Atomuhren
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Atomuhren
Zeit und Zeitmessung in der Astronomie Dr. B. Pfeiffer Astronomische Arbeitsgemeinschaft Mainz, Astronomische Gesellschaft • Was ist Zeit? • Zyklische Abläufe als Basis für Zeitmessung: Tag/Nacht, Mondphasen, Jahreszeiten, Planeten Handkurbel • Gnomon als astronomisches Instrument und Anwendung als Sonnenuhr • Nächtliche Gebetszeiten als Antrieb für die Entwicklung von Uhren • Herausforderungen der Navigation: Bestimmung von Längengraden Das Sonnensystem war lange die Grund• Abkehr von astronomisch abgeleitetem Zeitnormal lage für Kalender und Tageszeit. Es Verlangsamung der Erdrotation wurde als perfektes Uhrwerk betrachtet, das man in mechanischen Modellen wie • Entwicklung von Chronometern: den Orrerys veranschaulichte. Von den Wasseruhren zur Atomuhr Gilkerson and Co., c. 1810, • Anwendungen der Atomuhren in der Astronomie (noch ohne Saturn) , Armagh Observatory Volkshochschule Mainz: Besondere astronomische Themen VHS-Sternwarte im Turm der Anne-Frank-Schule 16.05.2006 19:30 1 Was ist also die Zeit? Wenn mich niemand darnach fragt, weiß ich es, wenn ich es aber einem, der mich fragt, erklären sollte, weiß ich es nicht; St. Augustin, Confessiones, XI:14 Vorbemerkung Unsere alltägliche Vorstellung vom „Wesen der Zeit“ ist geprägt durch die Instrumente, mit denen wir Die Zeit messen. Wir sprechen vom „Fließen der Zeit“ und assoziieren damit eine Sanduhr (in der Antike Klepsydren). Das Tick-Tack der mechanischen Uhren (seit dem Mittelalter) führt uns dazu, die Frage nach einer Maßeinheit der Zeit zu stellen. Einfache antike Wasseruhr (Klepsydra) Trotz aller Fortschritte der modernen Naturwissenschaften verbleibt die „Zeit“ weiterhin ein großes Rätsel. Daran hat sich seit den Zeiten Zenons von Elea (490 – 430 v.Chr.) und seinen Paradoxien von Raum und Zeit nichts geändert. Ganz im Gegenteil, sie werden wieder aktuell in der Quantenphysik. Präzisions-Pendeluhr, 1905 Typ A1 von Sigmund Riefler Für das heutige Thema können wir die meisten Probleme mit der „Zeit“ vergessen. Es genügt anzunehmen, dass die Zeit (wie in der Vorstellung Isaac Newtons) kontinuierlich mit unveränderter Rate abläuft. In der (klassischen) Himmelsmechanik ist die Zeit ein Parameter, der das Fortschreiten der Bewegungen der Himmelskörper beschreibt. Vor der Einführung der „Atomzeit“ war Zeit über eine Beschreibung der Bewegung der Planeten im Sonnensystem definiert (quasi wie schnell man die Kurbel des Orrerys der Titelfolie dreht): „Ephemeridenzeit“. Die Relativitätstheorie spielt i.A. keine Rolle, doch wäre z.B. das GPS ohne sie nicht möglich. Die zirkadianen Rhythmen der “Inneren Uhr” würden den Rahmen des Vortrags sprengen. 2 B.P. 2006 Es ist nicht verwunderlich, dass die Menschen seit jeher in den Himmel schauten um Tageszeit und Datum zu bestimmen. Kalender schon in der Steinzeit? Schon Homo Erectus vor 370000 Jahren in Thüringen ? Mondphasen in der Höhle Canchal Mahona, Spanien Gerade die völlig den Launen des Wetters ausgesetzten Menschen der Steinzeit waren für den Überlebenskampf auf kalendarische Kenntnisse angewiesen. Ob jedoch 21 parallele Ritzungen in einem Elefantenknochen einen (Mond-)Kalender unseres entfernten Verwandten Homo Erectus darstellen? Was die Marken auf der Rückseite eines sehr alten Knochens aus einer Höhle der Schwäbischen Alb bedeuten, wird vielleicht ORION in der Steinzeit? Die Marken auf der Rückseite entsprechen der Sichtbarauch nie zu klären sein. keitsdauer. Schwäbische Alb An den Wänden mehrerer Höhlen fanden sich jedoch eindeutig zu interpretierende Darstellungen eines ganzen Zyklus der Mondphasen. Auch sind eine Reihe von Knochenfragmenten überliefert, auf denen unsere Vorfahren Strichlisten führten, die man allgemein für kalendarische Aufzeichnungen hält. Solche Zählstäbe werden noch heute von Schamanen Auf diesem Knochenfragment sind Tage, Sonnenwenden und Jahre verzeichnet. verwandt. Ob die Menschen damals schon Kenntnisse über noch längere Zyklen wie die alle 20 Jahre auftretenden Konjunktionen von Jupiter und Saturn, über Mond-Sonne Beziehungen wie dem Metonischen Zyklus oder sogar dem Saros-Zyklus der Finsternisse oder gar der Präzession hatten, muss vorerst Spekulation bleiben. 3 B.P. 2006 Archaeoastronomie Obwohl es unbestreitbar ist, dass alle Völker den Himmel beobachteten, auch um kalendarische Fixpunkte zu bestimmen, muss man doch viele Berichte über bewusste astronomische Ausrichtungen von Bauwerken mit Vorsicht betrachten. Gerade sehr engagierte Amateure (doch nicht nur sie) haben fast in alle Strukturen astronomische Absichten hineingezwungen, wodurch sie diesen Teil der Astronomie in Verruf brachten. Stonehenge „Sun Dagger“ Goseck, ca. 4900 v. Chr. Nebra, ca. 1600 v. Chr. Fajada Butte, Arizona El Caracol in Chichén Itzá Newgrange „Bighorn Medicine Wheel“ 4 B.P. 2006 Kalendersterne Dekan-Gestirne Sowohl die babylonischen als auch die ägyptischen Priester benutzten je 36 mehr oder weniger gleichmässig über die Ekliptik verteilten Sterne oder Sterngruppen für Zeitbestimmungen. Da damit 10° Abschnitte entstehen, heissen sie Dekan-Sterne. Obwohl man sehr viele ägyptische Darstellungen insbesondere in Deckeln von Sarkophagen fand, umgeben die Dekan-Gestirne noch viele Geheimnisse. Nicht nur, dass man keine allgemein anerkannte Zuordnung der ägyptischen Namen zu unseren Sternen hat, streiten sich die Gelehrten sogar über die Anwendung: • • 36 Dekan-Gestirne zur Zeitmessung Bestimmten die “Stunden-Priester” die Nachtstunden? Alle 40 Minuten muss einer aufgehen. Aus dem Neuen Reich sind “Diagonaltafeln” mit Dekangestirnen überliefert, mit denen man die Nacht in 12 Stunden aufteilte. Oder zeigte der heliakalische Aufgang den Beginn einer der 36 10-Tage-Wochen an? Einer