Volltext - Krause und Pachernegg
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Stuhlinkontinenz nach Haemorrhoidektomie Wunderlich M, Freitas A Langmayr J, Lechner M Homepage: Tentschert G www.kup.at/urologie Journal für Urologie und Urogynäkologie 2004; 11 (Sonderheft Online-Datenbank mit Autoren- und Stichwortsuche 5) (Ausgabe für Österreich), 31-33 Indexed in Scopus Member of the P . b . b . 0 2 Z 0 3 1 1 1 6 M , www.kup.at/urologie V e r l a g s p o s t a m t : 3 0 0 2 P u r k e r s d o r f , E r s c h e i n u n g s o r t : 3 0 0 3 G a b l i t z Eröffnungssymposium des Malteser Robotik Zentrums (MRZ) Malteser Krankenhaus St. Josefshospital Klinik für Urologie und Kinderurologie Datum 28. Januar 2017 Tagungsort Mercure Hotel Elfrather Weg 5 Am Golfplatz D-47802 Krefeld zum Programm bitte hier klicken M. Wunderlich, M. Lechner, A. Freitas, J. Langmayr, G. Tentschert STUHLINKONTINENZ NACH HAEMORRHOIDEKTOMIE STUHLINKONTINENZ NACH HAEMORRHOIDEKTOMIE Goldstandard der chirurgischen Therapie des Haemorrhoidalleidens sind die Operation nach Milligan-Morgan und die submuköse Haemorrhoidektomie nach Parks [1]. Die Indikation zur Operation ergibt sich bei Leidensdruck durch die Symptomatik von prolabierenden Noduli haemorrhoidales III. und IV. Grades. Beide Methoden der Haemorrhoidektomie haben identische Schritte: Gründliche Exzision des überschüssigen Gewebes der prolabierten Haemorrhoidalkonvolute, die üblicherweise bei 3, 7 und 11 Uhr gelegen sind, unter peinlichster Schonung des Musculus (M.) sphinkter ani internus zur Minimierung des Risikos einer postoperativen faekalen Inkontinenz (F.I.); Ligatur der entsprechenden Gefäßstiele zur Hintanhaltung eines Rezidivs; Belassung von Schleimhautbrükken zwischen den Exzisionsstellen, von denen die Regeneration des Anoderms, möglichst ohne Stenose, ausgeht; Verzicht auf eine innere Sphinkterotomie. Bei der submukösen Haemorrhoidektomie wird die Rektummukosa zumindest bis zur Linea dentata genäht, um die Wundheilung zu beschleunigen. Kontinenzprobleme nach diesen konventionellen Verfahren werden in der Literatur mit einer Frequenz von 4,2 bis 26 % angegeben [2]. Sie haben selten das Ausmaß massiver Inkontinenzepisoden, sondern eher jenes einer geringfügigen, doch um nichts weniger belastenden Verschmutzung der Unterwäsche. Als wesentliche Ursache für die postoperative F.I. ist naturgemäß eine Schädigung der Sphinkteren anzusehen. Diese kann bedingt sein durch eine unverhältnismäßig vigouröse Dehnung des Analkanals oder durch die bewußte oder akzidentelle Inzision des M. sphinkter ani internus. Erhöht wird das Risiko der F.I. nach Haemorrhoidektomie durch eine vorbestehende, bisher noch kompensierte Sphinkterinsuffizienz, insbesondere bei Patientinnen mit einer Anamnese von schweren und/oder mehreren Geburten – sei es wegen neuropathischer Schwäche [3] oder Defekt der quergestreiften Beckenbodenmuskulatur. Postpartale ventrale Defekte des M. sphinkter ani externus werden seit der Etablierung des analen Ultraschalls in der Routinediagnostik überraschend häufig festgestellt [4]. Konsequenterweise sollte in der Risikogruppe der Frauen die Indikation zur Haemorrhoidektomie mit Zurückhaltung gestellt und im Zweifelsfall auf den Eingriff zugunsten konservativer Therapieregimes verzichtet werden. Zumindest empfiehlt sich – auch aus forensischen Gründen – eine praeoperative anale Manometrie zur Beurteilung der Sphinkterfunktion. In den letzten Jahren begann sich ein neues Verfahren der operativen Behandlung von Haemorrhoiden zunehmender Popularität zu erfreuen – die PPH (procedure for prolapse and haemorrhoids), in die proktologische Chirurgie eingeführt von Longo [5], basierend auf einer Idee von Koblandin [6]. Durch Exzision eines Mukosazylinders oberhalb der Haemorrhoidalzone mit einem zirkulären Klammerapparat wird