chinesischer ethnischer Witze benötigt wird, vergleicht,
kann man zunächst einige Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Sprachen
feststellen:
1.
Sowohl im Deutschen als auch im Chinesischen gelten alle vier Wissensbereiche
– sprachliches, kulturelles, Common Sense- und Kontextwissen – als
Voraussetzung für das Verstehen der ethnischen Witze.
2.
Darüber hinaus sind in beiden Sprachen Witzbeispiele zu finden, deren Verstehen
mehrere Wissensbereiche voraussetzen. Diese Gruppe wird in der Tabelle als
Vermischtes bezeichnet.
Neben den Gemeinsamkeiten findet man auch einige Unterschiede zwischen den
beiden Seiten, die wie folgt dargestellt werden:
1.
Während das Common Sense-Wissen für das Verstehen der deutschen ethnischen
Witze am häufigsten vorauszusetzen ist, erweist sich im Chinesischen
sprachliches Wissen als am relevantesten. Das geht auf das unterschiedliche
Verstehen der Dummheit in den Witzen aus beiden Kulturen zurück. Während im
Deutschen vor allem die Unfähigkeit der Zielscheiben beim Umgehen mit den
allgemeinen Tätigkeiten (wie Haushaltmachen, Fernsehen) behandelt wird, geht
es im Chinesischen um die Unfähigkeit der Zielscheiben beim Benutzen der
Standardsprache oder um deren Nichtvertrautheit mit der Esstradition, was sich
als sprach- und kulturspezifisch erweist.
2.
Die deutschen ethnischen Witze sind einfacher in eine andere Kultur zu
übertragen als die chinesischen. Das liegt daran, dass der Anteil der Witze, deren
Verstehen Common Sense- und Kontextwissen voraussetzt, im Deutschen viel
höher als im Chinesischen ist. Die meisten chinesischen Witze hängen mit den
spezifischen Sprach- oder Kulturphänomenen zusammen.
136
Nachdem der Aspekt, das zum Witzverstehen benötigte Hintergrundwissen, diskutiert
wurde, gehen wir im nächsten Teil auf die Situationen ein, die in den deutschen und
den chinesischen ethnischen Witzen dargestellt werden.
5.6 Die Situationen in den ethnischen Witzen
In Kapitel 4.5 haben wir diskutiert, dass die Situation im Witz meistens als die
Aktivität
der
Zielscheiben
formuliert
wird,
wie
z.B.
Urlaubmachen
56
,
Fremdsprachenlernen, Geburtstagsfeiern, Telefonieren, Essen, Arztbesuch etc. Es ist
zu sehen, dass die im Witz dargestellte Situation direkt mit dem realen Leben
zusammenhängt. Aus diesem Grund kann man an der Analyse und dem Vergleich der
Situationen im deutschen und chinesischen Witz die Unterschiede in den realen
Lebensformen der Menschen aus den beiden Ländern erkennen.
Außerdem ist anzumerken, dass die Situationen im Witz kein geschlossenes System,
sondern eine offene Liste darstellen, weil das reale Leben, auf das die Situationen im
Witz zurückgehen, ebenfalls aus einer Reihe unbeschränkter Szenen und Bereiche
besteht.
In diesem Teil werden wir zuerst die Situationen in den gesammelten deutschen bzw.
chinesischen Witzen vorstellen, dann wird ein Vergleich zwischen den beiden
durchgeführt.
5.6.1 Die Situationen in den deutschen ethnischen Witzen
Nach der Untersuchung sind insgesamt 28 verschiedene Situationen in den deutschen
ethnischen Witzen zu unterscheiden, z.B. Fahren/Reisen, Bedienen der Technik,
Heiraten, Sex und Beerdigung. Darunter werden Fahren/Reisen, Einkaufen/Verkaufen,
Haushalt, Bedienen der Technik und Teilnehmen an Kunst- und Kulturtätigkeiten am
häufigsten dargestellt. Sie beschäftigen sich mit 40% des gesamten Korpus. Ihre
Verteilung wird in der Tabelle 9 dargestellt.
56
Zu der Situation im Witz wurde bisher neben der kurzen Vorstellung von Attardo (1994, 2001)
kaum eine Forschung durchgeführt. Deshalb sind die Bezeichnungen und Sortierungen hier von der
Verfasserin selbst festgelegt.
137
Situationen in den deutschen ethnischen
Witzen
Anteil
Fahren/Reisen
13%
Einkaufen/Verkaufen/Handeln
9%
Haushalt
7%
Bedienen der Technik
6%
Teilnahme an Kunst- und Kulturtätigkeiten
5%
Tabelle 9: Die fünf relevantesten Situationen in den deutschen ethnischen Witzen
Die Situation „Fahren/Reisen“ kommt im Witz in den verschiedenen Varianten wie
Auto-, Bus- und Zugnehmen, Fliegen, Automarkenbezeichnen, Fahrzeugprüfen usw.
vor. An dem häufigen Auftreten dieses Themas kann man die wichtige Rolle der
Fahrzeuge in Deutschland bzw. die relativ große Mobilität der Deutschen im Alltag
erkennen. Deutschland gilt als eine der führenden Nationen im Bereich der
Automobilindustrie. Ein großes Freizeitthema im Leben der Deutschen ist das Reisen
mit dem eigenen Auto oder den öffentlichen Verkehrsmitteln in einen anderen Ort
oder ein anderes Land. Deshalb unterhält man sich im Alltag gern über die Themen
Auto oder Urlaub. Entsprechend werden die Situationen Fahren und Reisen auch
häufig im Witz dargestellt. Dabei geht es z.B. um die Amerikaner, die sich mit den
Sehenswürdigkeiten nicht auskennen, um die Holländer, die schlecht Auto fahren, die
Österreicher, die bei der Führerscheinprüfung immer durchfallen, oder um die
Automarke
„FIAT“,
die
als
Symbol
einer
„für
Italien
ausreichenden
Technik“ interpretiert wird, um die zehn Schotten, die sich gleichzeitig in einen Smart
drängen können, den Bayern, der im Urlaub das Englische mit dem Bayrischen
verwechselt, die Schwaben, die durch Tricks Zugtickets sparen können oder um die
Trabbis aus der früheren DDR, deren Geschwindigkeit mit der eines Esels verglichen
wird.
Die Situationen Einkaufen/Verkaufen/Handeln findet man vor allem in den Witzen
über Schotten, Ostfriesen, Juden und Amerikaner. Da Witze über die ersten beiden
Gruppen insgesamt mehr als die Hälfte des deutschen Korpus ausmachen, kommen
die damit verbundenen Situationen auch relativ häufig vor. Dabei geht es um den
Schotten, der für 500 Pfund von den Räubern halbtot geschlagen werden will, oder
um den Vater aus Schottland, der seinen Kindern nur eine Erdbeere kauft, weil die
anderen gleich schmecken, den Ostfriesen, der in der Buchhandlung einen Globus
von Ostfriesland kaufen will, den Amerikaner, der im Urlaub in Europa Picassos
Bilder als Postkarten kauft, den Juden, der bei der Geldausleihe durch Tricks einen
138
Gulden mehr verdient, oder den jüdischen Käufer, der beim Metzger Schinken als
Fisch bezeichnet, weil er Fleisch essen will.
Dass die Situationen Haushalt und Bedienen der Technik ebenfalls häufig dargestellt
werden, hängt vor allem mit dem großen Anteil der Ostfriesen- und Österreicherwitze
zusammen, die insgesamt knapp die Hälfte des gesamten deutschen Korpus
ausmachen. In den Witzen über die beiden Gruppen geht es vor allem um deren
Unfähigkeit im Umgang mit dem Haushalt oder der Technik. In Kapitel 4 haben wir
schon das Beispiel über den Österreicher zitiert, der heißes Wasser im Kühlschrank
behalten will. In anderen Witzen geht es um die Österreicher, die durch das Drücken
der Krapfen Marmelade produzieren, oder um die Ostfriesen, die Angst vor dem
eigenen Gesicht im Spiegel haben, den Mann aus Ostfriesland, der sich Sorgen macht,
weil er beim Telefonieren nur Stimmen hört und keine Person sieht, die Ostfriesen,
die Zeitungen ins Gefrierfach legen, um Nachrichten frisch zu halten, bzw.
denjenigen, der ein Paar Gummistiefel vor den Computer stellt, um später ins Netz
einzusteigen.
Die Situationen Teilnehmen an Kunst- und Kulturtätigkeiten kommen häufig in den
Witzen über Schotten oder Ostfriesen vor. Dabei handeln sie meistens vom Geiz der
Schotten. Da ist einer, der sein Musikzimmer so einrichtet, dass man dort am Besten
das Radio des Nachbarn hört. In einem anderen Witz geht es um ein schottisches
Ehepaar, das mitten im Konzert ihren Sohn kneift, weil man das Geld für das Konzert
zurückbekommt, wenn die Kinder schreien. In den Witzen über Ostfriesen geht es um
deren Unvertrautheit mit dem Kino, dem Konzert oder mit anderen Kunstformen. Da
ist einer, der drei Male eine Kinokarte gekauft hat, weil der Mann an der Kasse sie
immer zerreißt, oder ein anderer, der gefragt wird, ob er Klavier spielen kann.
Daraufhin antwortet er: „Keine Ahnung. Ich hab’s noch nie probiert.“ Das häufige
Auftreten von Situationen mit Kino, Musik und Kunst im Witz kann auch ein
Hinweis
darauf
sein,
dass
die
Beteiligung
an
den
verschiedenen
Kulturveranstaltungen im Leben der Deutschen üblich ist, so dass man sich damit gut
auskennt und Witze über die macht, die sich in diesen Situationen unpassend
verhalten.
5.6.2 Die Situationen in den chinesischen ethnischen Witzen
In den chinesischen ethnischen Witzen wurden insgesamt 26 Situationen festgestellt.
Alle davon sind auch in den deutschen Witzen zu finden. Da aber in den letzteren 28
139
Situationen zusammengefasst wurden (siehe Kapitel 5.6.1), gibt es solche, die nur im
Deutschen erwähnt werden und im Chinesischen fehlen. Dies sind die Situationen
Garten- oder Feldarbeit bzw. Geburtstagfeiern. Das hat mit dem realen Leben in den
beiden Ländern zu tun. Während die Pflege des Gartens und das Feiern des
Geburtstages in Deutschland übliche Tätigkeiten sind, scheinen diese in China selten
zu sein. Traditionell feiern Chinesen nicht den Geburtstag, denn man geht davon aus,
dass alle beim Jahreswechsel gemeinsam ein Jahr älter werden. Eine Ausnahme
stellen die kleinen Kinder oder die älteren Menschen über 60 dar57. Ihre Geburtstage
werden eher gefeiert. Die Situationen der Garten- oder Feldarbeit werden in den
heutigen chinesischen ethnischen Witzen nicht behandelt, weil im realen Leben die
meisten Bewohner in der Stadt keinen eigenen Garten besitzen und die Leute auf dem
Lande in den Witzen kaum erwähnt werden, d.h., man macht keine Unterscheidung
zwischen den Städtern und den Landleuten in den gesammelten chinesischen
ethnischen Witzen.
Unter den 26 Situationen kommen Sprachmissverstehen, Essen, Fahren/Reisen,
Einkaufen/Verkaufen bzw. Heiraten/Partnerschaft/Familie am häufigsten vor. Sie
machen insgesamt über die Hälfte des ganzen chinesischen Korpus aus. Ihre
Verteilung wird in der folgenden Tabelle 10 aufgelistet.
Situationen
in
ethnischen Witzen
den
chinesischen
Anteil
Sprachmissverstehen
18%
Essen
11%
Fahren/Reisen
10%
Einkaufen/Verkaufen
7%
Heiraten/Partnerschaft/Familie
6%
Tabelle 10: Die fünf relevantesten Situationen in den chinesischen ethnischen Witzen
Dass die Situationen Sprachmissverstehen und Essen in den chinesischen Witzen am
häufigsten dargestellt werden, geht vor allem auf den großen Anteil der Witze über
Lowài und die verschiedenen Provinzbewohner zurück. Sie machen über Hälfte des
chinesischen Korpus aus und handeln meistens von der Unfähigkeit der Zielscheiben
57
Heute feiern die Chinesen (besonders die Jugendlichen) immer häufiger den Geburtstag. Dabei geht
es aber meistens um ein gemeinsames Essen mit Freunden oder Familienangehörigen, statt andere
Veranstaltungen zu organisieren. Im Vergleich zu den Deutschen achten die Chinesen viel weniger auf
den Geburtstag.
140
beim Benutzen der Standardsprache bzw. der Nichtvertrautheit von Lowài mit der
chinesischen Esskultur. In Kapitel 5.4 haben wir schon einige Beispiele über die
Unterschiede zwischen der chinesischen Standardsprache Ptnghuà und den
verschiedenen Dialekten besprochen. Dabei wird die gleich gesprochene Form in den
Dialekten anders als in Ptnghuà verstanden. Darüber hinaus lassen sich auch
Missverständnisse in der mündlichen Kommunikation finden, wenn man Fehler
bezüglich der Töne der Wörter macht, was bei den Nicht-Muttersprachlern häufig der
Fall ist. Die chinesische Sprache hängt hauptsächlich von ihrem Schriftzeichensystem
ab. Dabei unterscheidet sich die Aussprache mancher Wörter nur durch ihre Töne,
wie z.B. ਏ (wn, „küssen“) und 䯂 (wèn, „fragen“), 㹿ᄤ(bèizi, „Bettdecke“) und ᵃ
ᄤ(bizi, „Becher“), 吙 (é, „Gans“) und 体 (è, „Hunger“), usw. Der große Anteil der
Witze über Sprachmissverständnisse und Essen weist auf die Vertrautheit der
Chinesen mit den beiden Situationen in ihrem realen Leben hin. Wie in Kapitel 4
erläutert, spielt das Essen in der Kommunikation unter Chinesen eine große Rolle.
Damit verbindet man fast alle Treffen sowohl im offiziellen als auch im privaten
Bereich. Ein alter Spruch lautet: „Essen ist des Volkes Himmelsreich 58 “. Heute
benutzen die Chinesen metaphorisch eine Wendung, die aus Brennholz, Reis,
Speiseöl und Salz besteht, als Symbol für das alltägliche Leben.
Der relativ große Anteil der Situationen Fahren/Reisen und Einkaufen/Verkaufen im
Witz hat mit der schnellen Entwicklung in den letzten Jahren in der Wirtschaft bzw.
der Autoindustrie zu tun. Witze mit den Situationen Fahren/Reisen beschäftigen sich
vor allem mit den Chinesen (als einer Einheit), die beim Autofahren nicht auf die
Verkehrsregeln achten, was unglücklicherweise auch oft der Fall ist. Die Situationen
Einkaufen/Verkaufen findet man sowohl in den Witzen über die ausländischen als
auch über die inländischen Gruppen. Bei den ersteren geht es z.B. um die
verschiedenen Handsprachen59 von Lowài und Chinesen bei dem Symbolisieren der
Zahlen. Während die gestreckten Daumen und Zeigefinger von den ersteren 60 als
„zwei“ verstanden werden, steht dieses Signal bei den letzteren für „acht“, weil es
58
Der originale chinesische Text: ⇥ҹ亳Ў໽ (mín y shí wéi tin). Der Spruch stammt aus „ᇮк
(Shàngsh)“, einem der klassischen konfuzianischen Werke, das vor ca. 2500 Jahren zusammengestellt
wurde.
59
Mit der Handsprache wird hier gemeint, mit den Fingern bestimmte Zahlen oder Bedeutungen zu
symbolisieren.
60
Die gestreckten Daumen und Zeigefinger werden vor allem in Deutschland als „zwei“ verstanden.
Jedoch haben sie nicht bei allen Lo wài dieselbe Bedeutung. In der amerikanischen Kultur wird
„zwei“ z. B. durch die gestreckten Zeige- und Mittelfinger dargestellt. Dies wurde in einer Diskussion
141
ähnlich wie das umgekehrt geschriebenes chinesisches Zeichen für acht – „ ܿ
(b)“ aussieht. Die Witze mit der Situation Einkaufen/Verkaufen handeln vor allem
von der Schlauheit oder dem Geiz der Shanghaier. In Kapitel 5.4 haben wir schon ein
Beispiel zum genauen Rechnen der Shanghaier beim Nadelkauf diskutiert.
Dass das Thema Heiraten/Partnerschaft/Familie auch relativ häufig in den
chinesischen Witzen vorkommt, liegt daran, dass die Chinesen großen Wert auf die
Familie legen und ihre Freizeit vor allem mit den Familienmitgliedern oder den
Verwandten verbringen, wenn diese nicht zu weit voneinander wohnen. Außerdem
achtet man viel auf die Beziehungen zwischen den verschiedenen Generationen. Die
jüngeren dürfen z.B. die älteren nicht direkt mit deren Namen anreden, sondern
müssen immer deren Verwandtschaftsgrad in der Beziehung zum Sprechen nennen,
etwa Tante, Onkel, Großmutter usw. Um die verschiedenen Verwandten in derselben
Generation zu unterscheiden, fügt man vor dem Grad ein Attribut wie „groß“,
„klein“ oder eine Zahl hinzu, z.B. die große Tante, der zweite Bruder, der kleine
Onkel. Außerdem gibt es im Chinesischen mehr Unterscheidungen für die
Verwandten derselben Generation. Allein unter „Tante“ hat man fünf verschiedene
Bezeichnungen jeweils für die Schwester und die Schwägerin der Mutter, die
Schwester, die ältere bzw. die jüngere Schwägerin des Vaters. In Kapitel 6 werden
wir näher auf die Beziehungen unter den Familienmitgliedern in China eingehen. In
den ethnischen Witzen mit den Situationen Familie/Partnerschaft geht es vor allem
um die Verwechslung der chinesischen Verwandtschaftsbezeichnungen durch Lowài,
die „Pantoffelhelden“ in Shanghai bzw. die Reaktionen der Männer aus
verschiedenen Regionen auf die Tatsache, dass die Ehefrau untreu ist.
5.6.3 Vergleich
Die im Witz dargestellten Situationen hängen meistens mit dem realen Leben der
Menschen zusammen, deshalb kann man am Vergleich dieses Aspektes die
Unterschiede zwischen den deutschen und den chinesischen Lebensformen erkennen.
Die Forschung zeigt, dass jeweils 28 und 26 Situationen in den gesammelten
deutschen bzw. chinesischen ethnischen Witzen dargestellt wurden. Davon sind die
meisten in den beiden Sprachen miteinander identisch. Nur die zwei Situationen
mit Wallace Chafe, einem Professor für Linguistik an der Universität Kalifornien, Santa Barbara
bestätigt.
142
Garten- oder Feldarbeit bzw. Geburtstagsfeier wurden nur im Deutschen und nicht im
Chinesischen behandelt.
Wenn es um die relevanten Situationen geht, ist festzustellen, dass Fahren/Reisen,
Einkaufen/Verkaufen, Haushalt, Bedienen der Technik und Teilnehmen an Kunstund Kulturveranstaltungen am häufigsten im deutschen Witz dargestellt werden,
während die fünf relevantesten Situationen im Chinesischen Sprachmissverstehen,
Essen, Fahren/Reisen, Einkaufen/Verkaufen und Heiraten/Partnerschaft/Familie sind.
Es ist zu sehen, dass sich Fahren/Reisen und Einkaufen/Verkaufen in beiden
Sprachen als relevant erweisen. Darüber hinaus kann man die Unterschiede zwischen
dem Deutschen und dem Chinesischen wie folgt darstellen:
Während Fahren/Reisen und Teilnehmen an Kunst- und Kulturtätigkeiten im
Deutschen als relevante Situationen vorkommen, werden im Chinesischen
Sprachmissverständnisse, Essen und Heiraten/Familie hervorgehoben. Das weist auf
die Verschiedenheit zwischen den Lebensformen in den beiden Ländern hin, da die
Deutschen großen Wert auf Autos, Urlaub und Kulturveranstaltungen legen. Im
Vergleich dazu sprechen die Chinesen gern über die Missverständnisse beim
Gebrauch verschiedener Dialekte, treffen sich in der Freizeit mit Verwandten oder
Freunden zum Essen und achten viel auf die Beziehungen in der Großfamilie.
Nach der Analyse und dem Vergleich der Situationen werden im nächsten Teil die
Erzählformen diskutiert, die in den deutschen und chinesischen ethnischen Witzen
verwendet werden.
