Das deutsche Uhren- Wunder

Transcription

Das deutsche Uhren- Wunder
uhren!
Special
NOVEMBER 2011
Im Interview:
Patek-Philippe-Chef
Thierry Stern
Die Rückkehr:
Flache Zeitmesser
Werk-Besuch:
Vacheron Constantin
in Genf
Das
deutsche
UhrenWunder
Wie die Manufakturen A. Lange,
Glashütte Original & Co. ihre Position
am Weltmarkt ausbauen und
welche Modelle den Erfolg tragen
Schauspieler
Clive Owen mit
einer Jaeger-LeCoultre
Reverso in Edelstahl
DER ERSTE MECHANISCHE
CHRONOGRAPH MIT EINEM ZENTRALEN
HUNDERTSTELSEKUNDEN-ZEIGER
WELTNEUHEIT: TAG HEUER LANCIERT DEN HEUER CARRERA MIKROGRAPH,
DEN ERSTEN MECHANISCHEN CHRONOGRAPHEN MIT INTEGRIERTEM SÄULENRAD,
360.000 HALBSCHWINGUNGEN PRO STUNDE UND DER HUNDERTSTELSEKUNDENANZEIGE ÜBER EINEN MARKANTEN, LEICHT ABLESBAREN ZENTRALEN ZEIGER.
10
Boom deutscher
Zeitmesser
Die Junghans-Rettung
16
Inhalt: Fotos: S. Döring/FOCUS-Magazin, Jason Bell/Camera Press/Picture
Trends, Tipps, Termine
Welche neuen Modelle Uhren-Fans
jetzt besonders begeistern
Titel: Foto: Jaeger-LeCoultre
22
Interview: Patek-PhilippeChef Thierry Stern
4
10
Das Blatt gewendet
Wie ein Unternehmer die Firma
Junghans wiederbelebte
16
Goldene Unruh 2012
Die weltweit größte Uhren-Wahl von
UHREN-MAGAZIN und FOCUS startet
20
Zeit nur für mich
Bei Vacheron Constantin entstehen
Unikate nach Kundenwunsch
26
Und den Zuschlag bekommt . . .
Bei Auktionen erzielen Uhren
prominenter Vorbesitzer Top-Preise
30
19
22
29
32
Von Glashütte in die Welt
Wie das Zentrum der deutschen
Uhrenindustrie tickt
Nur ein Wimpernschlag
Ein TAG-Heuer-Chronograph misst
mechanisch Tausendstelsekunden
Patek Philippe
Firmenchef Thierry Stern zu Werten
und Entwicklungen der Genfer
Abschied bei Chronoswiss
Nach 30 Jahren tritt Gründer
Gerd-Rüdiger Lang ab
Luxus in flach
Warum extradünne Zeitmesser ein
fulminantes Comeback erleben
FOCUS-Special „uhren!“
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FOCUS 45/2011
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Bessere Zeiten
für Arnie
Die Schweizer Edeluhren-Schmiede Audemars
Piguet widmet dem aus Österreich stammenden Schauspieler Arnold Schwarzenegger, der
bis Anfang des Jahres Gouverneur von Kalifornien war, eine ganz persönliche Uhr: die
Royal Oak Offshore Arnold Schwarzenegger
„The Legacy“. Der „Terminator“ und die Eidgenossen arbeiteten schon zuvor bei Uhrenprogrammen zusammen. Beim
aktuellen Modell sind erstmals Gehäuse und Lünette
komplett aus besonders harter Keramik geformt. Die
48 Millimeter große Uhr wird
in einer limitierten Auflage
von 1500 Stück hergestellt. Preis: 38 100 Euro
Immer markant
Audemars Piguet widmet
Schauspieler Arnold
Schwarzenegger die Uhr „The
Legacy“ – das Vermächtnis
Modell mit
persönlicher
Patina
Das Besondere an einer aktuellen
Uhr aus dem Hause Panerai ist
das Gehäusematerial: Statt wie gewöhnlich Edelstahl, Gold oder Platin
setzen die Italiener Bronze ein.
Das soll die Verbundenheit zum
Segelsport ausdrücken, bei dem
etwa Beschläge aus dieser ZinnKupfer-Legierung gefertigt werden.
Der Effekt: Die Luminor Submersible 1950 3 Days Automatic Bronzo
entwickelt schon nach kurzer Tragezeit je nach Nutzungsgewohnheit
unterschiedliche Patina, die jede
der 47 Millimeter großen Uhren
zu einem unverwechselbaren Einzelstück macht. Preis: 7300 Euro
4
Das Wunderwerk
gut im Blick
Wer sich eine Uhr mit der zumeist kostspieligen Komplikation Tourbillon leistet, will
natürlich von der erhöhten Ganggenauigkeit profitieren, die diese Mechanik
ermöglicht, indem sie Ungenauigkeiten
durch die Erdanziehungskraft ausgleicht.
Fast ebenso wichtig dürfte für UhrenFans aber der Genuss sein, das feine
Räderwerk bei der Arbeit zu beobachten.
Das neue Astrotourbillon aus Titan von
Cartier ermöglicht besonders intensive Blicke
auf das Tourbillon: Es umkreist stetig das
gesamte Zifferblatt, statt, wie sonst üblich,
in einem Käfig an einer Stelle zu verharren.
Die neue Variante in Titan kostet 97 200 Euro,
das bereits zuvor angebotene Modell aus
Weißgold offeriert Cartier für 109 000 Euro.
FOCUS 45/2011
Generation
Apple
Die Schweizer SwatchGruppe, die mit Plastikuhren schon einmal den
Uhrenmarkt durcheinanderwirbelte, bietet ein neues
Zeitgeist-Produkt an: Die
Swatch Touch ohne Zeiger
verfügt über ein sensitives
Display (Touchscreen), mit
dem die Besitzer zwei Zeitzonen, Wecker oder Datum
einstellen können – ganz
wie von Apples iPhone & Co.
gewöhnt. Preis: 110 Euro
Hommage an
die Antike
Der Genfer Uhrenbauer Hublot
hat eine Rechenmaschine nachgebaut, die 1901 entdeckt
wurde und aus der griechischrömischen Antike stammt. Das
Original ermöglichte einfache
Rechenschritte, der Nachbau
auch die Zeitanzeige. Hublot
präsentiert die „Antikythera“
auf der Baselworld 2012.
Neue
Edel-Daytona
Der Oyster Perpetual Cosmograph
Daytona ist schon in der schlichten
Edelstahlversion begehrt. Nun
präsentierte Rolex aus dieser Serie
einen luxuriösen Chronographen aus
Everose-Gold, wie Rolex Roségold
nennt. Die wasserdichte (100 Meter)
Uhr ist dank kratzfester KeramikLünette, Spezialgehäuse mit Kronenschutz und Schraubdrückern zugleich
hart im Nehmen. Preis: 21 600 Euro
Foto: Ben Baker/Redux/laif
Leserreisen mit »Uhren-Magazin«
Besonders lebendig und kurzweilig können Uhren-Interessierte ihr Wissen bei Besuchen in Manufakturen erweitern.
Der langjährige FOCUS-Kooperationspartner „Uhren-Magazin“
(s. auch S. 20) bietet Fahrten mit sachkundiger Führung
zu den Top-Vertretern der Branche wie A. Lange & Söhne an.
Die nächsten finden im Juli und September 2012 statt (Infos:
Uhren-Magazin Leserreisen, c/o Unlimited Motivations
Reiseagentur, 07 11 / 1 20 08 00, 800 bis 1200 Euro).
5
Neues für Helden
und ihre Fans
Gelassen bleiben James-Bond-Darsteller Daniel Craig mit Omega-Uhr
Wahren James-Bond-Film-Kennern ist schon
beim Kinostart von „Ein Quantum Trost“ Ende
2008 aufgefallen, dass Agentendarsteller
Daniel Craig erstmals eine Uhr mit schwarzem
Zifferblatt trug: eine Omega Seamaster Planet
Ocean (kleines Bild). Aus dieser Produktfamilie stammt eine interessante Neuheit,
die auch besonders wilde Abenteuer übersteht. Die Seamaster Planet Ocean Big Size
(45,5 Millimeter, 3160 Euro) ist bis 600 Meter
wasserdicht, verfügt über ein Heliumventil und
eine selbstblockierende Schraubkrone. Davor
hatte Bond seit 1995 ausschließlich Modelle
mit blauen Zifferblättern benutzt (großes Bild).
Femininer
Vertreter des
Bicolor-Trends
Kultmarke wieder belebt
Begehrtes Stück
wieder lieferbar
Automobil-Enthusiasten ist der Name Borgward, ein deutscher Kfz-Hersteller, der in den 1960er-Jahren aufgeben
musste, ein Begriff. Legendäre Modelle wie die Isabella
sind heute als Oldtimer heiß begehrt. Die Borgward Zeitmanufaktur aus Efringen-Kirchen nahe der Schweizer Grenze,
hat nun die Marke in einer Uhrenserie wieder auferstehen
lassen. Modelle wie die B2300 (Bild) messen stattliche 44
Millimeter Durchmesser und verfügen über eine gerändelte
Lünette. Im Inneren arbeitet ein automatisches ETA-2824-2Werk mit 38 Stunden Gangreserve. Preis: ab 1240 Euro. ■
Offenbar war der deutsche Hersteller Nivrel selbst überrascht
vom großen Erfolg seiner neuen
Taucheruhr. Die Deep Ocean
(Preis: 675 Euro, Werk:
ETA2824-2) war bis zum Sommer ausverkauft. Nun ist der
Automat, den es mit schwarzem und Graphitdesign-Zifferblatt gibt, wieder erhältlich.
ANDREAS KÖRNER
6
FOCUS 45/2011
Fotos: Capital Pict./InterTopics, Inter foto
Im Zuge der Wiederentdeckung
goldener Uhren erleben auch
Bicolor-Modelle eine Renaissance.
Beim Damen-Chronographen
Linea 10016 kombiniert Baume &
Mercier Edelstahl mit Rotgold.
Der Preis des Genfer Produkts mit
Quarzwerk beträgt etwa 4600 Euro.
[Sdbb
BRE I TL IN G.CO M
Offizieller Lieferant der Aviatik wird man
nicht aus Zufall.