die Blutzufuhr zum Haemorrhoidalplexus unterbrochen und das Haemorrhoidalgewebe etwas höher geheftet. Die zunächst vorzugsweise in der Laienpresse publizierten Vorteile der Methode sind angeblich im völligen Fehlen von postoperativen Schmerzen und in der theoretischen Unmöglichkeit einer Sphinkterverletzung mit subsequenter Inkontinenz zu sehen. Noch ehe die Ergebnisse von Langzeitbeobachtungen oder prospektiv vergleichenden Studien vorlagen, entwickelten sich erste fachliche Kontroversen [7], vornehmlich ausgelöst durch Einzelfälle von schweren Komplikationen, welche wohl auf die blinde und in ihrer Tiefe nicht berechenbare Applikation des Klammerapparates im unteren Rektum zurückzuführen waren [8]. PATIENTENGUT Trotz des fachlichen Schwerpunktes der Koloproktologie ließen uns genuine Skepsis und die erste Kenntnis von Komplikationen von der Anwendung der PPH an der Chirurgischen Abteilung des KH der Barmherzigen Schwestern in Wien prinzipiell Abstand nehmen. Gerade wegen der proktologischen Spezialisierung wurden bei uns von X/1999 bis VI/ 2004 insgesamt 43 Patienten mit in vielen Fällen mehreren Problemen nach PPH vorstellig: Stuhlinkontinenz 20 Rezidiv 9 Schmerzen 7 Varia* 20 (* Enddarmobstipation, Rektumprolaps, Dysurie, Impotenz, Fistel, imperativer Stuhldrang etc.) Bei 19 der insgesamt 20 inkontinenten Patienten (8 M, 12 W; 39 bis 81 Jahre alt) war die F.I. als postoperative Komplikation nach PPH aufgetreten, stets unmittelbar nach dem Eingriff; in einem Fall hatte eine manifeste präexistente F.I. (aufgrund eines noch unerkannten Sphinkterdefekts) die Indikation zur Operation nach Longo dargestellt, war durch diese Intervention allerdings weder geheilt noch geändert worden. Die Symptomatik der F.I. in unserem Kollektiv reichte von geringem Stuhlschmieren in die Unterwäsche bis hin zu Episoden von beträchtlichem Stuhlverlust. Alle Patienten waren gezwungen, Einlagen, gelegentlich auch Windeln, zu tragen. Schon vor der Konsultation unseres proktologischen Teams hatte sich die Mehrzahl der Patienten einer konservativen Therapie mit Stuhlregulierung, vor allem aber intensivem Beckenbodentraining, unterzogen, das nur in wenigen Fällen eine Besserung zu erzielen vermochte. Neben einigen Fällen, die uns von ihren Chirurgen gezielt zugewiesen wurden, kam ein substantieller Teil der Patienten zur Konsultation, weil der Eindruck bestand, daß die Beschwerden nach PPH durch den ursprünglichen Operateur negiert oder nicht genügend ernstgenommen wurden. ERGEBNISSE In 14 von 20 Fällen haben wir eine oder mehrere Operationen mit der Intention der Linderung der F.I. durchgeführt: In 12 Fällen haben wir die Klammern entfernt („Agraffektomie“): Nach einem Intervall von wenigen Tagen bis maximal 6 Wochen waren 11 dieser Patienten vollständig kontinent. Die zwölfte Patientin war jene mit der vorbestandenen F.I. Ihre Kontinenz wurde in der Folge durch einen anterioren Sphinkterrepair wiederhergestellt. In einem weiteren Fall wurden insgesamt drei perineale Operationen (Delorme, Altemeyer) wegen hartnäckig rezidivierendem Rektumprolaps sowie eine sakrale Nervenstimulation und schließlich ein Postanalrepair durchgeführt, die allesamt keinen Einfluß auf die Kontinenz hatten. Diese Patientin lehnt ein Stoma kategorisch ab und hat ein zu hohes kardiales Risiko für eine J. UROL. UROGYNÄKOL. Sonderheft 5/2004 For personal use only. Not to be reproduced without permission of Krause & Pachernegg GmbH. 31 STUHLINKONTINENZ NACH HAEMORRHOIDEKTOMIE transabdominelle Rektopexie. Im Falle der 81-jährigen Patientin mit Rektumprolaps paraanal durch den während der PPH vollständig durchtrennten Sphinkterapparat [8] war schon zuvor eine Deviationskolostomie angelegt worden, die nicht mehr rückoperiert wird. Die Agraffektomie (agraffe – französ. = Klammer) ist ein peranales Operationsverfahren, das