5.7 Die Erzählformen in den ethnischen Witzen
In Kapitel 4.6 haben wir die Strukturelemente bzw. die verschiedenen Erzählformen
des Witzes diskutiert. Nach dieser Analyse besteht ein Witz aus drei Teilen:
Einleitung, Dramatisierung und Pointe. In der Einleitung geht es um eine kurze und
prägnante Vorstellung der Situation und der Witzfiguren. Die Dramatisierung gilt als
der Hauptteil des Witztextes, in dem die Handlungen der Figuren in der Weise
dargestellt werden, die dem Leser/Hörer erlaubt, eigene Erwartungen ins Spiel zu
bringen. Die Pointe liegt meist am Ende des Witzes und dient dazu, eine zweite
semantische Interpretation des Textes einzuführen, die in Kontrast zu der vorher
gebildeten Erwartung des Lesers/Hörers stehen soll.
143
Wenn es um die Erzählformen geht, sind nach der Erläuterung in Kapitel 4.6 fünf
verschiedene Sorten zu unterscheiden: Erzählung, Erzählung + Dialog, Dialog, FrageAntwort und Dreier-Modell. Wie der Name andeutet, werden Erzählungswitze in rein
narrativer Form dargestellt. Dabei sind die drei Strukturelemente gut zu erkennen.
Witze (9) und (12) in diesem Kapitel gelten als Beispiele für diese Kategorie.
Dialogwitze bestehen dann aus einem Gespräch zwischen zwei Personen. Die
Einleitung – die Angabe der Situation und der Witzfiguren – wird meistens in den
Teil der Dramatisierung integriert. Dabei kann man an der Anrede der Figuren ihre
Beziehung zueinander erkennen. Witze in der Form des Dialogs sind kompakter und
anschaulicher als die Erzählungen. Als Mischung aus den beiden eben genannten
Formen hat Erzählung + Dialog eine klare Struktur mit den drei voneinander
getrennten Teilen: Einleitung, Dramatisierung und Pointe. Darüber hinaus wirkt diese
Form durch das Gespräch zwischen den Personen anschaulich und lebhaft, so dass
der Leser/Hörer sich leichter mit den Witzfiguren identifizieren kann und der
Witzeffekt dadurch besser erzielt wird. Wegen der Klarheit und Anschaulichkeit wird
die Form Erzählung + Dialog in vielen Witzen angewendet. (1), (2), (3), (6), (8) und
(14) in Kapitel 5 sind Beispiele für diese Kategorie. Erzählung, Dialog und die
Mischung aus den beiden Sorten gehören zu den so genannten nicht-standardisierten
Erzählformen des Witzes, die im Kontrast zu den standardisierten Formen stehen, die
vor allem Frage-Antwort und Dreier-Modell enthalten.
Die Frage-Antwort-Witze bestehen förmlich aus zwei Teilen. In der Fragezeile
werden die Situation, die Figuren und das Hauptgeschehen im Witz dargestellt. Die
Frage wird in der Weise gestellt, dass der Leser/Hörer entweder eine eigene Antwort
darauf oder ein großes Interesse am folgenden Text bekommt. In der Antwortzeile
kommt man zu einem Resultat, das völlig anders ist, als erwartet wurde. Dies dient
als die Pointe des Witzes. Die Frage-Antwort-Form ist standardisiert, weil sie ein
festgelegtes Muster aus zwei Zeilen darstellt. Witze in dieser Form beschäftigen sich
meist mit den bekannten Figuren in einer Gesellschaft, wie Ostfriesen in Deutschland,
Polen in den USA und Blondinen in beiden Ländern. Dies sind die Witze ohne Bezug
auf eine bestimmte Realität, d.h. die Dummheit oder andere Eigenschaften der
Figuren werden durch deren Handlungen in den Sachverhalten, die nichts mit dem
sozialen Hintergrund der Zielscheiben zu tun haben, dargestellt. Witze in der FrageAntwort-Form sind meistens kurz, kompakt, einfach zu merken und schnell zu
verbreiten. Witz (7) in diesem Kapitel ist ein Beispiel dafür. Eine andere
144
standardisierte Form stellt das Dreier-Modell dar, in dem drei oder mehrere Figuren
dieselbe oder eine ähnliche Handlung ausführen. Wie in Erzählungen werden in
dieser Form zuerst die Situation und die Figuren kurz vorgestellt. Darauf folgt die
Dramatisierung, in der zwei oder mehrere Figuren auf ihre Art und Weise dieselbe
Handlung ausführen, was sich für den Leser/Hörer als verständlich und
nachvollziehbar erweist. Die Pointe findet bei der letzten Figur statt, die beim
Wiederholen der eben erwähnten Handlung etwas Ungewöhnliches tut, wodurch ein
Überraschungseffekt im Witz erzielt wird. Das Dreier-Modell wird häufig in Witzen
über mehrere ethnische Gruppen angewendet, wie z.B. den Witzen, in denen
Deutsche, Amerikaner, Engländer und Franzosen gleichzeitig bei demselben Ereignis
dargestellt werden. Die Witze (5), (11) und (13) in diesem Kapitel gelten als
Beispiele für diese Form. Mit der Globalisierung in der Wirtschaft sind auch immer
mehr „internationale“ Witze entstanden, die vor allem in der Form des DreierModells ausgedrückt werden. Wegen der klaren, festgelegten Struktur und der
Internationalität lassen sich solche Witze schnell entwickeln und verbreiten.
5.7.1 Die Erzählform in den deutschen ethnischen Witzen
Nach der Untersuchung stellt sich heraus, dass die Erzählform Frage-Antwort am
häufigsten bei den deutschen ethnischen Witzen angewendet wird. Das geht auf den
großen Anteil der Ostfriesenwitze zurück, die fast alle in Frage-Antwort-Form
dargestellt werden. Die anderen relativ häufig benutzten Formen sind Erzählung +
Dialog bzw. Erzählung. In der Tabelle 11 findet man eine genaue Verteilung der
verschiedenen Erzählformen in den deutschen ethnischen Witzen.
Erzählformen
Witzanteil
Frage-Antwort
33%
Erzählung + Dialog
25%
Erzählung
21%
Dialog
10%
Dreier-Modell
9%
Sonstiges
2%
Tabelle 11: Erzählformen der deutschen ethnischen Witze
Es ist zu sehen, dass die standardisierten Formen, die die Frage-Antwort-Reihenfolge
bzw. das Dreier-Modell enthalten, insgesamt knapp die Hälfte des deutschen Korpus
145
ausmachen. Daraus kann man schließen, dass ethnische Witze im Deutschen durch
eine festgelegte Musterstruktur gekennzeichnet sind. Darüber hinaus ist zu
beobachten, dass die rein narrative Form nur auf ein Fünftel aller untersuchten
Beispiele angewendet wird. Deshalb kann man sagen, dass die meisten deutschen
ethnischen Witze nicht durch eine rein narrative Form geprägt sind.
5.7.2 Die Erzählform in den chinesischen ethnischen Witzen
Die Untersuchung zu den Erzählformen in den chinesischen ethnischen Witzen zeigt,
dass die rein narrative Form Erzählung unter allen am häufigsten vorkommt. Darauf
folgen Erzählung + Dialog, Dreier-Modell und Dialog. Die Frage-Antwort-Form wird
in den chinesischen ethnischen Witzen nicht benutzt. Eine genaue Verteilung der
verschiedenen Formen findet man in der Tabelle 12.
Erzählformen
Witzanteil
Erzählung
43%
Erzählung + Dialog
27%
Dreier-Modell
22%
Dialog
3%
Sonstiges
5%
Tabelle 12: Erzählformen der chinesischen ethnischen Witze
Bei dem großen Anteil der Erzählungswitze kann man sagen, dass die ethnischen
Witze im Chinesischen durch die rein narrative Form charakterisiert sind. Die
standardisierten Formen, die hier nur als Dreier-Modell vorkommen, machen
insgesamt nur 22% der gesamten Beispiele aus. Daraus schließt man, dass
Strukturstandardisierung nicht kennzeichnend für die chinesischen ethnischen Witze
ist.
5.7.3 Vergleich
Fasst man die Untersuchung zu den Erzählformen in deutschen und chinesischen
ethnischen Witzen zusammen, kann man zuerst als Gemeinsamkeit zwischen den
beiden feststellen, dass sowohl im Deutschen als auch im Chinesischen alle fünf
Erzählformen angewendet werden, d.h. Erzählung, Erzählung + Dialog, Dialog,
146
Frage-Antwort-Form und Dreier-Modell. Darüber hinaus sind auch einige
bemerkenswerte Unterschiede zwischen den beiden Kulturen festzustellen:
1. Während die Frage-Antwort-Form am häufigsten in den deutschen ethnischen
Witzen benutzt wird, erweist sich die Erzählung als die relevanteste Form im
Chinesischen. Daraus schließt man, dass ethnische Witze in der letzteren Sprache
eher eine narrative Form als in der ersteren aufweisen.
2. Die standardisierten Erzählformen (Frage-Antwort und Dreier-Modell) haben im
Deutschen einen viel höheren Anteil am Witz als im Chinesischen. Deshalb kann
man sagen, dass deutsche ethnische Witze eine stärkere Tendenz in der
Strukturstandardisierung als chinesische aufweisen.
5.8 Fazit
In diesem Kapitel haben wir die gesammelten deutschen und chinesischen ethnischen
Witze unter den fünf verschiedenen Aspekten analysiert bzw. miteinander verglichen,
anhand 1. der Zielscheibe, 2. der Eigenschaft der Zielscheibe, 3. dem
Hintergrundwissen, 4. der Situation und 5. der Erzählform.
Zunächst wurde festgestellt, dass die Kategorie der ethnischen Witze im Deutschen
relevanter als im Chinesischen ist, denn es wurden viel mehr deutsche Beispiele als
chinesische gefunden,
obwohl die Witzbücher und die Webseiten, die als
Korpusquellen zur Verfügung gestellt wurden, in den beiden Sprachen einen
ähnlichen Umfang haben.
In Bezug auf die Zielscheiben und deren Eigenschaften stellt man fest, dass die
Kultur einen großen Einfluss auf diese beiden Aspekte ausübt. Aus geschichtlichen
Gründen unterscheidet man in deutschen Witzen viele einzelne inländische bzw.
ausländische Gruppen, während im Chinesischen vor allem eine Zweiteilung von
Chinesen und Nicht-Chinesen durchgeführt wird. Unter allen Eigenschaften wurden
Dummheit und Geiz am häufigsten dargestellt. Jedoch lässt sich die erstere im Witz in
den beiden Sprachen jeweils unterschiedlich interpretieren.
Wenn es um das Hintergrundwissen geht, wird das Common Sense-Wissen am
meisten für das Verstehen der deutschen Witze gebraucht, während sich das
sprachliche Wissen als besonders wichtig für die chinesischen Witze erweist. Daraus
147
schließt man, dass sich die ersteren relativ einfacher in eine andere Kultur übertragen
lassen als die letzteren.
Bei der Situation, die in gewissem Sinne das reale Leben der Menschen aus einer
Kultur widerspiegelt, wurden ebenfalls einige Unterschiede festgestellt. Im deutschen
Witz kommen Fahren/Reisen und die Teilnahme an Kulturveranstaltungen relativ
häufig vor, während im Chinesischen vor allem Sprachmissverstehen, Essen und
Heiraten/Familie hervorgehoben werden.
Wenn es um die Erzählform geht, zeigen sich die deutschen ethnischen Witze durch
eine stärkere Strukturstandardisierung als die chinesischen gekennzeichnet, während
die letzteren eher durch einen narrativen Stil geprägt sind.
Nach der Analyse und dem Vergleich der ethnischen Witze wird im nächsten Kapitel
auf die Kategorie der Familienwitze eingegangen. Dabei werden die traditionellen
sowie aktuellen Familienwerte in Deutschland bzw. in China, die wichtigen
Zielscheiben und deren Eigenschaften im Witz, die verschiedenen Bereiche des
Hintergrundwissens, die typischen Situationen bzw. die relevanten Erzählformen
diskutiert.
148
6. Familienwitze
Die Harmonie in der Familie
bringt alles im Leben zum Aufschwung.
- ein alter chinesischer Spruch
In diesem Kapitel werden die Familienwitze aus dem Deutschen und dem
Chinesischen unter den fünf Aspekten, der Zielscheibe, deren Eigenschaft, dem
Hintergrundwissen, der Situation und der Erzählform, die bereits in Kapitel 4
erläutert wurden, analysiert und miteinander verglichen.
Wie ethnische Witze wird die Kategorie der Familienwitze auch nach den darin
behandelten Zielscheiben benannt. D.h., in dieser Witzsorte geht es vor allem um die
verschiedenen Familienmitglieder (wie Vater, Mutter und Schwiegermutter) oder ihre
Beziehungen zueinander (wie Vater-Sohn, Schwiegermutter-Schwiegersohn etc.), die
an einer bestimmten Eigenschaft im familiären Zusammenhang dargestellt werden61.
Damit man einen klaren Einblick in diese Kategorie bekommt, wird im Folgenden ein
Beispiel für Familienwitze zitiert:
(1) Klaus zur Schwiegermutter: „Wie lange bleibst du?“
„Bis ich euch auf die Nerven falle!“
„Was, nur so kurz?“
(http://www.dein-witz.de)
In (1) geht es um die angespannte Beziehung zwischen der Schwiegermutter und dem
Schwiegersohn, die hier vor allem als die Unbeliebtheit der ersteren bei dem letzteren
dargestellt wird. Wenn man den Witz bis „… euch auf die Nerven falle“ liest, denkt
man, dass die Schwiegermutter damit wahrscheinlich „einen langen Aufenthalt bei
ihrer Tochter und dem Schwiegersohn“ meint. Diese Erwartung bildet das Skript 1 im
Witz. In der Pointe des Witzes wird das Skript 2 eingeführt, indem der
Schwiegersohn mit einer Überraschung „was, nur so kurz“ erwidert. Das weist darauf
61
Es wurden bisher in der Humorforschung kaum Studien über die Kategorie der Familienwitze
durchgeführt. Die Definition hier stammt von der Verfasserin selbst.
149
hin, dass dieser sich schon gleich nach der Ankunft der Schwiegermutter gestört fühlt.
Die von dem Schwiegersohn verstandene „kurze Zeit“ steht in Opposition zu dem
von der Schwiegermutter gemeinten „langen Aufenthalt“. Dadurch wird der
Humoreffekt in (1) hergestellt.
Witz ist ein kulturelles Phänomen. Deshalb kann man an der Analyse und dem
Vergleich der deutschen und der chinesischen Familienwitze die Ähnlichkeiten bzw.
die Unterschiede in der Familienethik zwischen den beiden Ländern erkennen, die
z.B. Traditionen, Werte und Entwicklungstendenzen der Familie betrifft.
Dieses Kapitel besteht aus acht Teilen. Teil 1 gibt einen Überblick über die
traditionellen und die aktuellen Familienstrukturen und –werte in Deutschland bzw.
in China. Teil 2 stellt die Auswahlkriterien für die Beispiele in dieser Studie vor. Von
Teil 3 bis Teil 7 werden die gesammelten Witze unter den fünf Aspekten analysiert
bzw. miteinander verglichen. Teil 8 ist die Zusammenfassung des ganzen Kapitels.
6.1 Familienstruktur und Familienwerte in China bzw. in
Deutschland
6.1.1 Die Relevanz der Familie in China
Im letzten Kapitel hat die Analyse der Situationen in ethnischen Witzen bereits
ergeben,
dass
Chinesen
großen
Wert
auf
die
Beziehungen
unter
den
Familienmitgliedern und besonders die zwischen den verschiedenen Generationen
legen. Dabei wurde dargelegt, dass die Jüngeren Respekt und Gehorsamkeit
gegenüber den Älteren zeigen sollten. Solche Familienwerte, die auch heute in der
chinesischen Gesellschaft gültig sind, gehen auf die Lehre des Konfuzianismus
zurück, die seit dem dritten Jahrhundert v. Chr. die Leitprinzipien für die
Verhaltensweisen der Chinesen bestimmt hat. Im Konfuzianismus werden fünf
menschliche Beziehungen als relevant für die Gesellschaft angesehen: Regierender Regierte, Vater - Sohn, Ehemann - Ehefrau, älterer Bruder - jüngerer Bruder und
Freund – Freund. Davon gehören drei zu den Beziehungen unter den
Familienmitgliedern. In Ljì ( ⼐䆄 , „Buch der Riten“), einem der fünf klassischen
Werke des Konfuzianismus, wurden die drei Familienbeziehungen weiter erläutert:
Der Vater soll liebevoll zu seinem Sohn sein und der Sohn muss seinem Vater Pietät
und Gehorsamkeit zeigen. Der Ehemann soll treu zu seiner Frau sein und die Ehefrau
soll auf ihren Mann hören. Der ältere Bruder soll sich um seinen jüngeren kümmern
150
und der jüngere Bruder soll seinen älteren respektieren62. Darüber hinaus wurde im
„Buch der Riten“ die Reihenfolge der Lebensaufgaben eines Menschen festgestellt.
Er muss sich zuerst moralisch und charakterlich vervollständigen. Anschließend kann
er sich gut um seine Familie kümmern. Erst danach kann er ein Land regieren bzw.
der Welt Frieden bringen63 . Die Wichtigkeit der Familie lässt sich auch in vielen
chinesischen Wendungen erkennen, z.B. ᆊ ੠ ϛ џ ݈ (ji hé wànshì xng), was
bedeutet, dass die Harmonie in der Familie alles zum Aufschwung bringen soll; oder
ᆊϥϡৃ໪ᡀ (jich
u bù k wàiyáng): Die Familienschande darf man nicht in der
Öffentlichkeit erzählen oder häuslicher Streit gehört nicht auf die Straße.
In der modernen chinesischen Gesellschaft spielen die Familie oder die Großfamilie
immer noch eine sehr wichtige Rolle. Die Chinesen verbringen ihre Freizeit viel mit
den Familienmitgliedern oder den Verwandten, wenn sie nicht weit weg voneinander
wohnen. In der Großfamilie, die nicht nur Eltern und Kinder, sondern auch
Großeltern, Onkel, Tanten etc. umfasst, haben häufig der Großvater, der Vater oder
der älteste Bruder das Recht auf die letzte Entscheidung, wenn es um
Familienangelegenheiten geht. D.h., es sind meistens die älteren Männer, die die
Verantwortung und die Pflicht für die Organisation und Verwaltung der ganzen
Familie tragen. Mit der Durchführung der Ein-Kind-Politik hat sich die Größe der
chinesischen Familien von den 1970er Jahren an deutlich verringert. Nach einer
statistischen Untersuchung besteht ein Haushalt im Jahre 2005 in China
durchschnittlich aus 3,13 Personen, was einen deutlichen Rückgang von 4,4 Personen
per Haushalt im Jahre 1982 bzw. 3,96 im Jahre 1990 zeigt64. Die Verkleinerung der
Familie hat auch zu einer Veränderung der traditionellen Wertvorstellungen der
Menschen geführt. Früher hielt man z.B. eine große Kinderzahl für eine Art Reichtum
der Familie. Heute wollen die meisten jungen Ehepaare jedoch nur noch ein Kind,
obwohl sie nach der neuen Politik ein zweites Kind bekommen dürfen, wenn sie
beide keine Geschwister haben. Da es in China üblich bzw. nötig ist, dass beide
Elternteile arbeiten, tragen meistens die Großeltern, wenn sie dafür Zeit haben und
auch gesund sind, die Verantwortung, sich um die kleinen Enkelkinder zu kümmern,
die noch nicht zum Kindergarten oder zur Schule gehen.
62
Siehe Kapitel 9 - Lyùn („Durchführung der Riten“) in Ljì („Buch der Riten“). Der zitierte Text
wurde von der Verfasserin selber ins Deutsche übersetzt.
63
Siehe Kapitel 42 - Dàxué („Großes Lernen“) in Ljì („Buch der Riten“). Der zitierte Text wurde von
der Verfasserin selber ins Deutsche übersetzt.
64
Siehe die Webseite des Nationalen Statistischen Amtes der VR China: http://www.stats.gov.cn (12.
Oktober 2007).