Der Erfinder des modernen Chronografen Seit seiner Gründung 1884
ist Breitling Spezialist für Chronografen und spielte bei der Entwicklung
dieses Instrumententyps eine tragende Rolle. 1915 erfindet der Wegbereiter
für Armbandchronografen den ersten unabhängigen Drücker. 1923 trennt
die Firma die Funktionen Start/Stopp und Nullstellung – dadurch lassen sich
mehrere aufeinanderfolgende Zeitmessungen addieren. 1934 kreiert Breitling
den zweiten unabhängigen Drücker und verleiht dem Chronografen sein
modernes Gesicht. Diese entscheidende Innovation wird von der Konkurrenz
umgehend übernommen. 1969 bringt die Marke den ersten Chronografen
mit Automatikaufzug auf den Markt.
Der wahre Partner der Aeronautik Breitling erlebte alle Highlights
bei der Eroberung der Lüfte hautnah mit. In den 40er-Jahren rüstet
der Uhrenhersteller Jäger mit seinen berühmten Bordchronografen
aus, später Linienflugzeuge bedeutendster Konstrukteure und
Airlines. So wird Breitling zum offiziellen Lieferanten der
Aviatik weltweit. 1952 entsteht die berühmte Navitimer
mit dem Rechenschieber für die Luftfahrtnavigation. 1962
begleitet eine Navitimer Scott Carpenter auf seinem Orbitalflug –
die Weltraumpremiere eines Armbandchronografen. Heute pflegt
Breitling weiterhin seine authentische und privilegierte Beziehung
zur Fliegerei, arbeitet mit Elitepiloten zusammen, leitet mehrere
Ausnahmeformationen und nimmt an den grössten Flugmeetings
der Welt aktiv teil.
Der Meister in Sachen Performance Geprägt von der harten Schule der Aviatik,
wo Sicherheit lebenswichtig ist, setzt Breitling seine Obsession für Qualität
in sämtlichen zu 100% in der Schweiz hergestellten Instruments for
Professionals um. Breitling ist weltweit die einzige grosse Uhrenmarke,
die alle ihre Modelle mit Chronometer-zertifizierten Werken bestückt,
dem Nonplusultra für Zuverlässigkeit und Präzision. Mit dem
Manufakturkaliber 01 – dem besten automatischen Chronografenwerk –
haben die hauseigenen Ingenieure einmal mehr Chronografengeschichte
geschrieben. Als Kultobjekt von Piloten und Aeronautikfans verleiht
die Navitimer diesem Hochleistungsmotor ein legendäres Design. Für eine
Breitling entschliesst man sich nicht aus Zufall.
Katalog und Info unter Tel. 0721 98 48 30
Renaissance
auf sächsisch
Die deutsche Uhrenindustrie erlebt einen wahren Höhenflug – vor allem durch starke Marken
mit großer Vergangenheit und junge, innovative Uhrenmacher, die sich im ostdeutschen
Glashütte angesiedelt haben. Einige von ihnen spielen in der Weltliga ganz oben mit
Filigrane Arbeit
Bedächtig prüft die Uhrmacherin
Christine Hutter ein Bauteil.
Die Bayerin gründete die Manufaktur Moritz Grossmann
10
Zeitenwende
Im sächsischen Glashütte bieten elf Betriebe
der Uhrenindustrie wieder 1131 Arbeitsplätze.
Unternehmen
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
A. Lange & Söhne
Glashütte Original
Nomos
Wempe Chrono.
Naut. Inst. Mühle
SUG
Bruno Söhnle
Moritz Grossmann
Union Glashütte
Tutima
Hemess
Mitarbeiter
gegründet*
494
1990
319
90
52
47
32
26
25
20
18
8
1994
1990
2004
1994
1998
2000
2008
1994
2008
2007
Foto: S. Döring/FOCUS-Magazin
Quelle: Unternehmensangaben, *auch Wiedergründungen und
Firmen, die vorher an anderen Standor ten arbeiteten
FOCUS 45/2011
11
Aushängeschild Die Nobelmarke A. Lange & Söhne startete 1990, ein Jahr nach dem Mauerfall, mit einer neuen Manufaktur in Glashütte
GUTE ÜBERSICHT
Die A. Lange Zeitwerk
Striking Time gibt es
in Weißgold und Platin.
75 000/92 000 Euro
12
A
m Ende seines Lebens baut sich der
göttliche Seidenreiher Benu ein Nest,
setzt sich hinein und verbrennt. Wenn
die Flammen verlöschen, bleibt ein Ei zurück,
aus dem am nächsten Morgen ein junger, noch
strahlenderer Benu emporsteigt.
Die altägyptische Variante des Phönix-Mythos
ist für Uhrmacherin Christine Hutter ein Sinnbild
ihres Unternehmens, „sie spiegelt im übertragenen Sinne wider, was uns hier passiert“: Am
11.11.2008 gründete Hutter in Glashütte eine
eigene Manufaktur und benannte sie nach
dem Uhrmacher Moritz Grossmann, dessen
Betrieb dortselbst mit seinem Tod im Jahr
1885 aufgelöst worden war.
Der Businessplan, den die kreative
Mittvierzigerin anfangs potenziellen
Investoren vorgelegt hatte, „war natürlich graue Theorie“, bekennt die gebürtige Bayerin heute. Er warf einige Fragen auf: In Glashütte wollte Hutter ihr
Unternehmen aufbauen – dort, wo sich
die großen Player wie Lange & Söhne,
Nomos, Mühle und die alte GUB (Glashütter Uhrenbetrieb) nach der Wende niedergelassen hatten. Konnte das funktionieren? Und wo
sollte da ihre Marktnische sein?
Trotz aller Fragezeichen gelang es der Geschäftsfrau schließlich, Schweizer Investoren für
ihr Projekt zu begeistern. Sie stiegen mit Millionen ein. Dem ersten Produkt, das in Hutters Haus
gefertigt wurde, gab sie den Namen Benu.
Streng genommen so richtig auf den Markt gekommen ist die Referenz 100.1010 noch nicht.
Wird sie wohl auch kaum noch. Denn die auf 100
Stück limitierte Serie mit filigraner rotgoldener
Lünette und arabischen Ziffern auf silbernem
Blatt ist längst ausverkauft – für 16 800 Euro je
Stück. Im Herbst 2012 wird das letzte Exemplar
das Unternehmen verlassen. Zwei Jahre nach der
Bestellung des Käufers.
Die kleine, aber feine Manufaktur kennzeichnet die Renaissance deutscher Uhrenkultur – vor
allem auch der ostdeutschen Traditionsstandorte.
So rasch die Betriebe nach dem Mauerfall im
sächsischen Glashütte zusammenbrachen, so lange dauerte es, bis innovative Köpfe den Mief der
volkseigenen VEB Glashütter Uhrenbetriebe vertrieben hatten.
Anfangs empfanden die Bürger des 7100-Einwohner-Ortes die Wende als Desaster. 2500 Arbeitsplätze gingen verloren. „Damals hat keiner
zu hoffen gewagt, dass Fortschritt, Prosperität und
neue Arbeitgeber wieder den Weg in unsere Stadt
finden würden“, erinnert sich Glashüttes Bürgermeister Markus Dreßler (CDU).
Neuen Mut schöpften die Bürger, als Walter
Lange, Urenkel des Gründers der 1948 enteigFOCUS 45/2011
Fotos: B. Steinhilber/laif, T. Meyer/Ostkreuz
Konzentration In den Ateliers gelten zwei Gesetze: Ruhe und penible Sauberkeit – um die Feinarbeit nicht zu behindern
neten Glashütter Uhrenmanufaktur A. Lange &
Söhne im Dezember 1990 das Unternehmen wiederbelebte. An seiner Seite: Günter Blümlein,
Präsident des Schweizer Luxusuhrenherstellers
International Watch Company (IWC), die seinerzeit zum Mannesmann-Konzern gehörte. Trotz
des Geldgebers dauerte es bis 1994, bevor Lange & Söhne wieder eine erste Uhrenkollektion
vorlegen konnten.
Unbedingt durchhalten wollten auch Heinz Pfeifer und Alfred Wallner. Immerhin 70 verbliebene
GUB-Mitarbeiter waren es, denen Pfeifer nach
der Privatisierung 1994 versprach: „Auch wir werden wieder Uhren bauen, und sie werden teurer
sein als ein Kleinwagen!“ Von dieser Rede, so
Bürgermeister Dreßler, „sprechen die Leute heute noch – für die Moral der Menschen war das
sehr, sehr wichtig“.
Pioniere wie Blümlein, Lange, Pfeifer & Co.
markieren einen Aufbruch in Glashütte. 2010
zahlten die Manufakturen drei Millionen Euro
Gewerbesteuer in die Stadtkasse – ein Viertel des
Gesamtetats. Elf Hersteller beschäftigen heute
mehr als 1000 Mitarbeiter.
25 davon arbeiten bei Moritz Grossmann. Die
Eckpunkte ihrer Zukunftspläne beziffert Christine Hutter so: „Neue Entwicklungen liegen bereits in der Schublade, zwei weitere befinden sich
in der Konstruktion.“ 2013 will sie mit ihrem BeFOCUS 45/2011
trieb in einen schicken Neubau im Zentrum von
Glashütte umziehen. Dann, so verspricht die Firmenchefin, „werden die ersten neuen Modelle tatsächlich auf den Markt kommen“. Bis zu
1500 Uhren pro Jahr will Hutter mittelfristig
fertigen und dafür dann etwa 60 Mitarbeiter beschäftigen.
Der Run auf das sächsische Uhrenparadies ist ungebremst. Erst im Mai dieses
Jahres brachte die Unternehmerfamilie
Delecate aus dem norddeutschen Ganderkesee mit Tutima eine andere alte Glashütter Uhrenmarke zurück in die Stadt. Ihre
Manufaktur eröffnete sie nach dreieinhalbjähriger Entwicklungszeit mit einer anspruchsvollen Neuerung: der Tutima Hommage Minutenrepetition.
Aufregend an dieser Armbanduhr ist die Zusatzfunktion, die sogenannte „große Komplikation“.
Das Uhrwerk aus 550 Einzelteilen und stählernen
Tonfedern verfügt über einen Repetiermechanismus, der die Zeit auch akustisch über unterschiedliche Kammertöne für Stunde und Minute signalisiert. Eine Premiere für Glashütte und
eine Präzisionsarbeit, die ihren Preis hat: zwischen 168 000 und 179 000 Euro. Die Serie ist auf
25 Uhren limitiert.
Mit ungleich größeren Stückzahlen wartete
der zweite große Uhrenstandort Ruhla in Thü-
KLARE LINIE
Der Nomos Tangomat
GMT 9 zeigt eine
zweite Zeitzone und
ist aus Edelstahl.