wir zunächst zur Entfernung von Klammern – prinzipiell allen – entwickelt haben, die in manchen Fällen nach PPH aufgrund ihrer zu tiefen Lage nahe der sensiblen Linea dentata mit kontinuierlichen Schmerzen assoziiert waren, welche nach Agraffektomie zumeist völlig schwanden: In Steinschnittlage wird das Parks-Speculum eingeführt und mit behutsamer Sphinkterdehnung geöffnet, soweit die rigide zirkuläre Klammernreihe dies erlaubt. Diese wird mit der unmittelbar umgebenden Schleimhaut, in die sie eingewachsen ist, dorsal unterminiert und bei 6 Uhr durchtrennt. Unter bestmöglicher Schonung der angrenzenden glatten Rektummuskulatur wird die Klammernreihe vollständig exzidiert, sodann der etwa 3 cm breite zirkuläre Mukosadefekt mit resorbierbaren Einzelknopfnähten zirkulär verschlossen. Bisher haben wir nach dem Eingriff keine Komplikation beobachtet. DISKUSSION Die F.I. ist eine schwere Komplikation nach Haemorrhoidektomie, welche sowohl nach konventionellen Verfahren [2] als auch nach der PPH auftreten kann. Insbesondere nach letzterer ist die Häufigkeit unklar, da die Information über Probleme den Erstoperateuren von ihren Patienten nicht immer vermittelt wird. Während die Stuhlinkontinenz nach konventioneller Haemorrhoidektomie durch unmittelbare Läsionen im analen Sphinkterbereich (Dehnung, präexistente Schwäche oder Defekt, postoperative Narbenbildung mit rigider Stenose, Exzision der Haemorrhoidalkissen als letzte Barriere) erklärt werden kann, ist ihre Genese nach PPH eher rätselhaft, weil inkongruent mit dem als völlig atraumatisch propagierten Operationskonzept, und daher für den Chirurgen weniger 32 J. UROL. UROGYNÄKOL. Sonderheft 5/2004 akzeptabel. Die Lokalisation einer Klammernahtreihe, die Mukosa und Submukosa, selten einen inneren Anteil der Muscularis erfaßt, im unteren Rektumdrittel, also genügend weit oberhalb der Linea dentata und dem Oberrand des M. sphinkter ani internus, sollte theoretisch mit keinem der Sphinkteren funktionell interferieren. Nichtsdestoweniger resultiert nach der Operation in wenigen Fällen eine nicht unbeträchtliche F.I., welche die Lebensqualität des einzelnen Patienten empfindlich stört. Welche pathophysiologischen Veränderungen für die F.I. nach PPH verantwortlich sind, kann aus unserer klinischen Sicht nicht erklärt werden. Auffallend ist der hohe Anteil an männlichen Patienten (8 von 20) in dieser Serie. Da Geschlecht und Alter dieser Patienten eine präexistente Sphinkterschwäche kaum annehmen lassen, ist es nicht ausgeschlossen, daß durch die PPH die Funktion von ursprünglich intakten Sphinkteren gravierend und – zumindest in dieser Serie – ohne Tendenz zu spontaner Besserung verändert wird, sei es durch die Rigidität der Klammernreihe, sei es durch Unterbrechung der Kontinuität des glattmuskulären Zylinders im unteren Rektum und/ oder der dort verlaufenden submukösen und intramuskulären autonomen Nervenplexi. In allen Fällen von F.I., in denen konservative Therapiemaßnahmen – an erster Stelle Beckenbodentraining mit Biofeedback – vollständig versagt hatten, lag es nahe, die Agraffektomie (wie schon zuvor bei den Patienten mit Schmerzen nach PPH) als Versuch der Problemlösung anzubieten. Der Heilungserfolg in 11 von 12 Fällen war so überraschend wie erfreulich. Das völlige Verschwinden der Inkontinenzsymptomatik nach Agraffektomie ist ein deutlicher Hinweis dafür, daß in diesen einzelnen Fällen die Klammernreihe selbst mit der Sphinkterfunktion interferiert haben muß – auf welche Weise auch immer. In Kontrast zu der von vielen Institutionen publizierten geringen Komplikationsrate nach PPH [9] entsprechen die bei uns seit Oktober 1999 behandelten 43 Patienten, darunter 19 mit einer unmittelbar postoperativ manifestierten Stuhlinkontinenz, einem verhältnismäßig substantiellen Kollektiv. Im Gegensatz zu