151
Im Großen und Ganzen achten die Chinesen sehr auf die Stabilität und die
Entwicklung der Familie. Man sieht es meist als selbstverständlich an, in einem
bestimmten Alter seine eigene Familie zu gründen. Dabei gilt die Ehe als eine
allgemein akzeptierte und notwendige Voraussetzung für Familienbildung bzw.
Nachwuchszeugung, obwohl es in vielen Städten immer üblicher wird, dass die
jungen Leute für einige Zeit so zusammenleben, bevor sie in die Ehe eintreten.
Wie die Durchschnittszahl der Familiengröße zeigt, besteht ein chinesischer Haushalt
heute meistens aus drei Personen: Vater, Mutter und Kind. In manchen Fällen leben
die Großeltern mit der Kernfamilie zusammen. Insgesamt findet man heute drei
verschiedene Muster für die Familienzusammensetzung in China:
1) Verheiratete Eltern (oder ein Elternteil nach einer Scheidung oder dem Verlust
des Partners) + Kinder
2) Verheiratete Eltern (oder ein Elternteil nach einer Scheidung oder dem Verlust
des Partners) + Kinder + Großeltern
3) Ehepaare ohne Kinder
Es ist zu erkennen, dass die Ehe immer als eine notwendige Voraussetzung für die
Bildung einer Familie gilt, während Kinder für die chinesischen Familien nicht mehr
das Allerwichtigste darstellen, wie es in alten Zeiten galt.
6.1.2 Die abnehmende Sehnsucht nach der Familie in Deutschland
Der erste Eindruck der Verfasserin von der deutschen Familie war deren Vielfalt in
Formen und Strukturen. Anders als in China gilt die Ehe in Deutschland nicht mehr
als die unentbehrliche Voraussetzung für die Bildung einer Familie. Es sind ungefähr
fünf verschiedene Muster in der deutschen Familienstruktur zu unterscheiden:
1)
Verheiratete Eltern (oder ein Elternteil nach einer Scheidung oder dem Verlust
des Partners) + Kinder
2)
Ehepaare ohne Kinder
3)
Unverheiratete Eltern + Kinder
4)
Unverheiratet zusammenlebende Paare
5)
Singles mit oder ohne feste Partnerschaft
152
Es ist zu bemerken, dass die Varianten 3), 4) und 5) unter den relevanten chinesischen
Familienstrukturen nicht zu finden sind, obwohl sie als Übergangsformen zu dem
endgültigen Kernfamilienmuster in manchen chinesischen Städten gelegentlich
existieren. Die zunehmende Pluralität der Familienformen in Deutschland und in
anderen westeuropäischen Ländern zeigt sich seit den 80er Jahren des 20.
Jahrhunderts (Sieder 1998: 226). Davor haben andere Formen und Strukturen die
Familien stärker geprägt. Während im 19. bis Anfang des 20. Jahrhunderts die
Großfamilien, in denen mehrere Generationen zusammen unter einem Dach wohnten,
in der Gesellschaft eine wichtige Rolle spielten, entwickelten sich die Kleinfamilien,
die nur aus Vater, Mutter und deren Kindern bestehen, in den 50er bis 60er Jahren des
20. Jahrhunderts sehr schnell. Das geht vor allem auf die zunehmenden
Eheschließungen durch den wachsenden Wohlstand nach dem zweiten Weltkrieg und
die steigende Selbständigkeit der jungen Paare durch ihren sozialen und beruflichen
Aufstieg zurück. Trotz der getrennten Haushalte unterhielten die Kleinfamilien
sowohl in den Städten als auch auf dem Land meist regelmäßige Kontakte zu den
Großeltern (vgl. Sieder 1998: 224-225). Mit dem Wirtschaftsaufschwung in den 60er
bis 70er Jahren des 20. Jahrhunderts erhöhte sich nicht nur der Lebensstandard der
Menschen rapid, es ergaben sich auch viele neue Entwicklungen und Veränderungen
in den Kultur- und Bildungsbereichen. Mit der Tendenz, dass immer mehr Frauen
höhere Bildung und bessere Berufschancen erhielten, ging jetzt die Forderung nach
Gleichberechtigung der beiden Geschlechter einher (Strohmeier 1988). Die Anfang
der 70er Jahre fußfassende Neue Frauenbewegung forcierte die Debatten um die
Chancenerhöhung der Frauen in Ausbildung und Beruf, um Empfängnisverhütung
und Scheidungsrecht, die Rechtsstellung des unehelichen Kindes und die Strafbarkeit
des Abbruchs von Schwangerschaften. Hatte es zuvor als normal und erstrebenswert
gegolten, dass verheiratete Frauen mit der Geburt ihrer Kinder ihre Erwerbsarbeit
aufgaben, begannen sich nun besser ausgebildete und bezahlte Frauen ebenso wie die
Männer auf eine Erwerbsarbeit bis hin zum Ruhestand einzustellen (Sieder 1998: 227,
229). In den letzten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts veränderte sich die Familie
in Deutschland von einer notwendigen Institution im Leben der Menschen zu einer
Wahl nach individueller Entscheidung. Besonders unter den Menschen mit relativ
hohem Bildungsniveau und sozialem Status scheint die Attraktivität der klassischen
Familienform nachgelassen zu haben (Strohmeier 1988).
153
Die statistischen Untersuchungen zeigen, dass die Haushaltsgröße in Deutschland in
den letzten Jahrzehnten eine deutliche Schrumpfungstendenz aufweist. Während in
den 50er Jahren jeder deutsche Haushalt durchschnittlich aus 3 Personen bestand, lag
diese Zahl 1990 bei 2,3 und 2003 bei 2,165. Mit der steigenden Scheidungsrate und
der sinkenden Heiratsziffer lebt heute fast jedes dritte Kind nicht in einer klassischen
Familie, sondern stattdessen ohne Vater (15 Prozent), ohne Mutter (2 Prozent), bei
unverheirateten Eltern (6 Prozent) oder in einer neuen Familie, im so genannten
Patchwork - Modell (9 Prozent) (Andresen et al. 2007). Darüber hinaus ist zu
beobachten, dass mit der Verringerung der klassischen Familien die Zahl der
Einpersonhaushalte eine schnell zunehmende Tendenz aufweist. Bis 2005 betrugen
diese schon über ein Drittel aller Haushalte in Deutschland66.
6.1.3 Vergleich der chinesischen und der deutschen Familienstrukturen
Wenn man die aktuellen Familienstrukturen in China und in Deutschland vergleicht,
kann man einige große Unterschiede zwischen beiden feststellten.
1.
Während die Kernfamilie mit Vater, Mutter mit/ohne deren Kind(ern) als die
einheitliche Familienstruktur in China gilt, zeigt die Haushaltszusammensetzung
in Deutschland eine Vielfalt aus Kernfamilien, Patchwork - Modellen, Singles
mit oder ohne feste Partnerschaft usw.
2.
In China spielt die Großfamilie sowohl auf dem Land als auch in den Städten
eine gewisse Rolle im Leben der Menschen. Bei der Organisation und
Verwaltung der Familie haben meistens die älteren Männer vor allen anderen
Angehörigen das Recht auf die letzte Entscheidung. Im Vergleich dazu ist die
Funktion der Großfamilie in Deutschland nicht so ausgeprägt wie in China,
obwohl die Verwandten sich auch gegenseitig Hilfe und Unterstützung anbieten.
3.
Die Eheschließung gilt in China als eine notwendige Voraussetzung für
Familiengründung bzw. Nachwuchszeugung, obwohl es heute in den Städten
immer mehr Paare gibt, die eine voreheliche zusammenlebende Beziehung
ausprobieren. Im Vergleich dazu hat die Funktion der Eheschließung bei der
65
Siehe die Webseite des Statistischen Bundesamtes Deutschlands: http://www.destatis.de (13.Oktober
2007).
66
Siehe die Webseite des Statistischen Bundesamtes Deutschlands: http://www.destatis.de (13.Oktober
2007)
154
Familienbildung in Deutschland in den letzten Jahrzehnten deutlich nachgelassen.
Statt eines notwendigen Schrittes im Leben eines Menschen ist Eheschließung
heute mehr eine individuelle Wahl geworden.
Wenn man auf die Geschichte der Familienformenentwicklung in Deutschland
zurückblickt, kann man sehen, dass die Kernfamilie in den 50er bis 60er Jahren des
20. Jahrhunderts eine absolut dominierende Rolle in der Gesellschaft spielte, was
auch heute noch der Fall in China ist. Kann man vor diesem Hintergrund sagen, dass
die aktuelle Pluralität der Haushaltsformen im Westen die Entwicklungstendenz der
chinesischen Familien in der Zukunft sei? Wegen beschränkter Materialien und
mangelnder empirischer Untersuchungen ist es hier schwierig, diese These
aufzustellen bzw. zu erläutern. Dafür müsste eine Reihe umfangreicher Studien über
die Geschichte und die Entwicklung der Familienformen in China durchgeführt
werden.
Nach einer Vorstellung der Familienformen und –werte in China bzw. in Deutschland
wird im nächsten Teil mit der ausführlichen Witzanalyse und dem –vergleich
begonnen. Es wird zuerst die Auswahl der Beispiele für dieses Kapitel dargestellt.
6.2 Korpusauswahl in diesem Kapitel
Für die Untersuchung der Familienwitze wurden insgesamt 302 deutsche bzw. 310
chinesische Beispiele von vier Webseiten und zwei neu veröffentlichten Witzbüchern
ausgewählt, die bereits in Kapitel 1 vorgestellt wurden.
Bei der Suche nach den richtigen Beispielen stellte sich heraus, dass nicht alle
Einträge unter dem Stichwort der Familienmitglieder (z.B. Vater, Sohn,
Schwiegermutter) zu der Kategorie der Familienwitze gehören. Denn das
entscheidende Merkmal für diese Kategorie besteht darin, dass eine spezielle
Eigenschaft der Familienmitglieder oder ihrer Beziehungen untereinander im
Witztext behandelt werden muss. Das Fehlen dieser Eigenschaft führt dazu, dass der
Sinn des Witzes teils oder ganz verloren geht. Nur wenn diese Voraussetzung in
einem Witztext erfüllt wird, gilt er als ein Familienwitz. In Witz (2) wird zwar das
Familienmitglied Vater erwähnt, der Text gilt aber nicht als ein Familienwitz.
155
(2) Drei Jungs streiten sich, wer den schnellsten Vater hat.
Sagt der erste: „Mein Vater ist Rennfahrer, der fährt mit seinem Rennwagen 200
km pro Stunde!“
Sagt der zweite: „Das ist ja gar nichts, meiner ist Düsenjägerpilot, der fliegt mit
doppelter Schallgeschwindigkeit durch die Gegend!“
Der dritte steht leicht verstört in der Ecke.
Da fragen die beiden anderen: „Und, was ist mit deinem Vater?“
Sagt er: „Ach wisst ihr, ich verstehe es auch nicht so richtig, wie er das mit
unserem Kleinwagen hinkriegt. Mein Vater ist Beamter. Er hat um vier
Feierabend und ist um zwei schon zu Hause.“
(http://www.witzdestages.net)
Witz (2) wird in der Form des Dreier-Modells dargestellt, in dem drei Väter bzgl.
ihrer Schnelligkeit verglichen werden. Die ersten beiden, die jeweils Rennfahrer bzw.
Pilot sind, werden von den Jungen mit der Angabe der Geschwindigkeit als schnell
bezeichnet,
was
nach
dem
Hintergrundwissen
des
Lesers/Hörers
auch
nachvollziehbar ist. Da der zweite Vater, der mit einem Düsenjäger fliegt, sich
schneller als der erste, der Rennfahrer erweist, erwartet man, dass der dritte noch
schneller als die beiden ersten sei. Zunächst scheint dieser wirklich schneller als der
Rennfahrer und der Pilot zu sein, denn er braucht keine Zeit (bzw. eine negative Zeit
von -2 Stunden) für die Fahrt nach Hause. Aber wenn man genau überlegt, liegt das
nicht an der Schnelligkeit des dritten Vaters, sondern an dessen Faulheit bei der
Arbeit: Er geht schon vor dem Feierabend nach Hause. Bei dem letzten Vater entsteht
die Pointe dadurch, dass die Schnelligkeit ganz anders verstanden wird. Deshalb ist
der dritte Vater die Zielscheibe in Witz (2). Obwohl er als ein Familienangehöriger
präsentiert wird, kann man sehen, dass es nicht um die Eigenschaft eines Vaters im
Familienzusammenhang geht, wie z.B. bei Dummheit gegenüber seinem Sohn,
sondern dass es sich in diesem Witz um die Eigenschaft der Mitglieder einer
Berufsbranche handelt, und zwar die Faulheit der Beamten. Deshalb ist (2) kein
Familienwitz, sondern ein Beispiel für Berufswitze.
Nachdem das Auswahlkriterium für die Beispielsammlung kurz vorgestellt wurde,
gehen wir im nächsten Kapitel auf den ersten Aspekt der Analyse ein – die
Zielscheibe in den deutschen und den chinesischen Familienwitzen.
156
6.3 Die Zielscheiben
6.3.1 Überblick über die Zielscheiben in den Familienwitzen
Die Zielscheibe in den Familienwitzen kann entweder ein Familienmitglied oder eine
Beziehung zwischen zwei von ihnen sein. Nach der Untersuchung sind insgesamt 17
verschiedene Zielscheiben in den deutschen und den chinesischen Familienwitzen zu
unterscheiden. Sie sind: Ehemann, Ehefrau, Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Großvater,
Großmutter, Enkelkind, Schwiegermutter – Schwiegersohn, Schwiegervater –
Schwiegersohn,
Schwiegermutter
–
Schwiegertochter,
Schwiegervater
–
Schwiegertochter, Geschwister, Tante, Onkel und Familie.
Diese 17 Zielscheiben lassen sich als acht Felder der Familienbeziehungen
klassifizieren, die wie folgt dargestellt werden:
1. Ehemann – Ehefrau
2. Eltern – Kinder: Vater, Mutter, Sohn, Tochter
3. Großeltern – Enkel: Opa, Oma, Enkelkinder
4.
Schwiegereltern
Schwiegervater
–
–
Schwiegerkinder:
Schwiegersohn,
Schwiegermutter
Schwiegermutter
–
–
Schwiegersohn,
Schwiegertochter,
Schwiegervater – Schwiegertochter
5. Geschwister: älterer Bruder, Schwager, Schwägerin
6. Tante
7. Onkel
8. Familie67
6.3.2 Zielscheiben in den deutschen Familienwitzen
In den 302 deutschen Familienwitzen geht es insgesamt um 15 Zielscheiben. Dabei
werden die Mitglieder aus den Beziehungsfeldern Ehemann – Ehefrau bzw. Eltern –
Kinder, die die so genannte Kernfamilie bilden 68 , viel häufiger als die anderen
Zielscheiben dargestellt. In der Tabelle (13) findet man eine genaue Verteilung der
verschiedenen Zielscheiben in den deutschen Familienwitzen.
67
Witze mit der Familie als Zielscheibe sind die, in denen die Eigenschaften von mehreren
Familienmitgliedern oder deren Beziehungen behandelt werden.
68
Kernfamilie wird als eine Gemeinschaft von Eltern und ihren noch minderjährigen sowie
ökonomisch unselbständigen Kindern definiert (König 1978).
157
Beziehungsfeld
Ehemann-Ehefrau
Eltern-Kinder
Großeltern-Enkel
Anteil
39%
37%
9%
Schwiegereltern-
Zielscheibe
Ehemann
20%
Ehefrau
17%
Ehemann-Ehefrau
2%
Vater
15%
Mutter
6%
Sohn
12%
Tochter
4%
Opa
4%
Oma
2%
Enkelkinder
3%
SchwiegermutterSchwiegersohn
8%
SchwiegervaterSchwiegersohn
2%
Schwiegerkinder
11%
Anteil
Schwiegervater-
Sonstiges
4%
Schwiegertochter
Tante
1%
Onkel
1%
Familie
1%
2%
Tabelle 13: Zielscheiben in den deutschen Familienwitzen
Wenn es um das Beziehungsfeld Eltern – Kinder geht, ist zu bemerken, dass Vater
und Sohn häufiger als Mutter und Tochter präsentiert werden. D.h., die männlichen
Mitglieder treten häufiger als die weiblichen im Familienwitz auf. Wir vertreten die
Ansicht, dass, je wichtiger ein Mitglied im realen Familienzusammenhang ist, desto
mehr wird es im Witz dargestellt. Deshalb könnte das häufige Auftreten von Vater
und Sohn im Familienwitz ein Zeichen dafür sein, dass trotz der Frauenbewegung im
20. Jahrhundert Männer immer noch eine wichtigere Rolle als Frauen in der Familie
spielen.
Zum Beziehungsfeld Schwiegereltern – Schwiegerkinder wird die Relation zwischen
der Schwiegermutter und dem Schwiegersohn unter allen am häufigsten dargestellt.
Diese Beziehung versteht sich vor allem als ein Konflikt zwischen den beiden. In der
europäischen Kultur leben die jungen Ehepaare meistens selbständig, was teilweise
auf die Tradition zurückgeht, dass die Erlaubnis zur Heirat für die Männer, die einen
relativ hohen sozialen Status besaßen, wie etwa Beamte und Offiziere, bis in das
letzte Drittel des 19. Jahrhunderts an den Nachweis eines „ausreichenden
Nahrungstandes“ gebunden war. Aus diesem Grund heirateten viele von ihnen erst
158
dann, wenn sie eine gute finanzielle Grundlage gelegt oder eine stabile berufliche
Position erreicht hatten (Gestrich 1999: 29-30). Trotz der ökonomischen
Selbständigkeit benötigten die jungen Paare gelegentlich Hilfe von ihren Eltern. Den
soziologischen Untersuchungen zufolge helfen ihnen die Großeltern mütterlicherseits
(besonders die Großmutter) mehr als die väterlicherseits, wenn das Alter und die
Wohnortdistanz der beiden Großelternpaare nicht sehr unterschiedlich sind (Euler
2002). Der häufige Besuch der Mutter der Ehefrau konnte das Leben des jungen
Ehepaars und besonders den Schwiegersohn stören, denn die Beziehung zwischen der
Mutter und ihrer eigenen Tochter bleibt meistens eng und fest (vgl. Euler 2002). Aus
diesem Grund ist ein Konflikt zwischen der Schwiegermutter und dem
Schwiegersohn oft unvermeidlich.
Fasst man die Zielscheiben in den deutschen Familienwitzen zusammen, kann man
sehen, dass die Mitglieder aus der Kernfamilie unter allen am häufigsten behandelt
werden. Bei dem Beziehungsfeld Eltern – Kinder kommen die männlichen
Angehörigen häufiger als die weiblichen vor. Darüber hinaus spielt die Relation
zwischen Schwiegermutter und Schwiegersohn die dominierende Rolle unter allen
Beziehungen zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern.
6.3.3 Zielscheiben in den chinesischen Familienwitzen
In den 310 chinesischen Familienwitzen geht es insgesamt um 15 Zielscheiben. Wie
im Deutschen werden hier auch die Mitglieder, die zur Kernfamilie gehören, am
meisten dargestellt. Tabelle (14) zeigt die im Chinesischen behandelten Zielscheiben
und ihre Verteilung über alle Beispiele.
Beziehungsfeld
Ehemann-Ehefrau
Eltern-Kinder
Großeltern-Enkel
Anteil
33%
51%
6%
Zielscheibe
Anteil
Ehemann
18%
Ehefrau
13%
Ehemann-Ehefrau
2%
Vater
23%
Mutter
5%
Sohn
16%
Tochter
7%
Opa
1%
Oma
4%
Enkelkinder
1%
159
Schwiegermutter
Schwiegereltern-
- Schwiegersohn
1,7%
Schwiegerkinder
SchwiegervaterSchwiegersohn
0,3%
7%
Schwiegermutter-
Sonstiges
3%
Schwiegertochter
Schwiegervater-
2%
Schwiegertochter
Geschwister
3%
Familie
1%
2%
Tabelle 14: Zielscheiben in den chinesischen Familienwitzen
In dem Beziehungsfeld Eltern – Kinder kommen Vater und Sohn häufiger als Mutter
und Tochter vor. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass die männlichen Mitglieder
in chinesischen Familien auch eine wichtigere Rolle als die weiblichen spielen.
