ERD 2010 - Soziale sicherung für inklusive entwicklung.
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ERD 2010 - Soziale sicherung für inklusive entwicklung.
EINE NEUE PERSPEKTIVE IN DER ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN DER EU UND AFRIKA http://erd.eui.eu/ IN PARTNERSCHAFT MIT MOBILISIERUNG DER EUROPÄISCHEN FORSCHUNG IM DIENST DER ENTWICKLUNG SOZIALE SICHERUNG FÜR INKLUSIVE ENTWICKLUNG - EINE NEUE PERSPEKTIVE IN DER ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN DER EU UND AFRIKA SOZIALE SICHERUNG FÜR INKLUSIVE ENTWICKLUNG Europäischer Entwicklungsbericht 2010 SOZIALE SICHERUNG FÜR INKLUSIVE ENTWICKLUNG EINE NEUE PERSPEKTIVE IN DER ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN DER EU UND AFRIKA E U R O P Ä I S C H E R ENTWICKLUNGSBERICHT IN PARTNERSCHAFT MIT MOBILISIERUNG DER EUROPÄISCHEN FORSCHUNG IM DIENST DER ENTWICKLUNG E U R O P Ä I S C H E R ENTWICKLUNGSBERICHT SOZIALE SICHERUNG FÜR INKLUSIVE ENTWICKLUNG EINE NEUE PERSPEKTIVE IN DER ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN DER EU UND AFRIKA IN PARTNERSCHAFT MIT MOBILISIERUNG DER EUROPÄISCHEN FORSCHUNG IM DIENST DER ENTWICKLUNG E U R O P Ä I S C H E R ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010, Soziale Sicherung für inklusive Entwicklung, Robert Schuman Centre for Advanced Studies, Europäisches Hochschulinstitut, San Domenico di Fiesole. © Europäische Union, 2010 Nachdruck mit Quellenangabe gestattet. Printed in Belgium. Haftungsausschluss: Die Ansichten im Europäischen Entwicklungsbericht (ERD – European Report on Development) sowie in sonstigen Dokumenten oder in zitierten Äußerungen von Einzelpersonen, die in der vorliegenden Broschüre auszugsweise wiedergegeben werden, spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Europäischen Kommission oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union wider. Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Vorwort VORWORT 1,4 Mrd. Menschen - fast das Dreifache der Bevölkerung der Europäischen Union - leben in extremer Armut. Dies bleibt die größte globale Herausforderung unserer Zeit, die dringendes Handeln erfordert. Entwicklung ist dabei der entscheidende Faktor. In der internationalen Entwicklungspolitik zeichnen sich deutliche Veränderungen ab. Neue Akteure kommen hinzu und die Zusammenarbeit unter den Entwicklungsländern wächst. Die Entwicklungspolitik wird auch zunehmend auf andere globale Herausforderungen wie Klimawandel, Migration, Sicherheit und Zugang zu Energie abgestimmt. Durch die globale wirtschaftliche Instabilität, die sich in den jüngsten Lebensmittel-, Öl-, Finanz- und Wirtschaftskrisen offenbarte, hat sich das Wachstum in einigen Ländern verlangsamt und die Armut erhöht. Die Krisen haben auch die Strukturschwächen in vielen Entwicklungsländern deutlich gemacht und gezeigt, dass die Situation in den einzelnen Ländern oft sehr unterschiedlich ist. Kritische Stimmen mehren sich schließlich bezüglich der Rolle, der Auswirkungen und der Lenkung der Entwicklungshilfe angesichts starker Budgeteinschränkungen und einer verstärkten Prüfung des Mitteleinsatzes durch die Öffentlichkeit in den Geberländern. Es nähert sich auch der Ablauf der Frist für die Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele im Jahr 2015. Die EU kündete im September 2010 in New York an, dass sie sich in den kommenden Jahren weiterhin in hohem Maße für diese Ziele einsetzen wird. Die Entwicklungshilfe liegt hauptsächlich in der Verantwortung der einzelnen Länder, die ihre eigenen humanen, natürlichen und wirtschaftlichen Ressourcen mobilisieren und durch geeignete Maßnahmen optimal einsetzen müssen. Obwohl breite Teile Afrikas in den letzten Jahren ein relativ solides Wirtschaftswachstum verzeichneten, zählen die Armut und die hohe Anfälligkeit vieler Haushalte und ganzer Gesellschaften für wirtschaftliche Schocks und Naturkatastrophen immer noch zu den größten strukturellen Herausforderungen. Die Bemühungen zur Beseitigung der Armut und die Einrichtung von Mechanismen zur Abfederung von Schocks müssen Bestandteil der nationalen Entwicklungsstrategien und Gegenstand des Dialogs und der Zusammenarbeit mit den ausländischen Partnern werden. Deshalb kommt diese zweite Ausgabe des Europäischen Entwicklungsberichts, die unter Leitung des Europäischen Hochschulinstituts im Zuge der Initiative „Mobilisierung der Europäischen Forschung für die Entwicklungspolitik“ (Mobilising European Research for Development Policies) erarbeitet wurde, genau zur richtigen Zeit. Durch empirischen Nachweis, verstärkte Kooperation zwischen Forschern und politischen Entscheidungsträgern sowie durch innovative Denkansätze werden überzeugende Argumente für die Rolle geliefert, die soziale Sicherung bei der Bekämpfung der Armut, der Verringerung der Auswirkungen von Schocks und bei der Förderung von nachhaltigem Wachstum und inklusiver Entwicklung langfristig spielen kann. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass soziale Sicherung in der Entwicklungspolitik einen gebührenden Stellenwert erhalten muss und ihre Bedeutung von den afrikanischen Ländern, den EU-Mitgliedstaaten, anderen Gebern und internationalen Organisationen stärker beachtet werden muss. Die afrikanischen Staats- und Regierungschefs haben jüngst ihr politisches Engagement für soziale Politik und soziale Sicherung durch die Annahme der Erklärung von Khartum über sozialpolitische Maßnahmen zur Förderung der sozialen Integration (November 2010) bekräftigt. Die soziale Sicherung rückt immer mehr in den Mittelpunkt der politischen Agenda der internationalen Gemeinschaft, wie sich auf den jüngsten Zusammenkünften der UNO und der G20 zeigte. Als Europäer sind wir uns des gewaltigen Potenzials der sozialen Sicherung bewusst sowie der innereuropäischen Solidarität bei der Abfederung und gegenseitiger Hilfe bei der Überwindung von Krisen. Vor dem Hintergrund der Vielfalt an Sozialmodellen und wertvollen Übergangserfahrungen in den neuen Mitgliedstaaten ist Europa bestens geeignet, um in Afrika selbst entwickelte soziale Sicherungsinitiativen zu unterstützen. In Europa nehmen wir soziale Sicherung heute fast als gegeben hin. Auch Afrika verdient die Chance, in den Genuss der damit verbundenen Vorteile zu gelangen. Fokion Fotiadis Josep Borrell Fontelles Generaldirektor der Europäischen Kommission für Entwicklung und Beziehungen zu den Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean Präsident des Europäischen Hochschulinstituts E U R O P Ä I S C H E R III ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Danksagungen DANKSAGUNGEN Dieser Bericht wurde von einem Team unter Leitung von Giorgia Giovannetti unter Mitarbeit von Charlotte Bué, Stefan Dercon, Arjan de Haan, Stephan Klasen, Leandro Prados de la Escosura, Rachel Sabates-Wheeler, Marco Sanfilippo, Thierry Verdier und Pascal Vennesson erarbeitet. Das Team arbeitete am Robert Schuman Centre for Advanced Studies des Europäischen Hochschulinstituts (EHI). Ingo Linsenmann war als Projektleiter und Claudio Mazzetti als Projektmanager tätig. Besonderer Dank des Teams geht an François Bourguignon für seine wissenschaftliche Beratung sowie an Mina Baliamoune-Lutz, Guido Boni, Paolo Brunori, Jacques Charmes, Stefan Devereux, Nicholas Freeland, Nicolas Gérard, Margaret Grosh, Stefania Innocenti, Amy Heyman, Göran Holmqvist, Feridoon Koohi-Kamali, Frances Lund, Ramon Marimon, Luca Mancini, Jan Orbie, Eva Rossi, Sándor Sipos für ihre umfassende Beratung und Unterstützung. Besonders wertvoll waren die Zuarbeiten zum Bericht von William A. Amponsah, Arup Banerji, Stefano Bartolini, Jonathan Beynon, Alok Bhargava, Christine Bockstal, Ollivier Bodin, Michael Cichon, Sarah Cook, Bob Deacon, Bina Desai, Bethan Emmett, Sanjev Gupta, Kennet Harttgen, Josep Jordán Galduf, Sven Kuehn Von Burgsdorff, Lynde Kuipers, Franklyn Lisk, Peter Little, Markus Loewe, George Mavrotas, Maxine Molyneux, Françoise Moreau, Hjordis Ogendo, Alexander Sarris, Stewart-Shaw Mills, Diery Seck, Marcela Villarreal und Timo Voipio. Francesco Barbieri, Fabrizio Bernardi, Piera Calcinaghi, Monique Cavallari, Mei Lan Goei, Laura Jurisevic, Francesca Luchetti, Elisabetta Spagnoli, Angelica Salvi und Margherita Velucchi wirkten in verschiedenen Phasen des Berichts mit. Bruce Ross-Larson leistete den Hauptteil der Redaktionsarbeit, Chris Engert übernahm die sprachliche Prüfung der Hintergrunddokumente. Ihnen allen gilt unser Dank. Wir sind folgenden Verfassern von Hintergrundpapieren und Anmerkungen zu Dank verpflichtet: Jimi Adesina, Luca Alinovi, Thankom Arun, Francesca Bastagli, Kwabena Gyimah-Brempong, Agar Brugiavini, Nauro Campos, Daniele Checchi, Deepta Chopra, Fabrizio Coricelli, Paul Collier, Lucia Corno, Luca De Benedictis, Marco D’Errico, Cheikh Faye, Olivier Louis dit Guerin, Samuel Hickey, Goran Holmqvist, David Hulme, Seth Kaplan, Pramila Krishnan, Alain Letourmy, Hervé Mamboueni, Erdgin Mane, Jesse McConnell, Anna McCord, Mark McGillivray, Allister McGregor, Maria Pia Mendola, Victor Murinde, Yaw Nyarko, Mary O’Reilly, Abena Oduro, Marius Olivier, Noemi Pace, Donato Romano und Wouter Van Ginneken. Ganz besonders danken möchten wir folgenden Mitwirkenden der Initiative New Faces for African Development (Neue Gesichter für die Entwicklung Afrikas), die mit Enthusiasmus und neuen Erkenntnissen an dem Bericht mitwirkten, ihre Arbeit auf Konferenzen vorstellten und zahlreiche Hintergrunddokumente verfassten: Laura Alfers, Aua Balda, Henning de Klerk, Gaoussou Diarra, Ignatius Gutsa, Aderiran D. Ikumola, Joy M. Kiiru, Gloria Momoh, Patrick M. Nga Ndjobo, Kolawole E. Omomowo, Chrystelle T. Temah, Ousmane Traore, Eric H. Yeboah und Urbain T. Yogo. Gleichzeitig möchten wir den vielen afrikanischen Akteuren und Mitarbeitern der EU danken, die sich die Zeit nahmen, an unserer Umfrage teilzunehmen. Mit ihren Informationen und Anregungen leisteten sie einen unschätzbaren Beitrag. Unser Dank gilt weiterhin den vielen Beamten der Mitgliedstaaten, die uns umfassend über ihre Tätigkeiten informierten. Es ist nicht möglich, den zahlreichen Teilnehmern der Vorbereitungsveranstaltungen für diesen Bericht, die in Florenz (5. Februar), Brüssel (12. März), Florenz (6. - 7. Mai), Paris (17. - 18. Juni), Dakar (28. - 30. Juni), Florenz (17. September) und Brüssel (4. November) stattfanden, namentlich zu danken. Die vollständige Liste der Teilnehmer dieser Veranstaltung ist auf unserer Website einzusehen. Wir möchten hiermit allen Mitwirkenden für ihre Beiträge zum Konsultationsprozess und an den aktiven Diskussionen recht herzlich danken. Unser Dank gilt ebenfalls den Einrichtungen, die ERD-Veranstaltungen ausrichteten, insbesondere dem französischen Ministerium für Auswärtige und Europäische Angelegenheiten und der Paris School of Economics in Paris sowie dem UNDP Dakar und Crepol (Forschungszentrum für politische Ökonomie) in Dakar. Dieser Bericht wurde von der Europäischen Kommission und den folgenden Mitgliedstaaten finanziert, die im ERD-Lenkungsausschuss vertreten sind: - Finnland - Frankreich - Deutschland - Luxemburg - Spanien - Schweden IV - Vereinigtes Königreich Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Inhalt INHALT ÜBERBLICK 1 KAPITEL 1 DER IMPULS FÜR SOZIALE SICHERUNG IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA 1.1 Das subsaharische Afrika ist längst nicht mehr der „verlorene Subkontinent“ 1.1.1 Spürbare Fortschritte in der Regierungsführung 1.1.2 Verbesserungen des makroökonomischen Umfelds 1.2 Anhaltende Strukturprobleme 1.2.1 Makroökonomische Instabilität mit kaum veränderten Lebensgrundlagen 1.2.2 Konflikte und Länder in Situationen der Fragilität 1.2.3 Armut und niedriger Stand der menschlichen Entwicklung 1.2.4 Prekäre Lebensbedingungen 1.2.5 Fest verwurzelte Ungleichheit 1.3 Drei Krisen in drei Jahren: Tatsachen und Auswirkungen 1.3.1 Widerstandsfähigkeit gegenüber der globalen Finanzkrise 1.3.2 Die sozialen Folgen der Krisen 1.3.3 Politische Reaktionen auf die Krisen im subsaharischen Afrika 1.4 Argumente für die soziale Sicherung im subsaharischen Afrika 1.5 Der Impuls für soziale Sicherung 1.5.1 Der Impuls in Afrika 1.5.1.1 Auf dem Weg zu einer gesamtafrikanischen sozialen Sicherungsagenda 1.5.1.2 Verankerung der sozialen Sicherung auf subregionaler Ebene 1.5.1.3 Die nationale Ebene: Praktische Umsetzung der sozialen Sicherung 1.5.2 Die Dynamik in der globalen Entwicklungsagenda 1.5.2.1 Initiativen zur Überwindung der Krisen 1.5.2.2 Auf dem Weg zu einem globalen Konsens für soziale Sicherung? 1.6 Die unterstützende Rolle der internationalen Entwicklungshilfe 1.6.1 Offizielle Entwicklungshilfe und darüber hinaus 1.6.2 Neue Akteure, neue Regeln 1.6.3 Förderung von sozialer Sicherung im subsaharischen Afrika: Welche Rolle kann und sollte die EU übernehmen? 1.7 Die zukünftigen Aussichten KAPITEL 2 SOZIALE SICHERUNG ZUR ÜBERWINDUNG ANHALTENDER ARMUT UND GEFÄHRDUNG 2.1 Anhaltende Armut und Gefährdung im subsaharischen Afrika 2.1.1 Anpassung an prekäre Lebensbedingungen: Transferleistungen von Netzwerken, Rücküberweisungen von Migranten und ihre Grenzen 2.1.2 Armutsfallen oder der Teufelskreis von Armut und Risiken 2.1.3 Die wirtschaftlichen Kosten fehlender sozialer Sicherung 2.2 Instrumente und Funktionen der sozialen Sicherung 2.2.1 Sozialversicherung 2.2.2 Soziale Grundsicherung 2.2.3 Verbesserung der Zugangsbedingungen 2.3 Die ergänzende Rolle der sozialen Sicherung in der Entwicklungsagenda 2.3.1 Soziale Sicherung und Wachstum 2.3.2 Sozialversicherung und Mikrofinanzierung 2.3.3 Soziale und politische Umgestaltung im Zusammenhang mit sozialer Sicherung 13 13 13 15 15 16 16 16 17 17 18 18 20 20 21 22 22 22 23 24 26 26 27 28 28 29 30 31 33 33 33 35 36 36 37 38 38 39 39 41 43 E U R O P Ä I S C H E R V ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Inhalt KAPITEL 3 GESTALTUNG, UMSETZUNG UND POLITIK DER SOZIALEN SICHERUNG 3.1 Gestaltung von Programmen der sozialen Sicherung 3.1.1 Konditionierte und nicht konditionierte Transferleistungen 3.1.2 Zielgerichtete und universelle Programme 3.1.3 Geld-, Sach- und kombinierte Leistungen 3.1.4 Technologie und Verwaltungsvereinbarungen 3.2 Die Umsetzung sozialer Sicherung 3.2.1 Verteilungskanäle 3.2.2 Umsetzungsschwierigkeiten in fragilen und konfliktbelasteten Staaten 3.2.3 Stärkung der Institutionen: Soziale Sicherung und der Aufbau staatlicher Strukturen 3.3 Der politische Raum für soziale Sicherung 3.3.1 Bezahlbarkeit 3.3.2 Finanzierung 3.3.3 Die Politik der sozialen Sicherung 3.4 Aufbau der Elemente eines Rahmens für soziale Sicherung 3.5 Sieben Kriterien erfolgreicher Maßnahmen der sozialen Sicherung 45 46 46 47 49 51 52 52 52 53 53 53 53 54 57 57 KAPITEL 4 DIE NEUE GENERATION VON SOZIALEN SICHERUNGSPROGRAMMEN: URSACHEN DES ERFOLGS UND LERNERFAHRUNGEN FÜR DIE ZUKUNFT 4.1 Innovative Instrumente der sozialen Sicherung 4.2 Voraussetzungen für erfolgreiche Programme 4.2.1 Budgetäre Kosten und Nachhaltigkeit 4.2.2 Institutionen für erfolgreiche Programme 4.2.3 Verbindungen und Synergien mit anderen öffentlichen Maßnahmen 4.2.4 Politisches Engagement 4.3 Maximierung der Vorteile, Minimierung von Negativanreizen 4.3.1 Zielorientierung und Universalismus 4.3.2 Inklusion/Exklusion 4.3.3 Bekämpfung von Armut, Ungleichheit und Gefährdungen 4.3.4 Negativanreize minimieren 4.4 Lernerfahrungen: was, wie, für wen? 59 60 62 62 63 64 65 68 68 69 71 72 73 KAPITEL 5 SOZIALE SICHERUNG IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA 5.1 Einige aktuelle Merkmale der sozialen Sicherung im subsaharischen Afrika 5.1.1 Geringe Formalisierung in sozialer Sicherungs- und Beschäftigungspolitik 5.1.2 Sicherheitsnetzprogramme spielen weiterhin eine wichtige Rolle bei der Gefahrenabwehr 5.1.3 Durch Pilotprojekte zu gezielten Sozialhilfeprogrammen 5.1.4 Stoßrichtung universelle Unterstützung 5.2 Ausbau des Sozialversicherungssystems im Rahmen existierender Programme im formellen Sektor oder durch Mikroversicherungen 5.2.1 Aufbau auf sozialen Sicherungssystemen des formellen Sektors 5.2.2 Ausbau von marktorientierten und gemeindebasierten Sozialversicherungen 5.3 Auf dem Weg zur sozialen Sicherung von afrikanischen Beispielen lernen 5.3.1 Beitragsgestützte soziale Sicherung für einen verbesserten Gesundheitsschutz in Ghana 5.3.2 Allgemeine Unterstützungsleistungen für gefährdete Personengruppen: Sozialrenten in Lesotho 5.3.3 Entwicklung von sozialen Sicherungssystemen in Ruanda 5.3.4 Gezielte und großflächige Unterstützung im ländlichen Raum: Das Produktive Sicherheitsnetzprogramm (Productive Safety Net Programme) in Äthiopien 5.3.5 Besonders schutzbedürftige Kinder erreichen: Schulspeisungen in Kenia 5.4 Lernerfahrungen aus den Fallstudien VI 77 77 78 79 80 80 81 81 83 85 86 87 88 90 92 93 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Inhalt KAPITEL 6 FÖRDERUNG VON SOZIALER SICHERUNG IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA: VON DER GEBERSCHAFT ZUR PARTNERSCHAFT 6.1 Die Rolle der Geber: internationale Partnerschaften für soziale Sicherung 6.1.1 Die unterstützende Funktion der Entwicklungszusammenarbeit 6.1.1.1 Zwischen Solidarität und Eigennutz: Gründe für ein Engagement der Geber 6.1.1.2 Plädoyer für die internationale Förderung von sozialer Sicherung im subsaharischen Afrika 6.1.2 Die politischen Bedingungen internationaler Unterstützung für soziale Sicherung 6.1.2.1 Pilotprojekte für Sozialtransfers 6.1.2.2 Budgethilfe 6.1.2.3 Kapazitätsaufbau, technische Unterstützung und Dialog 6.1.2.4 Innovative Bedingungen für Unterstützung als Perspektive 6.2 Lernerfahrungen bei der Umsetzung 6.2.1 Verfehltes Geberengagement und Unstimmigkeiten 6.2.2 Pilotprojekte, Ausweitung und Nachhaltigkeit 6.2.3 Konsensbildung zwischen Gebern und Regierung 6.2.4 Unterstützung der Systeme der sozialen Sicherung 6.3 Herausforderungen für die Gebergemeinschaft 6.3.1 Unterstützung ohne Druck: Eigenverantwortlichkeit und Nachhaltigkeit 6.3.1.1 Die unscharfen Grenzen zwischen Geberunterstützung, Einflussnahme und Einmischung 6.3.1.2 Einfluss der Geber und Eigenverantwortlichkeit 6.3.1.3 Schädliche Auswirkungen auf Nachhaltigkeit und Kohärenz 6.3.2 Harmonisierung ohne Beeinträchtigung der Eigenverantwortlichkeit 6.3.2.1 Die Belastung der Geberfragmentierung 6.3.2.2 Harmonisierung der Geberpraktiken auf dem Gebiet der sozialen Sicherung 6.3.2.3 Harmonisierung und Eigenverantwortlichkeit: ein notwendiges Gleichgewicht 6.3.3 Unterstützung von Ländern in Situationen der Fragilität 6.3.3.1 Fragiles Engagement der Geber 6.3.3.2 Der Geltungsbereich der Unterstützung von sozialer Sicherung in Ländern in Situationen der Fragilität 6.3.3.3 Die Umsetzung sozialer Sicherung in Ländern in Situationen der Fragilität 6.4 Fazit 99 99 99 99 100 101 101 102 103 104 106 106 106 107 108 108 108 108 109 110 110 110 110 111 111 111 112 113 114 KAPITEL 7 SOZIALE SICHERUNG FÜR INKLUSIVE ENTWICKLUNG UND DIE ROLLE DER EUENGAGEMENT, HERAUSFORDERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN 7.1 Von der Theorie zur Praxis: Soziale Sicherung in der EU-Entwicklungspolitik 7.1.1 Der Stand der Dinge: das junge und vielfältige Engagement der EU 7.1.1.1 Die Europäische Kommission 7.1.1.2 Die Mitgliedstaaten 7.1.2 Aufbau von Partnerschaften für soziale Sicherung: Der Weg der EU 7.1.2.1 Engagement in der Zivilgesellschaft 7.1.2.2 Zusammenarbeit mit der Internationalen Arbeitsorganisation 7.1.2.3 Förderung regionaler Konzepte 7.1.2.4 Förderung der Süd-Süd-Kooperation für soziale Sicherung 7.2 Herausforderungen bei der Ausweitung und Verbesserung der EU-Unterstützung für soziale Sicherung 7.2.1 Die Bedeutung(slosigkeit) der EU 7.2.1.1 Nachfrageorientierung als Konzept: Perspektiven des EU-Engagements im subsaharischen Afrika 7.2.1.2 Engagement durch politischen Dialog 7.2.2 Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung 7.2.2.1 Soziale Sicherung im umfassenden Kohärenzrahmen 7.2.2.2 Antwort und Verantwortung der EU 7.2.3 Arbeitsteilung und Wirksamkeit in der Entwicklungszusammenarbeit 7.2.3.1 EU-Engagement für eine Politik der Wirksamkeit und der Arbeitsteilung in der Entwicklungszusammenarbeit 7.2.3.2 Soziale Sicherung im Rahmen inländischer Arbeitsteilung 117 117 117 118 119 120 120 121 121 122 122 122 122 123 124 124 125 125 125 126 E U R O P Ä I S C H E R VII ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Inhalt 7.2.3.3 Förderung von sozialer Sicherung und länderübergreifender Arbeitsteilung 7.3 Politische Empfehlungen: Auf dem Weg zu einem europäischen Konzept für soziale Sicherung im Interesse einer inklusiven Entwicklung 127 LITERATURVERZEICHNIS ZU KAPITEL 1 132 LITERATURVERZEICHNIS ZU KAPITEL 2 134 LITERATURVERZEICHNIS ZU KAPITEL 3 136 LITERATURVERZEICHNIS ZU KAPITEL 4 138 LITERATURVERZEICHNIS ZU KAPITEL 5 140 LITERATURVERZEICHNIS ZU KAPITEL 6 142 LITERATURVERZEICHNIS ZU KAPITEL 7 144 ANHANG 145 VIII 126 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Tabellen TABELLEN Tabelle 1: Soziale Sicherung in Entwicklungsländern Tabelle 1.1: Langfristige Trends des BIP-Wachstums und der Bevölkerungsentwicklung Tabelle 1.2: Anteil der Haushalte, die über ein besonderes Ereignis oder einen Schock berichteten, der ihren Wohlstand oder Lebensstandard in den letzten vier Jahren erheblich beeinträchtigte, Äthiopien 2006 Tabelle 2.1: Transfer- und Rücküberweisungen in der Einkommensstruktur in Afrika Tabelle 3.1: Geld oder Nahrungsmittel: Vor- und Nachteile Tabelle 4.1: Erfolgreiche Soziale Sicherungsprogramme der jüngsten Vergangenheit Tabelle 4.2: Auswirkungen der Programme Tabelle 5.1: Informelle Beschäftigung in Stellung im Beruf, Ländern und Regionen. 1990er- und 2000er Jahre Tabelle 5.2: Lernerfahrungen aus ausgewählten sozialen Sicherungsprogramme im subsaharischen Afrika Tabelle 5.3: IAO - grundlegende soziale Sicherung und fiskalische Gegebenheiten in subsaharischen Ländern Afrikas Tabelle 7.1: Soziale Sicherung in den entwicklungspolitischen Aktivitäten der EU-Mitgliedstaaten 3 15 17 34 51 60 68 79 84 96 119 E U R O P Ä I S C H E R IX ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kasten KASTEN Kasten 1: Definition der sozialen Sicherung im Europäischen Entwicklungsbericht 1 Kasten 2: Fünf Erfolgsgeschichten 3 Kasten 1.1: Die Lebensmittel- und Ölkrise traf das subsaharische Afrika besonders hart 18 Kasten 1.2: Die Gründe für die relativ moderaten Auswirkungen der Finanzkrise im SSA 18 Kasten 1.3: Das Recht auf soziale Sicherung in den Verfassungen des subsaharischen Afrikas 24 Kasten 1.4: Jüngste Perspektiven zur sozialen Sicherung im subsaharischen Afrika 25 Kasten 1.5: Die gemeinsame UN-Initiative zur Förderung einer sozialen Mindestsicherung 26 Kasten 1.6: Der Impuls für soziale Sicherung in der Entwicklungspolitik der EU 30 Kasten 2.1: Beispiele von Instrumenten der sozialen Sicherung, unterteilt nach ihrer Funktion 37 Kasten 2.2: Migration und soziale Sicherung: Zugang zu ortsunabhängiger sozialer Sicherung 38 Kasten 2.3: Die Komplementarität politischer Initiativen: Landwirtschaft und soziale Sicherung 40 Kasten 3.1: Nachhaltige Existenzgrundlagen und wirtschaftlicher Aufstieg 45 Kasten 3.2: Methoden der Zielgruppenbestimmung 47 Kasten 3.3: Das Recht auf soziale Sicherung: Verpflichtungen und Durchsetzung 48 Kasten 3.4: Geldleistungen und hohe Lebensmittelpreise: Das Programm für ein produktives Sicherheitsnetz (Productive Safety Net Programme) in Äthiopien 50 Kasten 3.5: Der Sozialvertrag 55 Kasten 3.6: Das bzw. die Europäischen Sozialmodelle 56 Kasten 4.1: Soziale Sicherung in Südafrika 61 Kasten 4.2: Self Employed Women’s Association (Vereinigung selbstständig arbeitender Frauen) 62 Kasten 4.3: Politische Hintergründe bei der Ausgestaltung von sozialen Sicherungsmaßnahmen 65 Kasten 4.4: Lernerfahrungen aus den Erfahrungen der Europäischen Union 74 Kasten 5.1: Modelle der sozialen Sicherung im subsaharischen Afrika 78 Kasten 5.2: Ausweitung der sozialen Sicherung auf Arbeiter im informellen Sektor: Die internationale Suche nach einer Alternative 82 Kasten 5.3: Gemeindebasierte Gesundheitsversicherung (CBHI) in Afrika 84 Kasten 5.4: Geldleistungen für den Schulbesuch zur Bekämpfung von HIV 94 Kasten 5.5: Bezahlbarkeit der sozialen Sicherung im subsaharischen Afrika 95 Kasten 6.1: Verteilungsgerechtigkeit als Perspektive 99 Kasten 6.2: Wie könnte ein „Cash-on-Delivery”-Hilfe-Vertrag für Sozialtransfers aussehen? 103 Kasten 6.3: Randomisierte Kontrollversuche und Programme zur sozialen Sicherung 105 Kasten 6.4: Unterstützung von sozialer Sicherung in fragilen Situationen 113 Kasten 7.1: Der Ghana-Luxembourg Social Trust 121 X Europäischer Entwicklungsbericht 2010 LISTE DER ABKÜRZUNGEN ACF Action Contre la Faim (Aktion gegen den Hunger) ADI Ausländische Direktinvestitionen AECID Spanische Agentur für Internationale Entwicklungszusammenarbeit AFD Französische Agentur für Entwicklung AfDB Afrikanische Entwicklungsbank AKP Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean APRM Afrikanischer Peer-Review-Mechanismus APS Allgemeines Präferenzsystem ASEM Asien-Europa-Treffen AU Afrikanische Union AUSAID Australische Agentur für Internationale Entwicklung BIP Bruttoinlandsprodukt BMZ Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung BNE Bruttonationaleinkommen CBHI Gemeindebasierte Krankenversicherung CCT Conditional Cash Transfer (konditionierte Geldtransfers) CIDA Kanadische Internationale Entwicklungsagentur CNLS Nationales Komitee zur Bekämpfung von Aids COD Zahlung bei Lieferung DAC Ausschuss für Entwicklungshilfe der OECD DECT Dowa Sozialtransfer in Notfällen DED Deutscher Entwicklungsdienst DEVCO Generaldirektion für Entwicklung und Zusammenarbeit - EuropeAid DFID Department for International Development (Britisches Ministerium für Internationale Entwicklung) DRC Demokratische Republik Kongo ECDPM. Europäisches Zentrum für die Verwaltung der Entwicklungspolitik EDPRS Strategie zur wirtschaftlichen Entwicklung und Armutsbekämpfung EK Europäische Kommission EPRI European Parliaments Research Initiatives (Forschungsinitiativen des Europäischen Parlaments) ERD European Report on Development (Europäischer Entwicklungsbericht) ESM Europäisches Gesellschaftsmodell EU Europäische Union EZA Österreichische Entwicklungszusammenarbeit FACT Nahrungsmittel- und Geldtransfer FAO Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen FOSIS Fonds für Solidarität und soziale Investitionen FSP Ernährungssicherungsprogramm FTI-DoL Fast-Track-Initiative zur Arbeitsteilung der Europäischen Kommission für Entwicklung und Beziehungen zu afrikanischen, GD Entwicklung Generaldirektion karibischen und pazifischen Staaten GIZ Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GLST Projekt „Ghana-Luxembourg Social Trust“ GST Global Social Trust (Globaler Sozialfonds) GTZ Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit E U R O P Ä I S C H E R XI ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Liste der Abkürzungen HGSF Home-Grown School Feeding (Schulspeisungsprogramm mit einheimischen Nahrungsmitteln) HSGIC Implementierungskomitee der Staats- und Regierungschefs IAO Internationale Arbeitsorganisation IBSA Indien-Brasilien-Südafrika IDS Institut für Entwicklungsstudien IFPRI Internationales Forschungsinstitut für Agrar- und Ernährungspolitik IKT Informations- und Kommunikationstechnologien IPC-IG Policy Centre for Inclusive Growth (Internationales Politikzentrum für inklusives Wachstum) IPU Interparlamentarische Union IVSS Internationale Vereinigung für Soziale Sicherheit IWF Internationaler Währungsfonds KfW Kreditanstalt für Wiederaufbau LEAP Sozialhilfeprogramm „Livelihood Empowerment Against Poverty“ MDGs Millennium-Entwicklungsziele MINALOC Ministerium für lokale Verwaltung, gute Regierungsführung, Gemeindeentwicklung und Sozialwesen Minbuza Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten (Niederlande) MMAS Ministerium für Frauen und Soziale Belange MOFNP Ministerium für Finanzen und Nationale Planung NaCSA Nationale Kommission für Soziale Belange NCMS Neues chinesisches kooperatives Gesundheitsprogramm NEPAD Neue Partnerschaft für Afrikas Entwicklung NHIS Nationales Krankenversicherungssystem NREGA Nationales Gesetz für ländliche Beschäftigungsgarantie NRO Nichtregierungsorganisation OAG Ostafrikanische Gemeinschaft OAP Altersrenten ODA Official Development Assistance (Öffentliche Entwicklungshilfe) für Entwicklungshilfe der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und OECD-DAC Ausschuss Entwicklung OHCHR Büro des Hohen Kommissars für Menschenrechte OVC Orphans and Vulnerable Children (Waisen und (aids)gefährdete Kinder) „Providing for health“ zur Entwicklung nachhaltiger und fairer P4H Initiative Gesundheitsfinanzierungssysteme PCD Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung intégré de développement économique et social (Integriertes Programm für PIDES Programme wirtschaftliche und soziale Entwicklung) POVNET Netzwerk Armutsbekämpfung PPPs Öffentlich-private Partnerschaften PRAF Programa de Asignación Familiar (Familienförderungsprogramm in Honduras) Programme de Promotion du Dialogue social en Afrique (ILO-Programm zur Förderung des sozialen PRODIAF Dialogs auf regionaler Ebene in französischsprachigen afrikanischen Ländern) Programa Nacional de Educacion, Salud y Alimentacion (Internationales Bildungs-, Gesundheits- und PROGRESA Ernährungsprogramm) PRP Protracted Relief Programme (Langfristiges Hilfsprogramm) PRSP Strategiedokument zur Armutsbekämpfung PSA Programa Subsidio de Alimentos (Lebensmittelhilfsprogramm) Safety Net Programme („Produktives Sicherheitsnetz“ - Projekt zur Verbesserung der PSNP Productive Ernährungssicherheit) XII Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Liste der Abkürzungen R4D Research for Development (Entwicklungsforschung) RPS Red de Protección Social (Sozialschutznetzwerk) SADC Südafrikanische Entwicklungsgemeinschaft SBS Sektorspezifische Budgethilfe SCADD Stratégie de Croissance Accélérée et de Développement Durable (Strategie für beschleunigtes Wachstum und nachhaltige Entwicklung) SEC/SOC Ministerium für soziale Sicherheit SEWA Vereinigung selbstständig arbeitender Frauen SIDA Schwedische Zentralbehörde für Internationale Entwicklungszusammenarbeit SNNPR Region der südlichen Nationen, Nationalitäten und Völker SPF Sozialpolitischer Rahmen für Afrika SSA Subsaharisches Afrika STEP Strategien und Mittel gegen soziale Ausgrenzung und Armut TIM Vorläufiger Internationaler Mechanismus UCT Bedingungsfreie Geldtransfers UEMOA Westafrikanische Wirtschafts- und Währungsunion UNO Vereinte Nationen UNAIDS Gemeinsames Programm der Vereinten Nationen für HIV/AIDS UNCTAD Handels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen UNDESA Abteilung der Vereinten Nationen für wirtschaftliche und soziale Angelegenheiten UNDP Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen UNECA Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Afrika UNESCO Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur UNFPA Fonds der Vereinten Nationen für bevölkerungspolitische Tätigkeiten UN-HABITAT Programm der Vereinten Nationen für Wohn- und Siedlungswesen UNHCR Hoher Kommissar der Vereinten Nationen für Flüchtlinge UNICEF Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNODC Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung UNRISD Forschungsinstitut der Vereinten Nationen für soziale Entwicklung UNRWA Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten USAID US-Entwicklungsbehörde VUP Programm „Vision 2020 Umurenge“ WB Weltbank WEP Welternährungsprogramm WHO Weltgesundheitsorganisation WMO Weltorganisation für Meteorologie WPF Stiftung Weltbevölkerung WTO Welthandelsorganisation E U R O P Ä I S C H E R XIII ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Überblick ÜBERBLICK Der Europäische Entwicklungsbericht untersucht die Notwendigkeit und das Potenzial zum Ausbau von sozialer Sicherung im subsaharischen Afrika sowie deren Durchführbarkeit und voraussichtliche entwicklungspolitische Auswirkungen. Im Gegensatz zu der Ansicht, dass sich das subsaharische Afrika keine Systeme der sozialen Sicherung leisten könne, wurden in afrikanischen Ländern innovative Ansätze zum Aufbau breit angelegter Programme und Systeme der sozialen Sicherung gefördert und erfolgreich umgesetzt. Angesichts globaler Ungewissheiten infolge der Krisen sind Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung Afrikas vor Risiken und Schocks sowie zur Verringerung der Armut und zur Förderung der Humanentwicklung unverzichtbar. Das Interesse am Thema ‚soziale Sicherung für inklusive Entwicklung‘ ist sowohl im subsaharischen Afrika als auch in anderen Regionen beständig gestiegen. Im „Konsens von Seoul über die Entwicklungspolitik 2010“ der G20 wurde wirtschaftliches Wachstum als wesentliche Grundlage identifiziert, dessen Stabilität und Breitenwirksamkeit insbesondere durch soziale Sicherungsmechanismen realisiert wird. Es zeichnet sich ein immer breiterer Konsens ab, dass soziale Sicherung nicht nur ein Recht, sondern auch ein unerlässliches Instrument ist, um inklusives Wachstum und die Millenium-Entwicklungsziele (MDG) zu erreichen. Diese Dynamik beruht hauptsächlich auf der wachsenden Erkenntnis, dass die Sozialentwicklung eine eigenständige entwicklungspolitische Zieldimension ist, wie es auch im „Sozialpolitischen Rahmen für Afrika“ (2008) der Afrikanischen Union und in der „Erklärung von Khartoum über sozialpolitische Maßnahmen zur Förderung der sozialen Integration“ (2010) bekräftigt wurde. In diesem Kontext bietet der vorliegende Bericht die Möglichkeit, Bilanz zu ziehen, aus den Erfahrungen zu lernen und Prioritäten für die Europäische Union (EU) und ihre Mitgliedstaaten abzuleiten. Soziale Sicherung sollte als Grundpfeiler des europäischen Sozialmodells fester Bestandteil der Entwicklungspolitik der EU und ihres Engagements für die soziale Dimension der Globalisierung werden. Kasten 1: Definition der sozialen Sicherung im Europäischen Entwicklungsbericht In diesem Bericht wird soziale Sicherung wie folgt definiert: „Spezifische Aktionen, die darauf gerichtet sind, der Verwundbarkeit gegenüber Lebensrisiken entgegenzuwirken - durch Sozialversicherung, indem eine lebenslange Sicherung gegen Risiken und Notsituationen geboten wird, durch Grundsicherung, indem Arme durch Geldzahlungen und Sachleistungen unterstützt und gefördert werden, und durch Inklusionsstrategien, um den Zugang marginalisierter Gruppen zu Sozialversicherung und sozialer Hilfe zu erleichtern.” Diese Definition verweist auf folgende Hauptfunktionen: Angebot von Mechanismen, um extreme Notlagen für Arme und Nichtarme gleichermaßen angesichts ernster Risiken zu vermeiden, Bereitstellung von Mitteln zur Unterstützung der Armen in ihrem Bemühen, der Armut zu entrinnen und besserer Zugang zu diesen Maßnahmen für marginalisierte Gruppen. Soziale Sicherung umfasst mehr als reine „Sicherungssnetze“, mit denen die Auswirkungen schwerer Krisen abgefedert werden können. Sie ist Teil eines umfassenden Bemühens, die Menschen aus der Armut zu führen und ihnen zu ermöglichen, vom wirtschaftlichen Wachstum zu profitieren und daran aktiv teilzuhaben. ARGUMENTE FÜR SOZIALE SICHERUNG Das subsaharische Afrika ist eine äußerst vielfältige Region, die vor großen Herausforderungen steht. Sie verfügt über ein hohes wirtschaftliches und humanes Potenzial, und in vielen Ländern der Region hat sich die Situation im letzten Jahrzehnt deutlich verbessert. Die Regierungsführung und die makroökonomische Steuerung haben sich verbessert, Wachstum und ausländische Investitionen sind gestiegen. Auch die Armut beginnt sich zu verringern und es wurden erste Fortschritte bei den Millenium-Entwicklungszielen erreicht. Die makroökonomische Lage ist jedoch nach wie vor anfällig und die Region wird durch fragile Staaten belastet, in denen immer wieder Konflikte auftreten, starke Armut herrscht, eine hohe Gefährdung durch Klimawandel und Naturkatastrophen besteht und die Humanentwicklung sich insgesamt auf einem niedrigen Stand befindet. Hinzu kommt, dass die Fortschritte in den letzten beiden Jahren ernsthafte Rückschläge erlitten, was hauptsächlich eine Folge der Nahrungsmittelkrise war und durch die Brennstoff- und Finanzkrise weiter verschärft wurde. Steigende Lebensmittelpreise und sinkende Wachstumsraten (von ca. 5 % zwischen 2000-08 auf 2,5 % 2009) haben dazu beigetragen, dass sich das Tempo der Armutsverringerung in vielen afrikanischen Ländern verlangsamt hat. Auch wenn sich eine Rückkehr zu höheren Wachstumsraten nunmehr deutlich abzuzeichnen scheint, sind angesichts des Risikos weiterer Krisen und der anhaltenden Gefährdung der Lage vieler Haushalte aktive sozialpolitische Maßnahmen erforderlich, die mit Investitionen in soziale Sicherung beginnen müssen. In der Tat leben viele Afrikaner in einem risikobehafteten Umfeld, in dem ihr Lebensunterhalt ständig bedroht ist. Netzwerke zur gegenseitigen Unterstützung und Geldüberweisungen von emigrierten Familienmitgliedern sind zwar eine Hilfe, stellen aber oft keinen Schutz gegen Wirtschaftsschocks, gravierende gesundheitliche Probleme und den Klimawandel dar. Durch fehlende soziale Sicherung sind Familien gezwungen, ihre Vermögenswerte zu verkaufen, ihren Nahrungsmittelverzehr einzuschränken und die Kinder aus der Schule zu nehmen, wodurch sich deren Armut noch verschärft. Die Reduzierung dieser Risiken - und die Abfederung ihrer Auswirkungen - ist eine entscheidende Aufgabe der Entwicklungszusammenarbeit, nicht zuletzt, da der Klimawandel weitere Risiken und Unsicherheiten in der Zukunft mit sich E U R O P Ä I S C H E R 1 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Überblick bringen wird. Soziale Sicherung kann zudem einen Ausweg aus Armutsfallen bieten, die durch anhaltende Armut, begrenzte wirtschaftliche Chancen sowie schwache Gesundheits- und Bildungssysteme gekennzeichnet sind. Soziale Sicherung ist kein Ersatz für Wirtschaftswachstum oder übliche wachstumsorientierte Investitionen wie zum Beispiel Infrastrukturmaßnahmen, medizinische Versorgung oder Bildung. Sie kann jedoch das Wachstum durch den Schutz von Vermögenswerten und den Ansporn der Haushalte zu ertragreicheren, jedoch stärker risikobehafteten Investitionen fördern. Außerdem kann der Nutzen der Sozialausgaben erhöht werden, indem für arme Menschen die Mittel zur Nutzung der verfügbaren Dienste bereitgestellt werden. Die langfristigen Auswirkungen des Schutzes und der Förderung des Humankapitals können entscheidende Bedeutung haben. Kinder können vor Elend bewahrt werden, indem ihre Lebenschancen durch bessere Gesundheit, Ernährung und kognitive Entwicklung verbessert werden und dadurch Humankapital als Grundlage für zukünftiges Wachstum aufgebaut wird. Angepasste soziale Sicherungsmechanismen können marktorientierte Lösungen komplementieren, wie zum Beispiel Mikrofinanzierungsmodelle zur Kreditaufnahme oder für Versicherungen. Gleichzeitig können die Mittel genutzt werden, um die ärmsten Schichten zu erreichen bzw. Schutz zu bieten, wenn marktorientierte Lösungen nicht mehr greifen. Soziale Sicherung kann auch Teil der strategischen Bemühungen sein, besonders gefährdete Gruppen zu befähigen und Ungleichheiten durch stärker inklusiv ausgerichtetes Wachstum zu überwinden. Sie hat eine zentrale Rolle bei der Entwicklung eines stärkeren Zusammenhalts der Gesellschaft und der Verankerung des Sozialvertrags zwischen dem Staat und seinen Bürgern. Die Legitimität des Staates wird durch die Erfüllung seiner Aufgaben des Sozialvertrages erhöht. Auf diese Weise kann soziale Sicherung zur Nachhaltigkeit des Wachstums in Afrika durch Stärkung der gesellschaftlichen Stabilität und der politischen Verantwortung beitragen. Durch Bereitstellung direkter und indirekter Leistungen kann soziale Sicherung also zusammenfassend einen positiven Ausweg aus Notlagen bieten. Soziale Sicherung ist aber auch ein Menschenrecht, welches in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ verankert ist, jedoch allzu oft in der Entwicklungsagenda als Luxus der Länder mit mittlerem oder hohem Einkommensniveau betrachtet wird. Gut entwickelte und umgesetzte soziale Sicherungsprogramme können unter unterschiedlichen gesellschaftlichen, demographischen und wirtschaftlichen Bedingungen bezahlbar sein. Solche Programme waren bereits im subsaharischen Afrika erfolgreich, sei es in stabilen Ländern mit mittlerem Einkommensniveau wie Mauritius oder in instabilen, konfliktbelasteten Ländern mit niedrigem Einkommensniveau wie Ruanda. DER IMPULS FÜR SOZIALE SICHERUNG IN AFRIKA Nach der „Erklärung und dem Aktionsplan von Ouagadougou“ im Jahre 2004 und den „Aktionsaufrufen von Livingstone und Yaoundé“ 2006 sind der „Sozialpolitische Rahmen für Afrika der Afrikanischen Union“ von 2008 und die „Erklärung der Sozialminister in Khartum über sozialpolitische Maßnahmen zur Förderung der sozialen Integration“ von 2010 die wichtigsten Meilensteine auf dem Weg zu einem gesamtafrikanischen Konsens über die Notwendigkeit und den Umfang von sozialer Sicherung. Der Aufbau einer kontinentalen Agenda zur sozialen Sicherung läuft unvermindert fort und wird durch subregionale Initiativen und Verpflichtungen ergänzt. Auf nationaler Ebene haben viele subsaharische Länder bedeutende Schritte zur Institutionalisierung von sozialer Sicherung unternommen: Burkina Faso, Ghana, Kenia, Mosambik, Ruanda, Sierra Leone und Uganda gehören zu den Ländern, die Strategien der sozialen Sicherung als Schritt zur Schaffung eines umfassenden sozialen Sicherungssystems bereits angenommen haben oder dabei sind, solche zu beschließen. Botswana, Lesotho, Mauritius, Namibia, Südafrika und Swasiland haben bereits soziale Rentensysteme eingeführt. Länder wie Benin, Burkina Faso, Côte d’Ivoire, Gabun, Mali, Senegal und Tansania sind dabei, ihre sozialen Sicherungsmechanismen zu reformieren, um einen universellen Gesundheitsschutz einzuführen und damit dem erfolgreichen Beispiel von Ghana und Ruanda zu folgen. Vieles lässt sich noch verbessern, aber soziale Sicherung hat sich im subsaharischen Afrika in vielen Ländern bereits fest etabliert. LERNERFAHRUNGEN In diesem Bericht wird die neue Generation von sozialen Sicherungsprogrammen analysiert und insbesondere die Gründe für Erfolg und Misserfolg aufgezeigt. Wenn vor Ort bestimmte Voraussetzungen geschaffen wurden, ist soziale Sicherung auch in subsaharischen afrikanischen Ländern mit niedrigem Einkommensniveau möglich und realistisch. Beispiele aus dem Bericht zeigen, dass soziale Sicherungsprogramme Risiken abfedern und entscheidend zur Reduktion chronischer Armut und Gefährdung beitragen können, ohne dass dadurch ernsthafte Marktverzerrungen oder Fehlanreize entstehen. Wie aus der Tabelle 1 hervorgeht, sind viele der aufgelisteten Programme besonders zur Verringerung extremer Armut geeignet. Sie sind also besonders dazu geeignet, die ärmsten Schichten der Bevölkerung zu erreichen. 2 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Überblick Tabelle 1: Soziale Sicherung in Entwicklungsländern Programm Land Art Abdeckung ProgresaOportunidades Mexiko Konditionierte Geldleistungen 25 % der Bevölkerung Bolsa Familia Brasilien Konditionierte Geldleistungen 26 % der Bevölkerung Plan Jefes y Jefas Argentinien Konditionierte Geldleistungen (staatliche Beschäftigungsprogramme) Red de Protección Social Nicaragua Grundsicherung Altersrente Südafrika Soziale Rente Kindesunterhaltszahlungen Südafrika Soziale Subventionen Programm für ein produktives Sicherheitsnetz Nationale Gesundheitsversicherung UmurengeProgramm Vision 2020 Auswirkungen Reduzierung des Armutsgefälles in ländlichen Gegenden um 19 % und der Einkommensungleichheit um 18 % zwischen 1996 und 2006. Erhöhung der Bildungsabschlüsse der Zuschussempfänger um schätzungsweise 0,7 - 1,0 % pro Jahr. Reduzierung der Armutslücke um 12 % zwischen 2001 und 2005 und Beitrag von einem Drittel zur Verringerung der Einkommensungleichheit im letzten Jahrzehnt. Verringerung der Armut unter den Teilnehmern von 80 % auf 72 %; weitere 10 % der Teilnehmer wären ohne das Programm in extreme Armut geraten. 3 % der Bevölkerung 80 % der älteren Bevölkerung 70 % der Kinder Beitrag zur Reduzierung der Armutslücke unter den Zuschussempfängern um 18 %. Beide Programme zusammen haben die Armutsrate um 6 % reduziert und zudem die extreme Armut verringert. Äthiopien Grundsicherung 10 % der Bevölkerung Erhöhung der Ernährungssicherheit (um 11 %), Erhöhung des Viehbestands (um ca. 7 %) und höhere Kapazitäten der Haushalte zur Bewältigung von Notsituationen. Stärkere Auswirkungen auf die Vermögensbildung der Empfänger von umfangreichen und ergänzenden Hilfeleistungen. Ghana Sozialversicherung 67 % der Bevölkerung Verringerung der Barauslagen für Gesundheitsfürsorge bis auf 50 %. Ruanda Staatliche Beschäftigungsprogramme und Geldleistungen Ca. 36 000 Haushalte Fortlaufende Evaluierungen. Beitrag des Programms zur Senkung der extremen Armut unter den Begünstigten von 40,6 % auf 9 %. Natürlich erfordert die Umsetzung finanzpolitischen Spielraum und die Programme müssen mittels klarer und durchsetzbarer Kriterien nachhaltig gestaltet werden. Die institutionellen und administrativen Kapazitäten müssen zudem auf die Art der Programme abgestimmt sein. Zu diesem Zweck sollte auf Pilotprojekte und Netzwerke auf Ebene der Gemeinden und Familien aufgebaut werden. Soziale Sicherungsprogramme erfordern eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Ministerien und Sektoren, da sie in der Regel erfolgreicher sind, wenn Synergien zu anderen sozial- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen hergestellt werden. Weiterhin waren politisches Engagement und Regierungsverantwortung bei fast allen erfolgreichen Programmen ein entscheidendes Element. Die in diesem Bericht analysierten Beispiele zeigen, was beim Aufbau umfassender sozialer Sicherungssysteme in Afrika erreichbar ist. Kasten 2 fasst fünf wichtige Lernerfahrungen zusammen. Kasten 2: Fünf Erfolgsgeschichten Das Nationale Krankenversicherungssystem in Ghana wird aus Beiträgen von Beschäftigten des formellen - und zu einem geringeren Anteil des informellen - Sektors finanziert und bezieht bewährte Elemente gemeindebasierter Gesundheitsversicherungen mit ein. Im Nationalen Krankenversicherungssystem sind dank starken Engagements der Regierung für den Gesundheitssektor derzeit ca. 67 Prozent der Bevölkerung versichert. Die Altersrente in Lesotho ist ein universelles beitragsfreies System, das sich auf alle gemeldeten Bürger von über 70 Jahren erstreckt, die keine andere Form von Rentenzahlungen beziehen. Das Programm zeigt, dass bei starkem politischem Engagement der Aufbau einer universellen Rente zur Reduzierung der Gefährdung der Haushalte und zur Verbesserung der Gesundheit und des Humankapitals selbst in Ländern mit niedrigen Einkommen durchführbar und bezahlbar ist. Das Umurenge-Programm Vision 2020 in Ruanda besteht aus drei Hauptinitiativen, mit denen soziale Sicherungsprogramme für gefährdete Bevölkerungsschichten bereitgestellt werden: (1) staatliche Beschäftigungsprogramme, (2) das Kreditsystem Ubudehe und (3) direkte Unterstützung durch bedingungsfreie Geldzahlungen. Das Programm unterstreicht die Bedeutung des Aufbaus von sozialer Sicherung als Teil der nationalen Entwicklungsstrategien und zeigt, dass E U R O P Ä I S C H E R 3 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Überblick mit dezentralisierten Verwaltungsstrukturen die Zielgerichtetheit der Mittel verbessert, Missmanagement der Ressourcen vermieden und die lokale Eigenverantwortung und Rechenschaftspflicht bei den Projekten erhöht werden kann. Das Programm für produktive Sicherheitsnetze in Äthiopien besteht aus konditionierten Geld- bzw. Sachleistungen auf der Grundlage staatlicher Beschäftigungsprogramme. Dazu gehört auch eine kleine Komponente bedingungsfreier direkter Transferleistungen für Arbeitsunfähige. Es handelt sich dabei um Afrikas größtes staatliches Beschäftigungsprogramm und eines der wirksamsten sozialen Sicherungsprogramme im subsaharischen Afrika, mit dem kurzfristig Armut verringert und die Ernährungssicherheit erhöht sowie langfristig der Aufbau von Vermögenswerten ermöglicht wird. Das Programm zur Schulspeisung mit einheimischen Nahrungsmitteln in Kenia besteht aus konditionierten Geldleistungen für Schulen zum Einkauf von Lebensmitteln, das einer halben Million Kindern im Grundschulalter zugutekommt. Das Programm zeigt, dass durch Schulspeisung mit einheimischen Nahrungsmitteln die Vorteile der sozialen Sicherung auf Kinder ausgedehnt und gleichzeitig die Produktivität der lokalen Landwirtschaft erhöht werden kann. Wir haben die Hauptlehren unter acht Überschriften zusammengefasst, die alle eng miteinander verbunden sind. Jede davon kann uns einer stärker inklusiv ausgerichteten Agenda zur sozialen Sicherung für das subsaharische Afrika einen Schritt näher bringen. Die Lernerfahrungen ermöglichen eine Einschätzung, ob und inwieweit sich solche Programme in unterschiedlichen Kontexten wiederholen bzw. bestehende Programme erweitern lassen. Lernerfahrung 1: Soziale Sicherungsprogramme können Risiken abschwächen, Armut und Ungleichheit verringern und die Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele beschleunigen Ein adäquat entworfenes und implementiertes soziales Sicherungssystem kann einen bedeutenden Beitrag zur Verringerung der Risiken und der Bedürftigkeit afrikanischer Haushalte leisten. Mit sozialer Sicherung lassen sich Ausgaben für Gesundheitsfürsorge und Bildung ergänzen und Investitionen zur Ankurbelung von Wachstum, zur Verringerung der Armut und zur Beschleunigung von Fortschritten bei den Milleniumszielen verstärken. Die im Bericht analysierten Beispiele zeigen den bedeutenden Einfluss von sozialer Sicherung bei der Abschwächung von Risiken und der Überwindung von Armutsfallen. Während die traditionelle Sozialversicherung hauptsächlich Arbeitnehmer des formellen Sektors erreicht und in der Regel mit hohen Kosten und schwachen Auswirkungen auf die Armutsbekämpfung verbunden ist, zeigen die Beispiele, dass sorgfältig zielgerichtete Grundsicherungsprogramme wie Geldleistungen (besonders wenn sie an Ältere oder Kinder gerichtet sind) und öffentliche Beschäftigungsprogramme besonders erfolgreich sind. Mit Geldleistungen können breite Bevölkerungsschichten erreicht werden und durch Beschäftigungsprogramme lassen sich spezifische Gefährdungen beseitigen. Je nach Umfang und Zielstellung können diese Programme auch zum Abbau von Ungleichheiten, zur Reduzierung von Risiken und Ungewissheiten in armen Haushalten und zur Förderung von Wachstum beitragen. Lernerfahrung 2: Politischer Wille und Eigenverantwortlichkeit sind für den Erfolg entscheidend Der Entwurf und die Umsetzung erfolgreicher Programme erfordert politischen Willen, nationale Eigenverantwortlichkeit und einen breiten gesellschaftlichen Konsens. Die Bezahlbarkeit ist eng an den Willen der Gesellschaft gebunden, sozialpolitische Maßnahmen über Steuern und Beiträge zu finanzieren und dadurch die Abhängigkeit von oft ungewissen und instabilen Kapitalflüssen von außen zu verringern. Erfolgreiche, unter Regie des eigenen Landes entworfene Programme in Brasilien, China, Ghana, Indien, Ruanda und Südafrika gingen alle von einem starken politischen Engagement aus, das mitunter auf der Einforderung von Rechten beruhte. Die Übertragung dieser Lehren setzt deshalb einen gesellschaftlichen und politischen Konsens zur Unterstützung solcher Programme voraus, dessen Aufbau Zeit in Anspruch nimmt und kontextspezifisch ist. Lernerfahrung 3: Finanzielle Nachhaltigkeit muss gewährleistet sein Bei allen erfolgreichen Programmen wurden die erforderlichen fiskalischen Kosten zu einem frühen Zeitpunkt geklärt. Die Ergebnisse bestätigen die Auffassung, dass die Kosten nicht übermäßig hoch sein müssen. Bolsa Familia in Brasilien kostet ca. 0,4 % des BIP und erreicht 26 % der Bevölkerung. Progresa-Oportunidades in Mexiko kostet 0,4 % des BIP und erreicht 5 Millionen Haushalte, (25 % der Bevölkerung). Fiskalische und administrative Kapazitäten zum Ausbau sozialer Sicherung sind selbst in subsaharischen Ländern mit niedrigem Einkommensniveau vorhanden, in denen die finanziellen Einschränkungen besonders gravierend sind, bzw. können dort allmählich aufgebaut werden. Während ein gänzlich umfassendes soziales Sicherungssystem die Möglichkeiten vieler armer afrikanischer Länder gegenwärtig eventuell noch übersteigt, sind einzelne Programme und Projekte in den meisten Ländern jedoch durchführbar und können den Grundstein für ein umfassenderes System auf längere Sicht legen. Programme zur Beschäftigung auf dem Land und öffentliche Beschäftigungsprogramme sowie Programme zur Schul- und Kinderspeisung bieten unter verschiedenen Gegebenheiten bedeutende Vorteile und ein hohes Potenzial. Beitragsfreie soziale Rentensysteme, die universell oder höchstens leicht zielgerichtet sind, sind für viele afrikanische Länder möglich. Solche Programme sollten als prioritäre Maßnahmen eingesetzt werden, um eine Plattform für umfassendere Systeme zu schaffen. 