2690 Euro
13
HÖCHSTLEISTUNG
Ein Tourbillon wie bei
der Glashütte Original
Senator gleicht die
Erdanziehung aus.
92 000 Euro
14
ringen in seinen Glanzzeiten auf. Sechs Millionen Zeitmesser des Kalibers 24 produzierten die
Uhrenwerke pro Jahr – bis die Mauer fiel.
Heute geht es scheinbar weitaus bescheidener
zu. Gerade noch 60 Mitarbeiter zählt Fredy
Kehr-Ritz in seiner Gardé Uhren und Feinmechanik GmbH. Zwischen der Massenware von einst und dem Luxussegment
der Kollegen in Sachsen hat der Familienunternehmer seinen Kundenstamm gefunden. Der studierte Maschinenbauer
übernahm die Firma 2003 und hat sich
im Preissegment zwischen 30 und 1000
Euro etabliert. Als letzter Uhrenbauer
fertigt er in der 6500-Einwohner-Stadt
industriell.
Uhren sind hip. Trotz Finanzkrise steigen
die Verkaufszahlen stetig. Laut der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) wurden
im ersten Halbjahr 2011 acht Prozent mehr
Uhren verkauft als im Vorjahreszeitraum. Im
gleichen Umfang stiegen die Durchschnittspreise
– allerdings auf gerade mal 71 Euro pro Uhr.
Für Laura Kestel, Retail-&-Technology-Expertin
der GfK, „macht das deutlich, dass vor allem
preisgünstige Lifestyle-Uhren angeboten werden“. Denn, so Kestel, „wer seine Uhr im Fachhandel kauft, gibt im Schnitt 276 Euro für eine
Uhr aus“.
Im Arbeitsmarkt schlägt sich die positive Absatzentwicklung noch nicht nieder. Die Belegschaft bei den Herstellern ging seit 2007 von
3705 auf 3100 zurück. Die Zahl der Betriebe mit
mehr als 50 Beschäftigten nahm von 110 auf 90
ab. Überdies sank auch der Industrieumsatz laut
Bundesverband Schmuck + Uhren im Jahr 2010
von 541 Millionen Euro auf 470 Millionen.
Starke Konkurrenz kommt aus der Schweiz.
Der Konzern Swatch – mit einem Umsatz von
erwartet sieben Milliarden Schweizer Franken
größter Fertiguhrenhersteller der Welt – hat mit
Omega, Blancpain oder Breguet längst das Luxussegment erreicht. Auch die Nobelmarke Glashütte Original und der Nachbar Union Glashütte
gehören zum Portfolio der Gruppe.
Damit sich die beiden Glashütter Konzernmarken nicht ins Gehege kommen, konzentriert
die Swatch-Tochter Union ihre Produktserien auf
die Preisspanne 1000 bis 3000 Euro. Nach der Neuausrichtung 2008 werden die Union-Kaliber – in
Lizenz hergestellte ETA-Werke – in den Glashütter Werkshallen durch eigene Komponenten veredelt sowie montiert und reguliert. Adrian Bosshard, Präsident der sächsischen Swatch-Tochter,
erinnert da gern an die Philosophie des Firmengründers Johannes Dürrstein: „Hohe Qualität zu
fairen Preisen.“ Nach Bosshards Angaben lag das
Unternehmen bis Ende August allein in Deutschland 35 Prozent über dem Vorjahresergebnis. Das
Erfolgsrezept will der Firmenchef nun mit einer
neuen Kollektion für Damen fortsetzen.
Swatch und Glashütte bilden auch anderweitig ein harmonisches Paar. Die Schweizer betreiben im sächsischen Uhrenzentrum das Deutsche
Uhrenmuseum. Bürgermeister Dreßler erfüllt das
mit Stolz: „Ein Kleinod der deutschen Industriegeschichte, aber ganz besonders auch unserer
■
Region.“
AXEL SPILCKER / THOMAS VAN ZÜTPHEN
FOCUS 45/2011
Fotos: S. Döring/FOCUS-Magazin (2)
Ausgefeilte Technik Durch das „Bläuen“ erhalten die Zeiger bei einer exakt festgelegten Temperatur ihre typisch blaue Farbe
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Neuer Schwung in Schramberg
Der Unternehmer Hans-Jochem Steim rettete die insolvente Traditionsmarke Junghans, jetzt schreibt
der einst größte Uhrenhersteller wieder schwarze Zahlen und will sogar nach China expandieren
Die Retter Die Unternehmer Hans-Jochem Steim (r.)
und sein Sohn Hannes haben die Uhrenfabrik Junghans
in Schramberg im Schwarzwald vor der Pleite bewahrt
16
Erfolgssymbol Zum 150-jährigen Jubiläum
hat das Unternehmen 2011 die Meister
Chronoscope herausgegeben. 1340 Euro
Fotos: T. Gerber/laif, akg images
B
esonders gern bleibt Hans-Jochem
Steim an der Verbindung zwischen dem Erdgeschoss und dem
ersten Stock seines Automuseums im
baden-württembergischen Schramberg
stehen. Er beugt sich über das Geländer,
schaut lächelnd auf Oldtimer der Marken Maybach, Cadillac, Ferrari, Messerschmitt, Ford oder Mercedes-Benz. Sein
Blick gleitet weiter auf einen SaintClaire von 1922 aus Aluminium oder auf
seine neueste Errungenschaft, den französischen De Dion Populaire von 1902.
„Hier bin ich am liebsten“, bekennt der
68-jährige Unternehmer. Von hier aus
kann er eine umfassende Sammlung
betrachten: 80 bis 100 Modelle verteilen
sich auf 3000 Quadratmeter. Darunter
befindet sich etwa der Mercedes 300 des
zweiten Bundespräsidenten Heinrich
Lübke mit den eigens genähten Kissen
auf dem Rücksitz, um Deutschlands ersten Bürger ein wenig größer erscheinen
zu lassen.
Überall in der Welt spürt Steim den
motorisierten Altertümern nach. Ganz
Schwabe, weiß er seine Sammelleidenschaft zu zügeln und kauft nur, wenn die
Preise noch nicht überzogen sind. Dafür,
verrät der Fabrikant, „muss man schneller sein als die Konkurrenz“.
Über seine automobilen Schätze redet
der Unternehmer und einstige CDULandtagsabgeordnete genauso gern
und offen wie über seine Rettungsaktion für die notleidende Schramberger
Traditionsuhrenmarke Junghans. Der
promovierte Diplomingenieur mag das
Understatement, nichts Hochtrabendes,
eher schon die hintergründige Analyse.
Klare Worte prägen sein Vokabular – keine (vor)lauten Töne.
Dabei hätte das Schramberger Urgestein allen Grund, sich feiern zu lassen.
Wären Steim und sein Sohn Hannes nicht
gewesen, den einst weltweit größten Produzenten von Zeitmessern gäbe es nicht
mehr. „Schramberg ohne Junghans ist
wie Junghans ohne Schramberg“, sagt
der Senior und deutet im Automuseum
auf eine Urkunde aus dem Jahr 1896.
Damals erfand der Fabrikant Arthur
Junghans für den Autokonstrukteur
Wilhelm Maybach ein Schneckengewinde. Eine technische Revolution, die
das Automobil auch in engen Kurven
oder abschüssigen Strecken erst steuerbar machte.
FOCUS 45/2011
Die Steigerung von Chronometer:
Zeitmeister.
An den besten Adressen Deutschlands und
in London, Paris, Madrid, Wien und New York.
www.wempe.de
Ein Meilenstein in der deutschen Uhrmacherkunst: die ersten
Armbandchronometer, die das aufwendige
deutsche Prüfverfahren der Sternwarte Glashütte
durchlaufen haben. WEMPE ZEITMEISTER
Chronograph in Edelstahl mit Automatikwerk.
Erhältlich exklusiv bei Wempe für € 1.975.
18
Ursprünge Made in Germany schreibt man
in den alten Werkshallen der Uhrenfabrik
Junghans wieder groß
»Junghans gehört zur
Stadt Schramberg
wie Schramberg
zur Firma Junghans«
Hans-Jochem Steim
Firmeninhaber
NEUE SACHLICHKEIT
Die Meister Automatic
misst 38,4 Millimeter.
740 Euro
der stets betont, dass er „von Hause aus
eigentlich Ingenieur“ sei, ist klar, dass
der Wettbewerb speziell in der Uhrenindustrie hart ist.
Zu dieser Zurückhaltung gesellt sich
sein schwäbischer Hang zur Sparsamkeit. Nur schwer habe er sich an die
hohen Werbeetats in der Uhrenbranche
gewöhnen können, doziert der Konzernlenker: „Eine Uhr verlangt viel Werbung,
das kostet Geld, damit hat man aber noch
keinen Euro eingenommen, geschweige
denn in die Produktion investiert.“
Auch weil er die Ausgaben für Marketing in einem überschaubaren Rahmen hält, ist er besonders stolz auf das
bisher Erreichte: Die Uhrenmarke Junghans bestätigt ihren guten Namen wieder mit vielen Modellen. Die Kollektion
deckt alle Technologien der Uhrenwelt
ab. Das mechanische Segment brilliert
etwa mit dem Jubiläumsmodell Meister
Chronoscope 2011, das zum 150-jährigen Bestehen der Firma herausgegeben wurde. Zeitlos und nach wie vor ein
Verkaufsgarant ist der Designklassiker
„Max Bill“, der sich an Originalentwürfen dieses Bauhauskünstlers orientiert.
Mit der Marke Erhard Junghans besetzen die Schwarzwälder die imageträchtige Produktpalette der hochwertigen
mechanischen Uhren. Zwischen 249 und
18 000 Euro liegen deren Preise.
Daneben setzt Junghans weiterhin
auf Funkuhren. Seit diesem Jahr kommt
zudem die Weiterentwicklung der SolarQuarz-Linie gut an. High-Tech-Materialien wie Titan und Keramik verbinden
sich hier mit Funk- und Solartechnik.
Junghans-Retter Steim denkt aber
stets schon an die nächsten Schritte.