Wenn es um das Feld Schwiegereltern – Schwiegerkinder geht, kann man sehen, dass
alle vier möglichen Beziehungen im Witz als Zielscheibe dargestellt werden. Dabei
beschäftigen sich mehr Beispiele mit den Relationen zwischen Schwiegertochter und
ihren Schwiegereltern als zwischen Schwiegersohn und seinen Schwiegereltern. Das
geht auf die alte chinesische Tradition zurück, dass die jungen Ehepaare nach der
Heirat meist zuerst bei den Eltern des Ehemanns wohnten. Die Braut heiratete
sozusagen als ein neues Mitglied in die Familie des Bräutigams ein (Cohen 2005).
Das Zusammenleben der jungen Paare mit den Eltern des Ehemanns führt häufig zu
einer Reihe von Problemen, denn sie gehören zu zwei verschiedenen Generationen,
die meistens unterschiedliche Lebensgewohnheiten und Vorstellungen haben.
Trotzdem zeigt sich die Beziehung zwischen den Eltern und ihrem Sohn als
harmonisch, denn die genetische Nähe bringt die beiden Seiten leicht zusammen.
Aber die Schwiegertochter muss sich an eine neue Familienumgebung anpassen und
wird dabei mit vielen Problemen konfrontiert.
Fasst man die Untersuchung zu den Zielscheiben in den chinesischen Familienwitzen
zusammen, kann man sehen, dass sich die Mehrheit der Witze im Korpus wie im
Deutschen ebenfalls mit den Angehörigen der Kernfamilie beschäftigt. Entsprechend
geht es im Feld Eltern – Kinder häufiger um Vater und Sohn als um Mutter und
Tochter. Wenn es um die Beziehungen Schwiegereltern – Schwiegerkinder geht,
werden die Relationen zwischen der Schwiegertochter und ihren Schwiegereltern
häufiger als die zwischen dem Schwiegersohn und seinen Schwiegereltern behandelt.
160
6.3.4 Vergleich
Wenn man die Zielscheiben in den deutschen und den chinesischen Familienwitzen
vergleicht, kann man sehen, dass alle vier Beziehungsfelder, Ehemann – Ehefrau,
Eltern – Kinder, Großeltern – Enkel und Schwiegereltern – Schwiegerkinder in den
beiden Kulturen als Zielscheiben dargestellt werden. Davon werden die Mitglieder
aus der Kernfamilie, die vor allem Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Ehemann und
Ehefrau umfassen, in den beiden Sprachen viel häufiger behandelt als die anderen
Familienangehörigen. Darüber hinaus kommen in dem Beziehungsfeld Eltern –
Kinder Vater und Sohn häufiger als Mutter und Tochter vor.
Ein beträchtlicher Unterschied zwischen den Zielscheiben in den deutschen und den
chinesischen
Familienwitzen
besteht
vor
allem
in
dem
Beziehungsfeld
Schwiegereltern – Schwiegerkinder. Während die Relation Schwiegersohn –
Schwiegermutter im Deutschen unter allen Zielscheiben aus diesem Feld am
häufigsten dargestellt wird, liegt der Fokus des Konflikts im Chinesischen auf den
Beziehungen zwischen der Schwiegertochter und ihren Schwiegereltern.
6.4 Die Eigenschaften der Zielscheiben
6.4.1 Eigenschaften der Zielscheiben in den deutschen Familienwitzen
Die Untersuchung zeigt, dass die relevanten Skripten in den deutschen
Familienwitzen vor allem der Beziehungskonflikt und die Dummheit sind. Damit
beschäftigt sich die absolute Mehrheit der gesammelten Witzbeispiele. Der
Beziehungskonflikt lässt sich weiter in drei Unterkategorien einteilen: 1. Die Autorität
in den Relationen Ehemann – Ehefrau, Eltern – Kinder bzw. Großeltern – Enkel; 2.
die Untreue zwischen Ehemann und Ehefrau; 3. die Spannung zwischen
Schwiegereltern und Schwiegerkindern. Das andere relativ häufig auftretende Skript
Dummheit bezieht sich im Witz auf fast alle Zielscheiben, wie Ehemann, Ehefrau,
Vater, Mutter, Kinder, Schwiegersohn usw. Außerdem geht es in einigen Witzen um
die Skripte Geiz und Sex, die jeweils Vater und Ehemann bzw. Opa und Oma
zugeschrieben werden. In der Tabelle (15) werden alle Skripten mit den in ihnen
vertretenden Zielscheiben in den deutschen Familienwitzen zusammengestellt.
161
Zielscheiben
Beziehungskonflikt
Dummheit
Geiz
Sex
(60%)
(33%)
(3%)
(4%)
Autorität
Untreue
Spannung
(28%)
(20%)
(12%)
Ehemann-
Ehemann-
Ehemann-
Ehemann,
Ehefrau
Ehefrau
Ehefrau
Ehefrau
Eltern-Kinder
Vater-Kinder
Vater,
Mutter,
Kinder
Mutter-Kinder
Großeltern-
Großeltern-
Enkel
Enkel
69
Ehemann
Vater
Enkel
S/eltern -
S/mutter-
S/kinder
S/sohn
Tante
Tante-
Opa,
Oma
S/sohn
Familie
Onkel
OnkelFamilie
Familie
Familie
Familie
Tabelle 15: Eigenschaften der Zielscheiben in den deutschen Familienwitzen
Das Skript Autorität, das in knapp ein Drittel der deutschen Witze vorkommt, befasst
sich vor allem mit den Beziehungen Ehemann – Ehefrau, Eltern – Kinder und
Großeltern – Enkel. Dem Hintergrundwissen des Lesers/Hörers entsprechend sind die
Familienmitglieder Ehemann, Eltern und Großeltern in der Realität meistens stärker,
klüger oder haben mehr Erfahrungen als Ehefrau, Kinder bzw. Enkel, während im
Witz
genau
das
Gegenteil
dargestellt
wird,
indem
die
letzteren
drei
Familienangehörigen gegenüber den ersteren überlegen sind und in den
entsprechenden Beziehungen mehr Autorität haben. Durch das Umdrehen der als
Standard gespeicherten Ordnungen in den oben erwähnten Familienbeziehungen wird
der Humoreffekt der Witze in dieser Kategorie hergestellt. Witz (3) ist ein Beispiel
für das Autorität-Skript.
69
Wegen räumlicher Beschränkungen werden die Schwiegereltern, die Schwiegerkinder und alle
anderen Familienmitglieder mit dem Bestandteil Schwieger- in der Tabelle als S/eltern, S/kinder usw.
abgekürzt.
162
(3) Fritzchen kommt nach Hause.
Der Vater fragt: „Na, was hast du in der Mathearbeit?“
„Eine zwei.“
Der Vater: „Guck mal, das ist eine Lügenmumie! Wenn jemand lügt, dann
wackelt sie. Also was hast du wirklich?“
Da sagt Fritzchen: „Eine drei!“ Da wackelt die Mumie immer noch. „Ja OK. Ne
fünf.“ Da bleibt die Mumie stehen.
Vater: „Als ich in deinem Alter war, hatte ich nur einsen.“ Da kippt die Mumie
um.
(http://www.witzdestages.net)
In (3) geht es um die Sohn-Vater-Beziehung, die nach den psychoanalytischen
Studien durch Komplexität und Widersprüchlichkeit charakterisiert ist. Dabei spielt
der
Vater
einerseits
eine
einschränkende
und
strafende
Rolle;
seine
Vergeltungsdrohung bringt den kleinen Jungen dazu, sein Rivalitätsstreben ebenso
aufzugeben wie seine vatermörderischen und inzestuösen Absichten. Andererseits
weckt der typische Vater auch die Selbstbehauptung seines kleinen Sohns. Dass der
Sohn ihm nacheifert, erfüllt den Vater ebenso mit Stolz und Freude wie der phallische,
narzisstische und exhibitionistische Überschwang des Kleinkindes (Freud, zitiert nach
Blos 1990: 22). Kurz gesagt, sind Vater und Sohn sowohl Kontrollierender und
Kontrollierter als auch Freunde, die sich seelisch unterstützen und anerkennen,
besonders wenn der Sohn erwachsen wird.
In Witz (3) will der Vater seinem kleinen Sohn mit einer Lügenmumie erklären, dass
er immer die Wahrheit sagen muss. Dabei spielt der Vater die Rolle eines Erziehers,
der gegenüber seinem Sohn mehr Autorität und Macht hat, was auch identisch mit
dem Hintergrundwissen des Lesers/Hörers ist. In der Pointe wird jedoch die
Geschichte umgedreht, indem der Vater selbst lügt, obwohl er eben seinem Sohn dies
verboten hat. Dadurch verliert der Vater seine autoritative Position und zeigt sich dem
Sohn gegenüber unterlegen, weil die Mumie nicht nur wackelt, sondern ganz
umgekippt ist, was darauf hinweist, dass der Vater eine größere Lüge als sein Sohn
geäußert hat.
Das Skript Untreue findet man vor allem in den Witzen über die Beziehung Ehemann
- Ehefrau. In Kapitel 6.1 haben wir den aktuellen Stand und die Zusammensetzung
der
Familien
in
Deutschland
diskutiert.
163
Dabei
wurden
die
steigenden
Scheidungszahlen erwähnt, die einerseits mit der zunehmenden Selbständigkeit der
Frauen in den letzten Jahrzehnten zusammenhängen, andererseits an den erhöhten
Ansprüchen der Menschen an das Ehe- und Familienleben liegen (Sieder 1998: 230).
Von der Untreue der Eheleute und der Instabilität des Familienlebens handeln
ebenfalls viele Witze, die gewissermaßen einen Spiegel des realen Lebens darstellen.
Der folgende (4) stellt ein Beispiel für die Witze über Untreue dar.
(4) Die Kollegen Lehmann und Krause verlassen gemeinsam das Büro. Am Ausgang
zieht Lehmann den Krause blitzartig zurück.
„Mensch, was ist denn los?“ fragt der erschreckt.
„Da drüben steht meine Frau und spricht mit meiner Geliebten!“ zischt Lehmann
aufgeregt.
„Nein, du irrst dich“, erwidert Krause. „Da drüben steht meine Frau und spricht
mit meiner Geliebten!“
(Die besten Witze von A-Z, 2003)
In (4) werden zuerst die beiden Figuren und die Situation angegeben: Lehmann und
Krause machen Feierabend und verlassen gemeinsam das Büro. Wenn man den Witz
bis „zischt Lehmann aufgeregt“ liest, denkt man, dass der eine seine Frau betrügt und
eine außereheliche Beziehung hat. Mit großer Spannung erwartet der Leser/Hörer die
Reaktion des anderen Mannes. Dabei denkt man, dass Krause entweder sehr
überrascht ist und nichts dazu äußert, oder seinen Kollegen auf die Wichtigkeit der
Familienstabilität anspricht. Das reale Geschehen zeigt sich jedoch am Textende als
das genaue Gegenteil zur Erwartung des Lesers/Hörers. Auch Krause betrügt seine
Frau, indem er eine außereheliche Beziehung zur Frau seines Kollegen Lehmann
eingegangen ist. Dieser befindet sich wiederum in einer intimen Beziehung mit
Krauses Frau. Die beiden Kollegen betrügen also nicht nur ihre Frauen, sondern auch
sich selber gegenseitig.
Das Skript Spannung/Angespanntheit wird in den Witzen über die Beziehungen
Schwiegermutter – Schwiegersohn, Tante – Familie und Onkel – Familie benutzt.
Dabei geht es vor allem um die Unbeliebtheit der Schwiegermutter bei ihrem
Schwiegersohn oder die Distanz zwischen Tante oder Onkel auf der einen Seite und
der Kernfamilie auf der anderen Seite. Der oben analysierte Witz (1), in dem sich der
Schwiegersohn gleich nach der Ankunft seiner zu Besuch gekommenen
164
Schwiegermutter gestört fühlt, ist ein Beispiel für diese Kategorie. Der Grund für die
angespannte Beziehung zwischen den beiden wurde oben bei der Analyse von (1)
erläutert. Die Spannung zwischen Tante/Onkel und der Kernfamilie liegt vor allem an
der marginalen Position der ersteren im ganzen Familiennetzwerk. Sie gehören nicht
zu der Kernfamilie, deshalb werden sie meistens als Außenseiter betrachtet, die
gelegentlich von außen ihre Funktion ausüben (Kreissl 1999: 10). Im deutschen
Korpus beschäftigen sich nur wenige Witze mit den Zielscheiben Tante und Onkel,
denen meistens in einer kindlichen Wahrnehmung klischeehafte Eigenschaften
zugeschrieben werden. Z.B. sieht die Tante entweder hässlich aus oder ist
geschmacklos gekleidet. Sie kommt immer zu Besuch und geht einem auf die Nerven.
Der Onkel spielt die Rolle, dass er entweder von den Verwandten lebt oder keinen
Kontakt zu ihnen haben will.
Das Skript Dummheit, das in einem Drittel der gesammelten deutschen Witze
verwendet wird, tritt bei fast allen Zielscheiben auf. Dabei wird der Vater im Witz als
dumm bezeichnet, weil er häufig keine Antwort auf die Fragen seiner Kinder kennt,
z.B. wovon Fische leben, was ein Vakuum ist, wo Afrika liegt etc. Die Dummheit der
Kinder wird im Witz vor allem durch ihre fehlenden Kenntnisse über Geburt, Altern,
Sterben, Heiraten usw. dargestellt. Z.B. wünscht der kleine Junge, dass seine Mutter
für ihn einen Dackel oder ein Pony gebären sollte. Oder die kleine Tochter wundert
sich, dass ihr Vater schimmelt, wenn sie graue Haare auf seinem Kopf entdeckt. Der
Witz handelt z.B. von einem fünfjährigen Sohn, der ungeduldig seine Mutter fragt,
wie lange sie noch mit Vater verheiratet sein muss, oder eine Enkelin wünscht sich
von ihrer Oma zum Geburtstag die Pille, weil sie schon vier Puppen hat und keine
mehr bekommen will.
Die Vertreter für die Eigenschaft Geiz sind vor allem Ehemann und Vater, die
meistens auch die Versorger für die ganze Familie darstellen. Man erwartet, dass sie
beim Essen in Restaurants oder beim Schenken zum Geburtstag großzügig sind. Im
Witz sind sie aber meistens geizig, was genau das Gegenteil zur Erwartung des
Lesers/Hörers darstellt. Witz (5) ist ein Beispiel für diese Kategorie.
(5)
Stefan zu seinem alten Freund Andreas:
„Was wünscht sich deine Frau denn zum Geburtstag?“
„Einen Pelzmantel oder ein Auto.“
„Und was gibt es dieses Jahr?“
165
„Einen Pelzmantel. Oder weißt du jemand, der falsche Autos verkauft?“
(Das extra dicke Witzbuch, 2005)
Wenn man den Witz bis „was gibt es dieses Jahr? Einen Pelzmantel“ liest, dann denkt
man, dass Andreas als Ehemann sehr großzügig ist, denn er schenkt seiner Frau zum
Geburtstag etwas Wertvolles. Diese Interpretation wird im letzten Satz – der Pointe
des Witzes – zu einer anderen gewechselt, indem das Wort „falsch“ eingeführt wird.
Damit wird ein zweites Skript ausgelöst, nämlich dass Andreas für seine Frau einen
Mantel mit Pelzimitat ausgesucht hat, der also nicht wertvoll ist. Die erwartete
Großzügigkeit des Ehemanns wird in das Gegenteil, Geiz, verkehrt.
Das Skript Sex findet man vor allem in den Witzen über Großeltern, die nach dem
allgemeinen Glauben oder einem Vorurteil im Alter weniger Interesse an
Partnerschaft und Sexualität hätten70 . Im Witz geht es aber um das Gegenteil des
allgemeinen Glaubens, und zwar das große Interesse von Opa oder Oma an Sexualität.
Witz (6) ist ein Beispiel dafür.
(6) „Opa, was hättest du denn lieber: ein hübsches Mädchen oder ein Sahnebonbon?“
„Dumme Frage! Du weißt doch, dass ich keine Zähne mehr habe!“
(http://www.dein-witz.de)
Der Opa hätte lieber ein hübsches Mädchen, aber er findet es peinlich, das direkt zu
sagen, deshalb macht er den Enkel darauf aufmerksam, dass er keine Zähne mehr hat
und deshalb kein Sahnebonbon mehr essen kann. Dann bleibt ihm nur die Wahl, das
hübsche Mädchen zu wählen.
6.4.2 Eigenschaften
Familienwitzen
der
Zielscheiben
in
den
chinesischen
Die Untersuchung zeigt, dass ähnlich wie im Deutschen der Beziehungskonflikt und
die Dummheit in den chinesischen Familienwitzen die beiden relevanten Skripten
darstellen. Damit beschäftigt sich die absolute Mehrheit aller gesammelten
chinesischen Beispiele. Darüber hinaus lässt sich das Skript Beziehungskonflikt
ebenfalls weiter in drei verschiedene Kategorien unterteilen: 1. die Autorität in den
70
Die psychologischen Untersuchungen zeigten aber, dass der Wunsch nach Sexualität bei Männern
erst ab 75 und bei Frauen erst ab 65 abfällt (Bucher et al. 2001).
166
Beziehungen Ehemann – Ehefrau, Eltern – Kinder und Großeltern – Enkel, 2. die
Untreue zwischen dem Ehemann und der Ehefrau, 3. die Spannung in den Relationen
Eltern – Kinder, Schwiegermutter – Schwiegertochter und Schwägerin – Schwägerin
(meistens Ehefrau – Schwester des Ehemanns). Das Skript Dummheit beschäftigt sich
mit fast allen Familienmitgliedern, z.B. Ehemann, Ehefrau, Vater, Mutter, Kinder,
Großeltern, Enkel, Schwiegersohn und dem älteren Bruder. Neben den beiden
relevanten Skripten kommen auch noch Geiz und Sex in den restlichen Witzbeispielen
vor. Die Vertreter für Geiz sind vor allem die Familienmitglieder Vater und Ehemann.
Das Skript Sex wird meist in den Witzen über die Beziehung Schwiegervater –
Schwiegertochter verwendet. In Tabelle (16) werden alle Eigenschaften der
Zielscheiben in den chinesischen Familienwitzen zusammengestellt.
Zielscheiben
Beziehungskonflikt
Dummheit
Geiz
Sex
(46%)
(45%)
(6%)
(3%)
Autorität
Untreue
Spannung
(36%)
(6%)
(4%)
Ehemann-
Ehemann-
Ehemann-
Ehemann,
Ehefrau
Ehefrau
Ehefrau
Ehefrau
Eltern-Kinder
Vater-Kinder
Eltern-
Mutter-Kinder
Kinder
Vater,
Mutter,
Kinder
Großeltern-
Großeltern-
Opa, Oma,
Enkel
Enkel
Enkel
S/eltern-
S/mutter-
S/kinder
S/tochter
Geschwister
SchwägerinSchwägerin
Familie
Familie
Ehemann
Vater
S/sohn
S/vaterS/tochter
älterer
Bruder
Familie
Tabelle 16: Eigenschaften der Zielscheiben in den chinesischen Familienwitzen
Das Skript Autorität betrifft über ein Drittel aller chinesischen Beispiele. In den
Beziehungen Ehemann – Ehefrau, Eltern – Kinder bzw. Großeltern – Enkel treten der
Ehemann, die Eltern und die Großeltern im Witz meistens als diejenigen auf, die
keine Autorität haben, während die Ehefrau, die Kinder und Enkel häufig die
stärkeren und klügeren Rollen spielen. Der Humoreffekt der Witze in dieser
Kategorie ergibt sich durch das Umdrehen der Werte und Ordnungen in den
167
Familienbeziehungen. Deshalb kann man auf Grund der Verhältnisse zwischen den
Familienangehörigen im Witz eine Einsicht gewinnen, wie die Beziehungen zwischen
ihnen nach den sozialen und kulturellen Kenntnissen sein sollten. In Bezug auf die
Autoritätspositionen lässt sich aus den Witzen schließen, dass der Ehemann, die
Eltern (besonders der Vater) und die Großeltern in der chinesischen Kultur meist die
führende Rolle in der Familie spielen. In den Analekten des Konfuzius 71 wird die
Beziehung zwischen Vater und Sohn wie folgt dargestellt, dass der Vater sich wie ein
Vater und der Sohn sich wie ein Sohn benehmen soll (Kapitel 12, Vers 11). Der Vater
soll die führende und autoritative Rolle spielen, während der Sohn seinen Vater
respektieren und verehren muss. In der späteren Entwicklung des Konfuzianismus hat
der Philosoph Dong Zhongshu (179-104 v. Chr.) aus der Han-Dynastie diese
Familienordnung
ebenfalls
betont.
