Untitled - Tom of Finland
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Untitled - Tom of Finland
FETISCH E X PLIZIT, NUANCENA R M, 1 H Y PERREALISTIS C H Wie der schwule Pornograf Touko Laaksonen als Tom of Finland die Fantasien einer Epoche in Bilder fasste und – fast aus Versehen – die Kunstwelt eroberte Seit 1973 gibt es hinter dem Hamburger Hauptbahnhof den Schwulenclub „Pit“. Als ich ihn das letzte Mal besuchte, es muss ein paar Jahre her sein, posierten und tanzten mädchenhafte Jungs zwischen Spiegelwänden. Es war, als sei die Zeit stehen geblieben. Als habe es Wolfgang Tillmans, George Clooney als Batman, Schwulenehe nie gegeben. Eigentlich war der Club schon immer altmodisch (zickig und frisösig, aber schlecht frisiert) und bekennend uncool, aber vermutlich genau deswegen nicht totzukriegen. Interessant allerdings ist die dazugehörige Kellerbar „Tom’s Saloon“. Hinten gibt es einen ausufernden Darkroom mit „Sling und zahlreichen Glory Holes“ (Eigenwerbung auf www.toms-hamburg.de), vorn im Thekenbereich hängen Originalzeichnungen von Touko Laaksonen, der unter dem Künstlernamen Tom of Finland eine bis heute mehr oder weniger universell gültige Ikonografie des homosexuellen Mannes erschaffen hat. Seine Zeichnungen sind so unverwechselbar wie ein Donald Duck oder ein drip painting von Jackson Pollock: Tom of Finland 226 zeichnet muskulöse Kerle in ultramaskulinen Uniformen. Zu Beginn seiner Karriere orientierte sich der 1920 geborene Laaksonen an den Outfits der deutschen Naziarmee, weil er mit einem Luftwaffenoffizier seine ersten sexuellen Erfahrungen gemacht hatte. Später waren es Polizisten, Bauarbeiter, Matrosen. Besonders wichtig: schwarzes Leder und hohe, glänzende Stiefel. Noch wichtiger, genau genommen die Kernmotive in seinem Oeuvre: knackige Hintern und riesige Penisse bei der Arbeit. 1957 veröffentliche Touko Laaksonen seine ersten Arbeiten in dem amerikanischen Magazin Physique Pictorial, wenig später erfindet der Herausgeber Bob Mizer den Künstlernamen, der einigermaßen genial ist und zum Markenzeichen wurde: Tom of Finland klingt nach erotischer Fantasie, wie der Titel eines pornografischen Filmes, nach ungewaschenem Sex im kernigen Ambiente. 1 Im Laufe der Jahre perfektionierte der Künstler seinen Zeichenstil: explizit, nuancenarm, hyperrealistisch. Vor allem die Spätwerke aus den 70ern sind makellos und HOMMES spielen konsequent mit den selbst erfundenen Klischees. Ihre besondere Qualität ist dabei der holzschnittartige Charme, der ostentative Verzicht auf das, was man künstlerischen Strich nennen könnte. „Ich wusste immer, dass eine Zeichnung gut war, wenn ich eine Erektion davon bekam“, sagte Laaksonen in einem Interview. Diese sehr praktische Einstellung zu seinen Arbeiten mag auch biografisch begründet sein. Schon als Junge fühlte sich Laaksonen zu Männern hingezogen und stillte seinen Hunger, indem er sie zeichnete. Nicht der Wunsch nach Anerkennung als Künstler war der Ausgangspunkt, sondern die eigene Erregung. „Ich achte immer sorgfältig darauf, dass ich nur Männer zeichne, die ihren Sex mit Stolz und Freude ausleben“, erklärte Laaksonen. Und in ihrem Vorwort für die Tom of Finland Collection schreibt Dian Hanson, die Sexbeauftragte beim Taschen Verlag: „Egal wie physisch eindrucksvoll sie dargestellt sind, Toms Männer zeigen immer offene, freundliche und einladende Gesichter. Natürlich wollen sie jemanden ficken und denjenigen 2 HOMMES 227 3 Vorherige Seite.: 1 Tom flanked by volunteers at a Tom of Finland Foundation fundraiser held at San Francisco’s Eagle Tavern, 1985, © Collection of Tom of Finland Foundation © Robert Pruzan © Tom of Finland Foundation 2 Kake No. 6, “Threesome”, 1970, © Tom of Finland Foundation 3 Graphite on paper, 1964 Private Collection of Tom Nicoll, © Tom of Finland Foundation bei dieser Gelegenheit auch festhalten oder fesseln – aber all das geschieht aus purem sexuellen Vergnügen, und wenn sie Spaß gehabt haben, sorgen sie immer dafür, dass der andere den Spieß umdrehen kann und auch seinen Spaß bekommt. Darüber hinaus waren Toms Männer die ersten, die die Zuneigungsgrenze durchbrachen – hier ging es nicht nur ums Blasen, Ficken und Faustficken, sondern auch ums Küssen und Streicheln.