Beispielsweise hat er die Frauen als
neue, ausbaufähige Kundengruppe entdeckt und will diese mit einer Extralinie
versorgen. Nach dem Max-Bill-Muster
will der Hersteller zudem verstärkt in
den boomenden Flachuhrenbereich investieren (siehe auch Seite 32). Als
ausgewiesener Fernost-Kenner plant
Steim, das Junghans-Geschäft in China
kräftig auszubauen. „Dazu müssen wir
aber Geld in die Hand nehmen“, erklärt
der Schwarzwälder, rechnet jedoch
vor: „Wenn nur jeder zehnte Chinese
eine Uhr kauft, dann ist das ein gigantischer Markt!“
■
AXEL SPILCKER
FOCUS 45/2011
Fotos: T. Gerber/laif
Steim stammt aus einer Unternehmerdynastie, die mit Junghans über die Jahrhunderte auf
die eine oder andere Weise verbunden war. Steims Urgroßvater
Hugo Kern produzierte seit 1888
im gleichnamigen Unternehmen
Zugfedern für die prosperierende Schwarzwälder Uhrenindustrie. Der Vater des promovierten
Ingenieurs baute den Betrieb zu
einer Firma mit einer vielfältigen Produktpalette aus, die der Sohn zum global agierenden Konzern Kern-Liebers
(6000 Beschäftigte, 525 Millionen Euro
Umsatz) entwickelte.
Nachdem die Uhrenfabrik Junghans –
nach einer wechselvollen Geschichte –
in die Insolvenz ihrer Muttergesellschaft
EganaGoldpfeil hineingerissen worden
war, kaufte die Familie Steim 2009 die
Junghans-Sparte aus dem Produktportfolio
heraus und startete als Uhrenfabrik
Junghans GmbH & Co. KG mit 85 Mitarbeitern neu.
Die damaligen Probleme beschreibt
Hans-Jochem Steim so: Die Produktivität hätte besser ausfallen können, das
Management hätte neuen Antrieb
gebraucht. „Junghans hatte aber immer
noch einen guten Namen“, erläutert
der Firmenpatriarch. Richtig eingesetzt,
erzielte das Traditionslabel bereits im
ersten Jahr nach dem Neubeginn zweistellige Umsatzzuwächse. In diesem
Jahr beträgt das Plus voraussichtlich
30 Prozent. „Wir werden wohl 2011 echte
schwarze Zahlen schreiben“, prognostiziert der Firmeninhaber.
Wichtig als Imageträger ist Steim die Produktkennzeichnung: „Made in Germany“ – also gefertigt in den Schramberger
Werkshallen. Mit dem Junghans-Projekt
will der Industrielle den Abwanderungstrend in der strukturschwachen Region
aufhalten. Besonders der Wegzug junger Familien trifft Schramberg hart. „Die
Leute gehen, weil sie hier keine Perspektive für sich sehen, das war mit ein
Grund für unser Engagement bei Junghans“, erklärt der Investor, den die Vertreter der Kommune 2007 zum Ehrenbürger seiner Heimatstadt kürten.
Mit dem Erfolg bei Junghans steigt
auch die Zahl der Beschäftigten – demnächst sollen es 100 sein. „Wir sind aber
noch nicht über den Berg“, dämpft Steim
etwaige Euphorie. Dem Geschäftsmann,
Zeitstrahl in die Zukunft
Erstmals misst ein Armband-Chronograph Tausendstelsekunden mechanisch. Der Mikrotimer
Flying 1000 stammt von TAG Heuer, einer Uhrenschmiede, die stark im Autorennsport verankert ist
W
Charakter-Typ US-Schauspieler Steve McQueen trägt im Film „Le Mans“ aus
dem Jahr 1970 den Heuer-Chronographen Monaco, den er laut Überlieferung
selbst ausgesucht hat. Heute würde er vermutlich den Mikrotimer wählen
er diese Uhr besitzt, wird immer etwas
finden, dessen Dauer er messen kann.
Sei es nur, wie lange der Ober beim
Lieblings-Italiener für den Espresso braucht
oder die Zeitspanne, in der ein Regentropfen
das Bürofenster hinunterrinnt. Der stetige Reiz,
den Chronographen (Uhr mit Stoppfunktion)
mit seinem Drücker zu starten, speist sich aus
dem fremdartigen Surren, das dann zu hören ist,
sowie aus dem Schauspiel des Zeigers, der sich
derart schnell bewegt, dass er kaum zu erkennen
ist. Vor allem aber aus dem Wissen, dass man
zu einer kleinen, elitären Gruppe gehört, die
derlei Unwichtiges, aber auch Formel-1-Rennen
auf die Tausendstelsekunde stoppen kann – und
zwar erstmals mechanisch. Nur zehn Stück wird
es nach FOCUS-Informationen vom Mikrotimer
Flying 1000 von TAG Heuer ab Ende 2011 geben,
der Preis steht noch nicht fest.
In dem raren Zeitmesser arbeiten de facto zwei
Werke. Ein konventionelles für sämtliche „normalen“ Funktionen wie die Anzeige von Stunden oder
Minuten – bei diesem Werk bewegt sich die taktgebende Unruh mit der relativ weit verbreiteten
Frequenz von 28 800 Halbschwingungen pro
Stunde. Beim zweiten Werk, das die Tausendstelsekunden-Messung erst ermöglicht, schwingt
diese Komponente mit rasanten 3,6 Millionen
Halbschwingungen pro Stunde. Derartige Geschwindigkeiten stellen extreme Anforderungen an die Werkteile mit entsprechendem Forschungsaufwand. Eingebaut ist die Technik in ein
teilweise titanbeschichtetes Gehäuse. Der Chronograph verfügt über einen Formel-1-Modus, in
dem die Rundenzeiten gespeichert werden können und die schnellste Runde angezeigt wird.
Der Bezug zum Motorsport hat bei TAG
Heuer Tradition. Die Firma aus La Chaux-deFonds (Schweiz) beging 2011 ihr 150-jähriges
Rennsport-Jubiläum. Von 1992 bis 2003 war sie
Zeitnehmer in der Formel 1. Außerhalb der Rennstrecken, so könnten nüchterne Zeitgenossen einwenden, spielten Tausendstelsekunden aber keinerlei Rolle. Ganz falsch, so ein Nutzer in einem
Uhrenforum, in dieser Zeitspanne passiere sogar
sehr viel: Ein Gepard läuft drei Zentimeter, die
Erde dreht sich um 29,8 Meter, und Licht legt
sogar 300 Kilometer zurück.
■
ANDREAS KÖRNER
19
Große Bühne für 400 Modelle
Das UHREN-MAGAZIN und FOCUS veranstalten die größte Uhren-Wahl der Welt.
Die Teilnehmer können Preise im Wert von mehr als 40 000 Euro gewinnen
D
ie zahlreichen Uhrenhersteller, die an der
Wahl zur „Goldenen Unruh 2012“ teilnehmen, haben insgesamt 400 Modelle ihrer Wahl ins
Rennen geschickt. Damit sich diese Kandidaten
fair vergleichen lassen, werden sie eingeteilt in
fünf Preiskategorien (bis 2500 Euro, bis 5000 Euro,
bis 10 000 Euro, bis 25 000 Euro, über 25 000 Euro).
Aus diesem Gesamt-Pool wählen die Leser
des UHREN-MAGAZINS bis 28. November per
Stimmkarte ihre zehn beliebtesten Zeitmesser je
Kategorie aus. Diese zehn Auserkorenen stehen
vom 15.12.2011 bis 31.1.2012 zur Endwahl bei
FOCUS Online (www.focus.de/uhrenwahl).
Wer mitstimmt, nimmt dieses Jahr an der
Verlosung besonders wertvoller Preise teil: Zu
gewinnen sind unter anderen eine JaegerLeCoultre-Taucheruhr mit Weckfunktion sowie
eine Zenith Chronomaster mit Sichtfenster. ■
ANDREAS KÖRNER
2. Preis
3. Preis
JAEGERLECOULTRE
Master Compressor Diving
Alarm
9600 Euro
ZENITH
Chronomaster
Open
6600 Euro
WEMPE
GLASHÜTTE
Chronometer werk
3950 Euro
Fotos: W. Heider-Sawall (2)
1. Preis
20
Stolze Sieger 2011
Die Verleihung der
„Goldenen Unruh“ fand in
der Münchner BMW-Welt
statt. Die Vertreter der
Marken nutzten die Veranstaltung zu intensiven Gesprächen über Branchentrends wie den Boom
goldener Uhren. Zusätzlich
zu den Preisträgern wurde
der Uhren-Journalist Christian Pfeiffer-Belli für sein
Lebenswerk geehrt (erste
Reihe, 2. v. l., links hinter
ihm: FOCUS-Chef Uli Baur)
4. Preis
5. Preis
6. Preis
CHRONOSWISS
Pacific
Chronograph
3590 Euro
BAUME &
MERCIER
Capeland
Chronograph
3400 Euro
BREITLING
Superocean
GMT
3400 Euro
7. Preis
8. Preis
9. Preis
SEIKO
Spring Drive
SNS001
3400 Euro
SINN
Finanzplatzwecker 6066
3250 Euro
NOMOS
Tangomat
GMT
2960 Euro
FOCUS 45/2011
21
Von Grund auf gelernt
Thierry Stern begeisterte sich
schon als Kind für die Taschenuhren
seines Vaters Philippe.
Im Jahr 2009 übernahm er von
diesem die Firma Patek Philippe –
nachdem er Wirtschaft studiert
und an der Genfer Uhrmacherschule
das Handwerk von Grund auf gelernt
hatte. Der 41-Jährige führt Patek
Philippe in der vierten Generation.
»Es geht um
Bewahren
und Perfektion«
Patek-Philippe-Chef Thierry Stern
über die Stärken von Familienunternehmen,
das Streben nach der perfekten Uhr
und die neuesten Technologien
22
Besuch in Genf
Wer das Werk von Patek Philippe betritt, passiert
eine übergroße, stilisierte Spirale – das Herz jeder
Uhr. Im Inneren der Manufaktur, wo auch Besucher
zur Vermeidung von Staub spezielle Kleidung tragen, fällt die hochkonzentrierte Arbeitsweise der
Mitarbeiter auf. Jeder von ihnen erklärt mit erkennbarem Stolz den jeweiligen Fertigungsschritt.
Sie pflegen – auch in Ihrer Werbung –
sehr stark den Gedanken, dass eine
Patek Philippe von einer Generation zur
nächsten weitergereicht wird. Haben
auch Sie Ihre Uhr vom Vater erhalten?