4 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Überblick Jedoch sind Regierungen überall in der Welt besorgt über die fiskalischen Folgen und die Bezahlbarkeit von sozialer Sicherung. Die meisten Länder haben zwar finanziellen Spielraum, um prioritäre Maßnahmen einzuleiten, bei der Entwicklung der Programme müssen jedoch der Umfang und die Reichweite sorgfältig auf langfristige Nachhaltigkeit geprüft werden. Oft ist der Aufbau und die Erweiterung von Systemen der sozialen Sicherung entweder mit einem erhöhten Aufkommen einheimischer Ressourcen (grundsätzlich ein wertvolles Ziel) oder mit einer Umverteilung innerhalb der öffentlichen Haushalte verbunden. Eine realistische Strategie unter Berücksichtigung dieser beiden Elemente muss der Ausgangspunkt eines jeglichen ernsthaften Plans zur Einführung neuer Programme sein. Die Geber können hierbei Unterstützung bieten. Lernerfahrung 4: Der Erfolg ist an institutionelle und administrative Kapazitäten gebunden Es müssen die institutionellen und administrativen Kapazitäten zur Umsetzung der Programme vorhanden sein oder im Zuge der Programmentwicklung aufgebaut und erweitert werden. Erfolgreiche Programme der sozialen Sicherung setzen klar definierte institutionelle Verantwortungsbereiche voraus und erfordern interministerielle Zusammenarbeit und Koordination sowie gut entwickelte Umsetzungsmechanismen, bei denen politische Verantwortung auf hoher Ebene mit stark dezentralisierten Durchführungsmechanismen kombiniert wird. Durch die Einbeziehung verschiedener Verwaltungsebenen können lokale Präferenzen und Kapazitäten bei der Programmumsetzung aufgezeigt werden: Die untersten Verwaltungsebenen sind oft am besten geeignet, um solche Präferenzen und Bedürfnisse zu erkennen und Fehler bei der Zielgruppenbestimmung zu vermeiden. Das subsaharische Afrika leidet mehr als andere Regionen unter fehlenden oder unzuverlässigen Registrierungssystemen, was eine Zielgruppenbestimmung insbesondere in den ländlichen Gegenden erschwert. Um den Zugang zu den Leistungen der sozialen Sicherung zu erleichtern, müssten die Personenstandsregister ausgebaut und die Rechtsansprüche und Eigentumsrechte von Frauen sowie die Erbrechte aller Kinder anerkannt werden. Der „Ubudehe“-Ansatz in Ruanda, bei dem die allgemeine Wirksamkeit der Maßnahmen durch Vermeidung von Überlappungen und optimalen Einsatz von Ressourcen gewährleistet wird, zeigt, dass sich dezentralisierte Systeme bei der Gestaltung erfolgreicher Programme als sehr nützlich erweisen können. Programme der sozialen Sicherung in subsaharischen Ländern mit niedrigem Einkommensniveau und begrenzten administrativen Kapazitäten sollten allzu komplizierte Verfahren, insbesondere bei der Zielgruppenbestimmung, vermeiden und auf einfache Umsetzbarkeit achten, um dadurch Inklusionsfehler und Missbrauch einzuschränken. Grundlegende Transparenz und Rechenschaftspflicht sollten auf allen Ebenen der Gesellschaft verstärkt und Korruption dadurch reduziert werden. Eine geeignete Informationspolitik kann dabei eine Schlüsselrolle spielen. Lernerfahrung 5: Politische Unterstützung und bessere Abstimmung kann durch Pilotprojekte, Überwachung und Evaluierung erreicht werden Aufgrund der unterschiedlichen landesspezifischen Bedingungen, Bedürfnisse und der Anforderung nachgewiesener Wirkungen zur Gewährleistung politischer Unterstützung, müssen die Programme transparent und unter sorgfältiger Überwachung aller Einzelaspekte umgesetzt werden. Durch Pilotprojekte und gestaffelte Umsetzung, die mit modernen Methoden evaluiert werden, ist es möglich, neue Erkenntnisse zu gewinnen, Feinabstimmungen vorzunehmen und die politische Unterstützung zu verstärken. Der Erfolg einiger Erfahrungen in Lateinamerika mit konditionierten Geldleistungen beruhte zum großen Teil auf umfassenden Evaluierungen und zuverlässigen Ergebnisanalysen. Zu den Auswirkungen vieler neuer subsaharischer Programme in Afrika gibt es zumeist weniger umfassende Daten. Solide Evaluierungen der Auswirkungen sowie eine sorgfältige Auswertung von Pilotprojekten sollten daher Priorität haben, da sie entscheidend sind, um die Stärken und Schwächen zu identifizieren und politische Unterstützung zu gewinnen. Die Geber könnten bei solchen Evaluierungen nützliche Unterstützung leisten. Lernerfahrung 6: Minimierung von Fehlanreizen, Nutzung bestehender informeller Systeme und die Ergänzung marktorientierter Mikrofinanzierungssysteme sind entscheidende Faktoren Soziale Sicherungssysteme können Fehlanreize entwickeln, wenn sie zum Beispiel der Arbeitsaufnahme entgegenwirken. Solche Erscheinungen haben sich jedoch in den meisten neu aufgelegten, innovativen Programmen der sozialen Sicherung als weniger schwerwiegend als zunächst angenommen herausgestellt. So treten bei den meisten beitragsfreien Altersrenten, einschließlich der südafrikanischen Rentensysteme oder der staatlichen Beschäftigungsprogramme in Äthiopien, nur wenige Fehlanreize auf. Durch soziale Sicherung können auch bestehende beitragspflichtige oder informelle Sozialschutzsysteme verdrängt werden. Ob sich neue und bestehende (informelle oder formelle) Programme gegenseitig verdrängen, muss daher fortlaufend überwacht werden. Im Bedarfsfall müssen dann Änderungen vorgenommen werden. Zwar ist der Aufbau auf bestehenden Programmen für Arbeitnehmer aus dem formellen Sektor nach derzeitiger Evidenzlage keine hinreichende Lösung, jedoch legen Erkenntnisse die Einsicht nahe, dass auf bestehenden informellen Systemen aufgebaut werden kann, wie es beispielsweise bei der Krankenversicherung in Ghana der Fall ist, um negativen Auswirkungen vorzubeugen. Mikrofinanzierungsinitiativen, insbesondere in Verbindung mit Mikroversicherungen, bieten ebenfalls ergänzende Leistungen der sozialen Sicherung und können als Plattformen für den Aufbau beitragspflichtiger sozialer Sicherungssysteme genutzt werden. Mikrofinanzierungen und andere marktorientierte Lösungen werden jedoch kaum die Ärmsten erreichen und sind für komplexe Risiken, die gut entwickelte soziale Sicherungsprogramme auf breiter Basis erfordern, unzureichend. E U R O P Ä I S C H E R 5 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Überblick Lernerfahrung 7: Synergieeffekte von sozialer Sicherung und anderen Investitionen müssen optimal genutzt werden Durch den Ausbau der sozialen Sicherung können Investitionen in Gesundheit, Bildung, Landwirtschaft und andere produktive Bereiche ergänzt werden. Dies ist eine schnelle und flexible Methode zur Armutsbekämpfung, insbesondere in Krisenzeiten oder wenn Reformen in anderen sozialen Bereichen nur langsam verwirklicht werden können. Somit können die finanziellen Mittel bereitgestellt werden, die zur Nutzung der Gesundheits- und Bildungsangebote bzw. zur Investition in die Landwirtschaft oder andere produktive Bereiche erforderlich sind. Weiterhin kann eine Grundsicherung geschaffen werden, sodass die Familien das Risiko neuer Aktivitäten wagen oder migrieren können, um wirtschaftliche Chancen zu ergreifen. Gleichzeitig können die Investitionen in Humankapital geschützt werden, indem die Ernährung und Bildungschancen der Kinder in Krisenzeiten sichergestellt wird. Soziale Sicherung ist ein direktes Mittel zur Einbeziehung armer und marginalisierter Gruppen in die Entwicklungsbemühungen, was den sozialen Zusammenhalt und das Vertrauen verstärkt. Insofern ist sie ein wichtiges Element der Entwicklungspolitik insgesamt, deren Synergiepotenziale genutzt werden können. Deshalb sollte soziale Sicherung nicht als eng gefasstes soziales Anliegen, sondern als Teil der gesamten Entwicklungsstrategie betrachtet werden, die gerade von diesen sich ergänzenden Faktoren profitiert. So unterstreicht das Programm Progresa-Oportunidades in Mexiko zum Beispiel die Bedeutung des Übergangs zu einem integrierten Ansatz, bei dem grundlegende Leistungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung und Ernährung gewährleistet und die sich gegenseitig ergänzenden Vorteile genutzt werden. Lernerfahrung 8: Soziale Sicherung fördert die Gleichstellung der Geschlechter, stärkt den Einfluss der Frauen und verringert die soziale Ausgrenzung Die verfügbare Evidenz belegt den Beitrag sozialer Sicherungssysteme zur Überwindung von Gleichstellungsdefiziten und sozialer Ausgrenzung, insbesondere zur Verringerung sozialer und ethnischer Ungleichgewichte und zur Berücksichtigung spezifischer Bedürfnisse von Frauen. Gendersensible Programme können positive Multiplikatoreffekte in den Bereichen Gesundheit, Ausbildung der Mädchen und Vorsorgeuntersuchungen schwangerer Frauen bewirken. Die Situation in den Familien kann durch Geldleistungen an Frauen verbessert werden, während gleichzeitig sichergestellt wird, dass sich die Belastungen der Frauen nicht erhöhen und Stereotype nicht verstärkt werden. VON LERNERFAHRUNGEN ZU PRIORITÄTEN Es handelt sich hierbei um allgemeine Lernerfahrungen, und im Bericht wird darauf hingewiesen, dass Afrika sehr heterogen ist und die einzelnen Länder maßgeschneiderte Ansätze erfordern. In fragilen Staaten sind Voraussetzungen für Erfolg mitunter nicht dauerhaft gegeben. Bei extrem schwachen Verwaltungskapazitäten oder schlechter Regierungsführung gestaltet sich die Entwicklung und Umsetzung erfolgreicher sozialer Sicherungssysteme weitaus schwieriger. Die Instrumente der sozialen Sicherung müssen auf die spezifischen Risiken und Bedürfnisse zugeschnitten werden, wie zum Beispiel die (Wieder-)Eingliederung von Jugendlichen und ehemaligen Kämpfern in die Gesellschaft. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es auch im Kontext sehr hoher Armut Möglichkeiten gibt, soziale Sicherung einzuführen. Die Art des Programms muss davon abhängen, inwieweit bestimmte Voraussetzungen gegeben sind, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich die nationale und internationale Dynamik weiterentwickelt und neue Spielräume entstehen können. Erfolgreiche Programme nutzen und fördern den Aufbau erforderlicher staatlicher Strukturen und Umsetzungskapazitäten. Die Lernerfahrungen zeigen, wie wichtig die Komplementarität und Koordination verschiedener Sektoren und Einrichtungen sowie die Überwachung und Evaluierung sind. Die Spezifika der Lernerfahrungen sind jedoch eingehend zu analysieren; Erfolgsfaktoren wie auch Wirkungsketten. Ob die Lehren aus Lateinamerika, Asien, Südafrika oder selbst Nachbarländern im subsaharischen Afrika übertragbar sind, hängt davon ab, inwieweit die Länder in der Lage sind, die Voraussetzungen für die Umsetzung der Programme zu schaffen. In diesem Bericht wird dokumentiert, dass auch in vielen subsaharischen Ländern mit niedrigem Einkommensniveau einfache Programme - wie beispielsweise beitragsfreie Sozialrenten oder Kindergeld - im Allgemeinen verwaltungstechnisch durchführbar sind, insbesondere, wenn dazu innovative technische Auszahlungssysteme eingesetzt werden, mit denen Fehler vermieden, Kosten gespart und der Auszahlungsprozess beschleunigt werden können. Solche Programme können haushaltspolitisch langfristig tragbar und ohne größere Fehlanreize gestaltet werden und breite politische Unterstützung gewinnen. Es kommt jedoch darauf an, dass ein Programm nach dem Start mögliche Veränderungen in der lokalen Regierung überstehen und auch bei einem Politikwechsel aufrechterhalten werden kann. Mit der Zeit können dann komplexere administrative Vereinbarungen getroffen werden, einschließlich koordinierter Gesamtpakete, wenn die Länder Erfahrungen gesammelt und einheimische Ressourcen mobilisiert haben. Längerfristig können die subsaharischen Länder Afrikas auf diesen Programmen aufbauen, um eine Plattform der sozialen Sicherung zu schaffen, die aus verschiedenen koordinierten Programmen besteht, die den spezifischen Erfordernissen, haushaltspolitischen Gegebenheiten und bislang erzielten Resultaten entsprechen. Eine solche Plattform auf Grundlage von Grundsicherungsprogrammen muss mit einer Strategie einhergehen, die darauf abzielt, das System letztendlich hauptsächlich aus eigenen Ressourcen zu finanzieren, entweder durch Steuern oder auch durch andere Formen beitragspflichtiger Sozialversicherungen oder einer Kombination aus 6 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Überblick beidem. Die Programme oder Systeme können jedenfalls nicht einfach von einem Land oder Kontinent zum anderen übertragen werden, sondern müssen den lokalen Bedingungen angepasst werden. DIE INTERNATIONALE UNTERSTÜTZUNG Angesichts der bevorstehenden Herausforderungen brauchen die afrikanischen Partner möglicherweise die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft in einer Übergangsphase. Der entstehende globale Konsens über soziale Sicherung in der Entwicklungspolitik, der insbesondere in der Initiative der Vereinten Nationen zur Einrichtung einer Plattform für soziale Sicherung (Social Protection Floor Initiative) zum Ausdruck kommt, unterstützt die afrikanische Dynamik in diesem Bereich. Nach den Krisen haben sich verschiedene (bilaterale, multilaterale, traditionelle und neu auftretende) Geber verpflichtet, die Entwicklungsländer bei der Errrichtung von Systemen der sozialen Sicherung zu unterstützen. Die internationalen Partner sollten jedoch nur eine unterstützende Rolle spielen, denn die Prinzipien der Eigenverantwortlichkeit, der Ausrichtung an Partnerstrukturen und der wechselseitigen Rechenschaftslegung, die in der „Pariser Erklärung zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit“ von 2005 und der „Accra Agenda for Action“ von 2008 verankert sind, sehen vor, dass den Entwicklungspartnern das Ruder übergeben wird. Unseren Erkenntnissen zufolge ist dies auch die einzige erfolgreiche Methode, um geeignete Programme auf den Weg zu bringen und langfristig fortzuführen. Da das Thema soziale Sicherung in der Entwicklungsagenda an Bedeutung gewinnt, sollten auch Lehren aus den bisherigen Gebererfahrungen gezogen werden. Das traditionelle Engagement der Geber, das oft schlecht koordiniert, vereinzelt, projektgebunden und mit ungewissen finanziellen Mitteln erfolgte, ist für die Förderung einer sozialen Sicherungsagenda nicht geeignet. So waren die von Gebern in Gang gebrachten Pilotprojekte sozialer Transferleistungen beispielsweise stark von externer Finanzierung abhängig und fanden nur selten unter Beteiligung der nationalen Regierungen statt, was die Eigenverantwortung und Nachhaltigkeit stark beeinträchtigt. Geber nutzen in Afrika immer mehr die Möglichkeit, den Ausbau von sozialen Sicherungssystemen als festen Bestandteil der allgemeinen nationalen Entwicklungsstrategie zu unterstützen und damit von der Geberschaft zur Partnerschaft überzugehen. Dieser neue Ansatz erfordert von den internationalen Partnern, dass sie sich koordiniert hinter die Bemühungen und Prioritäten des Partnerlandes stellen und voraussehbare Mittel bereitstellen, um Nachhaltigkeit zu gewährleisten und Investitionen für Kapazitätsaufbau und die Realisierung von Lernerfahrungen zu ermöglichen. In diesem neuen Umfeld kann die Süd-Süd-Kooperation eine immer stärkere Rolle in der Entwicklungspolitik übernehmen. Neu auftretende Geber, wie Brasilien, Chile, Indien und Mexiko, die selbst eigene Lösungen innovativer sozialer Sicherungssysteme entwickelt haben, sind zunehmend bereit, andere Entwicklungsländer in diesem Bereich zu unterstützen. Deren Ansätze, Modelle und Erfahrungen könnten insbesondere für die Länder des subsaharischen Afrikas relevant sein. Das Auftreten solcher neuen Akteure bringt Veränderungen mit sich, die eine Neubewertung der relativen Vorteile und Aufgaben der EU erfordern. DIE AUFGABEN DER EUROPÄISCHEN UNION: ENGAGEMENT, HERAUSFORDERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN FÜR DIE POLITIK Angesichts ihrer umfangreichen Erfahrungen und ihres Einsatzes für die Entwicklungspolitik, die soziale Dimension der Globalisierung und die Schaffung würdevoller Arbeitsplätze ist die EU (Kommission und Mitgliedstaaten) bestens geeignet, um soziale Sicherung in den Entwicklungsländern zu unterstützen. Das europäische Sozialmodell zeichnet sich durch einheitliche Grundwerte und ein Bekenntnis zu sozialer Sicherung aus, wobei es vielfältige nationale Erfahrungen in der Entwicklung, Funktionsweise und den Ansätzen zur sozialen Sicherung gibt. Die strategische Afrika-EU-Partnerschaft bietet eine Plattform, um diese und die eigenen Erfahrungen der Partnerländer aufzugreifen sowie eine Agenda der sozialen Sicherung durch politischen Dialog und gegenseitiges Lernen ohne eine eurozentrische Perspektive zu fördern. Verschiedene EU-Geber, darunter die Kommission, unterstützen bereits Länderinitiativen für soziale Sicherung. Die EU muss jedoch noch viel tun, um bestehende Herausforderungen zu bewältigen und ihre vergleichsweisen Vorteile und ihr gemeinsames Gewicht optimal zu nutzen. Dazu ist zunächst ein stärkeres Engagement erforderlich, das auf den Lernerfahrungen und Beispielen bewährter Praxis aufbaut. Der Europäische Entwicklungsbericht empfiehlt der EU deshalb die Erweiterung und Verbesserung ihrer Unterstützung für soziale Sicherung im subsaharischen Afrika und anderen Entwicklungsländern. Zu diesem Zweck werden sieben Prioritäten für die EU und ihre Mitgliedstaaten aufgezeigt: PRIORITÄT 1: SOZIALE SICHERUNG MUSS INTEGRALER BESTANDTEIL DER ENTWICKLUNGSPOLITIK DER EUROPÄISCHEN UNION WERDEN Die EU sollte einen umfassenden politischen Rahmen für soziale Sicherung einführen, der an konkrete, zeitgebundene Verpflichtungen und bereitzustellende Ressourcen geknüpft ist. Mit diesem notwendigen Schritt sollte der Stellenwert der sozialen Sicherung hervorgehoben und die Möglichkeit geboten werden, den Nutzen der gemeinsamen europäischen Anstrengungen zu E U R O P Ä I S C H E R 7 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Überblick diskutieren. Gleichzeitig könnten dadurch die dringend erforderlichen Ressourcen und die Unterstützung der EU (Kommission und Mitgliedstaaten) in Gang gesetzt werden. Zu diesem Zweck sollten bereits laufende Aktionen - wie beispielsweise die Grünbücher über die „EU-Entwicklungspolitik zur Unterstützung von inklusivem Wachstum und nachhaltiger Entwicklung - Verstärkung der Auswirkungen der EU-Entwicklungspolitik“ und über „Die Zukunft der EU-Budgethilfe“, die Umsetzung des Aktionsplans 2011-2013 der Gemeinsamen Afrika-EU-Strategie, die Einrichtung des Europäischen Auswärtigen Dienstes und der neuen, für die Entwicklungspolitik und deren Umsetzung zuständigen Generaldirektion der Kommission (DEVCO) sowie die Verhandlungen über die zukünftigen Finanzierungsinstrumente für die Außenbeziehungen - genutzt werden, um sicherzustellen, dass das breite Spektrum an Initiativen und Instrumenten der EU eingesetzt wird, um eine langfristige, vorhersehbare und geeignete Unterstützung der sozialen Sicherung voranzubringen. PRIORITÄT 2: FÖRDERUNG UND UNTERSTÜTZUNG NATIONALER PROZESSE Um Eigenverantwortlichkeit zu gewährleisten und die Grundlagen für langfristige Nachhaltigkeit zu legen, sollte die EU die Umsetzung einer von Afrika getragenen Agenda der sozialen Sicherung auf kontinentaler, subregionaler und nationaler Ebene fördern und dabei mit dem „Sozialpolitischen Rahmen“ der Afrikanischen Union (AU) beginnen. Wann und wo immer dies möglich ist, sollte die EU umfassende soziale Sicherungssysteme unterstützen, die in einen Rechtsrahmen eingebunden sind. Grundsätzlich sollten die EU-Partner sicherstellen, dass ihre Maßnahmen mit den einheimischen Prioritäten und Erfordernissen im Einklang stehen und dabei die Lenkung durch die Geber bzw. die externe Steuerung der lokalen Prozesse auf ein Minimum beschränkt bleibt. Geeignete Aufgaben der Geber wären die Bereitstellung technischer und finanzieller Mittel, um Kapazitäten auf allen Ebenen (nationaler, regionaler und lokaler; Regierungs- und Nichtregierungsebene) aufzubauen und bei den hohen Start- und Festkosten (wie z.B. der Einrichtung von Systemen zur Identifikation, Registrierung, Verteilung, Übergabe, Überwachung und Evaluierung) Unterstützung zu leisten. Die Stärkung dezentraler Strukturen ist ebenfalls ein wichtiger Faktor zur Förderung der Eigenverantwortlichkeit. Die EU sollte Mechanismen für die Beteiligung zahlreicher Akteure und lokaler Unterstützer der sozialen Sicherung (Regierungsbeamte, Parlamentarier, nicht staatliche Stellen) fördern. PRIORITÄT 3: FINANZIELLE TRAGFÄHIGKEIT HERSTELLEN Da die Mobilisierung einheimischer Ressourcen für die Nachhaltigkeit der sozialen Sicherungsprogramme entscheidend ist, sollte die EU ihre Partner im subsaharischen Afrika bei der Reformierung des Steuersystems unterstützen. Dabei kommt es darauf an, einen politischen Dialog über die finanziellen und fiskalischen Aspekte der sozialen Sicherung (Steuerreform, Haushaltsmittelzuweisungen, Exitstrategien der Geber) und allgemeine Themen der Verwaltung der öffentlichen Finanzen zu führen. Auch die Entwicklungszusammenarbeit kann als Katalysator für soziale Sicherung und inklusives Wachstum eingesetzt werden, indem die finanzielle Belastung in einer Übergangsphase erleichtert wird. In erster Linie kommt es darauf an, dass die EU-Geber ihre offiziellen Mittelzusagen (0,7 % des BNE ab 2015) trotz der globalen Finanzkrise und der dadurch hervorgerufenen Haushaltseinschränkungen einhalten. Sie sollten ebenfalls innovative Finanzierungsoptionen wie die Einrichtung eines sozialen Sicherungs-Fonds für Afrika prüfen. Die Geberverpflichtungen sollten glaubwürdig und ihre Finanzierung vorhersehbar und zuverlässig sein, vor allem dann, wenn Geber periodische Auszahlungen unterstützen wollen. Längerfristige Verpflichtungen wie die in Sambia sind in dieser Hinsicht positive Beispiele. Spezielles Augenmerk sollte der nationalen steuerpolitischen Nachhaltigkeit gewidmet werden. Eine Exitstrategie sollte von Beginn an entworfen und vereinbart werden, um zu vermeiden, dass bestimmte „Wohlstandsinseln“ fast ausschließlich auf Hilfe angewiesen sind und dadurch vom Wohlwollen und politischen Konditionalitäten der Geber abhängig sind. PRIORITÄT 4: MASSNAHMEN MÜSSEN AUF DEN SPEZIFISCHEN KONTEXT UND DIE BEDÜRFNISSE ZUGESCHNITTEN SEIN Es gibt keine „Einheitsrezepte“ für die Unterstützung der sozialen Sicherung im subsaharischen Afrika. Die Ansätze sollten auf der Grundlage einer umfassenden Analyse des jeweiligen lokalen und politischen Kontextes erfolgen, um den konkreten Bedarf und Möglichkeiten zu ermitteln. Dieser Bericht legt nahe, dass ein Maßnahmenpaket aus Budgethilfe, politischem Dialog und Stärkung der Kapazitäten vor Ort am besten geeignet ist, um Eigenverantwortlichkeit zu fördern und soziale Sicherungssysteme als Bestandteil einer allgemeinen nationalen Entwicklungsstrategie zu unterstützen. Inwieweit Budgethilfe ein gangbarer Weg ist, hängt von den Bedingungen vor Ort ab, wobei es hauptsächlich auf die Verwaltung der öffentlichen Finanzen und eine gute Regierungsführung ankommt. Budgethilfe sollte auf der Grundlage einer glaubwürdigen und ergebnisorientierten Entwicklungshilfevereinbarung zwischen gegenseitig rechenschaftspflichtigen Partnern erfolgen. Um die Qualität des Dialogs zu verbessern, könnte eine sektorbezogene Budgethilfe vorzuziehen sein. Auch innovative Vertragslösungen nach dem Muster „Bezahlung bei erfolgter Auslieferung“ wären zu prüfen. 8 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Überblick Die Geber selbst sollten nur begrenzt Pilotprojekte in Eigenregie durchführen, da sich diese nur äußerst selten als nachhaltig erweisen. Pilotprojekte sind jedoch nützlich, um Optionen auszutesten bzw. zu evaluieren oder um Programme zu initiieren, die dann später aufgestockt werden. Sie sollten jedoch in einheimische, vorzugsweise staatliche Prozesse eingebunden sein. Vorrang sollte die Zusammenarbeit mit bzw. über staatliche Stellen haben, um dadurch den Sozialvertrag zu stärken. Trotzdem sollten auch informelle und auf Gemeindeebene betriebene Programme (wie die mutuelles de santé in Westafrika) unterstützt werden, da auf ihnen im Rahmen eines breiteren Systems aufgebaut werden kann (wie in Ruanda). In fragilen Staaten kommt es darauf an, die lokale Wahrnehmung der Legitimität im Auge zu behalten (Zusammenarbeit mit wem) und die Leistungen der sozialen Sicherung zu erweitern (Übergang von humanitärer Hilfe zu kontinuierlicher sozialer Sicherung). Die Reihenfolge der Maßnahmen sollte von der internationalen Gemeinschaft vereinbart werden. So könnten eine Agenda zur Soforthilfe und Transferleistungen, öffentliche Beschäftigungsprogramme, Materiallieferungen und grundlegende medizinische Versorgung Priorität haben, bevor der längerfristige Aufbau staatlicher Kapazitäten zur Umsetzung von sozialen Sicherungssystemen begonnen wird. Insgesamt sind Monitoring und Evaluierung entscheidende Faktoren, um Verantwortlichkeit zu gewährleisten und neue Erkenntnisse zu gewinnen. Bevor eine Aufstockung oder Neuauflage von Maßnahmen möglich ist, müssen zunächst die Ergebnisse ausgewertet werden, bewährte Praktiken benannt und Defizite bei den bestehenden Programmen aufgezeigt werden. EU-Geber sollten innovative Techniken zur Ergebnisanalyse (Grobeinschätzungen und Detailprüfungen) fördern und geeignete Ressourcen zur Überwachung und Evaluierung bereitstellen. Um die Entscheidungsprozesse und die Programmausrichtung zu verbessern, sollte die EU Methoden zur korrekten und aktualisierten Datenermittlung über die Armuts- und Risikosituation, unter anderem im Rahmen der „UN Global Pulse Initiative“, unterstützen. PRIORITÄT 5: ERKENNTNISGEWINNUNG UND ERFAHRUNGSAUSTAUSCH EU-Geber sollten Studien zur Wirkung von sozialer Sicherung für Entwicklung beauftragen und unterstützen, um den Lernprozess voranzubringen und Investitionen und Entscheidungen auf der Grundlage geprüfter Daten zu ermöglichen. Weitere Studien sind notwendig, um die mittelfristigen Auswirkungen sozialer Sicherung auf das Wachstum und die Vulnerabilität aufzuzeigen, (insbesondere hinsichtlich des Aufbaus von Vermögenswerten und der langfristigen Überwindung der Armut), aber auch, um die politische Stabilität, den sozialen Zusammenhalt und den Sozialvertrag zu beurteilen. Der Untersuchungsgegenstand sollte auf multidisziplinärer Grundlage erweitert werden und das gesamte Erfahrungsspektrum widerspiegeln. Die Ergebnisse sollten an die politischen Entscheidungsträger weitergeleitet werden. Besonders wichtig ist es, dass die EU-Geber die Kapazitäten Afrikas zur Entwicklung ihrer eigenen Analysen und Überlegungen bezüglich sozialer Sicherung unterstützen. Die Finanzierung lokaler Untersuchungen würde die Legitimität und Relevanz der Erkenntnisse erhöhen und deren Verbreitung erleichtern. Die Einbettung der sozialen Sicherung in den politischen Dialog zwischen Afrika und der EU auf allen Ebenen ist wichtig, um einen Erfahrungsaustausch zu ermöglichen und den politischen Willen auf beiden Seiten zu stärken. Die EU-Mitgliedstaaten sollten auch die Lehren aus ihren Erfahrungen zur sozialen Sicherung weitergeben, indem sie leicht zugängliche Informationen zusammenstellen und auf Anfrage in den Partnerländern Studienreisen, Konferenzen, Workshops und Weiterbildungen organisieren. Angesichts der zunehmenden Relevanz des Süd-Süd-Erfahrungsaustausches sollte die EU Unterstützung bieten, wenn die Partner aus dem Süden dies beantragen, und dabei Beispiele bewährter Praxis nutzen. Es könnte eine zielgerichtete Dreiecks-Partnerschaft zur Förderung von Erkenntnissen über soziale Sicherung in Form eines regelmäßigen Erfahrungsaustausches zwischen relevanten Akteuren auf verschiedenen Ebenen des politischen Dialogs und der strategischen Partnerschaften konzipiert werden. Die EU sollte ebenfalls einen Beitrag zur Erarbeitung von Leitlinien bewährter Praxis der sozialen Sicherung in Entwicklungsländern leisten, wie es von der G20 in Seoul vereinbart wurde. PRIORITÄT 6: VERBESSERUNG DER KOORDINATION, DER KOMPLEMENTARITÄT UND DER KOHÄRENZ DER MASSNAHMEN DER EUROPÄISCHEN UNION Die EU-Unterstützung für soziale Sicherung sollte in vollem Einklang mit dem Anliegen der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit und den Verpflichtungen aus EU-Verträgen erfolgen. Es sollte ein EU-weites Expertennetzwerk für „soziale Sicherung und Entwicklung“ (aus Entwicklungsministerien und -agenturen, Ministerien für Arbeit und Soziales, der Zivilgesellschaft) geschaffen werden. Eine erste wichtige Aufgabe des Netzwerkes wäre es, zu untersuchen, welche EU-Unterstützung für soziale Sicherung bislang besteht. Durch Aufzeigen der Lücken, Doppelstrukturen sowie der komparativen Vorteile könnte die Arbeitsteilung optimiert werden. Grundvoraussetzung dafür ist eine Vereinbarung, ob soziale Sicherung als eigenständiger Bereich betrachtet werden soll. Der Bericht legt nahe, dass die Eingliederung der sozialen Sicherung als sektorübergreifendes Thema der bessere Ansatz wäre. Die EU E U R O P Ä I S C H E R 9 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Überblick sollte zur Festlegung ihrer Position jedoch weitere Informationen aus den Diskussionen in dem vorgeschlagenen neuen Netzwerk, dem Netzwerk OECD-POVNET und mit den Partnerländern hinzuziehen. Die Umsetzung des „EU-Verhaltenskodex“ sollte eine Chance bieten, die Programmentwicklung und die Unterstützung auf Landesebene zweckmäßiger zu gestalten. Die EU sollte bei der Koordination mit der breiteren Gebergemeinschaft innerhalb des Entwicklungsausschusses der OECD und darüber hinaus sowie bei der Zusammenarbeit mit den Partnerländern die Führung übernehmen. Die länderübergreifende Arbeitsteilung der EU sollte verbessert werden, wobei insbesondere dem Problem der wenig berücksichtigten Länder (z.B. fragile Staaten) besondere Beachtung gewidmet werden muss. In dieser Hinsicht kommt der Kommission angesichts ihrer globalen Präsenz eine wichtige Rolle zu, ebenso wie EU-Gebern mit Verbindungen wenig berücksichtigten Ländern. Die Verbesserung der politischen Kohärenz ist für soziale Sicherung ebenfalls wichtig. Als weiteren Schritt neben der Umsetzung des „Arbeitsprogramms Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung 2010-2013“ sollte die EU Untersuchungen zur Bewertung der Auswirkungen von Politikbereichen auf soziale Sicherung in den Entwicklungsländern in Auftrag geben, die nicht zur Entwicklungspolitik gehören, wie zum Beispiel Handel, Migration und Landwirtschaft. Es bedarf eines stärkeren politischen Willens, um das Engagement der EU für die Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung in die Praxis umzusetzen und es auf glaubwürdige Weise in der breiteren Entwicklungsgemeinschaft (z. B. dem 4. Hochrangigen Gipfeltreffen zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit, G20, 4. Konferenz der UNO über die am wenigsten entwickelten Länder (LDC-IV) zu fördern. PRIORITÄT 7: STÄRKUNG DER PARTNERSCHAFTEN DER EUROPÄISCHEN UNION FÜR EINE FORTSCHRITTLICHE SOZIALE SICHERUNGSAGENDA Die Unterstützung sozialer Sicherung war in den Außenbeziehungen der EU, insbesondere im Rahmen ihres Engagements für die soziale Dimension der Globalisierung, bislang begrenzt. Die EU sollte eng mit strategischen Partnern zusammenarbeiten, um eine fortschrittliche internationale Agenda für soziale Sicherung und eine gerechtere Globalisierung zu fördern. Insbesondere die Internationale Arbeitsorganisation und andere, im Bereich sozialer Sicherung aktive VN-Agenturen weisen hierbei umfassende Erfahrungen und Legitimität auf. Die EU sollte auch die Abteilung „Soziales“ der AU und die Abteilung „Humane und soziale Entwicklung“ der Afrikanischen Entwicklungsbank unterstützen und mit ihr zusammenarbeiten, da diese entscheidend für die Stärkung und Entwicklung der sozialen Sicherung in Afrika sind. Angesichts ihrer Erfahrungen und ihrer Betonung der regionalen Integration in der Entwicklungspolitik sollte die EU danach streben, die regionale Kooperation in der sozialen Entwicklung und sozialen Sicherung voranzubringen und dabei auf bestehenden Stärken und Instrumenten aufbauen. Partnerschaften mit dem privaten Sektor können die soziale Sicherungsagenda ebenfalls befördern. Durch geeignete Koordination und Politik kann die EU private Aktionen unterstützen. Es sollten neue und innovative öffentlich-private Partnerschaften (PPP) geprüft werden. SCHLUSSFOLGERUNGEN Zusammenfassend ist festzustellen, dass es an der Zeit ist, eine neue soziale Sicherungsagenda zwischen Afrika und der EU auf den Weg zu bringen. Es gibt einen zunehmenden Konsens über die positiven Wirkungen sozialer Sicherung, und das Umfeld nach den Krisen sowie die Risiken infolge des Klimawandels machen eine Erneuerung und Erweiterung der Partnerschaft erforderlich. Soziale Sicherungsprogramme bestehen bereits und wenn einige Voraussetzungen beibehalten werden, können sie positive Auswirkungen auf das Wachstum und die Armutsverringerung haben, breite Teile der Bevölkerung erreichen und hohe politische Unterstützung gewinnen. Wenn sie gut organisiert sind, können sie sowohl informelle Systeme auf Gemeindeebene als auch marktorientierte Lösungen ergänzen. Regelmäßige, unabhängige und solide Evaluationen sind für die Erlangung glaubwürdiger Informationen eine wichtige Voraussetzung. Dies ist wiederum entscheidend, um die Unterstützung und damit die politische Nachhaltigkeit und den Erfolg zu sichern. Die bisher erreichten Erfolge zeigen, dass mit Engagement, Weitblick und Unterstützung der Aufbau von Systemen der sozialen Sicherung im subsaharischen Afrika selbst in Ländern mit niedrigem Einkommensniveau möglich ist. Die Auswahl spezifischer neuer Programme oder die Aufstockung bestehender Systeme ist jedoch landesspezifisch und hängt vom demografischen, geografischen und wirtschaftlichen Kontext sowie vom politischen Engagement und den politischen Prioritäten ab. 10 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 KAPITEL EINS Kapitel 1 DER IMPULS FÜR SOZIALE SICHERUNG IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA 12 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 KAPITEL 1 DER IMPULS FÜR SOZIALE SICHERUNG IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA Der Impuls für soziale Sicherung in Afrika hat sich verstärkt. Es gibt ein starkes Engagement und Erfolge auf gesamtafrikanischer, subregionaler und nationaler Ebene. Nach der Lebensmittel-, Öl- und Finanzkrise zeichnet sich ein globaler Konsens darüber ab, dass soziale Sicherung ein wesentlicher Bestandteil der Entwicklungspolitik sein muss und eine unerlässliche Voraussetzung für ein stabiles Wachstum, insbesondere der armen Bevölkerungsschichten, und zur Erreichung der MillenniumEntwicklungsziele darstellt. Soziale Sicherung kann einen direkten Beitrag zum Wachstum leisten und den Nutzen anderer sozialer Investitionen verstärken. Die positiven Effekte des Wachstums können über die soziale Sicherung direkt an besonders gefährdete und ausgeschlossene Gruppen weitergegeben und der Vertrag zwischen Staat und Bürgern kann auf eine solidere Grundlage gestellt werden. Durch direkte und indirekte Leistungen kann soziale Sicherung oft einen Ausweg aus dem Teufelskreis der Armut bieten. Soziale Sicherung ist kein Luxusgut, sondern im subsaharischen Afrika (SSA) notwendig und durchführbar. Verschiedene Programme sind in der Region bereits umgesetzt worden. Die dadurch verbesserten Entwicklungsaussichten zeigen, dass soziale Sicherung ein gangbarer Weg ist. Infolge der rasch aufeinander folgenden Lebensmittel-, Öl- und Finanzkrise zwischen 2007 und 2009 ist soziale Sicherung mehr denn je notwendig, um die Folgen von Schocks abzufedern und die anhaltende Armut und Gefährdung in Afrika zu überwinden. Im Zuge der Ausweitung der sozialen Sicherung in den jüngsten Krisenzeiten ist die Unterstützung für einen systematischen Aufbau solcher Programme im subsaharischen Afrika und auf internationaler Ebene gestiegen. Dies ist der richtige Zeitpunkt, um in einem Europäischen Entwicklungsbericht Argumente für soziale Sicherung in Afrika anzuführen und anhand der vorliegenden Erkenntnisse die bedeutende Rolle des eigenen Engagements vor Ort sowie die Möglichkeiten der Unterstützung durch internationale Partner, insbesondere der Europäischen Union (EU), aufzuzeigen.1 1.1 DAS SUBSAHARISCHE AFRIKA IST LÄNGST NICHT MEHR DER „VERLORENE SUBKONTINENT“ Das subsaharische Afrika wurde oft als verlorener Subkontinent betrachtet, „wo anscheinend nur Armut und Konflikte gedeihen“.2 In den verlorenen Jahrzehnten (1980er und 1990er Jahre), fiel das SSA hinter dem Fortschritt anderer Entwicklungsländer, insbesondere in Asien und Lateinamerika, zurück. Die Lage hat sich jedoch seit Beginn dieses Jahrtausends zum Besseren verändert. Mehrere SSA-Länder haben entgegen den Klischeevorstellungen bedeutende (weitere) Schritte auf dem Weg zu den Millennium-Entwicklungszielen (MDG) unternommen und ein stabiles wirtschaftliches Wachstum erreicht, das durch zahlreiche Erfolgsgeschichten belegt wird.3 Das SSA ist jedoch keine einheitliche Region, sondern zeichnet sich durch eine starke Vielfalt und oft sehr unterschiedliche Entwicklungswege der einzelnen Länder aus.4 Es lässt sich auch nicht leugnen, dass die Lage in einigen Ländern schlechter bestellt ist als in anderen und teilweise auch Rückschläge zu verzeichnen sind. Durch dieses düstere Gesamtbild des SSA sind jedoch die wesentlichen Erfolge der „aufstrebenden“ SSA-Länder oft überschattet worden.5 1.1.1 SPÜRBARE FORTSCHRITTE IN DER REGIERUNGSFÜHRUNG In erster Linie ist festzustellen, dass viele SSA-Länder spürbare Fortschritte in der Regierungsführung erreicht haben, ein wesentlicher Punkt auf der heutigen Entwicklungsagenda. Das afrikanische Engagement zur Verbesserung der Regierungsführung kommt vielleicht am besten 2 3 4 5 Johnson-Sirleaf, E. „Introduction“ in Radelet 2010. Der leitende Wirtschaftsexperte der Weltbank für Afrika, S. Devarajan, hat mit seinen Mitarbeitern eine Liste mit 42 Erfolgsgeschichten aufgestellt, von denen 20 in den Fallstudien näher beschrieben werden. https://blogs.worldbank.org/africacan/african-successes. Viele einstmalige Wachstumsländer der 1960er Jahre fielen 2000 zurück (z.B. Côte d’Ivoire, Gabun und Togo), während andere wie Burkina Faso, Ghana und Senegal zwar nach der Unabhängigkeit zurücklagen, aber in den letzten 10 Jahren erheblich aufholten (Fosu, 2009). Diese Ansicht wurde jüngst in Radelet 2010 untermauert. E U R O P Ä I S C H E R 13 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 1 in der Einrichtung des Afrikanischen Peer-Review-Mechanismus (APRM) von 2002 im Rahmen der Neuen Partnerschaft für die Entwicklung Afrikas (NEPAD) zum Ausdruck.6 Bis Ende 2009 unterzeichneten 30 der 53 Staaten der Afrikanischen Union (AU)7 diese innovative afrikanische Initiative, die als wichtigster Mechanismus zur Selbstkontrolle der Regierungsführung fungiert. Trotz bestehender Herausforderungen hat sich der APRM bislang bei der Entwicklung der Regierungsführung und eines gemeinsamen Dialogs über kontroverse Themen durch „umfassende und offene Analysen über die wichtigsten Probleme der Regierungsführung“ bewährt.8 Bei einer jüngsten Analyse des APRM-Prozesses in neun Ländern der AU durch das Afrikanische Projekt zur Kontrolle und Förderung der Regierungsführung wurde festgestellt, „dass das Urteil über den APRM-Prozess unterschiedlich ausfällt“, er jedoch zumindest eine nationale Debatte ermöglicht habe.9 Eine Studie der Partnerschaft Afrika-Kanada über den APRM in sieben SSA-Ländern geht sogar noch weiter und kommt zu dem Schluss, dass „sich Veränderungen in der Art und Weise vollziehen, wie Regierungen und Länder geführt werden“.10 Andere AU-Initiativen wie die Afrikanische Charta für Demokratie, Wahlen und Regierungsführung von 2007,11 lassen darauf schließen, dass die Regierungsführung in breiten Teilen des Kontinents Priorität erlangt hat. Auf nationaler Ebene ragen Mauretanien und Botswana als SSA-Länder heraus, die über einen bedeutenden Zeitraum hinweg Stabilität und eine gute Regierungsführung erreicht haben. Wie die jüngsten Weltweiten Indikatoren für Regierungsführung zeigen „bedeutet die Klassifizierung als Entwicklungsland nicht automatisch schlechte Regierungsführung“.12 So wurde Ruanda nach dem Genozid von 1994 ein Symbol für die afrikanische Wende, indem es wirtschaftliches Wachstum,13 sozialen Fortschritt und bedeutende Verbesserungen in der Regierungsführung erreichte. Obwohl der Wahlkampf, der im August 2010 zur Wiederwahl von Präsident Kagame führte, internationale Besorgnis hervorrief,14 gilt Ruanda als friedliches Land mit stabilen Institutionen, deren gute Funktionsweise es der EU ermöglicht, 75 % der Entwicklungshilfe für das Land über Budgethilfe auszuzahlen.15 Das Land gehört auch zu den wenigen in Afrika, die auf dem besten Weg zur Erreichung der Millenniumsziele sind und das Ziel 3 - Gleichstellung von Männern und Frauen und Stärkung der Position der Frauen - fast erreicht haben, wobei im Parlament mehr als 56 % Frauen sind und in den Haupt- und Oberschulen Gleichstellung herrscht.16 Die Erholung Liberias vom Konflikt (1989-2003) wird ebenfalls als Erfolgsgeschichte gelobt, insbesondere nach den Wahlen von 2005, aus denen Ellen Johnson-Sirleaf als erste afrikanische Präsidentin hervorging. Der Mo Ibrahim Index of African Governance17 zeigt, dass Liberia die umfassendsten Verbesserungen zwischen 2005 und 2009 verzeichnete und die Bewertung des Landes von 32 auf 44 Punkte stieg. Neben anderen Erfolgen war Liberia 2009 das erste afrikanische Land, dass die Initiative für Transparenz in der Rohstoffwirtschaft erfüllte, was angesichts der Rolle der natürlichen Ressourcen im liberianischen Konflikt eine äußerst bezeichnende Leistung ist. Die Worldwide Governance Indicators und der Mo-Ibrahim-Index weisen auch auf wesentliche Verbesserungen in Ländern wie Ghana, Angola, Sierra Leone und Togo hin. Natürlich können mit diesen Indikatoren nicht alle Nuancen und Herausforderungen erfasst werden, zumal die Regierungsführung ein äußerst heikles und kontroverses Thema ist. Die Länder, die sich „verbessert“ haben, begannen oft auf einem sehr niedrigen Niveau. Ihre Leistungen und Fortschritte dürfen deshalb nicht überbewertet werden. Sie dürfen auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass andere SSA-Länder in ihrer Entwicklung stagnieren oder zurückfielen. Insgesamt lässt sich jedoch sagen, dass die Zunahme der Demokratien in SSA-Staaten (von 3 im Jahre 1989 auf 23 im Jahre 2008)18 und demokratischer Wahlen (circa 50 zwischen 2005 und 2009) sowie die zahlreichen nationalen Initiativen zur Regierungsführung (auf allen Ebenen) darauf schließen lassen, dass die SSA-Regierungen insgesamt verantwortungsbewusster handeln, was nicht zuletzt an der regionalen und subregionalen Führung liegt. 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 Im Juli 2002 nahm der NEPAD eine „Erklärung über Demokratie, politische, wirtschaftliche und körperschaftliche Regierungsführung“ an, die mit einer Verpflichtung zur Umsetzung des Afrikanischen Peer-Review-Mechanismus (APRM) einherging. Die Absichtserklärung zum APRM wurde vom Umsetzungsausschuss der Staatsund Regierungschefs im März 2003 angenommen und trat sofort in Kraft. Ägypten, Algerien, Angola, Äthiopien, Benin, Burkina Faso, Dschibuti, Gabun, Ghana, Kap Verde, Kamerun, Kenia, Lesotho, Malawi, Mali, Mauretanien, Mauritius, Mosambik, Nigeria, die Republik Kongo, Ruanda, Sambia, São Tomé und Príncipe, Senegal, Sierra Leone, Südafrika, der Sudan, Tansania, Togo und Uganda. Das südafrikanische Institut für internationale Angelegenheiten hat ein „Programm für Regierungsführung und den APRM“, das den Prozess verfolgt (http://www.saiia.org.za/). Siehe auch Gruzd 2010. AfriMAP 2010. Bing Pappoe 2010. Die Charta muss von 15 Mitgliedsländern ratifiziert werden, damit sie in Kraft tritt. Bis Juli 2010 wurde sie von 29 Staaten unterzeichnet, aber nur von 6 (Äthiopien, Ghana, Lesotho, Mauretanien, Sierra Leone, Uganda) ratifiziert. „In den Weltweiten Indikatoren für Regierungsführung - Governance Matters 2010 - werden Erfolge, Rückschläge und Misserfolge in der Regierungsführung aufgezeigt“, (http://www.brookings.edu/opinions/2010/0924_wgi_kaufmann.aspx). Das Projekt der Worldwide Governance Indicators berichtet über kombinierte oder einzelne Indikatoren der Regierungsführung in 213 Volkswirtschaften im Zeitraum von 1996-2009, wobei folgende sechs Dimensionen untersucht werden: Bekanntmachung und Rechenschaftspflicht, politische Stabilität und Gewaltlosigkeit, Regierungseffizienz, Regulierungsqualität, Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung. Das jährliche Wirtschaftswachstum betrug zwischen 1998 und 2008 durchschnittlich 8 %. Im Index „Ease of Doing Business“ der Weltbank 2011 stand Ruanda von 183 Ländern auf Platz 58. Das Land wird zudem für seine kontinuierlichen Fortschritte und Reformen gelobt (Weltbank 2010d, S. 6). Angesichts von Vorwürfen der Unterdrückung und Gewalt (siehe http://www.amnesty.org/en/region/rwanda) verteidigte Präsident Kagame Ruandas Demokratie als ein „Modell für Afrika“ (Kagame 2010). IP/10/1206, 29/09/10. Der erste Besuch von Kommissar Piebalgs in Ruanda zur Bewertung der Auswirkungen der Entwicklungshilfe der EU vor Ort und zur Unterzeichnung einer finanziellen Vereinbarung über regionale Zusammenarbeit und Regierungsführung in Höhe von 52 Mio. EUR. Ruanda wird als erfolgreiches Beispiel unter www.mdgmonitor.org/ (November 2010) genannt. Der Mo-Ibrahim-Index misst das Ausmaß einer Reihe von den Bürgern zur Verfügung gestellter wirtschaftlicher, sozialer und politischer Leistungen und Dienste durch die Regierungen oder andere nichtstaatliche Akteure. Der Index unterteilt Indikatoren in folgende vier Hauptkategorien: Sicherheit und Rechtsstaatlichkeit, Teilhabe und Menschenrechte, nachhaltige Wirtschaftschancen und Humanentwicklung (http://www.moibrahimfoundation.org). Radelet 2010, S.54. Laut Angaben von Freedom House (Freiheit im subsaharischen Afrika 2009) ist der Anteil der „freien“ und „halbfreien“ Länder im SSA von 41 % im Jahr 1980 auf 69 % im Jahr 2009 gestiegen. 14 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Der Impuls für soziale Sicherung im subsaharischen Afrika 1.1.2 VERBESSERUNGEN DES MAKROÖKONOMISCHEN UMFELDS Mit einem durchschnittlichen Wachstum von ca. 5 % zwischen 2000 und 2008, das um mehr als 2 Prozentpunkte über dem des vorhergehenden Jahrzehnts liegt, gehört das SSA zu den Regionen mit den höchsten Wachstumsraten in der Welt. Die Wachstumsentwicklung fiel in den verschiedenen geografischen Regionen und einzelnen Ländern unterschiedlich aus, wobei einige ressourcenreiche Länder (wie Angola und Äquatorial-Guinea) aufgrund des Anstiegs der Rohstoffpreise zweistellige Wachstumszahlen verzeichneten. Diese Wachstumsbeschleunigung war jedoch nicht nur das Ergebnis eines Ressourcenbooms. Das makroökonomische Umfeld hat sich insgesamt verbessert. Die Afrikanische Entwicklungsbank19 hat darauf verwiesen, dass es den SSA-Länder im Vergleich zum vorhergehenden Jahrzehnt in jüngster Zeit gelungen ist, die Inflation einzudämmen und deutlich unterhalb eines zweistelligen Bereichs zu halten, ihre Handelsbedingungen zu verbessern und ihre Haushaltsbilanz im Allgemeinen zu verbessern. Tabelle 1.1: Langfristige Trends des BIP-Wachstums und der Bevölkerungsentwicklung Subsaharisches Afrika Welt Südostasien & Pazifik BIP-Wachstum (jährlich in %) Bevölkerungswachstum (jährlich in %) BIP-Wachstum (jährlich in %) Bevölkerungswachstum (jährlich in %) BIP-Wachstum (jährlich in %) Bevölkerungswachstum (jährlich in %) 1980-2000 2,18 1980-1990 2,07 1990-2000 2,19 2000-2009 4,61 2,81 2,90 2,71 2,52 2,94 3,03 2,85 2,56 1,59 1,74 1,46 1,21 9,25 10,08 8,56 10,17 3,44 3,78 3,11 2,37 Quelle: ERD-Analyse anhand der Online-Datenbank der Weltbank, World Development Indicators, Stand 15. Oktober 2010. Dieses allgemein günstige Umfeld ging oft mit einer verstärkten Kapazität der Länder zur Mobilisierung einheimischer Ressourcen einher. Die Steuereinnahmen stiegen auf dem Kontinent von 22 % des BIP 1990 auf 27 % im Jahr 2007.20 Diese Zunahme liegt zum großen Teil an der Steuererhöhung für die extraktive Industrie, die 2007 14 % des BIP des Kontinents und mehr als zwei Drittel des gesamten Steueraufkommens in ressourcenreichen Ländern wie Angola, dem Tschad, dem Kongo, Äquatorial-Guinea, Nigeria und dem Sudan ausmachte.21 Die Steuern für Handelstätigkeiten sind im Gegenzug beständig gesunken, jedoch immer noch eine wichtige Einnahmequelle im produzierenden Gewerbe, beispielsweise in Äthiopien, Gambia, Lesotho, Namibia und Swasiland. Der prozentuale Anteil der Steuereinnahmen am BIP reicht von sehr niedrigen Zahlen in Ländern wie Äquatorial-Guinea (durchschnittlich 1,6 % des BIP zwischen 2001 und 2008) bis zum höchsten Wert in Lesotho (50,6 %). Ausländische Kapitalströme in Form von Direktinvestitionen und Entwicklungshilfe sind, insbesondere durch Schuldenerleichterungen der Geber, ebenfalls beträchtlich gestiegen. Zwischen 2000 und 2007 haben die Geber des Ausschusses für Entwicklungshilfe (Development Assistance Committee, DAC) 43 Mrd. USD Schulden afrikanischer Länder erlassen. Zwischen 2000 und 2008 fiel der BNE-Quotient - einer der Hauptindikatoren der Schuldenbelastung - von 127 % auf 57 %. Einen starken Auftrieb erhielt das jüngste afrikanische Wirtschaftswachstum durch den zunehmenden Austausch mit den Schwellenländern. Die chinesisch-afrikanischen wirtschaftlichen und politischen Beziehungen haben sich in letzter Zeit stark entwickelt. Seit Mitte der 1990er Jahre stieg der bilaterale Handel zwischen China und Afrika um das Zehnfache und 2008 auf mehr als 100 Mrd. USD. Dadurch konnten viele afrikanische Länder die geografische Aufteilung ihrer Exporte diversifizieren und einen starken Abfall der Exporte als Folge des Nachfragerückgangs in den Entwicklungsländern während der globalen Finanzkrise vermeiden. China und Indien werden auch zu wichtigen Kapitalquellen der afrikanischen Partner im Bereich der ADI und der Entwicklungshilfe. 1.2 ANHALTENDE STRUKTURPROBLEME Trotz der Fortschritte gibt es im SSA immer noch beträchtliche Probleme. Dazu gehören die Instabilität der makroökonomischen Lage mit kaum veränderten Lebensgrundlagen, Fragilität und anhaltende Konflikte in einigen Ländern, unverändert hohe Armutsraten und geringe menschliche Entwicklung, infolgedessen vielerorts nach wie vor prekäre Lebensbedingungen bestehen. 