Die Chancen eines demokratischen Neuaufbaus
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Die Chancen eines demokratischen Neuaufbaus
VK 2B 03058F LAND TAGS KURIER Freistaat Sachsen Seite 3 Seite 8 Seite 14 Ausgabe 5 | 10 Zugestimmt: Erklärung des Ministerpräsidenten zum EU-Rettungsschirm Verliehen: Landtagspräsident ehrte Bürger mit Verfassungsmedaille Erinnert: Freistaat Sachsen auf dem Weg zur High-Tech-Region Seite 2 Editorial LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Inhalt Plenum 15. Sitzung des Sächsischen Landtags Zustimmung zum Euro-Rettungsschirm Erklärung des Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich . . . . . . . . . . . 3 Hintergrundinformationen zum Europäischen Stabilisierungsmechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 16. Sitzung des Sächsischen Landtags Bürger entwickeln ihre Region Fachregierungserklärung zur Halbzeit der Integrierten Ländlichen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Aktuelles Landtagspräsident verlieh Sächsische Verfassungsmedaille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Jugend Unsere Kinder sind Medienkinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Reportage Lausitzer mit Leib und Seele Ein Tag mit Thomas Jurk, Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt und Landwirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 20 Jahre Freistaat Sachsen Auf dem Weg zur High-Tech-Region Technologische Wettbewerbsfähigkeit Sachsens . . . . . . . . . . . . . 14 Besucher Antrittsbesuch des chinesischen Botschafters . . . . . . . . . . . . . . . 16 Besuch aus dem Paris des Nordens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 Der Ton macht die Musik Polizeiorchester spielte im Plenarsaal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Geschichte Die Chancen eines demokratischen Neuaufbaus Der sächsische Landtag nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu seiner Auflösung im Jahr 1952 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Service Ausstellung: Schülerwettbewerb zur Förderung der politischen Bildung des Sächsischen Landtags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Weitere Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 | Sächsische Verfassungsmedaille | Titelfoto: S. Giersch Foto: S. Giersch Liebe Bürgerinnen, liebe Bürger, am 15. Mai 2010 habe ich die Sächsische Verfassungsmedaille an sieben Persönlichkeiten verliehen, die sich besonders um die freiheitliche demokratische Entwicklung im Freistaat Sachsen verdient gemacht haben. Zwei Jahrzehnte nach der Friedlichen Revolution, zu deren Erinnerung die Medaille von meinem Amtsvorgänger Erich Iltgen gestiftet worden ist, brauchen wir den Mut zur Zukunft, den Willen zur Veränderung und zur Übernahme von Verantwortung notwendiger denn je. Rund 36 Prozent der Bevölkerung (über 14 Jahre) in Deutschland engagieren sich freiwillig. Das ist keine Selbstverständlichkeit und eine internationale Spitzenposition. In Sachsen zum Beispiel gibt es einzelne Landkreise und Städte mit deutlich überdurchschnittlichem Engagement von über 50 Prozent. Auf dem Wege des freiwilligen bürgerschaftliche Engagements werden individuelle Freiräume zum Wohle der Gemeinschaft genutzt. So gewinnt Freiheit ihre soziale Dimension, die auf die Zukunft gerichtet ist. Ich teile die Überzeugung, die sich heute immer stärker durchzusetzen beginnt, dass alltägliche Freiheit nur in sozialer Gebundenheit, als Freiheit in der Bürgergesellschaft dauerhaft möglich sein kann. Dieser Gedanke soll auch in Zukunft mit der Verleihung der Sächsischen Verfassungsmedaille zum Ausdruck gebracht werden. Dr. Matthias Rößler Präsident des Sächsischen Landtags Plenum LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Seite 3 Zustimmung zum Euro-Rettungsschirm Erklärung des Ministerpräsidenten Stanislaw Tillich Illustration: © mipan | fotolia.com Autor | Uwe Nösner | 15. Sitzung des Sächsischen Landtags | E s gibt keine Alternative zur Zustimmung, so Tillich in seiner Erklärung. Es gehe nicht mehr nur um Griechenland, sondern um den Euro und die Europäische Union selbst. Ohne die Hilfen würde deren Stabilität in Frage gestellt. Der Ministerpräsident zeigte Verständnis für die Sorgen der Bevölkerung. Schließlich habe Sachsen seit 2006 keine Schulden mehr aufgenommen und unternehme große Anstrengungen, seinen Haushalt auszugleichen. Dabei sei auf manches Wünschenswerte, was sich andere verschuldete Länder noch leisten würden, aus Sparsamkeitsgründen verzichtet worden. Sachsen sei mit seiner Haushaltspolitik eines der Länder, das zur Stabilität des Euro in der Europäischen Union beitrage. Das solle auch in Zukunft so bleiben. Zugleich Erinnerte Tillich an die Solidarität der Europäischen Union gegenüber dem Freistaat Sachsen. Solidarität sei in der EU keine Einbahnstraße. > Sachsen wird dem Euro-Rettungsschirm im Bundesrat zustimmen. Das kündigte Ministerpräsident Stanislaw Tillich zu Beginn der 15. Sitzung des Sächsischen Landtags am 19. Mai 2010 an. Inzwischen hat der Deutsche Bundestag über das Gesetz für den deutschen Kreditanteil abgestimmt. Dieser kann in den nächsten drei Jahren bis zu 148 Milliarden Euro betragen. < Keine Konsequenzen gezogen Dr. André Hahn, Linksfraktion, gab seiner Erwartung Ausdruck, dass sich ein Ministerpräsident nicht nur zu internationalen Fragen, sondern in erster Linie zu den Problemen des Landes äußern müsse. Die Lage sei ernster geworden, was vor allem damit zusammenhänge, dass in den Jahren 2008 und danach die notwendigen Konsequenzen aus der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht gezogen worden seien. Alle spekulationsfördernden Gesetze und sämtliche Steuererleichterungen für Spekulationsgewinne seien nach wie vor in Kraft. Nichts habe sich seit 2008 substanziell geändert. Es dürfe nicht länger über eine Finanztransaktionssteuer geredet, diese müsse vielmehr endlich in Deutschland und in Europa eingeführt werden. Das sei die zentrale Forderung seiner Fraktion. Foto: © DeVIce | fotolia.com Auf Schulden verzichten Steffen Flath, CDU, wies darauf hin, dass es zu einfach sei, nur auf Spekulanten und Finanzmärkte zu zeigen. Zur Wahrheit gehöre auch, dass es dem Staat nicht anders ergehe als einem privaten Haushalt, einem Handwerksmeister oder einem Mittelständler, der eine längere Zeit über die eigenen Verhältnisse lebe. Er schränke seine eigenen Handlungsmöglichkeiten ein. Seine Fraktion habe sich auf Eckpunkte bei der Aufstellung des Doppelhaushaltes Plenum Seite 4 LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Illustration: morganimation | fotolia.com für die nächsten zwei Jahre als der schwierigsten Aufgabe des Jahres verständigt. Sie wolle in diesem Jahr nicht sparen, sondern auf Schulden verzichten und auf diese Weise zur Stabilität in der Europäischen Union beitragen. Das sei eine große Aufgabe. Auch die Opposition sei aufgefordert, nicht täglich den Menschen immer wieder Dinge zu versprechen, von denen man ganz genau wisse, dass sie nicht erfüllbar seien. tik ihren eigenen Anteil zu ihrer Verschärfung geliefert habe. Es sei versäumt worden, rechtzeitig die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Es sei längst an der Zeit, Spekulationen einzudämmen und zu verhindern und die Verursacher der Krise an den Kosten zu beteiligen. Stabilitätspakt umsetzen Eine Krise der Demokratie Martin Dulig, SPD, setzte die Finanzkrise mit einer Demokratiekrise gleich. Es gehe um mehr als nur um den Euro, sondern um das soziale Europa. Es gehe um das soziale Zusammenleben einer Gesellschaft. Er finde es auch falsch, mit den Fingern auf die Griechen zu zeigen. Denn diejenigen, die dort demonstrierten, demonstrierten nicht, weil man ihnen gerade ihre Luxuswohnung wegnähme, sondern weil man an ihre Rente gehe. Die Finanzmarktkrise zeige, dass auch die Poli- Nach Auffassung von Carsten Biesok, FDP, hätten die letzten Tage gezeigt, wie notwendig es sei, den Stabilitätspakt