Reformdruck gestiegen

Transcription

Reformdruck gestiegen
A k t ien & I n v es t m en t s | r u sslan d
jo c hen wer m u t h
„Reformdruck gestiegen“
Der Hedge-Fonds-Manager Jochen Wermuth ist ein intimer Russland­
kenner. Warum er glaubt, dass das Land jetzt die Kurve kriegt
Warum hinkt die russische Börse bei der aktuellen Marktrally anderen Schwellenländern
so deutlich hinterher?
Russische Aktien werden derzeit mit einem
Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 5 gehandelt. Anleger gehen von sehr hohen
Risiken aus. Die Verurteilung der Frauen
von der Punkband Pussy Riot bringt auf
den Punkt, warum die Börse so billig ist.
Würde in Russland Rechtssicherheit herrschen, wäre alles doppelt so viel wert.
Sie leben seit 1993 in Russland. Was lässt Sie
jetzt auf bessere Zeiten hoffen?
Der Eintritt von Russland in die Welthandelsorganisation im Oktober – nach 18-jährigen Verhandlungen – schafft einen gemeinsamen Rahmen mit der Europäischen
Union. Letztlich bleibt Putin die Wahl
zwischen einer von Zentrifugalkräften beherrschten russischen Föderation, in der
Sibirien mittelfristig China zufällt, oder
einer aktiven Annäherung an die EU. Die
russische Bevölkerung erwartet von ihrer
Regierung dieselben Dienstleistungen, wie
Bürger westlicher Staaten sie gewohnt sind
– in Zeiten des Internets und der Reisefreiheit wissen sie genau, was ihnen fehlt.
Aber warum sollte Putin auf diese Dringlichkeit gerade jetzt eingehen? Schon vor über
einem Jahr glaubten Sie, dass die Regierung
32
die Probleme erkannt hat (Heft 29/11). Doch
geschehen ist wenig.
Der Reformdruck ist weiter gestiegen.
Es gab Massendemonstrationen –
100 000 meist junge Leute gingen auf die
Straße. 22 Prozent der Russen wollen laut
Umfragen gern auswandern. Und das,
obwohl sich das verfügbare Einkommen
in den vergangenen zwölf Jahren bereits
versiebenfacht hat. Putin bewegt sich in
die richtige Richtung: Er hat Gouverneurswahlen wieder eingeführt.
Eigentlich steht die russische Wirtschaft ja gut
da. Erwarten Sie steigende Aktienkurse?
Ich denke, dass einige russische Aktien sich
bis 2017 verneunfachen können. Die bessere Bewertung, also ein höheres KGV, ist
für eine Verdreifachung gut, die Steigerung
der Unternehmensgewinne sowie die
wahrscheinliche Aufwertung des Rubel für
eine weitere Verdreifachung. Ich halte die
ungenutzten Produktivitätsreserven für
sehr groß, vor allem in den Unternehmen,
die vom Staat kontrolliert werden. Warum
sollte das KGV nicht ähnlich hoch sein wie
in anderen Schwellenländern?
Welche Aktien empfehlen Sie besonders?
Konsumaktien sind mit KGVs von 15 bis
25 sehr üppig bewertet. Auf den steigenden
Wohlstand der Russen kann man sehr viel
besser mit Aktien von Energieversorgern
spekulieren. Deren Kurse sind lächerlich
niedrig. All die neuen Waschmaschinen,
Wäschetrockner, Spülmaschinen und Musikgeräte brauchen Strom. Zudem werden
die Strompreise steigen, schon um die Gewinne der Anbieter zu verbessern, die dringend ihre Kraftwerke und Netze modernisieren müssen. Die Aktien des Versorgers
MRSK Holding (WKN: A0Y AY3) sind fast
wie eine Anleihe strukturiert und bieten
derzeit einen effektiven Zins von 33 Prozent – falls sich der Regulator an die eigenen Richtlinien hält: Die Rendite auf den
regulierten Kapitalstock darf elf Prozent
betragen. Man bekommt die Aktie zurzeit
jedoch zu einem Drittel dieses Wertes.
Mitte 2011 hatten Sie MRSK Ural empfohlen.
Die Aktie stieg zunächst und stürzte dann ab.
MRSK Holding ist die Muttergesellschaft
von MRSK Ural. Im Gegensatz zu MRSK
Ural wird die Holding an deutschen Börsen
gehandelt. Der Kurs korrigierte extrem, als
sich die Strompreiserhöhungen vom 1. Januar auf den 1. Juli verschoben. Dazu litt
der russische Aktienmarkt nach den Demonstrationen unter einem Vertrauens­
verlust. Gerade erholt sich der Kurs – jetzt
bietet sich eine Einstiegschance.
Was halten Sie von Russlands bekanntestem
Titel Gazprom?
Die Aktie ist zwar sehr billig, doch das ist
nicht ohne Grund so. Das Unternehmen
ist undurchschaubar und zu sehr von der
Politik abhängig. Momentan besteht das
größte Risiko jedoch darin, dass weltweit
immer mehr Gas aus Schieferstein gefördert wird. Schon jetzt haben die USA begonnen, verflüssigtes Erdgas nach Europa
zu exportieren – dabei plante Gazprom seinerseits ursprünglich, den nordamerikanischen Markt zu erschließen. Darüber hinaus wurden nun auch größere Vorkommen
an Shale Gas in Polen und in der Ukraine
gefunden. Das dürfte Gazprom die Preise
verderben.
nele husmann
Eine Langfassung des Interviews mit
­Jochen Wermuth lesen Sie online auf:
www.boerse-online.de/nachrichten
BÖRSE ONLINE 42 | 2012 | 11.10.–18.10.
BÖRSE ONLINE/Vanja Vukovic
arbeitet seit 1998 mit der Firma Wermuth Asset
Management als Anlageberater für PrivateEquity- und Hedge-Fonds im russischen Markt.
Im Alter von 23 Jahren ging er als Regierungsberater nach Russland, wo er im Finanzminis­
terium arbeitete. Dann baute er die DeutscheBank-Niederlassung in dem Land mit auf.