19 20 21 AfDB 2010. AfdB, OECD, UNECA 2010, S. 84. AfdB, OECD, UNECA 2010. E U R O P Ä I S C H E R 15 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 1 1.2.1 MAKROÖKONOMISCHE INSTABILITÄT MIT KAUM VERÄNDERTEN LEBENSGRUNDLAGEN Es wäre zu früh, über weitreichende wirtschaftliche Veränderungen und die Schaffung von Arbeitsplätzen in den meisten SSALändern zu sprechen. Die Landwirtschaft macht immer noch einen großen Anteil am BIP aus und selbstständige Kleinbauern bilden die Mehrheit der Arbeitskräfte. Die städtische Wirtschaft wächst, ein Großteil der Beschäftigung läuft jedoch noch im informellen Sektor ab. Die Abhängigkeit der meisten Volkswirtschaften des SSA von einigen wenigen Primärprodukten führt zu einer stärkeren Instabilität und Volatilität der Exporteinnahmen und des BIP-Wachstums als in anderen Ländern.22 Klimaänderungen und Schocks tragen ebenfalls zur Unbeständigkeit des Wachstums bei, zumal der Großteil der Landwirtschaft Regenwasser zur Bewässerung der Felder nutzt.23 Dies führt dazu, dass der Lebensunterhalt oft nur durch bescheidene Einkünfte gesichert wird und hohen Risiken ausgesetzt ist. Dies ist zumindest in der Landwirtschaft der Fall, die vom Regenwasser abhängt und dadurch den Risiken eines unbeständigen Klimas ausgesetzt ist. Hohe Schwankungen des BIP führen zu raschen Veränderungen der Marktbedingungen und damit im Einkommen und in der Beschäftigung des informellen Sektors. Dadurch gerät die Lebensgrundlage der in diesem Sektor Beschäftigten stark unter Druck, besonders, wenn diese Menschen von Sicherheitsnetzen oder sozialen Sicherungssystemen ausgeschlossen sind. 1.2.2 KONFLIKTE UND LÄNDER IN SITUATIONEN DER FRAGILITÄT Konflikte sind im SSA immer noch weit verbreitet und ein hauptsächlicher Grund für den Verlust von Leben und Existenzgrundlagen. Laut jüngsten Daten ist die Anzahl der im SSA internen Vertriebenen fast zweimal so hoch wie in anderen Ländern mit niedrigem Einkommensniveau, und die Anzahl der Flüchtlinge aus dem SSA (mehr als 2,6 Millionen) macht einen höheren prozentualen Anteil an der Gesamtbevölkerung aus als in anderen Entwicklungsregionen.24 Die Fragilität des Staates, d. h. sein Unvermögen oder Unwille, für seine Bürger grundlegende Dienste bereitzustellen, ist ebenfalls ein weit verbreitetes Problem25 und trägt wesentlich zur Instabilität bei. Die erste Ausgabe des Europäischen Entwicklungsberichts, die 2009 veröffentlicht wurde,26 zeigt, dass SSALänder in einer Situation der Fragilität, gemessen an den Entwicklungsindikatoren, weit hinter anderen Entwicklungsländern zurückfallen. Die Fragilität ist ein ernstes Hindernis für nachhaltiges Wachstum und die Erreichung der Entwicklungsziele.27 In Ländern in Situationen der Fragilität - insbesondere inmitten von Konflikten - sind die Risiken der Menschen weitaus größer und gehen über ein reines wirtschaftliches Schutzbedürfnis hinaus.28 Das Dilemma der sozialen Sicherung - „je höher das Bedürfnis von sozialer Sicherung ist, desto geringer ist die Kapazität des Staates, diesen zu gewähren“ - fällt gerade in Situationen der Fragilität besonders ins Gewicht.29 1.2.3 ARMUT UND NIEDRIGER STAND DER MENSCHLICHEN ENTWICKLUNG Auf dem Weg zu den Entwicklungszielen und anderen Armutsdimensionen wurden im subsaharischen Afrika durchaus Fortschritte erzielt. Die Entbehrungen sind jedoch unverändert hoch und wirken sich negativ auf die nachhaltige Armutsbekämpfung aus. Jüngsten Angaben zufolge sind die finanziellen und produktiven Vermögenswerte der Armen nach wie vor gering. Seit den 1990er Jahren ist die Zahl der in Armut lebenden Personen weltweit rasch gesunken.30 Im SSA fiel die extreme Armut (definiert als Einkommen von weniger als 1,25 USD pro Tag) von 58 % 1990 auf 51 % 2005; die Anzahl der Armen stieg allerdings auf 388 Millionen gegenüber 296 Millionen 1990 infolge des schnellen Bevölkerungswachstums.31 In den Bereichen Gesundheit und Bildung der Bevölkerung bestehen noch weitreichende Mängel, die die Chancen der Armen heute und in der Zukunft beeinträchtigen. Trotz der Fortschritte bei der Einschulung von Grundschülern ist gerade eine neue Generation von Analphabeten in den Arbeitsmarkt eingetreten: 21 % der Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 24 sind Analphabeten.32 Diese Situation wird möglicherweise auch in 10 Jahren noch nicht besser aussehen: Die Einschulungsquote (der Anteil der Grundschüler, die tatsächlich die Schule besuchen) liegt immer noch bei lediglich 73 %.33 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 33 Siehe Unctad 2009 und Europäischer Entwicklungsbericht 2009. Weltbank 2008. Daten des Hochkommissars der Vereinten Nationen für Flüchtlinge aus dem Bericht der UNDP 2009. Die Anzahl der Flüchtlinge ist hoch, jedoch fallend und insgesamt weniger markant als vergleichsweise in Südasien, wo allerdings auch die Bevölkerungszahlen höher sind. Siehe ERD 2009 für eine Erörterung der verschiedenen Definitionen für Länder in einer Situation der Fragilität. Europäischer Entwicklungsbericht 2009. ERD 2009; Bourguignon et al. 2008. Darcy 2004. Devereux 2000. In Ostasien fiel die extreme Armut zum Beispiel von 55 % 1990 auf 17 % 2005 und sie wird sich bis 2015 voraussichtlich um weitere 6 % verringern. Siehe Weltbank und IWF 2010. Weltbank 2010b. Weltbank 2010b. 16 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Der Impuls für soziale Sicherung im subsaharischen Afrika Mangelnde Gesundheit schränkt die Möglichkeiten einer schnellen Armutsverringerung ebenfalls stark ein. Die Lebenserwartung liegt als eine der einfachsten direkten statistischen Angaben über den Gesundheitszustand der afrikanischen Bevölkerung mit 52 Jahren weit unter der anderer Regionen. Das subsaharische Afrika ist die deutlich am stärksten von HIV/AIDS betroffene Region der Welt mit zwei Dritteln der 33,4 Millionen mit HIV infizierten Erwachsenen und Kindern und 71 % aller HIV-Neuinfektionen 2008. Die Belastung durch andere Krankheiten ist ebenfalls sehr hoch. Die breite Mehrheit (etwa 90 %) der Weltbevölkerung mit mittlerem oder hohem Malariarisiko lebt im SSA.34 Der Klimawandel droht Malaria und andere Krankheiten auch in solchen Gebiete zu verbreiten, die bislang weniger betroffen sind. Da nur 31 % der SSA-Bevölkerung über angemessene Kanalisation und Abfallbeseitigung verfügen, vermehren sich die Folgen von Krankheiten und belasten die Gesundheitssysteme zusätzlich. Diese Situation schränkt die Produktionskapazitäten der Erwachsenen und den Gesundheitszustand der Kinder ein, deren zukünftige Möglichkeiten, der Armut zu entrinnen, dadurch beeinträchtigt werden. 1.2.4 PREKÄRE LEBENSBEDINGUNGEN Hohe Armut, niedriger Vermögensstand und Abhängigkeit von riskanten Existenzbedingungen bedeuten, dass jegliche Bemühungen zum Aufbau eines besseren Lebens leicht durch ernste Schocks zunichte gemacht werden können. In Äthiopien berichten 67 % der städtischen und 86 % der ländlichen Haushalte, dass sie in den zurückliegenden vier Jahren mindestens einen Schock erlebten (Tabelle 1.2). Da die meisten ländlichen Haushalte vom Regenwasser für die Landwirtschaft abhängen, sind sie regelmäßig von Dürre, Frost oder zu viel Regen betroffen. Durch Pflanzenschädlinge und Tod des Viehbestands entsteht immer noch regelmäßig Schaden. Sowohl die ländlichen als auch die städtischen Haushalte leiden unter wirtschaftlichen Notlagen aufgrund von Krankheiten und Todesfällen in den Familien. Marktrisiken durch Preisschocks bei den Rohmaterialien und Enderzeugnissen sind eine weitere Ursache für Notlagen, die die hohe Abhängigkeit der Selbstständigen, einschließlich der Bauern, von der Fluktuation der Märkte widerspiegeln. Die Kriminalität ist ebenfalls ein weit verbreitetes Risiko. Durch all diese Risiken können die Menschen in Armut getrieben werden bzw. von deren Überwindung abgehalten werden. Tabelle 1.2: Anteil der Haushalte, die über ein besonderes Ereignis oder einen Schock berichteten, der ihren Wohlstand oder Lebensstandard in den letzten vier Jahren erheblich beeinträchtigte, Äthiopien 2006 Gab es einen Schock? Krankheit in der Familie Preisschocks Arbeitsplatzverlust Tod in der Familie Diebstahl/Verbrechen Tod des Viehbestands Landvertreibung Pflanzenschädlinge Dürre Regen/ Überschwemmung Frost Stadtbevölkerung Äthiopiens 67 Landbevölkerung Äthiopiens 86 22 31 21 18 15 13 6 6 6 5 38 6 14 14 36 3 40 44 3 22 1 12 Quelle: Young Lives data, www.younglives.co.uk. Dadurch besteht für Arme und auch viele Nichtarme ein hohes Risiko anhaltender Armut.35 Die Gefahr eines Lebens in Armut hält an und es gibt wenig Hoffnung oder Chancen, dieser Situation selbst in der nächsten Generation zu entrinnen. 1.2.5 FEST VERWURZELTE UNGLEICHHEIT Bei einigen Altersgruppen besteht ein besonders hohes Risiko. Bei Kindern, die im jungen Alter unter Ernährungsmangel und anderen Entbehrungen leiden, ist das Risiko hoch, dass sich die Entbehrungen in anderen Lebensbereichen später fortsetzen. Viele Kinder, die infolge der HIV-AIDS-Krise in Teilen Afrikas zu Waisen wurden, aber auch Ältere oder Menschen mit Behinderungen haben nur stark 34 35 http://www.map.ox.ac.uk/milestones/7/. In diesem Bericht wird der Begriff anhaltende Armut benutzt, um einen Zustand tiefer Armut zu bezeichnen, der weit in die Zukunft hineinreicht, ohne Hoffnung, diesen Zustand zu überwinden. Obwohl besondere theoretische und konzeptuelle Unterscheidungen hinsichtlich politischer Maßnahmen vorgenommen werden können, bezeichnet der Begriff nichts anderes bzw. ist austauschbar mit den Begriffen „chronische“ Armut oder „Armutsfalle“, wie sie von anderen gebraucht werden. E U R O P Ä I S C H E R 17 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 1 begrenzte Einkommenschancen. Die Gefährdung durch anhaltende Armut ist ebenfalls an bestehende Verdienstmöglichkeiten gebunden: Die Mehrheit der subsaharischen Bevölkerung ist - zumeist aus der Not geboren - immer noch in der Landwirtschaft oder selbstständig tätig, hohen unternehmerischen Risiken ausgesetzt und nur begrenzt mit Kapital ausgestattet, um diesen Risiken zu entgegenzutreten. Soziale und politische Faktoren führen ebenfalls zu erhöhten Risiken spezifischer gesellschaftlicher Gruppen. In Afrika besteht eine hohe Ungleichheit: die Einkommen der 10 % der Spitzenverdiener sind 22 mal so hoch wie die der unteren 10 % und damit über der in der Welt durchschnittlichen Zahl von 18.36 Es gibt nach wie vor fest verwurzelte horizontale Ungleichheiten regionaler, ethnischer und religiöser Art bzw. zwischen den Geschlechtern, die Bestand zu haben scheinen. Sie spiegeln sich in den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Strukturen nieder und verschlimmern die ohnehin schon schwierigen Bedingungen einiger Bevölkerungsgruppen,37 die von den Chancen des Wirtschaftswachstums ausgeschlossen sind.38 Zu den am stärksten gefährdeten Personen gehören arme Frauen - insbesondere als Alleinerziehende, Landwirtinnen, Fabrikarbeiterinnen, informelle Dienstleisterinnen - sowie interne Vertriebene und Flüchtlinge.39 1.3 DREI KRISEN IN DREI JAHREN: TATSACHEN UND AUSWIRKUNGEN Drei verschiedene Krisen - die Lebensmittel-, Öl- und Finanzkrise - traten in einer sehr kurzen Zeitspanne zwischen 2007 und 2009 auf. Angesichts der strukturellen Herausforderungen und des hohen Armutsrisikos breiter Bevölkerungsteile haben diese Krisen einen hohen Druck auf die afrikanischen Volkswirtschaften und den Wohlstand der Bevölkerung ausgeübt. Bei näherer Betrachtung der Auswirkungen dieser drei Krisen auf das SSA zeichnen sich zwei widersprüchliche Elemente ab: eine höhere Widerstandsfähigkeit gegenüber der Finanzkrise als erwartet und breite soziale Folgen insbesondere durch die Lebensmittelkrise. Die Ereignisse zeigen, dass Krisen zu einer Verschärfung der strukturellen Schwächen der SSA-Länder mit lang anhaltenden Folgen führen können. Kasten 1.1: Die Lebensmittel- und Ölkrise traf das subsaharische Afrika besonders hart Im Jahr 2007 stiegen die Rohstoffpreise rasant an und die Lebensmittelpreise stiegen ab Ende 2006 um mehr als 45 %. Für viele Produkte, unter anderem für Rohöl, Zinn, Nickel, Sojabohnen, Mais und Weizen, stieg der Dollarpreis auf einen Höchststand. Der Anstieg erfolgte zunächst bei einigen der wichtigsten Futterpflanzen (Mais, Weizen und Speiseöl), weitete sich dann jedoch auch auf andere Lebensmittel aus. Da der Anstieg der Lebensmittelpreise auf den einheimischen Märkten in den meisten Ländern weitergegeben wurde, waren die sozialen Folgen für die arme Stadtbevölkerung beträchtlich. In einigen Ländern führte die Lebensmittel- und Ölkrise zu sozialen Spannungen und in Burkina Faso, Kamerun, Niger und Mosambik sogar zu Unruhen. Quelle: Based on IMF, 2010, Impact of high food and fuel prices on developing countries. IMF: Washington, DC. 1.3.1 WIDERSTANDSFÄHIGKEIT GEGENÜBER DER GLOBALEN FINANZKRISE Nach Angaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) „war einer der vielleicht am wenigsten wahrgenommenen Aspekte des globalen Abschwungs die Erholungsfähigkeit der Region des subsaharischen Afrikas“.40 In der Tat war trotz der dringenden Warnungen vor den negativen Auswirkungen der globalen Finanzkrise auf die Entwicklungsländer der makroökonomische Einfluss bislang überraschend gering (Kasten 1.2). 2009 lag das durchschnittliche BIP-Wachstum im SSA bei 2,6 %.41 Wenn man Südafrika als regionales Schwergewicht und eins der am schwersten betroffenen afrikanischen Länder ausklammert, würde das Wachstum durchschnittlich 4 % betragen und das Bevölkerungswachstum von 2,5 % übersteigen. Für 2010 wird ein Wachstum von fast 5 % und für 2011 von 5,5 % und damit eine Rückkehr zu den hohen Wachstumsraten vor der Krise erwartet.42 Kasten 1.2: Die Gründe für die relativ moderaten Auswirkungen der Finanzkrise im SSA Für die besser als erwartet ausgefallene Situation im SSA gibt es vier hauptsächliche Faktoren: • Im Gegensatz zu früheren Krisen entstand die gegenwärtige Finanzkrise vollständig in den Industrieländern, während die Übertragungswege zum SSA in erster Linie indirekt waren. Das SSA war am meisten durch den anfänglichen 36 37 38 39 40 41 42 Ferreira und Ravallion 2008 und http://databank.worldbank.org/. Stewart und Langer 2008. Weltbank 2007. Weltbank und IWF 2010. IWF 2010a. IWF 2010b. IWF 2010b. 18 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Der Impuls für soziale Sicherung im subsaharischen Afrika und kurzlebigen Zusammenbruch des Welthandels, der seine Exporte behinderte, sowie durch den Rückgang der Kapitalströme und Einbruch der Rohstoffpreise aufgrund der verringerten globalen Nachfrage betroffen. Deshalb erlebten die SSA-Länder, die am engsten in die Weltwirtschaft und die Kapitalmärkte integriert sind (wie Südafrika) 2009 den stärksten BIP-Rückgang, während Rohstoffexporteure hauptsächlich aufgrund der Rohstoffpreise betroffen waren. • Aufgrund des hohen Wachstums 2009 und 2010 in den aufstrebenden Märkten, insbesondere China und Indien, stellte sich die Krise als kurzlebiger heraus als erwartet. Durch deren anhaltende Rohstoffnachfrage und die anderer Schwellenländer erholten sich die Rohstoffpreise schnell, was die meisten SSA-Länder vor einer Rezession bewahrte. • Die Erholungsfähigkeit der Wirtschaft im SSA kann hauptsächlich der Tatsache zugeschrieben werden, dass „die Ausgangsbedingungen bei Beginn der Krise besser entwickelt waren“.43 Die wesentlichen Verbesserungen in der makroökonomischen Lenkung und die Reformen vor der Krise stellten sich für die meisten SSA-Länder als solide Grundlage heraus, um dem Sturm standzuhalten. Diese allgemeine Feststellung verbirgt natürlich die starken Unterschiede in der Situation von Land zu Land: Die Länder mit hohen Haushalts- und Leistungsbilanzdefiziten waren stärker betroffen und werden sicherlich länger brauchen, um die Krise zu überwinden. • Die meisten SSA-Länder reagierten ziemlich schnell auf die durch die Krise hervorgerufenen kurzfristigen Probleme. Einige taten dies mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft. Die Geldreserven verringerten sich 2009 um etwa 9 Mrd. USD und offizielle Kreditgeber erhöhten die Kapitalflüsse um 4 Mrd. USD und fingen dadurch den Rückgang der Kapitalströme auf.44 Die Regierungen nutzten auch ihren fiskalischen Spielraum zur Stabilisierung der Wirtschaft und nahmen dabei eine beträchtliche Neuverschuldung in Kauf. Mit diesen einmaligen Fiskaldefiziten gelang es einigen Ländern, „öffentliche Ausgaben zur Armutsbekämpfung und Wachstumssteigerung zu schützen“, wie beispielsweise in den Bereichen Gesundheit und Bildung.45 Die Widerstandsfähigkeit des SSA gegenüber der globalen Finanzkrise sollte jedoch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass die rasche Aufeinanderfolge der drei Krisen für die SSA-Länder eine ernste Belastung darstellte. Der rasante Anstieg der Grundstoffpreise, insbesondere bei den Hauptnahrungsmitteln in den Jahren 2007 und 2008, hatte für viele SSA-Länder und deren Bevölkerung erhebliche Auswirkungen. Da die meisten afrikanischen Länder reine Lebensmittelimporteure sind, wurden sie von der Steigerung der Grundnahrungsmittelpreisen um mehr als das Doppelte innerhalb von weniger als einem Jahr besonders arg getroffen. Die einheimischen Lebensmittelpreise stiegen erheblich. Viele Landwirte, die Kulturpflanzen anbauen, erzielten dadurch sicherlich ein höheres Einkommen. Da jedoch der Großteil der Bevölkerung, einschließlich vieler Landwirte, reine Erwerber von Nahrungsmitteln sind,46 sind die realen Einkommen gefallen. Gleichzeitig wurde durch den hohen Anstieg der Brennstoffpreise der Import für viele Ölimporteure unerschwinglich, was zu hohen Defiziten und dem Verlust ausländischer Devisenreserven führte. Die Finanzkrise trat als letzte gleich unmittelbar nach der Lebensmittel- und Ölkrise auf und traf besonders die SSA-Länder der mittleren Einkommensgruppe, die stärker auf den globalen Märkten integriert waren. Afrika hat die Krisen dieses Mal gut überstanden, ist aber nach wie vor anfällig für ernsthafte Schocks, nicht zuletzt bei den Lebensmittelpreisen. Die Lebensmittelkrise machte die Schwächen in der Wirtschaftsstruktur und in der Produktion und Verteilung von Nahrungsmitteln deutlich. Die jüngsten Erhöhungen und Schwankungen der Nahrungsmittelpreise könnten sich infolge des Klimawandels durchaus öfter wiederholen. Zwar fielen die Nahrungsmittelpreise während der Finanzkrise, verzeichnen aber im Zuge der wirtschaftlichen Erholung und angesichts von witterungsbedingten Schocks, die die Versorgung behindern, bereits wieder einen Aufwärtstrend.47 Wenn die Haushalte von solchen Schocks betroffen sind, können sie den Konsum und die Investitionen mit zusätzlichen Einkünften durch längere Arbeitszeiten, aus Vermögenswerten, durch Geldüberweisungen aus dem Ausland, durch Transferleistungen in bar oder in Sachwerten bzw. durch ein öffentlich bereitgestelltes Sicherheitsnetz oder andere Unterstützungsleistungen aufrechterhalten. Der Bedarf dieser Unterstützungsleistungen kann jedoch mit sinkenden Einkünften und einem Rückgang der Entwicklungshilfe im Zuge der globalen Rezession in Konflikt geraten. Angesichts verringerter Ressourcen können sich Dauer und Ausmaß des Einkommensschocks erhöhen und besonders für die armen und gefährdeten Personen zusätzliche schwerwiegende soziale Folgen haben. 43 44 45 46 47 AfDB 2010. Weltbank 2010c, Tabelle B6.1. IWF 2010a. Weltbank 2008. Hinzu kommt, dass sich infolge der jüngsten Dürre in Russland (im September 2010) und dem Getreideexportverbot die Gefahr einer erneuten Lebensmittelkrise verstärkt hat. E U R O P Ä I S C H E R 19 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 1 1.3.2 DIE SOZIALEN FOLGEN DER KRISEN Es ist schwierig, die Auswirkungen der drei Krisen getrennt zu betrachten. Durch ihre schnelle Aufeinanderfolge wurden die Reserven von Ländern und Familien gleichermaßen aufgebraucht, wodurch sich deren Anfälligkeit für weitere Schocks verschärft hat. Viele der sozialen Folgen werden möglicherweise erst im Laufe der Zeit sichtbar. Noch gibt es keine verfügbaren empirischen Daten zu den direkten Auswirkungen der Krisen. Auch die Bereitstellung von Angaben über die Zeit nach der Krise hat gerade erst begonnen. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch hoch, dass sich die starken Preisschocks, nicht zuletzt bei den Nahrungsmitteln, in der Verteilung bemerkbar machen, wobei die Produzenten zu den Gewinnern und die Verbraucher zu den Verlierern zählen. Es ist anzunehmen, dass die Lebensmittelkrise direkt zu einer Steigerung der Armut geführt hat, auch wenn dies teilweise durch die Verbesserung des Lebensstandards der Nahrungsmittelproduzenten unter den afrikanischen Landwirten ausgeglichen wurde.48 Die weltweiten Getreidepreise haben sich zwischen 2006 und 2008 verdoppelt,49 obwohl die tatsächliche Erhöhung in den meisten Ländern und auch in Afrika niedriger ausfiel. Aber selbst, wenn die Preiserhöhung nur halb so hoch wäre, würde dies zu einem Anstieg der Armut um 4,4 Prozentpunkte unter den Nettoverbrauchern und zu ca. 33 weiteren Millionen Armen führen, die im SSA unterhalb der Grenze von 1,25 USD pro Tag leben.50 Andererseits wird allgemein davon ausgegangen, dass die globale Krise und die dadurch hervorgerufene Verlangsamung des Wachstums in Afrika keinen starken Anstieg der Armut, aber eine Verlangsamung der Armutsreduzierung bewirkt hat. In einigen zusammenfassenden Untersuchungen heißt es, dass sich die im Kampf gegen Armut erzielten Fortschritte im SSA verlangsamen werden.51 Vor der Finanzkrise war das SSA auf dem Wege, bis 2015 eine Armutsrate von 35,9 % zu erreichen. Die jüngsten Schätzungen gehen nun jedoch von einer Rate von 38 % aus, was bedeutet, dass 20 Millionen weniger Menschen die Armut überwinden und viele weitere Millionen an Hunger und Unterernährung leiden werden.52 Eine der Auswirkungen der globalen Krise auf die Armut ist die Beschäftigungssituation, insbesondere in den Ländern, die stärker in die Weltwirtschaft eingebunden sind. Die Internationale Arbeitsorganisation (IAO)53 berichtete über starke Arbeitsplatzverluste in der Forstwirtschaft und der Baumwollindustrie in Kamerun. In Südafrika fiel die Beschäftigung im formellen Sektor von 13,7 Millionen im zweiten Quartal 2008 auf 12,9 Millionen im dritten Quartal 2009, während die Arbeitslosenrate in Nigeria im März 2009 auf 19,7 % und damit fast um 5 Prozentpunkte gegenüber dem Vorjahr anstieg.54 Ein langsameres Wachstum und die im Zusammenhang mit diesen Krisen hervorgerufenen Folgen hinsichtlich der Verteilung des Reichtums wirken sich auch auf andere Wohlfahrtsindikatoren, insbesondere für Kinder, aus. Die Folgen für die Ernährung und Gesundheit sind wahrscheinlich beträchtlich: Eine der jüngsten Schätzungen besagt, dass 2009 zwischen 30 000 und 50 000 mehr Kinder unter fünf Jahren sterben, als es ohne die Krisen der Fall gewesen wäre, wobei die Auswirkungen bei den Mädchen bedeutend höher sind.55 Eine Studie des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen kommt zu dem Schluss, dass das Wohlergehen der Kinder in Ghana hauptsächlich durch einen starken Anstieg der monetären Armut und eine Zunahme des Hungers beeinträchtigt wird. In Burkina Faso liegen die Gründe in der Verringerung der Schulausbildung und der Zunahme von Kindesarbeit, in Kamerun an allen negativen Faktoren gleichermaßen.56 Schließlich gibt es Erkenntnisse, die auf einen Zusammenhang zwischen den Krisen und den zunehmenden sozialen Spannungen und der Gewalt in einigen SSA-Ländern hinweisen. Dazu gehören Ausschreitungen und andere Spannungen im Zusammenhang mit den Warenpreiserhöhungen 2008, insbesondere in Ländern mit einer schwachen Regierungsführung.57 Bakrania und Lucas verweisen auf Informationen von Amnesty International über Demonstrationen gegen die steigenden Lebenskosten in Benin, Mosambik, Senegal und Simbabwe.58 1.3.3 POLITISCHE REAKTIONEN AUF DIE KRISEN IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA Die jüngsten Krisen unterschieden sich von vielen früheren Krisen im SSA. Durch das jüngste starke Wachstum, eine allgemein bessere makroökonomische Lenkung und Schuldenerlass entstand ein fiskalischer Spielraum für antizyklische Maßnahmen. Die nationale Politik war zudem nicht die Ursache dieser Krisen. Um die negativen Effekte der jüngsten Krisen zu vermeiden, haben sich viele SSA48 49 50 51 52 53 54 55 56 57 58 Wodon und Zaman 2010. FAO-Preisindex (http://faostat.fao.org/). Berechnet von Wodon und Zamam anhand von Daten aus Chen et al. 2008, der Weltbank und des IWF 2010. Weltbank und IWF 2010. Es wird erwartet, dass die Bemühungen zur Verminderung der Armut in Afrika durch die Krise einen Rückschlag erleiden, da ein jährliches Wachstum von mindestens 7 % als Voraussetzung betrachtet wird, um das Bevölkerungswachstum auszugleichen und bedeutende Erfolge bei der Verringerung des Ausmaßes von Hunger, Arbeitslosigkeit und Krankheiten zu erreichen. IAO 2010b. IAO 2010a,b. Siehe Friedman und Schady 2009, die ihre Berechnungen auf der Grundlage von Haushaltsangaben vornehmen. Bibi et al. 2010. Siehe von Braun 2008 und Ardnt et al. 2008. Bakrania und Lucas 2009. Im African Economic Outlook (Afrikanischer Wirtschaftsausblick) (AfdB, OECD, UNECA 2010) wird über Demonstrationen berichtet, die auch 2009 noch anhielten und zu einem (geringen) Anstieg von Gewalttaten führten, deren Intensität im Durchschnitt jedoch unterhalb des Niveaus der vorhergehenden Jahren lag. 20 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Der Impuls für soziale Sicherung im subsaharischen Afrika Länder verstärkt der Sozialpolitik zugewandt. Im Ergebnis dessen wurden die Ausgaben für Soziales in den Bereichen Gesundheit und Bildung weitestgehend geschützt und verschiedene soziale Sicherungsprogramme erweitert und verstärkt.59 Einige Länder stockten ihre sozialen Ausgaben und sozialen Sicherungsprogramme als Teil ihrer Maßnahmen zur Konjunkturbelebung sogar auf. Südafrika setzte zum Beispiel 56 % seiner Konjunkturmaßnahmen für soziale Programme, unter anderem für bessere Leistungen im Gesundheits- und Bildungswesen, soziale Hilfe, öffentliche Beschäftigungsprogramme, Ernährung und HIV-Prävention ein.60 In ähnlicher Weise wurden 39 % der Mittel der Konjunkturpakets in Kenia für soziale Programme, insbesondere im Gesundheits- und Bildungswesen, verwendet. Die tansanische Regierung erhöhte 2009 ihre sozialen Ausgaben auf 28,5 % des BIP. Dabei stieg die Anzahl der Personen, die am nationalen Beschäftigungsförderungsprogramm teilnahmen und es wurden verschiedene Infrastrukturprojekte (in Höhe von 2,5 % des nationalen BIP) aufgelegt. Dies wirkte sich positiv auf die Beschäftigung, insbesondere auf dem Land, aus.61 In Nigeria wurden mit umfassenden Infrastrukturmaßnahmen (36,4 % des Gesamtpakets zur Konjunkturbelebung) überall im Land neue Arbeitsmöglichkeiten geschaffen.62 In Äthiopien wurde das 2005 eingerichtete Programm für produktive Sicherheitsnetze erweitert, um weitere 4,4 Millionen Menschen zu unterstützen.63 Da die Haushalte durch kurzfristige Maßnahmen stark belastet wurden, wird es für die Regierungen wahrscheinlich schwierig sein, diese sozialen Ausgaben langfristig aufrechtzuerhalten.64 Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die meisten SSA-Länder den Sturm der Finanzkrise scheinbar recht gut überstanden haben. Die Auswirkungen der Lebensmittel- und Ölkrise sowie die verringerten Wachstumsaussichten infolge der Nachwirkungen der globalen Finanzkrise können die menschliche Entwicklung und Armutsverringerung mittelfristig jedoch untergraben. Die jüngste Erweiterung verschiedener Sicherheitsnetze ist eine Chance, um die sozialen Sicherungssysteme zu verbessern und in der erneuten Wachstumsperiode als Mittel aufrechtzuerhalten, um dieses Wachstum inklusiver und mit haushaltspolitischer und administrativer Flexibilität zu gestalten. 1.4 ARGUMENTE FÜR DIE SOZIALE SICHERUNG IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA Dieser Bericht zeigt, dass die soziale Sicherung zwar kein Allheilmittel, aber als Bestandteil der Entwicklungspolitik dringend notwendig ist. Sie ist in allen sozialen Bereichen ein wichtiges Element, mit dem andere Maßnahmen zur Förderung einer inklusiven Entwicklung ergänzt bzw. in Gang gebracht werden. Es wäre falsch, eine Diskussion über das Ausmaß und die Art der politischen Maßnahmen zu beginnen, ohne zunächst zu untersuchen, wie die Menschen, Familien und Gemeinschaften sich selbst aktiv darum bemühen, ihre Gefährdung durch anhaltende Armut im subsaharischen Afrika zu verringern. Anstatt passiv auf Hilfe von außen zu warten, versuchen sie oft, die Folgen von Armut und Risiken mit den eigenen Mitteln ihrer Existenzgrundlage und durch ihre Netzwerke und Gemeinschaften zu begrenzen. Aus den Stärken und Schwächen dieser Maßnahmen lassen sich dann Schlüsse zur Gestaltung und Durchführung geeigneter politischer Maßnahmen ableiten. Einige dieser Maßnahmen werden in Kapitel 2 erörtert. Die Diskussion zeigt jedoch auch, dass die bestehenden Mechanismen nicht ausreichen, um arme und besonders schutzbedürftige Personen hinreichend zu schützen. Eine vorausschauende und spezifische Politik ist nach wie vor notwendig, um die Gefährdung und Armut im subsaharischen Afrika zu verringern. Als soziale Sicherung werden in diesem Bericht spezifische Aktionen bezeichnet, die darauf gerichtet sind, der Gefährdung des Lebens der Menschen entgegenzuwirken - durch Sozialversicherung, indem ihnen lebenslanger Schutz gegen Risiken und Widrigkeiten geboten wird, durch soziale Grundsicherung, indem Arme durch Sozialtransfers unterstützt und gefördert werden, und durch Inklusionsstrategien, um den Zugang marginalisierter Gruppen zu Sozialversicherung und sozialer Hilfe zu erleichtern. Dieser Bericht konzentriert sich auf staatliche Aktionen, also auf Programme und Maßnahmen von Regierungen und anderen staatlichen Agenturen zur Förderung und Erhöhung der sozialen Sicherung, aber auch auf Maßnahmen, die geeignete Rahmenbedingungen für soziale Sicherung fördern bzw. schaffen, indem beispielsweise private und gemeindebasierte Aktionen eingebunden werden. Diese Definition verweist auf folgende Hauptfunktionen: Angebot von Mechanismen, um schwere Notlagen für Arme und Nichtarme gleichermaßen angesichts ernster Risiken zu vermeiden, Bereitstellung von Mitteln zur Unterstützung der Armen in ihrem Bemühen, die Armut zu überwinden und ein besserer Zugang zu diesen Maßnahmen für marginalisierte Gruppen. Das bedeutet mehr als reine „Sicherheitsnetze“ zur Abfederung der Folgen schwerer Krisen, wenngleich solche Netze trotzdem Bestandteil der Strategien 59 60 61 62 63 64 Weltbank und IWF 2010. Zhang et al. 2009. IAO 2010b. IAO 2010b. Weltbank und IWF 2010. Anhand von Daten, die über die vergangenen Krisen in 11 SSA-Ländern (Burundi, Liberia, Madagaskar, Togo, Simbabwe, der Republik Kongo, Lesotho, Mali, Senegal, Tansania und Sambia) gesammelt wurden, kommen Prasad und Gerecke (2010) zu dem Schluss, dass in vielen Ländern die Tendenz besteht, ihre spezifischen Ausgaben für soziale Sicherung während der Krisen zu reduzieren, und sie danach anzuheben. Tatsächlich wird anhand jüngster von Oxfam veröffentlichter Daten erwartet, dass die Ausgaben für soziale Sicherung in Afrika von 0,94 % des BIP 2008 auf 0,61 % 2010 fallen werden. Es bleibt abzuwarten, ob sie sich nun wieder erhöhen (Oxfam 2010). E U R O P Ä I S C H E R 21 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 1 sein sollten, um die Menschen aus der Armut zu holen und es ihnen zu ermöglichen, auf produktive Weise von den Vorteilen des Aufschwungs zu profitieren. Soziale Sicherung ist kein Ersatz für Wirtschaftswachstum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Unterstützung wirtschaftlicher Aktivitäten der Armen. Er kann auch kein Ersatz für traditionelle wachstumsorientierte Investitionen, z.B. in die Infrastruktur und produktiven Bereiche sein. Das bedeutet aber nicht, dass soziale Sicherung mit wirtschaftlichem Wachstum unvereinbar wäre: In Kapitel 4 und 5 wird erläutert, dass viele dieser Programme nicht übermäßig teuer sein müssen. Beiträge zur lokalen Wirtschaft wirken sich über die erhöhte Nachfrage in der Regel positiv aus. Die Armen geben das meiste Geld der sozialen Transferleistungen vor Ort aus. So können gleichzeitig Vermögenswerte für die Zukunft aufgebaut werden. Soziale Sicherung kann vielmehr einen direkten Beitrag zum Wachstum leisten. Er ermöglicht die Bereitstellung von finanziellen Mitteln und Schutz vor Risiken bzw. Situationen, für die die Versicherungs- und Kreditmärkte oft keine Lösungen bieten, wie z.B. erhebliche Klima- oder Wirtschaftsschocks. Bei vorhandener sozialer Sicherung besteht die reale Chance, wirtschaftliche Risiken einzugehen oder Innovationen vorzunehmen, ohne sich der Gefahr einer völligen Verarmung auszusetzen. Wenn Mechanismen der sozialen Sicherung dort eingesetzt werden, wo der Markt versagt, können sie zur Steigerung von Effizienz und Wachstum führen. Soziale Sicherung dient oft auch als Ergänzungsmaßnahme für wachstumsorientierte Investitionen: Vom Schutz der Gesundheit und des Humankapitals sind längerfristig immense positive Auswirkungen zu erwarten - Kinder werden vor Notlagen bewahrt und ihre Lebenschancen erhöhen sich durch bessere Gesundheit, Ernährung und kognitive Entwicklung. Dadurch entsteht ein Humankapital, das Voraussetzung für zukünftiges Wachstum ist.65 Auf jeden Fall steht außer Zweifel, dass durch die direkte Weitergabe der Vorteile des Wachstums die Beteiligung der Armen am Wachstum verstärkt und die Millennium-Entwicklungsziele in greifbare Nähe rücken. Die soziale Sicherung ist allerdings kein Ersatz für eine Aufstockung der Investitionen in Gesundheit und Bildung oder anderen sozialen Bereichen. Allerdings kann durch sie der Nutzen der sozialen Ausgaben verstärkt werden, indem die Mittel zur Nutzung bestehender Dienste bereitgestellt werden, ohne dass Einschnitte in der Ernährung, Bildung oder anderen wichtigen Leistungen auferlegt werden. Teilweise wird sogar sichergestellt, dass Kinder von den Sozialausgaben profitieren, z.B. durch konditionierte Transferleistungen, wie sie zurzeit in Lateinamerika praktiziert werden. Durch Umverteilung und für spezifische Belange eingesetzte Mittel können soziale Sicherungsprogramme dazu beitragen, dass die Vorteile des Wachstums den am schutzbedürftigsten und oft ausgeschlossenen Gruppen zukommen (z.B. Frauen, Älteren, Behinderten und HIV/AIDS-Kranken) und damit als wichtiges Element zur Stärkung der Selbstbestimmung dieser Menschen und zur Förderung eines inklusiven Wachstums dienen. Soziale Sicherung kann daher eine zentrale Rolle bei der Entwicklung des sozialen Zusammenhalts und des Vertrags zwischen dem Staat und seinen Bürgern spielen. Indem der Staat seine Bürger schützt, kann er seine Aufgabe erfüllen und damit seine Rechtmäßigkeit untermauern. Dies ist besonders in fragilen Ländern von Bedeutung, wo der Aufbau staatlicher Institutionen eine der größten Herausforderungen darstellt. Durch Stärkung der sozialen Stabilität und politischen Verantwortung kann soziale Sicherung zur Nachhaltigkeit der gegenwärtigen Wachstumsphase in Afrika beitragen. Durch Bereitstellung direkter und indirekter Leistungen können so Teufelskreise der Armut durchbrochen werden. Soziale Sicherung ist auch eines der in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und anderen internationalen, regionalen und nationalen Gesetzen verankerten Grundrechte. Allzu oft ist sie jedoch in der Entwicklungsagenda als eine Art Luxusgut außer Acht gelassen worden, das vermeintlich nur in Ländern mit mittlerem oder höherem Einkommensniveau zu erreichen sei. Die Erfahrungen beweisen, dass soziale Sicherung auch in den Ländern im subsaharischen Afrika mit niedrigem Einkommensniveau bezahlbar und realistisch sein kann. 1.5 DER IMPULS FÜR SOZIALE SICHERUNG Das Interesse an sozialer Sicherung ist sowohl innerhalb des SSA als auch international gestiegen. Langsam aber kontinuierlich zeichnet sich ein Konsens unter den vielen Akteuren der Entwicklungspolitik darüber ab, dass soziale Sicherung nicht nur ein Recht, sondern auch ein unverzichtbares Instrument ist, um ein inklusives Wachstum unter Einbeziehung der Armen zu erreichen und zur Erfüllung der Millenniumsziele. 1.5.1 DER IMPULS IN AFRIKA 1.5.1.1 AUF DEM WEG ZU EINER GESAMTAFRIKANISCHEN SOZIALEN SICHERUNGSAGENDA In den letzten Jahren haben afrikanische Regierungen wichtige Schritte zu einem Konsens über den Bedarf und das Ausmaß von sozialer Sicherung in Afrika unternommen. Die Erklärung von Ouagadougou und der Aktionsplan von 2004 können als erste Meilensteine zur Entwicklung einer umfassenden gesamtafrikanischen sozialen Sicherungsagenda seit der Gründungsakte der Afrikanischen Union von 65 Spence (Chair). 2008. 22 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Der Impuls für soziale Sicherung im subsaharischen Afrika 2000 gewertet werden. Die Hauptbotschaft der 3. Außerordentlichen Sitzung der Versammlung der Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Union ist die Stärkung der Kapazitäten der Menschen, die Schaffung von Arbeitschancen sowie die Erweiterung von sozialer Sicherung und Sicherheit bei gleichzeitiger Förderung der Agenda für menschenwürdige Arbeitsplätze.66 Im März 2006 richteten die AU und die sambische Regierung eine zwischenstaatliche regionale Konferenz über „eine Umgestaltungsagenda für das 21. Jahrhundert: Argumente für grundlegende soziale Sicherung in Afrika“ aus. Im Ergebnis entstand der Aktionsaufruf von Livingstone als wesentlicher Meilenstein auf dem Weg Afrikas zur sozialen Sicherung. Die Vereinbarung besagt, dass soziale Sicherung Bestandteil einer Agenda zur Stärkung der Selbstbestimmung und der Rechte der Menschen ist, soziale Transferleistungen zur Armutsbekämpfung und Wachstumsförderung dienen und nachhaltige grundlegende soziale Transferleistungen bezahlbar sind. Zwecks Umsetzung sind die afrikanischen Regierungen angehalten, nationale Pläne für soziale Transferleistungen aufzustellen, die in die nationalen Entwicklungs- und Haushaltspläne integriert werden.67 Einige Monate später wurden im September 2006 im Aktionsaufruf von Yaoundé die Bedeutung der sozialen Sicherung erneut hervorgehoben und insbesondere umfassende soziale Sicherungssysteme für ältere Menschen, vor allem in Form universeller Renten, sowie die Schaffung breiter nationaler Koordinationsrahmen gefordert.68 2008 griff der Ausschuss für Soziales der AU diese Vorgaben auf und leitete den so genannten Livingstone-2-Prozess ein. In Zusammenarbeit mit HelpAge International und den Gastgeberregierungen organisierte es sechs nationale (Burkina Faso, Kamerun, Mosambik, Ruanda, Sierra Leone und Tunesien) und drei regionale (Östliches und Südliches Afrika, Nordafrika und West- und Zentralafrika) Dialoge über „Investitionen in soziale Sicherung in Afrika“.69 Dieser Prozess führte zur Überarbeitung des Sozialpolitischen Rahmens für Afrika, der zunächst 2005 in Johannesburg vorgestellt und schließlich auf der ersten Ministerkonferenz der AU für Soziale Entwicklung im Oktober 2008 in Windhuk, Namibia, angenommen wurde. Der Rahmen ist ein wichtiges übergreifendes Dokument, das 18 Prioritätsbereiche, unter anderem soziale Sicherung, enthält. Darin wird für ein „Mindestpaket grundlegender sozialer Sicherungsmaßnahmen“ plädiert, das „Grundleistungen der Gesundheitsfürsorge für Kinder, informelle Arbeitnehmer, Arbeitslose, Ältere und Menschen mit Behinderungen“ abdecken und „bedeutende Auswirkungen auf die Armutsreduzierung, die Verbesserung des Lebensstandards, den Abbau von Ungleichheit und die Förderung von Wirtschaftswachstum“ haben soll. Ein solches Packet gilt als bezahlbar und soll als „Plattform für die Erweiterung und den Ausbau von sozialer Sicherung im Zuge eines größeren fiskalischen Spielraums“ dienen. Zu diesem Zweck empfiehlt das Rahmenwerk, dass die nationalen Regierungen die soziale Sicherung als Verpflichtung des Staates betrachten, ihn durch entsprechende Gesetzesbestimmungen untermauern und in ihre nationalen Entwicklungspläne und Strategiedokumente zur Armutsbekämpfung (Poverty Reduction Strategy Papers, PRSPs) aufnehmen, die bestehenden sozialen Sicherungsprogramme überprüfen und reformieren, Kostenpläne aufstellen und ein Mindestpaket von Maßnahmen im nationalen Haushalt berücksichtigen.70 Im Zuge des Rahmens für soziale Sicherung gab die AU eine Studie in Auftrag, um Informationen über die nationalen sozialen Sicherungsprogramme zu sammeln und diese den Bürgern stärker bekannt zu machen.71 In dieser Hinsicht nimmt die Beteiligung der panafrikanischen Zivilgesellschaft mit der Einrichtung der Plattform der Afrikanischen Zivilgesellschaft für soziale Sicherung 2008 zu. Auf dem Kontinent fanden zahlreiche Veranstaltungen im Zusammenhang mit sozialer Sicherung statt, zu denen insbesondere die 2. Sitzung der Konferenz der für Soziale Entwicklung verantwortlichen Minister der AU im November 2010 gehört.72 Die daraus resultierende Erklärung von Khartum über Sozialpolitische Aktionen zur Förderung der sozialen Integration bekräftigt das afrikanische Engagement für „die zügige Umsetzung relevanter sozialer Sicherungsmaßnahmen, die direkt den Familien in Afrika zugute kommen sollen“,73 wobei insbesondere Menschen mit Behinderungen, Kinder und Ältere im Mittelpunkt stehen. Der Aufbau einer gesamtafrikanischen sozialen Sicherungsagenda setzt sich also bis heute unvermindert fort. 1.5.1.2 VERANKERUNG DER SOZIALEN SICHERUNG AUF SUBREGIONALER EBENE Der Impuls für soziale Sicherung hat sich auch innerhalb regionaler Gemeinschaften verstärkt. Besonders die Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrikas (Southern African Development Community, SADC) hat im Bereich der sozialen Sicherung eine starke Führungsrolle übernommen. So besagt Artikel 10 der Charta der Sozialen Grundrechte in der SADC von 2003, dass „die Mitgliedsstaaten ein geeignetes Umfeld schaffen sollen, damit alle Arbeitnehmer in der Region das Recht auf angemessenen soziale Sicherung haben“.74 Im Kodex für soziale Sicherung in der SADC von 2007 steht, dass die soziale Sicherung 66 67 68 69 70 71 72 73 74 Taylor 2009, S. 25-26. Aktionsaufruf von Livingstone, Sambia, 23. März 2006. Aktionsaufruf von Yaoundé, Kamerun, 13. September 2006. Afrikanische Union und HelpAge 2008. Afrikanische Union 2008. § 2.2.3. Diese Studie erschien 2009 (Taylor 2009). Unter anderem: Erste Internationale Vereinigung für soziale Sicherung „Regionales Forum für soziale Sicherung für Afrika“, Kigali (Ruanda) 2008; „Zweites Afrikanisches Symposium über menschenwürdige Arbeitsplätze“ in Yaoundé (Kamerun) im Oktober 2010; „Weltforum für soziale Sicherung“ in Kapstadt (Südafrika) im Dezember 2010. Afrikanische Union 2010a. Um die soziale Grundsicherung (Social Protection Floor) so schnell wie möglich umzusetzen, wurde vereinbart, Programme zur Kapazitätssteigerung für Mitgliedstaaten aufzunehmen und zu entwickeln, Daten über soziale Sicherungssysteme zu sammeln und bewährte Praktiken zu verbreiten sowie den Grundsatz der sozialen Grundsicherung zu verwirklichen, d. h. die Investitionen im sozialen Bereich zu erhöhen und die sozialpolitischen Maßnahmen auf regionaler Ebene aufeinander abzustimmen. (Afrikanische Union 2010b). SADC 2003. E U R O P Ä I S C H E R 23 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 1 „alle Formen sozialer Sicherheit einschließt, über das Konzept der sozialen Sicherheit jedoch hinausgeht. Sie umfasst auch soziale Dienstleistungen und entwicklungsorientierte Sozialleistungen und ist nicht auf den Schutz gegen mögliche Einkommensverluste aufgrund unvorhergesehener Ereignisse beschränkt. Das Ziel besteht deshalb im Ausbau des menschlichen Wohlergehens“.75 Um das Engagement für diese breitere Sichtweise zu stärken, kündigte das Parlamentarische Forum der SADC an, dass es darauf hinwirken wird, soziale Sicherung in den nationalen Verfassungen zu verankern.76 Kasten 1.3: Das Recht auf soziale Sicherung in den Verfassungen des subsaharischen Afrikas Verschiedene SSA-Verfassungen enthalten - mit unterschiedlicher Deutlichkeit - eine feierliche Erklärung des Rechts auf soziale Sicherung, wobei der Gesetzgeber in der Handlungspflicht ist und die Bürger erwarten können, dass sie Zugang zu grundlegender sozialer Sicherheit erhalten. Die Verfassungen von Südafrika und Kenia bieten interessante Beispiele dafür, wie das Recht auf soziale Sicherheit in einen verfassungsmäßigen Rahmen gestellt werden kann. Die südafrikanische Verfassung der Post-Apartheid-Ära von 1996 enthält eine Grundrechtecharta, die besagt, dass „alle Menschen das Recht auf Zugang zu sozialer Sicherheit, einschließlich angemessener Sozialhilfe haben, wenn sie nicht in der Lage sind, ihre eigene Existenz und die der von ihnen abhängigen Personen sicherzustellen“ (Artikel 27 § 1c). Es wird jedoch darauf hingewiesen, dass der Staat nur die Pflicht hat, „vernünftige gesetzliche Maßnahmen (eigene Hervorhebung) innerhalb seiner verfügbaren Ressourcen zu ergreifen, um eine fortschreitende Verwirklichung dieser einzelnen Rechte zu erreichen“ (Art. 27 § 2). Die kenianische Verfassung von 2010, die in einer Volksbefragung von 67 % der kenianischen Wähler angenommen wurde, gibt „jedem Menschen“ eine Reihe wirtschaftlicher und sozialer Rechte, einschließlich des Rechts auf soziale Sicherung (Artikel 43 § 1e). Sie besagt weiterhin, dass „der Staat eine geeignete soziale Sicherheit für Menschen gewährleistet, die ihre eigene Existenz und die der von ihnen abhängigen Personen nicht gewährleisten können“ (Artikel 43 § 3). Die meisten SSA-Verfassungen enthalten jedoch noch kein spezifisches Recht auf soziale Sicherheit. Stattdessen enthalten sie in der Regel weniger verbindliche Hinweise auf das Ziel der sozialen Gerechtigkeit und der Absicherung von schutzbedürftigen Personen. Oder sie sagen lediglich aus, dass die Durchsetzung von Bestimmungen zur sozialen Sicherheit der Zuständigkeit des Parlaments unterliegt, wodurch kein Recht gewährt, sondern lediglich die Zuständigkeit zwischen den verschiedenen staatlichen Einrichtungen geregelt wird. Bei solchen Verfassungen liegt die Zuständigkeit für Entscheidungen über Ansprüche der sozialen Sicherheit normalerweise beim Gesetzgeber, der lediglich im Rahmen der dazu bestehenden gesellschaftspolitischen und wirtschaftlichen Voraussetzungen handelt. Soziale Sicherung gehört auch zu den prioritären Kooperationsbereichen der Ostafrikanischen Gemeinschaft (OAG): Artikel 39 des Protokolls über die Einrichtung des Binnenmarktes der Ostafrikanischen Gemeinschaft fordert die „Angleichung der Sozialpolitik“, einschließlich der Umsetzung von „Programmen für den Ausbau und die Verbesserung der sozialen Sicherung“.77 Die OAG hat sich kürzlich insbesondere dazu verpflichtet, die soziale Sicherung für Personen mit Behinderungen zu verbessern.78 Die Zwischenstaatliche Entwicklungsbehörde konzentriert sich unterdessen auf die Verbindung zwischen sozialer Sicherung und Ernährungssicherheit: Das regionale Programm für Ernährungssicherheit und Risikomanagement79 enthält eine soziale Sicherungskomponente mit dem Ziel, Strategien und Reformen der sozialen Sicherung in der Region zu entwickeln. Die Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten hat sich bislang hauptsächlich auf die Angleichung der Arbeitsgesetzgebung und des Schutzes der Kinder konzentriert,80 während die Westafrikanische Wirtschaftsund Währungsunion 2009 einen regionalen Rahmen für die „Mutuelles de Santé“ (Krankenkassen) schuf und nun an der Umsetzung und Erweiterung des sozialen Gesundheitsschutzes arbeitet.81 Diese ausgewählten Initiativen verdeutlichen das wachsende subregionale Engagement für soziale Sicherung sowie die Vielfalt der Ansätze und Prioritäten in den unterschiedlichen Subregionen des SSA. 1.5.1.3 DIE NATIONALE EBENE: PRAKTISCHE UMSETZUNG DER SOZIALEN SICHERUNG Die Konsultationen der AU, die 2008 mit der Unterstützung durch HelpAge International stattfanden, verdeutlichten, dass umfassende nationale soziale Sicherungsstrategien entwickelt und soziale Sicherung in die nationalen Entwicklungspläne bzw. die 75 76 77 78 79 80 81 SADC 2007. Bafana 2010. OAG 2009. Artikel 39 § 3h. Das Protokoll wurde von den Staatschefs der OAG am 20. November 2009 angenommen und unterzeichnet: Es trat am 20. Mai 2010 in Kraft. „Die OAG setzt sich für die Verbesserung der sozialen Sicherung für Menschen mit Behinderungen in Ostafrika ein“, www.newstimeafrica.com/. Regionales Programm für Ernährungssicherheit und Risikomanagement. Deacon et al. 2010, „Abteilung für humane und soziale Angelegenheiten“: http://ww.comm.ecowas.int/. http://learning.itcilo.org/ilo/step/mutuellesdesante/ und internes Dokument der Französischen Agentur für Entwicklungshilfe. 24 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Der Impuls für soziale Sicherung im subsaharischen Afrika Strategiedokumente zur Armutsbekämpfung (PRSP) aufgenommen werden muss. Wie Mutangadura betonte, „legen die nationalen Entwicklungspläne und PRSP die Strategie und Prioritäten für die öffentlichen Ausgaben fest und können beispielgebend zeigen, wie soziale Sicherung in allen relevanten Sektoren berücksichtigt werden kann“.82 Viele SSA-Länder haben mittlerweile in ihren PRSP einen Abschnitt über soziale Sicherung aufgenommen: So war die soziale Sicherung beispielsweise im ersten PRSP von Burkina Faso 2000 nicht enthalten, wurde aber in der zweiten PRSP-Generation (2004-10) unter dem Ziel der „Gewährleistung des Zugangs zu grundlegenden sozialen Diensten und sozialer Sicherung für die Armen“ aufgenommen und wird in der dritten Generation voraussichtlich einen noch stärkeren Stellenwert einnehmen. Was die nationalen Entwicklungsstrategien betriff t, so war Tansania 2005 eines der ersten Länder, die soziale Sicherung in ihrer Nationalen Entwicklungsstrategie für Wachstum und Armutsbekämpfung (bekannt als Mkukuta) aufnahmen. Ruanda und Sambia folgten diesem Beispiel.83 Kasten 1.4: Jüngste Perspektiven zur sozialen Sicherung im subsaharischen Afrika Im letzten Jahrzehnt hat sich der Impuls für soziale Sicherung im SSA verstärkt, wie es auch aus den Hinweisen zur sozialen Sicherung als Schlüsselstrategie in den „Strategiedokumenten zur Armutsbekämpfung“ (PRSP) hervorgeht. Auch wenn die Annahme von PRSP durch Auflagen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds zustande kamen, lässt die Vielfalt der Perspektiven und die Definition von sozialer Sicherung durchaus vermuten, dass einheimische Prozesse und Präferenzen eine Rolle spielten.84 Die PRSP bieten zudem die Chance, die soziale Sicherung als Thema auf die politische Agenda zu bringen.85 Nicht alle Regierungen haben der sozialen Sicherung in ihren PRSP den gleichen zentralen Stellenwert beigemessen. Einige Definitionen sind eher knapp und unbestimmt, wie im Fall von Nigeria oder der Republik Benin, wo lediglich auf soziale Sicherung als „alle Systeme und Maßnahmen, die Sozialhilfe und verschiedene soziale Dienste bieten“ verwiesen wird, was eine lediglich begrenzte spezifische Rolle der sozialen Sicherung innerhalb der Sozialpolitik insgesamt vermuten lässt. In anderen Definitionen kommt ein entschlosseneres Engagement zum Ausdruck und die Aussagen kommen den international vereinbarten Definitionen näher: Soziale Sicherung besteht aus einer Reihe von Instrumenten, ihr Ziel ist die Überwindung der Gefährdung und Armut, es gibt bestimmte Personengruppen, die abgedeckt werden müssen. Alle PRSPDefinitionen beziehen sich hauptsächlich auf Armut, während die Gefährdung durch Risiken nicht so stark im Vordergrund steht. Benin, Côte d’Ivoire, Kap Verde und Uganda haben in ihren Definitionen Personengruppen aufgelistet, die schutzund förderungsbedürftig sind. Das PRSP in Tansania ist das einzige Dokument, in dem die Rolle traditioneller informeller Mechanismen der sozialen Sicherung ausdrücklich erwähnt wird, während lediglich die PRSP der Republik Benin und von Kap Verde auf die bereits in den sozialen Sicherungssystemen ihrer Länder erzielten Fortschritte hinweisen.86 Viele afrikanische Länder haben zudem in den letzten fünf Jahren auch eine eigene soziale Sicherungsstrategie entworfen und angenommen. In dieser Hinsicht wurden möglicherweise durch die Verbesserungen in demokratischer Regierungsführung Räume für soziale Sicherung auf der politischen Agenda geschaffen, da die Regierungen zunehmend für die Erfüllung ihrer Seite des Sozialvertrags in die Verantwortung genommen werden. Ghana nahm 2007 seine Nationale soziale Sicherungsstrategie an. Dieses umfassende, auf der Gewährung von Rechten basierende Dokument entstand im Ergebnis eines langen und inklusiven Prozesses. Die Strategie ist Bestandteil des staatlichen Entwicklungsrahmens und der Haushaltsaufstellung und enthält auch einen Überwachungs- und Evaluierungsmechanismus. Es gibt zahlreiche Beispiele für die „Institutionalisierung“ der sozialen Sicherung. Allen voran stehen die Länder Burkina Faso, Ghana, Kenia, Mosambik, Ruanda, Sierra Leone und Uganda, in denen eine Agenda, Strategien oder Systeme der sozialen Sicherung entweder bereits bestehen oder gerade eingerichtet werden. Während die Bedeutung politischer Rahmen nicht von der Hand zu weisen ist, kommt es jedoch darauf an, wie die Umsetzung abläuft. Das Engagement wird nicht immer sofort und effektiv vor Ort umgesetzt. Andererseits gibt es einige Länder, die noch keinen umfassenden Rahmen für soziale Sicherung haben, jedoch bereits bahnbrechende Initiativen auf den Weg brachten. Neben den bereits verankerten traditionellen und informellen Netzen der sozialen Sicherung wurden in vielen Teilen des SSA in den jüngsten Jahren viele weitere soziale Sicherungsmechanismen umgesetzt, einschließlich Geldzahlungen und Lebensmittellieferungen, staatliche Bauprogramme, Renten und Beihilfen, Krankenversicherungen auf Gemeindeebene, Mikroversicherungen, Schulspeisung und Anschub-Subventionen. Während es also noch breiten Raum für Verbesserungen gibt, ist die soziale Sicherung zumindest in vielen Ländern des SSA bereits verankert. 