der Dekan-Sterne war wohl Sirius, dessen heliakalischer Aufgang um den 20. Juli (im alten Ägypten) die Nilflut ankündigte. Die Kalendersterne wandelten sich schon früh zu Schicksalsgöttern, die die jeweilige “Woche” beherrschten. Dieser Gedanke lebt in der Astrologie fort. 5 B.P. 2006 Der Gnomon als frühes (erstes?) astronomisches Instrument Der Gnomon (Schattenstab, -zeiger) ist uns heute als Sonnenuhr bekannt. Es ist zwar überliefert, dass man in der Antike Verabredungen traf gemäß der Länge des Schattens in Füßen, den man selbst warf. Doch scheint es keine öffentlichen monumentalen Sonnenuhren wie später in Rom gegeben zu haben. Der Gnomon war vielmehr für lange Zeit das wichtigste astronomische Messgerät. Die Vorsokratiker (oft aus Ionien in Kleinasien) hatten das Gnomon aus Babylon übernommen. Anaximander von Milet bestimmte damit die Sonnenwenden, d.h. er vermass die Sonnenbahn. [Mittagsschatten zur Sommer- (R), Wintersonnenwende (T) und den Tag- und Nachtgleichen (C)] Die Astronomen zeichneten nur die Schattenlänge zur Mittagszeit auf, es war also sicher keine Sonnenuhr. Anaximander von Milet (610 – 546 v. Chr.) Mosaik aus Trier Auch die Messung des Erdumfangs durch Erathostenes war eine Anwendung des Gnomons. Im folgenden werde ich die Anwendungen des Gnomons detaillierter aus chinesischen Quellen beschreiben, zum einen gibt es noch originale Aufzeichnungen und zum anderen existieren noch einige Observatorien. 6 Literatur zu den frühen griechischen Arbeiten mit dem Gnomon: Arpad Szabó: “Das geozentrische Weltbild”; dtv wissenschaft, 1992 B.P. 2006 Eine der Anregungen zu diesem Vortrag Letztes Jahr hatte ich über astronomische Längenbestimmungen vorgetragen: Über Größen und Entfernungen URL: http://www.staff.uni-mainz.de/bpfeiffe/vhs05-ld-w.pdf Es lag daher eigentlich nahe, über Zeit zu sprechen. Jedoch ist die Zeit für Physiker ein vertracktes Problem. Bei einem US-Aufenthalt erstand ich das Buch von Menzies, indem er behauptet, chinesische Flotten hätten 1421 fast die gesamten Weltmeere befahren und vermessen. Er stützt seine Thesen wesentlich auf frühe europäische Karten um 1500, auf denen nicht nur damals noch nicht entdeckte Länder auftauchen, sondern vor allem auf die genauen geografischen Längenangaben, die Europäer erst sehr viel später bestimmen konnten. Er nimmt an, dass der Venezianer Niccolò da Conti (1395-1469), der u.a. mit den Chinesen in Nordaustralien Chinesischer Blockdruck war, die chinesischen Karten nach Europa brachte. frühes 17. Jahrhundert Le voyage aux Indes de Nicolò de Conti (1414-1439) Menzies nimmt an, dass die chinesischen Seefahrer Mondfinsternisse zur Bestimmung der geografischen Länge verwandten und berichtet über die in Europa wenig bekannte chinesische Astronomie. Das regte mich zu weiteren Nachforschungen an. 7 Contis Bericht deckt sich mit den Reisebeschreibungen von Ma Huan und Fei Hsin. B.P. 2006 Uralte Traditionen Im weiteren Stadtgebiet von Zhengzhou, der Kapitale der Henan-Provinz, findet man in Gao Cheng noch Relikte chinesischer Observatorien, die in der Zeit von ca. 1060 v.Chr. bis 1276 AD erbaut wurden. Fürst Zhou Gong Schrein Shigui Karte von Zhang Yiching (Tang Dyn. 723 AD) Zentrum der Welt nach „Zhou Li“ (Riten der Zhou) Gnomon von ca. 700 AD und Observatorium von 1276 AD Fürst Zhou Gong von der Westlichen Zhou Dynastie (c. 1100 – 771v.Chr.) soll hier einen „Ceyingtai“ (Schattenmesser) aufgestellt haben. Auf den Gnomon von c. 700 AD und das große Observatorium aus der frühen (mongolischen) Yuan Dynastie 1276 AD werde ich im folgenden genauer eingehen. In Henan wirkte zur Zeit der Östlichen Han-Dynastie der kaiserliche Chefastrologe Zhang Heng (78-139 AD). 123 AD reformierte er den Kalender. Er konstruierte die erste äquatoriale Armillarsphäre in China. Sein Seismograph (Didong Yi) blieb der einzige weltweit für mehr als anderthalb Jahrtausende. Das Shaolin-Kloster der Kungfu-Mönche liegt auch in der Gegend. 8 B.P. 2006 Anwendungen des Gnomons: Der chinesische Kalender Alle chinesischen Herrscher, die sich „Söhne des Himmels“ nannten, legten großen Wert auf Astronomie. Ein wesentlicher Punkt war ein möglichst präziser Kalender. Seit den frühesten Zeiten verwandte man einen Lunisolarkalender. Die Fortschritte der chinesischen Astronomen durch die Jahrhunderte spiegeln sich in den offiziellen Kalendern, jedoch oft mit erheblichen Verzögerungen durch die Mandarine. Und mindestens seit der Shang-Dynastie (1523 – 1027 v.Chr.) war der Gnomon das astronomische Instrument zur Beobachtung der Sonnenbahn. Bis ins 1. Jahrhundert AD gingen die Astronomen von zeitlich gleichförmigen Bewegungen des Mondes und der Sonne aus. [Entsprechend den Kreisbahnen der griechischen Astronomen.] • Jia Kui entdeckte im 1. Jahrhundert die ungleichförmige Bewegung des Mondes (der auf einer Ellipse und nicht auf einem Kreis die Erde umläuft). Im 6. Jahrhundert bemerkte dann Zhang Zixin den Effekt auch bei dem Umlauf der Sonne. • Unter Leitung des Astronomen Yi Xing (683 – 727 AD) wurde dieses Phänomen dann mit einem ganz China umfassenden Netz von genormten astronomischen Observatorien (Gnomonen) gründlich untersucht. [„Zeitgleichung“, siehe Sonnenuhren] • Parallel zur Kalenderreform wurde noch ein Vorschlag Liu Zhuos aus dem Jahr 604 AD aufgegriffen, der Größe und Form der Erde durch eine astronomisch-geodätische Meridianmessung ermitteln wollte. • Das Streben nach immer präziseren Daten führte dann unter den Mongolen zur Errichtung von „High-Tech“ Observatorien, deren Daten berechnete langfristige Änderungen der Erdbahn bestätigen. Der Effekt der Präzession der Äquinoktien wird in China zuerst von Yu Xi im 4. Jahrhundert lange nach Hipparchus beschrieben. Zu Chongzhi (429 – 500 AD) ermittelte eine Rate von 1º in 45 Jahren und 11 Monaten. Erst im Shou Shi Kalender von Guo Shoujing 1281 findet sich ein Wert von 1º in 66 Jahren und 8 Monaten, der recht nahe am heutigen Wert liegt. Dieser Wert wurde auch von arabischen Astronomen/Astrologen verwandt und entspricht der Präzession eines Tierkreiszeichens in 2000 Jahren. Beruht er auf Messungen oder Astrologie? Auf der Marke ist die Bestimmung von π zu 3,14159265 durch Zu Chongzhi erwähnt. 