konsequent umzusetzen. Er habe gerade das Ziel gehabt, die jeweiligen Nationalstaaten zu einer soliden Haushaltspolitik anzuhalten. Die erste, die diesen Stabilitätspakt gebrochen habe, sei die rot-grüne Bundesregierung unter Bundeskanzler Schröder mit Außenminister Fischer gewesen. Man müsse zu einer effektiveren Überwachung und einer Stärkung des europäischen Stabilitätspaktes mit schmerzhaften Sanktionen kommen. Er denke an die Sperrung von EU-Mitteln oder die Suspendierung von Stimmrechten von Mitgliedstaaten der Europäischen Union beim Bruch des Stabilitätspaktes. Diese Mechanismen müssten automatisch wirken. Es dürfe kein Ausweichen mehr geben, wenn die Kriterien nicht eingehalten würden. Das gelte für Griechenland. Das gelte für Spanien. Aber das gelte auch für Deutschland. Härter in der Sache Antje Hermenau, BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN, bezeichnete die maroden Staatsfinanzen, die bereits Ende der sechziger begonnen hätten, als den eigentlichen Kern des Problems. Die FDP habe in den zurückliegenden 40 Jahren 28 Jahre mitregiert und zwölf nicht und müsse wissen, was sie in dieser Zeit selber versäumt habe. Die CDU in Sachsen habe die Chance genutzt und sage, dass sie gern auf Schulden verzichten wolle und dies auch schon seit ein paar Jahren umsetze. Da könne sie die Fraktion nur ermutigen, deutlich härter in der Sache zu werden und nicht so zu tun, als ob man spare, sondern es wirklich zu tun. Gegen Verfassungsrecht Nicht nur für seine Fraktion, so Arne Schimmer, NPD, sondern auch für alle klar denkenden Volkswirte und Deutschen stehe fest, dass der sogenannte EU-Rettungsschirm gegen geltende verfassungsrechtliche Vorgaben verstoße. Er sei ein weiterer großer Schritt im Prozess der Ausplünderung des deutschen Steuerzahlers im Namen der sogenannten europäischen Integration. Das hastige Durchpeitschen dieses Rettungsschirmes mithilfe von Ermächtigungsgesetzen werde nur Unglück über die Deutschen und Europa bringen. Deshalb müsse der Freistaat Sachsen im Bundesrat gegen das Euro-Ermächtigungsgesetz stimmen. LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Plenum Seite 5 Foto: © mentalrai | fotolia.com Quelle: Bundesregierung Hintergrundinformationen zum Europäischen Stabilisierungsmechanismus ie EU-Finanzminister hatten Maßnahmen und einen Mechanismus zur Wahrung der europäischen Finanzstabilität mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro beschlossen. Die Euroländer, der Rat der Europäischen Union, die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank waren zuvor übereingekommen, alle verfügbaren Mittel auszuschöpfen, um die Stabilität des EuroWährungsgebietes zu wahren. Damit können die EU und die Euroländer einem Euro-Mitglied im Notfall im Verbund mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) Kredite zur Verfügung stellen. Voraussetzung dafür ist, dass der betroffene Mitgliedstaat aufgrund außergewöhnlicher Ereignisse, die sich seiner Kontrolle entziehen, wirtschaftlich ernstlich bedroht ist. In diesem Fall muss der Mitgliedstaat ein wirtschafts- und finanzpolitisches Programm mit dem IWF und der Europäischen Kommission vereinbaren. > Das Bundeskabinett hat die rechtlichen Voraussetzungen für den deutschen Beitrag zur Stabilisierung des Euroraums geschaffen. Deutschland gibt dafür Garantien von bis zu 148 Milliarden Euro. Das Gesamtpaket der Europäer von bis zu 750 Milliarden Euro stellt ein klares Signal dar, dass die Eurozone stabil ist und sich Spekulationen gegen Euroländer nicht lohnen. Damit liegen diese Garantien unmittelbar im deutschen und europäischen Interesse. < Gestaffelte Nothilfen Die Nothilfen sind gestaffelt. Europäischer Stabilisierungsmechanismus: Die EU kann durch den EU-Haushalt garantierte Kredite von bis zu 60 Milliarden Euro aufnehmen und an betroffene Euroländer ausreichen. Garantien: Zusätzlich wollen die Euroländer die Unterstützung im Notfall ergänzen. Eine auf drei Jahre befristete Zweckgesellschaft soll mithilfe von Krediten eine drohende Zahlungsunfähigkeit von Mitgliedstaaten abwehren können. Hierfür stehen maximal www.bundesregierung.de 440 Milliarden Euro als Kredite zur Verfügung. Internationaler Währungsfonds: Der IWF will sich mindestens mit der Hälfte des europäischen Beitrags beteiligen. Ran an die Ursachen Die Staats- und Regierungschefs der Euroländer hatten ebenfalls beschlossen, ihre Haushaltskonsolidierung zu beschleunigen. Insbesondere Portugal und Spanien haben sich verpflichtet, signifikante zusätzliche Konsolidierungs- > D Link Illustration: © Xaver Klaußner | fotolia.com maßnahmen in diesem und im nächsten Jahr zu ergreifen. Darüber hinaus vereinbarten die Regierungen, die Wirtschaftspolitik der einzelnen EU-Länder stärker zu beaufsichtigen und zu koordinieren. Dabei geht es auch darum, deren Auswirkungen auf Schuldenstand und Wettbewerbsfähigkeit stärker im Blick zu haben. Ferner wollen sie die Regeln zur Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes unter anderem durch wirksamere Sanktionen verschärfen. Seite 6 Plenum LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Autor | Uwe Nösner | 16. Sitzung des Sächsischen Landtags | Fotos: S. Giersch Fachregierungserklärung zur Halbzeit der Integrierten Ländlichen Entwicklung Bürger entwickeln ihre Region n seiner Fachregierungserklärung hat Frank Kupfer die Kommunen aufgerufen, verstärkt Fördermittel der Europäischen Union zu nutzen. Das Budget von 411 Millionen Euro solle durch Umschichtungen noch erhöht werden. Bisher seien bereits 3.000 Projekte bewilligt worden. Künftig sollen bei der Förderung des ländlichen Raumes auch Investitionen in Schulen einen neuen Schwerpunkt bilden. Der Freistaat Sachsen werde daher eine Erweiterung der Förderrichtlinie »Integrierte Ländliche Entwicklung« (ILE) beantragen. Dann könnten die Regionen mit den Geldern auch die Sanierung von Schulen und den dazugehörigen Sporthallen nach den neuesten energetischen Standards finanzieren. Moderne Schulen schonten die Umwelt und die Gemeindekasse. Damit unterstütze sein Ministerium aber zugleich auch zwingend notwendige Investitionen in bessere Bildungsmöglichkeiten. Ein weiterer Schwerpunkt sei der Ausbau der Breitbandversorgung im ländlichen Raum. Bevölkerungsschwund als Herausforderung Kathrin Kagelmann, DIE LINKE, ging auf die Defizite ein. Man könne die Entwicklung des ländlichen Raumes nicht bewerten, ohne zunächst den Bevölkerungsschwund als drängendste Herausforderung deutlich zu benennen. Nicht nur im Landkreis Görlitz wanderten junge Menschen aus ländlichen Regionen ab. Der Fluch der bösen Tat, objektive Strukturschwäche, verstärkt durch jahrzehntelange sächsische Leuchtturmpolitik, beschleunigten einen Entleerungsprozess in ländlichen Regionen, der auch mit noch so viel Geld kaum noch aufgehalten werden könne. Es mangele an Branchenansiedlungen, an innovativen Arbeitsplätzen, an guter Entlohnung. Die Menschen treibe es in die städtischen Zentren oder in andere Bundesländer. Hohe Arbeitslosigkeit und Überalterung der zurückbleibenden Bevölkerung seien die Folgen. Kagelmann forderte die Herstellung von Einkommens- gerechtigkeit zwischen Stadt und Land. So lange diese nicht hergestellt sei, werde der Negativtrend in der demografischen Entwicklung nicht zu stoppen sein. Dank an Freistaat und Europäische Union Die Gemeinde Schönwölkau, so deren Bürgermeister Volker Tiefensee, CDU, habe die Infrastruktur mittels der Fördermittelprogramme grundlegend ausgebaut. Dafür danke er dem Freistaat und der EU. Nur wenn die finanzielle Ausstattung der Gemeinden vorhanden sei, könnten die Fördermittel für eine Vielzahl von Investitionen verwendet werden. In früheren Fördermittelprogrammen habe die Möglichkeit bestanden, Eigenleistungen zu erbringen. Es sollte geprüft werden, ob diese Möglichkeit, ohne den bürokratischen Aufwand weiter zu erhöhen, wieder eingeführt werden könne. www.smul.sachsen.de/laendlicher_raum Von SPD auf den Weg gebracht Martin Dulig, SPD, erinnerte daran, dass seine Fraktion das Programm innerhalb der Koalition auf den Weg gebracht habe. Wenn die jetzige Staatsregierung den ländlichen Raum stärken wolle, dürfe sie die Kommunen nicht finanziell ausbluten lassen. Genau das sei aber die gegenwärtige Politik. Die CDU rühme sich immer einer soliden Haushaltspolitik. Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass diese Haushaltspolitik auf dem Rücken der Kommunen gemacht worden sei. Die Handlungsfähigkeit des Staates müsse sich in der Handlungsfähigkeit der Kommunen widerspiegeln. Wer die ländlichen Räume stärken wolle, der müsse die Kommunen und den sozialen Zusammenhalt stärken. Engagement über Gemeinde hinaus Das Konzept des Integrierten Ländlichen Raumes, so Tino > I Link Plenum LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Seite 7 > Die Entwicklung des ländlichen Raumes in Sachsen steht seit 2007 qualitativ auf einem neuen Fundament. 35 sächsische Regionen kommen, zusätzlich zur Basisförderung, in den Genuss einer höheren Förderung. Davon sind 23 Regionen sogenannte ILE-Gebiete (Integrierte Ländliche Entwicklung) mit einem Zuschlag von fünf Prozent und zwölf Regionen befinden sich im Status eines LEADER-Gebietes mit einem zehnprozentigen Aufschlag (siehe Karte). Insgesamt stehen 411 Millionen Euro für die Förderperiode von 2007 bis 2013 zur Verfügung. In seiner Fachregierungserklärung vom 20. Mai 2010 zog Frank Kupfer, Staatsminister für Umwelt und Landwirtschaft, eine Zwischenbilanz. < Günther, FDP, habe dazu beigetragen, dass sich die Menschen auch über die Grenzen ihrer Gemeinde hinaus für die Attraktivität ihres Umfeldes engagierten. Gemeinsam entwickelten sie Ideen und Projekte, die die Zukunft des ländlichen Raumes aktiv gestalteten. Somit entschieden hier die Bürger eigenständig und nicht eine zentrale Behörde. Auch die Möglichkeiten der Finanzierung seien eine neue Form der Eigenverantwortung und förderten so die Herausbildung einer besonderen Bürgergesellschaft. Allerdings müssten zum Beispiel die touristischen Angebote für den ländlichen Raum besser miteinander vernetzt werden. Hier müsse man umsteuern und von der Gießkanne wegkommen. Der Weg nach Dresden führe immer durch den ländlichen Raum. che gelte für die Kooperation der örtlichen Akteure und die Würdigung der Rolle Europas. Denn ohne Europa könnten wesentliche Entwicklungen im ländlichen Raum nicht auf den Weg gebracht werden. Schaue man sich dagegen die reale Politik der Staatsregierung an, dann könne man kaum glauben, dass sie den Inhalt der eigenen Papiere kenne. Wie sonst könne der Ministerpräsident denen das Wort reden, die eine Senkung der Bildungsausgaben im Visier hätten, und wie sonst könne die Mehrheit der CDUFraktion dazu Beifall klatschen. Mehr Geld mache nicht automatisch klüger. Aber weniger Geld im Bildungssystem mache automatisch dümmer. ILE-Richtlinie muss neu gefasst werden Dr. Johannes Müller, NPD, zog als Resümee, dass die ILERichtlinie neu gefasst werden müsse. Auf Bundesratsebene sei eine an Regionalinteressen orientierte Reform des Vergabewesens einzufordern. Den in Rede stehenden Räumen seien regionale Pauschalbudgets in ILE- und LEADER-Gebiete in der EU-Förderperiode 2007 bis 2013 Leipzig Weniger Geld macht automatisch dümmer Quelle: LfULG Dresden Chemnitz Stand: 01. Mai 2009 Es sei sinnvoll, so Michael Weichert, GRÜNE, Regionen auf der Grundlage ihrer Entwicklungskonzepte und nach eigenen Prioritäten Verantwortung bei der Gestaltung der Zukunft zu übertragen. Das Glei- die Hand zu geben. Darüber hinaus müsse auf Landesebene über förderpolitische Alternativen mit dem Ziel der Dezentralisierung der Wirtschaft und die Förderung von regionalen Filialnetzen sowie infrastrukturelle Schwerpunktverlagerung gesprochen werden. Dies alles koste Geld und berge Konfliktpotenzial mit der EU-Kommission. Dass dies gescheut werde, sei vielleicht auch dem Umstand geschuldet, dass das Erzgebirge oder die Lausitz eben nicht in Griechenland oder einem der anderen europäischen Problemstaaten lägen. ILE-Gebiet (Integrierte Ländliche Entwicklung) LEADER-Gebiet Landkreisgrenze Aktuelles Seite 8 LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Landtagspräsident verlieh Sächsische Verfassungsmedaille Autorin | Martina Findeisen > Am 15. Mai 2010 verlieh der Präsident des Sächsischen Landtags, Dr. Matthias Rößler, die Sächsische Verfassungsmedaille an sieben Persönlichkeiten, die sich besonders um die freiheitliche demokratische Entwicklung im Freistaat Sachsen verdient gemacht hatten. Die Medaille war 1997 zur Erinnerung an die Friedliche Revolution vom damaligen Landtagspräsidenten, Erich Iltgen, gestiftet worden. Anlass war der fünfte Jahrestag der Schlussabstimmung über die Sächsische Verfassung am 26. Mai 1992. < I n diesem Jahr feiern wir das » 20-jährige Jubiläum der deutschen Einheit und blicken auf die Wiedererrichtung unseres Freistaates Sachsen im Jahr 1990 zurück. Dieser Rückblick macht uns vor allem bewusst, welche einzigartigen Leistungen dank der Friedlichen Revolution in Sachsen in diesem kurzen historischen Zeitraum erbracht worden sind. Heute nimmt unser Freistaat in fast allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens eine Spitzenposition zumindest innerhalb der neuen deutschen Bundesländer ein. Zugleich verfügt unser Land über eine Verfassung, die alle freiheitlichen Traditionen einer vielhundertjährigen Geschichte der politischen Mitbestimmung in sich aufgenommen hat und uns die Verantwortung für die Zukunft ins Gedächtnis ruft,« so Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler in seiner Begrüßungsansprache. Den Willen der Verfassung lebendig erhalten »Von dem Willen geleitet, der Gerechtigkeit, dem Frieden und der Bewahrung der Schöpfung zu diesen, haben wir uns 1992 als erstes der wieder gegründeten Bundesländer eine Verfassung gegeben. Dieser Wille muss von Generation zu Generation weitergetragen werden, damit die Verfassung, ihr Geist und ihr Buchstabe, lebendig bleiben«, so der Landtagspräsident, und weiter: »Das ist die Voraussetzung dafür, dass der Boden, den Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, Fotos: S. Giersch in den letzten beiden Jahrzehnten bereitet haben, auch in Zukunft die Früchte der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit tragen kann.« Mit der Sächsischen Verfassungsmedaille wurde in diesem Jahr Wolf-Dieter Beyer, Maria Diersch, Benedikt Dyrlich, Michael Lersow, Ingrid Mössinger, Jan Post-Uhlemann und Ludwig Martin Rade geehrt. Integration der Bürgerbewegung Wolf-Dieter Beyer gehörte zu den Gründungsmitgliedern des »Demokratischen Aufbruch« im November 1989 und hat die Integration der Bürgerbewegung, ihrer Ideen und Ideale in das gesamtdeutsche Parteiensystem entscheidend mitgeprägt. Von 1990 bis 2004 war er Mitglied des Sächsischen Land- tags und hat den Inhalt unserer sächsischen Verfassung und ihren Entstehungsprozess in einem breiten Konsens der demokratischen Kräfte maßgeblich beeinflusst. Engagement für deutsch-polnische Zusammenarbeit Maria Diersch ist seit der Gründung 1992 der »Deutsch-Polnischen Gesellschaft Sachsen – Gesellschaft für Sächsisch-Polnische Zusammenarbeit« Vizepräsidentin. Seither hat sie eine nicht hoch genug anzuerkennende Arbeit auf den Gebieten des kulturellen Austauschs zwischen Sachsen und Polen, der Förderung der Jugendbegegnungen beider Länder und der Partnerschaften zwischen sächsischen und polnischen Städten und Gemeinden geleistet. Aktuelles LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Seite 9 | V.l.n.r.: Wolf-Dieter Beyer, Benedikt Dyrlich, Ingrid Mössinger, Dr. Matthias Rößler, Maria Diersch, Dr. Michael Lersow, Jan Post-Uhlemann und Ludwig Martin Rade | Sorbischen Interessen verpflichtet Der gebürtige Sorbe Benedikt Dyrlich setzt sich seit vielen Jahren für die Förderung der sorbischen Minderheit ein und sensibilisiert die sächsische Politik für