Dabei
stellte
er
die
bekannten
„Drei
Hauptleitlinien“, die sich in der chinesischen Gesellschaft der nachfolgenden ca. 2000
Jahre als Grundprinzipien durchsetzten: Der Herrscher leitet die Untergegebenen, der
Vater leitet den Sohn und der Ehemann leitet die Ehefrau.
Im Vergleich zu Autorität wird das Skript Untreue in den chinesischen Witzen viel
weniger präsentiert. Das liegt wohl daran, dass Probleme in der Ehe und die
Instabilität der Familie erst seit einigen Jahren in China wahrgenommen und
öffentlich diskutiert werden. Im chinesischen Kaiserreich, das bis Anfang des 20.
Jahrhunderts dauerte, wurde die Eheschließung eher von zwei Familien vereinbart als
von zwei Individuen. Väter suchten die beste Partie für ihre Kinder, die sich bis zur
Hochzeit kaum kennen lernten. Zur sexuellen Befriedigung und zur Bestätigung ihres
sozialen Status nahmen sich Ehemänner oft Konkubinen, während den Ehefrauen
Liebhaber nicht gestattet waren. Sie mussten nicht nur ihrem Ehemann, sondern auch
dessen Mutter gehorchen. Die Scheidung war möglich, besonders wenn der Mann sie
begehrte. Da außerdem beide Familien von einer Scheidung betroffen waren,
missbilligte man sie und versuchte, unglückliche Ehen weiter zu erhalten. Die
Gründung der Volksrepublik China führte 1950 zur Verabschiedung eines neuen und
modernen Ehegesetzes, in dem die freie Partnerwahl und die Gleichberechtigung für
Männer und Frauen erklärt werden. Ältere Bräuche wie Konkubinat und Verlobung
im Kindesalter sind verboten. Es ist für die Eheschließung nichts weiter erforderlich
71
Auf Chinesisch heißt es 䆎䇁 (Lúny). Das Buch Die Analekten des Konfuzius gilt als eins der
Standardwerke des Konfuzianismus in der chinesischen Kultur. Es hat von der Antike bis heute einen
tiefen Einfluss auf die Intellektuellen ausgeübt. In den Lehrbüchern des Chinesischen sowohl in der
Grundschule als auch in der Mittelschule werden immer Kapitel von Lúny zitiert.
168
als die Eintragung bei der regionalen Verwaltung, die daraufhin die Heiratsurkunde
ausstellt. Einer Scheidung wird stattgegeben, wenn beide Partner dies wünschen. Sie
treffen lediglich eine Übereinkunft hinsichtlich der Kinder und des Besitzes, melden
dies der Verwaltung und erhalten die Scheidungsurkunde (Haeberle 1985). Jedoch
blieb die Scheidungsrate in China bis Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts immer
sehr niedrig, weil die Menschen bei dem niedrigen Lebensstandard den gemeinsamen
Haushalt auf Grund der Eheschließung als die notwendige Grundlage für Leben
betrachteten.
Seit
Anfang
der
80er
Jahre
boomen
die
chinesische
Wirtschaftsentwicklung und der Kontakt zu anderen Ländern. Dementsprechend
veränderte sich die Denkweise der Menschen in dieser Zeit sehr schnell. Die
traditionelle Vorstellung von der Ehe wurde durch die neuen Gedanken ersetzt:
individuelle Freiheit, ökonomische Selbständigkeit von Ehemann und Ehefrau,
Verzicht auf Nachwuchs. Da die Menschen höhere Ansprüche an die Qualität des
Ehe- und Familienlebens stellen, lassen sich auch immer mehr Eheleute scheiden72.
Mit der zunehmenden Scheidungsrate wird seit einigen Jahren in China eine
öffentliche Diskussion über die Familienwerte geführt. Dabei sind auch immer mehr
Witze über die Probleme in der Ehe und die Untreue der Partner entstanden. Der
folgende Witz (7) ist ein Beispiel dafür.
(7) ཇҎℷ೼ᆊ੠ᚙҎᑑӮˈ⬉䆱䪗ડњDŽ
ᚙҎ䯂˖Ā䇕˛ā
ཇҎ䇈ᰃཌྷϜ໿DŽᚙҎゟे㽕䍄DŽ
ཇҎ䇈˖Ā߿䍄ˈҪ䇈ℷ੠Դ೼ࡲ݀ᅸᠧ⠠ˈᰮϔѯಲᴹDŽā
(http://joke.tom.com)
Meine eigene Übersetzung:
Die Frau trifft sich gerade mit ihrem Geliebten zu Hause. Plötzlich klingelt das
Telefon.
Er fragt: „Wer war’s?“
Sie sagt: „Mein Mann.“
Er wird nervös und will sofort weggehen.
72
Den Daten des Nationalen Statistischen Amtes zufolge ist die Scheidungsrate in China von 3% im
Jahr 1980 bis zu 16% 2003 gestiegen. In den Großstädten ist dieser Anteil viel höher als auf dem Land.
2005 ließen sich in Beijing ca. 38700 Paare scheiden. Diese Zahl entsprach bereits mehr als der Hälfte
der Eheschließungen in diesem Jahr.
169
Sie tröstet ihn: „Bleib ruhig da. Mein Mann hat gesagt, dass er gerade mit dir im
Büro Karten spielt und etwas später nach Hause kommen wird.“
In Witz (7) werden zuerst in der Einleitung die Figuren und die Situation angegeben:
Eine Frau trifft sich mit ihrem Geliebten zu Hause. Anschließend wird die Geschichte
durch ein Gespräch zwischen den beiden erzählt. Dem Leser/Hörer wird klar, dass die
Frau eine außereheliche Beziehung hat. Wenn man den Witz bis „… er wird nervös
und will sofort gehen“ liest, erwartet man, dass die Frau wegen ihres Verhaltens
ebenfalls aufgeregt wird und ihrem Geliebten hilft, das Haus zu verlassen. Das reale
Geschehen in dem letzten Abschnitt sieht aber ganz anders als diese Erwartung aus.
Die Frau bleibt gelassen und tröstet ihren Geliebten, denn ihr Mann betrügt sie
offensichtlich auch. Seine Entschuldigung für das Spätkommen, nämlich dass er mit
einem Kollegen Karten spielte, ist unglaubwürdig, denn sein Kollege, der im letzten
Satz des Witzes durch das Pronomen „dir“ mit dem Geliebten der Frau identifiziert
werden kann, ist gerade bei dieser zu Hause. Die Lüge des Ehemanns weist darauf hin,
dass er ebenfalls eine außereheliche Beziehung hat, die er mit einer Lüge gegenüber
seiner Frau geheim halten will.
Das Skript Spannung wird in den chinesischen Familienwitzen vor allem in den
Beziehungen Schwiegermutter – Schwiegertochter und Schwägerin – Schwägerin
(meist als Ehefrau – jüngere Schwester des Ehemanns) ausgelöst. Wie oben erwähnt
wurde, bedeutete die Eheschließung in den alten Zeiten in China das Einheiraten
einer Frau in die Großfamilie des Mannes. Dabei hatte die Ehefrau nicht nur ihrem
Ehemann, sondern auch dessen Mutter zu gehorchen. Eine gute Schwiegertochter
nach der traditionellen Denkweise soll deshalb ihre Schwiegermutter respektieren, auf
sie hören und sich mehr um deren Leben kümmern, als es deren eigene Tochter – die
Schwester des Ehemanns – tut. Im Witz wird aber meistens das Gegenteil dargestellt.
Es handelt sich häufig um die böse Schwiegertochter, die ihre Schwiegermutter nicht
respektiert, sie schlecht behandelt oder diese aus dem Haus wegtreibt. Der folgende
Witz (8) ist ein Beispiel dafür.
(8) ϝϾཛཇ೼䇜䆎㞾Ꮕᆊ䞠ֱྚⱘᕙ䘛DŽ
⬆䇈˖Āㅵৗˈ↣᳜ϔⱒѨˈֱྚᏖഎ᢯ᴹⱘDŽā
Э䇈˖Āㅵৗϡ㒭䪅ˈ㒭ཌྷѯᮻ㸷᳡ˈᰃ៥ᄽᄤⱘྥྥDŽā
170
ϭ䇈˖Ā៥䙷Ͼাㅵཌྷ体ϡ⅏ህ㸠DŽā঺ϸϾཛཇϢ᚞䯂݊ᬙˈϭㄨࠄ˖Āᄽᄤ
ⱘཊཊҢеϟᴹњDŽā
(http://www.haha365.com)
Meine eigene Übersetzung:
Drei Frauen unterhalten sich über die Behandlung der Kinderbetreuerin bei ihnen
zu Hause.
A: „Unsere Kinderbetreuerin darf bei uns essen und wohnen. Außerdem
bekommt sie 150 Yuan im Monat. Wir haben sie durch ein Vermittlungsbüro
eingestellt.“
B: „Unsere darf bei uns essen und wohnen. Außerdem bekommt sie aber nur
einige alte Klamotten von uns. Sie ist eine Tante des Kindes.“
C: „Unsere bekommt nur etwas zum Essen, um nicht zu verhungern. Sonst kriegt
sie gar nichts.“
A und B fragen überrascht, wie C das geschafft hat. Darauf antwortet C: „Sie ist
meine Schwiegermutter vom Land.“
In (8) geht es um die Behandlung der Kinderbetreuerin bei drei Frauen. Während A
eine relativ angemessene Belohnung anbietet, behandelt B ihre Kinderbetreuerin
schlecht, was nach der chinesischen Denkweise nicht akzeptabel ist, denn Verwandte
sollten besser als eine Haushaltshilfe behandelt werden. Der Höhepunkt des Witzes
liegt bei C, die sich ihrer Kinderbetreuerin gegenüber am schlechtesten verhält. Man
erwartet, dass der Grund dafür ist, dass diese Kinderbetreuerin ihre Arbeit nicht gut
erledigt oder sich irgendwie unangemessen benimmt. Der letzte Satz, der auch die
Pointe des Witzes darstellt, zeigt jedoch einen ganz anderen Grund als die Erwartung:
Die Kinderbetreuerin bei C ist ihre Schwiegermutter. Das eine Skript in Witz (8)
entspricht der immer engeren Beziehung zwischen den drei Frauen und ihren
Kinderbetreuerinnen, die nach dem chinesischen Kulturhintergrund zur größeren
Fürsorge führen müsste. Das andere Skript ist jedoch die immer schlechtere
Behandlung der drei Helferinnen von A, B und C. Durch die Opposition zwischen
den beiden Skripten wird der Witzeffekt in (8) hergestellt.
Die Spannung in der Beziehung Schwägerin – Schwägerin (meist die zwischen
Ehefrau und jüngerer Schwester des Ehemanns) ist auch spezifisch für die
chinesische Kultur. Wie oben erwähnt wurde, hat die Ehefrau nicht nur ihrem
Ehemann und dessen Mutter zu gehorchen, sondern muss sich an alle Beziehungen
171
der neuen Familienumgebung anpassen. Darunter erweist sich die mit der/n jüngeren
Schwester/n des Ehemanns als besonders schwierig, denn diese betrachtet oft aus
Eifersucht die Frau ihres älteren Bruders als Außenseiterin in der Familie und ärgert
sich über das neue Mitglied. In Kapitel 4 haben wir einen Witz über die angespannte
Beziehung zwischen den beiden diskutiert. Unten wird das Beispiel noch einmal
zitiert:
(14, aus Kapitel 4)
ᇣྥ˖Ā႖ᄤˈԴⳟ៥ᡒᇍ䈵ᰃᡒ≵᳝ယယⱘདਸ਼ˈ䖬ᰃᡒ≵᳝႖ᄤⱘད˛ā
႖ᄤ˖Ā᳔དᰃᡒ≵᳝ᇣྥⱘʽā
(http://www.jokescn.com)
Meine eigene Übersetzung:
Xiog73: „Sozi, soll ich einen Mann heiraten, der keine Mutter oder keine sozi
hat?“
Sozi: „Am besten einen, der keine jüngere Schwester hat!“
Der Konflikt zwischen den beiden Schwägerinnen liegt darin, dass die jüngere
Schwester sich keine sozi (die Ehefrau des älteren Bruders und Ersatz der
Schwiegermutter, wenn diese gestorben ist) wünscht, während die sozi meint, dass
die jüngere Schwester am Besten nicht da ist.
Die Hauptvertreter für das Skript Dummheit sind in den chinesischen Familienwitzen
vor allem Vater, Mutter, Kinder, Großmutter, Schwiegersohn und älterer Bruder. Die
Dummheit des Vaters liegt in seiner Unfähigkeit, die Fragen der Kinder zu
beantworten, sie bei den Schulaufgaben zu betreuen oder ihnen ein gutes Vorbild in
Bezug auf Manieren zu geben. Da ein älterer Bruder in der chinesischen Kultur eine
halbe Vaterrolle spielen soll, werden im Witz häufig seine Unfähigkeit beim Helfen
des jüngeren Bruders und seine Verantwortungslosigkeit präsentiert. Mutter und
Großmutter kommen auch als Vertreterinnen für Dummheit vor, weil sie wegen ihrer
Unkenntnis der neuen Begriffe oder der modernen Technik oft witzige Aussagen
machen. Die Dummheit des Schwiegersohns lässt sich vor allem in seiner
unangemessenen Rede oder dem Verhalten im Umgang mit den Schwiegereltern
73
Als xiog bezeichnet eine verheiratete Frau die jüngere Schwester ihres Ehemanns. Umgekehrt
bezeichnet die jüngere Schwester (oder der jüngere Bruder) die Ehefrau des älteren Bruders als sozi.
Im alten China hatten der ältere Bruder bzw. seine Frau große Rechte bei Familienentscheidungen und
konnten auch die beiden Elternteile ersetzen, wenn diese nicht mehr am Leben waren.
172
darstellen. Auch in vielen alten chinesischen Geschichten gilt „der dumme
Schwiegersohn“ als eine bekannte komische Figur. Der folgende Witz (9) ist ein
Beispiel für Schwiegersohnwitze.
(9) ᇣ䱊ⱘኇ⠊䖛⫳᮹ˈᇣ䱊䗕এϔা⥝⷇⣿DŽ䖭⥽㡎᱊㦍ࠨ䗣ˈ䴲ᐌৃ⠅ˈ㗕໪↡
ैࢗ✊ব㡆DŽᇣ䱊ᛷ೼䙷䞠ˈྏᄤ䇈˖ĀԴⶹ䘧⠌ཛྷ䛑ሲ哴ˈै䗕া⣿ᴹˈ䲒ᗾ
ҪӀϡ催݈ʽā
(http://www.haha365.com)
Meine eigene Übersetzung:
Zum Geburtstag schenkt Tao seinem Schwiegervater eine Katze aus Jadestein.
Diese sieht glitzernd und niedlich aus. Darüber hat sich die Schwiegermutter aber
richtig geärgert. Tao steht verwirrt da. Dann erklärt ihm seine Frau: „Du weißt ja,
dass meine Eltern beide im Jahr der Ratte74 geboren sind. Deshalb gefällt ihnen
die Katze gar nicht!“
Witz (9) handelt von einem Schwiegersohn, der aus Ignoranz seinem Schwiegervater
ein unpassendes Geschenk überreicht hat. Obwohl der Geburtstag in China generell
nicht gefeiert wird, bringt man zum Neujahr, zur Hochzeit oder zum Geburtstag der
kleinen Kinder bzw. der älteren Menschen auch häufig Geschenke mit. Eigentlich
darf man alles überreichen. Nur bei manchen empfindlichen Menschen sollte man
aufpassen. Es wird z.B. nicht empfohlen, älteren Menschen eine Glocke zu schenken,
denn das chinesische Wort für „Glocke“ heißt 䩳 (zhng), das zufällig die gleiche
Aussprache wie das Wort für „Ende“ – 㒜 (zhng) hat. Unter der Zusammensetzung
sòngzhng versteht man dann sowohl „eine Glocke schenken“ als auch „jemanden
am Sterbebett begleiten“. Außerdem wird zur Hochzeit kein Schirm als Geschenk
empfohlen, denn das Wort für „Schirm“ – sn – hört sich im Chinesischen gleich an
wie das für „Trennung“. Man darf einem Paar nicht gleich bei deren Hochzeit „eine
Trennung“ schenken.
Das Skript Geiz wird vor allem in den Witzen über Ehemann oder Vater benutzt, die
in den meisten Fällen auch den Versorger für die ganze Familie darstellen. Man
erwartet, dass sie im Haushalt, in Restaurants, in der Kindererziehung oder beim
74
Im chinesischen Horoskop besteht ein Zyklus aus zwölf Jahren. Jedes von ihnen wird durch ein Tier
gekennzeichnet. Die zwölf Tierzeichen sind nach ihrer Reihenfolge jeweils Ratte, Büffel, Tiger, Hase,
Drache, Schlange, Pferd, Ziege, Affe, Hahn, Hund und Schwein.
173
Gästeempfang großzügig sind. Jedoch versuchen sie jede Möglichkeit zu nutzen, um
das Geldausgeben zu vermeiden.
Zuletzt tritt das Skript Sex in den chinesischen Familienwitzen auf. Wie in Tabelle 16
gezeigt wurde, gilt die Beziehung Schwiegervater – Schwiegertochter als die typische
Zielscheibe für dieses Skript. Der Grund liegt wohl darin, dass in den alten Zeiten die
jungen Paare in China meist mit den Eltern der Ehemänner zusammen wohnten. Für
die Ehefrau ist die Beziehung mit der Schwiegermutter oder mit der/n jüngeren
Schwester/n des Ehemanns oft schwierig. Der Umgang mit dem Schwiegervater zeigt
sich jedoch entweder als distanziert bzw. harmonisch oder in seltenen Fällen als intim,
denn der Schwiegervater, der die autoritative Rolle in der Familie spielte, könnte
manchmal seine Macht missbrauchen, indem er auch seine Schwiegertochter
kontrollieren wollte, obwohl eine solche enge Beziehung meist als große Schande für
die ganze Familie gesehen wurde. Der folgende Witz (10) ist ein Beispiel für die
Witze zur Schwiegervater – Schwiegertochter – Beziehung.
(10)
ϔ㗕∝㾕‫ܓ‬ႇᕜⓖ҂䍋њℾᖗˈԚг≵᳝དࡲ⊩ˈᭈ໽૝ໄ্⇨DŽ㗕ယ䯂ЎҔ
Мˈ㗕∝བᅲਞⶹDŽ㗕ယ䇈˖ĀԴህ࿕㚕ཌྷ䇈㢹ϡᗩ϶Ҏህໄᓴˈህⳟ䇕᳈϶
ҎDŽāℸ⊩ᵰ✊༣ᬜDŽ㗕∝⒵ᛣৢ䯂㗕ԈᗢМᛇࠄ䖭Ͼࡲ⊩ⱘˈ㗕Ԉ䇈˖Āᔧᑈ
Դ㗕⠌ህᰃ⫼䖭Ͼࡲ⊩ᕫࠄ៥ⱘDŽā
(http://joke.tom.com)
Meine eigene Übersetzung:
Ein alter Mann findet seine Schwiegertochter sehr hübsch und träumt mit ihr zu
schlafen. Da er sich das nicht erlauben kann, stöhnt er den ganzen Tag. Seine
Frau fragt ihn warum, dann erzählt ihr der Mann von seiner Sorge. Darauf sagt
die Frau: „Tu das ruhig und sag ihr danach, alles geheim zu halten, sonst wird sie
ihr Gesicht verlieren.“
Nachdem der Mann seinen Wunsch erfüllt hat, fragt er seine Frau, wie sie auf die
Idee gekommen sei. Die Frau sagt: „Damals hat dein Vater mich immer auf diese
Weise bekommen.“
174
6.4.3 Vergleich
In diesem Teil haben wir die Eigenschaften der Zielscheiben in den deutschen und
den chinesischen Familienwitzen diskutiert. Dabei kann man zuerst mehrere
Gemeinsamkeiten zwischen den beiden feststellen:
1.