9 B.P. 2006 Der Da Yan Kalender von 729 AD Von 721 bis 725 AD wurden etwa 20 Observatorien errichtet und die Schattenlängen zu den Sonnenwenden simultan vermessen. Die Abhängigkeit von Jahreszeit und geographischer Breite diente der Verbesserung des Kalenders. Die 10 Gnomone entlang des 114. Längengrades vom Baikalsee bis nach Hue in Vietnam (ca. 52. bis 17. Breitengrad) sollten die Erde vermessen. Bedingt durch die Schwierigkeit, den Kernschatten zu erkennen, bestimmte man den Meridiangrad zu 131,29 km statt des modernen Wertes von 111,12 km. Die Umrechnung der alten chinesischen Maßeinheiten ist jedoch auch unsicher! “8 Chi”-Standardgnomon (1.98 m) (später eingeführt um Halbschatten auszublenden) Die Abplattung der Erde wurde um 1740 durch Gradmessungen in Peru bestätigt. Das Meter beruht auf Messung des Meridians von Dünkirchen über Paris nach Barcelona 1792/8 von Delambre und Méchain. 10 B.P. 2006 Su Songs Wasserturm Die chinesischen Observatorien waren mit Wasseruhren ausgestattet, wohl meist bescheidenere Ausführungen. Sie wurden täglich astronomisch rekalibriert. Das Uhrwerk trieb einen Himmelsglobus im 2. Stock an. Im 3. Stock befand sich eine Armillarsphäre. Man nimmt an, dass die Uhr pro Tag weniger als 100 Sekunden Abweichung hatte. Su Song ; “Xin Yi Xiang Fa Yao” ("New Design for an Armillary Sphere and Celestial Globe") Sie war nur 39 Jahre in Betrieb und wurde von der Jin-Armee ins heutige Beijing verschleppt. Es gelang nicht, sie wieder zusammen zu bauen. Man liest oft, dass das “Escapement” (Hemmung) erst viel später in Europa erfunden wurde. 11 B.P. 2006 Der Shou Shi Kalender 1281 Guo Shoujing (1231-1314) Kaiser Shizu (frühe Yuan Dynastie) ließ 27 „High-Tech“-Observatorien für eine Kalenderreform erbauen. Zur Ausstattung gehörten eine Wasseruhr, Armillarsphären und Spezialinstrumente zur Beobachtung von Meridiandurchgängen heller Sterne. Die Messungen wurden von Guo Shoujing (1231-1314) und Wang Xun (1235-1281) koordiniert und ausgewertet. Die außerordentliche Präzision der Daten lässt sich an zwei Werten ablesen: • Lunation: 29,530591 Tage (besser als eine Sekunde) Ancient star observatory at Gao Cheng (Dengfeng city) • Jahreslänge: 365 d 5 h 49 min 20 sec (Trop. Jahr 2000 35 Sek. kürzer; 1281?) Laplace verglich die Werte mit seinen Berechnungen: “The observations made from 1277 to 1280 are valuable on account of their great precision and prove incontestably the diminution of the obliquity of the ecliptic and the eccentricity of the earth’s orbit between then and now.” J. Needham: “Science and Civilisation in China” Cambridge UP, vol. 3, p. 398 (1954) Diese Änderungen der Bahnparameter der Erde sind nach Milutin Milankoviç für die Eiszeiten verantwortlich. Näheres Vortrag “Kann uns der Himmel auf den Kopf fallen?” am Dienstag, den 4.7.2006 12 B.P. 2006 Anwendung auf präzise Sonnenuhren Temporal- und Äquinoktialstunden Analemma Von der Antike bis zur Neuzeit verwandten Astronomen eine von der Zivilgesellschaft abweichende Definition der Stunde: Die Astronomen teilten einen Tag in 24 gleichlange Äquinoktial-Stunden, während „im täglichen Leben“ Tag und Nacht in jeweils 12 Stunden täglich wechselnder Länge geteilt wurden: Temporalstunden. Die Erde bewegt sich auf einer Ellipse um die Sonne, nicht auf einer Kreisbahn. Nach Keplers 2. Gesetz bewegt sich die Erde mit wechselnden Winkelgeschwindigkeiten. Bei der (nun historischen) Ableitung der Zeiteinheit Sekunde als 86400. Teil eines Tages hat man deshalb einen mittleren Sonnentag (des tropischen Jahres 1900) eingeführt. Der Zeitpunkt des Meridiandurchganges der Sonne (12:00 Mittag in Ortszeit†) oszilliert um den Zeitpunkt, den unsere Uhren anzeigen: Zeitgleichung. 2. Keplersches Gesetz Flächensatz Eine anspruchsvolle Art, die kombinierten Einflüsse von Schiefe der Ekliptik und Keplers Flächensatz auf den Sonnenstand darzustellen, ist das Analemma. Dazu macht man ein Foto des Himmels (idealerweise täglich während eines ganzen Jahres) immer zum gleichen Zeitpunkt. 13 † Gilt nur für Greenwich. Siehe Folie „Zeitzonen“ B.P. 2006 Zeitgleichung The diagram above illustrates the variation of the equation of time due to obliquity (purple) and the variation due to unequal motion (dark blue). The diagram below shows the final equation of time, a combination of the two effects. Diagrams courtesy of Keith C. Heidorn. The analemma of 12:28:16 UT+2 over Parthenon, Athens 14 B.P. 2006 Apollo-Tempel Korinth 09:00 UT+2 Erechtheion Athen 15:00 UT+2 Die Umrechnung von temporal auf äquinoktial Stunden muss nicht nur zur Mittagszeit, sondern permanent erfolgen. 15 B.P. 2006 Analemma-Uhren Durch geschickte Formgebung der Spitze des Schattenwerfers kann man es erreichen, dass die Sonnenuhr „bürgerliche Zeit“ anzeigt. Eine solche Analemma-Uhr befindet sich auf dem Platz vor dem Naturhistorischen Museum. 16 B.P. 2006 Vor der mechanischen Taschenuhr Römische Taschen-Sonnenuhr (ca. 250 n.Chr.) Nachbau eines Instruments, das bei Bratislava gefunden wurde http://www.lateinforum.de/rmuhr.htm Schon in der Antike war die Kenntnis der Tageszeit von Bedeutung. Neben der erwähnten Methode, die Zeit aus dem eigenen Schatten abzulesen, gab es schon Taschenuhren. Hochentwickelte Modelle konnten auf verschiedene Breitenkreise eingestellt werden, waren also für Fernreisende geeignet. Sonnenuhr am Halsband Preußen, 18. Jahrhundert Vereinfachte Uhr „Mainzer Modell“ 17 B.P. 2006 Was kann man nachts machen? Sonnenuhren erfordern Sonnenschein (in unseren Breiten oft auch am Tage nicht verfügbar). Kerzenuhr mit dem Schreiber nach al-Gazarî, um 1200 n. Chr. Wasseruhr Neben nichtastronomischen Uhren hat man auch nächtliche Beobachtungen herangezogen: • Man kann auch den Schattenwurf des Mondes für Zeitbestimmung heranziehen. • Oder man beobachtet den Lauf der zirkumpolaren Sternbilder. 