deren Probleme. Als langjähriger Chefredakteur der sorbischen Abendzeitung »Serbske Nowiny« trägt er maßgeblich zur Pflege der sorbischen Sprache und somit der Identität des kleinsten slawischen Volkes bei. Beitrag zum Aufbau der Demorkatie Michael Lersow gehört zu den Politikern, die während der Friedlichen Revolution und bei der anschließenden Wiedererrichtung des Freistaates Sachsen politische Verantwortung für den Umgestaltungsprozess übernahmen. Er war Mitglied des 1. Sächsischen Landtags und wirkte am Aufbau der parlamentarischen Demokratie sowie der Ausgestaltung der demokratischen Spielregeln in Sachsen mit. Engagement für Kunst und Kultur Ingrid Mössinger wurde mit der Verfassungsmedaille für ihre Verdienste um die Entwicklung der sächsischen Kunst- und Kulturlandschaft geehrt. Seit September 1996 leitet sie die Chemnitzer Kunstsammlungen. Innerhalb weniger Jahre verhalf sie mit ihrem vielfältigen Enga- gement dem Museum deutschlandweit und über die Grenzen Deutschlands hinaus zu großem Renommee. Ihre Ausstellungen stoßen beim Publikum wie in der Kunstszene stets auf großes Interesse und locken zahlreiche Besucher in die Stadt. Niederländer mit Herz für Sachsen Der aus einer sehr alten niederländischen christlich-jüdischen Familie stammende Jan PostUhlemann hat seit 1996 seinen Wohnsitz in Dresden und engagiert sich auf vielfältige Art und Weise für die sächsische Kultur. Außerdem hat er wesentlich daran mitgewirkt, dass in Dresden 2001 der erste Neubau einer Synagoge in den neuen Bundesländern eingeweiht werden konnte. Seit fast zehn Jahren ist er mit dem HeinrichSchütz-Konservatorium e. V. verbunden, dabei seit 2002 ehrenamtlich als Vorstandsvorsitzender. Für einen wirklichen Neuanfang Ludwig Martin Rade gehört zu den Bürgerinnen und Bürgern, die sich in der Zeit der Wende und des Prozesses der Umgestaltung und des Neuaufbaus der parlamentarischen Demokratie bereit fanden, politische Verantwortung zu übernehmen. Darüber hinaus initiierte Rade die Gründung der Wilhelm-KülzStiftung als Einrichtung für die politische Erwachsenenbildung, deren Arbeit er fast 20 Jahre als Vorsitzender mit gestaltet und engagiert sich in überaus hohem Maße für die Entwicklung des Tourismus in Sachsen. »Die Verfassung unseres Freistaates ist ein Kind der Friedlichen Revolution vom Herbst 1989. In Ihrem Wortlaut birgt sie den Geist dieses Ursprungs und trägt ihn weiter. Mit der Verleihung der Verfassungsmedaille möchten wir Bürgerinnen und Bürger würdigen, die die Werte der Verfassung durch ihr Wirken mit Leben erfüllen und sich so Verdienste um die freiheitliche und demokratische Entwicklung Sachsens erworben haben«, unterstich Dr. Matthias Rößler abschließend. Jugend Seite 10 LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Autor | Thomas Platz, Sächsische Landeszentrale für politische Bildung Mitmachen und lernen Z um »Superwahljahr 2009« waren Jugendliche aus ganz Sachsen aufgerufen, sich mit Politik und deren Kommunikation zu beschäftigen. Da solche Einladungen meist zögerlich angenommen werden, bestand in diesem Projekt die Möglichkeit zur Gestaltung eigener Wahlsendungen und Spots. Junger Wahlkampf Neben Stefan Steingräber machen über 80 Jugendliche mit. Steingräber hat für den SEAK in Görlitz schon ein paar kommunalpolitische Themen aufgegriffen und bezeichnet sich als politisch interessiert. Er will, dass seine Altersgenossen wissen, warum es Wahlen gibt und wer zur Wahl steht. Das Projekt von SEAK und SLpB bietet ihm die Chance für einen journalistischen | Frank Richter | Blick. Mit der Arbeit kommen immer mehr Fragen und sein Sendekonzept zur Landtagswahl wächst auf 120 Minuten. Steingräbers Hörer sollen kompetent zur Wahl gehen. In den Wochen vor der Landtagswahl entstehen insgesamt 22 Video- und Audiobeiträge. Die inhaltliche und journalistische Bandbreite der Beiträge ist eindrucksvoll. Das findet auch Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler. Er lässt es sich nicht nehmen, die Teilnehmer zum Projektabschluss persönlich als Schirmherr zu begrüßen. »Es ist wunderbar, wenn sich Jugendliche für Politik interessieren und mitmachen. Das geht heute nicht mehr ohne Medienkompetenz.« Dafür eignet sich das Projekt »Superwahljahr 2009« bestens, findet Dr. Uta Corsa vom SAEK. »Unsere Kinder sind Medienkinder. Das ist in Ordnung, wenn sie die Medien beherrschen.« Der beste Weg zu Medienkompetenz ist das Selbermachen. Auch Frank Richter, Direktor der SLpB, ermuntert zum Mitmachen, denn »es kann uns nicht egal sein, was in unserem Land passiert. Überlassen wir das nicht einfach anderen!« Zum Mitmachen ermuntern auch die Leiter der anschließenden Workshops. Mit den Abgeordneten Sabine Friedel und Patrick Schreiber entwickeln die Jugendlichen Wahlkampfstrategien. »Themen werden gemacht« erklärt Patrick Schreiber, und wie man die richtigen findet, verrät Sabine Friedel. Eine Matrix analysiert zuverlässig Gewinnerund Verliererthemen, markiert Konfliktthemen und politisches Niemandsland. Stefan Steingräber macht Wahlkampf für die Grünen, andere für die Linke und die Piraten. Die Kon- zepte für SPD und CDU überlassen die Teilnehmer lieber ihren Workshopleitern. Im Workshop »Youtube, Twitter und Co.: Politik im Netz« fragten Jugendliche, ob Obamas Jugend LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Seite 11 Unsere Kinder sind Medienkinder > Diesen Nachmittag hat Stefan Steingräber freigenommen. Wenn es um seine Medienarbeit geht, muss die kaufmännische Lehre des 21-jährigen Görlitzers warten. Das war im Superwahljahr 2009 schon öfter so. Heute haben SAEK und SLpB* zum Abschluss ihres Projektes »Superwahljahr 2009 – [email protected]« und zur Prämierung der besten Beiträge in den Sächsischen Landtag eingeladen. < | Preisträger Stefan Steingräber | Fotos: S. Füssel wenn sie persönlich aktiv sind und mit den Bürgern kommunizieren wollen. Reine PR ist nach Meinung von Eleni Klotsikas, Web 2.0-Expertin bei Deutschlandfunk und WDR, zum Scheitern verurteilt. Schneller und direkter Ob sich die Politik durch das Web 2.0 ändert, wagen die Diskutanten beim anschließenden Podium nicht zu sagen. Einverständnis besteht darüber, dass die politische Kommunikation schneller, zielgerichteter und von traditionellen Wegen unabhängiger ist. Ein Knopfdruck genügt und schon gehen Informationen direkt aus der Sitzung an individuelle Verteiler. www.saek.de/superwahljahr.de | Thomas Platz | Preisträger. Sascha Riedel gewinnt in der Kategorie »Wahlspot« mit einem Beitrag zur Bürgermeisterwahl in der »Ministadt Zwickau«. Über den Sonderpreis freuen sich Toni Reichardt, Tom Langhammer, Tristan Seiler und Marius Hartmann aus Leipzig. Sie überzeugten mit der Wahlkampfsatire für eine fiktive Partei. Passend zum Thema postet Steingräber kurz nach Ende der Veranstaltung seinen Sieg auf Facebook. Damit siegen die neuen Medien abermals in Sachen Geschwindigkeit. Die Zeitung berichtet drei Tage später. * Sächsische Ausbildungs- und Erprobungskanäle und Sächsische Landeszentrale für politische Bildung > Wahlkampf als Vorlage für sächsische Politiker taugte. Nur bedingt, die Politik funktioniert hier anders. Weil die Mobilisierung von Wahlkämpfern über Parteistrukturen erfolgt, kam den neuen Medien 2009 noch ein geringerer Stellenwert zu. Die andere Erkenntnis ist, Politiker haben im Internet nur eine Chance, Auf diese Art verfolgen über tausend Dresdner regelmäßig die Twittereinträge mehrerer Abgeordneter aus den Stadtratssitzungen. Fest steht, die Einbahnstraße in der Kommunikation vom Politiker zum Bürger ist abgeschafft. Neue Medien öffnen dem Bürger direkte Wege. Beide Wege lassen sich während der Diskussion beobachten. Auf dem Podium und im Saal wird gefilmt, fotografiert und getwittert. Ganz ohne Einfluss der Veranstalter entwickelt sich eine Berichterstattung im Netz. Zurück zu Stefan Steingräber: er denkt in diesem Moment nicht an Youtube, Twitter und Co. Seine Gedanken sind beim Wettbewerb. Er kennt die Beiträge der Mitbewerber aus dem Netz (www.saek.de/superwahljahr). Die Bautzener Wahlsendung findet er richtig gut. Trotzdem rechnet sich Steingräber eine kleine Chance aus. Zu Recht. 