Die beiden Skripte Beziehungskonflikt und Dummheit erweisen sich sowohl im
Deutschen als auch im Chinesischen als die relevanten Eigenschaften der
Familienmitglieder oder deren Beziehungen untereinander. Dabei lässt sich der
Beziehungskonflikt in drei weitere Kategorien unterteilen: 1. die Autorität in den
Beziehungen Ehemann – Ehefrau, Eltern – Kinder und Großeltern – Enkel, 2. die
Untreue zwischen Ehemann und Ehefrau, 3. die Spannung in den Relationen
Schwiegereltern – Schwiegerkinder.
2. Das Skript Dummheit bezieht sich in den beiden Kulturen auf die ähnlichen
Zielscheiben, wie Ehemann, Ehefrau, Eltern, Kinder, Großeltern, Schwiegersohn,
usw.
3.
Neben den Hauptskripten Beziehungskonflikt und Dummheit werden auch Geiz
und Sex in beiden Sprachen behandelt. Dabei wird das Skript Geiz sowohl im
Deutschen als auch im Chinesischen vor allem den Familienversorgern Ehemann
und Vater zugeschrieben.
Darüber hinaus sind auch einige Unterschiede in den präsentierten Skripten zwischen
dem Deutschen und dem Chinesischen zu finden. Sie werden in den folgenden
Punkten zusammengefasst:
1.
Das Skript Untreue, das vor allem mit der Ehemann – Ehefrau – Beziehung
zusammenhängt, tritt in einem größeren Witzanteil im Deutschen (20%) als im
Chinesischen (6%) auf, was darauf zurückgeht, dass die Ehekrise und die
Familieninstabilität erst seit einigen Jahren in China öffentlich diskutiert werden,
während die Änderung und die Pluralisierung der Familienformen in
Deutschland bzw. die damit verbundene Diskussion in der Wissenschaft wie in
den Medien bereits seit Anfang der 80er Jahre des 20. Jahrhunderts stattfindet.
175
2.
Das Skript Spannung wird in den deutschen Familienwitzen der Schwiegermutter
– Schwiegersohn – Beziehung zugeschrieben, während die chinesischen Vertreter
dafür die Relationen Schwiegermutter – Schwiegertochter bzw. Schwägerin –
Schwägerin (meist Ehefrau – jüngere Schwester des Ehemanns) sind.
3.
Das Skript Sex tritt in den deutschen Witzen vor allem im Zusammenhang mit
den Großeltern auf. Dies ist nicht der Fall im Chinesischen, weil nach der
Tradition die älteren Menschen von den jüngeren mit Ehrfurcht respektiert
werden sollen. Es ist generell nicht erlaubt, ältere Generationen mit ihren Namen
anzusprechen, geschweige denn sich über ihre Sexualität lustig zu machen. Im
Chinesischen wird das Skript Sex der Schwiegervater – Schwiegertochter –
Beziehung zugeschrieben.
Nach der Analyse und dem Vergleich der Skripten in deutschen und chinesischen
Familienwitzen wird im nächsten Teil auf das Hintergrundwissen eingegangen, das
zum Verstehen dieser Witzkategorie benötigt wird.
6.5 Das Hintergrundwissen zum Verstehen der Familienwitze
In Kapitel 4.4 haben wir die verschiedenen Wissenssorten, die zum Witzverstehen
benötigt werden, erläutert. Sie sind sprachliches, kulturelles, Common Sense- und
Kontextwissen. Das sprachliche Wissen versteht sich nicht als die allgemeine Lese-,
Hör- und Kommunikationsfähigkeit in einer Sprache, sondern als das Wissen über
spezifische Phänomene in einer Sprache, vor allem über die semantische
Mehrdeutigkeit der Wörter oder Phrasen, die durch lexikalische Ambiguität wie
Homophonie, Homographie, Polysemie und syntaktische Ambiguität ausgelöst wird.
Das kulturelle Wissen umfasst die Kenntnisse über die Gesellschaft und die
Menschen innerhalb der Gesellschaft, z.B. den Lebensstil der Menschen, die
religiösen, ethnischen und sozialen Rituale (Böhme et al. 2000: 108). Das Common
Sense-Wissen bezieht sich auf die Kenntnisse zur Struktur der Außenwelt, die nicht
erst durch große Mühe vom Menschen erlernt werden, diesen aber ermöglichen, ihre
alltäglichen Ansprüche in der ökologischen bzw. der sozialen Umgebung erfolgreich
zu erfüllen. Dazu gehören z.B. Kenntnisse über die Grundbegriffe von Raum und Zeit,
die Eigenschaften der Gegenstände (wie die Farbe und Härte der Steine) oder die
Sachverhalte in der geistigen oder sozialen Welt, wie Glaube, Vorstellungen,
176
Emotionen der Menschen (vgl. Kuipers 1979, 2004). Der Verstehensprozess bei
Witzen, die sprachliches, kulturelles oder Common Sense-Wissen voraussetzen, sieht
wie folgt aus: Der Leser/Hörer erzeugt auf Grund seines gespeicherten Wissens eine
gewisse Erwartung an die Entwicklung der Geschichte im Witz. Dazu trifft er eine
Entscheidung zur Bedeutung eines Sprachelements in dem Witzkontext, zur
kulturellen Interpretation eines Phänomens oder zu den Grundbegriffen, die im
Witztext erwähnt werden. Das reale Geschehen, das erst am Ende des Textes gezeigt
wird, erweist sich jedoch als das Gegenteil der vorher ausgebildeten Interpretation.
Von diesem unerwarteten Resultat wird der Leser/Hörer zuerst überrascht. Dann
versucht er eine Erklärung für die Abweichung der Geschichte von seiner Erwartung
zu finden. Entweder gelingt es ihm, auf eine Lösung zu kommen, indem er z.B. ein
Sprachelement findet, das anders interpretiert werden soll, oder er findet keine
Erklärung für das unerwartete Resultat der Geschichte. In beiden Fällen erhält der
Text seinen Charakter als Witz. Die letzte Wissenssorte, das Kontextwissen, bezieht
sich auf die Informationen, die direkt im Witztext enthalten sind. Man bildet seine
Erwartung anhand der Informationen in dem vorderen Teil des Textes. Das reale
Geschehen in dem letzten Teil zeigt sich jedoch als Gegensatz zu der vorher
entstandenen Erwartung.
In Kapitel 5.5 haben wir erwähnt, dass Witze, deren Verstehen sprachliches und
kulturelles Wissen voraussetzt, schwieriger in ein anderes Land zu übertragen sind als
solche, die vom Common Sense- oder dem Kontextwissen abhängig sind.
In den folgenden Teilen werden wir sehen, welche Wissenssorten für das Verstehen
der Familienwitze im Deutschen bzw. im Chinesischen benötigt werden.
6.5.1 Hintergrundwissen zum Verstehen der deutschen Familienwitze
Die Untersuchung zeigt, dass das Kontextwissen für das Verstehen der deutschen
Familienwitze am meisten gebraucht wird. Darauf folgt das Common Sense-Wissen.
Sprachliches und kulturelles Wissen werden insgesamt nur in einem kleinen Anteil
der Witzbeispiele gefordert. Die Verteilung der verschiedenen Wissenssorten auf
diese Beispiele findet man in Tabelle 17.
Da die meisten Witze in dieser Tabelle eher vom Kontext und dem Common SenseWissen abhängig sind, kann man sagen, dass die Familienwitze im Deutschen relativ
einfach in eine andere Kultur übertragen werden können. Das liegt wohl daran, dass
in der Kategorie der Familienwitze hauptsächlich die Mitglieder aus der Kernfamilie
177
behandelt werden, wie Vater, Mutter und Kinder. Wie in der Tabelle 13 gezeigt
wurde, machen sie insgesamt über Dreiviertel aller gesammelten deutschen Beispiele
aus. Die Beziehungen in der Kernfamilie sind den verschiedenen Ländern der
modernen Gesellschaften nicht sehr unterschiedlich. Deshalb sind die behandelten
Zielscheiben und deren Eigenschaften auch einfach von den Menschen aus einer
anderen Kultur nachzuvollziehen.
Hintergrundwissen
Anteil
Kontextwissen
43%
Common Sense-Wissen
39%
Sprachliches Wissen
10%
Kulturelles Wissen
2%
Vermischtes
6%
Tabelle 17: Hintergrundwissen zum Verstehen der deutschen Familienwitze
6.5.2 Hintergrundwissen zum Verstehen der chinesischen Familienwitze
Wie im Deutschen werden für das Verstehen der chinesischen Familienwitze auch
alle vier Wissenssorten gebraucht. Dabei erweisen sich das Common Sense- und das
Kontextwissen als relevant, während sprachliches und kulturelles Wissen nicht viel
verwendet werden. In der folgenden Tabelle 18 findet man die genaue Verteilung der
Wissenssorten im chinesischen Korpus.
Hintergrundwissen
Anteil
Common Sense-Wissen
39%
Kontextwissen
38%
Sprachliches Wissen
17%
Kulturelles Wissen
2%
Vermischtes
4%
Tabelle 18: Hintergrundwissen zum Verstehen der chinesischen Familienwitze
An dem großen Anteil der ersten beiden Wissenssorten kann man sehen, dass die
chinesischen Familienwitze wahrscheinlich einfach in andere Kulturen zu übertragen
sind. Der Grund liegt in der Dominanz der Zielscheiben aus der Kernfamilie, die in
über 80% aller untersuchten Witzbeispiele behandelt werden (siehe Tabelle 14 in
178
Kapitel 6.3.3), sowie in den ähnlichen Werten in der Kernfamilie der modernen
Gesellschaften trotz der Sprach- und Kulturunterschiede in den Ländern, z.B. sollen
Ehemann und Ehefrau einander treu bleiben. Eltern sind meist wegen ihrer
Erfahrungen klüger als ihre Kinder. Kinder sollen deshalb ihre Eltern respektieren.
Als Hauptversorger für die Familie soll der Vater oder der Ehemann großzügig sein.
6.5.3 Vergleich
Vergleichen wir die Ergebnisse der Untersuchung zum Hintergrundwissen, das beim
Verstehen deutscher und chinesischer Familienwitze gebraucht wird, können wir
zunächst mehrere Gemeinsamkeiten zwischen den beiden feststellen:
1.
In den beiden Sprachen werden alle vier verschiedenen Wissenssorten benötigt.
Außerdem setzt das Verstehen von jeweils einem kleinen Anteil der deutschen
bzw.
der
chinesischen
Familienwitze
eine
Mischung
aus
mehreren
Wissensbereichen voraus.
2.
Sowohl im Deutschen als auch im Chinesischen erweisen sich Common Senseund Kontextwissen als relevant für das Verstehen der Familienwitze, während
sprachliches und kulturelles Wissen nur in wenigen Fällen gebraucht werden. Die
Wichtigkeit der ersten beiden Wissenssorten liegt vor allem an der Dominanz der
Kernfamilienmitglieder unter allen Zielscheiben in den gesammelten Beispielen,
so etwa Ehemann, Ehefrau, Vater, Mutter und Kinder. Die Beziehungen unter
ihnen und die Werte in der Kernfamilie variieren in den modernen Gesellschaften
nicht von einer Kultur zu der anderen. Deshalb sind die präsentierten
Eigenschaften dieser Zielscheiben, wie die Untreue der Eheleute zueinander, die
Dummheit von Vater, Mutter oder Kindern, die Autoritätskonkurrenz in den
Beziehungen Vater – Sohn und Ehemann – Ehefrau. nicht kulturspezifisch,
sondern für die Leser aus verschiedenen Ländern als allgemein bekannt
vorauszusetzen.
3. Die Relevanz des Common Sense- und des Kontextwissens weist auch darauf hin,
dass die Familienwitze im Deutschen bzw. im Chinesischen relativ einfach
gegenseitig oder in andere Kulturen, wo ähnliche Familienwerte herrschen,
übertragen werden können.
179
Der kleine Unterschied zwischen den beiden Seiten liegt im Bereich des sprachlichen
Wissens, das im Deutschen mit 10% der untersuchten Beispiele zusammenhängt und
im Chinesischen für das Verstehen eines größeren Witzanteils von 17% gebraucht
wird. Das kann als eine Bestätigung für die These in der Analyse der ethnischen
Witze gelten, dass die chinesischen Witze relativ häufig von spezifischen
Sprachphänomenen handeln, die in vielen Fällen durch die Trennung zwischen
Schriftzeichen und deren Aussprache bedingt sind.
6.6 Die Situationen
In Kapitel 4.5 haben wir gesehen, dass die Situationen im Witz meist als Formen der
Aktivität der Zielscheiben formuliert werden, wie Haushaltmachen, Einkaufen und
Geburtstagfeiern. Da bisher kaum Studien zu diesem Aspekt der Witze durchgeführt
wurden, stammen die Bezeichnungen für die Situationen in den Familienwitzen wie
bei den ethnischen Witzen von der Verfasserin.
In Kapitel 5.5 haben wir auch erwähnt, dass die Situationen im Witz eng mit dem
realen Leben der Menschen in der Kultur zusammenhängen, wo die Witze entstanden
sind. Deshalb kann man anhand des Vergleichs der Situationen in deutschen und
chinesischen Familienwitzen die Unterschiede zwischen den Lebensformen und gewohnheiten der Menschen im familiären Zusammenhang in diesen beiden Ländern
erkennen.
Im Folgenden werden wir zuerst die relevanten Situationen in deutschen Witzen
analysieren.
6.6.1 Situationen in den deutschen Familienwitzen
Nach der Untersuchung stellte sich heraus, dass insgesamt 26 verschiedene
Situationen in den deutschen Familienwitzen dargestellt werden. Davon treten
Entstehung einer außerehelichen Beziehung, Sex, Heirat/Scheidung, Erziehung der
Kinder und Haushalt am häufigsten auf. Die genaue Verteilung im deutschen Korpus
findet man in der Tabelle 19.
Situationen in den deutschen Familienwitzen
Anteil
Entstehung einer außerehelichen Beziehung
12%
Sex
9%
180
Heirat/Scheidung/Partnerwahl
7%
Erziehung der Kinder
7%
Haushalt
6%
Tabelle 19: Die fünf relevantesten Situationen in den deutschen Familienwitzen
Die Situation „Entstehung einer außerehelichen Beziehung“ wird vor allem in den
Witzen über Ehemann und Ehefrau dargestellt. In Kapitel 6.4 haben wir erläutert,
dass ein wichtiges Skript, das der Ehemann – Ehefrau – Beziehung gilt, deren
Untreue betrifft. Im Witz geht es sowohl um den Mann, der z.B. eine intime
Beziehung mit seiner Sekretärin, mit dem Dienstmädchen zu Hause, der Nachbarin
oder der Ehefrau seines Kollegen hat, als auch um die Frau, die mit dem Postboten,
mit dem Mitarbeiter oder dem Freund ihres Ehemanns flirtet. Da die Ehekrise ein seit
über 20 Jahren diskutiertes Thema in Deutschland ist, findet man auch viele Witze
darüber.
Die Situation „Sex“ kommt meist in den Witzen über Großeltern oder Kinder vor.
Den ersteren wird vor allem deren großes Interesse an oder die Unfähigkeit zur
Sexualität zugeschrieben. In Bezug auf Kinder handeln die Witze häufig von ihrer
unerwarteten Vertrautheit mit den sexuellen Themen der Erwachsenen. Es wird z.B.
der kleine Junge dargestellt, dem von seinem Vater vorgeworfen wird: „Seit du auf
der Welt bist, hast du mir noch keine einzige Freude bereitet.“ Darauf antwortet der
Sohn: „Aber vorher, was?“ Oder es geht in einem anderen Witz um die kleine
Tochter, die ihre Mutter fragt, ob sie, Mama und Oma alle der Storch gebracht hat.
Als die Mutter darauf mit ja antwortet, schreibt das Mädchen in seinem Aufsatz
ernsthaft: „In unserer Familie hat es seit drei Generationen keinen Sex mehr
gegeben.“
Die Situation „Heirat/Scheidung“ findet man in den Witzen über Ehemann, Ehefrau
und Kinder. Dabei geht es z.B. um den geizigen Mann, der seine Ex-Frau nur deshalb
wieder heiraten will, damit er Geld für eine neue Hochzeit sparen kann. Oder der
Witz handelt von der Naivität des kleinen Sohns, der behauptet, seine gleichaltrige
Freundin heiraten zu wollen und ihr gemeinsames Leben mit dem Taschengeld von
den Eltern zu finanzieren.
Die Situation „Kindererziehung“ kommt meist in den Witzen über den Vater vor.
Dabei geht es um die Unfähigkeit des Vaters beim Beantworten von Fragen, die seine
Kinder stellen. Auf die Frage, was das oberste deutsche Gericht ist, antwortet der
181
Vater z.B. selbstbewusst mit „Eisbein und Sauerkraut“. Oder der Witz handelt von
dem Sohn, der neugierig wissen will, wo die Bahamas liegen, darauf sagt der Vater
ungeduldig: „Frag Mama, die räumt immer alles weg!“ Die Unfähigkeit des Vaters
beim Kindererziehen zeigt sich auch in seinen unangemessenen Manieren, die einen
schlechten Eindruck auf seine Kinder machen. Es wird z.B. ein Vater dargestellt, der
die ganze Zeit beim Autofahren Schimpfwörter äußert. Als sie zu Hause ankommen,
berichtet der vierjährige Sohn begeistert seiner Mutter: „Wir haben zwei Hornochsen,
sechs Armleuchter und einen Vollidioten überholt …“.
Die Situation „Haushalt“ wird vor allem in den Witzen dargestellt, die die Faulheit
der Ehefrau oder des Ehemanns bei der Hausarbeit behandeln. Ein Mann definiert z.B.
das 20. Jubiläum seiner Hochzeit als „blecherne Hochzeit“, weil seine Frau die
ganzen Jahre nur halbfertiges Essen aus blechernen Dosen gemacht hat. Die Frau
beschwert sich dann, dass der Mann ihr kaum beim Haushalt hilft. Das Einzige, was
er tut, sei das Heben seiner Füße, wenn sie staubsaugt. In einigen Witzen mit der
Situation „Haushalt“ geht es auch um die niedrige Position des Ehemanns zu Hause,
der auf den Befehl seiner Frau hört und alle Hausarbeiten macht. Das sind die so
genannten Pantoffelhelden zu Hause.
6.6.2 Situationen in den chinesischen Familienwitzen
In den untersuchten chinesischen Familienwitzen wurden insgesamt 25 Situationen
unterschieden, die auch alle in den deutschen Witzen zu finden sind. Da es in den
letzteren 26 Situationen gibt, erweist sich die, die nur im Deutschen vorkommt und
im Chinesischen fehlt, als „Gottesdienstbesuchen“. Das hängt mit dem realen Leben
der Chinesen zusammen. Obwohl es in China Christen gibt, machen sie unter der
Gesamtbevölkerung nur einen sehr kleinen Anteil aus. Die meisten Menschen sind
Atheisten und besuchen keinen Gottesdienst. Aus diesem Grund werden im
chinesischen Familienwitz keine Situationen zum Beten in der Kirche oder zur
Predigt dargestellt.
Zu den relevanten Situationen im chinesischen Witz gehören Kindererziehung/bestrafung, Haushalt, Einkaufen, Heirat/Scheidung und Essen/Trinken. Ihre
Verteilung findet man in Tabelle 20.
182
Situationen in den chinesischen Familienwitzen
Anteil
Kindererziehung/-bestrafung
13%
Haushalt
8%
Einkaufen
7%
Heirat/Scheidung/Partnerwahl
6%
Essen/Trinken
5%
Tabelle 20: Die fünf relevantesten Situationen in den chinesischen Familienwitzen
Die am häufigsten dargestellte Situation ist „Kindererziehung/-bestrafung“. Sie tritt
vor allem in den Vaterwitzen auf. Wie im Deutschen geht es dabei um die
Unfähigkeit des Vaters beim Erziehen seiner Kinder. In der chinesischen Tradition ist
die Betreuung der Kinder bei deren Wissenserwerb und beim Aufbau der Moral vor
allem die Aufgabe des Vaters. Ein alter Spruch lautet, dass die fehlende
Kindererziehung des Vaters Schuld sei75. Der im Witz dargestellte Vater kann aber
diese Aufgabe nicht erfüllen. Er kennt nie die richtige Antwort auf die Fragen seiner
Kinder, schimpft gern, raucht viel, trinkt Alkohol und bricht sein Wort immer wieder.