18 B.P. 2006 Gerbert von Aurillac (Silvester II) führte Otto III 997 in Magdeburg ein “oralogium“ vor. Wohl solch ein Gerät und keine mechanische Uhr wie einige Historiker meinen. Bestimmung der nächtlichen Gebetsstunden Moslems und Mönche müssen zu festen Zeiten Gebete verrichten. Insbesondere die Bestimmung zur Nachtzeit stellt ein Problem dar. Wasseruhren waren anfällig, Sanduhren wurden erst sehr spät entwickelt. Um das Jahr 1000 verwandten Mönche die Rotation der zirkumpolaren Sterne für die Bestimmung der Zeit, indem sie ein Sehrohr auf den Pol ausrichteten und die Bewegung eines nahen Sternes (Computatrix) verfolgten. Bedingt durch die Präzession lag damals der recht schwache Stern 32 Camelopardalis in Polnähe, während man unseren jetzigen Polstern (αUMi) als Computatrix verwandte. Im Mittelalter übernahm man in Europa das von arabischen Astronomen weiterentwickelte Astrolab, mit dem man auch die Uhrzeit bestimmen konnte. Daraus abgeleitet wurden Geräte, die die gleiche Funktion wie die Sehrohre erfüllten: Vereinfachte Astrolabien für Einsatz auf Schiffen (links) und spezielle Geräte für die Nacht: Nocturlabien. Nocturlabium Auf Schiffen verwandte man später ViergläserSchweiz, um 1520 Sanduhren, die die halbe Stunde anzeigen. Beim Ablauf wurde die Schiffsglocke geschlagen: Ursprung des Begriffs „Glasen“. Diese Uhr zeigt ¼ Stunden an, sie bemaß die Zeit der Predigt. 19 B.P. 2006 “Horologium nocturnum” Im 9. Jahrhundert verwandte Pacificus von Verona, Leiter des DomScriptoriums, eine vorher unbekannte Sternenuhr, deren Funktion aus Darstellungen des 11. und 12. Jahrhunderts rekonstruiert werden konnte. Die Äquinoktialstunden mussten noch auf die Temporalstunden (täglich variierende Aufteilung von Tag und Nacht in jeweils 12 Stunden) umgerechnet werden. Dazu verwandte man Schablonen, Island 21.12.1000 AD αUMi Polarstern um 1000 AD Bedingt durch die Luni-Solar-Präzession verschieben sich die Himmelspole. Nicht immer befindet sich ein heller Stern in der Nähe, den man für Zeitbestimmung und Navigation anwenden kann. Um das Jahr 1000 lag der mit 4.8m leuchtschwache Doppelstern 32Cam (SAO2101/2) (im gelben Kreis) relativ dicht am Pol. Die Mönche verwandten αUMi als Computatrix, der uns heute als Polarstern vertraut ist. Gemäß mittelalterlichen Chroniken nutzten die Wikinger 32Cam für die Navigation. Anmerkung: Die Bezeichnung des rotierenden Sterns als Computatrix erinnert an die mittelalterliche Bedeutung von „Computer”. Es war i.A. ein gebildeter Kleriker, der sich mit dem „Computus Ecclesiasticus“ auskannte, d.h. seine Aufgabe bestand darin, das Osterdatum und somit die beweglichen Kirchenfeste zu berechnen. 21:00 23:00 20 B.P. 2006 Notturlabio Florenz, 16. Mai 1560 Merak Dubhe HOROLOGIUM NOCTURNUM UMi UMa Polaris Girolamo della Volpaia - 1567 Museo della Scienza - Firenze Orologio notturno e solare 22:00 Semplice strumento derivante dall'astrolabio, chiamato anche orologio notturno, utilizzato dai navigatori nel medioevo per determinare l'ora durante la notte, con un margine di errore di circa 15 minuti. Il suo impiego dipende dalla capacità di vedere la Stella Polare e l'Orsa Maggiore; questo perchè le due stelle dell'Orsa maggiore chiamate i Puntatori ( Dubhe e Merak), sono sempre allineate con la stella Polare, e costituiscono una specie di lancetta di un orologio, che compie un giro completo ogni giorno. Für polyglotte Zuhörer die Beschreibung des „Notturlabio“ im Original. Dubhe: α UMa Merak: β UMa Polaris: α UMi 00:00 21 B.P. 2006 Sonnenuhren als Kalender Horologium und Mausoleum des Augustus auf dem Marsfeld Auf dem Marsfeld fand man bei Ausgrabungen noch Reste der Bodenmarkierungen für die Sonnenuhr des Augustus. Aus der Länge des Schattens um 12:00 (auf dem Meridian) konnte man das Datum ablesen (entsprechend der Jahreszeit). 22 Erdbeben „verstellten“ die Uhr jedoch bald nach der Aufstellung. B.P. 2006 Die Einführung der Zeitzonen Lange Zeit wurden die Turmuhren, nach denen sich das Leben richtete, nach den Sonnenuhren gestellt, d.h. sie zeigten Lokalzeit an entsprechend der geografischen Länge einer jeden Stadt. Eisenbahnfahrpläne erzwangen überörtliche Koordinierung, die z.B. über Telegrafenleitungen erfolgte. Viele Patentanträge betrafen Verfahren zur Synchronisation von Uhren. Prof. Galiston vertritt die These, dass der Patentamtsangestellte Einstein dadurch zum Befassen mit der Gleichzeitigkeit von Ereignissen und letztlich der Speziellen Relativitätstheorie angeregt wurde. Peter Galison Einsteins Uhren, Poincares Karten. Die Arbeit an der Ordnung der Zeit 23 B.P. 2006 Chinesische Vermessung der Welt 1421-1423? 