82 83 84 85 86 Mutangadura 2008. Sambia: Fünfter Nationaler Entwicklungsplan 2006-10. Ruanda: Strategie zur wirtschaftlichen Entwicklung und Armutsbekämpfung 2008-12. Alle HIPC-Dokumente sind einzusehen unter http://www.imf.org/external/np/hipc/index.asp. Oduro 2010. Siehe Brunori und O’Reilly 2010 zwecks ausführlicher Liste der Definitionen. E U R O P Ä I S C H E R 25 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 1 1.5.2 DIE DYNAMIK IN DER GLOBALEN ENTWICKLUNGSAGENDA 1.5.2.1 INITIATIVEN ZUR ÜBERWINDUNG DER KRISEN Soziale Sicherung ist in der UNO-Agenda verankert. Die Vereinten Nationen haben ein Mandat zur Förderung und Durchsetzung eines Ansatzes zur Verwirklichung von Rechten, wobei das Recht auf soziale Sicherung in verschiedenen UN-Verträgen verankert ist. Besonders wichtig ist die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die besagt, dass „jeder als Mitglied der Gesellschaft Recht auf soziale Sicherung hat“ (Art. 22), und dass „jeder Mensch das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard hat, der seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden gewährleistet“ (Art. 25).87 Soziale Sicherung ist auch einer der vier Säulen menschenwürdiger Arbeit, die wiederum im Mittelpunkt der MDG (Ziel 1B) steht.88 Die IAO leitete 2002 eine Globale Kampagne für Soziale Sicherung und Sozialschutz für Alle ein, wobei sie die soziale Sicherung ausdrücklich mit der Erreichung der MDG verknüpfte. Die darauf folgende Debatte über eine Globale Soziale Mindestsicherung (Global Social Floor) entfachte sich erneut infolge der Krisen. Im April 2009 einigte sich der Koordinierungsrat der Leiter der Organisationen der Vereinten Nationen auf neun globale Initiativen zur Überwindung der Krisen, zu denen auch eine „soziale Mindestsicherung“ gehört. Die soziale Mindestsicherung wurde seitdem von vielen SSA-Ländern und anderen internationalen Akteuren der Entwicklungspolitik unterstützt. Insbesondere hieß es im Dokument über die Ergebnisse des MDG-Gipfels im September 2010, dass „die Förderung eines universellen Zugangs zu sozialen Diensten und die Bereitstellung einer sozialen Mindestsicherung einen wichtigen Beitrag zur Konsolidierung und Erreichung weiterer Fortschritte in der Entwicklung leisten können“.89 Kasten 1.5: Die gemeinsame UN-Initiative zur Förderung einer sozialen Mindestsicherung Abteilung soziale Sicherheit (SEC/SOC) der Internationalen Arbeitsorganisation Die UN-Initiative zur Förderung einer sozialen Mindestsicherung fördert eine übergreifende Vision nationaler sozialer Sicherungssysteme als wesentlichen Bestandteil der nationalen Entwicklungsstrategien. Ihr Ziel ist es, die Länder bei der Feststellung und Überwindung von Defiziten bei der sozialen Sicherung durch kohärente und wirksame Maßnahmen zu unterstützen, um die Ergebnisse der begrenzten Ressourcen bei der Verringerung von Armut und Unsicherheit zu optimieren und so einen wirklichen Zugang zu den Dienstleistungen und wesentlichen sozialen Transferleistungen zu sichern. Der Begriff soziale Mindestsicherung bringt den Gedanken einer globalen Sozialpolitik zum Ausdruck, die umfassende und kohärente Strategien auf nationaler Ebene fördert, um allen Menschen den Zugang zu grundlegenden Mindestdienstleistungen und Einkommenssicherheit zu garantieren. Die gemeinsame Initiative zielt auf die Koordination der Kapazitäten, Ressourcen und Aktionen der Vereinten Nationen sowie bilateraler Akteure ab, die sich der Initiative anschließen. Außerdem soll die Übereinstimmung der Maßnahmen der Staaten und nationalen Akteure gefördert werden. Der Zweck besteht darin, nicht eine einzige Lösung, sondern eine flexible Reihe von Garantien zu fördern, die zur Wahrung der Menschenrechte beitragen: • Einige grundlegende öffentliche Dienstleistungen: Zugang zu geografischen und finanziellen Diensten (wie Wasserversorgung und Kanalisation, Gesundheitsfürsorge und Bildung). • Soziale Transferleistungen: Bestimmte grundlegende soziale Transferleistungen an arme und gefährdete Personen, um ein Mindestmaß an Einkommenssicherheit und Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung zu gewährleisten. Die Initiative für eine gemeinsame Mindestsicherung bietet Staaten, Sozialpartnern und Akteuren der Zivilgesellschaft Unterstützung bei der Schaffung von sozialer Sicherung für alle an, was eine der Säulen der jüngsten Strategien zur Armutsbekämpfung ist. Verschiedene Länder des subsaharischen Afrikas haben sich der Initiative angeschlossen. In Burkina Faso kommen die Agenturen der Vereinten Nationen, die Delegation der Europäischen Kommission, der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds (IWF) und bilaterale Partner wie Kanada und die Niederlande regelmäßig zusammen, um ihre Aktivitäten im Bereich der sozialen Sicherung zu bündeln. Diese Arbeitsgruppe wird durch einen interministeriellen Ausschuss (unter Leitung des Ministeriums für Wirtschaft und Finanzen) unterstützt, der für den Entwurf der wichtigsten Prioritäten der sozialen Sicherung im Rahmen der Strategie für beschleunigtes Wachstum und nachhaltige Entwicklung von Burkina Faso (SCADD 2011-15, dritte Generation der strategischen Armutsbekämpfungsdokumente) zuständig ist und die Entwicklung der nationalen sozialen Sicherungspolitik leitet. Eine erste Prüfung der laufenden sozialen Sicherungsprogramme (Weltbank und UNICEF 2010), die auf einem nationalen Forum im April 2010 diskutiert wurde, 87 88 89 Siehe auch Kasten 3.3. Die Agenda für menschenwürdige Arbeit beruht auf vier Säulen: Arbeitsnormen und -rechte, Schaffung von Arbeitsplätzen und Unternehmensentwicklung, soziale Sicherung, sozialer Dialog. MDG-1, Ziel 1B: “Erreichung von voller und produktiver Beschäftigung und menschenwürdiger Arbeit für alle, einschließlich Frauen und Jugendlicher”. Generalversammlung der Vereinten Nationen 2010. 26 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Der Impuls für soziale Sicherung im subsaharischen Afrika zeigt, dass selbige oft fragmentiert und im kleinen Maßstab ablaufen, was die Bedeutung einer einheitlichen und kohärenten Politik unterstreicht. Das geprüfte System in Burkina Faso zielt darauf ab, die Stärken der verschiedenen Programme auszunutzen und Einschränkungen zu überwinden. Deshalb geht es weniger darum, das gesamte Versicherungs-Knowhow oder die Leitung aller sozialen Sicherungsmechanismen zusammenzuführen, sondern vielmehr um die breite Anwendung dieser Kenntnisse und Erfahrungen auf die verschiedenen Programme. Das Ziel besteht ebenfalls darin, die gesundheitliche Betreuung der Arbeitnehmer im formellen Sektor zu erweitern und den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen für Menschen der informellen Wirtschaft und in ländlichen Bereichen zu verbessern. Der Aufbau einer sozialen Mindestsicherung erfolgt nach und nach. Der Zugang zu wesentlichen Gesundheitsdiensten ist in der Regel gleich zu Beginn von höchster Priorität. Verschiedene SSA-Länder, u.a. Mali, Benin, Ghana, Côte d’Ivoire, Ruanda und Burkina Faso haben einen pluralistischen Ansatz entwickelt, der auf der Synergie zwischen traditionellen Mechanismen der sozialen Sicherheit, Mikroversicherungen und sozialen Transferleistungen beruht. Diese Mechanismen der herkömmlichen Versicherung, der Mikroversicherung und freien Fürsorge bestehen oft bereits vereinzelt und mitunter sogar in Konkurrenz zueinander und können nur in Ergänzung die Ausweitung der sozialen Sicherung bewältigen. Die Grundsätze der Universalität, Fortschrittlichkeit und des Pluralismus untermauern den Gesamtaufbau der Mindestsicherung. Sie beruhen auch auf zwei Dimensionen der sozialen Grundsicherung: Vertikal verstärken sie die Garantien in der formellen Wirtschaft, und horizontal fördern sie das Recht aller Menschen auf ein Mindestmaß an sozialer Sicherung. Die Initiative wird von einer Koalition aus 19 Agenturen der Vereinten Nationen, verschiedenen bilateralen (Belgien, Deutschland, Vereinigtes Königreich, Finnland, Portugal…) und multilateralen (AEB, Europäische Union…) Gebern sowie von internationalen nichtstaatlichen Organisationen unterstützt. Andere, wie die G20, die OECD oder der IWF, haben das Konzept entweder bestätigt oder zugesagt, es zu prüfen. Im Oktober 2010 nahmen die Delegierten der drei Seiten aus 47 afrikanischen Mitgliedsstaaten der Internationalen Arbeitsorganisation die Erklärung von Yaoundé über die Umsetzung der sozialen Grundsicherung an. Neben der Sozialen Mindestsicherungsinitiative der UNO haben multilaterale (AEB, IWF, WB), bilaterale (EU und Mitgliedstaaten, die australische Agentur für internationale Hilfe, die kanadische internationale Entwicklungsagentur, die japanische Agentur für internationale Kooperation, die norwegische Agentur für Entwicklungszusammenarbeit, die Entwicklungsbehörde der Vereinigten Staaten) und nichtstaatliche (Save the Children, Care International, HelpAge International) Entwicklungsakteure ihre Unterstützung für Maßnahmen zur sozialen Sicherung (erneut) zugesagt. Während sich einige bereits vorher engagiert hatten (insbesondere das britische Ministerium für internationale Entwicklung, die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit, die Schwedische Internationale Behörde für Entwicklungszusammenarbeit, die Weltbank, nichtstaatliche Organisationen), rief die rasche Aufeinanderfolge der drei Krisen in der Tat eine neue Welle des Interesses und des Engagements hervor. Im April 2009 sagte die G20 50 Mrd. USD Unterstützung für soziale Sicherung zu, um „eine gerechte und nachhaltige Konjunkturerholung für alle zu gewährleisten“.90 Gleichzeitig verpflichteten sich die EU und ihre Mitgliedstaaten zu Maßnahmen, um die Entwicklungsländer bei der Bewältigung der Krise zu unterstützen und ihre sozialen Sicherungssysteme zu stärken.91 Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank haben ebenfalls für mehr soziale Sicherung und Sicherheitsnetze plädiert, wobei letztere ihre Absicht ankündigte, ihre Unterstützung innerhalb von zwei Jahren zu verdreifachen (12 Mrd. USD für 2009-2010).92 1.5.2.2 AUF DEM WEG ZU EINEM GLOBALEN KONSENS FÜR SOZIALE SICHERUNG? Internationale Akteure arbeiten im Rahmen klarer Definitionen und Vorstellungen von sozialer Sicherung,93 fördern unterschiedliche Ansätze und Instrumente (Pilotprojekte oder Rahmenwerke, konditionierte oder nicht konditionierte Geldleistungen, zielgerichtete oder universelle Maßnahmen, rechtebasierte oder Bottom-up-Ansätze). Ihre Tätigkeit erstreckt sich auf ganz unterschiedliche Regionen. Die politischen Maßnahmen und Praktiken sind zwar unterschiedlich, beruhen jedoch auf einer recht breiten gemeinsamen Basis. Zwischen den Organisationen und Gruppierungen wurde eine Art Konsens erreicht: Die UNO-Initiative zur sozialen Mindestsicherung ist ein gemeinsames und systemübergreifendes Anliegen unter Mitwirkung von 19 UNO-Agenturen;94 Die Mitglieder des OECD90 91 92 93 94 G-20 2009. Rat der Europäischen Union 2009. Pressekonferenz des Entwicklungsausschusses, Äußerungen des Präsidenten der Weltbank, R. Zoellick, 26.04.09. Siehe Brunori und O’Reilly 2010 zwecks Überblicks der Definitionen. IAO, WHO (führend), FAO, IWF, OHCHR, UNAIDS, UNDESA, UNDP, UNESCO, UNFPA, UN-HABITAT, UNHCR, UNICEF, UNODC, Regionale Kommissionen der UNO, UNRWA, WFP, WMO, WB. E U R O P Ä I S C H E R 27 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 1 DAC haben 2009 eine gemeinsame politische Stellungnahme über soziale Sicherung angenommen;95 Die soziale Sicherung steht im Mittelpunkt der sozialen Entwicklungsstrategien Indien-Brasilien-Südafrika (IBSA);96 und wie oben dargestellt haben sich die 53 AU-Staaten hinter den Sozialpolitischen Rahmen für Afrika gestellt. Bei diesen Verpflichtungen gibt es viele Ähnlichkeiten. Zum Beispiel weisen das „Mindestpaket“ der AU und die „soziale Mindestsicherung“ der UNO ähnliche Konzepte auf. Im breiteren Sinn laufen diese Plattformen in verschiedenen Fragen auf eine gemeinsame Richtung hinaus: Die „mehrfachen positiven Auswirkungen“ (AU) der sozialen Sicherung als Instrument des „Wachstums zum Nutzen der Armen“ (OECD); die Notwendigkeit, von „Vorzeigeprojekten“ (IBSA) zu einem „umfassenden Ansatz der sozialen Sicherung überzugehen“ (UNO), unter Einsatz der „günstigsten Kombination von Instrumenten“ und unterstützt durch „umfassende langfristige nationale Aktionspläne zur sozialen Sicherung“ (AU); die Überzeugung, dass soziale Sicherungsprogramme bezahlbar sein können“ (OECD); „die Notwendigkeit einer bedeutenden Beteiligung des Staates“ (IBSA) und die Anerkennung, dass „soziale Sicherung eine staatliche Verpflichtung sein sollte, für die es Bestimmungen in der nationalen Gesetzgebung geben sollte“ (AU). Um diese Bemühungen zu vereinen, einigte sich die Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 2010 darauf, dass „Soziale Sicherungssysteme, die zum Abbau von Ungleichheit und sozialer Exklusion beitragen, eine wesentliche Voraussetzung sind, um die Fortschritte auf dem Weg zu den Millennium-Entwicklungszielen zu schützen“.97 Gleichfalls erklärten die Staats- und Regierungschefs der G20 im Entwicklungskonsens von Seoul (November 2010) die „Anerkennung der Bedeutung, dass die Belange der am stärksten gefährdeten Gruppen berücksichtigt werden“, wobei sie besonders ihre „Entschlossenheit“ betonten, soziale Sicherungsmechanismen zu schaffen, die ein stabiles und inklusives Wachstum fördern.98 Dieser sich abzeichnende Konsens kann durchaus einen Paradigmenwechsel einleiten, der über Sicherheitsnetze und Armutsbekämpfung hinausgeht und zur Durchsetzung einer breiteren Vision der sozialen Entwicklung führt.99 Bislang ist die soziale Sicherung trotz des zunehmenden Interesses „eine Angelegenheit, die als letzte auf die bereits überfüllte Agenda der Armutsbekämpfung gelangt ist und als unterste Komponente hinter Wachstum, guter Regierungsführung und einem breiteren Fokus auf der Armutsreduzierung rangiert“,100 ganz abgesehen von Sicherheit und internationaler Stabilität. 1.6 DIE UNTERSTÜTZENDE ROLLE DER INTERNATIONALEN ENTWICKLUNGSHILFE Es gibt noch viel zu tun, um den „Konsens“ vollständig in die Praxis zu überführen. Angesichts der bevorstehenden Herausforderungen müssen die afrikanischen Partner möglicherweise durch die internationale Gemeinschaft unterstützt werden. Es muss jedoch betont werden, dass sich das Verhältnis zwischen den „Gebern“ und den „Empfängern“ verändert.101 Die Pariser Erklärung von 2005 und die Erklärung von Accra 2008 haben die Prinzipien der Eigenverantwortlichkeit, der Anpassung und der gegenseitigen Verantwortung verankert, indem den Entwicklungsländern das Steuer in die Hand gegeben wird. Dies ist umso relevanter für die soziale Sicherung angesichts des bereits starken eigenen Engagements in Afrika. Die Geber (darunter die EU) können deshalb Unterstützung leisten, ihre Rolle sollte jedoch nicht überbewertet werden. 1.6.1 OFFIZIELLE ENTWICKLUNGSHILFE UND DARÜBER HINAUS Auf dem Gipfeltreffen in Gleneagles 2005 verpflichteten sich Mitglieder der G8, ihre öffentliche Entwicklungshilfe (Official Development Assistance, ODA) für Afrika bis 2010 zu verdoppeln. Diese Erhöhung würde sich auf etwa 25 Mrd. USD belaufen. Während die Frist näher rückt, geht die OECD davon aus, dass Afrika voraussichtlich nur 12 Mrd. USD erhalten wird, was in erster Linie daran liegt, dass einige bedeutende EU-Geber ihre gesteckten Ziele nicht erfüllen.102 Die Hilfsleistungen könnten sich außerdem dadurch weiter verringern, dass infolge der Krise die Fähigkeit (und Bereitschaft) vieler Regierungen des OECD-DAC gesunken ist, die ODA-Verpflichtungen zu erfüllen. Angesichts knapper Ressourcen und schwankendem politischen Willen wird ein bedeutender Anteil der Entwicklungshilfe möglicherweise dem Klimawandel zugeordnet, wodurch sich das „traditionelle“ Entwicklungshilfebudget weiter verringern könnte. Angesichts der Tatsache, dass die soziale Sicherung immer noch einen geringen Stellenwert auf der Entwicklungsagenda hat, könnte ihre Finanzierung in Gefahr geraten, was wiederum die Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit von sozialen Sicherungssystemen in von Entwicklungshilfe abhängigen SSA-Ländern beeinträchtigen könnte. 95 96 97 98 99 100 101 102 OECD 2009. IBSA 2010. Generalversammlung der Vereinten Nationen 2010. G20 2010a,b. Siehe beispielsweise: Mkandawire 2004 und 2007; Adesina 2010a,b; Deacon 2010. Hickey 2008, S. 257. Ganz abgesehen davon, dass sie ein und derselbe sein können. OECD 2010a. Frankreich, Deutschland, Italien, Österreich, Portugal und Griechenland werden das ODA-Ziel der EU von 0,51 % des BIP 2010 voraussichtlich nicht erreichen. Einige Mitgliedstaaten haben ihre Entwicklungshilfebudgets bereits gekürzt (Irland, Spanien), während andere ihre Verpflichtungen aufgeschoben haben (Frankreich). 28 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Der Impuls für soziale Sicherung im subsaharischen Afrika Es werden neue Lösungen geprüft und getestet, um die Finanzierungsdefizite in der Entwicklungszusammenarbeit zu überbrücken.103 Auf Vorschlag des Europäischen Rates legte die Europäische Kommission im April 2010 einen Bericht über die Prüfung innovativer Finanzierungsmechanismen und neuer potenzieller Optionen vor.104 Inzwischen wurde im September 2010 auf dem VN-Gipfeltreffen über die Millenniums-Entwicklungsziele der Vorschlag der Leading Group on Innovative Financing for Development (Pilotgruppe für innovative Entwicklungsfinanzierung) für eine „Globale Solidaritätsabgabe“ vorgestellt.105 Das Ergebnis dieses Vorschlags ist zwar noch ungewiss, aber die Idee innovativer Finanzierung setzt sich in der Entwicklungszusammenarbeit zweifelsohne immer mehr durch. 1.6.2 NEUE AKTEURE, NEUE REGELN Macht und Reichtum verändern sich auf globaler Ebene. In der Tat ist es so, dass „mit zunehmendem Machtverlust Europas und der Vereinigten Staaten die Regeln des internationalen Engagements selbst neu definiert werden“.106 Die globale Regierungsführung wird zunehmend multipolar geprägt, was radikale Veränderungen in der internationalen Entwicklungszusammenarbeit mit sich bringt. „Neue“ Geber (von denen einige eigentlich seit Jahrzehnten bereits als Geber auftraten), wie Brasilien, China, Indien, Kuwait, die Republik Korea, Saudi-Arabien, Südafrika, die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate und Venezuela, engagieren sich im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und stellen schätzungsweise 10 % der globalen öffentlichen Entwicklungshilfe, wobei dieser Anteil möglicherweise stark unterschätzt wird.107 Besonders beeindruckend ist die Tatsache, dass es jetzt mehr Länder außerhalb als innerhalb des DAC gibt, die Entwicklungshilfe leisten. Hinzu kommt, dass das Gesamtaufkommen der privaten Hilfe bereits die Hilfe des multilateralen Systems übersteigt und durchaus auch die bilaterale Hilfe übersteigen kann.108 „Traditionelle“ Geber (das heißt OECD-DAC-Mitglieder und verbundene Organisationen) haben somit ihre Monopolstellung in der internationalen Entwicklungshilfe eingebüßt und wirken nunmehr in einem stark veränderten Marktumfeld. Während die Budgets der DAC-Geber unter Druck stehen, spielen neue Akteure wie China, Indien bzw. einige private Akteure wie die Bill and Melinda Gates Foundation bei der Bereitstellung von Finanzierungsmitteln eine zunehmende Rolle. Die Veränderungen im Entwicklungsumfeld gehen über das Thema Geld hinaus. Neu auftretende Geber haben begonnen, die Spielregeln zu ändern, indem sie ihre Hilfe aufstockten und sie zu ihren eigenen Bedingungen bereitstellen.109 Neue Akteure agieren tatsächlich auf ganz andere Weise und stehen damit außerhalb der hart erkämpften unverbindlichen Bestimmungen und der Berichterstattungsnormen der ODA.110 Einerseits erhöht sich dadurch die Komplexität und mangelnde Rechenschaftspflicht der ohnehin schon unüberschaubaren Verwaltung der Entwicklungshilfe, die durch ständig neu hinzukommende Akteure und eine starke Fragmentierung der Maßnahmen gekennzeichnet ist. Andererseits verschaff t die neue Vielfalt der Entwicklungshilfe dem SSA und anderen Entwicklungsländern einen breiteren politischen Spielraum sowie neue Entwicklungsaussichten und Chancen. Die neuen Geber bieten eine Süd-Süd-Alternative mit Betonung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit, der politischen Solidarität und Nichteinmischung gegenüber der so genannten Nord-Süd-Sackgasse.111 Dies ist von besonderer Relevanz bei der Unterstützung für soziale Sicherung. Südliche Geber oder andere „Partner“ zeigen ein immer stärkeres ausdrückliches Interesse an der Unterstützung ihrer Entwicklungspartner im Bereich der sozialen Sicherung, nicht zuletzt, weil viele von ihnen - wie Indien, Brasilien und China - selbst die Entwicklung der sozialen Sicherung in den Entwicklungsländern maßgeblich vorangebracht haben. Indien, Brasilien und Südafrika legen zunehmenden Wert darauf, ihre eigenen Erfahrungen über die internationale Zusammenarbeit weiterzugeben.112 In der Tat hat sich Brasilien bereits aktiv für den Süd-Süd-Erfahrungsaustausch, wie z. B. über das „Kooperationsprogramm Afrika-Brasilien zur sozialen Entwicklung“, engagiert.113 Auch andere Länder, wie Mexiko und Chile, haben sich dem angeschlossen. Mit dem zunehmenden Engagement dieser „aufstrebenden“ südlichen Geber erweisen sich deren Ansätze, Modelle und Erfahrungen für ihre „Entwicklungspartner“, insbesondere im SSA, möglicherweise als äußerst relevant. 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113 In einem kürzlich erschienenen Bericht wird geschätzt, dass sich das Finanzierungsdefizit, das zur Erfüllung der internationalen Entwicklungshilfe- und Umweltverpflichtungen erforderlich ist, auf 324 - 336 Mrd. USD pro Jahr zwischen 2012 und 2017 belaufen könnte, wovon 156 Mrd. USD für den Klimawandel und 168 - 180 Mrd. USD für öffentliche Entwicklungshilfe gedacht sind. (Innovative Finanzierung für Entwicklungshilfe Führende Gruppe 2010, S. 4). Europäischer Rat 2009 § 27; Europäische Kommission 2010a. (Innovative Finanzierung für Entwicklungshilfe Führende Gruppe 2010, S. 4). Untersuchungsgruppe über die Zukunft der EU 2030 (2010). Siehe auch OECD 2010b. OECD 2010b, S. 87. Bader et al. 2010, S.10. Woods 2008, S. 1205. So tendieren sie beispielsweise dazu, „wenige der Menschenrechte, der Vorgaben für Regierungsführung und Umweltschutz zu verlangen, die von westlichen Gebern bevorzugt werden. Stattdessen geben sie beispielsweise Bedingungen für die Beschaffung vor“ (Fengler und Kharas 2010, S.10). Deacon 2007. IBSA 2010, IPC-IG 2010. Siehe Kapitel 6 Abschnitt 6.1.2.3. E U R O P Ä I S C H E R 29 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 1 1.6.3 FÖRDERUNG VON SOZIALER SICHERUNG IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA: WELCHE ROLLE KANN UND SOLLTE DIE EU ÜBERNEHMEN? Obwohl diese neuen Regeln einige Anpassungen erfordern, eröffnen sich dadurch auch neue Chancen. Die EU hat bereits mit der Einrichtung „trilateraler“ Entwicklungspartnerschaften begonnen114 und die Führung bei innovativen Finanzierungsformen übernommen.115 Das Wichtigste ist, dass das Verhältnis zwischen Afrika und der EU jetzt auf einer „strategischen Partnerschaft“ beruht, die darauf abzielt, die „Geber-Empfänger“-Beziehung in eine wirklich gleichberechtigte Partnerschaft zu überführen.116 Obwohl sich diese Initiativen erst in der Anfangsphase befinden, bilden sie die Grundlage, um der EU-Entwicklungszusammenarbeit neue Impulse zu verleihen. Auf diesen neuen Grundlagen muss die EU ihren Beitrag (neu) definieren und ihre Stärken optimal einsetzen. Die soziale Sicherung zum Bestandteil der Entwicklungspolitik zu machen, steht beispielsweise im Einklang mit dem Engagement der EU für die Soziale Dimension der Globalisierung (die zur „Förderung einer inklusiven Globalisierung dienen und mittels geeigneter Sozialpolitik den Armen zugutekommen“ soll),117 und nutzt gleichzeitig den „Beitrag, den das europäische Modell leisten kann…, um nachhaltige soziale Sicherungssysteme auf den Weg zu bringen“.118 Bislang hat die externe soziale Dimension der EU jedoch hauptsächlich zur Förderung menschenwürdiger internationaler Arbeitsstandards geführt, während der sozialen Sicherung scheinbar kein wirklich hoher Stellenwert eingeräumt wurde.119 Eine Veränderung ist jedoch spürbar, zumal sich die EU und ihre Mitgliedstaaten stärker bewusst werden, dass die Unterstützung von sozialer Sicherung eine lohnende Investition zur Förderung von inklusiver Entwicklung und eines Wachstums ist, das den Armen zugutekommt. In zahlreichen politischen Dokumenten der EU wird auf soziale Sicherung Bezug genommen, sei es im Zusammenhang mit spezifischen Themen (Beschäftigung, Gesundheit, Ernährungssicherheit, Besteuerung) oder zur Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele. Kasten 1.6: Der Impuls für soziale Sicherung in der Entwicklungspolitik der EU120 „Im Zusammenhang mit der Armutsbeseitigung will die Gemeinschaft gegen soziale Ausgrenzung vorgehen und Diskriminierung unabhängig davon bekämpfen, gegen welche Gruppe sie gerichtet ist. Sie wird den sozialen Dialog und die soziale Sicherung fördern“ (Europäischer Konsens, 2005). „Der Rat betont, dass die verschiedenen Aspekte menschenwürdiger Arbeit in den ländergesteuerten Entwicklungs- und Armutsbeseitigungsstrategien berücksichtigt werden müssen, unter anderem auch im Hinblick auf... soziale Sicherung“ (Schlussfolgerungen des Rates, 2006). „Der Rat erkennt an, dass die Partnerländer und die Geber ihre Anstrengungen verstärken müssen, um mehr, qualitativ bessere und produktivere Arbeitsplätze sowie umfassendere und effizientere soziale Sicherungssysteme zu entwickeln, die besser an die jeweiligen nationalen Anforderungen und Bedingungen angepasst sind“ (Schlussfolgerungen des Rates, 2007). „Die EU wird gezielte geschlechterdifferenzierte soziale Sicherungsmaßnahmen einleiten und Initiativen der Entwicklungsländer unterstützen, um durch die Schaffung und Stärkung von sozialen Sicherungssystemen und -programmen, einschließlich der Aufstockung von Geld- und Sachleistungen, die direkten sozialen Auswirkungen der Krise zu bewältigen“ (Schlussfolgerungen des Rates, 2009). „Gezielte Unterstützung sollten vor allem die bedürftigsten Bevölkerungsgruppen, einschließlich Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderungen durch möglichst flächendeckende soziale Sicherungssysteme erhalten, einem zentralen Element für sozialen Zusammenhalt und Stabilität“ (Europäische Kommission, 2010). „Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten… die Einrichtung von Mechanismen zur Koordinierung zwischen den Bereichen Landwirtschaft, Gesundheit, Bildung und soziale Sicherung unterstützen“ (Europäische Kommission, 2010). „Die EU sollte die Bemühungen von Drittländern um Formulierung wirksamer Strategien zur Mobilisierung eigener Einnahmen, zur Förderung einer fairen Finanzierung von Gesundheitssystemen und zur Entwicklung bzw. Stärkung soziale Sicherungsmechanismen im Gesundheitssektor unterstützen“ (Europäische Kommission, 2010). „Durch Reduzierung der Ungleichheit und Unterstützung der am stärksten benachteiligten Menschen trägt soziale Sicherung zu Investitionen in das Humankapital, zur Verbesserung der Produktivität, zu sozialpolitischer Stabilität und zur Schaffung solider Institutionen bei“ (Europäische Kommission, 2010). 114 115 116 117 118 119 120 Insbesondere mit China (Europäische Kommission, 2008) und Brasilien (Gemeinsamer Aktionsplan Brasilien-EU 2008). Europäische Kommission 2010b, S. 26-28. Afrikanische Union-Europäische Union 2007, Europäische Kommission 2005, Europäische Kommission 2010f. Europäische Kommission 2009, S.101. Europäische Kommission 2004, S.7. Siehe Orbie und Tortell 2008; Eichhorst et al. 2010. Die EU hat beispielsweise zentrale Arbeitsnormen über bilaterale und multilaterale Vereinbarungen gefördert, wie das APS+, mit dem präferenzielle Handelsvereinbarungen an die Ratifizierung wichtiger internationaler Verträge geknüpft werden. In der Reihenfolge der Zitate: Europäischer Entwicklungskonsens § 97, Rat der Europäischen Union 2006, 2007 und 2009, Europäische Kommission 2010c, 2010d, 2010e. 30 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Der Impuls für soziale Sicherung im subsaharischen Afrika Trotz der ausdrücklichen Anerkennung des Zusammenhangs zwischen sozialer Sicherung und Entwicklung und einer spezifischen Aufforderung des Rates121 gibt es immer noch keinen EU-Rahmen für die Einbeziehung der sozialen Sicherung in die Entwicklungspolitik der EU. Um für einen höheren Stellenwert und die Integration von sozialer Sicherung in der Entwicklungspolitik zu plädieren, wird in diesem Bericht die Diskussion darüber aufgegriffen, wie die EU „auf ihren umfassenden Erfahrungen bei der Unterstützung der sozialen und menschlichen Entwicklung aufbauen kann“, um „zur Entwicklung wirksamer nationaler sozialer Sicherungssysteme beizutragen“.122 1.7 DIE ZUKÜNFTIGEN AUSSICHTEN Der Europäischen Entwicklungsbericht (ERD) 2010 untersucht den Bedarf, das Potenzial, die Durchführbarkeit und die voraussichtlichen Auswirkungen einer Agenda zur Unterstützung der Ausweitung der sozialen Sicherung im SSA untersucht. Im ungewissen Umfeld nach der Krise sind soziale Sicherungsmaßnahmen erforderlich, mit deren Hilfe die SSA-Länder ihre Strukturschwächen langfristig überwinden können. Der Sozialpolitische Rahmen der Afrikanischen Union von 2008 und die Erklärung von Khartum über sozialpolitische Maßnahmen zur Förderung der sozialen Integration von 2010 bezeugen Afrikas Engagement für die soziale Entwicklung im Allgemeinen und für soziale Sicherung im Besonderen. Innovative Programme und Ansätze zur Schaffung breit angelegter sozialer Sicherungssysteme sind mit Erfolg überall im subsaharischen Afrika entwickelt und umgesetzt worden. Der Bericht bietet deshalb eine Chance, Bilanz zu ziehen, von den Erfahrungen des SSA und anderen Ländern zu lernen und der EU und ihren Mitgliedstaaten Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sie eine fortschrittliche Agenda zur Erweiterung der sozialen Sicherung in Afrika unterstützen können. 121 122 Rat der Europäischen Union 2007 § 20. „Der Rat ruft die Kommission zur Unterbreitung eines Vorschlags über soziale Sicherung in der Entwicklungszusammenarbeit der EU auf, die Ende 2008 vorgelegt werden soll“. Europäische Kommission, 2010f. E U R O P Ä I S C H E R 31 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 KAPITEL ZWEI Kapitel 2 SOZIALE SICHERUNG ZUR ÜBERWINDUNG ANHALTENDER ARMUT UND GEFÄHRDUNG 32 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 KAPITEL 2 SOZIALE SICHERUNG ZUR ÜBERWINDUNG ANHALTENDER ARMUT UND GEFÄHRDUNG Der ERD definiert soziale Sicherung als staatliche Maßnahmen, mit denen die Existenzrisiken der Menschen über drei Aktionsbereiche verringert werden sollen: Sozialversicherung, Grundsicherung und soziale Integration. Sozialversicherung bietet den Menschen lebenslangen Schutz gegen Risiken und Notsituationen sowie Unterstützung bei Schocks oder Katastrophen, um zu verhindern, dass sie noch tiefer ins Elend rutschen. Eine Grundsicherung erfolgt in Form von Geld- und Sachleistungen, um den Menschen ein Mindestauskommen zu sichern und sie bei der Überwindung von Armut zu unterstützen. Soziale Inklusion zielt darauf ab, bessere Voraussetzungen zu schaffen, damit arme, schutzbedürftige und ausgegrenzte Personen Zugang zu Sozialversicherung und Grundsicherung erlangen, indem ihre subjektiven Rechte und Leistungsansprüche durchgesetzt und sie in die marktorientierten oder gemeindebasierten Versicherungssysteme eingebunden werden. Soziale Sicherung ist ein wichtiges Element, das jedoch oft auf der Entwicklungsagenda fehlt. Ihre Hauptziele sind die Überwindung von Gefährdung, Armut und Ausgrenzung. Eine effektive soziale Sicherung muss bei der Lösung von Problemen beginnen, denen die von Armut betroffenen und nicht betroffenen Personen gleichermaßen ausgesetzt sind und Lösungsansätze aufgreifen, die sich u.a. auf dem Markt oder in gemeindebasierten Netzwerken bereits bewährt haben. Soziale Sicherung stellt keinen Ersatz für wachstumsorientierte Strategien zur Armutsbekämpfung dar, kann jedoch direkt oder auch indirekt zu einem Wachstum beitragen, das stärker inklusiv ausgerichtet ist. Durch eine sorgfältige Planung und effiziente Umsetzung sozialer Sicherungsmaßnahmen kann zudem ein Versagen des Marktes kompensiert werden. Gerade wegen dieser ergänzenden Funktion in einer wachstumsbasierten Armutsbekämpfungsstrategie geht die soziale Sicherung, wie sie in diesem Bericht dargestellt wird, über die traditionellen Sicherungsnetze weit hinaus. 2.1 ANHALTENDE ARMUT UND GEFÄHRDUNG IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA 2.1.1 ANPASSUNG AN PREKÄRE LEBENSBEDINGUNGEN: TRANSFERLEISTUNGEN VON NETZWERKEN, RÜCKÜBERWEISUNGEN VON MIGRANTEN UND IHRE GRENZEN Eine effektive soziale Sicherung muss mit einer sorgfältigen Analyse der Probleme beginnen, mit denen breite Teile der SSABevölkerung konfrontiert sind und dabei bestehende marktorientierte und gemeindebasierte Lösungen berücksichtigen. Wie im vorstehenden Kapitel betont wurde, führen die strukturellen Herausforderungen einer andauernden Instabilität der wirtschaftlicher Situation mit begrenzten Veränderungen in den Existenzbedingungen, hoher Armut und einem niedrigen Stand der menschlichen Entwicklung zu einer prekären Lebenslage, die durch hohe Risiken infolge von Klimawandel oder unterschiedliche Schocks im Gesundheits-, Wirtschafts- oder Beschäftigungsbereich geprägt ist. Systeme gegenseitiger Unterstützung und Solidarität, über die sich Haushalte und Gemeinden in Notlagen gegenseitig unterstützen, sind im SSA umfassend dokumentiert. In der Regel bieten sie bei Bedarf Unterstützung in Form von Sach- oder Geldleistungen. Teilweise handelt es sich um informelle Netze, in denen sich Familien, Nachbarn, Stammesmitglieder oder andere Gruppen gegenseitig unterstützen. Zu solchen Beispielen gehören Hilfsnetzwerke ethnischer Gruppen in Côte d’Ivoire,123 Stammes- und Nachbarschaftsvereinigungen, die bei medizinischen Kosten in Tansania aushelfen124 sowie Pflegevereinbarungen in Burkina Faso für Kinder, deren Eltern in Not geraten sind und die in solchen Fällen bei anderen Familien aufgezogen werden.125 Andere Unterstützungssysteme sind stärker strukturiert und nutzen formelle Gruppenstrukturen, wie Sterbekassen, die die Kosten für Beerdigungen und andere Ausgaben bei Todesfällen von Familienangehörigen übernehmen. Die Existenz und ausgefeilte Funktionsweise solcher Systeme ist in Äthiopien, Benin, Südafrika und Tansania gut dokumentiert.126 So sind zum Beispiel mehr als 90 % der Äthiopier auf dem Lande mindestens in einer derartigen Gruppe Mitglied. In Südafrika gehört trotz zunehmender 123 124 125 126 Grimard 1997. De Weerdt und Dercon 2006. Akresh 2009. Deacon et al. 2007; Schneider 2008; LeMay-Boucher 2007. 33 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 2 Finanzierungsangebote und staatlicher sozialer Sicherungsmechanismen mehr als ein Fünftel der Bevölkerung zu einer dieser informellen Einrichtungen. Diese Systeme passen sich fortlaufend den neuen Aufgaben und Chancen an. Auch wenn sie informell und im kleinen Maßstab fungieren, bieten viele Sterbekassen in Äthiopien offenbar auch andere Dienstleistungen in Form von Kranken-, Feuer- und Viehversicherungen an. Auch die nationale und internationale Migration trägt dazu bei, Risiken entgegenzuwirken, indem die Haushalte auf verschiedene Orte aufgeteilt und Systeme der gegenseitigen Unterstützung eingerichtet werden. Migranten in Europa sind oft mit Hilfsnetzwerken in der Heimat verbunden, wie es beispielsweise für Migranten aus Ghana in den Niederlanden127 und die somalische Diaspora im Vereinigten Königreich belegt ist.128 Das Ausmaß privater Transfer- und Rücküberweisungen an afrikanische Haushalte ist beträchtlich und stellt jegliche staatlichen Transferleistungen in den Schatten (Tabelle 2.1). Diese Überweisungen sind zwar nicht in allen Ländern gleichermaßen definiert, weisen jedoch Gemeinsamkeiten auf; Transfer- und Rücküberweisungen machen durchschnittlich rund 14 % der Einkünfte aus. Dabei sind auch staatliche Transferleistungen inbegriffen, die allerdings überall gering ausfallen. In Tansania machen sie beispielsweise weniger als ein Zehntel aller Transferüberweisungen aus. Tabelle 2.1: Transfer- und Rücküberweisungen in der Einkommensstruktur in Afrika Länder Botswana (2002-03) Burkina Faso (2003) Äthiopien (2004) Ghana (2008) Madagaskar (1999) Mali (2006) Mauritius (2006-07) Tansania (2007) Länderdurchschnitt Anteil der Transfer- und Rücküberweisungen am Gesamteinkommen im Haushalt 14,6 11,9 7,1 8,4 9,6 18,2 13,5 16,1 14,1 Quelle: Zusammengestellt von Charmes 2010 anhand von Umfragen über Einnahmen und Ausgaben bzw. Lebensstandards. Transfer- und Rücküberweisungen durch informelle Unterstützungsnetze und Migration stellen zweifelsohne einen wichtigen Bestandteil der Einkünfte vieler Haushalte in Afrika dar. Solche Überweisungen erfolgen oft bei plötzlichen Einkommensverlusten und stellen somit eine Absicherung gegen Notlagen durch die Familie oder das jeweilige Netzwerk dar.129 Die Rolle dieses Schutzes bzw. dieser Art von Unterstützung wird aber leicht überschätzt, da die bestehenden Systeme nur begrenzt als Alternative zu einer staatlich gestützten sozialen Sicherung gelten können. Erstens wirken sie nur gegen spezifische Schocks, und zwar solche, die nicht alle Mitglieder einer großen Familie oder Gemeinde betreffen. Schwerwiegende klimatische oder wirtschaftliche Schocks lassen sich kaum durch Transferleistungen absichern. Jüngste Untersuchungen zu Äthiopien, Malawi, Mali und Tansania ergaben, dass Verluste in der Landwirtschaft infolge von Klimaschocks nach wie vor zu einer starken Reduzierung des Lebensmittelkonsums führen.130 Die neuen Daten über die Auswirkungen der letzten Lebensmittel- und Ölpreiskrise lassen auf ähnliche negative Folgen schließen. Zweitens bieten informelle Systeme in der Regel selbst bei spezifischen Schocks, wie Krankheit oder Tod von Familien- oder Gemeindemitgliedern, oft nur eine teilweise Absicherung. So werden Krankheitskosten scheinbar teilweise durch Netzwerke gegenseitiger Unterstützung in Tansania abgedeckt, aber eben nicht vollständig, weshalb ernsthafte Erkrankungen trotz der Transferleistungen des Netzwerks zu einem Rückgang der Einkünfte und des Konsums um ca. 8 % führen können.131 Innerhalb der ländlichen Gemeinden sind die Armen wiederum schlechter durch Netzwerke geschützt als die Reichen.132 127 128 129 130 131 132 Mazzucato 2009. Lindley 2007; UNDP 2008. Obwohl es wenige Daten darüber gibt, machen Heimatüberweisungen rund 23 % der Einkünfte somalischer Haushalte aus (UNDP/ Weltbank 2008), und bis zu 40 % der somalischen Haushalte profitieren von Geldüberweisungen der im Ausland lebenden Somalier (Chalmers und Hassan 2008). Dercon 2002; Azam und Gubert 2006. Davies 2010; Beegle et al. 2007; Deacon et al. 2004; Harrower und Hoddinott 2005. Cogneau und Jedwab (2010) zeigen, dass andere Schocks, z.B. im Zusammenhang mit den Preisen für Rohstoffe und Endprodukte, die breite Kreise betreffen, ebenfalls einen wichtigen Einfluss haben, wie es beim Abfall des Kakaopreises in Côte d’Ivoire der Fall war. De Weerdt und Dercon 2006. De Weerdt 2002. 34 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung zur Überwindung anhaltender Armut und Gefährdung Drittens belegen die Daten über die Rücküberweisungen von Emigranten nach Afrika, dass in den Gemeinden, in die die Überweisungen gehen, die Reichen oft viel mehr erhalten als die Armen und damit kein Ausgleich stattfindet.133 Auch innerhalb der auf dem Solidaritätsprinzip beruhenden Versicherungsnetze in Afrika erfolgt in der Regel nur eine begrenzte Umverteilung.134 2.1.2 ARMUTSFALLEN ODER DER TEUFELSKREIS VON ARMUT UND RISIKEN Ein hochriskantes Umfeld, niedrige Vermögensbestände und Einschränkungen in den Systemen der gegenseitigen Unterstützung bedeuten ein hohes Armutsrisiko für breite Teile der Bevölkerung im subsaharischen Afrika. Durch soziale und politische Ausgrenzungsprozesse wird diese Situation noch verschlimmert, und die bestehenden sozialen Sicherungssysteme und die Absicherung innerhalb von Netzwerken und Familien reichen nicht aus, um dies zu verhindern. Das führt dazu, dass viele Menschen immer wieder Risiken und oft harten Entbehrungen in verschiedenen Armutsdimensionen ausgesetzt sind, z. B. im Hinblick auf Nahrungsmittelkonsum, Ernährung, Gesundheit und Bildungschancen. Die Armen sind deshalb dem Risiko lebenslanger Armut ausgesetzt und haben kaum Aussichten oder reale Chancen, diesem Elend zu entrinnen. Für viele Personen, die nicht von Armut betroffen sind, bedeutet dies, dass sie ständig von Armut bedroht sind. Anhaltende Armut kann die Folge einer „Armutsfalle“ sein, die durch mangelnde Vermögenswerte hervorgerufen wird. Eine solche Situation entsteht, wenn Haushalte oder ganze Gemeinden, die nur geringe Verdienstchancen und keinen Zugang zu Kapital haben, damit konfrontiert sind, dass ihr produktives Vermögen soweit aufgebraucht ist, dass sie damit nur noch äußerst geringe Einkünfte erzielen können und ein Ausweg aus tiefer Armut kaum mehr möglich ist. Die einzige Hoffnung wären dann ein glücklicher Zufall oder Maßnahmen von außen. In einem risikoreichen Umfeld können ernste Schocks schlimme Auswirkungen haben und ein Entrinnen erscheint dann nahezu unmöglich. Daten aus Kenia belegen solche Armutsfallen aufgrund mangelnder Vermögenswerte unter Hirten, wobei die Schwelle an eine Mindestgröße der Herde gebunden ist. Liegt der Viehbestand darunter, bestehen keine Aussichten auf Erholung und Kapitalbildung.135 Dies bedeutet, dass bei einem Schock durch Dürre oder Tierseuchen des Viehbestands unter diesen Grenzwert fallen kann, und so mit eigenen Ressourcen und Bemühungen keine Erholung mehr möglich ist. Solche Grenzwerte lassen sich nur schwer empirisch nachweisen, da die Chancen und Einschränkungen zwischen den einzelnen Haushalten schwanken. Ein solches Fazit, nämlich dass nach der Ausschöpfung der Vermögenswerte eine Erholung unmöglich und anhaltende Armut die Folge ist, wird durch empirische Daten in hochriskanten Umfeldern belegt, die für das subsaharische Afrika typisch sind. Das hat auch Folgen für die Gestaltung der Politik. Es ist viel kostengünstiger sicherzustellen, dass die Haushalte gar nicht erst in den Teufelskreis niedriger Vermögenswerte und hoher Risiken geraten, als zu versuchen, ihren Wohlstand zu erhöhen, wenn sie bereits in diesem Teufelskreis gefangen sind. Ein Aufschub der Handlungen und Unterstützungsmaßnahmen führt also zu erheblich höheren Kosten bei der Armutsminderung. Dieser Grundgedanke wird auch durch medizinische Erkenntnisse über die Kindesernährung untermauert. Im Allgemeinen können sich die Menschen im jugendlichen oder erwachsenen Alter von relativ kurzen Zeiten der Unterernährung vollständig erholen, auch wenn dadurch vielleicht das Krankheitsrisiko steigt. Im frühen Kindesalter ist dies jedoch nicht der Fall und umfassende Daten belegen, dass Ernährungsmängel insbesondere vor dem 3. Lebensalter zu permanenten Defiziten in der körperlichen Entwicklung führen, die im späteren Alter zu ernsten Folgen führen können. Dies kann nicht nur zu Wachstumsstörungen in der Kindheit, sondern auch lebenslang zu verminderter Körpergröße führen.136 Damit sind oft weitere Komplikationen verbunden, zum Beispiel eine begrenzte Entwicklung des Gehirns, die mit einer geringeren oder fehlenden kognitiven Entwicklung einhergeht.137 Da eine Genesung unmöglich ist, handelt es sich hier um eine typische ernährungsbedingte Armutsfalle. Mehr als ein Drittel der Kinder unter 6 Jahren sind im subsaharischen Afrika von Wachstumsstörungen betroffen. Das lässt auf schwere Entbehrungen in der frühen Kindheit schließen und bedeutet einen unwiederbringlichen Verlust im Wachstum und der kognitiven Entwicklung. Es hat sich gezeigt, dass ernste Schocks, wie beispielsweise Dürre und Konflikte in Simbabwe und Äthiopien in den 1980er Jahren, Folgen für die Entwicklung der Kinder haben und insbesondere ihre Ernährung und die späteren Lernfähigkeiten und Verdienstmöglichkeiten als Erwachsene beeinträchtigen.138 Die Einkünfte von Familien, die von Missernten in Äthiopien und Tansania betroffen waren, stellten sich mehr als zehn Jahre später noch als bedeutend geringer im Vergleich zu nicht betroffenen Gemeinden heraus.139 Aber Missernten sind nicht die einzigen Krisen mit weitreichenden Folgen. Auch andere Schocks führen nachweislich zu unwiederbringlichen Verlusten, die einer Armutsfalle gleichkommen. Aufgrund der hohen HIV-Prävalenz und der hohen Mortalitätsraten gibt es im subsaharischen Afrika viele Waisenkinder. Eine Analyse von Umfragedaten, die seit 1995 in Südafrika erhoben wurden, ergab, dass bei Verlust der Eltern die schulischen Leistungen abfallen. Untersuchungen in Tansania zeigten, dass bei Waisenkindern häufig sowohl Wachstums- als auch Bildungsdefizite bestehen.140 133 134 135 136 137 138 139 140 Azam und Gubert 2006. Fafchamps 2004; Barrett et al. 2001; Carter und May 1999. Barrett und Carter 2006. Grantham-McGregor et al. 2007. Grantham-McGregor et al. 2007. Alderman et Hoddinott 2010; Dercon und Porter 2010. Beegle et al. 2008; Dercon 2006. Ardington und Leibbrandt 2010; Beegle et al. 2010. E U R O P Ä I S C H E R 35 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 2 2.1.3 DIE WIRTSCHAFTLICHEN KOSTEN FEHLENDER SOZIALER SICHERUNG Weit verbreitete Wachstumsstörungen, geringere schulische Leistungen und Verlust von Vermögenswerten durch Schocks wie Dürre oder Krankheit beeinträchtigen die wirtschaftlichen Produktionskapazitäten und verschlechtern die Aussichten für zukünftiges Wachstum und die Armutsbekämpfung. Wenn selbst grundlegende soziale Sicherungsmaßnahmen fehlen, sind damit weitere erhebliche wirtschaftliche Kosten verbunden. Der Mangel an minimalen Geldmitteln ist nicht nur ein Grund für die heutige Armut, sondern auch die Ursache für erhebliche Investitionsdefizite der Armen. Im Weltentwicklungsbericht 2006 sind einige der Folgen umfassend dokumentiert, die zu begrenzten Investitionen von Kleinunternehmen oder Kleinbauern beitragen.141 Die Gefährdung bezieht sich nicht nur auf das Erfahren von Schocks und Armut, sondern auch auf ein grundlegendes Gefühl der Unsicherheit bzw. potenzieller Gefahren, vor denen sich die Menschen hüten müssen. Es ist das Gefühl, dass von heute auf morgen der wirtschaftliche Ruin eintreten kann. Viele Haushalte entscheiden sich deshalb für weniger riskante Strategien und lassen sich gewinnbringende Chancen entgehen. Eine rentable Spezialisierung wird zugunsten einer sicheren Ernte, sicherer Vermögen oder Technologie vermieden.142 Solche Entscheidungen führen nicht nur zu mehr Armut, sondern ebenfalls zu einer geringeren Leistungsfähigkeit der Wirtschaft, die durch nicht funktionierende Versicherungsmärkte hervorgerufen wird. Die Befürchtung, dass aufgrund riskanter Ernten Kredite für Düngemittel nicht zurückgezahlt werden können, hat sich in Äthiopien als Grund dafür herausgestellt, dass weniger Düngemittel eingesetzt werden und die Getreideproduktion deshalb geringer ausfällt.143 Die Abhängigkeit von Systemen der gegenseitigen Unterstützung bei Schocks ist ebenfalls mit Kosten verbunden und führt möglicherweise zu Klientelismus und Patronage, was die lokale Wirtschaft untergräbt.144 Im Allgemeinen sind in riskanten Umfeldern mit begrenzten Sicherungsmechanismen kaum Innovationen und Investitionen möglich. Die Wachstumschancen verringern sich dadurch.145 2.2 INSTRUMENTE UND FUNKTIONEN DER SOZIALEN SICHERUNG Soziale Sicherung gehört zu den Instrumenten zur Überwindung anhaltender Armut und Gefährdung. In diesem Bericht wird sie als spezifische Politik definiert, die darauf gerichtet ist, die Gefährdung der Existenzbedingungen der Menschen zu überwinden. Dies erfolgt durch Sozialversicherung, indem sie lebenslang gegen Risiken und Notsituationen geschützt werden, durch soziale Grundsicherung, indem Arme durch Geld- und Sachleistungen unterstützt und gefördert werden, und durch Inklusionsbemühungen, um den Zugang marginalisierter Gruppen zu Sozialversicherung und sozialer Grundsicherung zu verbessern. Gemäß Drèze und Sen146 stehen dabei staatliche Maßnahmen auf nationaler und lokaler Ebene sowie Initiativen von Nichtregierungsorganisationen, Einrichtungen der Zivilgesellschaft sowie anderer Akteure im Mittelpunkt, die gemeinsam oder auch im Wettbewerb untereinander mit dem Staat zusammenarbeiten. Der Fokus richtet sich dennoch in erster Linie auf den Staat, dem eine zentrale Rolle bei der Umsetzung von sozialer Sicherung zukommt. Das bedeutet aber nicht, dass die Regierung allein die Umsetzung der politischen Maßnahmen vornehmen soll, oder dass die dazu eingesetzten Instrumente sich auf staatliche Programme und Aktionen beschränken müssen, sondern ganz im Gegenteil. Der private Sektor, Mikroversicherungen und gemeindebasierte Versicherungsnetzwerke können zur Verbesserung der sozialen Sicherung beitragen. Aufgrund der bekannten Defizite bei der Bereitstellung von marktorientierten Versicherungsleistungen ist die Rolle der Privatversicherungen jedoch eingeschränkt. Aufgrund der Probleme von Kollektivmaßnahmen und der Größenanforderungen für eine effiziente Risikoverteilung sind Mikroversicherungen oder gemeindebasierte Mechanismen jedoch oft nicht effizient, sodass hier der Staat gefordert ist. Dies trifft auch auf Mehrfachrisiken bzw. Katastrophenfälle zu. Da durch die Tendenz der Märkte zur negativen Auslese besonders gefährdete und arme Personen an den Rand gedrängt würden, kann deren Integration nur über eine aktive soziale Sicherungspolitik gewährleistet werden. Zu den wichtigsten Aufgaben gehört es, das richtige Gleichgewicht zwischen staatlichen, privaten und informellen bzw. gemeindebasierten Mechanismen der sozialen Sicherung zu finden. Die Definition von sozialer Sicherung konzentriert sich auf drei eng miteinander verknüpfte Mittel, um einen solchen Schutz zu erreichen: Sozialversicherung, soziale Grundsicherung und soziale Inklusion. In Kasten 2.1 sind Beispiele verschiedener sozialer Sicherungsinstrumente entsprechend ihrer Funktion als Grundsicherung, Versicherung oder Zugangserleichterung dargestellt. Diese Funktionen können sich natürlich auch überschneiden und viele Maßnahmen der sozialen Sicherung sind auf mehrere Ziele gleichzeitig gerichtet. 141 142 143 144 145 146 Weltbank 2006. Barrett und Carter 2006; Dercon 2004. Dercon und Christiaensen 2010. Fafchamps 2004; Dercon 2004. Weltbank 2006, Kapitel 5. Drèze und Sen 1988. 36 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung zur Überwindung anhaltender Armut und Gefährdung Kasten 2.1: Beispiele von Instrumenten der sozialen Sicherung, unterteilt nach ihrer Funktion Sozialversicherung • • • • • Beitragsrentensysteme Krankenversicherung Arbeitslosenversicherung Invaliditätsversicherung Arbeitsunfallversicherung. Soziale Grundsicherung • • • • • • Kindergeld Schulspeisung Öffentliche Beschäftigungsprogramme/Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen/Beschäftigungsschutz Geldtransferleistungen/garantierte Grundeinkommen Hilfe in Notfällen Sozialrenten und andere altersbezogene Leistungen. Bemühungen um einen verbesserten Zugang zu sozialer Sicherung • • • • • Arbeitsmarktregulierung und Arbeitsplatzbestimmungen Rechtliche Ansprüche auf Einkommen, Arbeit oder andere Formen sozialer Sicherung Positive Diskriminierung oder Regelungen zur universellen Absicherung Aufklärungskampagnen Regulierungsrahmen oder Unterstützung für private oder gemeindebasierte Versicherungen. 