Außerdem weigert er sich, Geld für die Kindererziehung auszugeben. Er wird deshalb
z.B. als geiziger Vater dargestellt, der seinem Sohn befiehlt, pfeifen zu lernen, als
dieser ein Musikinstrument spielen möchte. In einigen Witzen geht es um das
Bestrafen der Kinder durch ihren Vater. Der kleine Sohn hat den Nachbarjungen
geprügelt. Als Strafe wird er von seinem Vater geschlagen. Als dieser ihn fragt, ob er
es jetzt noch wagt, andere Kinder zu verletzen, antwortet der Sohn: „Jetzt nicht, aber
später, wenn ich auch Vater bin.“ Die strenge Strafe hat nicht nur ihr Ziel verfehlt,
dem kleinen Sohn das richtige Verhalten beizubringen, sondern sie hat ihm den
schlechten Eindruck hinterlassen, dass er als Vater andere schlagen darf.
Die Situation „Haushalt“ tritt in den verschiedenen Witzen in Bezug auf fast alle
Kernfamilienmitglieder auf. Dabei geht es vor allem um die niedrige Position des
Ehemanns zu Hause, der alle Hausarbeiten macht, oder um die Unfähigkeit der
Ehefrau beim Kochen, die besonders häufig in den alten chinesischen Witzen
behandelt wird. Das kontrastierende konventionelle Wissen besagt, dass vom
Ehemann bzw. dessen Familie erwartet wird, dass die Ehefrau alle Aufgaben im
Haushalt gut erledigen kann.
75
Der originale chinesische Text heißt: „‫ݏ‬ϡᬭˈ⠊П䖛 (yng bù jio, fù zh guò)“. Der Spruch
stammt aus dem Buch Sanzi Jing (Drei-Zeichen Klassik), das im 13. Jahrhundert geschrieben wurde.
183
Die
Situationen
„Einkaufen“
und
„Essen/Trinken“
kommen
ebenfalls
in
verschiedenen Witzen über die Kernfamilienmitglieder vor. Das große Auftreten der
beiden Situationen hat mit dem realen Lebensstil der Chinesen zu tun. Wie in Kapitel
5 erläutert wurde, treffen sie sich gern mit Verwandten oder Freunden zum Essen. Ein
anderes übliches Unternehmen in der Freizeit ist das Einkaufen oder das
Schaufenstergehen. Nach einer Studie zeigen sich die asiatischen (inkl. der
chinesischen) Konsumenten als diejenigen, die unter allen ethnischen Gruppen auf
der Welt am häufigsten einkaufen gehen (Gardyn/Fetto 2003). Das hat in China
einerseits mit der Wirtschaftsentwicklung zu tun, da man sich bei der verbesserten
finanziellen Lage mehr leisten kann. Andererseits liegt es an der Lebensgewohnheit
der Chinesen, die das Bummeln mit der Familie oder den Freunden in Geschäften als
eine Art Entspannung betrachten, auch wenn man dabei nicht vorhat, etwas zu
besorgen.
Wie im Deutschen findet man die Situation „Heirat/Scheidung“ auch in den Witzen
über Ehemann, Ehefrau und Kinder. Dabei geht es entweder um den Geiz des
Ehemanns, der sich z.B. eine Tochter wünscht, damit er das für seine eigene Heirat
gezahlte Geld zurückbekommen kann, da in China die Hochzeitskosten vor allem von
den Eltern des Bräutigams getragen werden. Oder es handelt sich um die Naivität der
Kinder. Es wird z.B. ein kleiner Junge dargestellt, der sich über seinen Vater ärgert
und seiner Mutter vorschlägt, ihn zu heiraten, damit er den Vater kontrollieren kann.
6.6.3 Vergleich
Fasst man die Untersuchungsergebnisse in diesem Teil zusammen, kann man sehen,
dass die meisten Situationen eine Entsprechung in den gesammelten deutschen und
chinesischen Familienwitzen haben. Die einzige, die nur im Deutschen vorkommt
und im Chinesischen fehlt, ist „Teilnahme am Gottesdienst“, was darauf zurückgeht,
dass die meisten Chinesen Atheisten sind und deshalb in ihrem realen Leben keinen
Gottesdienst besuchen.
Zu den relevanten Situationen in den Witzen gehören sowohl im Deutschen als auch
im Chinesischen Heirat/Scheidung, Kindererziehung und Haushalt, was die
Grundlage für die Bildung, Entwicklung und Pflege der Familie darstellt. Sie treten in
den beiden Sprachen auch mit denselben Zielscheiben auf. Heirat/Scheidung und
Haushalt werden z.B. in den Witzen über Ehemann – Ehefrau oder Kinder dargestellt.
Dabei geht es um den Geiz des Ehemanns bei der Hochzeit, die Naivität der Kinder
184
beim Verstehen der Heirat, die Faulheit oder Unfähigkeit der Ehefrau beim Kochen
bzw. die niedrige Position des Ehemanns zu Hause, weil er alle Hausarbeiten macht.
Die Situation Kindererziehung findet man vor allem in den Vaterwitzen. Dabei
handelt es sich um die Unfähigkeit des Vaters beim Beantworten der Fragen seiner
Kinder bzw. um dessen schlechte Manieren, etwa Schimpfen, Rauchen, Wortbruch
oder zu strenge Strafe, die den Kindern kein gutes Vorbild gibt.
Neben den oben genannten drei gemeinsamen Situationen findet man auch
Unterschiede zwischen den Witzen in beiden Sprachen. Während im Deutschen
außereheliche Beziehungen und Sex auch relativ häufig in den Witzen über Ehemann
– Ehefrau bzw. über Großeltern auftreten, sind im Chinesischen die anderen beiden
wichtigen Situationen Einkaufen und Essen/Trinken. Sie kommen in Witzen über fast
alle Kernfamilienmitglieder vor. Dieser Unterschied kann ein Hinweis darauf sein,
dass die Deutschen sich eher in der Unterhaltung über Sexualität oder Verstöße gegen
die Sexualethik vom Alltag entspannen, während die Chinesen ihre Erholung vor
allem durch das Essen oder das Konsumieren finden. Dass die Chinesen die
Entspannung nicht in der Unterhaltung über Sexualität suchen, liegt nicht daran, dass
sie das nicht wollen oder können, sondern an der kulturellen Tradition, die ihnen eine
solche Unterhaltung in der Öffentlichkeit verbietet, selbst wenn man darüber nur
Witze machen würde. Im alten China wurde sogar der Kontakt zwischen Männern
und Frauen streng geregelt. Im Buch der Riten, einem der konfuzianischen Klassiker,
steht z.B. fest, dass Männer und Frauen beim Geben und Nehmen ihre Hände nicht
berühren dürfen76. Dieser Gedanke setzt sich bis in die moderne Zeit fort und übt
auch heute noch einen großen Einfluss auf die älteren Menschen in China aus. Wegen
solcher strengen Regeln ist eine entspannte Unterhaltung über das Thema Sexualität
in der Öffentlichkeit in China kaum möglich. Die Menschen sind deshalb gezwungen,
sich durch eine andere Möglichkeit – das aufwendige Essen – vom Alltag zu
entspannen.
Nach der Analyse und dem Vergleich der Situationen wird im nächsten Teil versucht,
die Ähnlichkeiten bzw. die Unterschiede zwischen den Erzählformen deutscher und
chinesischer Familienwitze herauszufinden.
76
Der originale chinesische Text lautet: ⬋ཇᥜফϡ҆ (nán n shòu shòu bù qn). (vgl. Buch der
Riten, Kapitel 1-2: Regeln der Schicklichkeit).
185
6.7 Die Erzählformen
In Kapitel 4 haben wir die fünf verschiedenen Erzählformen, in denen Witze
ausgedrückt werden, analysiert. Sie sind Erzählung, Erzählung + Dialog, Dialog,
Frage-Antwort und Dreier-Modell. Die Erzählungswitze werden in rein narrativer
Form dargestellt. Dabei sind die drei Teile des Witzes, die Einleitung, Dramatisierung
und Pointe umfassen, gut voneinander getrennt zu erkennen. Witz (9) in diesem
Kapitel ist ein Beispiel dafür. Witze in Dialogform bestehen aus dem Gespräch
zwischen zwei Personen. Die Einleitung, d.h. die Angabe der Witzfiguren und der
Situation, wird direkt in den Teil der Dramatisierung integriert. Deshalb sind Witze in
dieser Form kompakter und anschaulicher als Erzählungen. Wegen der Integration
der Einleitung in die Hauptgeschichte kann man jedoch die Witzfiguren und die
Situation nicht immer klar erkennen, besonders wenn der Witz mündlich erzählt wird.
Aus diesem Grund lassen sich Dialogwitze in schriftlicher Form besser als in
mündlicher verbreiten. Der oben diskutierte Witz (6) kann als Beispiel für diese
Kategorie gelten. Als Mischung aus den beiden Formen hat der Typ „Erzählung +
Dialog“ nicht nur eine klare Struktur, sondern auch eine besondere Anschaulichkeit,
die durch das Gespräch zwischen den Personen erzeugt wird. Deshalb lassen sich
Witze in dieser Form sowohl mündlich als auch schriftlich gut verbreiten. Die Witze
(1), (3), (4), (5) und (7) in diesem Kapitel sind Beispiele für diese Kategorie. In
Kapitel 5 haben wir dargestellt, dass Einleitung, Dialog und die Mischung aus den
beiden zu den nicht-standardisierten Formen gehören, während die Frage-AntwortReihenfolge und das Dreier-Modell zu den Standardformen zählen. Die FrageAntwort-Reihenfolge ist ein festgelegtes Muster, das aus der Fragezeile und der
Antwortzeile besteht. Diese Form ist besonders praktisch für die mündlich
verbreiteten Witze. Dabei macht man nach der Fragestellung eine kurze Pause, damit
der Zuhörer eine größere Spannung aufbaut, die dann bei der nachher gegebenen
Antwort gelöst wird. Wegen der Kürze sind Witze in dieser Form relativ einfach zu
merken und weiter zu verbreiten. Deshalb werden viele Witze über die bekannten
Zielscheiben, wie Blondinen oder Ostfriesen, in der Frage-Antwort-Form formuliert.
In der Kategorie der Familienwitze kommt diese Form aber sehr selten vor. Das
Dreier-Modell ist ein anderes standardisiertes Witzmuster. Dabei werden einige
(meist drei) Witzfiguren dargestellt, die an derselben Tätigkeit teilnehmen. Die Pointe
186
liegt meist in der letzten Figur, die eine unerwartete Handlung durchführt. Witz (8) in
diesem Kapitel ist ein Beispiel dafür.
Im Folgenden werden wir sehen, welche Erzählformen besonders häufig in den
deutschen und den chinesischen Familienwitzen verwendet werden.
6.7.1 Erzählformen in den deutschen Familienwitzen
Die Untersuchung zeigt, dass in den deutschen Familienwitzen am häufigsten die
Dialogform vorkommt. Sie tritt in knapp der Hälfte aller gesammelten Beispiele auf.
Darauf folgen die Formen Erzählung + Dialog und Erzählung. Die meisten deutschen
Witze in dieser Kategorie werden in den drei nicht-standardisierten Erzählformen
realisiert, während die Standardformen Frage-Antwort und Dreier-Modell nur in
einem sehr kleinen Anteil der Witze verwendet wird. Die genaue Verteilung der
verschiedenen Formen wird in Tabelle 21 zusammengefasst.
Erzählformen
Witzanteil
Dialog
49%
Erzählung + Dialog
30%
Erzählung
14%
Dreier-Modell
3,7%
Frage-Antwort
3%
Sonstiges
0,3%
Tabelle 21: Erzählformen der deutschen Familienwitze
Die Dominanz der beiden Formen Dialog bzw. Erzählung + Dialog liegt wohl daran,
dass viele Witze in dieser Kategorie Szenen aus dem Familienleben darstellen, die
vor allem aus den Gesprächen zwischen den verschiedenen Mitgliedern wie Mann –
Frau, Vater – Sohn, Oma – Enkel usw. bestehen. Da jeder Mensch im Rahmen des
Common Sense-Wissens mit den Familienbeziehungen bekannt ist, müssen im Witz
nicht ausführlich die Figuren und ihre Verhältnisse zueinander vorgestellt werden.
Aus diesem Grund fangen viele Witze gleich mit einem Dialog zwischen den Figuren
an.
Verglichen mit dem Ergebnis bei den ethnischen Witzen, wo knapp die Hälfte der
Beispiele dieser Kategorie in Standardformen wiedergegeben wird, zeigen sich die
Familienwitze bezüglich der Erzählformen weniger standardisiert. Wir glauben daher:
Je mehr die Witze über eine Figur in Standardformen ausgedrückt werden, desto
187
einfacher lassen sie sich verbreiten. Deshalb kann man sagen, dass die Familienwitze
im Vergleich zu den ethnischen Witzen im Deutschen weniger bekannt und populär
sind. Aus dem anderen Ergebnis, dass die Form Erzählung + Dialog in den beiden
Kategorien häufig verwendet wird, lässt sich schließen, dass diese Erzählform für die
deutschen Witze relevant ist, zumindest für die, die in gedruckten Medien verbreitet
werden.
6.7.2 Erzählformen in den chinesischen Familienwitzen
Wie im Deutschen erweisen sich die beiden Formen Dialog und Erzählung + Dialog
auch als relevant für die chinesischen Familienwitze. Sie kommen in über drei Viertel
aller Beispiele vor. Darauf folgen die Erzählung und das Dreier-Modell. Die FrageAntwort-Form wird im Chinesischen nicht verwendet. In Tabelle 22 findet man die
genaue Verteilung der verschiedenen Erzählformen im chinesischen Korpus.
Erzählformen
Witzanteil
Dialog
47%
Erzählung + Dialog
32%
Erzählung
19%
Dreier-Modell
1,6%
Frage-Antwort
-
Sonstiges
0,4%
Tabelle 22: Erzählformen der chinesischen Familienwitze
Es ist zu sehen, dass die meisten chinesischen Familienwitze in den nichtstandardisierten Formen ausgedrückt werden. Die Dominanz von Dialog und
Erzählung + Dialog geht auf die Tatsache zurück, dass Witze in dieser Kategorie
meistens Szenen aus dem realen Familienleben widerspiegeln, das häufig aus
Gesprächen zwischen den Mitgliedern besteht.
Im Vergleich zum Ergebnis bei den ethnischen Witzen, die vor allem in rein
narrativer Form vorkommen, zeigen sich die Familienwitze im Chinesischen durch
die Dominanz des Dialogs kürzer und lebendiger. Darüber hinaus kann man an dem
Resultat, dass die meisten Witze in beiden Kategorien in nicht-standardisierten
Formen ausgedrückt werden, feststellen, dass die chinesischen Witze in ihrer Form
weniger standardisiert sind. Die Frage-Antwort-Reihenfolge tritt z.B. weder in den
gesammelten ethnischen noch in den Familienwitzen auf. Die Form Erzählung +
188
Dialog zeigt sich jedoch als relevant für die beiden Kategorien, was im Deutschen
ähnlich ist.
6.7.3 Vergleich
Fasst man die Untersuchungsergebnisse zu den Erzählformen in deutschen und
chinesischen Familienwitzen zusammen, kann man zuerst Gemeinsamkeiten
zwischen den beiden feststellen:
1.
Sowohl im Deutschen als auch im Chinesischen treten die beiden Formen Dialog
und Erzählung + Dialog in den meisten Beispielen auf, was darauf zurückgeht,
dass Witze in dieser Kategorie eine Widerspiegelung des realen Familienlebens
sind, das in vielen Fällen direkt aus den Gesprächen zwischen den Mitgliedern
besteht.
2. Die Standardmuster, wie die Frage-Antwort-Form oder das Dreier-Modell, sind
nicht typisch für die deutschen bzw. die chinesischen Familienwitze.
Der kleine Unterschied zwischen den Erzählformen in Familienwitzen in den beiden
Sprachen liegt vor allem im Frage-Antwort-Muster. Während diese Form in einem
kleinen Anteil der deutschen Witze vorkommt, wird sie im Chinesischen nicht
benutzt.
6.8 Fazit
In diesem Kapitel haben wir zuerst die aktuelle Familienstruktur in Deutschland bzw.
in China vorgestellt. Dabei wurde herausgearbeitet, dass in China die Kernfamilie mit
Vater, Mutter und Kind/Kindern die dominierende Form darstellt, während in
Deutschland eine Pluralisierungstendenz bei den Familienformen vorherrscht, die
Kernfamilie, Patchwork – Modelle und Singles mit oder ohne Partner umfassen.
Anschließend wurden im Hauptteil dieses Kapitels die deutschen und die
chinesischen Familienwitze unter den folgenden fünf verschiedenen Aspekten
analysiert bzw. miteinander verglichen: 1. der Zielscheibe, 2. der Eigenschaft der
Zielscheibe, 3. dem Hintergrundwissen, 4. der Situation und 5. der Erzählform.
Als Zielscheibe im Witz kommen vor allem die Mitglieder aus der Kernfamilie in
beiden Kulturen vor, wie Mann, Frau, Vater, Mutter und Kinder. Außerdem wurden
auch die Beziehungen Großeltern – Enkel bzw. Schwiegereltern – Schwiegerkinder
189
behandelt. Der Unterschied zwischen den deutschen und den chinesischen
Familienwitzen
liegt
hauptsächlich
in
der
Relation
Schwiegereltern
–
Schwiegerkinder. Während in den ersteren der Konflikt in der Schwiegermutter –
Schwiegersohn – Beziehung dargestellt wird, geht es in den letzteren um die
angespannten Verhältnisse zwischen der Schwiegertochter und ihren beiden
Schwiegereltern.
Zu den Skripten der Familienwitze gehören die Dummheit von Vater, Sohn und
anderen Mitgliedern, die Autorität in der Eltern – Kinder – Beziehung, die Untreue
der Eheleute, die Spannung zwischen Schwiegereltern und Schwiegerkindern, der
Geiz des Vaters bzw. des Ehemanns und die Sexualität im Zusammenhang mit
Großeltern bzw. der Schwiegervater – Schwiegertochter – Beziehung. Der
Unterschied zwischen dem Deutschen und dem Chinesischen besteht darin, welche
Zielscheiben mit den Skripten Spannung und Sexualität verbunden sind.
Anhand der Untersuchung zum Hintergrundwissen stellt man fest, dass Common
Sense- und Kontextwissen als relevant für das Verstehen der Familienwitze gelten.
Deshalb lassen sich Witze in dieser Kategorie relativ einfach in andere Kulturen
übertragen.
Zu den häufig dargestellten Situationen gehören in beiden Sprachen Heirat/Scheidung,
Kindererziehung und Haushalt. Darüber hinaus kommen im Deutschen auch
außereheliche Beziehungen bzw. Sex häufig vor, während im Chinesischen
stattdessen vor allem Einkaufen bzw. Essen/Trinken behandelt wurden.
Als dominierende Erzählform erweist sich der Dialog sowohl in den deutschen als
auch in den chinesischen Familienwitzen. Außerdem stellte man fest, dass die
Familienwitze weniger in Standardformen (wie Frage-Antwort-Reihenfolge und
Dreier-Modell) ausgedrückt werden, als dies bei den ethnischen Witzen der Fall ist.
190
7. Zusammenfassung und Ausblick
Als ich mich entschied, eine Vergleichsstudie zu deutschem und chinesischem Humor
durchzuführen, stellten viele meiner Bekannten dieselbe Frage: „Gibt es überhaupt
einen deutschen oder chinesischen Humor?“ Denn in den öffentlichen Medien werden
Deutsche meist als seriös, gedankenvoll und regelorientiert präsentiert, während das
Bild der Chinesen häufig durch Bescheidenheit, Freundlichkeit und Verschlossenheit
geprägt ist. Mit anderen Worten: Keines der beiden Völker ist bekannt für seinen
Humor.
Diese Studie stellt aber heraus, dass sowohl Deutsche als auch Chinesen ihren
eigenen Sinn für Humor haben, was als Bestätigung der These von Fry und Raskin
gelten kann, dass Humor ein universelles menschliches Charakteristikum ist. Es ist
mit Unrecht zu sagen, dass eine Person oder eine Ethnie keinen Sinn für Humor hat.