3. Ming-Kaiser Zhu Di (Yongle) In der frühen Ming-Dynystie betrieb China eine offensive Außen- und Handelspolitik, die zur See von einer gewaltigen Flotte getragen wurde. Die 6. Reise 1421 wurde von 300 chinesischen Schiffen mit 28000 Mann Besatzung durchgeführt. Nach zeitgenössischen mediterranen Händlern und Vasco Da Gama passierten 800 Schiffe aus China, Korea, Japan und Malaysia Kalkutta. Die These, die Flotten hätten fast die gesamte Welt vermessen, kann hier nicht diskutiert werden. Der Vorschlag Menzies zur Verwendung von Mondfinsternissen passt aber gut zu unserem Thema. Zhu Di, der Erbauer der “Verbotenen Stadt”, hatte Interesse an praktischen astronomischen Fragen. Er setzte eine Kommission zur Revision der Sternkarten ein und gewann die Mitarbeit von Korea, Japan und Khan Ulugh Bek in Samarkand. A giraffe brought from Africa in the twelfth year of Yongle (1414 AD). Eines von 250 Schatzschiffen Zheng He (1371-1435) Bericht über die Reisen der Schatzflotten Changle, Fujian 1431 Nach dem Tode Zhu Dis ließen die Mandarine die Hochseeflotte und alle Akten zerstören und China verschloss sich der Welt. 24 B.P. 2006 Das Problem der Längengradbestimmung Astronomische gegen mechanische Zeitmessung Jakobsstab Kartografen und Seeleute haben das gleiche Problem (bei Seeleuten endet es jedoch oft fatal): Positionsbestimmung. Während heute mit dem GPS-System die Bestimmung der Position und selbst der Höhe über NN (und sogar die Geschwindigkeit) für jeden Benutzer einfach (und erschwinglich) ist, stellten sie für Jahrhunderte praktisch unlösbare Probleme dar. Die geografische Breite war (wenn auch ungenau) selbst mit einfachsten Instrumenten zu bestimmen. Die geografische Länge dagegen konnte nur grob geschätzt werden aus der Geschwindigkeit des Schiffes. Sehr viele Schiffe gingen verloren! Die großen Seefahrernationen setzten alles daran, dieses Problem endlich zu lösen. Alle Wissenschaftler Mittagshöhe der Sonne waren überzeugt, dass mechanische Uhren nie die erforderte Genauigkeit erreichen würden und suchten nach astronomischen Verfahren. Frankreich und England gründeten königliche Observatorien. Dass dann dem „einfachen“ Uhrmacher Harrison die Lösung gelang, wurde von den Astronomen als Schmach empfunden und man versuchte alles, um ihm die Anerkennung zu verweigern. Astrolabium H4 von Harrison. GPS-Empfänger Anmerkung: Auf der Briefmarke sieht man sehr schön, weshalb Piratenkapitäne in Filmen immer eine Augenklappe tragen. 25 B.P. 2006 Jupitermonde als „universelle“ Uhren Zur Lösung des Längengradproblems schlug Galilei 1616 Philipp II. von Spanien vor, beobachtete Positionen der Monde des Jupiters mit für einen Referenzort tabellierten Werten zu vergleichen. Mit festem Grund unter den Teleskop- und eigenen Füssen erwies sich der Vorschlag durchaus als praktikabel. Mit diesem Verfahren wurden die ersten korrekten WeltKarten angefertigt, wie man z.B. an der Karte Frankreichs sehen kann. [Allerdings war Ludwig XIV wenig erfreut über die Tatsache, dass sein Königsreich plötzlich viel kleiner war.] Allerdings war die Methode von den Planken eines Schiffes aus praktisch undurchführbar. Anmerkung: Bei Messungen zur Erstellung dieser Tabellen fiel Ole Roemer in Paris 1676 auf, dass der Zeitpunkt des Wiederauftauchens der Monde aus dem Jupiterschatten von der Entfernung Erde-Jupiter abhängt. Er deutete dies mit der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit und konnte einen ersten Schätzwert von c ≈ 250000 km/s ermitteln. "Carte de France: Corrigée par Ordre du Roy sur les Observations de Mss. de l'Académie des Sciences“ (Paris,1693). 26 B.P. 2006 Ephemeriden für die Jupitermonde – einst und jetzt Ci-dessus la représentation graphique utilisée pour les satellites de Jupiter dont le mouvement est très rapide. A gauche, un extrait de la Connaissance des Temps pour 1808. L´interpolation n´est pas facile et la latitude des satellites n´est pas donnée. A droite, le supplément à la Connaissance des Temps pour 2000 : la lecture est plus facile et la latitude est visible sur le tracé du bas de la page. 27 Crédit : IMCCE/Bureau des longitudes B.P. 2006 The Longitude Act (1714) Um das Preisgeld von 20000₤ zu erhalten wurden die abstrusesten Methoden eingereicht. Zum Schluss verblieben die Monddistanzmethode und Chronometer. Tobias Mayer aus Göttingen gelang es zuverlässige Mondpositionen zu berechnen, die dann von Maskelyne publiziert wurden: Tabulæ motuum SOLIS et lunæ, novæ et correctæ; auctore Tobia Mayer: quibus accedit methodus longitudinum promota, eodem autore. Nevil Maskelyne (1732-1811) London, 1770 Fifth Astronomer Royal H1 (1735) Harrison arbeitete fast sein ganzes Leben an diesem Problem. Seine erste Uhr erwies ihre Genauigkeit auf einer Fahrt nach Lissabon, war aber noch nicht sehr seetüchtig. Die H2 gab er auf, die H3 konnte nicht getestet werden, da die Admiralität befürchtete, sie könnte den Feinden in die Hände fallen (wie die ENIGMA in WWII). Mit über 60 Jahren begann er dann nochmal von vorne und entwickelte die H4. Bimetalle, gekapselte Kugellager, Diamantlager werden bis heute verwandt. John Harrison (1693-1776) H3 (1740-1759) 28 B.P. 2006 Bestimmung des Längengrads mit Mondfinsternissen Die geografische Länge eines Ortes kann bestimmt werden, indem man den Zeitpunkt eines astronomischen Ereignisses in der Lokalzeit ermittelt und dann mit dem Zeitpunkt (in Lokalzeit) an einem anderen Ort bekannter Länge vergleicht. Mondfinsternisse sind fast von der halben Erdkugel aus sichtbar und daher ideal geeignet für solche Messungen. Menzies nimmt an, dass die präzisen chinesischen Angaben über den Indischen Ozean bei einer gleichzeitigen Beobachtung einer Finsternis durch die über den ganzen Ozean verteilte chinesische Flotte erfolgte. Antike Autoren (Plinius, Ptolemäus) haben die Mondfinsternis am 20.9.331 v.Chr. (11 Tage vor der Schlacht von Gaugamela) dazu verwandt, die Differenz in geografischer Länge zwischen Sizilien (bzw. Karthago) und dem Nordirak zu bestimmen. Kolumbus (im Gegensatz zu Amerigo Vespucci) versagte dabei völlig. Solche Messungen waren bis um 1700 die wesentliche Quelle für Geografen. Astronomical diary describing the battle Rein astronomische Verfahren wie die Jupitermond-Methode of Gaugamela wurden um 1750 durch die Schiffs(British museum). chronometer abgelöst. Doch wie bestimmten Astronomen die Zeit ohne mechanische Chronometer? 