Natürlich. In unserer Familie ist es
Tradition, dass man zum 18. Geburtstag die erste Patek-Philippe-Uhr geschenkt bekommt. Das ist stets ein
schlichteres Modell, nicht gleich eine
große Komplikation wie etwa eine Minutenrepetition. Bei mir war es eine
sportliche Nautilus, die ich auch jetzt
noch trage.
Fotos: Jason Bell/Camera Press/Picture Press, Campardo/Keystone Schweiz/laif
Sind im Laufe der Zeit noch
weitere Modelle hinzugekommen?
Ja, einige. Derzeit trage ich beispielsweise oft einen komplizierten Chronographen in Gelbgold. Ich hätte
gern gehabt, dass mein Vater mir
auch diese Uhr schenkt – ich musste
sie mir jedoch zum 40. Geburtstag
leider selbst schenken (lacht). Im Jahr
2000 hat er mir aber zu Weihnachten
noch eine aufwendige Patek Philippe
mit zehn Tagen Gangreserve überreicht.
Ihr Vater hat Ihnen 2009 auch das Unternehmen übergeben, das er mit viel Herzblut an die Weltspitze geführt hat. Können
Sie sich an den Moment erinnern?
Ja, daran werde ich mich ein Leben
lang erinnern. Er hatte in eine DollarMünze ein Uhrwerk einbauen lassen,
quasi das Herzstück des Systems Patek Philippe. Er schnippte die Münze zu
mir rüber und sagte: „Jetzt sind die Firma und ihre Zukunft in deiner Hand.“
Was haben Sie seither verändert?
Bei einem Familienunternehmen wie
unserem geht es nicht so sehr um
Veränderung. Die Herausforderung
ist, die Werte und die Philosophie
der Firma zu bewahren und dabei
gleichzeitig gerüstet zu sein für
FOCUS 45/2011
Mythos Patek Philippe
Die Manufaktur wurde 1839 in Genf gegründet und
1932 von der Familie Stern übernommen. Sie ist
berühmt für hochkomplizierte Uhren wie das Sky Moon
Tourbillon, von dem jährlich nur zwei Stück gefertigt
werden. Deren Detailarbeit geht noch über die Anforderungen des strengen Genfer Uhren-Siegels hinaus.
Selbst historische Kaliber – wie im Bild – repariert
Patek Philippe noch nach Jahrzehnten.
23
Gut vorbereitet
Der Inhaber und langjährige
Firmenchef Philippe Stern
hat seinen Sohn Thierry
akribisch auf die Nachfolge
vorbereitet. Beide sind
überzeugt, dass sie auch
deshalb besonders gute
Uhren bauen können, weil
sie bei Entwicklungen nicht
von fremden Anteilseignern
zur Eile getrieben werden
die Zukunft. Außerdem habe ich vorher schon 20 Jahre mit meinem Vater
zusammengearbeitet. Da konnte ich
mich bereits einbringen und Dinge,
die mir wichtig waren, beeinflussen.
Wir haben unsere Kämpfe schon in
dieser Zeit ausgetragen.
Also ist tatsächlich alles geblieben
wie in den Jahren zuvor?
HÖCHSTE KUNST
Die 5216 mit Minutenrepetition, ewigem
Kalender, Tourbillon.
765 800 CHF*
Natürlich gehe ich an manche Aufgaben anders heran. Ich möchte
beispielsweise das Wissen und das
Verständnis unserer Mitarbeiter für
unsere Tradition und Herkunft noch
weiter stärken. Mein Vater hatte zwar
einen Computer, nutzte ihn aber nie.
Er verließ sich lieber auf einen Assistenten. Ich hingegen setze stark auf
neue Möglichkeiten der Präsentation,
etwa auf dem iPad von Apple. Das gibt
uns die Möglichkeit, unsere Produkte
relativ leicht mit tollen Fotos oder Filmen zu präsentieren. Ich gehe auch
stärker nach draußen als mein Vater,
der hauptsächlich innerhalb des Unternehmens wirkte.
Dort hat er, wie es heißt, die
besonders hochklassigen Uhren persönlich abgenommen. Haben Sie
diese Gepflogenheit übernommen?
FRAU VON WELT
Mechanische
Damen-Weltzeituhr
mit 62 Diamanten.
41 320 Euro
24
*derzeit etwa 623 000 Euro
Durchaus. Hier geht es vor allem um
die Modelle mit Tonfedern wie Minuten- oder Viertelstundenrepetitionen.
Da hat jede einen anderen Klang. Obwohl die Uhren objektiv absolut baugleich sind, klingen sie unterschiedlich, sie haben eine Persönlichkeit. Das
liegt daran, dass die jeweiligen Materialien – Gelbgold, Weißgold, Roségold
oder Platin – anders tönen. Glücklicherweise habe ich von meinem Vater
das sehr gute Gehör, das für diese Aufgabe nötig ist, geerbt.
Solch akribische Detailarbeit gelingt in
Familienunternehmen vermutlich besser
als bei Konzernmarken. Gibt es weitere
Vorteile dieser Gesellschaftsform?
Ich kann auch in Zeiträumen von zehn
Jahren oder länger planen und investieren. Es gibt keine ungeduldigen Aktionäre oder den Kapitalmarkt, der schnelles Wachstum oder hohe Dividenden
fordert. Sie müssen bedenken, dass die
Entwicklung eines neuen Werks mindestens sechs bis acht Jahre dauert.
Eine dieser Entwicklungen, die Patek
Philippe vor Jahren angeschoben hat, ist
der Einsatz von Silizium-Komponenten. Wo
liegen die Stärken dieses Materials, das
auch in Computerchips verwendet wird?
Es ist sehr leicht, hart, korrosionsbeständig, antimagnetisch, und es lassen
sich kleinste Strukturen realisieren.
Wie können Sie sicher sein, dass
das High-Tech-Material über viele
Jahre alltagstauglich bleibt?
Wir haben es über einen sehr langen
Zeitraum getestet. Seien Sie sicher:
Wenn wir die Technologie anbieten,
beherrschen wir sie jetzt und in der Zukunft erst recht – etwa bei Reparaturen.
Bringen derartige Neuerungen
tatsächlich einen Nutzen, etwa für
die Ganggenauigkeit der Uhr?
Auf jeden Fall. Wir setzen neue Technologien oder komplizierte Mechaniken
nur ein, wenn sie die Uhr näher an das
Ziel der Perfektion bringen. SiliziumTeile etwa können die Gangreserve von
48 auf 70 Stunden erhöhen. Auch ist
die begehrte Komplikation Tourbillon,
mit der Gangungenauigkeiten durch
die Erdanziehungskraft ausgeglichen
werden, bei uns nicht nur ein besonders edles optisches Element. Sie muss
etwas bringen. Wir garantieren daher
FOCUS 45/2011
Foto: Jason Bell/Camera Press/Picture Press
NOBELSPORTLER
Die Aquanaut Travel
Time mit Anzeige
von zwei Zeitzonen.
27 550 Euro
Mit MasterCard
in ganz vielen Shops
willkommen sein.
®
bei diesen Uhren eine Abweichung von
höchstens drei Sekunden am Tag.
Vom Innenleben zum Design. Wie
stellen Sie sicher, dass auch zukünftig
Modelle wie die Nautilus jederzeit erkennbar, aber trotzdem aktuell sind?
DEN MOMENT DER INSPIRATION NUTZEN:
UNBEZAHLBAR
Wir bleiben bei den Gehäusen traditionellen Materialien wie Gold oder
Weißgold treu und treiben in diesem
Rahmen eine Evolution voran. Was Sie
bei uns nie finden werden, ist beispielsweise ein Gehäuse aus Carbon, mit
dem Sie jetzt auffallen, aber in ein paar
Jahren vielleicht lächerlich aussehen.
Könnte derlei kurzfristige Produktpolitik,
kombiniert mit der stark zunehmenden
Konkurrenz in der Branche, die Existenz
mancher Uhrenfirmen gefährden?
Es haben schon jetzt einige Firmen eine
ganze Menge Probleme. Viele können
jedenfalls sehr froh sein, dass die Nachfrage aus China so stark ist. Ohne die
Chinesen wären 20 bis 30 Prozent der
großen Produzenten in sehr, sehr großen
Schwierigkeiten. Viele Uhrenanbieter
werden vielleicht nicht verschwinden,
zahlreiche Fusionen und Übernahmen
wird es aber auf jeden Fall geben.
Werden in Zukunft Unternehmen aus
China und anderen asiatischen Ländern
den europäischen Herstellern nicht sogar
mit eigenen Produkten Konkurrenz machen
und so deren Probleme verschärfen?
Eher nicht. Diese Anbieter können
durchaus gute und komplizierte Produkte herstellen, aber bei Uhren fehlt
ihnen die Erfahrung. Wir haben gut 170
Jahre gebraucht, um dort hinzukommen, wo wir jetzt stehen. Eine schöne
Uhr kann jeder bauen, das ist kein
Problem. Aber eine Uhr zu bauen, die
technisch brillant ist, dazu muss man
über viele Jahre Produktionsabläufe
und Materialeigenschaften studieren.
Wird „made in Switzerland“ also
auch zukünftig noch der Goldstandard in der Uhrenbranche sein?
Ich denke, schon. Käufer weltweit verbinden mit Schweizer Produkten eine
hohe Qualität. Das ist bei Schokolade
doch nicht anders. Sie wird überall
hergestellt, aber jeder will Schweizer
Schokolade essen, weil sie durch ihre
tradierte Fertigung besonders schmeckt.
Und, glauben Sie mir, Uhren sind viel
komplizierter als Schokolade.
■
INTERVIEW: ANDREAS KÖRNER
25
FOCUS 45/2011
www.mastercard.de
Einzigartige Wunderuhr
Vom Namen Philosophia bis
hin zu den Komplikationen
hat Vacheron Constantin
die exzentrischen Wünsche
eines Kunden in diesem
Exemplar umgesetzt. Seit
2006 fertigt die Manufaktur
auch solche millionenschweren Unikate
26
Gong nur am Geburtstag
Die Schweizer Luxusmarke Vacheron Constantin bietet für die Superreichen dieser Welt einen ganz
besonderen Service in ihrer Genfer Manufaktur an: die Maßanfertigung edler Armbanduhren
B
eim Geheimdienst hätte er es weit gebracht. Dominique Bernaz ist ein schweigsamer Mensch. Besonders, wenn es
um seine Kunden geht. Jede noch so kleine
Information über seine exklusive Klientel
behandelt der Atelierleiter des Genfer Luxusuhren-Herstellers Vacheron Constantin als Verschlusssache.