konventionellen Haemorrhoidektomien, zum Beispiel in der Risikogruppe von Frauen mit entsprechender Geburtsanamnese, ist die F.I. nach PPH weit weniger vorherseh- oder erahnbar. Dies bestätigt der hohe Anteil von männlichen Patienten, die keinesfalls dem geriatrischen Spektrum zugehören, in dieser Subgruppe unserer Serie. Aus Sicht der verantwortungsbewußten Chirurgie ergibt sich hieraus zwingend die Verpflichtung zu einer präoperativen Information, die das Risiko einer F.I. nach PPH unmißverständlich anspricht – nicht so sehr in seiner noch unbekannten tatsächlichen Inzidenz, vielmehr aber in seiner Unberechenbarkeit auch bei gesunden Menschen in berufstätigem Alter. ZUSAMMENFASSUNG Keine der gegenwärtig geübten Methoden der Haemorrhoidektomie (Parks, Milligan-Morgan, PPH) ist frei vom Risiko der postoperativen Stuhlinkontinenz. Die F.I. nach PPH ist, wenn vermutlich auch selten, doch weniger vorhersehbar als nach den konventionellen Verfahren, wie der hohe Anteil an nicht geriatrischen Männern in dieser Serie zeigt. Folglich müssen auch vor PPH alle Patienten über die Tatsache an sich, sowie über die Unberechenbarkeit des Risikos einer subsequenten F.I. explizit informiert werden. Bei unseren Patienten war die Agraffektomie (= peranale operative Entfernung des zirkulären Klammernringes) das Verfahren der Wahl mit prompter und vollständiger Heilung der F.I. binnen höchstens 6 Wochen in 11 von 12 Fällen. Literatur: 1. Wunderlich M. Standards in der chirurgischen Proktologie (Konsensusbericht). In: Boeckl O, Waclawiczek HW (Hrg). Standards in der Chirurgie. Zuckschwerdt Wien, 1995; 364–6. 2. Wunderlich M. Anatomische Physiologie des Sphinkterorgans – funktionelle Grundlage beim sphinktererhaltenden Therapiekonzept des Rektumkarzinoms. Acta Chir Austr 1994; 26: 130–6. 3. Henry MM. The role of pudendal nerve innervation in female pelvic floor function. Curr Opin Obstet Gynecol 1994; 6: 324–5. 4. Falk PM, Blatchford GJ, Cali RL, Christensen MA, Thorson AG. Transanal ultrasound and manometry in the evaluation of fecal incontinence. Dis Colon Rectum 1994; 37: 468–72. STUHLINKONTINENZ NACH HAEMORRHOIDEKTOMIE 5. Longo A. Treatment of haemorrhoids disease by reduction of mucosa and haemorrhoidal prolapse with a circular suturing device: A new procedure. Proceedings of the Sixth World Congress of Endoscopic Surgery, Rome, Italy; 3–6 June 1998; Mundozzi Editore, 1998; 777–84. 7. Herbst F. Editorial – The Stapeled Anopexy. Acta Chir Austr 2001; 33: 48–50. 6. Koblandin SN, Schalkow JL. Eine neue Methode zur Behandlung von Haemorrhoiden mit Hilfe eines Zirkularstaplers. Wissenschaftliches Archiv des Zelinograder Medizinischen Instituts, Kasachstan, 1981; 27–8. 9. Herbst F. Die Klammernahtanopexie. Acta Chir Austr 2001; 33: 48–75. 8. Schenkenbach Ch, Deckstein M, Scheyer M, Wunderlich M, Zimmermann G. Die Haemorrhoidektomie nach Longo – erste Erfahrungen. Acta Chir Austr 2001; 33: 70–1. Korrespondenzadresse: Univ.-Prof. Dr. Max Wunderlich, FRCS Chirurgische Abteilung KH der Barmherzigen Schwestern A-1060 Wien, Stumpergasse 13 E-mail: [email protected] J. UROL. UROGYNÄKOL. Sonderheft 5/2004 33 Haftungsausschluss Die in unseren Webseiten publizierten Informationen richten sich ausschließlich an geprüfte und autorisierte medizinische Berufsgruppen und entbinden nicht von der ärztlichen Sorgfaltspflicht sowie von einer ausführlichen Patientenaufklärung über therapeutische Optionen und deren Wirkungen bzw. Nebenwirkungen. Die entsprechenden Angaben werden von den Autoren mit der größten Sorgfalt recherchiert und zusammengestellt. Die angegebenen Dosierungen sind im Einzelfall anhand der Fachinformationen zu überprüfen. Weder die Autoren, noch die tragenden Gesellschaften noch der Verlag übernehmen irgendwelche Haftungsansprüche. 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