“ Nun ist die unerschütterlich positive Dian Hanson qua Amt und Mission geradezu verpflichtet, jede Darstellung von Sex okay zu finden und als Ausdruck eines gesunden Emanzipationsprozesses. Doch tatsächlich verströmen die Zeichnungen von Tom of Finland, so krass die übertriebenen Genitalien und die recht beherzten Praktiken wirken mögen, einen ungebrochenen Optimismus. Die muskulösen Kerle sind grundsympathisch und besonders wichtig: Sie sind kerngesund. Homosexualität galt bis Ende der 60er als Krankheit. Laaksonens Zeichnungen mussten diskret geordert werden, er selbst saß mehrfach wegen seiner Arbeiten im Gefängnis. Deswegen war die kräftige Statur seiner Muskelpanzermänner nicht nur sexuell stimulierend (wenn man drauf steht), sondern auch eine Metapher der Selbstversicherung in unsicheren Zeiten. Fast überflüssig darauf hinzuweisen, dass er in Jahrzehnten aktiv war, die bei allen Rückschlägen, Verzögerungen und Menschenrechtsverletzungen einen immer liberaleren Umgang mit Homosexualität erlebte und infolgedessen Schwule hervorbrachte, die keine feminisierten Karikaturen waren, sondern ihre Männlichkeit genossen und feierten. Als 1977 die Village People mit eingängigen Songs und Kostümen die Charts eroberten, die – bis auf den Indianer vielleicht – wirkten wie von Tom of Finland erfunden, schien der Durchbruch in den Mainstream perfekt. 228 HOMMES Dieser schöne Traum war vorbei, als Aids die Welt der Schwulen erschütterte und in ihren selbst gewählten Hauptstädten San Francisco und Amsterdam wütete, während der amerikanische Präsident noch nicht einmal den Namen der Krankheit aussprechen wollte. Betrachtet man heute die Zeichnungen von Tom of Finland, ist es schwierig, den nung war nicht seine Triebfeder; die Gewissheit, wie alle anderen Kerle auf große Brüste und easy sex zu stehen, nicht seine Hängematte. Er zeichnete auf dem Höhepunkt seines Underground-Ruhms für eine dreckige, kleine Bar in Hamburg. Man mag den Männlichkeitskult und die Schwanzfixiertheit heute ein bisschen passé „Ich wusste immer, dass eine Zeichnung gut war, wenn ich eine Erektion davon bekam“ tragischen Ausgang seiner Utopie nicht mitzudenken. Aber es lohnt sich. Tom of Finland, dessen Erbe von der rührigen Tom of Finland Foundation in Los Angeles gehütet wird, ist heute nicht nur als Pornograf und Zeitzeuge, sondern als Künstler anerkannt. Bei der Biennale in Venedig 2009 zeigten die Kuratoren, das norwegische Künstlerduo Elmgreen und Dragset, seine Arbeiten. Seine Zeichnungen gehören zur Sammlung des Museum of Modern Art, eine finnische Tom-of-FinlandBriefmarke wurde zum Bestseller. Und zum Miniskandal, weil Russland finnische Briefschreiber zum Boykott aufforderte. Was nur mal wieder zeigt, dass Emanzipation ein unvollendetes Projekt ist. Auch der Fotograf Robert Mapplethorpe hat mit teilweise extrem expliziten, schwulen Bildern die Kunstwelt erobert, der Zeichner Robert Crumb nutzte das vermeintlich banale Medium Comic für sexuelle Grenzüberschreitung. Doch Laaksonen war ein Einzelfall. Weniger ehrgeizig als der eine, weniger allgemeinverständlich-bräsig als der andere. Der Wunsch nach künstlerischer AnerkenHOMMES finden. Aber sein Werk hat der Subkultur einer Epoche ein Gesicht gegeben, mit einer Dringlichkeit, die bis heute gilt. Text: Adriano Sack Bilder: Alle Bilder aus Tom of Finland. The Complete Kake Comics, Tom of Finland. Bikers. Vol. 2, erschienen im Taschen Verlag. Im kleinen Format jedoch auf vielen Seiten zeigen die zwei Tom of Finland Ausgaben eine Vielzahl provokanter wie lustiger Zeichnungen des Enfant terrible der Comicwelt. 229