29 B.P. 2006 Weltkarte nach Ptolemäus, ca. 1474 (heute im Vatikan) Ptolemäus hatte die Zeiten für die Mondfinsternis nur auf die Stunde vorliegen. Dies gilt als Ursache für die irrige Darstellung des westlichen Mittelmeeres, insbesondere Marokkos.30 B.P. 2006 Beobachtung der Meridiandurchgänge von Sternen Schon im Zweistromland hatten die Priesterastronomen die Zeit anhand der Höhe über dem Horizont von ausgewählten Sternen bestimmt. Islamische Astronomen trafen sich z.B. bei totalen Sonnenfinsternissen, wobei sie versuchten dabei sichtbare Sterne zu beobachten und danach die Kontaktzeiten aus der Höhe der Sterne zu berechnen. Observatorium des Tariq al-Din (c.1526-1585) in Istanbul (1577-1580). Der Sultan ließ es zerstören nachdem al-Din im Kometen von 1577 ein gutes Omen sah, jedoch ein Krieg verloren ging. Die kaiserlichen Astronomen in China notierten regelmäßig den Meridiandurchgang einer großen Zahl von Sternen. Dazu dienten die Wasseruhren. Wenn ein chinesischer Kapitän bei einer Mondfinsternis beobachtete, welche Sterne durch den Meridian gingen, konnte man durch Vergleich mit den in Beijing registrierten Zeiten die Differenz in geografischer Länge zwischen dem Standort des Kapitäns und Beijing (dem chinesischen Nullmeridian) berechnen. Singapur, 16.7.2000 22:19:03 Das Observatorium wurde gebaut, damit die islamische Welt den Anschluss an Tycho Brahes Großgeräten behalten sollte! 31 B.P. 2006 Neuzeitlicher Test der Methode 3. Kontakt Prof. John Oliver aus Florida positionierte Studenten zwischen Tahiti und Singapur, an Orten, an denen Menzies chinesische Singapur Observatorien vermutet. 1º 20’ N Die ungeübten Beobachter erreichten eine 103º 49‘ E Genauigkeit von ca. 1,5º. Dies entspricht ca. 167 km am Äquator. Menzies vermutet aus dem Vergleich der Ostafrikanischen Küste auf Karten um 1500 mit modernen Atlanten, dass die Chinesen eine Genauigkeit von ca. 40 km erreichten. Mit solchen Beobachtungen konnten zwar Karten erstellt werden, doch die tägliche Ortsbestimmung eines Schiffes wurde erst mit John Harrisons Chronometern möglich. Schiffschronometer des Zerstörers Bayern Wempe, 1960 Heute Sammlerstück 16. Juli 2000 22:19:03 Nelson, NZ 41º 18’ S 173º 16’ E 17. Juli 2000 02:49:02 32 B.P. 2006 Sternbedeckungen Sternbedeckungen durch Asteroiden und Planeten sind Beobachtungen, die ideal für Amateurastronomen geeignet sind. Sie erfordern kleine Teleskope und das Zusammenwirken möglichst vieler Beobachter. Entscheidend sind präzise Uhren und der genaue Standort. Heute lässt sich beides mit einem GPSSystem ermitteln. Noch vor nicht allzu langer Zeit mussten Ort und Zeit durch Beobachtung von Meridiandurchgängen von Sternen ermittelt werden, insbesondere wenn man sich irgendwo in der Wildnis befand. Das nebenstehende Beispiel soll zeigen, dass Amateure heute essentielle Beiträge zur Wissenschaft leisten können. Die Messungen wurden in Chile durchgeführt. Die 8m-Teleskope waren bereit, doch lagen sie außerhalb des Schattens. Die Amateure konnten sich kurzfristig mit kleinen Teleskopen in den Schattenbereich begeben. Sternfreund Mike Kretlow ist Mitglied der URANIA Wiesbaden. Mehr im nächsten Vortrag Dienstag 30. Mai 2006 um 19:30 33 B.P. 2006 Wer benötigt Sternennavigation im Zeitalter von GPS, GLONASS, GALILEO? Raumsonden ! Die “Betreuung” von Raumsonden ist personalintensiv, daher sehr teuer. Eine Aufgabe der Technologieplattform Deep Space 1 war es daher, möglichst autonom nach den Sternen zu navigieren. (9969)Braille Deep Space 1 19P/Borelly Andere Sonden haben das System übernommen: Kometenkern 81P/Wild 2 STARDUST Aufschlag von 9P/Tempel 1 auf Impaktor, beobachtet von Deep Impact. Die Spindoktoren der NASA bestehen auf der Formulierung, dass der Komet den Kupferblock zerstörte. Die friedliebende amerikanische Nation attackiert nicht mal Himmelskörper! 34 B.P. 2006 Frühe nichtastronomische Uhren: Wasseruhren Einfache Klepsydren (Wasserdiebin) wurden als Stopuhren verwandt. Sie begrenzten z.B. Redezeiten vor Gericht. Wasseruhr "mit dem Elefanten" Rekonstruktion der von al-Gazarî ersonnenen und in seinem Buch dokumentierten Wasseruhr in Originalgöße um 1200 n. Chr. Der alexandrinische Mechaniker Ktesibios erfand die Uhr mit hydraulischem Antrieb. Entscheidend für “Ganggenauigkeit” ist, dass der Wasserspiegel im Zulaufgefäß konstant gehalten wird. Wasseruhren wurden später im islamischen Raum weiterentwickelt. Institut für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften an Uni Ffm hat eine Ausstellung mit Modellen alter Instrumente. 35 B.P. 2006 Der Anti-Kythera Mechanismus In der Antike kannte man wohl noch keine mechanischen Uhren. Der Zahnradmechanismus, der von Schwammtauchern geborgen wurde, scheint ein 2000 Jahre alter „astronomischer Kalkulator“ zu sein (ca. 90 v.Chr.), mit dem man Planetenkonstellationen (für Horoskope?) bestimmen konnte. Er könnte dem von Cicero beschriebenem Orrery des Posidonius von Apamea (c. 135 – c. 51 v.Chr.) entsprechen, dem Begründer der griechischen „wissenschaftlichen“ Astrologie. Er zeigt, dass die Technik im Altertum fortgeschrittener war als wir glauben. Versuch einer Rekonstruktion 36 http://de.wikipedia.org/wiki/Mechanismus_von_Antikythera B.P. 2006 Mechanische Uhren Im Laufe des Mittelalters schafften „reiche“ Städte vom Sonnenschein unabhängige Turmuhren an. Die Ansprüche waren noch bescheiden, es gab meist nur Stundenzeiger. Kalibriert wurden die Uhren mit Sonnenuhren, die an alten Kirchen eh vorhanden waren. Bernard Walther experimentierte um 1490 mit einer Räderuhr, die aber viel zu ungenau war. Ein großer Schritt voran bedeuteten die Pendeluhren. Schon Galilei hatte eine entworfen, doch die ersten einsatzfähigen Modelle ließ sich Christiaan Huygens 1657 patentieren. Sie wiesen eine Ganggenauigkeit von 10 Sekunden pro Tag auf und wurden schnell in astronomischen Observatorien eingeführt. Doch waren die mechanischen Uhren nicht geeignet die Konstanz der Bewegung der Himmelskörper zu überprüfen. Um z.B. die Ganggenauigkeit der Schiffschronometer von Harrison zu bestimmen, reiste der Astronomer Royal Maskelyne (ein Verfechter der astronomischen Monddistanz-Methode) nach Jamaika um den Standort astronomisch zu ermitteln. K1: Kendalls Kopie der H4 Aposteluhr und Kalendarium, Prag Erste Hinweise auf die Veränderlichkeit der Tageslänge als Basis der Zeitbestimmung lieferten antike Aufzeichnungen von Sonnenfinsternissen aus Mesopotamien und China. 