2.2.1 SOZIALVERSICHERUNG Die Sozialversicherung gehört zu den klassischen Formen der sozialen Sicherung und bietet den Menschen Unterstützung zur Überwindung von Schocks oder Notsituationen. Die Transferleistungen sind an bestimmte Vorfälle oder Auslöser gebunden. In der Regel beruhen sie auf Beitragszahlungen, vergleichbar mit Prämienzahlungen bei Versicherungen,147 allerdings können diese Zahlungen subventioniert bzw. sogar aufgehoben und mittels staatlicher oder anderer Ressourcen geleistet werden.148 Typische Beispiele sind Rentensysteme sowie beitragsabhängige Kranken- und Arbeitslosenversicherungen. Die Bedeutung der Sozialversicherung ergibt sich aus der Diskussion im vorherigen Abschnitt: Plötzliche Schocks können eine Abwärtsspirale auslösen, die zu andauernder Armut führt. Für die Armen kann dies den Abfall in tiefere Armut bedeuten, während die nicht von Armut Betroffenen einem ständigen Armutsrisiko ausgesetzt sind. Sozialversicherung geht daher über standardmäßige Sicherheits- und Hilfsnetze hinaus, indem strukturellen und dynamischen Verarmungsprozessen vorgebeugt wird. Gleichzeitig ist zu betonen, dass Sozialversicherungen einen höheren Stellenwert haben als temporäre Hilfsaktionen oder allgemeine Sicherheitsnetze; sie stellen eine vertragliche Vereinbarung dar, durch die ein rechtlicher Anspruch auf Schutz vor Notlagen begründet wird. Aufgrund der Beitragszahlungen zur Sozialversicherung können die Menschen einen solchen Versicherungsanspruch gegen Risiken im Voraus fest einplanen. Das ist nicht nur ein wichtiges Merkmal für das Verständnis der rechtlichen Grundlage der sozialen Sicherung, sondern dient gleichzeitig dazu, das Gefühl der Unsicherheit zu überwinden, das ein wesentliches Merkmal der Gefährdung ist. Allein der Gedanke, dass bestimmte Risiken einen vollständigen Ruin bedeuten können, führt dazu, dass die Menschen Risiken lieber meiden, anstatt potenzielle gewinnbringende Chancen zu ergreifen. Bei vorhandenem garantierten Schutz gegen verschiedene Risiken fühlen sich die Menschen eher in der Lage, neue Chancen zu ergreifen, was wiederum eine entscheidende Voraussetzung ist, um die Beteiligung der Armen am Wachstum und an der wirtschaftlichen Entwicklung zu sichern. Damit dies glaubwürdig ist, müssen jedoch klare Rechte und Ansprüche geschaffen werden. Gleichfalls müssen spezifische institutionelle und politische Kapazitäten vorhanden sein, um eine langfristige Verpflichtung zum Schutz und zur Durchsetzung solcher Rechte und Ansprüche zu übernehmen. Die Definition unterstreicht auch die Rolle einer Sozialversicherung, die sich über die gesamte Lebenszeit erstreckt, wobei ein rechtzeitiger und ausreichender Schutz gerade in bestimmten Lebensphasen ganz besonders wichtig ist. Spezifische Formen der Sozialversicherung für 147 148 Das Versicherungselement wird hier als „Beseitigung ungewisser Verlustrisiken für Personen oder Haushalte verstanden, indem viele Personen oder Haushalte mit ähnlichen Risiken in einem gemeinsamen Fonds zusammengefasst werden, aus dem im Falle von Verlusten die entsprechenden Mitglieder entschädigt werden“ (van Ginneken 1999, S.6). Bei Gehaltsempfängern können die Prämien einkommensabhängig oder auch als direkte Mitgliedsbeiträge eingezogen werden. In einigen Fällen kann die Versicherung sowohl durch den Staat als auch über den Markt erfolgen. Dies trifft auf das dreiseitige Rentenbeitragssystem (Mitglied, Staat, Arbeitgeber) zu. E U R O P Ä I S C H E R 37 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 2 Familien mit kleinen Kindern, mit denen z. B. Ernährungsdefizite im jungen Kindesalter verhindert werden, sind ein besonders wirksames Mittel zur Vermeidung von Armut in der Zukunft, zumal durch die Entwicklung des Humankapitals die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum geschaffen wird. 2.2.2 SOZIALE GRUNDSICHERUNG Die Absicherung gegen zukünftige Notlagen wird kaum für arme Bevölkerungsgruppen ausreichen, deren Vermögenswerte, gesundheitliche Situation und menschliche Entwicklung sich auf einem sehr niedrigen Stand befinden und für die es kaum möglich ist, sich aus eigenen Kräften aus der Armut zu befreien. Die zweite Funktion der sozialen Sicherung, die soziale Grundsicherung, setzt genau bei diesem Problem an, indem diese Gruppen unterstützt, aber auch in die Lage versetzt werden, die Armut zu überwinden. Soziale Grundsicherung beinhaltet staatliche Maßnahmen aller Art, mit denen Ressourcen für jene Gruppen bereitgestellt werden, die aufgrund ihrer prekären Lage auf diese Form der Unterstützung angewiesen sind. Die Finanzierung erfolgt normalerwiese über ein Budget des Staates oder des Gebers, ohne dass zuvor Beiträge eingezahlt werden müssen. Sie kann anhand einer Bedürftigkeitsprüfung oder spezifischer Bedarfsmerkmale festgelegt werden, oder auch allgemein für eine bestimmte Personenkategorie, wie z. B. Ältere oder Kinder in einer bestimmten Altersgruppe, erfolgen. Oft richtet sich die Grundsicherung gerade an jene Personengruppen, die nicht über Beitragssysteme oder andere Versicherungsformen abgedeckt sind. Die typischen Instrumente der sozialen Grundsicherung können von Schulspeisung über öffentliche Beschäftigungsprogramme bis hin zu beitragsfreien („sozialen“) Rentensystemen reichen. Ein Großteil dieser Instrumente kann als soziale Transferleistung bezeichnet werden. Solche Transferleistungen waren lange Zeit ein entscheidendes Element bei der Armutsreduzierung in den Industriestaaten und werden jetzt zunehmend als wesentliches politisches Mittel zur Armutsbekämpfung in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommensniveau betrachtet.149 Anhand der obigen Darstellung über Armutsfallen aufgrund mangelnder Vermögenswerte lässt sich bestimmen, wie hoch der Bedarf an Unterstützung ist. Dabei können beträchtliche Mittel erforderlich sein, um einen Mindeststand der Vermögenswerte zu erreichen, der wirkliche Aussichten bietet, den Teufelskreis von Armut und Risiken zu durchbrechen. Der Unterstützungsbedarf kann zwischen den verschiedenen Personengruppen variieren, wobei besonders benachteiligte Personen wie körperlich behinderte Waisenkinder oder Ältere möglicherweise höhere Transferleistungen benötigen. Der Bedarf wird auch zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich ausfallen und muss eventuell mit der Sozialversicherung verknüpft werden, wobei die Beiträge in Abhängigkeit von Schocks, Ereignissen und Umständen variieren können.150 2.2.3 VERBESSERUNG DER ZUGANGSBEDINGUNGEN Die letzte Funktion der sozialen Sicherung ist mit den ersten beiden verbunden, verdient jedoch besondere Hervorhebung. Armut ist oft durch soziale und politische Ausgrenzungsprozesse gekennzeichnet, die zum Ausschluss bestimmter Armutsgruppen führen. Dazu gehören Frauen, spezifische ethnische Gruppen und lokale Außenseiter wie Migranten oder Personen, die wegen ihrer Art der Existenzsicherheit (Müllsammler oder Straßenkinder) oder aufgrund von Krankheiten (HIV/AIDS-Kranke) stigmatisiert werden. Der Zugang kann auch durch die geographische Lage oder durch Informationsmangel begrenzt sein. Bei den Bemühungen zur Erweiterung der sozialen Sicherung durch Sozialversicherung und soziale Hilfe müssen insbesondere diese Gruppen integriert werden. Dies muss ein zentraler Grundsatz eines sozialen Sicherungssystems sein.151 In Kasten 2.2 werden einige dieser Themen in Bezug auf Migranten als eine potenziell ausgegrenzte Gruppe diskutiert. Kasten 2.2: Migration und soziale Sicherung: Zugang zu ortsunabhängiger sozialer Sicherung Aufgrund der zu bewältigenden Risiken und der erforderlichen Existenzsicherung entscheiden sich viele Menschen für die Emigration. Rücküberweisungen stellen für viele Familien in den Entwicklungsländern eine entscheidende Einkommensquelle dar. Gleichzeitig erfordert die Migration verschiedene Formen der sozialen Sicherung sowohl für den Migranten als auch für dessen daheim gebliebene Familie. Migranten sind oft von den verschiedenen Formen der sozialen Sicherung ausgeschlossen, was für den Arbeitsmarkt letztendlich negative Folgen haben kann. Zum Beispiel werden Migranten, die wissen, 149 150 151 Zum Beispiel: „Die Kommission für Afrika bezeichnete soziale Transferleistungen als entscheidendes Mittel zur Bekämpfung extremer Armut im subsaharischen Afrika… Ein stärkerer Einsatz sozialer Transferleistungen in den Entwicklungsländern wird im WDR der Weltbank 2006 unterstützt, der ihre potenziellen Auswirkungen auf Armut und Ungleichheit sowie ihren Beitrag zur Förderung und Verteilung des Wachstums anerkennt“ (DFID 2005, S. 2). De Janvry et al. 2006. Sie sind bei der Bereitstellung von sozialer Sicherung überall in der Welt ein zentrales Problem. Ein Beispiel einer Zugangsbehinderung stammt aus Indien. Der Zugang zum Öffentlichen Verteilungssystem ist auf die Einwohner eines Bundesstaates beschränkt. Die Bevölkerungsgruppen, die zwischen bundesstaatlichen Grenzen pendeln, können auf diese soziale Hilfe oft nicht zurückgreifen. Ku und Matani (2001) stellten fest, dass in gleicher Weise in den USA versicherte Menschen und deren Kinder, die nicht die US-Staatsbürgerschaft besitzen, weniger Zugang zu medizinischer Betreuung haben als einheimische Bürger. 38 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung zur Überwindung anhaltender Armut und Gefährdung dass sie nicht vollständig in den Genuss der Vorteile von Sozialversicherungsbeiträgen oder Steuern kommen werden, eher dazu neigen, Beitragszahlungen zu vermeiden und illegal zu arbeiten bzw. ihre Einkünfte nicht wahrheitsgemäß anzugeben. Wenn außerdem Migranten, die lange Jahre auf dem formellen Arbeitsmarkt gearbeitet und Beiträge eingezahlt haben, diese aber nicht mit in ihr Land „zurücknehmen“ können (zum Beispiel Rentenansprüche), werden sie eventuell nicht zurückkehren wollen. Einige Entwicklungsländer, insbesondere diejenigen mit hohen Migrationsströmen in die Europäische Union (EU), haben einen Großteil ihrer Emigranten über bilaterale Abkommen über die Übertragbarkeit von Ansprüchen geschützt. Bilaterale Vereinbarungen über soziale Sicherungsleistungen sind jedoch zumeist unzureichend für Entwicklungsländer, die über keine gut ausgebildeten sozialen Sicherheitssysteme verfügen. Die EU verfügt als regionaler Handelsblock mit Freizügigkeit von Arbeitskräften über das umfassendste System der Übertragbarkeit von Ansprüchen der sozialen Sicherheit. Andere regionale Wirtschaftsblöcke mit hauptsächlich Niedriglohnländern verfügen jedoch über wenige Mechanismen und Kapazitäten zur Unterstützung solcher Vereinbarungen. Eine politische Herausforderung besteht darin, die Süd-Süd-Migration für die Migranten sicherer zu gestalten, um die Vorteile dieser wichtigen Form der Existenzsicherung maximal auszunutzen. Quelle: Avato et al. 2010; Holzmann et al. 2005; Sabates-Wheeler und Koettl 2010. Soziale Sicherung kann ein wichtiger Mechanismus sein, um Ausgrenzung entgegenzuwirken und Präzedenzfälle zur Stärkung der eigenen Fähigkeiten und zur systematischen Eingliederung dieser Gruppen in die Beziehungen zwischen dem Staat und seinen Bürgern zu schaffen. Auf diese Weise ergänzt und fördert die soziale Integration die institutionelle Effizienz und politische Tragfähigkeit von Sozialversicherung und sozialer Grundsicherung. Sie trägt weiterhin dafür Sorge, dass durch die soziale Sicherung neben der Armutsbekämpfung und Wachstumsförderung auch die soziale Gerechtigkeit erhöht wird.152 Spezifische Aktionen können in ganz unterschiedlichen Formen erfolgen (siehe Kasten 2.1). Durch Sensibilisierungs- und Aufklärungskampagnen können Einstellungen und Verhaltensweisen der Öffentlichkeit verändert werden. Durch Änderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen können gefährdete Gruppen oder Minderheiten vor Diskriminierung und Missbrauch geschützt werden. Weitere Maßnahmen sind die Sicherung subjektiver Rechte und Ansprüche sowie Bemühungen zur Verbesserung des Zugangs armer und gefährdeter Personen zu Versicherungsmärkten oder gemeindebasierten Systemen. 2.3 DIE ERGÄNZENDE ROLLE DER SOZIALEN SICHERUNG IN DER ENTWICKLUNGSAGENDA 2.3.1 SOZIALE SICHERUNG UND WACHSTUM Eine Armutsbekämpfung im großen Maßstab in Afrika wird vom Wirtschaftswachstum und der Schaffung nachhaltiger Arbeitsplätze abhängen. Höhere Einkünfte bedeuten, dass weniger Menschen in Armut verfangen sind und mehr in der Lage sind, Schocks standzuhalten. Ist der Bedarf an sozialer Sicherung dann nicht lediglich ein Zeichen dafür, dass dieser Prozess gar nicht stattfindet? Dieses Argument sollte nicht einfach abgetan werden. Viele der Armen finden keinen Ausweg aus ihrer Lage, weil ihre Chancen begrenzt sind. Ihre Anfälligkeit für Schocks und anhaltende Armut hängt eng mit ihren Chancen zur Existenzsicherung zusammen, die zum Großteil auf die Arbeit auf Farmen in einer risikoanfälligen Landwirtschaft oder als selbstständige Kleinunternehmer in einem riskanten Marktumfeld beschränkt sind. Die Armutsreduzierung in der ganzen Welt ist dadurch gekennzeichnet, dass große Teile der Arbeitskräfte eine Tätigkeit mit stabilem Gehalt aufnehmen. Durch höhere Einkünfte für diejenigen, die weiterhin als Selbstständige oder in der Landwirtschaft tätig bleiben, würden die Chancen steigen, Vermögen oder andere Mittel aufzubauen, mit denen Schocks und Schicksalsschläge überwunden werden können. Für viele würde sich damit die Gefahr anhaltender Armut durch Mangel an Vermögenswerten auflösen. Zwar werden einige besonders gefährdete Personen auch weiterhin Formen der sozialen Sicherung benötigen, aber das Ausmaß der Aufgabe wird sich mit anhaltendem Wachstum verringern. Die soziale Sicherung stellt für diesen Prozess keinen Ersatz dar. Ihr kommt jedoch in dieser Entwicklungsagenda eine wichtige Rolle zu. Sie ist einer der Mechanismen, um das Wachstum zugunsten der Armut und stärker auf Integration auszurichten. Gleichzeitig ist sie ein direktes und einfaches Mittel zur Umverteilung von Wachstumsgewinnen an jene, die nicht in der Lage sind, einen produktiven Beitrag zur Wirtschaft zu leisten - wie Ältere oder Behinderte - und ansonsten zurückbleiben würden. Aufgrund der strukturellen Schwierigkeiten der afrikanischen Volkswirtschaften werden nach wie vor hohe Risiken bestehen. In Wachstumsphasen verändern sich die Existenzbedingungen selten problemlos. Für viele ist dies mit Risiken verbunden, u. a. Migration oder Ausübung völlig neuer Tätigkeiten. Solche Veränderungen sind entscheidend, um die Armen an den Vorteilen wirtschaftlicher Umgestaltung zu beteiligen. Wie die schnell wachsenden Volkswirtschaften in Asien und Lateinamerika jedoch gezeigt haben, verbessern 152 Eine detaillierte Darstellung einer „Umgestaltungs“-Agenda für soziale Sicherung finden Sie bei Sabates-Wheeler und Devereux 2008. E U R O P Ä I S C H E R 39 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 2 sich zwar für viele die Lebensverhältnisse, aber gleichzeitig sind andere - zumindest vorrübergehend - von schweren Notsituationen betroffen, die sogar zu anhaltender Armut führen können. Die Teilnahme anderer von Armut betroffenen Pesonen findet dann nur zögerlich statt, wodurch sich die Armutsreduzierung während der Wachstumsphasen verlangsamt. Durch geeignete soziale Sicherungsmaßnahmen in Wachstumsphasen kann die Einbeziehung der Armen und Breitenwirkung der wirtschaftlichen Entwicklung jedoch beschleunigt werden. Gleichzeitig können damit die Mechanismen in Gang gesetzt werden, um einem Rückgang in der Armutsbekämpfung vorzubeugen. Eine geeignete soziale Sicherung kann auch zum Wachstum beitragen. Über soziale Transferleistungen und andere Formen sozialer Grundsicherung können die Produktionsmittel bereitgestellt werden, die die Armen benötigen, um sich produktiv in die Wirtschaft einzubringen und sich von ihrer Abhängigkeit zu lösen.153 Durch staatliche Beschäftigungsprogramme können ebenfalls die entscheidenden öffentlichen Güter und Infrastrukturen in lokalen Gemeinden geschaffen und damit das Wachstum gefördert werden. Mit einer geeigneten Sozialversicherung können Defizite im privaten Versicherungsmarkt überbrückt und gemeindebasierte Systeme ergänzt werden. Durch die Überwindung von Marktdefiziten kann die Effizienz gestärkt werden, sodass die Haushalte ihre Ressourcen wirksamer einsetzen können und Anreize zur Risikobereitschaft und Innovation als wesentliche Voraussetzung für Wachstum geschaffen werden.154 Durch soziale Sicherung kann auch die Wirkung sozialer Ausgaben in anderen Bereichen wie der Gesundheit, Bildung oder Landwirtschaft entscheidend verstärkt werden (Kasten 2.3). Eine bei vielen Programmen in Lateinamerika praktizierte Möglichkeit besteht darin, dass soziale Transferleistungen an die Teilnahme an Gesundheitsvorsorge- und Bildungsmaßnahmen gebunden werden. Dadurch wird sichergestellt, dass in der Gesundheitsvorsorge und Bildung Fortschritte unabhängig von den Geldzahlungen an die Begünstigten erreicht werden. Solche Vorgaben sind jedoch nicht die einzige Möglichkeit, um den Nutzen der sozialen Ausgaben zu erhöhen. Sowohl mit Sozialversicherung als auch sozialer Grundsicherung können die Familieninvestitionen in das Humankapital, z. B. in Bildung und Gesundheit, geschützt werden, indem dafür gesorgt wird, dass die Kinder in der Schule bleiben oder die Ernährung bei finanziellen Engpässen nicht in Mitleidenschaft gezogen wird. Da solche Defizite in der Ernährung und Bildung oft nicht mehr rückgängig zu machen sind, bedeutet dies, dass frühere soziale Investitionen zunichte gemacht werden, was durch geeignete soziale Sicherung hätte vermieden werden können.155 Kasten 2.3: Die Komplementarität politischer Initiativen: Landwirtschaft und soziale Sicherung Politische Maßnahmen in der Landwirtschaft zielen in der Regel auf eine Erhöhung der Produktivität ab, die durch die Modernisierung der Produktionsmittel, praktische Anleitungen und die Entwicklung der Absatzmärkte erfolgt. Soziale Sicherungsmaßnahmen spielen kaum eine Rolle, es sei denn in Form eines Sicherheitsnetzes, das in Krisen- oder Dürrezeiten Nothilfe leistet. Dabei werden jedoch Chancen vertan, die sich aus einer Analyse des Zusammenwirkens der Agrarpolitik mit Maßnahmen der sozialen Sicherung ergeben. Durch soziale Sicherungsmaßnahmen können arme Landbewohner beim Ausbau und effizienten Einsatz ihrer Güter sowie bei der Aufnahme gewinnbringender Wirtschaftstätigkeiten unterstützt werden. Sie können zur Steigerung der Beschäftigung und der Einkünfte in den landwirtschaftlich schwachen Jahreszeiten beitragen, indem Landwirten die Möglichkeit gegeben wird, ihr Betriebskapital gewinnbringend einzusetzen bzw. ihre Vermögenswerte aufzustocken. Sozialpolitische Maßnahmen können für den Aufbau von Infrastrukturen genutzt werden, z. B. zur Verbesserung des Straßennetzes, des Bewässerungssystems oder zum Erhalt der Bodenqualität. Sie können eine soziale Absicherung gegen Katastrophenfälle bieten. Dadurch müssen die Bauern ihre Vermögen nicht belasten und können ihre Investitionen in Humankapital und die Gesundheit und Ernährung von Erwachsenen und Kindern schützen. Durch einen verbesserten Zugang zu sozialer Sicherung können auch bessere (marktorientierte oder gemeindebasierte) Versicherungssysteme wie Mikrokrankenkassen oder Vorsorgesysteme gegen Dürreperioden geschaffen werden, die z. B. auf Vergleichszahlen beruhen. Es ist jedoch darauf zu achten, dass Anreize und Verzerrungen, die durch soziale Sicherungsmaßnahmen entstehen, nicht das potenzielle Wachstum in der Landwirtschaft beeinträchtigen. Hilfsprogramme und langfristige öffentliche Beschäftigungsprogramme könnten sich auch hemmend auf die produktive Landwirtschaft auswirken. Es besteht ebenfalls die Gefahr, dass informelle Unterstützungssysteme durch die Abhängigkeit von öffentlichen Mitteln untergraben bzw. verdrängt werden. Derartige Fehlanreize müssen zwar im Auge behalten werden und die Programmgestalter müssen darauf achten, dass die sozialen Sicherungsmaßnahmen nicht versehentlich dazu beitragen. Die verfügbaren Daten zeigen jedoch, dass solche Faktoren bei den meisten sozialen Sicherungsmaßnahmen keinen erheblichen oder gravierenden Einfluss haben. Quelle: Alderman und Hoddinott 2010; Doward et al. 2006. 153 154 155 Weltbank 2006. Ravallion 2006. Alderman und Hoddinott 2010. 40 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung zur Überwindung anhaltender Armut und Gefährdung 2.3.2 SOZIALVERSICHERUNG UND MIKROFINANZIERUNG Aus ökonomischer Perspektive betrachtet greift die Sozialversicherung, wenn die privaten Versicherungsmärkte und die informellen Absicherungssysteme versagen. Über soziale Grundsicherung werden Beihilfen gewährt, wo normalerweise die Kreditmärkte die erforderliche Liquidität bereitstellen würden, zumal, wenn mit vorhandenem Kredit aussichtsreiche Ertragschancen verfolgt werden könnten. Während herkömmliche Kredit- und Versicherungsmärkte die Armen zumeist nicht adäquat absichern, sind mittlerweile Institute für Mikrofinanzierungen weit verbreitet, die insbesondere Dienstleistungen für Arme anbieten. Wozu dann eine Förderung der Sozialversicherung, anstatt der Ausweitung von Mikrofinanzierung? Beide Ansätze haben Stärken und Schwächen, aber neben der zielgerichteten Ausrichtung der Mikrofinanzierung spielt auch die Sozialversicherung eine ergänzende Rolle bei der Überwindung von Armut und Gefährdung. In den letzten Jahren haben Versicherungen über Mikrofinanzierungs-Institute erheblich an Bedeutung gewonnen. Diese Institute bieten jetzt eine Vielzahl an Produkten, u. a. Lebens- und Krankenversicherungen sowie Absicherung gegen Klimaschocks an. Mikroversicherungen sind zwar noch lange nicht so verbreitet wie Mikrokredite, bemühen sich aber um marktorientierte Lösungen für offenbar ähnliche Probleme. Ist die Mikrofinanzierung eine bessere Alternative zur Sozialversicherung? Aktuelle Erkenntnisse lassen darauf schließen, dass die Aussichten durchaus erfolgversprechend sind, die Sozialversicherung aber aus mindestens sechs Gründen nicht vollständig ersetzen können. • Erstens sind Versicherungen keine leicht zu verkaufenden Produkte, da sie auch für wohlhabende und gut ausgebildete Menschen oftmals schwer zu verstehen sind. Die Aufklärung der Verbraucher wird daher Zeit in Anspruch nehmen. • Zweitens erfordern sie als Neuprodukte beträchtliches Vertrauen, bevor sich die Haushalte zum Kauf entscheiden.156 Hier besteht ein Unterschied zum Mikrokredit. Beim Mikrokredit stellt der Geber zunächst Geld in Form eines Darlehens bereit und muss dann später Mittel und Wege der Rückvergütung finden. Bei der Mikroversicherung muss der Versicherer zunächst den Verbraucher überzeugen, dass dieser ihm Geld gibt und der Verbraucher muss darauf vertrauen, dass der Versicherer ihn unter bestimmten Umständen auszahlt. Viele arme Haushalte werden dieses Geld nicht aufbringen wollen, weil sie denken, dass sich ihr Risiko dadurch eher noch erhöhen könnte. • Drittens sind der Aufbau von Vertrauen und die Aufklärung des Verbrauchers kostspielig, sodass es kaum möglich sein wird, Versicherungsprodukte anzubieten, ohne sie zunächst zu subventionieren bzw. sie zumindest nicht gewinnbringend bereitzustellen. • Viertens erfordert die Preisbildung für Versicherungen detaillierte versicherungsstatistische Daten, die in armen Gebieten des subsaharischen Afrikas zurzeit nur begrenzt vorhanden sind. Ohne solche Daten wäre die Einrichtung von Versicherungssystemen ein riskantes Geschäft und die Regulierungsbehörden würden solche Finanzinstitute kaum unterstützen. • Fünftens sind Privatversicherungen kaum für die Absicherung gegen Katastrophen und Schocks im großen Maßstab geeignet, denn sie würden einen hohen Preis und kostenintensive Rückversicherungen erfordern. • Sechstens sind verschiedene Versicherungsformen von Informationsasymmetrien betroffen. Eine Krankenversicherung ist zum Beispiel aufgrund der negativen Risikoauslese schwer umsetzbar, wenn nur diejenigen eine Krankenversicherung kaufen, die ein Gesundheitsrisiko aufweisen. Eine Eigentums- oder Feuerversicherung unterliegt moralischen Risiken (moral hazard), da die Menschen, die sie erwerben, eventuell weniger achtsam handeln. Das führt zu Preisbildungs- und Versorgungsproblemen auf dem Versicherungsmarkt, wodurch viele Menschen unversichert bleiben. Eine Marktlösung für soziale Sicherung ist demzufolge nicht nur kurzfristig, sondern auch längerfristig absolut unzureichend. Genauso wie in den wohlhabenden Volkswirtschaften würde sie zu Unterversicherung führen, bei der die Menschen aufgrund des mangelnden Verständnisses unzureichende oder unangemessene Versicherungen abschließen würden. Viele Risiken würden auch nicht abgedeckt werden, denn der Markt würde nicht genügend Produkte dazu bereitstellen. Auch die Preisbildung wäre betroffen und es würden überteuerte Produkte entstehen. Daraus ergibt sich, dass Mikroversicherungen zumindest kurzfristig sicherlich nicht einfach Sozialversicherungsleistungen ersetzen könnten. Sie bieten jedoch ergänzende Möglichkeiten für einen kostengünstigen Schutz gegen viele spezifische Risiken und könnten Teil des Sozialversicherungssystems werden, bei dem u. a. Prämien für spezifische Leistungen gezahlt werden. Vieles lässt sich aus den Erfahrungen mit privaten Mikroversicherungen lernen, die zur Schaffung und Nachhaltigkeit von sozialen Sicherungsnetzen eingesetzt wurden. Eine derartige Versicherung ist mit einem Vertrag verbunden, der einen angemessenen Gesetzesrahmen erfordert. Dieses Merkmal schafft Glaubwürdigkeit und Garantien für den Verbraucher. Ein deutlicher Rechtsanspruch auf Sozialversicherung wäre eine notwendige Entsprechung, um umfänglichen Schutz zu bieten. Private Versicherungsmärkte tun sich schwer, wenn es um Katastrophenrisiken geht, und Sozialversicherungen würden vor ähnlichen Problemen stehen. Es müssten also geeignete Vorkehrungen für solche Katastrophenfälle getroffen werden, wobei die Prinzipien der Rückversicherung als Vorbild genutzt werden könnten. Viele der Probleme von Versicherungen, z. B. Vertrauen und moralische Risiken, treffen auch auf die Sozialversicherung des Staates oder anderer Akteure zu; sie untergraben die Wirksamkeit oder führen zu einer Kostenerhöhung. 156 See, for example, Cai et al.2009. E U R O P Ä I S C H E R 41 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 2 Wäre es zur Verbesserung der sozialen Sicherung daher nicht möglich, bestehende informelle Versicherungen oder vergleichbare Systeme stärker zu nutzen? Informelle Versicherungssysteme sind in ihr lokales gesellschaftliches Umfeld eingebunden. Sie basieren auf den sozialen Beziehungen der Menschen und dem dadurch bestehenden hohen Stand an Vertrauen und Informationen. Stammes- und netzwerkbasierte Systeme beruhen auf gemeinsamem Wissen und Verständnis, aber auch auf Verhaltensnormen, die den Fortbestand solcher Systeme erleichtern. Gruppen der gegenseitigen Unterstützung, wie Sterbekassen, verfügen in der Regel über strenge Mitgliedschaftsbestimmungen und kommen regelmäßig zusammen, um ihre Bindungen zu stärken. Bei der Bereitstellung von Versicherungen, einschließlich Sozialversicherung, können diese Beziehungen genutzt werden, um einige der typischen Probleme moralischer Risiken und des Vertrauens zu begrenzen. Informelle Versicherungssysteme könnten arme Menschen also entweder über marktorientierte Mechanismen oder Sozialversicherungen erreichen. Dadurch würden die Kosten begrenzt und die Effizienz gesteigert. Wenn z. B. eine breite Risikoverteilung erforderlich ist, wie bei kovariaten Risiken, könnte die Sozialversicherung bestehende Systeme der gegenseitigen Unterstützung ergänzen, ohne sie ins Abseits zu drängen. Ein Vorbehalt ist, dass die Stärke dieser Organisationen gerade in ihrer Unabhängigkeit von Markt- oder Regierungsstrukturen liegt. So werden die Sterbekassen in Äthiopien und Tansania beispielsweise als die am stärksten demokratisch und integrativ ausgerichteten Einrichtungen betrachtet, zumal sie kaum durch elitäre Strukturen oder politische Vereinnahmung geprägt sind. Eine Ausweitung könnte sich insofern sogar negativ auswirken. Mikrokredite werden als gängige Schlüsselelemente in der Entwicklungszusammenarbeit betrachtet, um Arme zu erreichen und deren Fähigkeiten zur Selbstbestimmung zu stärken. Es lässt sich zwar nicht so einfach ein klarer und unbestrittener Nachweis führen, dass Mikrokredite den erhofften Wandel in den Lebensbedingungen bringen,157 aber die offensichtliche Beliebtheit und der Erfolg der großen Mikrokredit-Institute in Asien und Lateinamerika legt die Vermutung nahe, dass es sich um eine wirkungsvolle, stärker marktorientierte Alternative zur breiteren Sozialversicherung für arme Menschen handelt. Ein Argument für eine breitere soziale Grundsicherung ist die Tatsache, dass Mikrokredite nur schwer die ärmsten Bevölkerungsschichten erreichen.158 BRAC, eines der größten Mikrofinanz-Institute der Welt (das zunächst nur in Bangladesch existierte, aber nun auch in verschiedenen afrikanischen Ländern operiert), hat beispielsweise begonnen, spezifische Programme für Personen in extremer Armut aufzulegen, um Möglichkeiten zu erschließen, wie sich die ärmsten Schichten ebenfalls für ihre Mikrokreditprogramme qualifizieren können. Außerdem sind Kredite für Arme auch nicht kostenlos, denn bei den meisten Umsetzungsmodellen wird kaum ein Unterschied zwischen Nichtrückzahlung aufgrund unzulässigen Verhaltens oder wegen wirklichen Unglücksfällen gemacht. Das hat dazu geführt, dass manche von „Mikroverschuldung“ anstatt von Mikrokrediten sprechen, da Verpflichtungen eingegangen werden, die nach Schocks nicht erfüllt werden können. Es gibt dokumentierte Fälle, dass zur Refinanzierung zurückzuzahlender Darlehen auf die Dienste von Geldverleihern zurückgegriffen wurde, was zu einer Schuldenfalle führt.159 Trotz des Angebots von Krediten für Produktionsmittel blieb der Einsatz moderner Kreditfazilitäten im ländlichen Äthiopien wegen der Furcht vor Verschuldung und der damit einhergehenden Notlagen begrenzt.160 Insofern bieten Mikrokredite also nicht unbedingt eine Lösung für alle von Armut betroffenen Personen. Der Erfolg von Mikrokreditprogrammen, mit dem Millionen in der Welt erreicht wurden, zeigt aber, dass daraus Schlussfolgerungen für soziale Sicherungsprogramme gezogen werden können. Ein Mikrokredit ist ein klarer Vertrag zwischen Kreditgeber und Kreditnehmer, der mit deutlich formulierten Rechten und Verpflichtungen verbunden ist. In den Verträgen einiger Mikrokredit-Institute werden für den Fall der Kreditrückzahlung umfassendere Darlehen in Aussicht gestellt. Mit dem Angebot solcher garantierten Rechte und Pflichten könnten die Einsatzmöglichkeiten sozialer Hilfe zur Selbsthilfe verbessert werden. Die Entwicklung eines besser funktionierenden Kreditmarkts mit Hilfe von Mikrokreditprogrammen könnte aber auch durch eine wachsende Rolle der sozialen Sicherungssysteme beeinträchtigt werden. Diejenigen Personengruppen, die nahe an dem Limit einer eventuellen Grundabsicherung liegen, könnten alles daransetzten, auf diesem Niveau zu bleiben, wie es auch bei Unternehmen begrenzter Haftung beobachtet wird.161 Wenn Menschen Kredite angeboten werden, die durch Nichtrückzahlung wenig verlieren können, weil sie einen Grundbetrag über die staatliche soziale Sicherung beziehen, würde dies dazu führen, dass sie auf zu hohe Risiken setzen, was wiederum nicht im Interesse der Mikrokredit-Institute ist, die solvent bleiben wollen. Im Ergebnis könnte soziale Sicherung dazu führen, dass die Ärmsten von den Kreditmärkten verdrängt werden, da ihnen nicht einmal Mikrokredit-Institute Darlehen anbieten würden. Dieses Problem könnte vermieden werden und ist ein überzeugender Grund für die Einrichtung sozialer Sicherungsmechanismen, z. B. in Form von Sozialversicherungen für spezifische Risiken wie Krankheit, Behinderung, Arbeitslosigkeit und Dürre, anstatt allgemeine Einkommensrisiken abzusichern. In der Tat könnten geeignete Versicherungen und eine soziale Sicherung, die auf bestimmte, nicht leicht manipulierbare Risiken ausgerichtet sind, eine stärkere Inanspruchnahme von Mikrokrediten zur Nutzung aussichtsreicher Chancen bewirken. Gleichzeitig würde damit verhindert, dass Mikrokreditprogramme zu Mikroverschuldungsprogrammen werden. 157 158 159 160 161 Armandáriz de Aghion und Murdoch 2005. Armandáriz de Aghion und Murdoch 2005. Matin 1997; Adams und von Pischke 1992. Dercon und Christiaensen 2010. Stiglitz 1981. 42 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung zur Überwindung anhaltender Armut und Gefährdung 2.3.3 SOZIALE UND POLITISCHE UMGESTALTUNG IM ZUSAMMENHANG MIT SOZIALER SICHERUNG Ein Großteil der Armut, auch im subsaharischen Afrika, ist eng mit sozialen und politischen Prozessen verbunden, wie z. B. ethnische Abstammung, Wohlstandsgefälle, Korruption, Demokratiedefizite, Gewalt und militärische Macht. Die Diskussion über soziale Sicherung darf sich diesen Zusammenhängen nicht verschließen. Es ist kaum zu erwarten, dass diese Prozesse durch soziale Sicherung überwunden werden können. In einigen Fällen kann sogar davon ausgegangen werden, dass soziale Sicherung und Hilfe zum Fortbestand dieser strukturellen Faktoren beitragen und wirkliche soziale und politische Umwandlungen behindern. Eine sinnvolle soziale Sicherung kann jedoch eine positive Rolle spielen. Sie kann eine stärkere Inklusion armer und ausgegrenzter Gruppen in die Entwicklungsprozesse begünstigen. Beispielsweise lässt sich für das Transferprogramm „Juntos“ in Peru sagen, dass viele Andenbauern dadurch überhaupt zum ersten Mal etwas vom Staat erhielten, anstatt nur dessen Unterdrückung und Gewalt zu spüren. Selbst wenn die Transferleistungen gering sind, kann diese Erfahrung ein wichtiger Schritt in einem umfangreicheren sozialen und politischen Engagement sein. Die soziale Sicherung kann zudem wichtige Folgen für die politische Ökonomie der Umverteilung haben. Soziale Sicherungsmechanismen können helfen, die Struktur der „Gönnerschaft“ zu überwinden, die oft die informellen Versicherungsvereinbarungen zwischen Armen und den lokalen Eliten charakterisiert.162 Die Auflösung solcher Abhängigkeitsverhältnisse kann wiederum Klientelismus und Neopatrimonialismus zurückdrängen163 und den politischen Wettbewerb stärken, was dann eher zu einer Unterstützung effektiver öffentlicher Maßnahmen zugunsten der Armen führt.164 In diesem Sinn kann die soziale Sicherung durchaus einen Multiplikationseffekt für die Armutsbekämpfung haben. Damit soziale Sicherung Erfolg haben kann, muss ihr neben den anderen staatlichen Entwicklungsmaßnahmen eine komplementäre Rolle zugewiesen werden. Sie ist bei der Armutsbekämpfung umso effektiver, wenn Wachstum und Arbeitsplätze gefördert werden und marktorientierte Lösungen, wie Mikrokredite und Versicherungen, Bestandteil der kontinuierlichen Bemühungen zur Armutsbekämpfung sind. Das geeignete Ausmaß der sozialen Sicherung ist nicht nur eine technokratische, sondern vor allem eine politische Frage. Wie viel Unterstützung will man den ärmsten Gruppen zukommen lassen? In welchem Maße sollten die Menschen selbst Verantwortung übernehmen und für den Schutz bezahlen? Was ist politisch realistisch und nachhaltig? Technisch betrachtet müssen Kompromisse zwischen den verschiedenen politischen Instrumenten in Abhängigkeit davon getroffen werden, inwieweit sich diese gegenseitig ersetzen bzw. ergänzen. Da die Finanzierung der sozialen Sicherung mit anderen öffentlich finanzierten Bereichen (wie Bildung, Infrastruktur oder Entwicklung des privaten Sektors) im Wettbewerb steht, ist die Kehrseite ein enges staatliches Budget. Im Prinzip müssen für bestimmte soziale Ziele und Umsetzungsbedingungen die Erfolgsraten der jeweils konkurrierenden und sich ergänzenden politischen Instrumente untersucht und anschließend die Kombination ermittelt werden, mit der diese Ziele unter den jeweiligen Bedingungen am effektivsten umgesetzt werden können. Diese Perspektive erfordert gewisse Analyse- und Evaluierungskapazitäten, welche oft erst noch im Zuge des politischen Prozesses aufgebaut werden müssen. Abgesehen von der technischen Perspektive werden die sozialen Ziele von politischen Kompromissen bestimmt, während die Umsetzungsbedingungen die sozialen und historischen Gegebenheiten widerspiegeln. Wie weiter unten in diesem Bericht erläutert wird, muss für eine effektive politische Umsetzung jedes nationale Sicherungssystem gesondert untersucht werden. Gleichzeitig muss überlegt werden, inwieweit die verschiedenen Politikinstrumente untereinander in Konflikt geraten oder sich gegenseitig ergänzen. Instrumente der sozialen Sicherung, die bestimmte Gruppen besonders begünstigen, können bei anderen Gruppen politischen Widerstand oder eine Polarisierung hervorrufen, wenn der Eindruck entsteht, dass die Sozialstrategien den Menschen nicht gleichermaßen dienen. Soziale Grundsicherung, die an „sehr Arme“ gerichtet ist, kann Widerstand bei den „nicht so Armen“ oder generell bei den reicheren Schichten Widerspruch hervorrufen und als „Assistenzialismus“ bezeichnet werden. Gleichzeitig können soziale Inklusion und Stärkung der Eigenverantwortung ausgegrenzter Gruppen politische Veränderungen bewirken, die zu einem zu einer Änderung der Machtverhältnisse führen und zukünftige politische Kompromisse ermöglichen, die stärker den Armen zugute kommen. Das Verständnis dieser unterschiedlichen politischen Faktoren ist deshalb eine wichtige Voraussetzung, um festzulegen, was in der Politik machbar und nachhaltig ist. 162 163 164 Fafchamps 1992; De Weerdt 2004. Bratton und Van de Walle 1994. Siehe beispielsweise Moser (1998) über aufschlussreiche Erkenntnisse über die negativen Zusammenhänge zwischen Gönnerschaft und Armutsbekämpfung. E U R O P Ä I S C H E R 43 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 KAPITEL DREI Kapitel 3 GESTALTUNG, UMSETZUNG UND POLITIK DER SOZIALEN SICHERUNG 44 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 KAPITEL 3 GESTALTUNG, UMSETZUNG UND POLITIK DER SOZIALEN SICHERUNG Soziale Sicherung ist ein nützliches Mittel, um kurz- und mittelfristige Ziele der Ernährungssicherheit, stabiler Existenzbedingungen und der Armutsbekämpfung zu erreichen. Als langfristiges Ziel sollte die soziale Sicherung jedoch auf den Abbau von Armut und Ungleichheit durch soziale Sicherungssysteme abzielen, bei denen die Synergie-Effekte der verschiedenen sektorspezifischen Programme und Entwicklungsinitiativen genutzt werden. Eine sorgfältige Gestaltung und Umsetzung der unterschiedlichen Maßnahmen und Instrumente der sozialen Sicherung sind die Voraussetzung, um anhaltende Armut und Verwundbarkeit zu überwinden und inklusives Wachstum zu fördern. Im Kontext der subsaharischen Länder Afrikas, die durch einen breiten informellen Sektor, einen hohen Anteil an Kleinbauern, eingeschränkte öffentliche Budgets und viele von Konflikten und Fragilität betroffene Staaten gekennzeichnet sind, ist ein Ausbau bzw. die Ausweitung und Umsetzung von sozialer Sicherung eine bedeutende Herausforderung. Nachhaltige Maßnahmen und Instrumente der sozialen Sicherung erfordern politisches Engagement. Dies ist oft vom Engagement der jeweiligen Machthaber abhängig und setzt eine Beteiligung der Mittelklasse an zahlreichen Programmen und ein klares Verständnis langfristiger fiskalischer Nachhaltigkeit voraus, die in erster Linie durch einen eigenen haushaltspolitischen Handlungsspielraum erreicht und durch eine stabile und langfristige Geberunterstützung ergänzt werden muss. Aus unserer Definition der sozialen Sicherung, wie sie in den vorherigen Kapiteln erläutert wurde, können wir einige nützliche Ziele und „Instrumente“ bzw. Mechanismen der sozialen Sicherung herausarbeiten, die nach ihrer Funktion (Versicherung, Grundsicherung, Integration) unterteilt werden. Die Hauptziele der sozialen Sicherung sind die Überwindung von a) der Gefährdung, b) der Armut und c) der Ausgrenzung von vulnerablen Personengruppen. Andere Ziele können durch eine geeignete Gestaltung und Umsetzung der sozialen Sicherung erreicht werden, insbesondere die Förderung (a) einer inklusiven Entwicklung zugunsten der Armen und (b) von Wirtschaftswachstum. Das Neuartige einer Agenda der sozialen Sicherung besteht im Gegensatz zu den traditionellen Sicherungsnetzen darin, dass diese Ziele zusammengeführt werden, und die Mechanismen zum Abbau von Armut und Schutzbedürftigkeit gleichzeitig auch zur Verringerung der Abhängigkeit und damit zur Befähigung der „produktiven“ Armen führen, nachhaltige Existenzbedingungen zu erreichen. Diese neue Agenda konzentriert sich darauf, über geeignete soziale Sicherungsmaßnahmen für arme und schutzbedürftige Haushalte unabhängige und nachhaltige Existenzbedingungen zu schaffen. Viele konditionierte und nicht konditionierte Geldtransferleistungen beruhen auf diesem Modell. Kasten 3.1: Nachhaltige Existenzgrundlagen und wirtschaftlicher Aufstieg Der Begriff „nachhaltig“ bezieht sich auf das ausdrückliche Ziel der sozialen Sicherung, stabile Existenzgrundlagen zu fördern. Das Programm für ein produktives Sicherheitsnetzwerk (PSNP) in Äthiopien bietet zum Beispiel soziale Transferleistungen (Lebensmittel und Geld), die zum großen Teil an die Teilnahme an öffentlichen Beschäftigungsprogrammen gebunden sind und im Zusammenwirken mit anderen Initiativen zur landwirtschaftlichen Beratung und der Vermögensbildung der Haushalte erfolgen. Ziel des PSNP ist es, für die Haushalte eine Situation zu erreichen, in der die Ernährungssicherheit nicht mehr von sozialen Transferleistungen abhängig ist und eigene Existenzgrundlagen geschaffen werden können. Laut dem Programm „hat sich ein Haushalt emanzipiert, wenn er keine PSNP-Transferleistungen mehr erhält, seinen Nahrungsmittelbedarf über einen Zeitraum von 12 Monaten selbst decken und kleinere Krisen selbst überwinden kann“.165 „Chile Solidario“ ist ein weiteres Beispiel sozialer Sicherung, die über ergänzende Initiativen erfolgt, nämlich konditionierte Geldleistungen und unterstützende Dienstleistungen. Auch andere Programme in Lateinamerika, z.B. „Oportunidades“166 und „Bolsa Familia“, zielen darauf ab, dass sich die Teilnehmer von den Programmen „emanzipieren“. 165 166 Koordinationsbüro für Ernährungssicherheit 2007, S. 1. Dieses Programm, das früher unter dem Namen „PROGRESA“ bekannt war, wurde 2001 in „Oportunidades“ umbenannt. In diesem Bericht verwenden wir die Bezeichnung „Oportunidades“. E U R O P Ä I S C H E R 45 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 3 Soziale Sicherung ist auch ein nützliches Mittel, um kurz- und mittelfristige Ziele der Ernährungssicherheit, Existenzsicherung und Armutsbekämpfung zu erreichen. Als langfristiges Ziel sollte die soziale Sicherung jedoch auf den Abbau von Armut und Ungleichheit durch den Aufbau national entwickelter und in Eigenregie geführter sozialer Sicherungssysteme abzielen, die Synergieeffekte der verschiedenen sektorspezifischen Programme und Entwicklungsinitiativen nutzen. Soziale Sicherung stellt nicht nur eine Reihe von Instrumenten für bestimmte Ziele dar, sondern sollte auf einer anspruchsvollen, zukunftsorientierten Agenda aufbauen, mit der koordinierte Entwicklungsaktivitäten auf der Grundlage eines starken politischen Engagements durchgeführt werden. Im Hinblick auf diese Ziele werden im Folgenden einige Instrumente der sozialen Sicherung näher erläutert. 3.1 GESTALTUNG VON PROGRAMMEN DER SOZIALEN SICHERUNG Soziale Sicherungsprogramme können auf vielfältige Weise gestaltet werden, um ihren Zielen gerecht zu werden. Einige können an die Erreichung bestimmter Anforderungen gebunden sein, während bei anderen keinerlei Bedingungen an die Empfänger gestellt werden. Einige richten sich an spezifische Zielgruppen und andere sind eher universell ausgerichtet. Je nach Zielen und Ressourcen bieten sie Geld- oder Sachleistungen an. Bei der Gestaltung eines Programms zur sozialen Sicherung müssen außerdem auch die Mittel und Wege berücksichtigt werden, mit denen die Zahlungen geleistet werden. Alle diese Merkmale können dazu beitragen, dass ein Programm seine Ziele erfüllt und die Bedürftigen erreicht. 3.1.1 KONDITIONIERTE UND NICHT KONDITIONIERTE TRANSFERLEISTUNGEN Konditionierte Transferleistungen, die in Lateinamerika sehr beliebt sind, zielen darauf ab, den Kreislauf der Armutsvererbung von einer Generation auf die nächste zu durchbrechen, indem die Erfüllung von Auflagen verlangt wird, um so die Investitionen in das Humankapital zu fördern. Die Anforderungen sind oft an den Zugang zu Bildung, Gesundheits- und Ernährungsdienstleistungen gebunden, z. B. die Schulanmeldung (beim Programm „PROGRESA“ in Mexiko), die Anwesenheit in der Schule, regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen und die Teilnahme an Ernährungsprogrammen (z. B. Schulspeisung). Zu den Voraussetzungen für konditionierte Transferleistungen gehört die Bereitstellung entsprechender Dienstleistungen. Programme, die mit konditionierten Transferleistungen arbeiten, benötigen zudem zusätzliche finanzielle Mittel für die Verwaltungskosten, die durch die Evaluierung der Auflagenerfüllung entstehen. Da die Transferleistungen oft an das weibliche Familienoberhaupt gezahlt werden, wurden konditionierte Transferleistungen dafür gelobt, dass sie den Frauen finanzielle Unabhängigkeit verschaffen. Gleichzeitig wurde jedoch kritisiert, dass sie die Rolle der Frauen als Fürsorgerinnen verstärken.167 Ein Beispiel für konditionierte Transferleistungen (Conditional Cash Transfer, CCT) ist das Programm Oportunidades (zuvor PROGRESA) in Mexiko. Mütter von Kindern im Schulalter, die in der Schule angemeldet sind und 85 % der Zeit die Schule besuchen, erhalten Geldleistungen. Mütter, die ihre jüngeren Kinder zu Vorsorgeuntersuchungen bringen und sicherstellen, dass sie Impfungen erhalten, bekommen ebenfalls Geldleistungen. Nicht konditionierte Transferleistungen sind hingegen mit keinerlei Auflagen für den Empfänger verbunden. Dazu gehören beitragsfreie soziale Renten, Beihilfen zum Grundeinkommen, Invalidenrente und Kindergeld. Die Bedingungsfreiheit dieser Beihilfen beruht oft auf der Annahme, dass die Empfänger besser als die umsetzende Organisation wissen, wie sie das Geld optimal einsetzen können. Durch die nicht konditionierte Zahlung kann der Empfänger das Geld für die Artikel und Produkte ausgeben, die für sein eigenes Überleben oder die Verbesserung seiner Situation am wichtigsten sind. Die Popularität bedingungsfreier Transferleistungen ist besonders in Regionen mit schwach ausgeprägten Sozialdienstleistungen gestiegen, in denen die Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen nicht bereitgestellt werden können, die für konditionierte Transferleistungen erforderlich wären. Nicht konditionierte Leistungen sind in der Regel auch mit geringeren Verwaltungskosten verbunden, da kein Personal zur Registrierung der Empfänger und Kontrolle der Auflagenerfüllung erforderlich ist. Aufgrund der Bedingungsfreiheit der Transferleistungen gibt es allerdings auch keine Garantie, dass die Empfänger das Geld zur Verbesserung ihrer Existenzbedingungen einsetzen (obwohl Erkenntnisse aus Südafrika darauf hinweisen, dass dies sehr wohl der Fall ist). Wie bei allen anderen Merkmalen von Transferleistungen gibt es auch bei den Bedingungen Vor- und Nachteile und sie sind kontextspezifisch. Einige Autoren gehen davon aus, dass Auflagen hinsichtlich Gesundheit und Bildung unnötig sind, denn Menschen in Armut würden auch ohne solche Bedingungen ihre Kinder in die Schule schicken oder die medizinische Grundversorgung in Anspruch nehmen. Es müssen jedoch auch die Begünstigten aus marginalisierten Gruppen berücksichtigt werden. Zum Beispiel „war insbesondere der Anteil der Schülerinnen, die in Mexiko auf dem Land vorzeitig die Oberschule abbrachen, untragbar hoch. Schätzungen über die Auswirkungen von Oportunidades auf den Anteil der in der Schule angemeldeten Kinder besagen, dass dieser zwei Jahre nach dem Start des Programms um ca. 1 Prozentpunkt (von ursprünglich 90 - 94 %) bei den Jungen in der Grundschule und sogar um 9,3 Prozentpunkte (von ursprünglich 67 %) bei den Mädchen in der Oberschule gestiegen war. Die Auswirkungen der Konditionalität werden an den marginalisierten Haushalten gemessen, die ihre Kinder in der Schule anmeldeten oder sie nicht herausnahmen, was sie ansonsten getan hätten. Ob dies die 2 % Transferkosten rechtfertigt, die bei der Durchsetzung der Bedingungen bei Oportunidades entstehen, ist ein anderes Thema“.168 167 168 Molyneux 2007. Caldes und Ahmed 2004. 46 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Gestaltung, Umsetzung und Politik der sozialen Sicherung Eine weitere Sorge hinsichtlich von Bedingungen ist die Frage, inwieweit dadurch den Leistungsempfängern nicht unerhebliche Kosten auferlegt werden, die bei der Festlegung des Leistungsumfangs nicht berücksichtigt werden. Dazu gehören die Zeiten, die die Mütter aufwenden müssen, um die Einhaltung der Bedingungen sicherzustellen oder Formulare auszufüllen sowie Wartezeiten an Schulen oder Kliniken. Wenn zusätzliche Belastungen entstehen, die bei der Festlegung des Transferumfangs unberücksichtigt bleiben, kann sich die Situation der Armen dadurch noch verschlimmern. Bedingungen sind also wichtig für die „marginalisierten“ Begünstigten und können den Zugang und die Nutzung grundlegender Dienstleistungen erhöhen. Es muss jedoch die Effektivität der Konditionierung gegenüber bedingungsfreien Transferleistungen im jeweiligen spezifischen Kontext geprüft werden. Die Kritiker der Konditionierung argumentieren, dass die angestrebten positiven Auswirkungen durch das Einkommen und nicht durch die jeweilige Bedingung entstehen. Diesem Argument wurde nur in wenigen Studien nachgegangen. Zumindest kann gesagt werden, dass Bedingungen im Randbereich effektiv sind.169 Für die Bedingungen lässt sich auch noch ein weiteres wirtschaftspolitisches Argument anführen, nämlich dass die Unterstützung durch die Nichtbegünstigten wächst, wenn die Leistungen mit Konditionen einhergehen. 3.1.2 ZIELGERICHTETE UND UNIVERSELLE PROGRAMME Es gibt zahlreiche Diskussionen darüber, ob soziale Transferleistungen von moralischer, empirischer oder politischer Perspektive aus ins Auge gefasst werden sollten. Mit zielgerichteten Programmen wird versucht, eine gefährdete Gruppe zu identifizieren und ihr Transferleistungen zu zahlen, während andere Teile der Bevölkerung, die als weniger verwundbar gelten, ausgeschlossen werden. Die Zielgruppenbestimmung kann anhand von Einkommenstabellen oder nach bestimmten Kategorien vorgenommen werden. Dazu gehören bestimmte geographische Gebiete oder Personengruppen wie gefährdete Kinder oder Arbeitslose. Zu den Methoden gehören die Anmeldung durch die potentiell begünstigten Personen selbst, gemeindebasierte Auswahlmechanismen und Bedarfsprüfungen. Obwohl diese Programme auf ganz spezifische Gruppen abzielen, wurde Kritik aufgrund der Ausgrenzung und Stigmatisierung bedürftiger Gruppen, sozialer Spannungen in der Gemeinschaft und der durch die Zielgruppenbestimmung und Bevölkerungsbewertung entstehenden Verwaltungskosten geübt.170 Hoddinott171 führt jedoch aus, dass „unter dem Strich die Erkenntnisse belegen, dass zielgerichtete Programme, so wie sie gegenwärtig in den Entwicklungsländern praktiziert werden, durchaus armen Haushalten verstärkt zugute kommen“. Er weist außerdem darauf hin, dass die Zuteilungsmechanismen in zielgerichteten Programmen transparenter gestaltet werden können. Kasten 3.2: Methoden der Zielgruppenbestimmung Zu den möglichen Methoden der Zielgruppenbestimmung gehören Folgende: Bedarfsprüfung: Sie erfolgt durch die Bewertung des Einkommens sowie der Vermögenswerte der Bewerber. Die unter einem festgelegten Grenzwert liegenden Haushalte gelten als förderungsberechtigt. Ersatzindikatoren: Anhand von Merkmalen wie der Lage (geographische Zielgruppenbestimmung), Alter und Geschlecht, die mit dem Wohlstands- bzw. Armutsniveau eng zusammenhängen. Ersatzweise Bedarfsermittlung (Proxy means testing): Anhand einer gewichteten Kombination von Merkmalen, die mit dem Wohlstands- bzw. Armutsniveau eng zusammenhängen. Kategorische Zielbestimmung: Anhand von Merkmalen, die für politische Entscheidungsträger von Interesse sind (Waisenkinder oder Menschen mit Behinderungen), die mit dem Wohlstands- bzw. Armutsniveau eventuell zusammenhängen könnten. Beantragung durch die Anwärter selbst: Aufgrund der freiwilligen Teilnahme am Programm, wobei die Anwärter oft selbst ihren Unterstützungsbedarf nachweisen müssen. Gemeindebasierte Mechanismen: Grundlage ist die Bedarfsermittlung durch die Gemeinde, in der ein Programm umgesetzt wird. Universelle Zielbestimmung: Alle bzw. alle einer bestimmten Kategorie zugehörigen Personen sind förderungsberechtigt. Hinsichtlich der Kosten argumentieren die Befürworter zielgerichteter Programme, dass universelle Programme in zweierlei Hinsicht ineffizient sind. Erstens liefern universelle Programme Transferleistungen an nichtarme Haushalte. Zweitens erhalten einige arme Haushalte Transferleistungen, die über die Armutsgrenze hinausgehen. Durch solche Ineffizienz verringert sich die Wirkung der universellen Transferleistungen auf die Armutsbekämpfung. Analysen von Coady und Kollegen172 belegen die Annahme, dass sich 169 170 171 172 Barrientos 2007. Samson 2009. Hoddinott 2007. Coady et al. 2004a. E U R O P Ä I S C H E R 47 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 3 zielgerichtete Programme als effizienter und effektiver erweisen können. Durch die Entwicklung von Vergleichsparametern, mit denen sich der Anteil der Programmressourcen ermitteln lässt, der an ein bestimmtes Bevölkerungssegment transferiert wurde, zeigen sie auf, inwieweit die (nach dem Einkommen) ärmsten Bevölkerungsschichten von einem Transferprogramm profitieren. Bei 85 untersuchten Programmen weisen sie nach, dass bei zielgerichteten Programmen 25 % mehr Ressourcen an arme Haushalte gingen, als es bei universellen Programmen der Fall gewesen wäre. Sie fanden ebenso heraus, dass in Ländern mit höheren Umsetzungskapazitäten die armen Bevölkerungsgruppen zielgerichteter unterstützt werden. Das Gleiche trifft auf Länder zu, in denen die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass die Regierungen für ihr Verhalten Rechenschaft ablegen müssen. Diese Ergebnisse von Coady und Kollegen klingen zwar überzeugend, könnten sich aber bei Betrachtung der tatsächlichen weltweiten Programmgestaltung als irreführend erweisen. Bei ihren Schlussfolgerungen gehen sie davon aus, dass für zielgerichtete und universelle Programme der gleiche Umfang an Ressourcen zur Verfügung steht. Dies ist aber in Wirklichkeit selten der Fall. Die Regierungen können für universelle Programme (aufgrund ihrer Popularität) viel mehr Mittel zur Verfügung stellen als für zielgerichtete Programme. Dadurch ist es möglich, dass über universelle Programme letztendlich viel mehr Mittel an arme Haushalte gehen. Solche Statistiken können jedoch nicht die Kritik der Ineffizienz und Ineffektivität entkräften, die von Hoddinott hinsichtlich der zielgerichteten Programme vorgebracht wurde.173 Wie in der Diskussion über konditionierte und nicht konditionierte Transferleistungen bereits angeführt, könnten die höheren Kosten der zielgerichteten Programme die Ergebnisse der Transferleistungen mindern. Bei der Berechnung der Kosten für die Einrichtung bedarfsabhängiger Kindergeldzahlungen in Südafrika wurde geschätzt, dass eine Anmeldung mit Verwaltungskosten in Höhe von 2,85 USD verbunden ist und die Kosten für die Bewerber im Durchschnitt weitere 3,80 USD und einen Zeitaufwand von sechs Stunden erfordern. Wenn dies auf alle anspruchsberechtigten Kinder erweitert wird, liegen die Kosten zwischen 17,2 Mio. USD für Kinder im Alter von 0 - 8 Jahren bei bestimmten Einkommensgrenzen und 34 Mio. USD für alle Kinder bei inflationsbereinigten Einkommensgrenzen.174 Eine solche Ineffizienz lässt die Forderung nach universellen Programmen gerechtfertigt erscheinen. Viele Befürworter der sozialen Sicherung fordern universelle Programme und universelle soziale Grundleistungen. Sie argumentieren, der Zugang zu sozialer Sicherung sei in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte als Grundrecht aller Menschen auf soziale Sicherheit (Art. 22), sozialen Schutz (Art. 23) und Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit, Krankheit, Invalidität oder Verwitwung, im Alter sowie bei anderweitigem Verlust seiner Unterhaltsmittel (Art. 25) sowie auf einen angemessenen Lebensstandard verankert. Thomson175 geht noch einen Schritt weiter und stellt einen Zusammenhang zwischen einer sozialen Mindestabsicherung und den Grundanliegen der Menschenrechte, nämlich Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Würde her.176 Diese drei Werte spiegeln sich seines Erachtens in dem grundlegenden Ziel einer sozialen Grundabsicherung wieder und werden durch sie gefördert. Kasten 3.3: Das Recht auf soziale Sicherung: Verpflichtungen und Durchsetzung Nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 wurde das Recht auf soziale Sicherheit in mehrere internationale177 und regionale178 Verträge aufgenommen. Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte „erkennt das Recht aller Menschen auf soziale Sicherheit und auf Sozialversicherung an“ (Art. 9). Das Recht auf soziale Sicherheit beinhaltet das Recht auf Zugang und Bezug von Geld- oder Sachleistungen, mit denen ohne Diskriminierung Schutz gewährleistet wird, u.a. bei unzureichendem Arbeitseinkommen aufgrund von Krankheit, Invalidität, Mutterschaft, Arbeitsverletzung, Arbeitslosigkeit, Alter oder Tod eines Familienangehörigen, bei unerschwinglichem Zugang zur Gesundheitsfürsorge und bei unzureichender Unterstützung der Familie, insbesondere für Kinder und erwachsene Unterhaltsberechtigte.179 Artikel 9 wurde bislang jedoch erst mangelhaft umgesetzt. 2008 äußerte der UN-Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte seine Besorgnis über einen „sehr niedrigen Stand des Zugangs zu sozialer Sicherheit für eine breite Mehrheit (rund 80 %) der globalen Bevölkerung, die gegenwärtig nur mangelhaften Zugang zu formeller sozialer Sicherheit haben. Von diesen 80 % leben 20 % in extremer Armut“.180 In der Tat werden soziale Rechte zwar anerkannt und verkündet, aber oft als „die Rechte der Armen“ bezeichnet, deren Umsetzung „schwach“ ist. Diese Rechte unterliegen nur selten dem gleichen System und den gleichen Garantien wie andere Grundrechte und sind schwer durchsetzbar. 173 174 175 176 177 178 179 180 Hoddinott 2007. Budlender et al. 2005. Thomson 2007. Thomson 2007. Das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (Art. 2 und 5) von 1966, das VN-Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Art. 11 und 14) von 1979, die UN-Kinderrechtskonvention (Art. 26) von 1989 und das VN-Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (Art. 28) von 2006. Das Übereinkommen der IAO von 1952 (Mindestnormen) definiert neun klassische Bereiche der sozialen Sicherheit. Die Europäische Sozialcharta von 1961 (Art. 12, und Art. 8 (1), 14, 16 und 17); die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Art. 34); das Protokoll von San Salvador (Art. 9); die Amerikanische Deklaration der Rechte und Pflichten des Menschen (Art. 16). Wirtschafts- und Sozialrat der UNO 2008, S. 2. Ebd., S. 5. 48 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Gestaltung, Umsetzung und Politik der sozialen Sicherung In dieser Hinsicht enthält die Afrikanische Charta über die Würde der Menschen von 1981 keinen Hinweis auf das Recht auf soziale Sicherheit. Laut dem ehemaligen Vorsitzenden der Afrikanischen Menschenrechtskommission war dies „kein Versehen, sondern erfolgte unter Berücksichtigung des aktuellen wirtschaftlichen Umfelds der meisten afrikanischen Staaten, deren Ressourcen nicht für die Unterstützung eines geeigneten Systems der sozialen Sicherheit ausreichten. Es wurde deshalb den einzelnen Staaten überlassen, ihr eigenes System der sozialen Sicherheit einzurichten“.181 Während die Daten vermuten lassen, dass ein zielgerichteter Mitteleinsatz in der Regel den Anteil für die Armen erhöht, gibt es auch Ausnahmen. Coady und Kollegen182 stellen fest, dass 14 % der Programme regressiv waren, d. h., die ärmsten 20 % der Haushalte erhielten weniger als 20 % der Leistungen. Diese Zahl erhöht sich auf 25 %, wenn selbst beantragte Nahrungsmittelbeihilfen einbezogen werden. Ein zielgerichteter Mitteleinsatz bedeutet aber auch nicht, dass alle armen Haushalte eingeschlossen sind. Es können Fehler bei der Einbeziehung der potenziellen Empfänger auftreten, weil diese im Zuge des Programms nicht korrekt ermittelt werden konnten, weil die Empfänger nicht ausreichend informiert wurden oder sich mitunter selbst ausschlossen. Eine schwache Zielgruppenbestimmung ist oft das Ergebnis einer schlechten Planung oder Umsetzung des Programms. Hoddinott183 führt aus, dass eine erfolgreiche Zielgruppenbestimmung voraussetzt, dass die Programmmanager wissen, wer die Armen sind und wo und wie diese am besten erreicht werden können. So ist auch eine Identifizierung dieser Menschen, Haushalte oder Gruppen notwendig. Wenn eine dieser Voraussetzungen fehlt, ist keine effektive Zielgruppenbestimmung möglich.184 Zu wissen, wer und wo die Armen sind und wie man sie am besten ermitteln kann, ist jedoch nicht immer nur eine Frage der Programmgestaltung, sondern hängt mit den Kapazitäten und dem Umfeld zusammen. An vielen Orten Afrikas (und auch in Ländern mit hohem Einkommensniveau) ist es äußerst schwierig, an diese Informationen zu gelangen, weil die Erfassung von Daten und die Verwaltungskapazitäten nur schwach entwickelt sind. Deshalb kann eine kategorische Zielgruppenbestimmung mitunter der beste Lösungsansatz bei der zielgerichteten Armutsbekämpfung sein. 3.1.3 GELD, SACH UND KOMBINIERTE LEISTUNGEN Viele Unterstützungs- und soziale Sicherungsleistungen erfolgen in Form von Geldzahlungen. Ein Vorteil der Geldzahlungen besteht (im Gegensatz zu Sachleistungen) darin, dass den Haushalten mehr Flexibilität beim Einsatz der gezahlten Mittel eingeräumt wird. Außerdem können durch Geldleistungen lokale Märkte dadurch unterstützt werden, dass die Empfänger ihre Waren bei den Unternehmen vor Ort einkaufen können, was positive Nebeneffekte mit sich bringen kann.185 Wenn jedoch die Lebensmittelpreisinflation rasch steigt und die Transferleistungen nicht an die veränderten Preise angepasst werden, kann dies dazu führen, dass die Empfänger aufgrund der Inflexibilität der Geldleistungen nicht in der Lage sind, ihren grundlegenden Lebensmittelbedarf zu decken. Außerdem muss bei der Verteilung von Geldleistungen auch berücksichtigt werden, dass diese durch Korruption oder Diebstahl leichter entwendet werden können. Anders als bei Geldleistungen ist der Wert der an den Empfänger gelieferten Sachleistungen, sei es in Form von Lebensmitteln oder landwirtschaftlichen Rohstoffen, viel weniger durch Inflation betroffen. Natürlich unterliegen auch Nahrungsmittel und Rohstoffe der Inflation. Der Unterschied ist jedoch, dass bei Sachleistungen das Inflationsrisiko von den Regierungen bzw. Gebern und nicht von den Leistungsempfängern getragen wird. Sachleistungen, wie Schulspeisen oder öffentliche Beschäftigungsprogramme, die mit Lebensmitteln bezahlt werden, helfen den Familien, eine grundlegende Ernährung zu sichern. Durch Programme „Nahrungsmittel gegen Bildung“ haben sich die Anmeldung und Anwesenheit in der Schule verbessert.186 Kritiker der Sachleistungen (meist Nahrungsmittel) führen an, dass bei einer Anlieferung von außerhalb (also nicht aus der lokalen Gemeinde) der lokale Handel verringert und Marktfehler verstärkt werden.187 Außerdem kann ein Einkauf an entfernten Orten äußerst hohe Lieferkosten verursachen. Anders als bei Geldleistungen können die Familien bei Sachleistungen nicht ihre eigenen Konsummuster beeinflussen, es sei denn, sie verkaufen die Güter gegen Bargeld. Unklar ist auch, inwieweit Nahrungsmittel, die keine Nothilfe darstellen, die Ernährung der Empfänger positiv beeinflussen. Öffentliche Beschäftigungsprogramme, bei denen eine Auszahlung in Nahrungsmitteln erfolgt, können bedeuten, dass die Empfänger mehr Kalorien verbrennen müssen, als sie verdienen. Auch die Ernährungsergebnisse sind bei den Programmen „Nahrungsmittel gegen Bildung“ aufgrund der unterschiedlichen Nahrungsmittel, die verteilt werden, zweideutig.188 Bei der Gestaltung sozialer Sicherungsprogramme besteht eine zunehmende Tendenz, Geld- und Sachleistungen zu kombinieren, insbesondere bei Mikrofinanzierungsprogrammen, die an extrem arme Gruppen gerichtet sind.189 Die Ausrichtung auf von extremer 181 182 183 184 185 186 187 188 189 Baricako 1999 S. 51. Coady et al. 2004 a, b. Hoddinott 2007 Ebd. Samson 2009, S. 49. Adelman et al 2007, S. 3. Samson 2009, S. 49. Siehe Adelman et al 2007, S. 3. Huda und Siamanowitz haben 2009 solche Mikrofinanzierungsinitiativen als Programme kategorisiert, bei denen die Stärken von sozialer Sicherung und Mikrofinanzierung kombiniert werden. E U R O P Ä I S C H E R 49 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 3 Armut betroffene Personen bei BRAC in Bangladesch190 oder bei Chemen Lavi Miyo von Fonkoze in Haiti erfolgen durch eine Kombination aus Geldleistungen, unternehmerischer Bildung und Produktionsgütern (in der Regel in Form von Viehbestand oder Produktionsmaterialien), mit denen in erster Linie Frauen bei der Erzielung von Einkünften unterstützt werden. Solche Programme wurden dafür gelobt, dass Frauen hierdurch extremer Armut entfliehen konnten. Die Verwaltung solcher Programme ist jedoch zumindest zu Beginn wegen der engen Beziehung zwischen Empfängern und umsetzender Organisation und der Einrichtung der Transferleistungen relativ kostenaufwändig. Außerdem sind sie viel mehr als eine einfache Mikrofinanzierung, denn sie beinhalten einen Transfer von Vermögenswerten, Geld (bzw. Lebensmitteln) und weitere Dienstleistungen. Sie sind teuer, weil das Angebot ein umfassendes Paket von Hilfsleistungen (Vermögenswerte plus verbesserte Wohnverhältnisse), Versicherung (Geld-/Lebensmitteltransfer und kostenlose medizinische Betreuung) sowie Integrationsmaßnahmen (Rechtshilfe, Schulung, Beratung) darstellt. Mikrofinanzierungprogramme, die sich an extrem Arme wenden, sind nicht die einzigen Programme, die eine Kombination aus Geld- und Sachleistungen anbieten. Beispiele anderer Initiativen sozialer Sicherung, die eine solche Kombination anbieten, finden sich auch in Äthiopien, Lesotho, Malawi und Sambia.191 Kasten 3.4 vermittelt einen Einblick in die Auswirkungen der Lebensmittelpreisinflation auf ein umfassendes Programm. Kasten 3.4: Geldleistungen und hohe Lebensmittelpreise: Das Programm für ein produktives Sicherheitsnetz (Productive Safety Net Programme) in Äthiopien Normalerweise reichen die Geldleistungen gerade aus, um lokal erhältliche Waren - zumeist Grundnahrungsmittel - zu kaufen. Manchmal können die Menschen davon auch andere Lebensmittel, Schulgebühren und Gesundheitskosten bezahlen. Es gibt keine Einschränkungen dahingehend, was die Leistungsempfänger kaufen können (anders, als wenn sie Gutscheine für spezifische Waren erhalten). Die Menschen wissen jedoch über den Zweck des Programms Bescheid, sodass die Grundernährung in armen Haushalten gesichert wird. Dies wirft zwei wichtige Fragen auf: • Die Lebensmittelpreise variieren zwischen globalen und lokalen Märkten sowie zwischen den einzelnen Ländern. Welche Preise sollen nun angesetzt werden, um den Umfang der Geldleistungen festzulegen? • Die Preise können sich beträchtlich aufgrund der allgemeinen Preisinflation, saisonaler Zyklen oder eines Preisanstiegs infolge von Hungersnöten ändern. Was passiert, wenn die Preise sich nun nach der Festlegung der Geldleistungen ändern? Bei einer Untersuchung des britischen Instituts für Entwicklungsstudien (Institute of Development Studies) wurden Umfragedaten (von 2006 bis 2008) unter Leistungsempfängern im äthiopischen Programm für produktive Sicherheitsnetze (PSNP) und nicht berechtigten Kontrollgruppen ausgewertet, um die Debatte Geld- oder Nahrungsmittel zu beleuchten. Das PSNP gehört zu den wenigen sozialen Sicherungsprogrammen, die ihren Leistungsempfängern sowohl Geldleistungen zahlen als auch Nahrungsmittel liefern und damit eine seltene Chance für eine vergleichende Analyse bieten. Mit ökonometrischen Methoden vergleicht die Untersuchung die Auswirkungen der unterschiedlichen Zahlungsmodi. Äthiopien verzeichnete seit 2007 eine hohe Inflation, wodurch sich die reale Kaufkraft der im Rahmen des PSNP gezahlten Geldleistungen verringerte. Dadurch scheinen die realen Vorteile für die Empfänger von Geldleistungen geringer zu sein als die der Nahrungsmittelempfänger. Dies wurde durch die aktuelle Studie bestätigt, die gleichzeitig Folgendes herausfand: • Das PNSP hatte einen positiven Effekt auf das Einkommenswachstum und die Ernährungssicherheit, insbesondere für Haushalte, die nur Geldzahlungen oder gemischte Leistungen (Geld + Nahrungsmittel) bezogen. • Die Nahrungsmittelempfänger des PSNP verzeichneten ein schnelles Einkommenswachstum gegenüber den Geldleistungsempfängern (deren Einkommenszugewinne durch die Inflation gemindert wurden). • Leistungsempfänger ziehen mittlerweile bereits Nahrungsmitteltransfer gegenüber Geldzahlungen vor. • Nahrungsmitteltransfer oder Pakete „Geld plus Nahrungsmittel“ ermöglichen ein höheres Einkommenswachstum, Viehbestandserweiterung und subjektive Ernährungssicherheit. Dies wirft Fragen für die globalen humanitären Hilfsleistungen und die Politik der sozialen Sicherung auf. Können Geldleistungen schnell genug auf dramatische Preiserhöhungen (oder selbst regelmäßige saisonbedingte Lebensmittelpreisveränderungen reagieren)? Haben Politiker die haushaltspolitische Flexibilität, um die Geldbeträge regelmäßig anzupassen? Wie sieht die richtige Mischung zwischen Geldleistungen und Nahrungsmittellieferungen aus, wenn die Lebensmittelpreise unvorhersehbar sind? Die Leistungsempfänger würden von angepassten Geldzahlungen oder erweiterten Zahlungen während der Dürrejahre oder bei Preissteigerungen profitieren. Dies würde aber Flexibilität in der Programmgestaltung, Umsetzung und (besonders) 190 191 Dieses Programm ist bekannt als „Challenging the Frontiers of Poverty Reduction (CFPR)“. Samson 2009, S. 49. 50 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Gestaltung, Umsetzung und Politik der sozialen Sicherung Haushaltsplanung erfordern, was zu hohen Anforderungen an die Programmmanager führen würde. Das PSNP-Budget hätte sich in zwei Jahren verdreifachen müssen, selbst wenn alle Leistungen in Form von Lebensmitteln erbracht worden wären. Bei Lebensmittellieferungen tragen die Regierungen und Geber das Risiko, wogegen das Risiko bei Geldleistungen bei den Empfängern liegt. Jedes soziale Sicherungsprogramm, das auf die Ernährungssicherheit der Haushalte abzielt, muss soziale Transferleistungen angesichts von Schocks wie hohen Lebensmittelpreisen ausgleichen. Dazu müssten folgende Aspekte Bestandteil der Programmgestaltung sein: • Inflationsprognosen. • Bewertung der lokalen Märkte. • Aufbau eines außerordentlichen Rücklagenfonds im Programmbudget. • Berücksichtigung der unterschiedlichen Merkmale der Empfängergruppen. • Auswahl zwischen alternativen Zahlungsmethoden. Tabelle 3.1: Geld oder Nahrungsmittel: Vor- und Nachteile Nahrungsmittel Vorteile Verfügbarkeit von Nahrungsmittelüberschüssen der Geber Sofortige Erhöhung der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln Direkter Einsatz gegen Ernährungsdefizite Kann auf eigenen Antrag erfolgen Frauen, Kinder und ältere Menschen werden begünstigt Geringes Sicherheitsrisiko Nachteile Hohe Transport- und Lagerkosten Verluste durch Verderb und Diebstahl Weniger austauschbar als Geld Hemmniswirkung auf Produktion Konkurrenz zu lokalen Märkten und Handel Geld Kosteneffizienter als Nahrungsmittel Größere freie Auswahl für die Empfänger Besser austauschbar als Nahrungsmittel Produktionsanreize Marktstimulierung Begrenzte Geberressourcen verfügbar Verluste durch Inflation Kann für andere Waren als Nahrungsmittel eingesetzt werden Nutzung begünstigt Männer Erhöhtes Sicherheitsrisiko Quelle: Sabates-Wheeler und Devereux 2010. 3.1.4 TECHNOLOGIE UND VERWALTUNGSVEREINBARUNGEN Zahlungen der sozialen Sicherung werden in Europa normalerweise auf ein Bankkonto überwiesen oder als Scheck mit der Post verschickt. In den Entwicklungsländern stehen diese Optionen nicht immer zur Verfügung. In vielen Gebieten gibt es keine Banken bzw. Arme haben oft keinen Zugang. Deshalb wurden für die soziale Sicherung andere Methoden geschaffen, um die Transferleistungen an den jeweiligen lokalen Kontext anzupassen. Devereux und Vincent192 führen aus, dass diese Methoden entweder auf dem „Push-„ oder „Pull“-Mechanismus (Abholung oder Lieferung) beruhen, d.h., entweder wird die Transferleistung an den Empfänger verschickt oder er muss sie abholen. Die Leistung kann weiterhin als Geld- oder Sachleistung erfolgen, oder auf einer Chipkarte oder Mobiltelefon registriert sein. Eine Abholmethode (Pull-Mechanismus) erfolgt über die lokalen Postämter oder andere öffentliche Stellen, wo Regierungsbeamte oder Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen (NRO) Geld, Sachleistungen oder beides in Kombination austeilen. In Lesotho werden die Postämter zur Auszahlung der Sozialrenten benutzt, jedoch haben andere Länder auch Nachteile dieser Methode festgestellt.193 Feste Zahlungsstellen setzen voraus, dass die Empfänger dorthin reisen, sich anstellen müssen, wobei sie einen Arbeitstag verlieren und Reisekosten haben. Bei dem FACT-Projekt (Lebensmittel- und Geldleistungen) in Malawi nahmen die Empfänger beide Transferleistungen gleichzeitig entgegen und waren so leicht erkennbar, was Diebstahl und Stigmatisierung begünstigt.194 Für die Verwaltung des Programms bedeutet dies einen hohen Arbeits-, Verwaltungs- und Personalaufwand, insbesondere bei der Abzählung, Verpackung und Übergabe 192 193 194 Devereux und Vincent 2010 Lesotho als ein Beispiel–Devereux und Vincent 2010, S. 370. Ebd., S. 375-76. E U R O P Ä I S C H E R 51 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 3 der Geldumschläge. Die manuelle Verwaltung des Geldes kann auch Diebstahl und Korruption begünstigen. Hinzu kommt, dass der Projektverwalter Sicherheitsmaßnahmen vorsehen muss, da am Auszahlungsort eine größere Geldsumme hinterlegt werden muss und dadurch zu einer leichten Beute für Diebe werden könnte. In den letzten Jahren wurden zunehmend innovative Technologien zur direkten Auszahlung an die Empfänger eingesetzt. Dabei erfolgen die Auszahlungen über Chipkarten, die u.a. biometrische Merkmale enthalten, oder über Mobiltelefone. Die ausführenden Organisationen haben feste Auszahlungspunkte mit Geldautomaten eingerichtet, wo die Empfänger das Geld abheben können, wenn es ihnen passt. Eine weitere Form sind mobile Zahlungsstellen, die zu bestimmten Zeiten in den Gemeinden vor Ort genutzt werden können. In Namibia werden biometrische Chipkarten zur Auszahlung der Sozialrenten eingesetzt. Die Bezieher können dann ihre Rente bei festen oder mobilen Auszahlungspunkten unter Nutzung ihrer Chipkarten und Fingerabdrücke abheben.195 In Kenia wurde im Kerio-Tal ein Projekt gestartet, das es den Bürgern ermöglicht, Geld über ihre Mobiltelefone zu verschicken, zu empfangen und aufzubewahren. „Concern Worldwide“ und ihr Partner, die Katholische Diözese Eldoret, haben an bestimmte Gruppen ein Mobiltelefon und ein Solarladegerät und an Einzelpersonen SIM-Karten verteilt.196 Seit 2008 können alle Kenianer, die Safaricom oder Vodafone als Anbieter nutzen, über ihre Mobiltelefone Geld verschicken, empfangen und aufbewahren.197 Diese technologisch fortgeschrittenen Methoden wurden wegen ihrer Effizienz und Kostenwirksamkeit gelobt. Bei den Chipkarten wird an einigen Orten insbesondere die Möglichkeit geschätzt, den Armen Zugang zu formellen Finanzinfrastrukturen zu verschaffen.198 Diese Methoden können zu Beginn allerdings kostenaufwändig und damit für kleinere Programme zu kostspielig sein.199 3.2 DIE UMSETZUNG SOZIALER SICHERUNG 3.2.1 VERTEILUNGSKANÄLE Soziale Sicherung kann über verschiedene marktorientierte und nicht an den Markt gebundene Systeme verteilt werden. Auf der einen Seite haben perfekte Märkte (in der Theorie) keine formellen Einschränkungen bezüglich Zugang, Preis oder Menge, während andererseits die Systeme außerhalb des Marktes den Zugang für bestimmte Personen einschränken und mit einer festen Menge und einem festen Preis arbeiten (z.B. ein fester Umfang an unentgeltlichen Nahrungsmitteln für alle Haushalte, die in einem Lager für interne Vertriebene erfasst sind). Die Lieferung kann formell (durch Regierungen oder Organisationen, die an Personen liefern, auf die bestimmte Kriterien, wie chronische Krankheit, zutreffen, oder marktorientierte Krankenkasse) oder informell (Verteilung von Almosen an offensichtlich Bedürftige vor einem Tempel oder einer Kirche) erfolgen. Sie kann direkt erfolgen (universelle Geldzahlungen der Regierung auf das Bankkonto der Empfänger) oder vorhandene Beziehungen nutzen (Mitgliedschaft in örtlichen Vereinigungen, die Sicherheit in der Gemeinde und Hilfe bei Eintritt sozialer Risiken bieten). Dazwischen gibt es viele Kombinationen und Varianten dieser Merkmale (z. B. marktorientierte Renten, die durch nicht marktgebundene staatliche Mittel aufgestockt werden). 3.2.2 UMSETZUNGSSCHWIERIGKEITEN IN FRAGILEN UND KONFLIKTBELASTETEN STAATEN Viele der Herausforderungen bei der Umsetzung von sozialer Sicherung in Ländern in einer Situation der Fragilität200 ähneln den Schwierigkeiten in Ländern mit niedrigem Einkommensniveau, nur dass diese noch stärker ausgeprägt sind. Zum Beispiel stößt eine umfassende soziale Sicherung in Malawi oder Sambia (nicht fragile Staaten) auf Probleme der Finanzierung, Verwaltung/Logistik und staatlichen Lenkung. In Afghanistan oder Somalia (bzw. Norduganda oder Zimbabwe) sind die Herausforderungen jedoch weitaus größer: • Haushaltsdefizite. Viele fragile Staaten sind effektiv bankrott. Da der Großteil der Ressourcen für Sicherheitsbelange eingesetzt wird, haben sie nur einen geringen fiskalpolitischen Spielraum und sind fast zu 100 % auf Hilfe angewiesen. Wie soll soziale Sicherung in einem solchen Umfeld bezahlt werden? • Verwaltungsdefizite. Fragile Staaten unterliegen entweder allgemeinen sporadischen Ausbrüchen von Gewalt oder Teile des Landes sind unsicher und möglicherweise unzugänglich (Warlords oder Aufstandsbekämpfung). Ihre Infrastruktur ist zerstört und die Verwaltungskapazitäten sind gering. Wie soll soziale Sicherung in einem solchen Umfeld umgesetzt werden? 195 196 197 198 199 200 Ebd., S. 371. Der Vorschlag stammt von Devereux und Vincent, die Informationen stammen aus Datta et al. 2008. Vodafone hat die Geldüberweisungen per Mobiltelefon auch auf Afghanistan und Tansania ausgeweitet und beabsichtigt, dies auch in Fiji, Südafrika und Katar einzuführen. Devereux und Vincent 2010, Seiten 371-72. Ebd. Es gibt mehrere Klassifizierungssysteme und Ranglisten für die Fragilität von Staaten. Der ERD 2009 stellt jedoch fest, dass - unabhängig davon, wie diese Gruppe definiert wird - Länder in einer Situation der Fragilität u.a. hauptsächlich durch ein Versagen der staatlichen Institutionen, die Unfähigkeit, ihren Bürgern grundlegende Dienstleistungen zu bieten und durch schwache Kapazitäten zur Mobilisierung einheimischer Ressourcen gekennzeichnet sind. 52 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Gestaltung, Umsetzung und Politik der sozialen Sicherung • Demokratiedefizite. Fragile Staaten haben entweder gar keine, eine schwache oder eine unrechtmäßige Regierung, die einen Teil des Volkes, aber nicht alle vertritt. Wenn die Gefährdung teilweise auf dem Ausschluss aus den politischen Prozessen beruht, wie kann dann soziale Sicherung auf der Grundlage bürgerlicher Rechte und eines wirksamen Sozialvertrags erfolgen? Wie kann eine negative Politisierung (z.B. bei der Zielgruppenbestimmung) vermieden werden? Es kommt darauf an, innovative Mechanismen zur Finanzierung und Umsetzung der sozialen Sicherung und anderer grundlegender Dienste zu finden, die den Aufbau demokratischer Strukturen und die Stärkung des Sozialvertrags begünstigen. Um soziale Sicherung in fragilen Situationen aufzubauen, sind folgende Gedanken nützlich: Erstens, im Zusammenspiel von sozialer Sicherung, Existenzsicherung und dem Aufbau staatlicher Strukturen, müssen soziale Sicherungsmaßnahmen im Mittelpunkt stehen, die den Sozialvertrag stärken und zur Umgestaltung der Lebensverhältnisse beitragen. Zweitens, es müssen Zugangskanäle zur sozialen Sicherung für die armen und schutzbedürftigen Gruppen ermittelt und erleichtert werden. Drittens, die soziale Sicherung muss als Brücke zwischen kurzfristiger humanitärer Hilfe und langfristigen Entwicklungsbemühungen dienen. Angesichts der Herausforderungen in fragilen Staaten ist es dort schwieriger, das langfristige Ziel einer eigenverantwortlichen und staatlich finanzierten sozialen Sicherungspolitik zu erreichen. In einem Umfeld der Fragilität und von Konflikten überschneiden sich die Anforderungen an humanitäre Hilfe, Konjunkturmaßnahmen und Entwicklungshilfe. Hilfsaktionen und soziale Sicherung werden oft im Gegensatz zueinander dargestellt. Eine solche Trennung ist jedoch weder nützlich noch angebracht. Humanitäre Hilfe und soziale Sicherung wirken oft zusammen und in fragilen Situationen ist eine solche Zusammenarbeit unbedingt erforderlich. Schließlich besteht das gemeinsame Ziel letztendlich darin, „die Staaten dazu zu bewegen, dass sie ihre Verantwortung zum Schutz und zur Unterstützung ihrer Bürger“ übernehmen, und zwar sowohl in Form von Katastrophenhilfe als auch durch langfristige soziale Unterstützung.201 3.2.3 STÄRKUNG DER INSTITUTIONEN: SOZIALE SICHERUNG UND DER AUFBAU STAATLICHER STRUKTUREN Investitionen in soziale Sicherung können zum Aufbau staatlicher Strukturen beitragen, indem Einkommen und Konsum über legitime Mittel stabilisiert werden, wodurch ein Gefühl der Sicherheit und des Vertrauens entsteht, und die Beziehungen zwischen den Bürgern, dem Staat und dem privaten Sektor (intern und extern) umgestaltet werden. Theoretisch kann soziale Sicherung spürbare Ergebnisse bei der Befriedung fragiler und konfliktbelasteter Länder bringen, was neuesten Erkenntnissen zufolge tatsächlich der Fall ist.202 Ein solcher Zusammenhang muss jedoch genauestens und empirisch geprüft werden. Die Entscheidung, welche unterschiedlichen Instrumente und Strategien für die soziale Sicherung zum Einsatz gelangen sollen, hängt vom ganz konkreten Kontext ab. Dies bedeutet, es muss untersucht werden, durch welche Bedingungen bestimmte Umsetzungsmechanismen der sozialen Sicherung begünstigt oder eingeschränkt werden. Klassifizierungen und Szenarien sind erforderlich, anhand derer politische Entscheidungsträger erkennen können, welche sozialen Sicherungsmechanismen in fragilen Situationen greifen und wie sich der Staat und die Zivilgesellschaft am besten engagieren können. 3.3 DER POLITISCHE RAUM FÜR SOZIALE SICHERUNG Bei der Diskussion über die Politik der sozialen Sicherung müssen drei Themen berücksichtigt werden: Bezahlbarkeit, Finanzierung und politische Durchführbarkeit. 3.3.1 BEZAHLBARKEIT Viele Regierungen wenden sich gegen die Einführung umfassender sozialer Sicherungsprogramme, weil sie in Ländern mit niedrigem Einkommensniveau als unbezahlbar betrachtet werden. Im Kontext der Initiative für eine soziale Grundsicherung nahm die Internationale Arbeitsorganisation203 eine Bewertung der Bezahlbarkeit grundlegender Alters- und Invaliditätsrenten, Kindergeld, medizinischer Grundversorgung und Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (soziale Hilfe) vor. Dabei wurde festgestellt, dass grundlegende soziale Sicherungspakete in den 12 analysierten afrikanischen und asiatischen Ländern bezahlbar sind. Meistens kosteten sie weniger als 4 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die Mehrheit der Systeme in den 12 Ländern kosteten weniger als 2 % des BIP. In Ländern mit hohen Ausgaben für Infrastruktur oder Militär ist diese Annahme eher unrealistisch. Bei PROGRESA (nun Oportunidades), das 2003 40 % der mexikanischen Haushalte auf dem Lande erreichte, lagen die Kosten jedoch bei nur 0,4 % des BIP. Das „Nationale Gesetz für ländliche Beschäftigungsgarantie“ (National Rural Employment Guarantee Act), ein öffentliches Beschäftigungsprogramm, mit dem 100 Arbeitstage pro Jahr garantiert werden, kostet nur 1 % des indischen BIP. 201 202 203 Harvey 2009, S. 188. Siehe z.B. Jennings 2006 über Jemen. IAO 2008. E U R O P Ä I S C H E R 53 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 3 3.3.2 FINANZIERUNG Soziale Sicherungsprogramme werden auf unterschiedliche Weise finanziert, u.a. über nationale staatliche Einnahmen, Hilfe von internationalen Gebern, private oder NRO-Quellen, Einsparungen im Haushalt oder Eigenleistungen. Die einheimische Finanzierung der sozialen Sicherung erfolgt aus den Einnahmen der nationalen Regierung, u.a. der Einkommen durch natürliche Ressourcen, direkte Steuern, Sozialversicherungsbeiträge, Steuern auf Waren und Dienstleistungen und Gewerbesteuern. Außerdem können die Regierungen Geldmittel aus anderen Bereichen, die hohe Finanzmittel erhalten (wie Militärbudgets) für soziale Sicherungsmaßnahmen umlenken. Vorzuziehen wäre die Nutzung einheimischer Einkünfte - insbesondere aus Steuereinnahmen - zur Finanzierung von Entwicklungsprogrammen, da dadurch die Eigenverantwortung und die Rechenschaftspflicht steigen. Wenn jedoch Gelder für soziale Sicherung über Steuern beschaff t werden, kann dies insbesondere bei den am stärksten besteuerten Personen politisch unpopulär sein. Besorgnis wurde in einigen subsaharischen Ländern dahingehend geäußert, dass sich durch breit angelegte soziale Transfer- und Sicherungsprogramme die Abhängigkeit von solchen Hilfsleistungen verstärkt. Die Linie zwischen den Armen, die die Leistungen „verdienen“ oder „nicht verdienen“, kann zwischen Menschen mit chronischen oder langfristigen Bedürfnissen (Menschen mit Behinderungen) und Armen gezogen werden, die arbeitsfähig sind, aber beschränkte Arbeitschancen haben. Der politische Wille, der letzteren Gruppe soziale Unterstützung zukommen zu lassen, schwindet und wird weiter abnehmen, wenn das Wachstumspotenzial der sozialen Sicherung nicht nachgewiesen wird. Internationale Geber können Hilfe zur Unterstützung von Initiativen in Form von allgemeiner oder sektoraler Budgetbeihilfe, Gemeinschaftsfonds, Treuhandfonds verschiedener Geber oder Programm- bzw. Projekthilfe leisten.204 Aber alle diese Modalitäten müssen anhand der Ziele und Umsetzungsmaßnahmen (ob es sich um Umstrukturierungsmaßnahmen oder ergänzende finanzielle Hilfe handelt) geprüft werden und mit den einheimischen Bedürfnissen und Prioritäten im Einklang stehen. Die Hilfe ist oft auch schwankend und unzuverlässig, zumal Geber oft nicht in der Lage sind, eine langfristige Finanzierung für nachhaltige soziale Sicherungsprogramme zuzusagen. 3.3.3 DIE POLITIK DER SOZIALEN SICHERUNG Ganz unabhängig davon, wie wirtschaftlich stabil oder bezahlbar sich soziale Sicherungssysteme (theoretisch und empirisch) erweisen, bleibt es eine vornehmlich politische Entscheidung, ob und wie soziale Sicherung durchgesetzt werden soll. Die Geschichte der sozialen Sicherung in Europa zeigt klar, wie wichtig die politische Bereitschaft für die Schaffung sozialer Sicherungssysteme ist. Die sozialpolitischen Vorschläge von Bismarck 1878 zielten ausdrücklich darauf ab, die Bindung zwischen dem Staat und den Arbeitern zu stärken. Die schwedische Sozialpolitik zwischen 1889 und 1913 baute auf einem starken Nationalgefühl und der Schaffung enger Bande zwischen den Klassen auf.205 Überall in der Welt sind Programme für soziale Sicherung - und auch die staatliche Politik im weiteren Sinne, wie die Debatte über die Gesundheitsreform in den USA zeigte - das Ergebnis der politischen Geschichte, der Institutionen, der Vorstellungen von Gerechtigkeit und der Wechselwirkungen zwischen Interessengruppen. Die Nachhaltigkeit sozialer Sicherungssysteme hängt zum großen Teil vom politischen Engagement der Regierung und davon ab, inwieweit sie bereit ist, solche Programme prioritär zu finanzieren.206 Politisches Engagement entsteht auf verschiedene Weise. Einige soziale Sicherungssysteme entstehen aufgrund von Forderungen des Volkes und Aktivitäten an der Basis. Dazu müssen sich Gruppen organisieren und diese Forderungen auf unterschiedliche Weise vortragen, wie es in Indien der Fall war. Auch die Unterstützung durch die Mittelschicht kann entscheidend sein. Die Erfahrung beim Aufbau des europäischen Wohlfahrtsstaates zeigt, dass „jede nachhaltige Lösung zur Schaffung einer menschenwürdigen Gesellschaft universelle Formen von sozialer Sicherung erfordert, die auch den Bedürfnissen der Mittelschicht entsprechen“.207 In China wird die soziale Sicherung aufgrund des Drucks auf die Regierung ausgebaut, die Sicherungssysteme auf die gesamte Bevölkerung auszuweiten. Das Engagement kann auch von oben ausgehen. Viele der jüngsten Initiativen zum Aufbau sozialer Sicherung entstanden, weil die Regierungen spürten, dass die Hilfe für die Armen erweitert werden musste, insbesondere in Situationen hoher oder steigender Ungleichheit, wie es im Südafrika nach der Apartheid oder in Brasilien unter Lula der Fall war. Schocks können ebenfalls ein (erneutes) Engagement auslösen. So wurden in Südostasien nach den harten Auswirkungen der Finanzkrisen von 1997 neue Systeme geschaffen. Die politischen Ansichten darüber, ob soziale Sicherung notwendig ist und ob bestimmte Gruppen soziale Hilfe „verdienen“, haben sicherlich einen starken Einfluss auf die soziale Sicherung und ihre Modalitäten. Bei universellen Programmen wird oft davon ausgegangen, dass sie breitere Unterstützung finden, aber auch die „Zielausrichtung innerhalb der universellen Unterstützung“ spielt eine Rolle, wie zum Beispiel in Südafrika, wo zielgerichtete Renten Teil des neu entstehenden universellen sozialen Sicherungssystems sind. Das politische System ist entscheidend, auch wenn die Geschichte zeigt, dass Regierungsformen aller Art aufgrund unterschiedlicher Motive soziale Sicherungssysteme einrichteten. Stabile Parteiensysteme (Ghana) und mitunter gewählte autoritäre oder Einparteiensysteme (Äthiopien) neigen eher zu einer progressiven Einstellung zur sozialen Sicherung. Wahlen können sich in der Tat 204 205 206 207 Pal et al 2005, S. 41. De Neubourg 2009, S. 64. Samson 2009, S. 48. Deacon 2010. 54 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Gestaltung, Umsetzung und Politik der sozialen Sicherung als Chance offenbaren, indem sie den Anstoß zu sozialer Sicherung bzw. einer Erhöhung der öffentlichen Ausgaben geben, um die Unterstützung der Wähler zu erlangen (Lesotho 2007). Die Gestaltung und Zielgerichtetheit der sozialen Sicherungsprogramme kann ebenfalls durch eine informelle Geber-Empfänger-Politik beeinflusst werden, z. B. indem bestimmte Geber bevorzugt werden (Fonds für soziale Aktion in Norduganda) oder zur Unterstützung des Regimes, das an der Macht ist (selektive Nahrungsmittelhilfe in Kenia).208 Auch die Beschaffenheit der Institutionen ist entscheidend. Die Abteilungen und Ministerien, die sich am ehesten für soziale Sicherung einsetzen, werden oft durch mächtigere Finanzministerien überstimmt, die soziale Sicherungsmaßnahmen oft als kostspielige Etatzuwendungen betrachten. Beamten und Agenturen, die für soziale Sicherung verantwortlich zeichnen, kommt eine entscheidende Rolle zu. Die Effizienz der Systeme hängt von ihrer Umsetzungsfähigkeiten und Integrität ab. Soziale Sicherungssysteme bringen ihre eigenen Ansprüche und institutionelle Dynamik hervor. Sie schaffen ein Gefühl der Berechtigung. Das ist sowohl eine Herausforderung als auch ein Zugewinn. Es ist eine Herausforderung, weil die Programme so organisiert werden müssen, dass die ursprünglichen Ziele beibehalten werden. Und es ist ein Zugewinn, weil sich durch die Beteiligung der Leistungsempfänger die positiven Auswirkungen der Programme erhöhen und die Rechenschaftspflicht steigt. Im breiteren Sinne gibt es einen klaren Zusammenhang zwischen den sozialen Sicherungsmaßnahmen des Staates und seiner rechtmäßigen Verankerung und Stabilität, was in jüngster Zeit zu einer Betonung des Sozialvertrags geführt hat (Kasten 3.5). Auf der einfachsten Ebene kann die Frage, ob die Regierung ihre Bürger in Zeiten der Not unterstützen kann, darüber entscheiden, ob sie in den Augen der Öffentlichkeit steigt oder fällt.209 Dies trifft insbesondere auf Zeiten zu, die durch Krisen, Unruhen, Konflikte oder Fragilität geprägt sind. In Kenia erweitert die Regierung die Geldleistungen und weist für soziale Sicherung bedeutende Haushaltsmittel selbst in den Finanzkrisen zu, um nach den bürgerlichen Unruhen 2008 Stabilität zu fördern. In gleicher Weise kann die Umsetzung von Geldleistungsprogrammen genutzt werden, um die Unterstützung für Bevölkerungsteile auszuweiten, die nur begrenzte Regierungstreue zeigen, und die symbolische Legitimität einer Konfliktregierung stärken, wenn sie in der Lage ist, den Vertrag zwischen Bürgern und Staat nach einem Konflikt zu erfüllen.210 Kasten 3.5: Der Sozialvertrag211 Bei sozialer Sicherung geht es letztendlich auch darum, den Sozialvertrag zwischen dem Staat und seinen Bürgern (wieder) herzustellen und (neu) zu verhandeln. Die (Un)Fähigkeit und der (Un)Wille des Staates, für seine schutzbedürftigsten Bürger zu sorgen und Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen für alle zu schaffen, kann über seine Rechtmäßigkeit entscheiden. Soziale Sicherung hat Einfluss auf den sozialen Zusammenhalt, da eine starke Ausgrenzung und Marginalisierung (und die daraus möglicherweise folgende mangelnde soziale Ordnung) zu Gewaltreaktionen führen können. Um es ganz offen zu sagen, „die politische Funktion von sozialer Sicherung ist die Gewährleistung eines sozialen Gleichgewichts“.212 Der sozialvertragliche Ansatz der sozialen Sicherung gewinnt in der Entwicklungsliteratur und -praxis zunehmend an Popularität, auch wenn es wenig Erkenntnisse gibt, dass er von den Gebern gefördert wird. Die Perspektive des Sozialvertrags bietet nicht nur eine Bilanzanalyse über die Wirkungen der sozialen Sicherungspolitik in der Praxis, sondern auch einen organisatorischen Rahmen zur Förderung von sozialer Sicherung. Der Sozialvertrag untermauert den modernen Staat. Er schafft die Grundlagen für politische Autorität und die Legitimationsbasis für das Zusammenleben der Bürger. Laut Flanagan kann er insofern beschrieben werden als „Reihe gegenseitiger Rechte und Pflichten, mit denen die Bürger an ihr Staatswesen gebunden sind“.213 Angewendet auf soziale Sicherung kann er als Vereinbarung darüber verstanden werden, wer in welcher Form zu schützen ist. Die Art des vereinbarten Sozialvertrags hat einen direkten und starken Einfluss auf die Form der sozialen Sicherung. Soziale Sicherungsmaßnahmen können zur Stärkung der Position des Staates beitragen. Indem der Staat auf die Bedürfnisse der Bürger eingeht, stellt er seine eigene Legitimität und die der Steuereinziehung unter Beweis. Wenn der Staat diese Bedürfnisse hingegen nicht absichert, sinkt seine Bedeutung und Legitimität in den Augen der Bürger.214 Die Folge sind Misstrauen und Entfremdung, was wiederum zu Destabilisierung oder Konflikt führen kann.215 208 209 210 211 212 213 214 215 Dieser Abschnitt greift auf Hickey 2007 zurück. Cook und Kabeer 2009, S. 16. Dieser Abschnitt greift auf McCord 2010 zurück. Dieser Abschnitt greift auf Hickey 2010 zurück. BMZ 2009, S. 8. Flanagan, in Hickey 2010. Adesina 2007, S. 23-24. Inspiriert durch Ortiz, S. 62. Beispielsweise zeigt Chidambarahm, dass in Indien eine Verringerung des Engagements des Staates für die Sozialfürsorge zu einer Verbreitung rechtsgerichteter Ideologie unter den städtischen Armen führt (Chidambarahm 2010). E U R O P Ä I S C H E R 55 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 3 Die Perspektive des Sozialvertrags stellt die nationalen Regierungen und ihre Bürger in den Mittelpunkt der Analysen und Debatten und betont die entscheidende Rolle des Staates bei der Bereitstellung von sozialer Sicherung, während gleichzeitig die Rechenschaftspflicht und Legitimität des Staates angesprochen wird. Die erste Schlussfolgerung des sozialvertraglichen Ansatzes ist daher, dass der Staat nicht umgangen werden kann. Die Geber müssen sich also klar auf eine Zusammenarbeit mit dem Staat, einschließlich den lokalen Regierungsinstanzen, und darauf konzentrieren, wie durch die Rolle des Staates der Sozialvertrag gefördert werden kann. Schließlich kann die regionale Entwicklung zur Erweiterung des politischen Engagements führen. Es gab eine neue Welle lateinamerikanischer sozialer Sicherungsprogramme und wie in Kapitel 1 dargestellt, führt der gegenwärtige panafrikanische Impuls dazu, dass das Thema soziale Sicherung auf die nationale politische Agenda gesetzt wird. In Europa gab es historisch einen starken Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Ländern, insbesondere im Zuge der europäischen Integration. Während die Vielfalt der Sozialpolitik und der Lösungen der sozialen Sicherung in den mehr als 50 Jahren europäischer Integration und der Erweiterung der Mitgliedstaaten von 6 auf 27 stark angestiegen ist, haben neue Mitglieder ihre eigenen Varianten des Europäischen Sozialmodells gewählt (Kasten 3.6)216 Kasten 3.6: Das bzw. die Europäischen Sozialmodelle Das „Europäische Sozialmodell“ (ESM) ist zu einem kennzeichnenden Merkmal der Europäischen Union (EU) innerhalb und außerhalb ihrer Grenzen geworden. Als Teil der Lissaboner Agenda wurde es definiert als „gekennzeichnet insbesondere durch Systeme, die ein hohes Niveau an sozialer Sicherung bieten, durch die Bedeutung des sozialen Dialogs und durch Dienste von allgemeinem Interesse, die Aktivitäten beinhalten, die für den sozialen Zusammenhalt entscheidend sind“.217 Soziale Sicherung ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil des ESM und gilt als produktive Investition, die für wirtschaftliches Wachstum und sozialen Zusammenhalt bedeutend ist. Beim ESM geht es - bzw. sollte es darum gehen -, „wirtschaftliche Dynamik und soziale Gerechtigkeit zu verbinden“.218 Aber es gibt kein „Standard“-Modell. Stattdessen gibt es so viele Modelle wie Mitgliedstaaten, deren Konzepte sich in der Regel nach ihrer geografischen Lage (angelsächsische, nordische Staaten, Mittelmeerraum, Kontinentaleuropa, Osteuropa) oder nach der Regierungsform (sozialdemokratisch, liberal, konservativ) unterscheiden.219 Unter diesem Aspekt sollte das ESM verstanden werden „als eine Einheit von Werten mit einer Vielfalt von Systemen“.220 Diese Werte - menschliche Würde, Gleichheit, Solidarität, Nichtdiskriminierung - sind in den Verträgen (EUV Artikel 2) und in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Präambel) verankert, genauso wie das Recht auf soziale Sicherung (Charta Artikel 32-34, AEUV Artikel 9).221 Eine starke Hinwendung zu Solidarität und Gleichbehandlung, die durch Umverteilung innerhalb und zwischen den EU-Ländern verkörpert wird, führt auch zu einer starken Unterstützung der ausländischen Entwicklungshilfe.222 Wenn man die EU von einer globalen Perspektive aus betrachtet, wird die Besonderheit des ESM deutlich: Ungleichheit ist in der Regel bedeutend geringer ausgeprägt als vergleichsweise in den Vereinigten Staaten.223 Wie vom Weltausschuss für die Soziale Dimension der Globalisierung betont wurde, „enthält das ESM Elemente, die als Anregung zu einer besseren, stärker integrativ ausgerichteten Lenkung der globalen Wirtschaft dienen könnten“.224 Aber sein Erfolg sollte auch nicht übertrieben werden. Die von der britischen Regierung gegenwärtig durchgeführten Reformen des Sozialstaates und soziale Unruhen in Frankreich aufgrund der Altersrenten sind Ausdruck der Schwierigkeiten. Aber der Umfang, in dem diese Modelle und die damit verbundenen Ansprüche in den europäischen Köpfen verankert sind, zeigt, dass die soziale Sicherung zu den Grundprinzipien des Vertrags zwischen dem Staat und seinen Bürgern gehört. In diesem Sinne steht die soziale Sicherung im Mittelpunkt der europäischen Gesellschaften und des europäischen Aufbaus. 216 217 218 219 220 221 222 223 224 Golinowska et al, 2009. Einen kritischeren Standpunkt finden Sie bei Scharpf 2002. Europäischer Rat 2000. Giddens 2005. Siehe beispielsweise: Esping-Endersen 1990; Ferrera 1998. Europäisches Parlament 2006. Charta der Grundrechte der Europäischen Union 2000; Konsolidierter Vertrag über die Europäische Union 2009; Konsolidierter Vertrag über die Funktionsweise der Europäischen Union 2009. Nach Lissabon erhielt die Charta den gleichen verbindlichen Rechtsstatus wie die Verträge. Laut jüngsten Ergebnissen der Eurobarometer-Umfragen (Europäische Kommission 2010, S. 6) messen 89 % der Europäer der Entwicklungszusammenarbeit einen hohen Wert bei; 45 % halten sie für sehr wichtig und 44 % für eher wichtig. Zum Beispiel beträgt der Gini-Koeffizient der EU27 30,6, gegenüber 45 in den Vereinigten Staaten. Er ist auch in Japan (38,1.), China (41,5), der Russischen Föderation (43,7) und Mexiko (48,1) höher. Quellen: Eurostat, CIA Datenblätter, World Development Indicators. Weltausschuss über die Soziale Dimension der Globalisierung 2004, S. 20. 56 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Gestaltung, Umsetzung und Politik der sozialen Sicherung 3.4 AUFBAU DER ELEMENTE EINES RAHMENS FÜR SOZIALE SICHERUNG Es sind Kriterien erforderlich, um einen konzeptuellen Rahmen für soziale Sicherung zu schaffen, der auf die (in der Einleitung) genannten Ziele abzielt: • Bekämpfung von Gefährdung, Armut und Ausgrenzung durch Bereitstellung sozialer Sicherung. • Förderung von Entwicklung und Wirtschaftswachstum zugunsten der Armen und der Integration. 3.5 SIEBEN KRITERIEN ERFOLGREICHER MASSNAHMEN DER SOZIALEN SICHERUNG Angemessene Planung und Gestaltung. Soziale Sicherungsprogramme und -maßnahmen müssen für das jeweilige Umfeld geeignet sein und auf die kontextspezifischen Gefährdungen ausgerichtet sein. Synergieeffekte mit anderen sektoralen Entwicklungsmaßnahmen sind dabei optimal zu nutzen. Die Koordination der Entwicklungsinitiativen - von denen die soziale Sicherung nur ein Bestandteil ist - ist von höchster Bedeutung. Geeignete Zielgruppenbestimmung. Angesichts der rigorosen Ressourceneinschränkungen, mit der viele Regierungen im subsaharischen Afrika konfrontiert sind, und der Einschränkungen der Geber, müssen die Leistungen der sozialen Sicherung zielgerichtet verteilt werden. Bei den Methoden zur Zielgruppenbestimmung müssen bestehende kulturelle Machthierarchien berücksichtigt werden (in einer pastoralen Gemeinde könnte die Zielbestimmung durch die Stammesältesten das geeignetste Mittel sein). Es ist jedoch darauf zu achten, dass die Zielgerichtetheit nicht dazu führt, dass Ausgrenzung und Diskriminierung verstärkt werden. Geeignete Umsetzungssysteme. Soziale Sicherung kann über den Markt, die Regierung, Netzwerke und manchmal über eine Kombination dieser Kanäle umgesetzt werden. Der geeignete Mechanismus hängt vom politischen Kontext des Programms und den Merkmalen der Zielgruppen ab. Im Kontext eines Konflikts oder unmittelbar danach könnten Geldleistungen in bar ein Sicherheitsrisiko darstellen. Technische Lösungen, z. B. Zahlungen über Mobiltelefone, könnten sich als sicherer und effizienter erweisen. Aufgrund der Stellung der Mitarbeiter des informellen Sektors auf dem Arbeitsmarkt und ihres Verhältnisses zum formellen Besteuerungssystem sind einkommensabhängige Rentenabzüge für diese Gruppe möglicherweise ungeeignet. Anhaltendes politisches Engagement. Soziale Sicherung ist in erster Linie eine nationale Angelegenheit. Um die soziale Sicherung auf eine langfristige und nachhaltige Grundlage auf nationaler Ebene zu stellen, muss sie die nationalen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten widerspiegeln und berücksichtigen. Deshalb müssen sich die Geber mit der Politik der sozialen Sicherung besser vertraut machen und verstehen, warum einige Länder bestimmte Initiativen bevorzugen und andere nicht, und warum einige Maßnahmen an manchen Orten besser geeignet sind als an anderen. Eine abgestimmte und gemeinsame Unterstützung der Geber für nationale Maßnahmen wird dazu führen, dass die Strategie der sozialen Sicherung in stärkerer Eigenverantwortung und im Zusammenwirken mit anderen Sektoren erfolgen kann. Finanzierbarkeit. Die Bezahlbarkeit wird oft als Haupthindernis für die Einführung und ein nachhaltiges Engagement zugunsten einer umfassenden sozialen Sicherung angesehen. Das bedeutet, dass die Vorteile der sozialen Sicherung besser nachgewiesen werden müssen, um eine Umstrukturierung innerhalb der Budgets der Regierung bzw. der Geber zu rechtfertigen. Eine stärkere Mobilisierung einheimischer Ressourcen ist ein weiterer wichtiger Punkt. Die Geber können und sollten die afrikanischen Partner in diesem Bemühen unterstützen. Außerdem können Geber finanzielle Unterstützung leisten, sei es, um Startkosten oder wiederkehrende Ausgaben zu finanzieren. Dabei kommt es darauf an, inwieweit es den Gebern gelingt, die jeweilige Regierung in ihrem Vertrauen zu bestärken, dass soziale Sicherung bezahlbar und nachhaltig sein kann, ohne dass sie sich jedoch zu sehr in die inneren politischen Angelegenheiten einmischen. Verwaltungskapazitäten. In den folgenden Kapiteln wird gezeigt, dass mit bestimmten Transferarten - soweit sie Priorität der nationalen Regierungen sind - eine breite soziale Sicherung erreicht werden kann. Beispiele sind u. a. die universellen Sozialrenten in Lesotho, Namibia und Südafrika und die nationale Umsetzung des Programms für produktive Sicherheitsnetze in Äthiopien. Der Schlüssel zu einer erfolgreichen Umsetzung liegt darin, die Zielgruppenbestimmung, Umsetzung und Verfahrensregeln so übersichtlich wie möglich zu gestalten. Wirkungsvolle Evaluierungsmethoden und nachweisbare Auswirkungen. Um die Einrichtung und langfristige Ausrichtung sozialer Sicherungsprogramme auf den Weg zu bringen, kommt es darauf an, dass politische Empfehlungen auf der Grundlage nachweisbarer Erkenntnisse erfolgen. Ohne genaue Monitoring- und Evaluierungssysteme bleiben alle Aussagen über die möglichen Wirkungen der sozialen Sicherung reine Spekulation, die dann oft von politischen Aktivisten als „Wahrheit“ verkündet wird. Die Sammlung solider Daten und Erkenntnisse über die Verfahren und Ergebnisse der unterschiedlichen Initiativen zur sozialen Sicherung ermöglicht eine bessere Gestaltung, Umsetzung und politische Glaubwürdigkeit der Programme als Grundlage für deren Neuauflage bzw. Erweiterung. E U R O P Ä I S C H E R 57 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 KAPITEL VIER Kapitel 4 DIE NEUE GENERATION VON SOZIALEN SICHERUNGSPROGRAMMEN: URSACHEN DES ERFOLGS UND LERNERFAHRUNGEN FÜR DIE ZUKUNFT 58 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 KAPITEL 4 DIE NEUE GENERATION VON SOZIALEN SICHERUNGSPROGRAMMEN: URSACHEN DES ERFOLGS UND LERNERFAHRUNGEN FÜR DIE ZUKUNFT Programme aus aller Welt zeigen, dass die Chancen gut sind, soziale Sicherungsprogramme in Ländern umzusetzen, die von einem hohen Armutsniveau gekennzeichnet sind. Natürlich gibt es keine Wunderwaffe, aber es gibt wichtige Anhaltspunkte zur Beurteilung dessen, was funktioniert und was nicht und unter welchen Umständen es voraussichtlich funktionieren wird. Erfolgreiche Programme weisen spezielle Merkmale auf, aufgrund derer zu erwarten ist, dass sie für den betreffenden Kontext besonders geeignet sind. In allen Fällen, in denen Programme erfolgreich sind, existiert eine starke politische Führung, die eine Unterstützung durch Politik und Eliten mobilisiert. Entsprechende Voraussetzungen für den Erfolg schließen ferner ausreichende Verwaltungskapazitäten und Verbindungen zu (und Synergien mit) anderen Feldern der Sozialpolitik ein. Darüber hinaus ist festzustellen, dass sich erfolgreiche soziale Sicherungsprogramme mit Herausforderungen finanzieller Nachhaltigkeit befasst haben, indem sie bei begrenztem Kosteneinsatz breite Schichten der armen Bevölkerung erreichten. Ein wichtiges Element für den Erfolg war, dass gezeigt werden konnte, dass Programme deutliche Auswirkungen auf das Wohlergehen der vorgesehenen Leistungsempfänger hatten. Dies wurde anhand von Indikatoren wie Armut, Ungleichheit und menschlicher Entwicklung gemessen. Eine konsequente Folgenabschätzung stellte einen entscheidenden Faktor bei der Bestimmung von Stärken und Schwächen sowie zum Aufbau politischer Unterstützung dar. Aber davon abgesehen ist es notwendig, weitere aussagekräftige Anhaltspunkte in Bezug auf die Auswirkungen der Programme zur Minderung von Risiken und Gefährdungen sowie zur Glättung des Lebenseinkommens zu gewinnen: Die Analyse dieser längerfristigen Auswirkungen ist ein entscheidender Aspekt für eine zukunftsorientierte Agenda der Politikforschung. In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich außerhalb der OECD eine neue Generation von Sozialen Sicherungsprogrammen entwickelt. In diesem Kapitel wird dargestellt, warum und wo diese Programme entstanden sind und welche Lehren daraus für andere Länder gezogen werden können, insbesondere für Länder im subsaharischen Afrika, welche in Kapitel 5 behandelt werden. Obwohl die neuen erfolgreichen sozialen Sicherungsprogramme nicht in gleichem Umfang in den ärmsten Ländern entstanden sind, sprechen viele Gründe dafür, mögliche Lehren daraus auch in Bezug auf die ärmeren Länder zu erforschen. Historisch gesehen ist das Policy-Lernen ein äußerst wichtiges Mittel der Politikentwicklung. Da viele Länder mit niedrigem Einkommensniveau nun auf einem vergleichsweise stabilen Weg zu wirtschaftlichem Wachstum sind, wird es mit der Zeit für diese Länder interessant, darüber nachzudenken, welcher Programmtyp (politisch, demographisch) notwendiger und (haushaltspolitisch) machbarer wird. Dieses Kapitel ist folgendermaßen aufgebaut: Zunächst werden die wichtigsten Neuerungen bei erfolgreichen Programmen besprochen. Zwar sind Neuerungen keine notwendige Voraussetzung, aber erfolgreiche Programme weisen spezifische Merkmale auf, aufgrund derer zu erwarten ist, dass sie für den betreffenden Kontext besonders geeignet sind. Zweitens gibt es Voraussetzungen, aufgrund derer diese Programme erfolgreich sind. Ein haushaltspolitischer Spielraum ist notwendig, und die Nachhaltigkeit dieser Programme muss durch klare und durchsetzbare Graduierungskriterien sichergestellt werden. Die administrativen Kapazitäten müssen der Programmkonzeption angemessen sein, u. a. auch hinsichtlich der Steuerung und Weiterentwicklung der existierenden Programme. Programme sind tendenziell erfolgreicher, wenn sie Teil anderer sozialpolitischer Maßnahmen sind (z. B. im Gesundheitsund Bildungssektor) oder mit diesen in Zusammenhang stehen. Politisches Engagement und politische Anreize für oder Druck auf die politisch Verantwortlichen im Interesse der Umsetzung von sozialen Sicherungsprogrammen war in der Vergangenheit die Grundvoraussetzung der erfolgreichsten Programme, wenn nicht sogar aller Programme. Diese Voraussetzungen sind nicht absolut zu verstehen. Es existiert ein großer Handlungsspielraum. In der Vergangenheit haben beispielsweise einige Länder mit geringem haushaltspolitischem Spielraum ein erhebliches Engagement im Bereich allgemeiner Sozialleistungen gezeigt, so z. B. Kuba, Sri Lanka und der indische Staat Kerala.225 Allerdings waren all diese erfolgreichen Programme in spezielle sozio-ökonomische und politische Kontexte eingebettet und dies kann anderen Ländern als wertvoller Hinweis dienen. 