Sondern der Befund ist vielmehr, dass wir ihren Humor nicht verstehen, weil wir uns
mit ihrem sprachlichen, kulturellen oder sozialen Hintergrund nicht auskennen. Dass
Witze aus einem anderen Land für uns nicht immer lustig sind, liegt daran, dass wir
als Leser/Hörer das zum Verstehen der Witze benötigte sprachliche oder kulturelle
Wissen nicht besitzen, so dass wir keine eigene Erwartung an die Geschichte im Text
bilden können. Entsprechend gelingt bei uns der Witzeffekt dann nicht mehr, der
durch die Opposition zwischen der Lesererwartung und dem realen Geschehen am
Textende hergestellt wird.
In diesem Kapitel wird zuerst das Ergebnis der Untersuchungen zu ethnischen und
Familienwitzen dargestellt. Anschließend wird der Witz im Rahmen der
Textsortentheorie kurz erläutert. Zuletzt wird die Beziehung zwischen dem Witz und
der Metapher anhand der kognitiven linguistischen Auffassungen dargelegt.
7.1 Zusammenfassung des Untersuchungsergebnisses
In dieser Arbeit wurden die deutschen und die chinesischen ethnischen und
Familienwitze jeweils unter den folgenden fünf Aspekten analysiert und verglichen:
der Zielscheibe, der Eigenschaft der Zielscheibe, dem Hintergrundwissen, der
Situation und der Erzählform.
191
Bei den ethnischen Witzen wurde herausgefunden, dass in verschiedenen Kulturen
unterschiedliche Zielscheiben dargestellt werden. Während im Deutschen vor allem
einzelne Ethnien behandelt werden, geht es im Chinesischen um eine Zweiteilung von
Chinesen und Nicht-Chinesen. Trotzdem werden die Skripten Dummheit und Geiz in
beiden Kulturen präsentiert. Im Vergleich zum Deutschen sind die chinesischen
ethnischen Witze relativ schwer in andere Sprachen und Kulturen zu übertragen, denn
es handelt sich in den letzteren vor allem um das Sprachmissverstehen oder die
Nichtvertrautheit mit der Esstradition. Bei der Untersuchung zur Situation kann man
eine gewisse Einsicht in das reale Leben der Menschen aus den beiden Ländern
bekommen, obwohl die im Witz dargestellten Szenen nicht immer identisch mit der
Realität sind. In deutschen Witzen kommen Reisen und Kulturveranstaltungen
häufiger als im Chinesischen vor. In Bezug auf die Erzählform zeigen sich die
deutschen ethnischen Witze durch eine stärkere Standardisierungstendenz geprägt als
die chinesischen.
Bei den Familienwitzen liegt der Unterschied zwischen beiden Kulturen vor allem in
den Schwiegereltern-Schwiegerkinder-Relationen. Während im Deutschen der
Konflikt die Schwiegermutter-Schwiegersohn-Beziehung betrifft, geht es im
Chinesischen um die Spannung zwischen der Schwiegertochter und ihren beiden
Schwiegereltern. Zu den Skripten in den Familienwitzen gehören Dummheit,
Autorität, Untreue, Spannung, Geiz und Sex. Davon erweisen sich die ersten beiden
als die relevantesten unter allen Eigenschaften. Im Vergleich zu den ethnischen
Witzen sind die Familienwitze relativ einfach in andere Kulturen zu übertragen, denn
sie hängen vor allem mit dem Common Sense- und dem Kontextwissen zusammen.
Bei der Situation treten außereheliche Beziehung und Sex im Deutschen häufiger als
im Chinesischen auf. Die Haupterzählform der Familienwitze in beiden Sprachen ist
der Dialog. Im Vergleich zu den ethnischen Witzen werden die Familienwitze
weniger in Standardformen (wie Frage-Antwort-Folge, Dreier-Modell) ausgedrückt.
7.2 Witz als Unterhaltungstext
Die Klassifizierung von Textsorten ist eine der grundlegenden Fragen in der
Textlinguistik. Den bisherigen Forschungen zufolge wird eine solche Klassifizierung
in der Regel nach dem Kriterium der Textfunktion durchgeführt (Große 1976, Brinker
1992). Unter Textfunktion versteht man die durch sprachliche Ausdrücke vermittelte,
192
an Rezipienten gerichtete Instruktion, wie der Text zu verstehen sei (Große 1976: 15
ff, 26, 28). Brinker definiert die Textfunktion als die Kommunikationsabsicht des
Textverfassers, die im Text mit konventionell geltenden Mitteln realisiert ist (Brinker
1992: 86). Nach der Textfunktion sind sechs grundlegende Kategorien zu
unterscheiden (vgl. Duden 4 – die Grammatik, 1998):
-
Informationstexte (Nachricht, Bericht, Rezension…)
-
Appelltexte (Werbeanzeige, Kommentar, Antrag…)
-
Obligationstexte (Vertrag, Garantieschein, Gelöbnis…)
-
Kontakttexte (Danksagung, Kondolenzschreiben, Ansichtskarte…)
-
Deklarationstexte (Testament, Ernennungsurkunde…)
-
Unterhaltungstexte (Roman, Novelle, Kurzgeschichte…)
In Kapitel 2 haben wir den Witz als „(prägnant formulierte) kurze Geschichte, die mit
einer unerwarteten Wendung, einem überraschenden Effekt, einer Pointe am Ende
zum Lachen reizt“ definiert. Daran kann man feststellen, dass der Witz vor allem zu
der Kategorie „Unterhaltung“ gehört, weil er häufig als kurze Geschichte mit Figuren
und Handlungen vorkommt. In Bezug zu Struktur und Inhalt ähnelt ein Witz einer
literarischen Gattung wie Anekdote, Kurzgeschichte oder Erzählung. Darüber hinaus
ist die Appellfunktion auch nicht auszuschließen, denn ein Witz dient vor allem dazu,
die Hörer oder Leser zum Lachen zu bringen. Neben diesen beiden Kategorien kann
man den Witz auch den Kontakttexten zuordnen, weil nach den Beobachtungen der
Autorin die Menschen (besonders Männer) in manchen Fällen (z.B. bei einem
gesellschaftlichen Treffen) gern einen witzigen Satz oder einen Witz benutzen, um
Kontakt mit den Menschen um sich herum aufzunehmen. In diesem Sinne lassen sich
der Textsorte Witz zumindest drei Funktionen zuschreiben: Unterhaltung, Appell und
Kontakt. Dominierend ist hier aber der Unterhaltungsaspekt, denn die Klassifikation
von Textsorten findet nicht nur nach den textexternen Kriterien statt, wie den
Funktionen, sondern auch nach den textinternen Kriterien, wie der Struktur, dem
Satzbau und der Wortwahl (Duden 4 - die Grammatik, 1998). Wenn man die beiden
Aspekte gemeinsam berücksichtigt, steht der Witz den ästhetischen Texten näher als
den anderen beiden Kategorien. Unter den Unterhaltungstexten ist die Anekdote wohl
mit dem Witz am ehesten verwandt (von Wilpert 1955; 1959: 16, zitiert nach Marfurt
1977: 169). Anekdote bezeichnet heute vor allem eine epische Kleinform, die auf eine
überraschende Steigerung oder Wendung (Pointe) hinzielt und in gedrängter
sprachlicher Form (häufig in Rede und Gegenrede) einen Augenblick zu erfassen
193
sucht, in dem sich menschliche Charakterzüge enthüllen oder die Merkwürdigkeit
oder die tieferen Zusammenhänge einer Begebenheit zutage treten (Metzler-LiteraturLexikon 1990). Mit dem Witz verbindet die Anekdote „ihre Kürze und Struktur; sie
unterscheidet sich von ihm durch ihren Anspruch auf „Echtheit“, der sich im Text
ausdrückt durch den Gebrauch des Präteritums und durch die Nennung einer
historischen Person, der die Pointe in den Mund gelegt wird (Portmann 1973: 108f,
zitiert nach Marfurt 1977: 169-170).
Wenn es um die kulturelle Spezifik der Textsorte Witz geht, lässt sich nach den
Untersuchungen in dieser Arbeit feststellen, dass Witze, deren Pointe durch die
Sprachmehrdeutigkeit oder den Verstoß gegen die Kulturkonventionen hergestellt
wird, kaum in eine andere Sprache übertragen werden können, es sei denn, dass man
beim Übersetzen den im Witz gemeinten Doppelsinn erklärt, was aber meist dazu
führt, dass die Pointe zu früh verraten wird und der Lacheffekt damit verloren geht.
Im Vergleich dazu sind die Witze, die durch Verstoß gegen das Common Sense- oder
das Kontextwissen produziert werden, relativ einfach in andere Sprachen oder
Kulturen zu übersetzen. Wenn wir Deutsch und Chinesisch als Beispiel nehmen,
können wir bei der Analyse der ethnischen und der Familienwitze feststellen, dass die
Wortwahl (meist in umgangssprachlichem Stil) und die Struktur (inkl. Erzählung,
Dialog, Frage-Antwort-Folge, usw.) des Witztextes beim Übersetzen kaum verändert
wurden. Nur anhand den Zielscheiben oder den Situationen77 kann man versuchen,
die Herkunft des Witzes festzulegen. Aber wenn die dargestellten Figuren und die
Situationen nicht typisch für eine Kultur sind, lässt sich die Herkunft des Witzes
kaum erkennen, wie z.B. in den Blondinenwitzen, die sowohl im Deutschen als auch
im Englischen bekannt sind, oder in den Familienwitzen, die ebenfalls in vielen
Kulturen erzählt werden. In diesem Sinne sind Witze anders als Informationstexte
(wie Nachricht, Rezension) durch einen stärkeren kulturspezifischen Stil geprägt.
Nach einer kontrastiven Studie zu deutschen und chinesischen wissenschaftlichen
Rezensionen wurde herausgefunden, dass die deutschen Rezensionen durch ein
deduktives Arbeitsverfahren geprägt sind, indem man jeweils von einer bestimmten
Theoriegrundlage ausgehend die einzelnen Aspekte expliziert, mit denen man sich
auseinanderzusetzen hat, um zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen zu gelangen.
Bei der Bewertung spielt die Meinungsverschiedenheit eine dominierende Rolle. Im
77
Die Ostfriesenwitze stammen z.B. meist aus der deutschen Kultur, während diejenigen, in denen
eine chinesische Esstradition behandelt wird, meist im chinesischsprachigen Gebiet entstanden sind.
194
Vergleich
dazu
wird
in
chinesischen
Rezensionen
eher
das
induktive
Arbeitsverfahren bevorzugt. Dabei wird die Objektpublikation stets als eine Ganzheit
betrachtet, aus der man die einzelnen Fakten hervorhebt und im Rahmen eines
größeren Umfeldes zusammenhängend darstellt. Die Würdigung der Publikation gilt
hier als weitgehend dominant (Liang 1991: 308-309).
Ein Überblick über die kulturelle Spezifikation von verschiedenen Texttypen im
Deutschen bzw. im Chinesischen liegt uns noch nicht vor. Dazu kann man in Zukunft
weitere Forschungen bzw. kontrastive Studien zwischen Sprachen und Kulturen
durchführen. Neben dem textlinguistischen Bereich können auch die kognitiven
Wissenschaften in späteren Forschungen zum Witz herangezogen. Dabei ist es z.B.
sinnvoll, die Beziehung zwischen dem Witz und der Metapher zu erläutern. Im
nächsten Teil werden wir kurz darauf eingehen.
7.3 Witz und Metapher
Die Metapher wurde traditionell als „gekürzter Vergleich“ (Cicero, Quintilian),
„Bedeutungsübertragung“ (Aristotoles) auf der Wortebene oder als „Interaktion
zweier Vorstellungen“ (Black) bezeichnet. Seit Anfang der 80er Jahre des 20.
Jahrhunderts vertreten Linguisten eher die These, dass Metaphorisierungen eher
kognitive Prozesse seien, die unser alltägliches Leben durchdringen, nicht nur die
Sprache, sondern auch unser Denken und Handeln (vgl. Lakoff/Johnson 1980: 3).
Nach Lakoff und Johnson ist die Metapher typisch für einen Prozess des
menschlichen Verstehens, in dem wir einen neuen Begriff auf Grund eines alten,
bekannten wahrnehmen (vgl. Lakoff/Johnson 1980: 5). Der letztere wird als der
Ursprungsbereich bezeichnet, während der erstere der Zielbereich ist. Eine
Übertragung von dem Ursprung auf das Ziel ist möglich, weil die beiden Konzepte
über gewisse gemeinsame Eigenschaften verfügen. Als bekanntes Beispiel für
Metaphern nennen Lakoff und Johnson (1980): Liebe ist eine Reise. Der
Ursprungsbereich ist „Reise“, während der Zielbereich „Liebe“ ist. Durch die
Gemeinsamkeit zwischen den beiden Konzepten, dass sowohl Reise als auch Liebe
einen langen Prozess mit einem Ziel darstellen, kann man den abstrakten Begriff
„Liebe“ durch den relativ konkreten Begriff „Reise“ verstehen, wie in dem folgenden
Satz:
195
Das alte Paar ist einen langen gemeinsamen Weg gegangen und feiert dieses Jahr
die Goldene Hochzeit.
Im Kontrast zu dem Ursprungs- und dem Zielbereich in einer Metapher sind die
beiden Skripten im Witz durch eine strengere Bedingung miteinander verbunden. Sie
weisen nicht nur Gemeinsamkeiten auf, sondern stehen auch in einer spezifischen
Beziehung von Opposition zueinander. Wenn „Liebe als Reise“ eine Metapher ist,
dann ist der Ausdruck, dass „Ehe ein Sitzen im Gefängnis ist“, eher ein Witz.
Einerseits zeigen die beiden Konzepte „Ehe“ und „Sitzen im Gefängnis“ die
Gemeinsamkeit des langen Prozesses, andererseits stehen die beiden in Opposition
zueinander, denn die Ehe soll nach dem Common Sense-Wissen ein glücklicher
Prozess sein, während das Sitzen im Gefängnis ein Unglück darstellt. In diesem Sinne
können wir versuchen die These aufzustellen, dass der Witz gewissermaßen dem
kognitiven Prozess Metapher als eine Unterkategorie zugeordnet werden kann. Alle
Witze beziehen sich auf die Übertragung von einem Skript oder Konzept auf das
andere, was eine Voraussetzung für die Metaphern darstellt. Darüber hinaus wird der
Witz auch durch die gegensätzliche Beziehung zwischen den beiden Skripten bedingt.
Auf der Seite der Metaphern genügt es aber bereits, wenn der Ursprungs- und der
Zielbereich durch die Gemeinsamkeit miteinander zusammenhängen. Mit anderen
Worten: Alle Witze können als Metaphern betrachtet werden, während nicht alle
Metaphern Witze sind. Selbstverständlich gibt es auch witzige Metaphern. Der oben
erwähnte Satz – Ehe ist ein Sitzen im Gefängnis – gilt als ein Beispiel dafür.
Die Metapherntheorie mit einer Abbildung zwischen beiden mentalen Bereichen
(Lakoff/Johnson 1980) wurde weiter durch Fauconnier und Turner (1999, 2002) zur
Blending-Semantik entwickelt (Wildgen 2008). Die Blending-Theorie geht vom
Grundproblem der Metaphernauffassung aus und betont vor allem den Prozess der
partiellen Abbildung bzw. des Zusammenfügens der Strukturen und Elemente von
Quelle und Ziel. Fauconnier meinte, dass die Operationen des Zusammenfügens dazu
benützt werden können, zusätzliche Struktur, die in der Quelle vorhanden ist, auf den
Zielbereich abzubilden, wodurch dieser durch weitere Strukturen angereichert wird.
Diese Zusatzstruktur kann wiederum dynamisch manipuliert werden, wodurch
weitere Relationen und Verbindungen entstehen (Fauconnier 2001, zitiert nach
Wildgen 2008).
Die Standard-Darstellung des Blending-Prozesses lässt sich in Abbildung 3
wiedergeben (vgl. Fauconnier/Turner 1999, Wildgen 2008):
196
Generic Space
Input 1
Input 2
Blend
Abbildung 3: Standard-Darstellung des Blending
Input 1 und Input 2 bilden die beiden Ausgangspunkte der Operation „Blending“.
Daraus werden Strukturen und Elemente durch spezifische Gesetzmäßigkeiten, die im
oberen Kreis darstellt werden, selektiert und zusammengefügt. Das Resultat des
Blending zeigt der untere Kreis.
Anhand der Blending-Theorie versuchen wir hier, den Prozess der Witzherstellung zu
analysieren. Als Beispiel nehmen wir den bekannten Patientenwitz in der SSTH
(Raskin 1985):
(11, Kapitel 3)
“Is the doctor at home?” the patient asked in his bronchial whisper. “No,” the
doctor’s young and pretty wife whispered in reply. “Come right in.” (Raskin
1985: 100)
Im ersten Skript geht es um einen Patienten, der zum Arzt geht. Im zweiten Skript
handelt es sich um einen Mann, der seine Geliebte – die Ehefrau seines Arztes – zu
Hause besucht. Die beiden Skripten wurden dadurch miteinander verbunden, dass der
Mann wegen seiner Bronchitis flüstern musste, was auch als Flirten zwischen
Geliebten interpretiert werden könnte. Die Darstellung mit dem Blending-Muster
wird in Abbildung 4 wiedergegeben.
197
generic
space
visiting, whisper
Input 2
Input 1
a man
dating with
his lover
a patient
seeing
doctor
Blend
A man/a patient
seeing/dating with
doctor/doctor’s wife
Abbildung 4: Darstellung des Witzes (11, Kapitel 3) anhand der Blending-Theorie
Das Verstehen des Witzes erfolgt von der Wahrnehmung des Inputs 1 über Input 2 bis
zum Ergebnis des Blending. Bemerkenswert ist, dass das Hinzufügen des Inputs 2
beim Lesen/Hören des Witzes meistens unerwartet durchgeführt wird, damit der
Überraschungseffekt, der nötig für einen Witz ist, ausgelöst wird. Hier können wir
einen Unterschied zwischen dem Witz und der Metapher feststellen: Während es bei
der letzteren häufig um ein fertiges Produkt (z.B. ein Wort, einen Ausdruck oder eine
Phrase) nach dem Blending78 geht, handelt es sich beim Witz um den dynamischen
und vom Leser/Hörer unerwarteten Prozess des Zusammenfügens der beiden Inputs.
Eine umfangreiche Studie zum Witz anhand der Blending-Theorie wurde bisher noch
nicht durchgeführt. Auf diesen Aspekt könnte in späteren Untersuchungen weiter
eingegangen werden. Die stärkere Anwendung der kognitiven Ansätze auf die
Witzforschung wird eine Tendenz in der Zukunft sein. Beide Seiten können viel
voneinander profitieren.
Ein weiteres Problem im Bereich der Humorforschung stellt das Verhältnis zwischen
Witz und Lachen dar. Wir wissen, dass der Witz eine Opposition zwischen zwei
Skripten und gleichzeitig ein Spannungsabbau ist, wie Kant formuliert: „Witz ist die
78
Außer bei poetischen Metaphern.
198
plötzliche Verwandlung einer gespannten Erwartung in nichts“ (Kant, zitiert nach
Preisendanz 1970: 10). Aber wie kann eine semantische Opposition zu einem
Spannungsabbau führen? Liegt es daran, dass das erste Skript beim Menschen eine
höhere Spannung auslöst, während das zweite eine niedrigere oder Null-Spannung hat,
so dass der Skriptenwechsel zu einem Spannungsabbau führt? Um diese Fragen zu
beantworten, sind interdisziplinäre Studien erforderlich, die nicht nur Fragen der
Linguistik, sondern auch der Psychologie und Neurologie betreffen.
Wegen der Beschränkung auf den Sprach- und den Kulturvergleich kann diese Studie
die oben gestellten Fragen nicht beantworten. Die von der Verfasserin selbst
gegründete Datenbank kann auch nicht alle mit Witz verbundenen Sprach- und
Kulturphänomene im Deutschen bzw. im Chinesischen widerspiegeln. Trotzdem
hoffe ich, dass diese Arbeit das Interesse der Leser für Humor geweckt bzw. ihre
Kenntnisse über die Menschen und die Gesellschaften aus den beiden Ländern
befördert hat.
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