37 B.P. 2006 Zweifel an der Konstanz der Bewegungen der Himmelskörper Die säkulare Akzeleration des Mondes Schon Edmond Halley wollte 1695 mit historischen Aufzeichnungen die Bewegungen überprüfen. Heute nennen wir die „Akzeleration des Mondes“ eine Verlangsamung der Erdrotation (zuerst vermutet um 1750 von Tobias Mayer) auf Grund von Gezeitenreibung (zuerst vermutet von Immanuel Kant). “Empress of Kao-tzu, 7th year, first month, day chi-ch'ou, the last day of the month. The sun was eclipsed; it was total; it was 9° in [the lunar lodge] Ying-shih, which represents the interior of the Palace chambers. At that time the [DOWAGER] Empress of Kao-[tzu] was upset by it and said, "This is on my account." The next year it was fulfilled.” Han-shu (Annalen der Han-Dynastie) (4.3.181 v.Chr.) Anmerkung: Kaiserin Dowager verstarb 18 Monate später. Chinesische Reichsannalen Report on eclipses in 118 and 120 AD. Also 27 months after the eclipse on Jan. 18 120 AD the Empress Teng died. Diese Zitate zeigen, weshalb die Hofastronomen aufmerksam den Himmel studierten und diese Beobachtungen in die offiziellen Annalen der Dynastien aufgenommen wurden: Astrologie Doch nur deshalb blieben sie erhalten und wir können sie heute für wissenschaftliche Zwecke verwenden! 38 http://www.kernchemie.uni-mainz.de/~pfeiffer/aag/aagmt/mt1.htm B.P. 2006 Historische Aufzeichnungen Beobachtungen vor und nach Einführung der Pendeluhren Astronomische Bemühungen, Änderungen der Erdrotation zweifelsfrei zu beweisen, lieferten bis zum Ende des 19. Jahrhunderts keine schlüssigen Beweise [Simon Newcomb], da der Effekt sehr klein war. Die deutlichen Abweichungen von 1870 bis 1910 gestatteten dann 1939 Sir H. Spencer Jones, starke Korrelationen in den Positionen von Sonne, Mond, Merkur und Venus aufzuzeigen, die nur durch eine langfristige Variabilität der Erdrotation erklärt werden können. Mit Quarz-(30'iger) und Atomuhren (seit 50'iger Jahren) können auch kurzzeitige Abweichungen erkannt werden, wie z.Bsp. der Einfluss des El Niño-Wetterphänomens. 1956 wurde die Definition der Sekunde von der Umdrehung der Erde abgekoppelt und auf die Umlaufzeiten der Planeten bezogen: Ephemeridenzeit Anmerkung: Die Herkunft der überlagerten Schwingung mit ca. 1500 Jahren Periode ist nicht geklärt. Eine persönliche Idee: Mit etwa der gleichen Periode wechseln Kalt- und Warmperioden ab. Das Schmelzen und Gefrieren der Gletscher führt zu Massenverlagerungen. Mehr u.U. am 4.7.2006: “Kann uns der Himmel auf den Kopf fallen?” 39 B.P. 2006 Atomuhren 1976 ging man einen Schritt weiter und löste sich (vorerst) von astronomischen Vorgängen: Atomzeit UT "Die Sekunde ist das 9 192 631 770fache der Periodendauer der dem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des Grundzustandes von Atomen des Nuklids 133Cs entsprechenden Strahlung." 1. Atomuhr 1955 Dr. Louis Essen (rechts) „Klassische“ Atomuhr Fontänen- Zurzeit passt man die (reine) Atomzeit durch Schaltsekunden an die irreguläre Erdumdrehung an: UTC Die Erdrotation wird durch Beobachtung von Quasaren vermessen. Näheres in einigen Minuten. Die Computerindustrie will zurück zur reinen Atomzeit, da jetzt unvorhersehbare Änderungen der Programme notwendig. Unterstützt wird sie von den Betreibern des GPS: Die US-Militärs hatten die Schaltsekunden vergessen! Cs-Fontänenuhr der NIST, USA 1 Sekunde in 30 Millionen Jahren 40 B.P. 2006 Intermezzo Signale von „kleinen grünen Männchen“? Am Cavendish Institut in Cambridge, UK, baute Tony Hewish ein Feld von Radiodetektoren für die Beobachtung von Quasaren auf. Völlig überraschend entdeckte seine Studentin Radiopulse mit einem extrem präzisen Abstand von 1,337 Sekunden. Ein irdischer Ursprung wurde verworfen, da kein menschengemachter Sender diese Frequenzstabilität hatte (damals zumindest). Ein ernsthaft diskutierter Ursprung waren Signale von außerirdischen Intelligenzen. Der extrasolare Ursprung zeigte sich bald in der Beobachtung, dass die Signale jeden Tag 4 Minuten später einsetzten. Im Laufe eines halben Jahres wurden noch drei weitere Radioquellen entdeckt. Dass sich gleich 4 technisch hoch entwickelte Studentin Jocelyn Bell Burnell, Cambridge,1967 außerirdische Kulturen um Kontakt zur Erde bemühten, war nicht sehr wahrscheinlich, sodass man nach einer alternativen Erklärung suchen musste. LGM1: „Little Green Men“ 41 Ihr Betreuer Antony Hewish erhielt 1974 (zusammen mit Sir Martin Ryle) den Nobelpreis. B.P. 2006 Pulsare – Rotierende Neutronensterne Die Radioquellen wurden bald als rotierende Neutronensterne erkannt. Die abgestrahlte Energie wird aus der Rotationsenergie gespeist, also muss die Frequenz der Radioimpulse langsam abnehmen, was auch beobachtet wird. Gelegentliche Sprünge („glitches“) werden als Sternbeben in der Kruste des Pulsars gedeutet. Man hatte auch in Erwägung gezogen, die Sekunde mit Hilfe dieser Radioimpulse zu definieren. Das Zeitverhalten eines physikalischen Vorgangs lässt sich nur dann genau untersuchen, wenn die zur Verfügung stehenden Uhren eine höhere Ganggenauigkeit als die Variabilität des Vorgangs haben. Fast die ganze Menschheitsgeschichte hindurch konnte die Konstanz der Bewegungen der Himmelskörper