225 Ahmad et al. 1991. E U R O P Ä I S C H E R 59 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 4 Drittens ist es notwendig, dass soziale Sicherungsprogramme deutliche Auswirkungen auf das Wohlergehen der dafür vorgesehenen Begünstigten haben (in der Tat war die Überwachung derartiger Nutzeffekte ein Bestandteil vieler Programme). Zu den Schlüsselkriterien zählen - soweit gesicherte Anhaltspunkte vorliegen - Auswirkungen auf Indikatoren für Armut, Ungleichheit und menschliche Entwicklung. Da die Betonung auf dem Aspekt der sozialen Sicherung liegt, sollten Belege bzw. Maßnahmen für die Minderung von Risiken und Gefährdungen sowie der Glättung des Lebenseinkommens vorhanden sein. Aber dies erscheint weniger eindeutig. Erfolgreiche Programme fördern die Eingliederung (Inklusion) und minimieren die Ausgrenzung (Exklusion), so zum Beispiel durch Betonung der Achtung von Rechten, klare Förderungsvorschriften, die Betonung von Universalität und eine durchgängige Bemühung um die Gleichstellung der Geschlechter. Des Weiteren minimieren sie Negativanreize auf den Arbeitsmärkten und die Verdrängung individueller Betreuungsnetzwerke- einmal mehr zeigen erfolgreiche Beispiele, dass geeignete Konzepte hierzu beitragen können. Tabelle 4.1: Erfolgreiche Soziale Sicherungsprogramme der jüngsten Vergangenheit Auswirkungen Politischer auf das Wille Wohlergehen Steuerung, Finanzielle Administrative Minimierung Überwachung, Nachhaltigkeit Kapazitäten von NegaEvaluierung tivanreizen Maximierung Berücksichtigung von Spillover- von Fragen der Effekten geschlechterspeProgramm zifischen und sozialen Ausgrenzung BedürftigkeitsRenten Begrenzte Zentralisierter Ausweitung des Ungefähr 2 % Hohes Sozialrenten in Reduziert prüfung schließt politisches En- rassenbasierten des BIP, 7 % der Bereitstellungs- Negativanreize (Herzstück) Südafrika Armut und reichste Schichten Staatsausgaben: mechanismus; für Erwachsene, Ausweitung gagement und AltersversorUngleichheit, Sozialversiche- aus; keine BenachteiErneuerung des gungssystems kostspielig, aber Auszahlung: Di- die mit RentInvestitionen ligung von Frauen; rungssystem rekte Transfers nern zusambezahlbar Gesellschafts- unter Leitung im Bereich Berücksichtigung menleben und Bargeld der südafrikavertrages Bildung und der Rassendiskriminischen Social Gesundheit für nierung Security Agency Kinder Detaillierte na- Auswirkung auf Leuchtturm der Unterstützt die Die öffentliche 0,4 % des BIP, Sehr großer Bolsa Familia, Reduziert Bedürfnisse von Null-Hungertionale Rechts- Arbeitskräfmit der Zeit Nationalbank Rückhalt in Brasilien Armut und Frauen, reduziert Strategie; teangebot vorschriften, Politik und Be- Brasiliens wählt sanken die (konditionierte Ungleichheit; Konditionierte Ungleichheiten dezentralisierte gering, wenn Verwaltungsund zahlt die Geldleistungen) verbessert die völkerung für Geldleistungen zwischen sozialen Verwaltung; Die überhaupt kosten Ergebnisse im das Programm Begünstigten hängen von der Gruppen Stadtverwaltun- existent aus BildungsbeVerfügbarkeit gen verwalten reich von Schulen ab die Daten der Leistungsempfänger Alle ländlichen Unterstützt Gewisser Basiert auf den Vollständig Juristisch National Rural Auswirkungen LeuchtHaushalte; spezielle die ländliche Einfluss auf durchsetzbar, Employment unterschiedlich turmprojekt Erfahrungen mit durch Steuern Zielgruppen und Infrastruktur Löhne am mit zentraler finanziert mit Guarantee Act je nach Örtlich- 2004 der Maharashtrain den ärmsten Vorschriften: Frauen Gesetzgebung, Arbeitsmarkt gemeinsam (nationales keit; bis zu 100 KoalitionsreProgramm und Randgruppen Gegenden getragener (zen- dezentralisierte und ArbeitsGesetz für Tage bezahlte gierung; starke kräfteangebot (bisher kaum Umsetzung, Beteiligung von tralstaatlicher) ländliche Arbeit spürbar) Überwachung zu erwarten zivilgesellFinanzierung; Beschäftian der Basis schaftlichen keine vorab gungsgarantie) Interessenfestgelegte (öffentliche gruppen Zuweisung von BeschäftigungsZuschüssen programme Teil einer Frau- Im Mittelpunkt der Basiert auf Mit- Professionelles Keinerlei Schrittweiser MitgliederVimo SEWA, Deckt einen enorganisation; Organisation stehen AnhaltspunkAusbau zu einer gliedsbeiträgen Büropersonal Organisation Indien Teil der Geberufstätige Frauen Verbindung und Mitarbeiter te für eine strategischen mit starker (gemeinschafts- sundheitsgezu offizieller im Außendienst Verdrängung Mitgliederorgafährdungen der Advocacy(Arbeits-) Versicherungsinformeller nisation Mitglieder ab; Agenda basierte gesellschaft Netzwerke Einfluss auf KrankenversiGesundheitscherung) verhalten begrenzt Inklusives Programm Wird als eine GesundIndividuelle Bei- Zentrale Nationales New Coopera- Einfluss auf Ar- Sehr hoher für den ländlichen Säule des heitskosten Programm wird träge, staatliche Bestimmuntive Medical mut begrenzt, Grad an Raum, nach wie vor (Zuzahlungen) nationalen Kofinanzierung; gen, lokale bezirksweise politischer Scheme (neues aber es gibt unterschiedlicher GesundheitsUmsetzung und bleiben hoch staatseigene kooperatives Anhaltspunkte Unterstützung; gesteuert und wesens (und der Zugang zu GesundBankkonten für Verantwortung überwacht gesetzliche Gesundheits- dafür, dass ‘harmonischen heitsfürsorge NCMS system), China Zugang verein- Verankerung Gesellschaft’) (steuerlich facht wird betrachtet geförderte Krankenversicherung) Quelle: Woolard et al. 2010 und dort zitierte Untersuchungen; Bastagli 2010; Grosh et al. 2008; Ranson et al. 2006; Glewwe und Kassouf 2010; Texeira 2010; Literaturhinweise in Warmerdam und de Haan 2010 und dort zitierten Studien. 4.1 INNOVATIVE INSTRUMENTE DER SOZIALEN SICHERUNG Ausgehend von den großen sozialen Ungleichheiten insbesondere infolge der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse haben sich Sozialrenten als ein Grundpfeiler beim Aufbau eines Sozialversicherungssystems in Südafrika erwiesen (Kasten 4.1). Während es mit der Reform des Sozialversicherungswesens nur vergleichsweise langsam vorangeht, hat Südafrika speziell für Kinder und ältere Menschen eine Reihe beeindruckender sozialer Sicherungsmaßnahmen eingeführt. Renten werden allen älteren Menschen mit entsprechenden Voraussetzungen relativ problemlos, kostengünstig und mit geringen Negativanreizen zur Verfügung gestellt. Aber die Vorteile dieser Renten gehen über eine bloße Förderung des Wohlergehens Einzelner weit hinaus; sie wirken sich u. a. auch positiv auf jüngere Generationen aus. 60 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die neue Generation von sozialen Sicherungsprogrammen Kasten 4.1: Soziale Sicherung in Südafrika Historische Kontingenzen, politische Verpflichtungen und unterschiedliche Geschwindigkeiten bei den Reformbemühungen bescherten Südafrika in den 1990er Jahren und zu Beginn des Jahres 2000 ein expansives soziales Sicherungssystem. Das System basiert auf bedürftigkeitsgeprüften, bedingungsfreien Sozialbeihilfen für benachteiligte Gruppen, in erster Linie für ältere Menschen, Kinder und Menschen mit Behinderungen. Soziale Ungleichheiten bestehen jedoch weiterhin, und soziale Sicherungssysteme weisen noch immer Muster auf, die deutlich von Rassenzugehörigkeitsmerkmalen bestimmt sind. Eine Arbeitslosenversicherung kann nur von einem kleinen Teil der arbeitenden Bevölkerung in Anspruch genommen werden. Von den Auszahlungen profitieren nur ungefähr 10 % der Arbeitslosen. Nur wenige Beschäftige aus formellen Wirtschaftssektoren verfügen über eine Krankenversicherung. Und beitragsabhängige Rentensysteme existieren nur für besser verdienende, formell beschäftigte Arbeitnehmer. Mit den meisten früheren Sozialrenten wurde die schwarze Bevölkerung in direkter oder indirekter Weise diskriminiert. Die Reform dieses Systems im Interesse eines einheitlichen Zugangs für die bis dahin benachteiligte Mehrheit wurde daher als aufrichtige Konsequenz und als politisch machbar erachtet. Da sich alle Beihilfen auf Bedürftige (ältere Menschen, Kinder und Menschen mit Behinderungen) ausrichteten, erfreuten sich diese Maßnahmen einer umfassenden politischen Unterstützung. Fast 14 Millionen Menschen (ein Drittel der Bevölkerung) profitieren von dem neuen sozialen Sicherungssystem, das darauf abzielt, frühere Benachteiligungen infolge der Rassenzugehörigkeit zu kompensieren. Die Beihilfen sind vergleichsweise großzügig, oft übersteigen sie das Pro-Kopf-Einkommen. Andere soziale Sicherungsformen (öffentliche Beschäftigungsprogramme, Schulspeisungen, Katastrophenhilfe) spielen dagegen eine untergeordnete Rolle. Die Zielgerichtetheit der Beihilfen ist im Allgemeinen gut. Hauptempfänger der Beihilfen sind Haushalte der untersten Quintile. Für viele Haushalte dieser Quintile zählt die Beihilfe zu den wichtigsten Einnahmequellen; oftmals stellt sie sogar die einzige Einkommensquelle dar. Breite soziale Abdeckung: 70 % der Haushalte in den unteren drei Quintilen berichten über gewisse Einnahmen aus Beihilfen im Jahr 2008. Diese nahmen mit der Einführung der Kinderbeihilfe in den letzten Jahren sprunghaft zu und erreichten viele Haushalte. Durch diese Sozialleistungen konnte die Armut reduziert werden, und wahrscheinlich trug die Ausweitung der Beihilfen zur Minderung der Armut seit 2000 bei. Die wahren Vorteile übersteigen allerdings bei Weitem den direkten Nutzen. Die Altersrente führt zu einer besseren Ernährung, Bildung und Gesundheit der Kinder in den begünstigten Haushalten. Die Tatsache, dass die meisten Empfänger Frauen sind, wirkt sich zusätzlich positiv auf Kinder aus. Quelle: Woolard et al. 2010. Viele neue soziale Sicherungssysteme entwickelten sich als Antwort auf große soziale Ungleichheit. Zu den wichtigsten Neuerungen gehört die Einführung von Konditionierungen, so z. B. bei der Bolsa Familia. Haushalte erhalten Beihilfen, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllen, beispielsweise den Schulbesuch ihrer Kinder über eine bestimmte Mindestdauer gewährleisten; schwangere Frauen bzw. stillende Mütter erhalten Beihilfe, wenn sie medizinische Untersuchungen wahrnehmen. Dies trägt nicht nur zu mehr Wohlergehen bei, sondern auch zum politischen Rückhalt für das zielgerichtete Programm. Staatliche Beschäftigungsprogramme sind seit Jahrhunderten eine weit verbreitete und erprobte Antwort auf Arbeitslosigkeit oder Unterbeschäftigung. Das Programm, das in der jüngsten Vergangenheit viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen hat, ist das indische National Rural Employment Guarantee Scheme (nationales Programm zur Förderung der Beschäftigung in ländlichen Gebieten). Aufbauend auf den Erfahrungen im Bundesstaat Maharashtra und unter dem Druck der Zivilgesellschaft als Antwort auf die Entwicklungsstrategie „Shining India“ (Leuchtendes Indien), bei der es zu einer Vernachlässigung der armen Bevölkerung kam, wurde in der Folge unter dem Motto „Inclusive Growth“ (Wachstum für alle Bevölkerungsgruppen) einige Jahre lang und mit einigem Erfolg ein Leuchtturmprojekt der regierenden Kongresspartei umgesetzt, das allerdings bisher nur sehr partiell ausgewertet worden ist. Eines der innovativsten Merkmale dieses Programms bezieht sich auf seinen juristisch durchsetzbaren Anspruch aller Bürger auf 100 Tage bezahlte Arbeit. Diese besondere Betonung der Rechte stand in direktem Zusammenhang mit einer breiteren Bewegung für soziale Rechte, zu denen auch das Recht auf Nahrung und auf Information zählt. Die gruppenbasierte soziale Sicherung beinhaltet unterschiedliche Ziele und Vorgehensweisen. Ihre einzigartigen oder innovativen Merkmale liegen in der Organisation seiner Mitglieder und in der Form der zur Verfügung gestellten sozialen Sicherung. In Indien hat sich226 als Antwort auf die für gewöhnlich äußerst dürftigen Gesundheitsdienstleistungen des Landes eine Reihe gemeinschaftsbasierter Krankenversicherungssysteme entwickelt. In Gujarat bietet die „Self Employed Women’s Association“ (Vereinigung selbstständig arbeitender Frauen) zahlreiche Dienstleistungen für ihre Mitglieder an, darunter eine Sozialversicherung und eine Krankenversicherung (Kasten 4.2). Die Organisation setzt sich auch für eine neue Gesetzgebung ein, die Selbstständigen in informellen Sektoren Zugang zu sozialer Sicherung verschafft. 226 Ranson et al. 2006. E U R O P Ä I S C H E R 61 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 4 Kasten 4.2: Self Employed Women’s Association (Vereinigung selbstständig arbeitender Frauen) Die Vereinigung selbstständig arbeitender Frauen SEWA mit Sitz in Ahmedabad unterstützt Frauen auf ihrem Weg zur Vollbeschäftigung unter Gewährleistung von Arbeitssicherheit, Einkommen, Nahrung und Sozialversicherung (insbesondere Gesundheitsvorsorge und Kinderbetreuung) und verhilft ihnen dazu, in ihrer Entscheidungsfindung selbstständig und autonom zu werden. Sie sieht sich als Organisation und Bewegung Selbstständiger, wobei sie Elemente der traditionellen Gewerkschaftsbewegung mit Elementen des Genossenschaftswesens und der Frauenbewegung kombiniert. In erster Linie eine Bewegung Selbstständiger hat sie ca. 700.000 Mitglieder. Bei den Debatten über die Ausweitung des Sozialversicherungssystems hat sich die Vereinigung insbesondere im Zusammenhang mit der Gesetzesvorlage von 2003 zum Hauptbefürworter allgemeiner Krankenversicherungen, Lebensversicherungen und Renten gemacht. Beitragsabhängige Sozialversicherungssysteme werden für förderungswürdig gehalten, da sie mehr Eigenverantwortung gegenüber staatlichen Stellen eröffnen. Im Jahr 1992 startete die SEWA ihr integriertes Versicherungsprogramm Vimo SEWA, das eine Lebens-, Vermögens- and Krankenhausaufenthalts-Versicherung in Form eines Gesamtpakets anbietet. Die Mitgliedschaft ist freiwillig und nicht auf SEWAMitglieder beschränkt. Frauen, die wichtigsten Mitglieder der SEWA, können auch Versicherungen für ihre Ehemänner und Kinder abschließen. Die Krankenversicherung deckt (durch Rückerstattung) die Kosten für Krankenhausaufenthalte ab und zwar bis zu einer Obergrenze von 2000 Rs. pro Mitglied und Jahr (46 USD im Jahr 2006). Die Entscheidung über den betreffenden Leistungsträger liegt bei den Mitgliedern. Die Organisation besteht aus einer Kombination aus Mitarbeitern im Außendienst und professionellem Büropersonal. Mit hohen Erstattungssätzen und geringen Ausgaben aus eigener Tasche führte das Programm zu einer erheblichen finanziellen Absicherung der Mitglieder. Allerdings hatte das Programm keine nennenswerten Auswirkungen auf zusätzliche Krankenhausaufenthalte, da Krankenhausaufenthalte aus finanziellen und praktischen Gründen (Entfernung, Pflichten im Haushalt) weiterhin eine abschreckende Wirkung haben. Auch die Abrechnung von Rückerstattungsforderungen gestaltet sich schwierig. Quelles: www.sewa.org; www.wiego.org/news und Erfahrungen anlässlich eines SEWA/WIEGO/Cornell Workshops über ‘Membership based organisations of the poor’ (Mitgliederbasierte Organisations ärmster Menschen) (http://www.wiego. org/ahmedabad/); Jhabvala 2008; Ranson et al. 2006, de Haan und Sen 2007. Das vermutlich größte Projekt für soziale Sicherung ist das neue chinesische kooperative Gesundheitsprogramm „New Cooperative Medical Scheme” (NCMS), das als Reaktion auf die verschlechterte Gesundheitsversorgung nach den im Jahre 1978 in Angriff genommenen Wirtschaftsreformen entwickelt wurde. Es gilt als Antwort auf die Zunahme von Armut und eine unzureichende gesundheitliche Versorgungssituation. Die Zentralregierung startete zunächst NCMS-Pilotprojekte in 300 von mehr als 2.000 ländlichen chinesischen Provinzen. Das NCMS wurde gemäß den zentralen Rahmenvorgaben umgesetzt. Diese übertrugen den einzelnen Lokalregierungen die Verantwortung für die Verbesserung des Gesundheitsstatus entsprechend den jeweiligen regionalen Gegebenheiten. Die politischen Rahmenrichtlinien bestimmen, dass die Teilnahme am Programm freiwillig ist und dass Aufwendungen für Katastrophen gedeckt werden müssen. Während eine mangelnde Förderung und ein eingeschränkter Zugang speziell der ärmsten Bevölkerung zur medizinischen Versorgung die Effizienz des chinesischen Sozialschutzes weiterhin beeinträchtigen, verspricht das Programm für die ländliche Bevölkerung erhebliche Verbesserungen. 4.2 VORAUSSETZUNGEN FÜR ERFOLGREICHE PROGRAMME Soziale Sicherungsprogramme sind dann erfolgreich, wenn entsprechende Bedingungen in Bezug auf ihre Bezahlbarkeit, auf Verwaltungskapazitäten, ihre Verbindung zu anderen Bereichen und politisches Engagement vorliegen. 4.2.1 BUDGETÄRE KOSTEN UND NACHHALTIGKEIT Erfolgreiche Programme in der ganzen Welt vermeiden Belastungen des Haushalts, indem sie mit begrenztem Kosteneinsatz breite Schichten der armen Bevölkerung zu erreichen suchen.227 Bolsa Familia in Brasilien erreicht 26 % der Bevölkerung, Berichten zufolge kostet das Programm jedoch weniger als ein halbes Prozent des BIP, wobei diese Kosten vermutlich mit der Ausweitung des Programms leicht anziehen werden. Allerdings bleiben die Kosten gering im Vergleich zu den Gesamtausgaben des Landes für die soziale Sicherung. Oportunidades in Mexico kostet 0,4 % des BIP, erreicht aber immerhin 5 Millionen Haushalte. Das Programm „Chile Solidario“ gilt ebenfalls als 227 Die Deckung der Programme, d. h., der Prozentsatz der Personen, die tatsächlich mittels der Programme erreicht werden, variiert, aber es werden vergleichsweise viele Menschen erreicht, während die Aufwendungen in den lateinamerikanischen Beispielländern aufgrund einer tendenziell geringen Gesamtleistung pro Begünstigtem niedrig gehalten werden: Sie liegen zwischen 4 % der Ausschöpfung pro Begünstigtem in Honduras und 20 % in Mexiko (Bastagli 2010, S. 7). 62 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die neue Generation von sozialen Sicherungsprogrammen erschwinglich; es wurde durch das erhebliche Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte in Chile ermöglicht.228 China weitet sein soziales Sicherungsprogramm flankierend zu weiteren politischen Maßnahmen in Bildung und Erziehung aus, jedoch nicht extensiv, um keine Kultur der Sozialhilfeabhängigkeit zu schaffen. Für einige Beobachter gibt China jedoch noch immer zu wenig für Sozialprogramme aus. Auch längerfristigen Verbindlichkeiten kann begegnet werden. Explizite Programmgestaltungsmerkmale für die allmähliche Ausgabenreduktion können als „Phasing out“ konkretisiert werden. In Südafrika, wo die Programme der sozialen Sicherung ca. 3 % des BIP ausmachen, wird mit variablen Beträgen gearbeitet, um die budgetären Kosten im Griff zu behalten. Der demographische Wandel wird die Ausgaben für Renten in Südafrika voraussichtlich steigen lassen, aber diese Mehrkosten könnten durch die Anhebung des Renteneintrittsalters aufgefangen werden. Zudem sinken die Ausgaben für Kinderbeihilfen infolge der niedrigeren Geburtenrate. In Brasilien wird Bolsa Familia so lange gezahlt, wie die Berechtigung darauf besteht. Der durchschnittliche Realtransferwert fiel zwischen 2001 und 2005, da die Transferzahlungen bis zum Jahr 2007 nicht erhöht wurden.229 Die Besorgnis, dass die budgetären Kosten zu hoch sein könnten, wird durch die positiven Begleiterscheinungen der Programme gemindert, die über die reinen Geldleistungen hinaus gehen. Häufig sind Geldleistungen an Bedingungen geknüpft und führen erwiesenermaßen zu höheren Einschulungsraten und einer Zunahme der Gesundheitschecks.230 Nachweislich führen Leistungen an ältere Menschen sogar zur Zahlung eines Teils der Schulkosten für die Enkel. Öffentliche Beschäftigungsprogramme verfolgen die zusätzlichen Ziele der Schaffung von Infrastruktur, einer wirtschaftlichen „Investition“ sowie einer Einkommensersatzleistung. Meistens wird soziale Sicherung als Nachfragestimulierung betrachtet und allgemein wird bevorzugt, durch Zuweisung inländischer Ressourcen zu „produktiven“ Ausgaben zu gelangen. Daher deuten erfolgreiche Programme darauf hin, dass soziale Sicherung auch „produktiv“ ist. Viele der positiven Beispiele zur Unterstützung der armen Bevölkerung wurden realisiert, weil verfügbare Ressourcen es zuließen (und vielleicht auch politisch erforderlich machten). Afrikanische Regierungen machen sich aufgrund der langfristigen Verbindlichkeiten, unsicheren Hilfeströme und begrenzten Einkünfte zu Recht Sorgen über die Finanzierung der sozialen Sicherung durch Geberländer. Im Zusammenhang mit neuen Initiativen sind daher sorgfältige Kostenschätzungen erforderlich, die in die sektorenübergreifenden Ausgabenpläne integriert sind und überzeugende Ertragsaussichten bieten. 4.2.2 INSTITUTIONEN FÜR ERFOLGREICHE PROGRAMME Soziale Sicherungssysteme können ein klares Konzept besitzen und trotzdem erhebliche institutionelle Anforderungen stellen. Bei der Konzeption neuer Programme ist es wichtig, darauf zu achten, dass die Anforderungen ernsthaft berücksichtigt werden und dass die Einführung der Programme nicht nur sorgfältig geplant und kontrolliert abläuft, sondern auch zur Stärkung der Institutionen beiträgt. Die Implementierung erfolgreicher sozialer Sicherungsprogramme kombiniert typischerweise drei Dinge: auf hoher Ebene verabschiedete politische Leitlinien, eine stark dezentralisierte Umsetzung und klar definierte Ziele (bzw., sollte dies nicht der Fall sein, eine Konkretisierung der Ziele). Das nationale indische Gesetz für ländliche Beschäftigungsgarantie (National Rural Employment Guarantee Act / NREGA) fußt auf einem Regierungsgesetz, das die Verantwortung für die Umsetzung des Programms den einzelnen Bundesstaaten bis hinunter auf Bezirksebene und auf die Ebene der lokalen Verantwortlichen überträgt. Dorfräte (gram panchayats) führen „Sozialaudits“ durch; viel Wert wird auf die Beteiligung der Öffentlichkeit gelegt, sowohl gegenüber den Begünstigten als auch gegenüber den Interessengruppen, die häufig direkt in den Überwachungsprozess einbezogen sind. Auf diese Weise durchdachte Konzepte beginnen typischerweise mit kleineren Experimenten und Pilotprojekten oder basieren auf der Erfahrung und der Einrichtung anderer Programme. NREGA in Indien verfügt über eine jahrzehntelange Erfahrung im Zusammenhang mit einem Beschäftigungsprogramm in Maharashtra, aber die landesweite Durchführung von NREGA ließ in jenen Gebieten zu wünschen übrig, in denen die Umsetzung öffentlicher politischer Maßnahmen generell unzureichend ist. Die Vimo-Vereinigung selbstständig arbeitender Frauen (Vimo Self Employed Women’s Association / SEWA) war Teil der Entwicklung und Ausweitung der Organisation auf ganz Indien, wobei sich die Organisation parallel mit dem Anstieg ihrer Mitgliederzahl entwickelte. Das NCMS in China wurde landesweit nach Durchführung zahlreicher Pilotprojekte in diversen chinesischen Provinzen eingeführt, die lokale Umsetzung vollzieht sich auf dezentralisierter Ebene. Das Programm Bolsa Familia, von dem in der Zwischenzeit 12 Millionen brasilianische Familien profitieren, war Nachfolger des brasilianischen Programms Bolsa Escola („Schul-Stipendium“ / kein Pilotprogramm). Bolsa Escola startete in der Stadt Campinas. Das Programm wurde in der Folge zunächst auf einige andere Gebiete ausgeweitet, 2001 landesweit eingeführt, bevor Bolsa Familia im Jahr 2003 initiiert wurde. Bolsa Familia war ein wesentlicher Bestandteil der Fome Zero (Null Hunger)-Strategie, die verschiedene Ziele verfolgte: einen verbesserten Zugang zu Nahrung, die Förderung landwirtschaftlicher Familienbetriebe, die Erwirtschaftung von Einkommen und die Förderung einer Partnerschaft zwischen Zivilgesellschaft und Regierung.231 Mit dem integrierten Programm Chile Solidario werden 300.000 der ärmsten 228 229 230 231 Alle Angaben über einzelne Programme zitiert nach Bastagli 2010; Angaben über andere Sozialleistungen zitiert nach Weigand und Grosh 2008. Bastagli 2010, S. 7. Siehe beispielsweise die jüngste Studie des Internationalen Forschungsinstituts für Ernährung unter http://www.ifpri.org/pressrelease/study-finds-bolsa-familiachildren-healthier-doing-better-school. Soares und Silva 2010. E U R O P Ä I S C H E R 63 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 4 Haushalte Chiles im Rahmen von psychosozialer Betreuung, Familienförderung, finanzieller Unterstützung und dem vorrangigen Zugang zu Sozialprogrammen gefördert. Mit der Hilfe von 25 Einrichtungen folgte im Jahr 1999 die Realisierung von 134 Programmen mit dem Ziel der Armutsbekämpfung.232 Verwaltungskosten sind hierbei grundsätzlich von hoher Relevanz. Die Kosten des Beihilfeprogramms in Südafrika belaufen sich auf nur 5 % der Auszahlungen. Dies erscheint niedrig und geht teilweise auf das hohe Niveau der südafrikanischen Beihilfen zurück. Pro Begünstigtem liegen die Verwaltungskosten bei ca. 40 - 50 USD pro Jahr, ein signifikanter Betrag. Die Verwaltung wird unterstützt von einer relativ gut entwickelten staatlichen Infrastruktur, von einem hohen Niveau an Humankapital im Bereich des staatlichen Verwaltungsapparats und von einem vergleichsweise geringen Maß an Korruption. In Bezug auf die Kinderbeihilfe ist das System so konzipiert, dass durch eine obligatorisch vorgeschriebene Geburtenregistrierung auch automatisch das staatliche Infrastruktursystem optimiert wird. In Lateinamerika variierten die Verwaltungskosten,233 teilweise spiegeln sie die Umsetzung der jeweiligen politischen Maßnahmen bzw. Änderungen in der Zielstellung wider.234 Die anteiligen Kosten des Gesamtbudgets betrugen 10 % für Oportunidades (wobei das System zur Identifikation der Begünstigten für einen hohen Anteil der operativen Kosten verantwortlich war), jedoch 30 - 40% für Honduras Programm „Programa de Asignación Familiar“ (PRAF) und Nicaraguas Programm „Red de Protección Social“ (RPS). Die Verwaltungskosten nahmen für gewöhnlich mit der Zeit ab, aber dies traf (bisher) auf Nicaraguas RPS-Programm nicht zu.235 Durch die Art und Weise, wie Beihilfen ausgezahlt werden, können Verwaltungskosten niedrig gehalten und die Korruption reduziert werden. Elektronische Auszahlungen spielten bei manchen Programmen eine wichtige Rolle. Oportunidades zum Beispiel benutzt Geldautomatenkarten und die Begünstigten begannen ihr Geld auf Bankkonten zu sparen, als die Regierung sie zur Verfügung stellte.236 Bei vielen Programmen wurden die Leistungen in Form von Sachwerten erbracht (Nahrung, teilweise mittels Spendenpraktiken und im Interesse der nationalen Ernährungssicherheit), aber in jüngster Zeit vollzieht sich, ausgehend von der Sorge um die Auswirkungen auf die lokale Nahrungsmittelproduktion und parallel zur verstärkten Berücksichtigung von Geldtransferprogrammen, ein Trend zur Bargeldauszahlung. Dieser Wandel ist im Allgemeinen willkommen und es sollte Bargeld ausgezahlt werden, sofern nicht die Grundversorgung an Waren in den lokalen Märkten ungenügend ist (wo eine Finanzspritze zu einem Anstieg der Inflation führen würde). Erfolgreiche Programme wägen die Auswirkungen auf bestimmte Gruppen wie z. B. Frauen und die Besitzer von Land und Vieh in spezifischen Kontexten sorgfältig ab. Bestimmte Programmkonzeptionen erfordern spezifische und manchmal ausgeklügelte Verwaltungsmechanismen. Die Datensätze der Begünstigten müssen vorbereitet, überprüft und in regelmäßigen Zeitabständen auf den neuesten Stand gebracht werden, eine Herausforderung in Mexiko.237 Die Erfüllung von Bedingungen muss überwacht werden und Mechanismen sind einzuführen für den Fall, dass die betreffenden Bedingungen nicht eingehalten werden, wie dies z. B. für Chile und Brasilien zutrifft.238 Mauritius gab nachweislich seine Bedürftigkeitsprüfung im Rahmen eines nicht beitragsbezogenen Rentensystems auf, weil diese zu korruptionsanfällig war.239 In China unterstützen starke Stadtviertelkomitees bei der Zielgruppenausrichtung des Programms Di Bao zur Garantie des Mindesteinkommens.240 Selbst in Ländern mit starken Verwaltungskapazitäten bleibt der Sicherstellungsprozess - dass die Beihilfen an die richtigen Personen gehen, dass diese Zugang zu den Beihilfen haben und über die Existenz der Programme im Bilde sind - eine Herausforderung und kann zu lokalen Spannungen führen. Viele Autoren argumentieren, dass die Kosten für die Zielausrichtung in keinem Verhältnis zum endgültigen Nutzen stehen, ein Argument, das für universelle Programme spricht.241 4.2.3 VERBINDUNGEN UND SYNERGIEN MIT ANDEREN ÖFFENTLICHEN MASSNAHMEN Bolsa Familia, die Renten in Südafrika und Chinas NCMS sind ein wesentlicher Bestandteil umfangreicherer sozialpolitischer Maßnahmen: Selbst, wenn es sich um Leuchtturmprojekte handelt, bleiben sie ein Programm unter anderen und können negative und positive Auswirkungen auf andere öffentliche Maßnahmen, ihre Ziele und Institutionen haben.242 Fünf verbindende Elemente zwischen spezifischen sozialen Sicherungsinstrumenten und anderen öffentlichen Maßnahmen sind ausschlaggebend für den Erfolg von sozialen Sicherungsprogrammen. 232 233 234 235 236 237 238 239 240 241 242 Soares und Silva 2010. Synergien mit anderen Programmen werden weiter unten diskutiert. Grosh et al. 2008 lagen die Verwaltungskosten zwischen 4 % und 12 % der Gesamtausgaben für konditionierte Geldleistungen. Bastagli 2010. Die Verwaltungskosten des mexikanischen Oportunidades-Programms konnten von 57 % im Jahr 1997 auf 6 % im Jahr 2003 reduziert werden; die Kosten für die konditionierte Geldleistungen in Brasilien reduzierten sich von 15 % auf 5 %, Bastagli 2010. Seira 2010. Bastagli 2010, S. 10. Bastagli 2010, S. 9. Willmore 2003, in Wermer 2008. Ravallion 2006. Siehe auch Bastagli 2010, S. 17. Jehoma 2010. 64 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die neue Generation von sozialen Sicherungsprogrammen • Erstens: Entscheidungen über die Zuweisung von Mitteln werden im Kontext übergeordneter Budgetentscheidungen getroffen. In China bleibt, insbesondere auf nachrangiger Regierungsebene und trotz zunehmenden Forderungen nach öffentlichem Engagement für soziale Programme, das Hauptaugenmerk auf Investitionen in die Infrastruktur. Dies geschieht in Übereinstimmung mit dem Modernisierungsprogramm, das sich nur langsam in Richtung höherer Sozialausgaben bewegt. • Zweitens: Politisch kann es sehr überzeugend wirken, wenn soziale Sicherungsprogramme als flankierende Maßnahmen zur Unterstützung der Arbeit der Gesundheits-, Bildungs- und Wirtschaftministerien betrachtet werden. Eine Koordinierung mit anderen öffentlichen Maßnahmen ist auf verschiedenen politischen Durchsetzungsebenen wichtig. Es sollte in diesem Zusammenhang daran erinnert werden, dass das integrierte Programm “Chile Solidario” aus der Notwendigkeit heraus entstanden ist, eine Vielzahl von Programmen und Einrichtungen zu koordinieren. • Drittens: Die Bedingungen der neuen Generation von Geldleistungen setzen den Besuch von Gesundheits- und Bildungseinrichtungen voraus. Geldleistungen tragen zu einem häufigeren Besuch medizinischer Einrichtungen bei, setzen aber voraus, dass diese zur Verfügung stehen. In Gebieten, wo derartige Einrichtungen nicht zur Verfügung stehen, muss auf die Knüpfung an Bedingungen verzichtet werden. Die Koordination zwischen sozialen Einrichtungen und Ministerien ist daher wichtig. In Lateinamerika beinhaltete dies bestimmte Bedingungen für Vereinbarungen und Zuschüsse.243 In China wurde die Einführung von Versicherungen von einer Reihe anderer Maßnahmen flankiert, u. a. vom Ausbau des Angebots an Dienstleistungen. • Viertens: Ein Ziel von öffentlichen Beschäftigungsprogrammen ist der Ausbau der Infrastruktur, typischerweise in ländlichen Gegenden, womit also die Ziele des Landwirtschaftsministeriums und des Ministeriums für ländliche Entwicklung unterstützt werden. Es gibt nur wenige Informationen darüber, ob diese Ziele erreicht werden können, da sich die Forschung auf den direkten Nutzen in Form von Arbeitstagen und Einkommen konzentriert hat. Ein allgemeines Problem stellt die Qualität der Arbeit dar. Dieses Problem ergibt sich aus der Tatsache, dass der Arbeitsbeschaffung erste Priorität eingeräumt wird sowie aufgrund einer mangelnden Koordination mit den betreffenden fachlichen Abteilungen. • Fünftens: Die Verantwortungsmechanismen - einschließlich der Vertragsbedingungen - werden bei Geldtransferprogrammen verbessert. Zur Verbesserung der Dienstleistungen zahlt die brasilianische Bundesregierung je nach Bedarf und Aufwand Zuschüsse an die Verwaltungen lokaler Behörden, damit ärmere Gemeinden ihren Rückstand aufholen können.244 Daher ist es wichtig, dass Synergie-, Koordinations- und Kommunikationsmechanismen zwischen den jeweiligen Institutionen entwickelt werden, dass Verantwortlichkeiten geklärt sowie eine verstärkte Zusammenarbeit und der Austausch von Informationen gefördert werden. 4.2.4 POLITISCHES ENGAGEMENT Die unterschiedliche Art und Weise, wie politischer Wille bekräftigt wird, hat prägenden Einfluss auf die jeweiligen Programme. Das NREGA in Indien wurde vehement von diversen zivilgesellschaftlichen Interessengruppen unterstützt, darunter Nicht-RegierungsOrganisationen und Akademiker, die eng mit reformorientierten Politikern und Beamten kooperierten (Kasten 4.3). Die Vereinigung selbstständig arbeitender Frauen entstand als nachdrückliche Reaktion auf den Niedergang der traditionellen Industrien in Ahmedabad. Kasten 4.3: Politische Hintergründe bei der Ausgestaltung von sozialen Sicherungsmaßnahmen Von D. Chopra (Institut für Entwicklungsstudien an der Universität von Sussex) Das nationale Gesetz für ländliche Beschäftigungsgarantie von 2005 (National Rural Employment Guarantee Act / NREGA) ist Indiens größtes soziales Sicherungsprogramm. Formuliert auf der Grundlage der Prinzipien einklagbarer Rechte (rights-based approach) garantiert dieses Gesetz nach entsprechendem Ersuchen jedem ländlichen Haushalt 100 Tage bezahlte Arbeit pro Jahr. Anreize zur Arbeitsaufnahme in Form öffentlicher Beschäftigungsprogramme haben in Indien eine lange Tradition, aber das NREGA markiert zwei wichtige neue Ausgangspunkte. Erstens ist es nachfrageorientiert, der größte Vorteil als rechtebasiertes soziales Sicherungsinstrument. Zweitens handelt es sich weniger um ein Programm (das bei einem Regierungswechsel einfach geändert oder abgeschafft werden könnte), sondern um ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz. Hierdurch wird langfristige Nachhaltigkeit und politische Verpflichtungsbereitschaft in Bezug auf die soziale Sicherung gewährleistet. Die Ausgestaltung des Gesetzes folgte einem politischen Prozess, bei dem Akteure aus verschiedenen Bereichen und mit unterschiedlichen Hintergründen im Rahmen nachhaltigen Wirtschaftswachstums damit betraut waren, über grundsätzliche Fragen des öffentlichen Wohls - vorgebracht auf demokratischem und zivilgesellschaftlichen Wege - zu entscheiden. 243 244 Bastagli 2010, S. 19. Bastagli 2010, S. 19. Die Einführung des “New Deals” in den USA (Bündel von Wirtschafts- und Sozialreformen, das die Binnenkonjunktur ankurbeln und die durch die Weltwirtschaftskrise verursachte Massenarbeitslosigkeit und -armut lindern sollte) erforderte oder war Teil einer drastischen Neuordnung der US-internen haushaltspolitischen Beziehungen. E U R O P Ä I S C H E R 65 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 4 Die Idee einer Beschäftigungsgarantie kam von unterschiedlicher Seite, u. a. von hochrangigen Staatsbeamten sowie von Aktivisten der Zivilgesellschaft, die dafür plädierten, dauerhaft bezahlte Arbeit anzubieten, um den negativen Auswirkungen der Agrarkrise zu begegnen. Eine positive justiziable Regelung über „Prozesse von öffentlichem Interesse“ im Rahmen des sog. „public interest litigation“ in Bezug auf das „Recht auf Nahrung“ legte die besondere Betonung auf die Menschenrechte, während die Bildung von Konsortien auf Bundesebene Raum für Ideen ließ und den Akteuren Anlass und Gelegenheit bot, zusammenzutreten. Der Vorschlag einer nationalen Beschäftigungsgarantie entstand ursprünglich auf Regierungsebene; geplant war eine Partnerschaft mit Aktivisten der Zivilgesellschaft und Vertretern politischer Parteien, mit der Absicht, das Projekt zu einer nationalen Idee voranzutreiben. Dies nahm in Form eines Manifests der damaligen Oppositionspartei Gestalt an, die ganz unerwartet im Jahr 2004 die Wahlen gewann. Der Beschäftigungsgarantie wurde eine hohe Priorität im Rahmen des „National Common Minimum Programme“ (nationales gemeinsames Minimalprogramm) eingeräumt, einer gemeinsamen Absichtserklärung der neuen Koalitionsregierung. Während dies die Gelegenheit zu einer gemeinsamen Ausgestaltung des neuen Gesetzes gab, kam es in der Beschlussphase zu Opposition, Gegenopposition und politischen Verhandlungen. Aber Unterstützung von hochrangiger politischer Stelle sowie eine kluge Überwachungstaktik durch die zivilgesellschaftlichen Akteure trugen dazu bei, dass das Vorhaben tatsächlich zustande kam. Das NREGA wurde im Oktober 2004 nach einer abschließenden Ausarbeitungsphase aller gesetzlichen und finanziellen Details sowie der Regelung aller Überwachungs- und Evaluierungsprozesse verabschiedet. Das Gesetz wurde zunächst im Februar des Jahres 2005 in 200 indischen Bezirken eingeführt und bis April 2008 wurde es auf das gesamte Land ausgeweitet. Es gab vier Haupttriebfedern für den politischen Prozess zur Schaffung dieses Gesetzes: • Die Bildung von politischen Räumen und Netzwerken. • Einflussreiche, kluge and verständnisvolle staatliche Akteure und Netzwerke. • Aktive und verantwortungsvolle zivilgesellschaftliche Akteure und ihre Netzwerke. • Politische Zwänge. Zu den Strategien der Interessengruppen zählten u. a. die Schaffung von Netzwerken und eine intensive Verknüpfung der verschiedenen Akteure (sowohl auf staatlicher als auch auf nicht-staatlicher Seite), die Nutzung persönlicher Beziehungen und zahlreiche Ausgangspunkte, um Zugang zu formalen Entscheidungsprozessen zu finden, die Schaffung und Nutzung von Gelegenheiten für Verhandlungen, Beratungen und Kompromisse und schließlich das Festhalten am Grundsatz der Rechenschaftspflicht, so dass an einmal gemachten Versprechungen in Form von zu erfüllenden Zielen festzuhalten war. Diejenigen Akteure, die während all dieser Zeit durch Abwesenheit glänzten, waren die internationalen Geldgeber und Hilfsorganisationen. Die Geschichte der Schaffung des NREGA zeigt daher die Wichtigkeit der Interaktion von staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren bei der Ausarbeitung von sozialen Sicherungsprogrammen auf. Nationale Programme für soziale Sicherung, die aus einer derartig engen Interaktion von Staat und Zivilgesellschaft erwachsen, haben im Rahmen volkseigenen, langfristig angelegten politischen Handelns eine erheblich größere Chance auf wirtschaftliche und politische Nachhaltigkeit. Obschon das NREGA keinen uneingeschränkt justiziablen Ansatz verfolgt (beschränkt auf Haushalte, 100 Tage, anstrengende manuelle Tätigkeiten, geschlechtsspezifisches Anliegen), machen die Menschenrechtsorientierung und der Anspruchscharakter dieses Gesetz zu einem machtvollen Instrument der politischen Mobilisierung und des Wandels im Rahmen politischer Dynamik an der Basis. Quelle: D. Chopra, Doktorarbeit, Cambridge 2010. Das NREGA zeigt, dass Mobilisierung und Bottom-up-Prozesse von der staatlichen Politik unterstützt werden sollten. SEWA zeigt, dass Organisationen an der Basis auch auf Widerstand stoßen können. Aber viele soziale Sicherungsprogramme gehen einzig und allein auf ein starkes politisches Engagement zurück, das darauf abzielt, extreme oder zunehmende Ungleichheiten in der Gesellschaft zu bekämpfen - oder sie zielen auf eine Erneuerung des Gesellschaftsvertrags ab. • In Südafrika war der relativ rasche Aufbau eines System von Sozialrenten, von der mittlerweile ca. ein Drittel der Bevölkerung profitieren, der ausdrückliche Versuch - flankiert von anderen politischen Maßnahmen - frühere (rassenbasierte) Ungleichheiten anzugehen und die Fehler der Vergangenheit wiedergutzumachen. 66 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die neue Generation von sozialen Sicherungsprogrammen • In Brasilien, wo die Ungleichheit ebenfalls extrem hoch ist, trug die Ausweitung von Bolsa Familia zu verstärktem politischen Rückhalt für die Lula-Regierung und die Arbeiterpartei bei (wie die Präsidentschaftswahlen zeigten), auch wenn ein Großteil der (übrigen) Bestimmungen zur sozialen Sicherung in hohem Maße rückschrittlich sind und das Fundament für das Bolsa FamiliaProgramm unter der Cardoso-Regierung gelegt wurde. Es sieht ganz so aus, als ob die Investition in soziale Sicherung nicht als Kompromiss mit Wachstumsaussichten angesehen würde: Jorge Abraão vom staatlichen Forschungsinstitut Ipea wörtlich: „Die Banker gewinnen, die Industriellen gewinnen, aber die Armen gewinnen ebenfalls“.245 • Chile Solidario zielt auf eine Förderung des sozialen Zusammenhalts durch Umverteilung ab. Natürlich weisen alle vorgestellten Projekte etliche Unterschiede auf, aber dennoch ist klar ersichtlich, - wie dies auch für den Ausbau der Sozialpolitik in Europa gilt - dass soziale Sicherung als ein wesentlicher Bestandteil umfangreicherer politischer Programme und Kontexte zu verstehen ist. In Kapitel 3 wurde schon auf die Bedeutung des politischen und administrativen Systems hingewiesen und aufgezeigt, wie soziale Sicherung zur Formung größerer Institutionen beitragen kann. Chinas soziales Sicherungssystem, einschließlich seiner Gesundheitsversorgung, ist ein eindrucksvolles aber komplexes Beispiel für den staatlich gelenkten Ausbau armutsorientierter Politik. Die Wirtschaftsreformen nach 1978 führten zu enormen demographischen Veränderungen und zu Reformen der Staatsunternehmen, die vorher einen Großteil des chinesischen Sozialstaats ausmachten und sie führten zu einer expliziten Hinnahme wachsender Ungleichheiten. Die Kosten für diese Öffnung zeichneten sich in den späten 1980er Jahren ab, als die kommunistische Partei erkennen musste, dass ihre Legitimität von der Schaffung eines angemessenen sozialen Schutzes derjenigen abhing, die von den Wirtschaftsreformen weniger profitiert hatten. 2005 wurde dies unter der Hu-Wen-Regierung unter der Maxime und dem übergeordneten Ziel der „harmonischen Gesellschaft“ umgesetzt, einer Maxime, die u. a. ein umfassendes soziales Sicherungssystem voraussetzt (beschrieben im Weißbuch von 2004). Nach der Krise von 2008 wurde der Zugang zu Sozialdienstleistungen verbessert246 und seitdem ist „integratives Wachstum“ offiziell ein vom Zentralkomitee der KP vertretenes Ziel. Krisen führen oft zum subjektiven Bedarf, die soziale Sicherung auszubauen und zwingen die politisch Verantwortlichen dazu, die Krise - wie dies oft genannt wird - als Chance zu nutzen. Viele Projekte für soziale Sicherung und andere öffentliche Maßnahmen sind in Krisenzeiten entstanden. Zum Vergleich politische Konstellationen, die sich von „normalen Situationen“ unterscheiden: der „New Deal“ in den Vereinigten Staaten von Amerika in den 1930er Jahren, der europäische Wohlfahrtsstaat nach der Krise der 1930er Jahre und nach dem Krieg sowie der Ausbau der neuen sozialen Sicherungssysteme in Südostasien nach der Krise von 1997. Und, wie in Südkorea nach 1997, können Veränderungen in der sozialen Sicherung in Zeiten nach einer Krise direkt mit bedeutenden politischen und institutionellen Veränderungen in Verbindung gebracht werden.247 Rechte-basierte Programme, wie zum Beispiel das NREGA bzw. die Renten und Kinderbeihilfen in Südafrika sind besonders wichtig für den Gesellschaftsvertrag (Kapitel 3). Sozialdienstleistungen stellen Beziehungen mit spezifischen Verpflichtungen (symbolisiert in Form von Bedingungen oder Zuschüssen zur Krankenversicherung) und Erwartungen (die Dauerhaftigkeit des NREGA, die von der politischen Führung in China versprochene „harmonische Gesellschaft“) zwischen dem Staat und seinen Bürgern her. Mit der Zeit kann sich eine spezielle Organisationsform öffentlicher Dienstleistungen tief in der politischen Geschichte und dem politischen Konsens eines Landes entweder verankern (wie dies beispielsweise beim nationalen Gesundheitsdienst des Vereinigten Königreichs der Fall ist) oder auch weiterhin umstritten bleiben (wie dies für die Gesundheitsreform in den USA zutriff t). In jedem Fall geht es bei den Debatten über die Arten und Weisen der Bereitstellung um weit mehr als um rein technische Entscheidungen - die Debatten sind eng verbunden mit den ideologisch-politischen Auseinandersetzungen in den jeweiligen Ländern. Die enge Verflechtung zwischen technischen und politischen Aspekten der sozialen Sicherung hat eine unmittelbare Relevanz für internationale Einrichtungen. Diese Einrichtungen haben für die Finanzierung der hier analysierten erfolgreichen sozialen Sicherungsprogramme nur eine geringe oder gar keine Rolle gespielt. Einerseits, weil Kredite und Geldhilfen in Ländern mit mittlerem Einkommen weniger benötigt werden als in ärmeren Ländern, andererseits aufgrund der Tatsache, dass man Krediten und Geldhilfen für „konsumtive“ Aktivitäten zurückhaltend gegenübersteht, zum Teil aber auch, weil bewusst die Entscheidung getroffen wurde, Geldgeber aus politischen Prozessen auszuschließen. Dennoch ist in vielen Fällen internationale fachliche Unterstützung bei der Planung und - noch wichtiger - bei der Überwachung beteiligt. Da Finanzierungsmodelle sowohl ausschlaggebend für die technische Konzeption als auch für die Ausgestaltung der entsprechenden sozialen Sicherungs-Maßnahmen sind, können Beihilfen zur sozialen Sicherung problematisch sein. Ohne (oder auch mit Schwierigkeiten beim Übergang zur) Entwicklung von Eigenverantwortung in Bezug auf nationale soziale Sicherungssysteme können Beihilfen sehr leicht zu einem politischen und populistischen Mittel werden. 245 246 247 http://www.irishtimes.com/newspaper/weekend/2010/0925/1224279643776.html. De Haan 2010b. Kwon 2009. E U R O P Ä I S C H E R 67 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 4 4.3 MAXIMIERUNG DER VORTEILE, MINIMIERUNG VON NEGATIVANREIZEN Erfolgreiche Programme haben deutliche Beweise dafür erbracht, wie die jeweiligen Ziele erreicht wurden: indem sie nachweisbar Einfluss auf die Armut genommen haben (wenn auch weniger auf Risiken und Gefährdungen), auf Exklusion und Inklusion sowie auf die Vermeidung oder Reduktion potentieller Negativanreize (Tabelle 4.2). Tabelle 4.2: Auswirkungen der Programme Grundsicherungsprogramme Red de Protección Social (Soziales Sicherungsnetz), Nicaragua Oportunidades, Mexiko Bolsa Familia, Brasilien Zielgruppen Auswirkungen auf Armut und Ungleichheit Arme Haushalte mit Kindern in Grund- und Mittelschule im Alter von 7 -13 Jahren und Kindern im Alter von 0 - 5 (Gesundheit). 18 % Verringerung des Armutsgefälles bei den Begünstigten. Auswirkungen auf Gesundheit und Bildung Kosten in % des BIP Schulanmeldungen stie- 0,2 % des BIP gen um 13 Prozentpunkte; Gesundheitschecks für arme Kinder stiegen um 13 Prozentpunkte; verbessertes Körperwachstum bei Kindern. Ländliche Haushalte Verringerung des Armuts- Mehr Schulanmeldungen 0.36% of GDP in extremer Armut; unter- gefälles in ländlichen und Schulabschlüsse stützt werden 32 % der Gebieten um 19 % im Bildungsabschluss der untersten Quintile und 2 Zeitraum zwischen 1996 Begünstigten: geschätzte % der obersten Quintile. und 2006; 18 % Rückgang Verbesserung 0,7 - 1,0 % nach dem Transfer in Gini pro Jahr. von 1996 - 2006. Arme Familien mit KinVerringerung des 0,35 % des BIP dern bis 15 Jahren und/ Armutsgefälles um 12 % oder schwangere oder zwischen 2001 und 2005; stillende Frauen; Proträgt in Gini ca. ein Drittel Kopf-Einkommen von 17 zur Verringerung bei. USD pro Monat. Staatliche Beschäftigungsprogramme Plan Jefes y Arbeitslose HaushaltsvorJefas, Argenstände mit Angehörigen tinien (Kinder unter 18 Jahren oder Erwerbsunfähige). Armut der Teilnehmer Senkte Argentiniens sank von 80 % auf 72 %; Arbeitslosenrate weitere 10 % der Teilneh- um ca. 2,5 %. mer wären in extreme Armut gefallen, das Programm milderte den Einkommensrückgang im Vergleich zu Nichtteilnehmern. 0,82 % des BIP im Jahr 2004 Verwaltungskos- Quelle ten als Anteil am Gesamtbudgets des Programms 40 % Maluccio und Flores 2005 10% Behrman et al. 2005; Esquivel et al. 2009; Parker et al. 2008, Skoufias et al. 2010 1,41 % der Staatsausgaben im Jahr 2005 Bastagli 2008; Paes de Barros et al. 2009 Galasso und Ravallion 2003; Galasso 2008 Anmerkung: Es wurden unterschiedliche Evaluationsmethoden angewendet, nicht alle davon basieren auf randomisierten Untersuchungen. 