120 Minuten Politik im Radio sind gewagt, schon dieses Konzept wäre preiswürdig, findet die Jury. »Steinis Bundestagswahl – Spezial 2009« gewinnt in der Kategorie »Beste Sendung« wegen der inhaltlichen Qualität. Mit Stefan Steingräber jubeln die weiteren Link Reportage Seite 12 LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Autorin | Katja Ciesluk W ir haben uns in Weißwasser verabredet. Die Ankunft im äußersten Nordostzipfel Sachsens wird begleitet von dicken Regenwolken und viel zu kalten Temperaturen für die Jahreszeit. Glücklicherweise geht es gleich wieder ins Trockene. Wir treffen uns in Thomas Jurks Bürgerbüro. Die Geschäftsstelle der »Lausitzer Füchse« ist im gleichen Haus untergebracht. Die Eishockeymannschaft gehört zu den bekanntesten Aushängeschildern der Stadt. Willy-Brandt-Bilder zieren den Raum und verdeutlichen die politische Heimat des Abgeordneten. Der ›Wandel durch Annäherung‹, mit dem Willy Brandt eine neue Ära der Ostpolitik einleitete, präge ihn bis heute, erzählt Thomas Jurk. Von der internationalen Politik geht es schnell wieder zurück zur Lausitz. Die Region hat mit sinken- Lausitzer mit Leib und Seele Ein Tag mit Thomas Jurk, Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt und Landwirtschaft > Er ist unbestritten einer der erfahrensten Politikern im Sächsischen Landtag. Seit 1990 gehört Thomas Jurk ununterbrochen dem Parlament an. Nach fünf Jahren als Wirtschafts-, Arbeits- und Verkehrsminister von 2004 bis 2009 ist Jurk jetzt wieder in der Legislative und wieder in der Opposition. »Der Wechsel war eine totale Umstellung für mich«, bekennt der Abgeordnete. »Aber das gehört selbstverständlich zur Demokratie, für die wir 1989 demonstriert haben, dazu.« < den Einwohnerzahlen und hoher Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Auch die Randlage fördert Neuansiedlungen von Unternehmen nicht gerade. Bergbau prägt die Region »Um so wichtiger für die Region sind deshalb Bergbau und Energieerzeugung«, so Jurk mit Blick auf das Braunkohlekraftwerk Boxberg, wo derzeit ein 675-Megawatt-Block entsteht. Doch was einerseits wichtige Arbeitsplätze schaffe, verursache andererseits durch den CO2Ausstoß auch unerwünschte Folgen für die Umwelt – Stichwort Klimawandel –, erläutert Thomas Jurk, Vorsitzender des Ausschusses für Umwelt und Landwirtschaft, den Zwiespalt. Um das aktuelle Arbeitsfeld des Abgeordneten näher kennenzulernen, geht es dann raus in die Natur. Ausgerüstet mit großen Regenschirmen und warmen Jacken fahren wir zur Kompostierungsanlage Weißwasser. Andreas Lysk, Geschäftsführer der Niederschlesischen Entsorgungsgesellschaft (NEG) erwartet uns schon und berichtet beim Rundgang über das Betriebsgelände von seiner Arbeit. Von Thomas Jurk nach aktuellen Sorgen befragt, erwähnt er Anfangsprobleme bei der praktischen Umsetzung der soeben neu eingeführten elektronischen Nachweisverordnung (EANV). Das Thema Abfallentsorgung wird den Sächsischen Landtag und auch Thomas Jurk in dieser Wahlperiode noch intensiv begleiten. Jüngst wurde im Parlament ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, der Fragen zur Abfallentsorgung in Verantwortung der Staatsregierung aufklären soll. Thomas Jurk gehört dem Gremium als einer von 19 Landtagsabgeordneten an. | Besuch im Ausweichquartier der Kindertagesstätte Weißkeißel. | LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Reportage stätte, die gerade brandschutztechnisch saniert wird. Die Kinder sind während der Bauarbeiten in einem Ausweichquartier untergebracht, wo wir später an diesem Tag auch noch vorbeischauen. Agrarförderung beibehalten Fotos: D. Flechtner Fest verwurzelt in Weißkeißel Anschließend fahren wir ins acht Kilometer entfernte Weißkeißel – das Heimatdorf von Thomas Jurk, wenige Kilometer von der polnischen Grenze entfernt. Hier ist er aufgewachsen, fest verwurzelt und langjähriges Mitglied im Gemeinderat. Ein Ehrenamt, das er auch in Stresszeiten als Minister und Parteivorsitzender nie aufgegeben hat. »Hier erlebe ich hautnah, was bei den Menschen von der Politik tatsächlich ankommt«, erzählt Jurk. »Die Bürger erwarten direkte Hilfe von einem Abgeordneten.« Eine Hoffnung, die sich natürlich nicht in je- dem Fall erfüllen lasse. Nach 20 Jahren Politikerfahrung weiß er, was machbar ist und was nicht. »Die Qualität und Informationsdichte bei der Beantwortung Kleiner Anfragen – dem wichtigsten parlamentarischen Recht des einzelnen Abgeordneten – habe allerdings spürbar nachgelassen«, merkt Thomas Jurk in diesem Zusammenhang kritisch an. Eine Schule gibt es in Weißkeißel nicht mehr. Das Gebäude, in dem der Politiker einst die Schulbank drückte, ist mittlerweile das Domizil der Feuerwehr. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite informiert sich Jurk über die Baufortschritte in der örtlichen Kindertages- Wir setzen unsere Fahrt fort zur Agrargesellschaft Pechern. Thomas Jurk hat hier einen Gesprächstermin mit dem Geschäftsführer. Wolfram Gaebel nutzt die Gelegenheit, dem Abgeordneten sein wichtigstes Anliegen mit auf den Weg zu geben: »Die Agrarförderung muss beibehalten werden.« Jurk kennt die Sorgen der Landwirte hinsichtlich des Auslaufens der Förderperiode im Jahr 2013 und verweist auf einen Antrag seiner Fraktion zum Thema. »Ohne Landwirtschaft ist die Landschaft nicht in Ordnung zu halten«, versichert er Gaebel seine Unterstützung. Seite 13 Letzte Station des Tages ist der Bärwalder See. Wo vor wenigen Jahren noch ein riesiges Tagebaurestloch klaffte, ist nach der Flutung Sachsens größter See entstanden. »Wir haben hier schon viel erreicht«, erzählt Bürgermeister Roland Trunsch stolz. »Aber jetzt geht es nicht weiter. Wir möchten einen Campingplatz bauen, um auch Übernachtungsgäste an den idyllisch gelegenen See zu locken.« Doch noch mangelt es an Geld und Unterstützung, um diesen Traum zu verwirklichen. Thomas Jurk verspricht, soweit irgend möglich, zu helfen. Als wir aufbrechen, lässt der Regen zum ersten Mal an diesem Tag nach; ein paar zarte Sonnenstrahlen bahnen sich den Weg zur Erde und machen Hoffnung auf mehr. Seite 14 20 Jahre Freistaat Sachsen LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Auf dem Weg zur High-Tech-Region Technologische Wettbewerbsfähigkeit Sachsens > Innovationen stellen in modernen Volkswirtschaften die Hauptquelle fortdauernden Wohlstands dar. Vor diesem Hintergrund kommt der Technologiepolitik des Freistaats eine strategische Bedeutung zu. Im Folgenden wird dargestellt, wie sich die technologische Leistungsfähigkeit Sachsens heute, 20 Jahre nach der Vereinigung, entwickelt hat. < Foto: wikipedia Autor | Joachim Ragnitz (ifo Dresden) sächsischen Institut für Wirtschaftsforschung (NIW) den ersten »Sächsischen Technologiebericht« erarbeitet. Dieser liefert ein umfassendes Bild darüber, wie die technologische Leistungsfähigkeit Sachsens heute – 20 Jahre nach der Vereinigung – einzuschätzen ist. Globalisierungsdruck Spitzenposition Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Sachsen liegt inzwischen – nimmt man alle verfügbaren Indikatoren zusammen – nicht nur an der Spitze der ostdeutschen Bundesländer, sondern im Vergleich aller Bundesländer inzwischen immerhin schon im Mittelfeld. Das ist angesichts der Ausgangslage – dem nahezu vollständigen Zusammenbruch der Industrie und der weitgehenden »Abwicklung« Sächsischer Innovationsindex 2009 nach Bundesländern 150 100 50 0 -50 -150 Quelle: ifo Institut für Wirtschaftsforschung Ni Sac ed hs Rh ers en No e ac rd inla hs e rh ei nd- n nP W fal es z tfa le Ba n Ba y de er n nW Hes ür se tte n m be rg Angesichts des immer weiter zunehmenden Globalisierungsdrucks können Wohlstand und Beschäftigung in Deutschland nur dann gesichert werden, wenn es gelingt, an der Spitze des