Diskretion ist das oberste Gebot, wenn es bei
Vacheron Constantin um Bestellungen von
VIPs geht – Uhrenliebhaber, die sich in der
modernistisch gestalteten Manufaktur einen
ganz besonderen Wunsch erfüllen lassen: einen
Chronometer, nach dem eigenen Geschmack
entwickelt. Ein Unikat, das in dem eigens gegründeten „Atelier Cabinotiers“ nach den Vorgaben der Kunden gestaltet wird. Millionenschwere Exponate entstehen dort in jahrelanger
Feinarbeit.
Zum ersten Mal hierzulande beantwortet
Bernaz Fragen zu diesem Thema. Zum ersten
Mal auch gewährt der Atelierleiter Einblicke
in die Premiumklasse einzigartiger Zeitmesser.
Entspannt sitzt er im ersten Stock der VacheronConstantin-Zentrale, die Beine übereinandergeschlagen. Ganz Grandseigneur. Durch seine
Brille schaut er sein Gegenüber prüfend an, bevor er einen Espresso ordert und über sein Lieblingsprojekt zu sprechen beginnt.
Am Anfang, so Bernaz, stehe die Idee des Kunden. „Es beginnt mit einer einzigartigen Lünette
aus Emaille oder dem Bild eines berühmten
Malers als Zifferblatt bis hin zu dem verliebten
Klienten, der nur am Geburtstag seiner Partnerin
einen Gongschlag hören möchte.“ Kein Wunsch
ist unerfüllbar, kein Spleen ist zu abwegig.
So entstand am Genfer See eines der beiden
Unikate, die Vacheron mit Erlaubnis ihrer Besitzer in einem Katalog vorstellen durfte: die
Vladimir. Entwicklungszeit: vier Jahre. Der Preis
liegt im siebenstelligen Bereich.
Das Exemplar Vladimir, das Vacheron-Boss
Juan-Carlos Torres mit einem guten Freund
bei Rotwein und einer Zigarre ersann, ist geradezu ein Monstrum komplexer Uhrentechnik,
das einer ganz eigenen Philosophie folgt. „Die
Zeit sollte hier auf eine sehr individuelle Art
angezeigt werden“ (s. nächste Seite), erläutert
FOCUS 45/2011
Bernaz. Der slawische Name Vladimir geht auf
den Begriff „Volodomir“ zurück. Was so viel heißt
wie „Friedensherrscher“ oder „Frieden für alle“.
Mit ihren 17 Komplikationen und 891 Komponenten toppt die Vladimir heute schon, so
Bernaz, „weltweit alle bisher bekannten Schwierigkeitsgrade und Ansprüche“. Allein die Vorderseite wartet mit sieben Komplikationen auf,
darunter etwa ein Minuten-Tourbillon, das bei
der 6-Uhr-Marke platziert ist und Fehler durch
die Erdanziehung ausgleichen soll, gefolgt vom
Mondphasen-Rad – bei drei Uhr. Die Rückseite
bietet ein Kompendium feinmechanischer Wunderwerke. Ein ewiger Kalender in Form einer
Triangel zeigt Wochentage, den Monat und
das Datum von rechts nach links. Auf vier und
acht Uhr stellen Zeiger den Sonnenaufgang
und -untergang dar. Es brauchte allein sechs
Monate, um die Tierkreiszeichen des chinesischen Kalenders in die Seiten des Gehäuses aus
18-karätigem Rosé-Gold zu gravieren.
Schon der ägyptische König Faruk hatte sich
1938 eine spezielle Uhr, eine sogenannte „Grand
Complication“, bei den Schweizern anfertigen
lassen. In Anlehnung an die große Ära der Vorkriegsjahre entwickelt das Genfer Traditionshaus
seit 2006 als einziger Luxuskonzern Armbanduhren nach Maß. Das Team im Atelier Cabinotiers
umfasst gerade mal zehn Spezialisten. Drei bis
sieben Jahre währt die Entwicklungszeit. „Die
Entwürfe, die Studien für den Einbau der Komplikationen entstehen alle am Computer“, erläutert
Bernaz. Ohne die Rechenprogramme könne man
die teils immensen Herausforderungen nicht bewältigen. Bei aller Technik zähle im Haus allerdings vor allem eines: „Von der Ästhetik her muss
jedes Exemplar eine typische Vacheron sein.“
Derzeit, so Bernaz, arbeite man an 40 Projekten, die später einmal das traditionelle Firmenlabel mit dem Malteserkreuz tragen werden.
Zu Beginn der Entwicklung entscheide ein
Komitee, angeführt von Unternehmens-Boss
Torres, über die Annahme des Auftrags.
Die aufwendigste Arbeit hat ein vermögender
Kunde 2006 geordert, im Jahr 2014 soll sie fertig
sein. „Die größte Schwierigkeit ist der Einbau eines hebräischen Kalenders“, doziert der Uhrmanager. So etwas habe es bisher noch nie gege-
»Von der Ästhetik
her muss jedes
Exemplar
eine typische
Vacheron
sein«
Dominique Bernaz
Atelierleiter bei
Vacheron Constantin
27
Die Uhrmacher
benötigen für
den Bau eines
Zeitmessers
640
Stunden
HOCHKOMPLEX
Die Vladimir übertrifft mit ihren
17 Komplikationen
und 891 Komponenten
höchste Ansprüche
Schweizer Uhrenmacher
DOPPELWERK
Auf der Rückseite
haben die Uhrmacher
weitere Komplikationen wie einen ewigen
Kalender installiert.
PREISANGABE:
SIEBENSTELLIG
28
ben. „Aber gerade das treibt uns an“, bekennt der
Entwickler, „das Beste aus einer Uhr“ zu machen.
Fragen zu den Kosten des Einzelstücks mit
dem hebräischen Kalender wehrt der Direktor
lächelnd ab. Betriebsgeheimnis. Nur so viel:
„Das geht natürlich nicht ohne einen entsprechenden Preis.“ Ebenso wortkarg gibt sich
Bernaz bei Fragen zu den Auftraggebern. Weder Nationalität geschweige denn Namen gibt
Bernaz preis. Das Publikum sei sehr gemischt:
Neben gut situierten Uhrenliebhabern gebe
es auch die Gattin, die ihrem Mann ein außergewöhnliches neues Spielzeug schenken wolle.
Vacheron-Constatin-Chef Torres ist stets bei
der feierlichen Übergabe einer neuen Super-Uhr
dabei. „Manche ziehen sich das Stück sofort an,
andere packen es zu Hause in den Safe oder in
eine Vitrine“, weiß Bernaz und trinkt noch einen
Espresso, bevor er sich erhebt, um sich wieder
in die geheimen Entwicklungskammern zurückzuziehen.
Von dort stammen viele Innovationen. Die Manufaktur, die zum börsennotierten LuxusgüterKonzern Richemont gehört, macht seit ihrer
Gründung im Jahr 1755 durch außergewöhnliche Erfindungen von sich reden. Komplikationen wie die Minutenrepetition, welche die Zeit
auch akustisch meldet, oder der SchleppzeigerChronograph (2. Sekundenzeiger zum Stoppen)
verbinden sich nicht zuletzt mit den Genfern.
Hubert Hirner ist einer ihrer Top-Uhrenmacher
und Ausbilder. Er führt hinunter in den Keller zur Basis des Erfolgs – dorthin, wo sich die
junge Uhrmacher-Garde über die Jahre bis in
die Werkstätten für die ganz großen Komplikationen vorarbeitet. In der Abteilung Dekoration
legen die Polierer und Schleifer die Grundlagen
für den späteren Einbau all der kleinen Platinen,
Schalter, Metallskelette und Räder. Die Kanten werden beispielsweise gebrochen, poliert
und zurechtgeschnitten. „Jedes noch so kleine
Teil wird bis zu 600-mal bearbeitet“, erklärt
der Österreicher. Nur so erreiche man die hohen Qualitätsstandards der Genfer Punze, dem
heiß begehrten Gütesiegel dortiger Edelmanufakturen.
Im Erdgeschoss bauen meist junge Mechaniker die winzigen Einzelteile und Komplikationen zu einem Uhrwerk zusammen,
schalen sie in Gehäuse ein und prüfen ihre
Funktionalität. Alles läuft hier von Hand ab.
Es wird so lange getestet und feingetunt, bis
man im Toleranzlimit von 15 bis 45 Mikrometer
(millionstel Meter) liegt. „Das Uhrenmacherhandwerk erlebt eine Hochphase“, erläutert
Hirner. Gerade unter den jungen Schweizern
ist es offenbar hip, den ganzen Tag im weißen
Kittel filigran zu tüfteln.
18 000 Uhren im oberen Preissegment (10 000
Euro aufwärts) produziert Vacheron Constantin im Jahr – und könnte wohl noch deutlich mehr absetzen. Auf Grund des starken
Schweizer Franken und gestiegener Materialkosten hat das Unternehmen vergangenen
Monat die Preise für alle Modelle angehoben.
Die Kunden werden das wahrscheinlich mit
Fassung tragen. Die meisten von ihnen dürfte
die jahrelange Wartezeit auf ihr ganz persönliches Stück Uhrmacherkunst wohl deutlich
stärker schmerzen.
■
AXEL SPILCKER
FOCUS 45/2011
Fotos: J.-M. Bregnet (3)
FILIGRANARBEIT
Auf Wunsch des
Auftraggebers wurden
auf den Seiten mit
hohem Aufwand
Tierkreiszeichen des
chinesischen Kalenders eingraviert
Puzzlearbeit
Mit der Pinzette
legt dieser Uhrmacher
Hand an
Das Erbe von Mr Mechanik
Mitten in der Quarzkrise der 1980er-Jahre baute Gerd-Rüdiger Lang Chronoswiss
auf. Jetzt übergab er seine Firma und ein facettenreiches Uhrenprogramm
W
enn ein Firmengründer und Chef nach
30 Jahren sein Unternehmen in andere
Hände gibt, ist das eigentlich nichts Ungewöhnliches. Besonders, wenn in zwei Jahren sein
siebzigster Geburtstag ansteht. Für die Uhrenschmiede Chronoswiss indes bedeutet dieser
Schritt eine besonders harsche Zäsur. Kaum ein
Geschäftsführer – auch in der stark von Einzelpersönlichkeiten geprägten Uhrenindustrie
– hat seine Person derart intensiv mit dem Unternehmen verknüpft wie Gerd-Rüdiger Lang.