nicht untersucht werden, da alle Uhren weit unterlegen 42 waren. B.P. 2006 VLBI - „Very Long Baseline Interferometry“ Radioteleskope haben bis 100 m Durchmesser, wovon die optischen Astronomen z.Z. nur träumen können. Bedingt durch die langen Wellenlängen ist die Auflösung eines Teleskops jedoch weit geringer als die eines optischen Gerätes. Andererseits gestatten es die Radiowellen Teleskope zusammenzuschalten zu Interferometern, bei denen der Durchmesser des gesamten Feldes die Auflösung bestimmt: Die Einführung der Atomuhren ermöglichte es, Radioteleskope über ganze Kontinente hinweg zu verbinden. An jedem Teleskop wurden die empfangenen Signale zusammen mit der Atomzeit auf Magnetbänder geschrieben und dann später per Computer korreliert. Das amerikanische Feld erstreckt sich von Hawaii bis in die Karibik 43 Die optischen Astronomen holen auf: Interferometer mit den 2 Keck und den 4 ESO Großteleskopen. B.P. 2006 e-VLBI Aufzeichnung auf Datenmassenspeicher Das europäische Netzwerk Off-line Datenauswertung später Optisch: Hubble Deep Field. Gelb: Isoliertes Radioteleskop Kästchen: Europäisches Netzwerk Ist ein ziemlich umständliches Verfahren! 6 europäische Antennen sind nun direkt mit Glasfaserleitungen einer Kapazität von 1 Gigabit/sec mit einem Korrelator verbunden: e-VLBI 44 B.P. 2006 VSOP ― VLBI Space Observatory Project Der Erddurchmesser muss nicht die Obergrenze der Ausdehnung des Antennenfeldes sein. Im Februar 1997 wurde der japanische Satellit HALCA [Highly Advanced Laboratory for Communications and Astronomy] in einen elliptischen Orbit mit dem Apogäum von 21400 km gebracht. Die 8 m Antennenschüssel besteht aus vergoldetem Molybdändraht an 6 Stützarmen, die erst im Orbit entfaltet wurden. Apogäum 21400 km, Perigäum 560 km VSOP-Aufnahme mit masAuflösung verglichen mit 5 arcsec Auflösung des CHANDRA RöntgenSatelliten X-Ray Jet Source 0637-752 Erforderlich ist der genaue Abstand zwischen den Antennen (besser als 1 m). Eine Station auf dem Mond sollte auch funktionieren. Geht auch der Mars? HALCA (Muses-C) 45 B.P. 2006 Anwendungen der VLBI Radioquellen (etwa 600 Quasare) beinahe am Rande des Universums dienen als „quasi-absolutes“ Bezugssystem: ICRF: International Celestial Reference Frame Man kann nun die exakt vermessenen Quellen (analog zu den GPS-Satelliten) zur millimetergenauen Bestimmung der Position der Radioantennen verwenden, womit der Geodäsie neue Perspektiven eröffnet wurden: • Plattentektonik • Lage der Erdachse im Raum • Abbremsung der Erdrotation: Schaltsekunden für UTC Am 14.1.05 landete die ESA-Sonde HUYGENS auf Titan. Die Daten des Doppler-Wind-Experimentes wurden nur verstümmelt übertragen. Dank der Verfolgung des Abstiegs durch die VLBITeleskope, konnte die Abdrift der Sonde und damit die Windgeschwindigkeiten in der Titan-Atmosphäre trotzdem (aus der Trägerfrequenz) gewonnen werden. Die mit der Radiointerferometrie mit großen Basislängen gemessenen Bewegungen der Kontinente unserer Erde: Die roten Pfeile zeigen in Zentimetern pro Jahr die Relativbewegungen der einzelnen VLBI-Radioteleskope. Deutlich ist zu erkennen, wie zum Beispiel Europa und Amerika weiter auseinander driften, Hawaii bewegt sich sogar mit fast sieben Zentimetern pro Jahr. 46 B.P. 2006 LOFAR – Low-Frequency Array Übertragung hoher Datenraten über hunderte km Entfernung mit Lichtleitern gestattet nun das on-line-Zusammenschalten von ausgedehnten Antennenfeldern: 25000 Radioantennen sollen mit einem ultraschnellen Netz (Internet-2) zu einem digitalen „phased array“-Radioteleskop von 350 km Durchmesser verbunden werden. Standort: Holland und Norddeutschland Hauptziel: Beobachtung der Bildung der ersten Sterne / Galaxien durch extrem rotverschobene 21 cm Wasserstofflinie. Das System ist allerdings extrem vielseitig. • Gleichzeitige Beobachtung mehrerer Objekte. • „Kurzer“ Blick in Vergangenheit, je nach Computerspeicher. Die Antennen sehen eher wie Bastelarbeiten aus, bestehen aus 4 Kupferdrähten. Die Technik des ultraschnellen INTERNET-2 wird schon eingesetzt. Problematisch wird die Bewältigung der extrem hohen Datenraten, wobei es nicht mit Hochleistungsrechnern allein getan ist. Zum Einsatz kommen soll die Fortentwicklung des WWW: die GRID-Technolo-gie. Sie wird gerade für die nächste Generation der Teilchenbeschleuniger wie dem LHC in Genf entwickelt. Die Aufnahme der Milchstraße wurde mit 60 Antennen in Sekunden erhalten! Von Vorteil ist, dass das Netz während des Betriebes erweitert werden kann. Ein deutscher Partner ist das Max-Planck-Institut für Radioastronomie, das auch das Teleskop in Effelsberg betreibt. Milchstrasse, einige Sekunden 47 B.P. 2006 LOPES — A LOFAR Prototype Station Radio Emission from Cosmic Ray Air Showers KASCADE - Grande KArlsruhe Shower Core and Array DEtector - Grande LOFAR-Antennen als Teil des LOPES-Projekts zur Messung kosmischer Teilchen bei KASCADE Grande in Karlsruhe (Sommer 2003). Obwohl schon seit 1965 bekannt ist, dass die von hoch energetischen Teilchen der Kosmischen Strahlung ausgelösten „Air Shower“ auch Radiostrahlung abgeben, gibt es noch wenige Untersuchungen. Im LOPESProjekt wird jetzt ein „klassisches“ Detektorfeld (KASKADE) zusammen mit einer LOFAR Teststation betrieben. Beteiligt ist das MPI für Radioastronomie. Detektoren für Tscherenkov-Strahlung 48 http://www.astro.ru.nl/lopes/ B.P. 2006 Nächster Vortrag Dienstag 30. Mai 2006 um 19:30 Sternbedeckungen Michael Schmidt Astronomische Arbeitsgemeinschaft Mainz Okkultation des Sterns 43Tau durch Asteroiden (345)Tercidina am 17. Sept. 2002. Ein Teil der Daten wurde nahe Freiburg von Mitgliedern der AAG Mainz und der URANIA Wiesbaden ermittelt. Volkshochschule Mainz: Besondere astronomische Themen VHS-Sternwarte im Turm der Anne-Frank-Schule 16.05.2006 19:30 49