technologischen Fortschritts mitzumarschieren. Hierzu gehört nicht nur die Anwendung von neuen Verfahren in der Produktion, sondern vor allem auch die Neu- und Weiterentwicklung von modernen Produkten und Dienstleistungen, um auf diese Weise Marktanteile im Inland und Ausland nicht nur zu halten, sondern auch hinzuzugewinnen. Vor diesem Hintergrund ist es von Interesse, wo der Freistaat Sachsen im überregionalen Technologiewettbewerb heute steht. Hierfür hat das ifo Institut (Niederlassung Dresden) im vergangenen Jahr zusammen mit dem Nieder- ec kl Br enb an ur g d Sa enb -Vo ch ur rpo g s m m Sc ener hl An n es ha w Th l t i ür g-H i Sa nge ols te ar n in la nd achsen war bis zum 2. Weltkrieg eine der führenden Technologieregionen nicht nur Deutschlands, sondern ganz Europas. Wichtige Erfindungen und technische Weiterentwicklungen, so im Maschinenbau oder in der Automobilindustrie, stammten aus sächsischen Forschungseinrichtungen und Unternehmen. Auch in der DDR wurden die Forschung an und die Entwicklung von neuen Technologien in den sächsischen Industrieregionen trotz aller systembedingten Beschränkungen weiter vorangebracht. Erst mit der Wiedervereinigung und der nachfolgend forcierten Förderung von Bildung und Forschung konnte der wiedergegründete Freistaat Sachsen dann aber wieder an historische Erfolge anknüpfen. M S der Forschungsabteilungen der Kombinate – keineswegs selbstverständlich. Dass weiterhin ein Abstand nicht nur gegenüber den Stadtstaaten (die allein schon durch ihre Bevölkerungszahl begünstigt sind) und den südlichen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg (in die nach der deutschen Teilung ein Großteil der ehemals mitteldeutschen Industrieunternehmen »geflohen« war) besteht, mag man zwar bedauern; gleichwohl kann man feststellen, dass Sachsen auf gutem Wege ist, weiter zu diesen Ländern aufzuschließen. Gut aufgestellt ist insbesondere die öffentlich finanzierte Forschung und Entwicklung (FuE) in Sachsen. So belegt der Freistaat bei der FuE-Intensität im öffentlichen Sektor (Anteil der FuE-Ausgaben am BIP) den dritten Platz unter den LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) 20 Jahre Freistaat Sachsen Seite 15 Foto: © craftvision | istockphoto.com Fotos: S. Giersch insbesondere mit Blick auf die Zahl der Patentanmeldungen, selbst wenn diese anders als in den meisten anderen Bundesländern eine steigende Tendenz aufweisen. Auch die Markterfolge mit neu entwickelten Produkten und Verfahren lassen bislang noch zu wünschen übrig. Dennoch gilt auch hier, dass Sachsen sich weitaus besser entwickelt hat als die anderen ostdeutschen Bundesländer. Bildungsqualität Positiv zu werten ist nach den Ergebnissen des Technologieberichts vor allem die Qualität des sächsischen Bildungssystems. Bedeutsam ist dies, weil technologische Spitzenleistungen nur erbracht werden können, wenn hinreichend gut ausgebildete Fachkräfte zur Verfügung stehen. Mit einem Akademikeranteil von 16 % liegt Sachsen dabei leicht über dem bundesdeutschen Durchschnittswert. Zwar spiegelt dies zum Teil noch die Nachwirkungen der DDR-Historie wider; auch der Bildungsstand der Schulabgänger in Sachsen ist wegen des überdurchschnittlichen Anteils mittlerer und hoher Bildungs- www.cesifo-group.de abschlüsse vergleichsweise hoch. Zuletzt erreichten immerhin 31 % aller Schulabgänger eine formale Hochschulzugangsberechtigung. Auch mit Blick auf eher qualitative Indikatoren ist das Schulsystem in Sachsen vorbildlich; so wurde in der letzten PISA-Vergleichsstudie in allen untersuchten Kategorien der beste Wert aller deutschen Bundesländer erreicht. Hervorzuheben ist schließlich auch die Ausbildungsleistung der Hochschulen – insbesondere in den sogenannten MINT-Fächern (Mathematik, Ingenieurwissenschaften, Naturwissenschaften und Technik) gehört Sachsen mit zu den führenden Hochschulstandorten in Deutschland. Das positive Bild technologischer Leistungsfähigkeit ist durch die Menschen geprägt: Erfindergeist, technisches Verständnis und Risikobereitschaft sind Voraussetzungen dafür, > deutschen Bundesländern. Insbesondere die sächsischen Hochschulen sowie die außeruniversitären Forschungseinrichtungen sind hier als wesentliche Quellen technologischer Entwicklung zu nennen. Ein großer Vorteil dabei ist die starke ingenieurwissenschaftliche Ausrichtung der sächsischen Universitäten. Hieraus erwachsen auch Wettbewerbsvorteile für die Wirtschaft. Weniger gut steht Sachsen hingegen bei den FuE-Aufwendungen des Unternehmenssektors da – hier belegt der Freistaat, gemessen am BIP, im innerdeutschen Vergleich erst Rang neun. Grund hierfür ist die eher mittelständisch geprägte Wirtschaft in Sachsen, was vor allem die Finanzierung von FuE-Investitionen erschwert. Immerhin: Im Industriesektor dominieren hier die FuE-Ausgaben im Spitzentechnologiebereich, während der sonst vorherrschende Sektor der gehobenen Gebrauchstechnologie nur unterdurchschnittlich repräsentiert ist. Leider führen die durchaus beachtlichen Forschungsaktivitäten in Sachsen bislang noch nicht auch zu entsprechenden Innovationserfolgen. Dies gilt Link dass es gelingt, Innovationen nicht nur hervorzubringen, sondern sie auch in Wettbewerbsfähigkeit umzumünzen. Unterstützt wird dies durch die Forschungs- und Technologiepolitik des Bundes und des Freistaats. Neben den Programmen der unmittelbaren Innovationsförderung ist insbesondere die hohe Zahl von öffentlichen und privaten Forschungseinrichtungen im Freistaat zu nennen, die nicht nur die Grundlagenforschung voranbringen, sondern darüber hinaus auch den Unternehmen den Zugang zu neuesten Forschungsergebnissen öffnen. Wenn an dieser strategischen Ausrichtung festgehalten wird – und hierfür spricht einiges – wird Sachsen seinen Weg in die Spitzengruppe leistungsfähiger Forschungsstandorte in Deutschland auch in Zukunft weiter fortsetzen können. Seite 16 Besucher LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Antrittsbesuch des chinesischen Botschafters D er Botschafter der Volksrepublik China, Seine Exzellenz Hongbo Wu, hat am 5. Mai 2010 dem Präsidenten des Sächsischen Landtags seinen Antrittsbesuch abgestattet. Dr. Matthias Rößler empfing den Botschafter in seinem Amtszimmer im Ständehaus. Zu Beginn des Treffens trug sich der chinesische Diplomat in Foto: Landtag das Gästebuch des Sächsischen Landtags ein. Der chinesische Botschafter ist seit 2009 im Amt. Zuvor war Hongbo Wu viele Jahre in verschiedenen Funktionen im Außenministerium der Volksrepublik China tätig. Von 2003 bis 2005 vertrat er sein Land als Botschafter auf den Philippinen. Der Botschafter ist verheiratet und hat eine Tochter. Autorin | Martina Findeisen Besuch aus dem Paris des Nordens > Svein Ludvigsen, Gouverneur aus Tromsø, dem Paris des Nordens, und ehemaliger Fischereiminister, besuchte vom 13. bis 16. Mai 2010 Sachsen. Er wurde begleitet von Arne Eidsmo, Direktor des norwegischen Arbeitgeberverbandes, und Jochen Schilde, Begründer der Deutsch-Norwegischen Gesellschaft. < L andtagspräsident Dr. Matthias Rößler hatte sich viel Zeit genommen, um den norwegischen Gouverneur während seines Aufenthaltes in Sachsen auch persönlich bei einer Reihe der Programmpunkte begleiten zu können. So reiste man am 14. Mai zunächst nach Hohenstein-Ernstthal zur Firma Roth & Rau AG. Am späten Nachmittag empfing Ministerpräsident Stanislaw Tillich den Gast zu einem Gespräch, bevor dieser dann auf Einladung des Landtagspräsidenten an der Eröffnung der Karl-May-Festtage in Radebeul teilnahm. Für den Samstagvormittag hatte der Landtagspräsident den Gouverneur und seine | Dr. Matthias Rößler und Svein Ludvigsen | Foto: S. Giersch Begleiter zur Feierstunde anlässlich der Verleihung der Verfassungsmedaille im Ständehaus eingeladen. Ludvigsen zeigte sich sowohl vom Anliegen der Auszeichnungsveranstaltung als auch vom Gebäude selbst sehr beeindruckt. Am Samstagnachmittag führte die Reise des Gouverneurs nach Bautzen, wo er