Jahrelang war er in Chronoswiss-Anzeigen zu
sehen, stets mit seinem Erkennungzeichen,
einer Uhrmacherlupe. Häufig vertrat er die Marke
bei Kultur- oder Sportveranstaltungen. Jede
Garantiekarte eines Zeitmessers unterschrieb er
selbst, immer mit grüner Tinte.
Das wird er weiterhin tun, auch nachdem er
sich im Sommer aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen hat und nun dem Beirat vorsitzt. „Erst als
die Geschäfte, die auf Grund der Wirtschaftskrise
2009 und 2010 zurückgegangen waren, 2011 wieder anzogen, war für mich der richtige Zeitpunkt
für den Rückzug gekommen“, so Lang. Chronoswiss hatte, wie andere Hersteller, stark unter den
Folgen der Finanzturbulenzen gelitten, die 2008
vom US-Immobilienmarkt ausgegangen waren.
Das Werk im Blick
Chronoswiss-Gründer
Gerd-Rüdiger Lang,
68, baute als erster
Hersteller Glasböden
in die Gehäuse
ein, um das
Werk zu zeigen
Jetzt leiten Sigrun Schillings-Heinen (Finanzen, Personal, Einkauf) und Karlo-Josef Burgmayer (Vertrieb, Marketing, Produktion) die
Firma. Langs Nachfolger, die schon länger bei
Chronoswiss arbeiten, können auf eine besonders
variantenreiche Kollektion aufbauen. Dazu gehören sportliche Timer mit schwarz beschichteten
Gehäusen und guter Nachtablesbarkeit genauso
wie elegante Rotgold-Varianten mit Vollkalender
und Mondphase oder Regulatoren mit kleiner
Stundenanzeige in der oberen Uhrenhälfte, die
Chronoswiss bekannt gemacht haben (rechts).
Diese Zeitmesser unterscheiden sich stark, sind
aber stets als Chronoswiss erkennbar – etwa durch
große Zwiebelkronen oder geschraubte Armbandstege. Sie verfügen zudem über Glasböden, durch die Besitzer die Werke bei der Arbeit
beobachten können. Mit dieser Neuerung hat
Lang stark dazu beigetragen, den Untergang
der mechanischen Uhren in den 1980er-Jahren
zu verhindern. „Damals ging es mit dem Beruf
Uhrmacher, den ich gelernt habe, und den es
schon seit 500 Jahren gab, zu Ende. Man hatte
mit Quarzuhren schlicht das uralte Ziel erreicht,
für möglichst wenig Geld möglichst vielen Menschen eine exakte Zeitmessung zu ermöglichen“,
resümiert Lang. Die damals mutige Gründung
von Chronoswiss (1981) erklärt er
so: „Nachdem mein Arbeitsplatz
bei einem Uhrenhersteller weggefallen war, stand ich als junger Familienvater vor der Frage,
wie es beruflich weitergeht“ und:
„Ich habe gehofft, dass es immer
Menschen geben wird, die bereit
sind, für mechanische Uhren etwas mehr auszugeben.“
So gut Uhrenfans die Resultate
dieses Gründergeists kennen –
vielen ist unklar, wie eine Firma
aus Karlsfeld bei München Chronoswiss heißen kann und ihre
Produkte als schweizerisch ausweisen darf. Lang erklärt das so:
„95 Prozent der Uhr, einschließlich der Werke, kommen aus der
Schweiz. Deshalb darf ich sie
auch ‚Swiss made‘ nennen.“ ■
ANDREAS KÖRNER
EDLE ZEITEN
Das Werk der Grand
Régulateur wird
von Hand verziert.
5800 Euro
MASKULINER TYP
Der Durchmesser der
Timemaster Big Date
beträgt 44 Millimeter.
4250 Euro
SPANNENDES DATE
Die Sirius Triple Date
mit Vollkalender und
Mondphase in Rotgold.
11 800 Euro
29
Die Kanzler-Rolex
unterm Hammer
Zeitmesser verstorbener
Prominenter erzielen auf
Auktionen Höchstpreise. Nun
im Angebot: Adenauers Uhr
Heiß begehrt
Die goldene Rolex mit
Datumsanzeige des
ersten Kanzlers der
Bundesrepublik Deutschland stammt aus dem Jahr
1955. Sie gelangt am
13. November beim Auktionshaus Sotheby’s in
Genf zur Versteigerung. Den
Wert taxieren Experten auf
66 000 Euro
Faible fürs Normale
Konrad Adenauer favorisierte
für den täglichen Gebrauch
eher einfache Armbanduhren
mit Lederarmband. Die Rolex
hat der CDU-Politiker nach
Aussage seines Enkels nicht
allzu oft getragen
30
FOCUS 45/2011
Fotos: Sotheby’s, M. Scheler/SZ Photo/laif, Capital Pict./InterTopics
A
uf teure Armbanduhren legte „der Alte“
eigentlich keinen Wert. Konrad Adenauer, erster Kanzler der Bundesrepublik Deutschland, hatte es nicht sonderlich mit
den Nobelmarken. „Er besaß eine Vorliebe für
Standuhren“, erzählt sein gleichnamiger Enkel.
„Am Handgelenk trug mein Großvater einfache Modelle mit einem Lederarmband“, weiß
der Kölner Notar. „Die Uhrenverschlüsse waren
auch ein wenig locker gehalten, sodass das Zifferblatt nach innen zum Handgelenk rutschte.“
Deshalb habe sein berühmter Vorfahr auch
nur wenig mit einem Geschenk aus der Schweiz
anfangen können, das ein Bote des Rolex-Gründers Hans Wilsdorf am 15. September 1955 überbracht hatte: eine gelbgoldene Rolex mit der
Referenznummer 6305/1.
Es war die Zeit, als die Diplomatie des Kanzlers
zur Rückkehr der letzten deutschen Soldaten des
Zweiten Weltkriegs aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft führte. Sein Enkel vermutet, dass
die Rolex ein Werbegag und zugleich ein Dankeschön für den großen außenpolitischen Erfolg
seines Großvaters gewesen sei. „Die Uhr habe ich
bei ihm aber nie gesehen, wahrscheinlich hat er
sie irgendwo verwahrt“, glaubt Konrad Adenauer.
44 Jahre nach dem Tod des großen CDU-Politikers kommt das Kanzler-Präsent bei der Genfer
Niederlassung des Auktionshauses Sotheby’s
unter den Hammer – mit einem Schätzpreis von
66 000 Euro. Das edle Stück trägt auf der Rückseite den eingravierten Namen „Konrad Adenauer“. Das Versteigerungspaket enthält ferner
das Original-Lederetui und einen Brief nebst
Gebrauchsanweisung des damaligen RolexChefs Wilsdorf an den Regierungschef: „Der
Träger dieses Briefes ist einer unserer Mitarbeiter, den ich beauftragt habe, Ihnen persönlich,
sehr geehrter Herr Bundeskanzler, die Uhr an
den Arm zu legen.“
Die Adenauer-Rolex hatte einer der Erben
aus der Familie dem Auktionshaus angeboten.
Enkel Konrad Adenauer will aber nicht mitbieten, wenn das Exemplar am 13. November versteigert wird. „Das ist mir zu teuer.“
Uhren-Auktionen verstorbener Prominenter erzielen derzeit Höchstpreise. Einen Boom erleben
mechanische Zeitmesser der Edelmanufakturen wie Rolex, Patek Philippe, Audemars Piguet
sowie des sächsischen Herstellers Lange & Söhne. Begehrt sind Exemplare aus den 40er- bis
70er-Jahren. Angeheizt werde die Nachfrage
zunehmend durch asiatische Sammler, erläutert
Stefan Muser, Geschäftsführer des Auktionshauses Dr. Crott. Die Kaufwünsche überstiegen
das Angebot deutlich.
Rasante Preiszuwächse verzeichnet etwa die
Rolex Daytona, die der verstorbene US-Kinostar
FOCUS 45/2011
Kino-Legende
Mit lässiger Eleganz
präsentiert der USSchauspieler Clark Gable
seine seltene Patek
Philippe Mondphase
mit ewigem Kalender.
49 Jahre nach seinem
Tod 1960 wurde das
Stück im Jahr 2009
versteigert
und passionierte Rennfahrer Paul Newman trug.
Musste man in den 80er-Jahren nur 1000 Mark
berappen, werden heute rund 60 000 Euro fällig.
Ein besonderer Verkaufserfolg gelang dem
Auktionshaus Christie’s am 16. November 2009.
Für 2 773 721 Dollar wechselte die Patek Philippe
Mondphase mit ewigem Kalender des weltberühmten US-Mimen Clark Gable den Besitzer. Unvergessen seine Rolle als Rhett Butler
im Schmachtstreifen „Vom Winde verweht“ aus
dem Jahr 1939. Die „Mondphase“ wurde von
1942 bis 1948 gefertigt.
Auch Ober-Beatle John Lennon trug bis zu
seinem Tod 1980 in New York eine Uhr der Genfer Nobelmarke. Der gleiche goldene Chronograph mit der Referenz 2499 kam vor gut fünf
Monaten für mehr als 1,2 Millionen US-Dollar
bei Christie’s in Hongkong unter den Hammer.