nach einem Besuch im Sorbischen Museum mit Vertretern des sorbischen Volkes über Fragen der Minderheitenpolitik und mögliche Ansatzpunkte für eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den norwegischen Samen und den Sorben debattierte. »Ich denke, der Besuch hat ein wenig dazu beigetragen, den äußersten Norden Europas mit der Mitte Europas näher zusammenzubringen«, resümierte Landtagspräsident Dr. Rößler. | Tromsø | Foto: © Borre Heitmann Holmeslet | istockphoto.com Besucher LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Seite 17 Der Ton macht die Musik Polizeiorchester spielte im Plenarsaal Autorin | Katja Ciesluk > Blasmusik statt politischer Debatten und Kinder auf den Plätzen der Abgeordneten: Am 26. April war der Plenarsaal des Sächsischen Landtags Schauplatz eines Konzertes der besonderen Art. Das Polizeiorchester Sachsen führte vor mehr als 100 Dresdner Grundschülern sein Präventionsprojekt »Der Ton macht die Musik« auf. Die Botschaft lautete: Miteinander statt gegeneinander! < L andtagspräsident Dr. Matthias Rößler sowie Innenminister Markus Ulbig hatten gemeinsam zu einem Konzert des Polizeiorchesters Sachsen – allesamt gestandene Berufsmusiker – in den Landtag eingeladen. Mehr als 100 Kinder saßen auf den Sitzen der Abgeordneten und warteten gespannt auf den Beginn der Vorführung. Doch was ist das? Anstatt harmonischer Melodien hallen Misstöne durch den Plenarsaal. Jedes Instrument spielt, was es will und wie es will, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sich zu ziehen. Trompeten wollen die Posaunen übertönen. Das Horn liefert sich einen Wettstreit mit der Tuba. Die Piccoloflöte als kleinstes Instrument des Orchesters versucht ebenfalls, sich irgendwie Gehör zu verschaffen. Und plötzlich stiehlt mit der Bassgitarre auch noch ein artfremdes Instrument den Blasinstrumenten die Show und erntet Jubel und Applaus der kleinen Zuhörer. Jeder möchte den Ton angeben und es entsteht ein heilloses Durcheinander. Ein Genuss für die Ohren ist das nicht. Miteinander statt Gegeneinander Die Lösung heißt: Miteinander statt gegeneinander. Jedes Instrument, ob groß oder klein, aus Blech oder aus Holz, golden oder schwarz, laut oder leise hat seinen individuellen Klang. Erst wenn sich alle Instrumente akzeptieren und alle ihre individuellen Stärken einbringen können, entsteht ein harmonisches Zusammenspiel, wie das Orchester jetzt auch eindrucksvoll beweist. Spätestens als die Musiker die Titelmusik aus »Fluch der Karibik« spielen, sind die Kinder restlos begeistert. Die Botschaft, die die Musiker mit ihrem Konzert auf spielerische Weise übermitteln, lautet: Was hier so schön im Orchester funktioniert, gilt auch im menschlichen Miteinander. Das Präventionsprojekt des Polizeiorchesters Sachsen richtet sich gegen Fremdenfeindlichkeit, Gewalt und Intoleranz und wendet sich an Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 4 und 5. Land- Fotos: D. Flechtner | Landtagsvizepräsidentin Andrea Dombois und Innenminister Markus Ulbig. | tagsvizepräsidentin Andrea Dombois lobte im Rahmen der Veranstaltung ausdrücklich die Präventionsprojekte der sächsischen Polizeimusiker, die mittlerweile auch auf großes Interesse anderer Bundesländer stoße. Als das Konzert sich im Plenarsaal nach einer Stunde dem Ende zuneigte, gab es viele enttäuschte Gesichter. Lautstark forderten die Kinder eine Zugabe, bevor sie schließlich den Heimweg antraten. Info Das Polizeiorchester Sachsen wurde 1991 gegründet. Es besteht aus 33 Berufsmusikern und einem Dirigenten. Das Konzert »Der Ton macht die Musik« wurde vom Orchester selbst entwickelt. Es ist das dritte musikalische Präventionsprojekt. Alle Präventionskonzerte reihen sich ein in die vielfältigen Aktivitäten der sächsischen Polizei im Rahmen der Kriminalprävention. Geschichte Seite 18 LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Autoren | Prof. Dr. Hans Vorländer, Dr. Julia Schulze Wessel | Festakt zur Einsetzung der Landesverwaltung Sachsens durch die SMAD, Glacisstraße, Tonhalle (Kleines Haus). | Foto: Deutsche Fotothek/SLUB; Erich Höhne & Erich Pohl V ictor Klemperer zeichnet in seinem Tagebuch die Wirren der ersten Nachkriegswochen und -monate im zerstörten Dresden eindrucksvoll nach. Dabei erzählt er nicht nur von der Mühsal des alltäglichen Lebens, sondern auch von den Hoffnungen, die er der neuen Ordnung entgegenbringt. Die Schilderungen Victor Klemperers lassen erkennen, dass die unmittelbare Nachkriegszeit im Vergleich zu den späteren Jahren der DDR noch von einer relativen Pluralität und Offenheit der politischen Debatten und Ordnungsvorstellungen geprägt war. Die neuen Machthaber konnten ihre Pläne der Nachkriegsgesellschaft nicht rücksichtslos aufzwingen und die KPD war auf eine Zusammenarbeit mit anderen, nichtkommunistischen Parteien oder auch anderen politischen Richtungen innerhalb der eigenen Partei angewiesen. In dieser Gewissheit verkündete das Zentralkomitee der KPD im Juni 1945 als politisches Ziel die »Aufrichtung eines antifaschistischen, demokratischen Regimes, einer parlamentarischdemokratischen Republik mit allen demokratischen Rechten und Freiheiten für das Volk« – Die Chancen eines dem Der Sächsische Landtag nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu seiner Auflösung im Jahr 1952 > Das politische Leben erwachte in Sachsen bereits unmittelbar nach der Befreiung vom Nationalsozialismus. Die kurzzeitige relative Offenheit und Pluralität wich schon bald einer restriktiven Politik, die die Arbeit des Sächsischen Landtags von Anfang an prägen sollte. < eine Formulierung, der sich auch die bürgerlichen Parteien anschließen konnten. Die notwendige Einbindung politisch Andersdenkender und die gleichzeitigen Bemühungen, unumkehrbare Weichenstellungen für eine sozialistische Ordnung vorzunehmen, glichen oftmals einem Vabanque-Spiel mit dem politischen Gegner. Sie prägten die erste Nachkriegszeit in der Sowjetischen Besatzungszone und die ersten Jahre in Sachsen nach dem Zweiten Weltkrieg. Legitimation der neuen Ordnung Aber nicht nur die anderen Parteien, die gesamte Bevölkerung sollte in den Aufbau der neuen politischen Ordnung mit eingebunden werden, wie ihn die KPD anstrengte. Sie diente dabei als Legitimitätsbeschafferin der neuen Ordnung. Die wichtigste Quelle der Legitimation der KPD war dabei von Anfang an ihr Antifaschismus. Die in der unmittelbaren Nachkriegszeit verfolgte Entnazifizierungspolitik und die Tatsache, dass die KPD ihren Widerstand gegen den Nationalsozialismus überzeugender glaubte vertreten zu können als die bürgerlichen Parteien, mag für manche ein Beweggrund gewesen sein, die KPD zu unterstützen oder ihr beizutreten. So merkt Victor Klemperer in seinem Tagebuch zu seinem Parteieintritt Ende 1945 an: »Sie (die KPD) allein drängt wirklich auf die radikale Ausschaltung der Nazis. Ich habe als Hochschullehrer aus nächster Nähe mit ansehen müssen, wie die geistige Reaction immer weiter um sich griff. Man muß sie wirklich und von Grund aus zu beseitigen suchen. Und den ganz unverklausulierten Willen hierzu sehe ich nur bei der KPD.« In der Selbstbeschreibung der neuen Ordnung wurde der Antifaschismus zu einer der Hauptquellen der Legitimation in allen Ländern der späteren DDR und prägte somit auch das Selbstverständnis des neuen Sächsischen Landtages. | Mitgliedskarte 484409 der KPD für Victor Klemperer, ausgestellt am 13.12.1945 | Foto: Deutsche Fotothek/ SLUB Dresden, Regine Richter Geschichte LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) | Enttrümmerungsarbeiten in Dresden | Foto: Deutsche Fotothek/SLUB; Richard Peter | Drogerie in der zerstörten Dresdner Innenstadt | Foto: Deutsche Fotothek/SLUB; Richard Peter okratischen Neuaufbaus Für den Wiederaufbau der politischen und gesellschaftlichen Ordnung brachten die aus dem Exil aus Moskau zurückkehrenden Mitglieder der KPD genaue Pläne mit. Sachsen kam dabei eine zentrale Rolle zu, denn als Vertreterin des ›Kernlandes der Arbeiterbewegung‹ trieb die Sowjetische Militäradministration Deutschlands (SMAD) die politische und gesellschaftliche Neugründung verstärkt voran. Zwei institutionelle Gründungen der ersten Wochen nach der Befreiung waren entscheidend für den 1946 gewählten Landtag: der Aufbau der Landesverwaltung und die Zulassung antifaschistischdemokratischer Parteien. Der Aufbau der Landesverwaltung begann in Sachsen, wie in den anderen durch die SMAD kontrollierten Provinzen auch, bereits in den ersten Tagen nach der Kapitulation Deutschlands. Anders als in dem von den westlichen Alliierten besetzten Teil Deutschlands ließ die SMAD die Neugründung antifaschistisch demokratischer Parteien schnell wieder zu. Und so erwachte bereits im Juni 1945 das politische Leben in Sachsen. Wie in allen Teilen der sowjetisch besetzten Zone gründeten sich mehrere Parteien neben der KPD, die als antifaschistischdemokratische Parteien in der SBZ zugelassen wurden: SPD, CDU und LDP. Diese Parteien wurden alle an dem Aufbau der Landesverwaltung beteiligt, und aus diesem Personal rekrutierte sich Ende 1946 ein Großteil wichtiger und tragender Mitglieder des Sächsischen Landtages und der Landesregierung. Um den Einfluss der Kommunisten von Anfang an so groß wie möglich zu gestalten, wurden Schlüsselpositionen von der KPD, vor allem mit in Moskau geschulten Remigranten besetzt. Die Personalpolitik der SMAD wurde so zur Machtpolitik der ersten Monate. Die anfänglich noch relativ starke Position nicht-kommunistischer Parteien und ihr Einfluss auf www.landtag.sachsen.de die Gestaltung der neuen Ordnung wurden jedoch in den folgenden Jahren immer weiter zurückgedrängt. Die Wahlen zum Sächsischen Landtag wie auch zu den Landtagen der anderen Provinzen im Oktober 1946 waren die einzigen relativ freien und geheimen Wahlen der SBZ. Aber auch hier zeichnete sich bereits der spätere, repressive Kurs der SED, zu der Anfang 1946 SPD und KPD zwangsvereinigt wurden, ab. Nicht nur durch die massive Propagandatätigkeit der SED, sondern auch durch organisatorische Behinderungen der bürgerlichen Parteien bei der Aufstellung ihrer Kandidaten und die Zulassung von Massenorganisationen zur Wahl zeigte sich der spätere Weg, den die SED in den kommenden Monaten und Jahren einschlagen sollte. Trotz dieser Einschränkungen erhielten die bürgerlichen Parteien fast identisch viele Stimmen wie die SED. Die wichtigste Aufgabe des gewählten Landtags war der Erlass einer Verfassung. Auch > Wiederaufbau der politischen Strukturen Seite 19 Link hier gab es im Parlament eine relativ plurale und freie Diskussion, wie auch im Verfassungsausschuss der späteren DDR zu beobachten war. Die entscheidenden ordnungspolitischen Strukturen jedoch wurden durch die SED bestimmt. Und so wurde schon bald die anfänglich starke Stellung der Länderparlamente immer weiter zurückgedrängt, bis sie bald nur noch Ausführungsorgane der übergeordneten Zentralgewalt wurden, um sich schließlich 1952 ganz aufzulösen. Offensichtlich galten, zusammenfassend gesagt, für Sachsen wie für die gesamte SBZ Walter Ulbrichts Worte: »Es ist doch ganz klar: Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben.« Info Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD) war die oberste Besatzungsbehörde im Osten Deutschlands nach 1945, die sowohl auf Länderebene als auch als Zentrale in Berlin direkten Einfluss auf den Aufbau der neuen Ordnung, auf die politischen und rechtlichen Weichenstellungen nahm. Service Seite 20 LANDTAGSKURIER ( 5|10 ) Ausstellung: Schülerwettbewerb zur Förderung der politischen Bildung des Sächsischen Landtags Abs.: SDV – Die Medien AG, Tharandter Straße 23–27, 01159 Dresden, PVSt. – AG, Entgelt bezahlt, F 13058 im Bürgerfoyer des Sächsischen Landtags vom 12.06. bis zum 05.07. 2010 Der Schülerwettbewerb des Sächsischen Landtags zur Förderung der politischen Bildung wurde im Schuljahr 1991/92 zum ersten Mal durchgeführt. Er erwies sich in den vergangenen Jahren als ein wichtiger und guter Weg, junge Menschen an die Politik heranzuführen. Zum 19. Schülerwettbewerb reichten 2.229 Teilnehmer ihre Arbeiten ein. Es entstanden viele schriftliche Arbeiten, Plakate, Plastiken, Spiele, Filme, Repor- tagen, Hörspiele, Lieder, Websites und vieles mehr zu neun vorgegebenen Themen bzw. einem freien Thema. Sie können die Ausstellung kostenfrei im Bürgerfoyer des Sächsischen Landtags besuchen. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 10:00 Uhr bis 18:00 Uhr Samstag und Sonntag von 10:00 Uhr bis 16:00 Uhr feiertags geschlossen Landtagsdebatten nach Bedarf als Video sehen Seit Frühjahr dieses Jahres bietet der Landtag unter www.landtag.sachsen.de die Möglichkeit, gestipp zielt Redebeiträge in den Debatten als Onlinevideo Praxi zu sehen. In der Rubrik Aktuelles erscheint unter dem Menüpunkt Videoarchiv eine Suchmaske. Hier ist eine Auswahl nach dem gesuchten Redner, der Fraktion oder dem Thema möglich. Die Suche lässt sich auf Zeiträume eingrenzen. Außerdem gibt es eine Übersicht zu allen Plenarvideos der 5. Wahlperiode. Bei der Themensuche können freie Suchbegriffe oder Drucksachennummern eingesetzt werden. Gesucht wird in der Bezeichnung der Drucksachen und im Namen des Tagesordnungspunktes (TOP). www.landtag.sachsen.de/de/ aktuelles/videoarchiv/index.aspx Plenarsitzungen des Sächsischen Landtags Weitere Informationen 16. bis 17.06. 2010 Beginn jeweils 10:00 Uhr Publikationen Publikationen können telefonisch oder unter folgender Adresse bestellt werden: Der Sächsische Landtag überträgt die Plenarsitzungen live als Videostream auf der Internetseite www.landtag.sachsen.de. Auch die Tagesordnungen, die Wortprotokolle und die Videoaufzeichnungen finden Sie in unserem Internetauftritt. Der MDR 1 RADIO SACHSEN überträgt die Plenarsitzungen live über die Hörfunkfrequenzen auf Mittelwelle Wilsdruff/Dresden 1044 kHz. Weitere Plenarsitzungen finden wie folgt statt: 01.– 02.09. 2010 Sächsischer Landtag Besucher- und Informationsdienst Bernhard-von-LindenauPlatz 1 | 01067 Dresden Tel. 0351 493-5344 [email protected] Besucherdienst Anmeldungen für die Besucherbetreuung und den Besuch von Plenarsitzungen erfolgen unter Tel. 0351 493-5342. Bürgerfoyer Montag bis Freitag von 10:00 bis 18:00 Uhr Samstag und Sonntag von 10:00 bis 16:00 Uhr An Feiertagen geschlossen. Fraktionen CDU-Fraktion Tel. 0351 493-5555 DIE LINKE Tel. 0351 493-5800 SPD-Fraktion Tel. 0351 493-5700 FDP-Fraktion Tel. 0351 493-4700 GRÜNE Fraktion Tel. 0351 493-4800 NPD-Fraktion Tel. 0351 493-4900 www.landtag.sachsen.de CHIAVERI – Restaurant im Sächsischen Landtag Öffnungszeiten: täglich von 11:00 Uhr bis 23:00 Uhr Tel. 0351 496-0399 Für die Post unserer Leser: Sächsischer Landtag Präsidialbüro Bernhard-vonLindenau-Platz 1 01067 Dresden [email protected] Kein Zugang für elektronisch signierte sowie verschlüsselte elektronische Dokumente. Eine elektronische Version des Landtagskuriers finden Sie unter www.landtag.sachsen.de/ Aktuelles/Landtagskurier. Die Beiträge der Gastautoren geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder. Diese Publikation wird vom Sächsischen Landtag im Rahmen der parlamentarischen Öffentlichkeitsarbeit herausgegeben. Eine Verwendung für die eigene Öffentlichkeitsarbeit von Parteien, Fraktionen, Mandatsträgern oder Wahlbewerbern – insbesondere zum Zwecke der Wahlwerbung – ist unzulässig. > Abb.: »Globalisierung«, Philipp Menzel, Linda Grohmann; BSZ für Wirtschaft und Technik Bautzen Impressum Herausgeber: Sächsischer Landtag | Redaktion: V. i. S. d. P.: Heiner Ridder | Redakteur: Uwe Nösner | Redaktionelle Mitarbeit: Katja Ciesluk, Martina Findeisen, Thomas Gey, Kathrin Haberkorn, Hans-Peter Maier, Christin Morgenstern | Gastautoren: Thomas Platz, Joachim Ragnitz, Prof. Dr. Hans Vorländer, Dr. Julia Schulze Wessel | Textbearbeitung und Gestaltung: Ö Grafik, Dresden | Druck und Vertrieb: SDV – Die Medien AG, Dresden | Redaktionsschluss: 25.05.2010 Link