Mit Spannung schauen Uhrenliebhaber am
13. November nach Genf. Experten rechnen mit
einem sechsstelligen Ergebnis für den Anbieter
der Adenauer-Uhr. Dabei weist das Verkaufsobjekt einen kleinen Fehler auf. Das Wappen auf
der Rückseite stammt nicht von der KanzlerFamilie, berichtet Enkel Konrad Adenauer: „Das
Signet gehört zu einer anderen Adenauer-Sippe,
die mit unserer Familie nicht verwandt ist.“ ■
Ausnahme-Erlös
Der goldene Zeitmesser, der im Jahr
1942 bei der Genfer
Nobelmanufaktur
gefertigt worden war,
erzielte bei der Auktion
durch Christie’s den
Zuschlagpreis von
2 773 721 Dollar
AXEL SPILCKER
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Rückkehr der Rekorde
Bei Puristen und
Sammlern steht
das Segment der
ultraflachen Uhren
seit jeher hoch
im Kurs. Jetzt
entdecken auch
Manufakturen die
Nische wieder und
setzen zahlreiche
neue Bestmarken
G
erade erst vorgestellt, noch kein Stück
ausgeliefert und schon eine Preissteigerung um fast 15 Prozent.“ Niklas Drösser aus der Geschäftsführung der Düsseldorfer
Wempe-Filiale war Mitte vergangenen Monats
„selbst überrascht“: 20 100 Euro wird die Jules
Audemars extra-thin in Deutschland kosten,
wenn sie – wie geplant – vor Weihnachten in den
Handel kommt. Noch im Januar dieses Jahres
hatte die Schweizer Manufaktur aus Le Brassus
den Preis mit 17 600 Euro angegeben. Auf dem
Luxusuhren-Salon SIHH in Genf hatte Audemars Piguet sein neues Schmuckstück der Fachwelt erstmals präsentiert. Das „Kaliber“ (Werk)
mit automatischem Aufzug aus 214 Bauteilen
ist gerade 2,45 Millimeter hoch, sein Weißgoldgehäuse nur 6,7 Millimeter. Bei dieser geringen Bauhöhe des Uhrwerks gilt Experten die
Gangreserve von 40 Stunden als handwerkliche
Meisterleistung.
Extrem flache Uhren erleben gerade wieder
eine Renaissance im Markt. So wie bereits in
den 40er-, 50er- und 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als sie nicht mehr in der Tasche, sondern am Handgelenk getragen wurden.
Jürgen Bestian, Generalmanager von JaegerLeCoultre: „Damals hielt der Hype ungewöhnlich lange an“ – galten besonders flache Uhren
bis dahin doch als unzweifelhaftes Zeugnis von
besonders hoher Fertigungskunst.
Zeitenwende
Die Reverso Ultra-Thin
bietet Jaeger-LeCoultre
auch für Damen an.
Mit Handaufzug, in Rotgold, mit 31 Brillanten.
13 100 Euro
Passion trifft Mission
Prominente wie die Schauspielerin Diane Kruger, hier
mit einer Grande Reverso,
gelten Luxusuhren-Herstellern als ideale Botschafter
ihres Hauses
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FOCUS 45/2011
Erfinderische Bestleistung
Viel gepriesen
Emperador Coussin
Tourbillon Automatic
ultra-thin von Piaget.
154 000 Euro
Durchblick
Die Emperador
Coussin Tourbillon
von Piaget mit
einem lasergravierten Zifferblatt
aus Saphirglas
Innovation
Piagets erstes ultraflaches AutomatikTourbillon-Uhrwerk
hat eine Bauhöhe
von lediglich 5,55
Millimetern
Mikrokosmos
Manche Räder im
269-teiligen kissenförmigen Uhrwerk
sind gerade mal
0,12 Millimeter groß
FOCUS 45/2011
Doch die zentrale Bedeutung und Bewunderung dieser Fähigkeit wurde schon bald pulverisiert – durch die Quarztechnologie.
Flach, flacher, am flachesten. Quasi von einem
Tag auf den anderen fand die Jagd nach Rekorden ohne die Schweizer Traditionalisten statt.
Stattdessen boten japanische GebrauchsuhrenHersteller Modelle an, die nicht nur flach waren,
sondern auch präzise, preiswert und weit weg
vom Old-Fashion-Style der Eidgenossen. Citizen
baute eine 4,1 Millimeter dünne Uhr, diese Marke
unterbot wenig später Seiko mit 2,5 Millimetern.
Die Schweizer mussten dagegenhalten, denn
– so das amerikanische „Time“-Magazin: Es
herrschte „Thin-Watch-War“. Der Krieg um die
Rekorde spornte die Werkehersteller der alten
Welt an. Denn plötzlich waren „dünn und flach“
Ausweis marktgerechter Uhrenfertigung.
Die Eidgenossen sammelten ihre Truppen. Mit
Longines, Eterna und Concord gewannen die
Techniker der Schweizer ETA-Werke drei Partner, um nach jahrelangen Scharmützeln mit der
Konkurrenz aus Fernost die Front neu zu ordnen.
Zu guter Letzt war es die Bieler Traditionsfirma
Concord, die um ein Quarzuhrwerk von ETA
herum quasi ein „All-Time-High“ setzte. Nicht
zukunftsweisend, aber zeitgemäß: Nur noch
absurde 0,98 Millimeter hoch war die Concord
Delirium IV – funktionsfähig, aber leider untragbar. Jeder Versuch, die Produktentwicklung
entlang den Grenzen der Physik um ein Handgelenk zu binden, ließ das filigrane Kunstwerk
schlichtweg zerbrechen. „Delirium Tremens“
ätzte das US-Magazin „Time“ und resümierte
gleichwohl: „ETA hat den Krieg gewonnen.“
Ein handwerklicher Trick hatte den Schweizern
dabei geholfen. Statt dem Uhrwerk einen eigenen Boden zu verpassen, verankerten sie alle
Bauteile des Quarzwerks direkt am Gehäuse.
Tempi passati. Heute, so Jaeger-LeCoultreMann Jürgen Bestian, „ist ‚flach‘ gleichzusetzen mit ‚klassisch‘, und vor allem im asiatischen Markt ist dieses Faible so stabil wie kaum
irgendwo sonst auf der Welt“.
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Hausinterner Rekord
Mit einer Höhe von
5,9 Millimetern ist die
Saxonia Thin die flachste
Uhr aus dem Hause
A. Lange & Söhne
KLASSIK PUR
Die Jules Audemars
extra-thin ist nur
6,7 Millimeter hoch.
20 100 Euro
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Anders in Europa. Hier, so Marktbeobachter wie
Dietmar Krebs, Chefredakteur des Fachhandelsmagazins „U.J.S.“, „wurden Connaisseure und
Liebhaber flacher Uhren lange Zeit gar nicht
bedient, die latent schlummernde Nachfrage
haben nicht wenige Manufakturen bisweilen
einfach nicht wahrhaben wollen“.
Dabei wurde manch einem der traditionsreichen
Handwerksbetriebe die Reduktion der Bauhöhe
von Uhrwerk und Gehäuse quasi in die Wiege
gelegt. „Das Streben nach dem Ultraflachen ist
ein wesentlicher Teil der DNA von Piaget“, erklärt etwa Philippe Léopold-Metzger, CEO der
zum Luxusgüter-Konzern Richemont gehörenden
Manufaktur aus La Côte-aux-Fées.
Schon seit Jahrzehnten baute das 1874 gegründete Unternehmen flache Uhren. Doch erst vor
13 Jahren kam den Marketingstrategen der
Gedanke, ihrer Produktgruppe einen eigenen Namen zu geben: Altiplano. In dieser Modellfamilie
reihten die Piagets einen Rekord an den anderen.
Bis heute. Mit einer Höhe von 5,25 Millimetern
fertigt das Unternehmen aktuell die flachste Automatikuhr der Welt. Darin verbauen die Ingenieure, Designer und Uhrmachermeister mit dem
Kaliber 1208P auch das flachste mechanische
Automatikwerk (2,35 Millimeter), das je ein Gehäuse von innen gesehen hat. Und wagten sich
im vergangenen Jahr an eine neue Spitzmarke.
Ihr Ehrgeiz: Die Emperador Coussin, langjähriger
Klassiker im eigenen Portfolio, zur flachsten Automatik-Tourbillon-Uhr überhaupt zu verkleinern.
Die Gesetze der Chemie, aber auch der Physik
waren es, mit denen Piaget sein Vorhaben zum
Erfolg führte. Wie beim Kaliber 12P, schon 1960
das flachste Automatikkaliber der Welt, erfolgte
die Kraftversorgung der Zugfeder auch beim
1208P durch einen besonders kleinen Mikrorotor. Der wurde, wegen des benötigten hohen
Gewichts, massiv aus dem besonders schweren
22-karätigen Gold gefertigt.
Auf dieser Basis und der Technik aus dem
Tourbillon-Uhrwerk 600P entwickelten die
Hausingenieure ihr Kaliber 1270P. Das nur 5,55
Millimeter flache Handaufzugswerk mit Tourbillon brachten sie in einem – natürlich auch ein
Rekord – nur 10,4 Millimeter hohen Rosé- oder
Weißgoldgehäuse unter.
Alles eine Frage der Relation. Ob ultra-thin, extraslim oder, wie im Fall der Ballon Bleu von Cartier, extra-flat – im Spektrum zwischen gut einem Zentimeter und weniger als einem Millimeter halten sich viele Hersteller die Tradition
ultraflacher Werke zugute. Vacheron Constantin
zum Beispiel.
In dem Bereich, in dem Feinmechanik mitunter
an Grenzen stößt, reklamiert auch das Genfer
Haus „eine Reihe von Schlankheitsrekorden“
für sich. Für den spektakulärsten unter ihnen
steht ein Handaufzugswerk von nur 0,94 Millimeter Höhe – für eine Taschenuhr zwar, aber
immerhin – ein Weltrekord seit 1931.
Woran auch immer die Hersteller ihre Bestmarken erfindungsreich festmachen, die Nachfrage nach Uhren, die aus Platzgründen ohne
jede Komplikation daherkommen müssen, ist
groß. Und sie wird von vielen Manufakturen
auch hoch gehalten. „Nur in homöopathischen
Dosen“, so Audemars-Deutschland-Sprecherin Ulrike Schafheutle, sei die Jules ultra-thin
bislang ausgeliefert worden – in den USA
und Asien.
Die Hersteller erklären die jüngsten Preiserhöhungen jedoch nicht nur mit dem hohen Aufwand, den die Verringerung um jeden Zehntelmillimeter mit sich bringt. Ulrike Schafheutle
etwa erklärt: „Die Preissteigerung hat Wechselkursgründe.“ Der Schweizer Franken habe seit
Januar im Wert gegenüber dem Euro „einfach
zugelegt“. Tatsächlich war der Fanken vom Zeitpunkt der Präsentation der Jules Audemars von
78 Euro-Cent auf bis zu 97 Euro-Cent gesprungen. Gespannt dürften Uhrenliebhaber wie
Wempe-Mitarbeiter Niklas Drösser aber sein,
ob die Schweizer Uhrenindustrie auch FrankenAbschwünge an die Kunden weitergibt. Zuletzt
jedenfalls ist dieser wieder deutlich auf etwa
80 Cent gefallen.
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THOMAS VAN ZÜTPHEN
FOCUS 45/2011
uns zu beeilen, haben wir echt keine zeit.
mein leben passt mir
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www.brax.com