4.3.1 ZIELORIENTIERUNG UND UNIVERSALISMUS Die Programme sind unterschiedlich ausgerichtet und ein Vergleich der Effizienz verschiedener Grundsicherungsprogramme legt nahe, dass unterschiedliche Selektionsmechanismen gleich gut funktionieren können. Zunächst einmal hängt der Erfolg von Grundsicherungsprogrammen davon ab, dass und wie diejenigen Menschen identifiziert werden, die arm sind oder aus anderen Gründen als bedürftig anzusehen sind (auch Arbeitslosenprogramme können auf dieses Mittel der Zielorientierung zurückgreifen). Es gibt unzählige Geschichten über die Schwierigkeit, zu ermitteln, wer bedürftig ist und wer nicht, und über die Wahrscheinlichkeit bzw. die Gefahr, die Realität falsch abzubilden. Deshalb mag es überraschen, dass die Erfahrungen mit der Vorgehensweise von Bolsa Familia als erfolgreich angesehen werden, das Einkommen selbst anzugeben sowie geänderte Lebensumstände melden zu müssen (möglicherweise, weil es sich um ein Programm mit hoher sozialer Abdeckung handelt) und dass diese Praxis ungefähr so erfolgreich ist wie die Vorgehensweise des Programa Puente in Chile, bei dem Proxy-meansTests eingesetzt werden und das eine sehr gute Zielausrichtung besitzt.248 Aufgrund der Schwierigkeit hinsichtlich der Ermittlung von Arbeitslosigkeit wandte sich Argentinien zugunsten eines staatlichen Beschäftigungsprogramms von Geldleistungen ab.249 Methoden zur Identifizierung von armen Menschen sind gut entwickelt (wie z. B. bei Programmen zur Lebensmittelverteilung in Indien), aber umstritten und häufig wenig praktikabel.250 Oft werden Proxy-Indikatoren herangezogen, die typischerweise eine Reihe von Merkmalen der Haushalte berücksichtigen, wie z. B. die Anzahl der Räume, sanitäre Bedingungen, Landeigentum oder andere Vermögenswerte. Die Zielausrichtung auf Haushalte kann auch mit geographischen Zielorientierungsmerkmalen kombiniert werden, 248 249 250 Bastagli 2010, S. 14. Plan Jefes y Jefas; siehe Koohi-Kamali 2010. Drèze 2010. 68 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die neue Generation von sozialen Sicherungsprogrammen wie im Falle der Fokussierung auf ärmste Provinzen in Indien oder auf arme Gemeinden in Kolumbien. Schließlich konzentrieren sich einige Programme und konditionierte Geldleistungen (conditional cash transfers, CCTs) auf bestimmte Gruppen mit leicht zu identifizierenden Merkmalen, die nicht manipuliert werden können, wie zum Beispiel Schwangerschaft und Stillzeit. CCTs liefern eine gute Zielgenauigkeit. Deren Verbreitung als komplementär ausgerichtete Maßnahmen in 48 Ländern zeigt, dass diese Programme zu den bedürftigkeitsorientiertesten ihrer Art zählen. Zur Ermittlung ihrer Wirksamkeit ist der Umfang der Geldleistungen entscheidend. In Südafrika ist eine gute Zielgruppenausrichtung der Zuwendungen (inklusive Kindergeld) feststellbar: Haushalte der untersten Quintile sind die Hauptempfänger der Zuwendungen (und das Einkommen aus Zuwendungen ist eine der wichtigsten Einkommensquellen). Auch die soziale Abdeckung ist mit 70 % der Haushalte in den untersten drei Quintilen, die angegeben haben, im Jahr 2008 Einkommen aus Zuwendungen erhalten zu haben, sehr hoch. Die zweite zentrale Methode ist das Self-targeting, diese Methode ist entscheidend für den Erfolg von staatlichen Beschäftigungsprogrammen. Es existieren umfangreiche Erkenntnisse darüber, wie und wann staatliche Beschäftigungsprogramme erfolgreich sind.251 Nur wirklich Bedürftige sind bereit, harte Arbeit für geringe Bezahlung zu leisten, jedoch können nur gesunde Menschen und Haushalte ohne Arbeitseinschränkungen an Beschäftigungsprogrammen teilnehmen (für diese Gruppen müssen andere Programme zur Verfügung gestellt werden, wie z. B. die direkte Nahrungsmittelhilfe in Äthiopien). Es hat sich gezeigt, dass der Erfolg der Zielorientierung von den angebotenen Löhnen abhängt, wie z.B. bei dem Maharashtra-Beschäftigungsgarantie-Programm. Programme sind politisch leichter durchsetzbar, wenn Menschen zur Erlangung von Zuwendungen arbeiten müssen. Im Vergleich zu CCTs besteht bei öffentlichen Beschäftigungsprogrammen eine geringere Möglichkeit zur Akkumulation von Humankapital. Andererseits wurde beobachtet, dass dank der geringeren Saisonwanderung der Erwachsenen auch die Schulabbrecherquote der Kinder aus diesen Haushalten gesenkt werden konnte. Details hinsichtlich der Zielorientierungsmerkmale können von entscheidender Bedeutung für den Programmerfolg sein und sogar Self-targeting-Programme können hohe Inklusions- und Exklusionsfehler aufweisen. Zur Vermeidung der Rationierung von Arbeit und zur Verbesserung der Zielorientierung lautet eine Grundregel, das im Rahmen der Programme angebotene Lohnniveau unter dem Marktniveau zu halten. Allerdings kann dies zu einem Konflikt im Rahmen der politischen und sozialen Gerechtigkeit führen. So war z. B. in Indien die Tendenz zu beobachten, dass sich das Lohnniveau in Richtung des offiziellen Mindestlohns verschob. In vielen Programmen stellen spezielle Bestimmungen sicher, dass Frauen an den Projekten teilnehmen können. Neben der Frage des Erfolgs in Bezug auf die Zielgenauigkeit des Programms stellt sich die grundsätzliche Frage, ob eine Zielorientierung überhaupt erstrebenswert ist und ob nicht universelle Programme grundsätzlich überlegen sind.252 Dies kann eine sehr politische Frage werden, wie die Kindergelddiskussion im Vereinigten Königreich im Jahr 2010 beweist. Oft wird argumentiert, dass universelle Programme einen größeren politischen Rückhalt haben, dass nicht-universelle soziale Versorgung zu Ressentiments führen kann, und dass Dienstleistungen für die Armen dazu neigen, ärmliche Dienstleistungen zu sein.253 Hinzu kommt, wie schon zuvor besprochen, dass Zielorientierung teuer und von Verwaltungsseite schwer umsetzbar sein kann,254 wodurch die Vorteile bei einem Wechsel von einem universellen zu einem zielorientierten Programm gemindert werden. Allerdings sind diese Themenbereiche kontextspezifischer Natur. Wenn auch der Wechsel zu einem zielorientierten Programm politisch generell unpopulär sein mag, so finden viele gezielte Programme - staatliche Beschäftigungsprogramme, aber auch Grundsicherungsprogramme - dennoch breite politische Unterstützung. Denn die Auffassungen darüber, was die Aufgaben des Staates sind, unterscheiden sich von Land zu Land (z. B. Akzeptanz von Ungleichheiten in Bezug auf Einkommen oder Chancen) und ändern sich im Laufe der Zeit. So ist es wahrscheinlich, dass auch die Unterstützung für oder die Ablehnung von zielorientierte(n) Programme(n) sich ebenfalls entsprechend unterscheiden. Ein Teilaspekt der Fragestellung im Zusammenhang mit Zielorientierung und Universalität geht über die einzelnen Programme hinaus. Die südafrikanische Sozialrente ergänzt das Rentensystem, von dem die Besserverdienenden profitieren. Bolsa Familia ist ein zielgruppenspezifisches Programm, eingebettet in ein viel umfassenderes Programm zur Bekämpfung des Hungers im Umfeld einiger anderer sozialer Sicherungssysteme, die rückschrittlich und kaum reformierbar sind. „Zielorientierung im Rahmen universeller Programme“ kann eine deutliche und notwendige Rolle spielen und ebenso kann Zielorientierung eine Rolle auf dem Weg zu universellen Programmen spielen. 4.3.2 INKLUSION/EXKLUSION Zielgruppenorientierte Geldleistungen werfen insbesondere Fragen der Inklusion und der Exklusion auf. Zunächst müssen „Inklusionsfehler“ und „Exklusionsfehler“ minimiert werden. Der Erfolg von Programmen wie Bolsa Familia beruhte teilweise auf dem Vermögen, diese Fehler zu minimieren und so den Eindruck zu erwecken, dass die richtigen Menschen mit relativ geringen Beihilfen erreicht werden,255 Bedingungen, die automatisch nicht hilfsbedürftige Personen und einfache Proxy-Indikatoren wie z. B. die Familienzusammensetzung ausschloss. 251 252 253 254 255 Lipton 1996. Siehe insbesondere Mkandawire 2005 und sein starkes Plädoyer für Universalismus; vgl. auch de Haan 2010a. Adesina 2010. Siehe Bastagli 2010, S. 15 und nachfolgende Diskussion. Die Verwaltungskosten zur Identifizierung der Empfänger betrugen 25 % der Gesamtverwaltungskosten des Programms PRAF in Honduras und betrugen ein Drittel der operativen Kosten von Oportunidades in den ersten Jahren der Umsetzung. Gering im Vergleich zu einigen anderen Beispielen in Afrika; dies ist wichtig, weil das Niveau der Beihilfesätze unterschiedliche Dynamiken der Programme implizieren kann. Die Beihilfen sind bei den südafrikanischen Beispielen höher. E U R O P Ä I S C H E R 69 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 4 Allerdings existieren weiterhin Exklusionsfehler, insbesondere in Grenzbereichen von Anspruchsberechtigung und Bedingungen, die von armen Haushalten nicht erfüllt werden können (oder nur zu Lasten von Konflikten und einer Lastenverteilung innerhalb des Haushalts).256 In manchen Fällen und Programmen kann durch zusätzliche Maßnahmen erreicht werden, dass die vorgesehenen Leistungsempfänger an den Programmen dennoch teilnehmen und so von diesen profitieren. Um Frauen an Beschäftigungsprogrammen teilhaben zu lassen, sind eigens dafür bestimmte Einrichtungen von großer Wichtigkeit: NREGA sieht eine Teilnahmequote für Frauen und schreibt die obligatorische Einführung von Krippen vor (in Abstimmung mit dem zuständigen Kindes- und Gesundheitsdienst). Zur Bekämpfung der Diskriminierung aufgrund von Rassenzugehörigkeit oder Kaste sind zusätzliche Maßnahmen nötig, um sicherzustellen, dass alle profitieren und es ist - wie hinsichtlich der Gleichstellung der Geschlechter - eine entsprechend aufgeschlüsselte Überwachung nötig, um Fortschritte nachverfolgen zu können. Viele erfolgreiche Programme basieren auf dezentralisierten Durchführungsstrukturen. Dies ist besonders wichtig, wenn es darum geht, Inklusionshemmnisse auf lokaler Ebene gezielt zu beseitigen, beispielsweise durch so einfache Methoden wie den Gebrauch heimischer Sprachen bei Informationen über das Programm. Ferner ist es entscheidend, sicherzustellen, dass auch die Komplementarität der Programme mit anderen Regierungsprogrammen gegeben ist. Da aber auch lokale Institutionen in diskriminierender Weise handeln können, birgt diese Methode ebenfalls Risiken. Selbst formelle Regeln bezüglich der Repräsentation benachteiligter Gruppen (beispielsweise der Reservierung von Arbeitsstellen für Frauen) können für sich allein keine Garantie dafür bieten, dass die Interessen der jeweiligen Gruppen angemessen repräsentiert sind. Obgleich Dezentralisierung und lokale Teilnahme zum festen Bestandteil der Implementierung von sozialer Sicherung- und anderen Regierungsprogrammen geworden sind, scheint sich die Literatur weiterhin darüber einig zu sein, dass dies zwar eine notwendige, jedoch keine hinreichende Bedingung darstellt.257 Ein Nachteil der Zielorientierung sind Stigmatisierung und eine Vertiefung der sozialen Spaltung der Gesellschaft: die qualitative Natur einer Vielzahl dieser Belege sollte nicht die Berücksichtigung dieser Beispiele bei der Diskussionen über die Kosten und Vorteile einer Zielgruppenorientierung beeinträchtigen.258 Soziale Spaltungen können, sofern sie mit wirtschaftlichen Ungleichheiten einhergehen, verstärkt werden, wenn sich Zuwendungen an benachteiligte Gruppen richten, weil die „Hilfebedürftigen“ als „minderwertig“ angesehen werden können (oder eine derartige Wahrnehmung verstärkt werden kann). Das Maharashtra-Beschäftigungsgarantie-Programm sah in einem seiner Punkte vor, die Abwanderung in die Städte zu verringern und hat auf diese Weise vielleicht auch der Vorstellung Vorschub geleistet, dass die ländliche Bevölkerung in den Städten unerwünscht sei. Darüber hinaus kann das Stigma, das mit Sozialprogrammen verbunden ist, potentiell Anspruchsberechtigte davon abhalten, soziale Sicherung zu beantragen, so angenehm die materiellen Vorzüge auch sein mögen.259 In diesem Kontext wurde von Adato beim Oportunidades-Programm ein wachsendes Maß an Unbehagen und Missgunst zwischen Leistungsempfängern und Nicht-Leistungsempfängern festgestellt.260 Insbesondere, wenn sich die wirtschaftlichen Ungleichheiten mit Gruppenidentitäten decken, kann das Problem der Stigmatisierung auch in die Politik übergreifen. Beispielsweise hat Indien ein umfangreiches System zur Unterstützung benachteiligter Gruppen implementiert, das separate Programme positiv bestärkender Handlungen beinhaltet und mit entsprechenden Vorschriften in Sozialen Sicherungsprogrammen, z. B. dem Nahrungsverteilungssystem, arbeitet. Dies dürfte zur verstärkten Identifikation mit sozialen Gruppen geführt haben und hat indirekt möglicherweise auch zur Zunahme der sozialen Identität in der Politik der Staaten und auf nationaler Ebene beigetragen.261 Entscheidend für die Beurteilung der sozialen Sicherung sind die Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter, besonders, da viele der älteren sozialen Sicherungssysteme die Tendenz hatten, geschlechtsspezifische Ungleichheiten zu verstärken. Viele Praktiken deuten nun darauf hin, dass Geschlechterfragen mittlerweile eine stärkere Berücksichtigung finden.262 Dies beinhaltet auch zusätzliche Maßnahmen für Frauen in Beschäftigungsprogrammen: Beispielsweise wurde die NREGA-Frauenquote durchgängig erfüllt und im Regelfall erhalten Frauen den gleichen Lohn wie Männer. Zu den geschlechtsspezifischen Maßnahmen anderer Programme gehören höhere Transferleistungen für Mädchen im Schulalter und eine kostenlose Gesundheitsversorgung für schwangere und stillende Frauen. Die meisten CCTs in Lateinamerika sind zwar auf Haushalte ausgerichtet, Frauen jedoch sind tendenziell die primären Leistungsempfängerinnen. Auf der Basis bisheriger Erkenntnisse ist davon auszugehen, dass Frauen ihr Geld so ausgeben, dass dies vorteilhaftere Auswirkungen auf das Wohl von Kindern hat und tatsächlich gibt es Anzeichen dafür, dass Frauen die Programme als Hilfe ansehen, ihrer Verantwortung gegenüber ihren Kindern nachzukommen. Selbst geringe Ressourcen können die Verhandlungsstärke einer Frau im Haushalt entscheidend 256 257 258 259 260 261 262 Alvarez et al. (zitiert in Bastagli 2010, S. 16) fanden heraus, dass es indigenen Bevölkerungsgruppen und extrem armen Menschen in Gemeinschaften, die von einer erheblicher Ungleichheit geprägt sind, tendenziell schwerer fällt, die im Oportunidades-Programm geforderten Bedingungen zu erfüllen. Molyneux 2007 hebt die zusätzlichen Belastungen für Mütter hervor. IFPRI 2010 über NREGA. Bastagli 2010, S. 16-17. Martinelli und Parker 2006, unter Bezugnahme auf Oportunidades. Bastagli 2010, S. 16. De Haan 2010c. Das Risiko der Stigmatisierung ist ein Argument zugunsten von universellen Programmen. Aber dieses Risiko kann von den Durchführungsbedingungen des Programms aufgefangen werden. In Indien sind die neuen Programme unter dem Druck von Bewegungen eingerichtet worden, die auf garantierte Rechte, einschließlich des Rechtes auf Nahrung und des Rechts auf Information drängten (und Neuerungen in der Steuerung wie Sozialaudits sind institutionalisiert). Diese können zur Stärkung des Bürgersinns und zur Förderung der Staat-Bürger-Beziehung und -Verantwortung beitragen, obwohl sich eine derartige Entwicklung eher in jenen Bereichen durchsetzt, in denen die politische Mobilisierung bereits stark ist. Soares und Silva 2010. 70 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die neue Generation von sozialen Sicherungsprogrammen erhöhen, ihr so Selbstvertrauen, Selbstwertgefühl geben und infolgedessen das Gefühl vermitteln, dass sie Einfluss auf eine Veränderung der eigenen Lebenssituation hat. Zusätzlich können Gemeinschaftskontakte und der Besuch öffentlicher Einrichtungen für Weiterbildungsund andere Veranstaltungen für Leistungsempfängerinnen zum sozialen Netz der Frauen, dem sogenannten Sozialkapital, beitragen. Allerdings wurden die Stärkung und die Bemühungen um die Gleichstellung der Frau im Rahmen von Sozialen Sicherungsprogrammen ebenso kritisiert. Eine zentrale Sorge besteht darin, dass die Programme - oder die Art, wie sie durchgesetzt werden - die traditionelle Rolle einer Frau im Haushalt wieder verstärken. Die Frauen werden hauptsächlich als Betreuungspersonen der Kinder betrachtet, die dafür belohnt werden, dass sie gute Mütter sind und somit „im Dienste des Staates“ stehen.263 Einige Forscher betonen zudem, dass das gesamte Konzept der sozialen Sicherungsprogramme in unangemessener Weise auf der Analyse der geschlechtsspezifischen Ungleichheiten und von Diskriminierung aufbaut und den Schwerpunkt insbesondere darauf legt, wie sehr die ungleiche Verteilung in den Haushalten zur Gefährdung von Frauen und Kindern beiträgt. Es kann positiv sein, Frauen in Bezug auf die soziale Sicherung hauptsächlich als die für Betreuungsarbeiten zuständigen Personen zu betrachten, wenn die Betreuungsarbeiten der Frauen anerkannt und unterstützt werden. Die Verbindungen zu anderen und ergänzenden Programmen müssen eng sein; beispielsweise kann es sich um die Verbindung zwischen Gesundheit und Bildung sowie Schulungen zum Thema Rechte und Bewusstseinsbildung handeln. 4.3.3 BEKÄMPFUNG VON ARMUT, UNGLEICHHEIT UND GEFÄHRDUNGEN Die Auswirkungen spezieller Programme hängen zum Großteil von Zielen, Anspruchsvoraussetzungen und anderen Faktoren ab. Obgleich viele neue soziale Sicherungsinstrumente zunehmend dem Wohle der armen Bevölkerung dienen oder bedürftigkeitsorientiert sind als ältere staatliche Transferleistungen,264 sind die Auswirkungen stark vom jeweiligen Kontext abhängig und müssen daher als Teil eines komplexeren Gebildes aus staatlichen Maßnahmen und wirtschaftlichen Entwicklungen gesehen werden. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Reichweite der sozialen Sicherungsprogramme bislang stark variierte. Brasiliens Bolsa Familia erreicht beispielsweise 26 % der Bevölkerung, aber Nicaraguas RPS (bislang) nur 3 %.265 Die Zahlen der SEWA- Krankenversicherung sind zwar beeindruckend (mehr als 100.000 Mitglieder), dennoch ist diese Zahl gering im Vergleich zum tatsächlichen Bedarf. Die chinesische Krankenversicherung erreichte sehr schnell eine Abdeckung von mehr als 90 %, was auf die starken Verwaltungskapazitäten des Landes hindeutet. Zweitens muss betont werden, dass der Wert der Leistungen beträchtlich variiert. Der Wert der CCTs in Lateinamerika variiert zwischen ca. 20 % des Haushaltseinkommens bzw. den Ausgaben der Haushalte im mexikanischen Oportunidades-Programm und 10 % bei der Bolsa Familia bzw. sogar 4 % beim PRAF-Projekt in Honduras.266 Bei den südafrikanischen Programmen liegen die Transferleistungen um einiges höher: der Wert der Sozialrente beträgt 175 % des Median-Einkommens und der des Kindergeldes 40 %.267 Das tägliche Einkommen beim indischen Programm NREGA ist relativ hoch, allerdings hängt das Gesamteinkommen von der Anzahl der Tage ab, an denen gearbeitet wurde (die trotz der Garantie von 100 Tagen bezahlter Arbeit stark variieren). Die Leistungen der Krankenversicherung werden in der Regel sehr ausführlich beschrieben und die Kostenübernahme wird im Normalfall begrenzt. Selbstverständlich hat der Umfang der Transferleistungen einen bestimmenden Einfluss auf Umverteilung, Armut und Ungleichheit.268 Die Auswirkungen auf das Armutsgefälle sind deutlicher als auf die Anzahl der in Armut lebenden Menschen, wobei zum Teil argumentiert wird, dass Letzteres ein wichtigeres (wenn auch politisch nicht sehr populäres) Maß ist. Die Auswirkungen, die hinsichtlich der Armutsreduktion bei Bolsa Familia gemessen wurden, betrugen 12 %; bei den Begünstigten des nicaraguanischen RPS-Programms waren es 18 % und beim Oportunidades-Programm im ländlichen Mexiko 19%. Allgemein wird Bolsa Familia zugutegehalten, dass das Programm im letzten Jahrzehnt die Ungleichheit in Brasilien um ein Drittel verringern konnte, während die Ungleichheit im ländlichen Mexiko durch das Oportunidades-Programm nach den Transferleistungen laut Gini-Koeffizient um fast ein Fünftel sanken.269 Transfersysteme in Lateinamerika hatten einen positiven Einfluss auf die Nutzung von Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen - allerdings mehr hinsichtlich ihrer Nutzung als ihres Ergebnisse, beispielsweise gemessen in Form des Abschneidens bei Leistungsüberprüfungen.270 Dank des mexikanischen Oportunidades- und des nicaraguanischen RPS-Programms konnten insbesondere bei ärmeren Kindern sowohl die Anzahl der Schulanmeldungen, die Anwesenheit im Unterricht als auch die Schulabschlussquote verbessert werden. Betrachtet man die Entwicklung im Gesundheitswesen, kann man eine häufigere Nutzung der Vorsorgeuntersuchungen für Kinder sowie der Untersuchungen während der Schwangerschaft, nach der Geburt und im frühen Kindesalter feststellen. Das RPS-Programm in Nicaragua trug zu einem beachtlichen Anstieg der Gesundheitsuntersuchungen und der Gewichtsmessungen armer Kinder bei (13 Prozentpunkte). Das PRAF263 264 265 266 267 268 269 270 Molyneux 2007. Skoufias et al. 2010. Bastagli 2010, S. 8. Bastagli 2010, S. 7; Jedes Programm hat andere Regeln und Verfahren zur Anpassung der Leistungen. Woolard et al. 2010: Tabelle 7. Coady et al. und Lindert et al., beide zitiert in Bastagli 2010; Skoufias et al. 2010 (sie betonen ferner, dass die Programme im Allgemeinen nicht nach dem Umfang der Transferleistungen differenzieren, um das Einkommen weiter umzuverteilen.) Bastagli 2010, S. 12. Bastagli 2010, S. 13. E U R O P Ä I S C H E R 71 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 4 Programm in Honduras führte zu einer Steigerung der Vorsorgeuntersuchungen um 20 Prozentpunkte und das kolumbianische Projekt Familias en Acción zu einer Verbesserung um 17 - 40 Prozentpunkte. Es gibt einige Hinweise darauf, dass die Ernährung und Gesundheit von Kindern durch die Familias en Acción-Oportunidades- und RPS-Programme verbessert werden konnten. Andere Programme zeigten jedoch keine derartigen Effekte. Öffentliche Beschäftigungsprogramme haben zumeist eine ausgleichende Wirkung auf Fluktuationen am Arbeitsmarkt und auf das Einkommen. Sie werden dann angeboten, wenn die Arbeit knapp ist, und in der Regel fällt es den Regierungen nicht schwer, eine Reihe geeigneter Projekten zur Verfügung zu stellen, wenn es zu Dürren oder Überflutungen kommt. Sie waren bislang in vielen Zusammenhängen erfolgreich, nicht selten als Teil einer größeren Hilfsaktion. Der direkte Nutzen der Beschäftigungsprogramme reicht durch die Schaffung von Infrastruktur, insbesondere in armen Gebieten mit Schwerpunkt auf den Bedürfnissen von Randgruppen der betreffenden Gemeinschaften, weit hinaus. Einige öffentliche Beschäftigungsprogramme erwiesen sich als wirksam, weil sie dazu beitrugen, den Besitz armer Menschen vor Einkommensschocks und Vermögensverzehr zu schützen, aber was die Schaffung von Werten angeht, zeichnet sich in der Praxis ein sehr viel unschärferes Bild ab.271 Jüngste Diskussionen über Indiens NREGA konzentrieren sich vornehmlich auf die Auswirkungen auf Beschäftigung und Einkommen, aber lassen der Schaffung von Werten viel weniger Aufmerksamkeit zukommen. Hier muss nicht notwendigerweise ein Kompromiss geschlossen werden, aber es unterstreicht sehr wohl die Notwendigkeit, einzelne Ziele gegeneinander abzuwägen sowie die Bedeutung der Zusammenarbeit der für die Umsetzung verantwortlichen Einrichtungen und der zuständigen Ministerien sowie der für die Infrastruktur und die ländliche Entwicklung zuständigen technischen Einrichtungen. 4.3.4 NEGATIVANREIZE MINIMIEREN Die politisch vermutlich bedeutendste Frage ist die, ob soziale Sicherung, insbesondere in Form einer Grundsicherung, Fehlanreize zur Folge hat. In Ostasien beispielsweise bestehen starke Tendenzen, die Fehler der europäischen Sozialstaaten zu vermeiden. Führen Grundsicherungssysteme dazu, dass die Leistungsempfänger oder ihre Familienangehörigen weniger hart dafür arbeiten, einen gewissen Lebensstandard zu erreichen und Teil der Erwerbstätigen eines Landes zu werden? Negativanreize würden ferner bedeuten, dass die Messung der Auswirkungen von Armut die Auswirkungen der Maßnahmen überbewerten würde. Selbst umfangreiche Untersuchungen können diese Frage nicht eindeutig beantworten, aber vieles deutet darauf hin, dass durch eine entsprechende Konzeption der Programme Negativanreize vermieden werden können. In Studien über den europäischen Sozialstaat wird deutlich, welche Arten von Negativanreizen am häufigsten vorkommen und welche politische Reformen eingesetzt wurden, um diesen Negativanreizen entgegenzuwirken. In einer langjährigen Studie über die Sozialstaaten der OECD-Länder kam Lindert zu dem Schluss, dass für den Sozialstaat keine Nettokosten errechnet werden können (‚kostenloses Mittagessen‘) und dass umfangreichere soziale Sicherungsmaßnahmen auf Makroebene nicht zu einem geringeren wirtschaftlichen Wachstum führen.272 Entscheidend für diese Analyse sind die Bedingungen, unter welchen dieses Mittagessen tatsächlich kostenlos wäre, wodurch der Einfluss und die Existenz konkurrierender Interessen, die die Ausweitung von sozialen Sicherungsmaßnahmen kontrollieren, erheblich verstärkt werden. Dies bedeutet nicht, dass keine derartigen Kosten anfielen und die Geschichte der europäischen Sozialstaaten zeigt, wie man mit entsprechenden „Fehlern“ in der Vergangenheit umgegangen ist. Eine erste Frage in diesem Kontext ist, ob Einkommensbeihilfen zu einer unerwünschten Reduzierung der Erwerbsbeteiligung führen. Bedürftigkeitsgeprüfte Programme können die Abhängigkeit fördern, wobei die Negativanreize - insbesondere durch implizite Steuern auf Einkommen - stark ausgeprägt sein können (wie dies beispielsweise bei der US-amerikanischen Beihilfe für Familien mit unterhaltsberechtigten Kindern (Aid to Families with Dependent Children, AFDC) der Fall ist). Eine Zielgruppenbestimmung, die die Leistungsempfänger sehr genau identifiziert und zur Bestimmung der Bedürftigen feste Maßstäbe setzt, läuft Gefahr, Individuen Anreize zu geben, Einkommen beizubehalten, die gering genug sind, um weiterhin als Bedürftige eingestuft zu werden. Allerdings gibt es auch viele ermutigende Beispiele: Die Teilnahme an Grundsicherungsprogrammen in Mexiko und Brasilien führte nicht zu einer Minderung der Arbeitsbereitschaft.273 Negativanreize in Bezug auf das Angebot an erwachsenen Arbeitskräften konnten nur bei Programmen festgestellt werden, die sehr großzügige Transferleistungen zur Verfügung stellten, so z.B. beim nicaraguanischen RPS-Programm.274 Bislang sind die Gründe für das Nichtauftreten dieser Effekte noch nicht vollständig geklärt, dennoch wurden verschiedene Erklärungsversuche unternommen.275 Erstens wird angeführt, dass Empfänger von Geldleistungen in der Regel so arm sind, dass sie es sich nicht leisten können, weniger zu arbeiten. Zweitens könnten auch die Hintergrundbedingungen eine Rolle spielen: So kam es beispielsweise in manchen Haushalten vor, dass die Einkommensverluste, die dadurch zustande kamen, dass die Kinder nicht mehr 271 272 273 274 275 Koohi-Kamali 2010. Lindert 2009. Skoufias und Di Maro für Mexiko und Foguel und de Barros für Brasilien in Bastgali 2010, S. 14; Fiszbein und Schady 2009, S. 117-18. Fiszbein und Schady 2009; Bastagli 2010, S. 15. Fiszbein und Schady 2009. 72 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die neue Generation von sozialen Sicherungsprogrammen arbeiteten und Familien Bildungsausgaben für ihre Kinder zu bestreiten hatten, die betreffenden Transferleistungen aufzehrten. Ein Beispiel hierfür liefert das kambodschanische Projekt „Cambodia Education Sector Support (CESSP) und der „Bono de Desarrollo Humano“ in Ecuador. Drittens ist es unwahrscheinlich, dass Haushalte ihre Bemühungen um Arbeit aufgrund von Geldleistungen verstärken, von denen sie annehmen, dass diese eher temporärer als permanenter Natur.276 Dennoch gibt es hinsichtlich der südafrikanischen Altersrente, die relativ großzügig bemessen und als Dauerunterstützung angesehen wird, neue Belege dafür, dass anspruchsberechtigte Haushalte den Arbeitseinsatz gegenwärtig arbeitender Erwachsenen nicht durch Arbeitskräfte im Haupterwerbsalter ersetzten. In der Tat wurde die Altersrente unwesentlich erhöht, möglicherweise, weil die Renten die finanziellen und kinderbetreuungsrelevanten Probleme lindern.277 Besorgnis bereitet häufig die Tatsache, dass soziale Sicherungsmaßnahmen negativen Einfluss auf traditionelle Sozialnetzwerke und Betreuungseinrichtungen ausüben könnten, jedoch liefert die Literatur zu derartigen Verdrängungseffekten ebenfalls kein einheitliches Bild. Hansen und Jimanez278 zeigten auf den Philippinen, dass 30 - 80 % der Privattransfers bei Haushalten mit geringem Einkommen vermutlich fehlplatziert sind; zum Teil, weil das Verhalten leistungsberechtigter Haushalte in dem Moment, in dem Einkommensverbesserungen zu verzeichnen sind, von einem uneigennützigen zu einem eher kommerziell orientieren Verhalten wechselt. Gibson und seine Kollegen hingegen untersuchten die Fehlplatzierung von Privattransfers, konnten aber in China, Indonesien, Papua-Neuguinea oder Vietnam keine derartigen Auswirkungen feststellen.279 Es gibt Belege für die gelegentliche Beobachtung, dass Transferleistungen den Familienzusammenhalt verbessern können, so z. B. wenn sich der Status von Frauen (auch fortgeschrittenen Alters) durch den Erhalt von Zuwendungen verbessert. In einem Bericht der Weltbank280 werden verschiedene Hinweise diskutiert, die darauf hindeuten, dass Geldleistungen zur Verdrängung von Überweisungen beitragen; eine Tatsache, die in vielen armen Ländern Anlass zu großer Besorgnis gibt: Dies könnte der Fall sein, wenn die Versender von Überweisungen oder anderen Privattransfers ein fixes Einkommensniveau für die jeweiligen anspruchsberechtigten Haushalte anvisieren oder versuchen, Grenznutzen unter Gebern und Empfängern auszugleichen. Zwei empirische Oportunidades-Studien zeigen unterschiedliche Ergebnisse: Albarran und Attansio weisen auf Verdrängungseffekte hin, Teruel und Davis hingegen unterstreichen, dass im Zusammenhang mit Geld- oder Sachleistungen keinerlei Negativeffekte zu verzeichnen sind. Die Studie von Nielsen und Olinto über die honduranischen und nicaraguanischen Geldleistungsprogramme zeigt, dass weder die Häufigkeit noch die Höhe der Überweisungen durch die Programme beeinflusst wurden, jedoch eine geringe Auswirkung auf private Nahrungsmitteltransfers spürbar war.281 Zusammenfassend ist also Folgendes festzustellen: selbst wenn öffentliche Maßnahmen langfristig einen modifizierenden Einfluss auf soziale Beziehungen und sogar auf demographische Strukturen haben können, erscheint die Besorgnis bezüglich möglicher Verdrängungseffekte größtenteils unbegründet, und es lassen sich viele Belege dafür anführen, dass sich sozialpolitische Maßnahmen und sozialer Schutz ergänzen können. Die Sorge in Bezug auf Abhängigkeiten ist groß, aber es gibt auch zahlreiche Hinweise, die beschreiben, wie Negativanreize minimiert und positive Auswirkungen verstärkt werden können. 4.4 LERNERFAHRUNGEN: WAS, WIE, FÜR WEN? Die Erfolge in Brasilien mit Bolsa Familia als Leuchtturm zeigen, dass soziale Sicherungsprogramme Armut und Ungleichheit reduzieren können und dass dies in Einklang mit einer wachstumsorientierten Wirtschaftspolitik und der Gewinnung von politischer Unterstützung geschehen kann. Das südafrikanische Beispiel zeigt, dass es politisch, wirtschaftlich und verwaltungstechnisch möglich ist, in subsaharischen Ländern mit mittlerem Einkommensniveau ein expansives Sozialhilfeprogramm mit einer Vielzahl von Komponenten umzusetzen. Jedes Programm und das System als Ganzes kann dazu beitragen, Armut zu bekämpfen, eine stabile Einkommensquelle zu bieten und nicht nur den direkten Leistungsempfängern selbst zu helfen, sondern auch anderen Beteiligten, insbesondere Kindern, ohne dabei jedoch zu viele Negativanreize zu setzen. Die Motivation, von diesen Erfahrungen zu lernen, ist groß. Brasilien lag viel daran, die Lernerfahrungen aus seinen begehrten Programmen vorzustellen, unter anderem aus dem „Brazil-Africa Cooperation Programme on Social Development“ (Brasilianisch-afrikanisches Kooperationsprogramm für soziale Entwicklung). Nach einem Besuch bei Oportunidades in Mexiko hat der New Yorker Bürgermeister 276 277 278 279 280 281 Der Wert des nicaraguanischen RPS-Programms nahm im Laufe von drei Jahren ab. Beim chilenischen Puente-Programm nahm der Wert des „Bono de protecciòn“, den die anspruchsberechtigten Familien erhalten, im Verlaufe zweier Jahre alle sechs Monate ab. Untersuchungen, die in einem frühen Stadium angestellt wurden, wiesen darauf hin, dass dies erhebliche negative Auswirkungen auf das Arbeitskräfteangebot unter den Erwachsenen hatte (Bertrand et al. 2003 in Fiszbein and Schady 2009); neuere Erkenntnisse (Ardington et al. 2008 in Fiszbein und Schady 2009) lassen allerdings Zweifel an dieser Behauptung aufkommen. In Gibson et al. 2006. Ebd. Fiszbein und Schady 2009. Sämtliche Evidenz zitiert aus Fiszbein und Schady 2009. E U R O P Ä I S C H E R 73 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 4 Michael Bloomberg eine privat finanzierte CCT-Pilotkampagne in einem von New Yorks benachteiligten Vierteln ins Leben gerufen.282 Und im Jahr 2008 schlug die britische Regierung eine ähnliche Initiative vor.283 Im Vorgriff auf Kapitel 5, in dem es um das subsaharische Afrika geht, lässt sich die Frage stellen, welche Lernerfahrungen sich daraus für die Umsetzung von sozialen Sicherungsprogrammen in Niedriglohnländern ergeben? Zunächst einmal, dass es Möglichkeiten gibt, auch im Umfeld größter Armut soziale Sicherung umzusetzen. Es gibt immer mehr Belege dafür, dass Geldleistungen an einen relativ großen Teil der Bevölkerung ausgezahlt werden können und dass Beschäftigungsprogramme eine gute Antwort für spezifische Gefährdungen bieten können. Auch gibt es inzwischen viel Erfahrung auf dem Gebiet der Zielgruppenbestimmung und viele Daten zu Vor- und Nachteilen derselben, auf die die Länder bei der Planung ihrer Programme zurückgreifen können. Zwar gibt es keine Wundermittel, aber es gibt deutliche Belege dafür, was funktioniert, was nicht und unter welchen Voraussetzungen. Die Auswahl der Instrumente für die soziale Sicherung hängt von zahlreichen Bedingungen ab, die die Notwendigkeit - insbesondere für Hilfsorganisationen - unterstreichen, die soziale Sicherung als wesentlichen Bestandteil eines erweiterten politischen Rahmens zu betrachten und zu beobachten, welche Entwicklungen sich daraus ergeben. Erfolgreiche Programme zielen darauf ab, die Kosten im abgesteckten Rahmen der staatlichen Ressourcen zu halten und unternehmen Bemühungen, diese Ressourcen zu optimieren. Erfolgreiche Programme basieren auf unterschiedlichen Ebenen und je nach Programm auf staatlichen Strukturen und entsprechenden Durchführungskapazitäten oder tragen zur Entwicklung derselben bei. Oftmals werden zu diesem Zweck andere Programme genutzt oder integriert. Ferner zeigen erfolgreiche Programme die Wichtigkeit auf, sich branchen- und einrichtungsübergreifend zu ergänzen und abzustimmen. Und schließlich haben die meisten erfolgreichen Programme eine starke politische Führung. Allerdings steckt der Teufel im Detail. Es kommt sehr auf die individuellen Hintergründe der Erfolgsgeschichten an; die ‚Bedingungen‘, unter denen die Programme erfolgreich wurden, sind genauso entscheidend wie die positiven Effekte. Die Komplexität des südafrikanischen Programms legt zum Beispiel nahe, dass es nur unter großen Schwierigkeiten andernorts umsetzbar wäre. Finanzielle und institutionelle Beschränkungen könnten die Aussichten auf Übertragbarkeit der positiven lateinamerikanischen Erfahrungen auf andere Länder begrenzen. Es ist keineswegs klar, ob einkommensschwache afrikanische Länder in der Lage sind, mehr als eine eher einfache und leicht zu verwaltende Förderung umzusetzen. Während die Auswahl eines einzigen Programms die Komplexität reduziert, wirft dies gleichzeitig die Frage nach den Prioritäten auf und minimiert die Chancen auf Synergien zwischen verschiedenen Programmen. Auf jeden Fall muss die Auswahl eines Programms in eine umfangreiche Gesamtkonzeption sozialer und politischer Maßnahmen integriert sein, auf einer mittel- bis langfristigen Vision beruhen und vorrangig auf eine institutionelle Entwicklung setzen.284 Im Gegensatz zu den in Kapitel 6 beschriebenen Pilotversuchen liefen die Entwicklungsprogramme zur sozialen Sicherung in Brasilien, China, Indien und Südafrika auf lokaler Ebene ab. Gebergeführte Pilotprogramme führen selten dazu, dass die Programme später in lokaler Eigenverantwortung durchgeführt werden. Aber Geber wie die Europäische Union können auf innovativere und vertragliche Herangehensweisen zurückgreifen und ihre Erfahrungen mit ihren Entwicklungspartnern teilen und sogar von ihnen lernen (Kasten 4.4). Kasten 4.4: Lernerfahrungen aus den Erfahrungen der Europäischen Union Europäer - mit all ihrer Diversität, Komplexität und Geschichte - haben einen reichen Schatz an Erfahrungen, der mit Partnern, die gerne die Zusammenhänge von politischer, wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung neu ausrichten möchten, geteilt werden können. Lernerfahrungen zu sammeln, oder besser gesagt, das Teilen von Erfahrungen kann viele Gestalten annehmen. • Erstens sind die verschiedenen geschichtlichen Wege, die zur Entwicklung des europäischen Sozialstaats in seinen frühen Anfängen, normalerweise im 19. Jahrhundert, geführt haben, genauso wichtig wie die Erfahrungen der jüngsten Vergangenheit. • Zweitens kann sowohl der Austausch negativer als auch der Austausch positiver Erfahrungen hilfreich sein. Basierend auf den Erfahrungen und Herausforderungen der Europäischen Union (EU) könnten die Länder des subsaharischen Afrika lernen, was sie im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung ihrer Systeme nicht tun sollten. 282 283 284 Das Inter-American Social Protection Network (Interamerikanische Netzwerk für Soziale Sicherung - www.socialprotectionnet.org) ist ein Beispiel für viele Initiativen, die die Nutzung von Wissen und Erfahrungen, die im Rahmen von Programmen und Maßnahmen gewonnen wurden (lesson learning), fördern. Das International Policy Centre for Inclusive Growth (Internationale Politikzentrum für Inklusives Wachstum - www.ipc-undp.org) konzentriert sich darauf, Lernerfahrungen aus sozialen Sicherungsprogrammen zu formulieren und zu konkretisieren. Lloyd-Sherlock und Barrientos 2009. Bastagli 2010, S. 20. 74 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die neue Generation von sozialen Sicherungsprogrammen • Drittens mahnen die europäischen Erfahrungen der Vergangenheit davor, die Ausstattung mit natürlichen Rohstoffen und Ressourcen als alleinige Vorbedingung auf dem Weg zum Sozialstaat zu betrachten. Als die skandinavischen Länder im 19. Jahrhundert mit ihren bescheidenen Sozialversicherungsprogrammen begannen, verfügten sie über eine geringe Einwohnerzahl, vergleichsweise wenig Ressourcen, waren größtenteils Agrargesellschaften und bewegten sich an der Peripherie des expandierenden kapitalistischen Weltsystems. Nach und nach wurden die Programme in Umfang und Reichweite immer wieder erweitert und bilden nun die Grundlage einiger der umfassendsten sozialen Sicherungssysteme weltweit.285 • Viertens ist die Tatsache, Erfahrungen auszutauschen nicht gleichbedeutend mit der Beschränkung auf ein einziges Modell. Tatsächlich zeigt die EU mit ihrer Vielzahl von Ansätzen, die darauf abzielen, ähnliche Ziele zu erreichen, genau das Gegenteil des Glaubens an ein „Patentrezept“ im Bereich der sozialen Sicherung. Das Teilen der europäischen Erfahrungen bedeutet also nicht eine Begrenzung der Möglichkeiten auf dem Weg zu einer sozialen Absicherung, sondern vielmehr eine Erweiterung möglicher Ansätze und Zielvorgaben. Die EU bietet eine Vielzahl praxisnaher und gut untersuchter Experimente unterschiedlicher sozialer Sicherungsmaßnahmen als Antwort auf ähnliche soziale Herausforderungen. Kurz gesagt, Europa ist reich an Entwicklungsverläufen, Mechanismen und Ergebnissen auf dem Gebiet der sozialen Sicherung, die es mit den Entwicklungsländern teilen kann. Das Ziel dabei ist nicht, zu kopieren und zu exportieren, sondern zu teilen und voneinander zu lernen. Tatsächlich haben auch Entwicklungsländer eine Menge beizutragen, und wenn EU-Länder von den Lösungen im Bereich der sozialen Sicherung der südlichen Hemisphäre lernen (u. a. auch vom subsaharischen Afrika), kann dies auch den EU-Ländern bei der Bewältigung neuer Herausforderungen helfen (z.B. bei der wachsenden Flexibilisierung und Informalität des Arbeitsmarktes) und dabei unterstützen, besonders gefährdeten Gruppen von Menschen (wie z. B. Roma und Immigranten ohne Papiere) Schutz zu gewähren. Quelle: Gough 2008. 285 Kuhnle und Hort 2004. E U R O P Ä I S C H E R 75 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 5 KAPITEL FÜNF KAPITEL 4: THE NEW GENERATION OF SOCIAL PROTECTION PROGRAMMES: REASONS FOR SUCCESS AND LESSONS FOR ELSEWHERE MAIN MESSAGE: THE NEW GENERATION OF SOCIAL PROTECTION PROGRAMMES Programmes from around the world show that there are good opportunities for introducing social protection where levels of poverty are high. There are no magic bullets, but there is considerable evidence on what works, what doesn’t and in what circumstances. Successful programmes have distinctive features that make them suitable for their context. In all cases of successful programmes, there is strong political leadership, which mobilises political and elite support. Preconditions for success also include adequate administrative capacity, and links to (and synergies with) other social policies. Moreover, successful social protection programmes have addressed the fiscal sustainability challenge by reaching large segments of the poor at limited cost. An important element of their success has been that programmes have been shown to have clear impacts on the well-being of intended beneficiaries, measured by indicators of poverty, inequality and human development. Rigorous impact assessment has been key to determining strengths and weaknesses, as well as to building political support. But more evidence of the programmes’ impact on risk and vulnerability reduction and on income smoothing over the life cycle is still needed: investigating those longer-term effects is a crucial aspect of a forward-looking policy research agenda. SOZIALE SICHERUNG IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA A new generation of social protection programmes has emerged outside the OECD over the last two decades. This Kapitel describes why and where these programmes have emerged, and what lessons can be drawn for other countries, particularly in Sub-Saharan Africa, the subject of Kapitel 5. 76 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 KAPITEL 5 SOZIALE SICHERUNG IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA Im subsaharischen Afrika macht es der begrenzte Formalisierungsgrad der Wirtschaft unmöglich, umfassende soziale Sicherungsprogramme im Bereich der Beschäftigung auf dem formellen Sektor aufzubauen. Sicherheitsnetze sind nach wie vor als Antwort auf Notfälle wichtig: in manchen Fällen können sie die Ausgangsbasis für dauerhafte soziale Sicherungsprogramme bilden. Zudem gab es im Bereich der speziell ausgerichteten Programme eine beachtliche Ausweitung, wobei allerdings viele dieser Programme noch in der Erprobungsphase sind. Ferner haben vor allem im südlichen Afrika Systeme Konjunktur, die (annähernd) auf Universalität basieren. Mehrere dieser Programme erfüllen (einige) der Voraussetzungen für Erfolg und gehen die Probleme in einer Art und Weise an, die durchaus geeignet erscheint, die kontextspezifischen Herausforderungen zu lösen und die zeigen, was im Rahmen umfassenderer sozialer Sicherungssysteme in Afrika möglich ist. Die analysierten Fälle zeigen, dass es in afrikanischen Ländern südlich der Sahara - auch denen mit geringem Einkommen - sowohl politisch, fiskalisch als auch verwaltungstechnisch möglich ist, soziale Sicherung in einer Breite und Tiefe anzubieten, die früher unerreichbar schien. Während eine sofortige Einführung eines umfassenden sozialen Sicherungspaketes oft nicht durchführbar sein mag, erscheinen beitragsfreie Altersrenten und/oder öffentliche Beschäftigungsprogramme als Ausgangsbasis besonders geeignet. Mit der Zeit könnte dann der Aufbau beitragsfinanzierter Systeme, möglicherweise in Kombination mit einer marktorientierten Mikroversicherung, die Bemühungen um eine erweiterte soziale Sicherung ergänzen. Dieses Kapitel benennt die gegenwärtigen Stärken und Schwächen der sozialen Sicherung im subsaharischen Afrika und identifiziert die Aussichten auf Erweiterung und Übernahme einiger existierender Programme. Es werden die Hauptaspekte der jüngste Aktivitäten im Bereich soziale Sicherung in Afrika besprochen. Ferner werden Methoden erforscht, auf existierenden Sozialversicherungssystemen des formellen Sektors aufzubauen. Darüber hinaus wird über jüngste Anstrengungen berichtet, markt- oder gemeinschaftsbasierte Methoden im Rahmen des Versicherungsausbaus durch Einführung von Mikroversicherungen beispielsweise im Gesundheitsbereich zu nutzen. Abschließend wird der Fokus auf einzelne Programme in ganz Afrika gerichtet, die, zumindest nach immerhin einigen der in Kapitel 3 und 4 dargestellten Kriterien, erfolgreich waren, und es werden Merkmale hervorgehoben, durch die plausible Programmbeispiele entstehen, die erfolgreich auf ganz Afrika ausgeweitet werden könnten. 5.1 EINIGE AKTUELLE MERKMALE DER SOZIALEN SICHERUNG IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA Mittlerweile sind soziale Sicherungsprogramme im subsaharischen Afrika (SSA) häufiger anzutreffen (siehe Kasten 5.1). Einige Programme, beispielsweise Rentenprogramme in Namibia und Südafrika, erweiterten bereits existierende Systeme zugunsten zuvor ausgeschlossener oder marginalisierter Gruppen noch vor Erlangung der Unabhängigkeit. Andere Programme wiederum wurden neu entwickelt, um spezielle Bevölkerungsgruppen gezielt vor drohender Armut und Schutzlosigkeit zu bewahren. Vier potenziell komplementäre Programmmerkmale sind der Ausgangspunkt der Diskussion, wenn es um die Richtung geht, die die soziale Sicherung im subsaharischen Afrika einschlagen sollte: • Erstens ist soziale Sicherung weiterhin nur begrenzt formalisiert und eine mögliche Ausweitung ist durch den Mangel formeller Beschäftigungsverhältnisse für arme Menschen eingeschränkt. • Zweitens sind Sicherheitsnetze nach wie vor zur Gefahrenabwehr wichtig und weit verbreitet. • Drittens gab es eine beachtliche Zunahme spezifisch ausgerichteter Programme für besonders arme und gefährdete Gruppen; viele dieser Programme sind allerdings noch in der Erprobungsphase. • Viertens entwickeln sich in einigen Ländern, insbesondere im südlichen Afrika, zunehmend Systeme, die universell ausgerichtet sind oder weiter gefassten Zielgruppen zugute kommen. E U R O P Ä I S C H E R 77 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 5 Kasten 5.1: Modelle der sozialen Sicherung im subsaharischen Afrika Grundsicherung auf der Basis starker nationaler Interessengruppen Im Jahr 1940 wurden in Südafrika die beitragsfreien Renten auf die schwarze Bevölkerung ausgeweitet. Mit dem Ende der Apartheid wurde dieses Rentensystem 1994 weiter ausgebaut. Die Altersrenten wurden von der Rassenzugehörigkeit losgelöst und erreichten nunmehr 2 Millionen Menschen. Dieses Modell (nicht an Bedingungen gebundene, regelmäßige, kategorisch, bedürftigkeitsgeprüfte Einkommenstransfers) wurden in vielen südlichen Ländern Afrikas (Botswana, Lesotho, Namibia und Swasiland) eingeführt. Jeweils vorangetrieben von einheimischen politischen Interessengruppen werden diese Modelle nicht durch Gebertransfers, sondern auf der Basis nationaler Steuern finanziert. Mkandawire zufolge sind in südafrikanischen Ländern (gemeinsam mit einigen ostafrikanischen Staaten, beispielsweise Kenia) soziale Sicherungssysteme noch durch das Kolonialerbe geprägt und stark vom Formalisierungsgrad dieser Wirtschaften beeinflusst. In Arbeitskraftreserve-Wirtschaften wurde zum Schutz der weißen Bevölkerung ein Wohlfahrtsstaat mit Renten, Bildungszugängen und Gesundheitsdiensten aufgebaut. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit verfügten diese Staaten über verhältnismäßig hoch entwickelte Steuererhebungsmechanismen, und sozialpolitische Maßnahmen wurden als ein Instrument zur Abschaffung kolonialer Ungerechtigkeiten genutzt, häufig durch Einführung von Systemen, die auf alle Bürger gleichermaßen Anwendung fanden. Geberunterstützte Maßnahmen für soziale Sicherung In anderen Teilen Afrikas haben sich - unabhängig von Notfallprogrammen - in den letzten 10 Jahren offizielle Maßnahmen für soziale Sicherungen entwickelt. Die meisten dieser Programme werden von Gebern finanziert, die oftmals einen erheblichen Einfluss auf Konzept und Management dieser Pläne haben. Es gibt zwei Hauptvarianten - reine Einkommenstransferprogramme und Einkommenstransfer- plus Dienstleistungsprogramme. Die reinen Einkommenstransferprogramme sind zielorientiert, nicht konditioniert und werden in regelmäßigen Abständen ausgezahlt. Programme, die andere Unterstützungsformen mit einschließen, sind weniger üblich und konzentrieren sich eher auf Bargeld für Arbeit und weniger auf die Erbringung von Bildungs- oder Gesundheitsdienstleistungen (wie dies in lateinamerikanischen Systemen oft der Fall ist). Malawis Anstrengungen, den Lebensstandards durch öffentliche Beschäftigungsprogramme zu verbessern, und viele Programme in Äthiopien, u. a. das „Produktive Sicherheitsnetzprogramm” (PSNP), experimentieren mit diesem Modell. Diese Programme werden stark durch Hilfen aus dem Ausland unterstützt. Obgleich einige Programme innenpolitisch stark mitgetragen werden (beispielsweise das äthiopische Programm), haben politische Eliten häufig Vorbehalte gegenüber Geldleistungen, sind jedoch bereit, diesen Systemen zuzustimmen, wenn sie von Gebern finanziert werden. Quelle: Nino-Zarazua et al. 2010; Mkandawire 2010. 5.1.1 GERINGE FORMALISIERUNG IN SOZIALER SICHERUNGS UND BESCHÄFTIGUNGSPOLITIK Obwohl die afrikanischen Wirtschaften in den letzten Jahrzehnten, insbesondere im Rahmen eines zunehmenden Anschlusses an die internationale Wirtschaft, zunehmend marktwirtschaftlich ausgerichtet wurden, dominieren noch immer informelle Beschäftigungsund soziale Sicherungssysteme. Familien- und gemeindebasierte gegenseitige Unterstützungs- und Solidaritätssysteme, oft mit vorkolonialen Wurzeln, bleiben für das Gemeinwohl wichtig und sind oft, ob beabsichtigt oder durch Zufall, eng mit Bemühungen der Regierung um Linderung von Armut bzw. Schutzlosigkeit verbunden. In einer Vielzahl von Ländern in der Region (Tabelle 2.1, Kapitel 2) machen die betreffenden Transfers und Überweisungen in diesem Bereich durchschnittlich 14 % des Einkommens aus. Dennoch bieten sie nur begrenzten Schutz. Informelle Mechanismen sind meist am besten geeignet, mit kleineren, spezifischen Schocks umzugehen, die nur bestimmte Menschen der Gemeinschaft betreffen. Oft ist ihr Potential im Falle größerer Schocks, von denen ganze Gemeinschaften betroffen sind, durch aufeinander folgende Schocks oder Negativtrends schnell erschöpft, entweder aufgrund geringerer Kapazitäten oder Unterstützungsbereitschaft gegenüber den besonders Hilfebedürftigen.286 Bestenfalls wird ein Teil der Verluste abgedeckt und die Bedürftigen müssen einen Großteil der entstandenen Kosten selbst tragen. Die Abdeckung und der Umfang des Schutzes begünstigen die Armen nicht, sondern sind in der Regel eher reicheren Familien zugänglich.287 286 287 Platteau 1991; Fafchamps und Lund 2003. Azam und Gubert 2006; Barrett et al. 2001. 78 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung im subsaharischen Afrika Nichtsdestotrotz sollten bei der Bereitstellung von formaler sozialer Sicherung bereits existierende Mechanismen berücksichtigt werden, da die Verdrängung informeller Mechanismen die durch soziale Sicherungsmaßnahmen erzielten Lebensqualitätsverbesserungen negativ beeinflussen und Ressourcen verschwenden könnten, wenn ein Mechanismus lediglich ersetzt wird.288 Wenn hingegen auf existierende Mechanismen aufgebaut wird und Komplementaritäten genutzt werden, können sowohl eine bessere Zielgruppenbestimmung als auch eine Erhöhung der allgemeinen Lebensqualität sein. Soziale Sicherungssysteme in Ländern mit hohem oder mittlerem Einkommen werden normalerweise aus Beschäftigung finanziert, wobei die erforderlichen Reserven sowohl von Arbeitgebern als auch von Arbeitnehmern gebildet werden. Allerdings spielt die formelle Beschäftigung in den meisten subsaharischen Ländern eine nach wie vor untergeordnete Rolle. Sowohl in der Landwirtschaft als auch im informellen Sektor wird der Lebensunterhalt gegenwärtig vornehmlich aus selbstständiger Tätigkeit bestritten. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung in subsaharischen Ländern lebt von der Landwirtschaft. In einigen der ärmsten Länder ist dieser Anteil sogar noch größer: beispielsweise in Äthiopien, wo 80 % der Bevölkerung von der Arbeit in landwirtschaftlichen Kleinbetrieben leben. Aber auch in nicht-landwirtschaftlich orientieren Sektoren macht die informelle Beschäftigung (definiert als das Fehlen eines schriftlichen Vertrags oder von sozialer Sicherung) aktuellen Schätzungen zufolge 70 % der nicht-landwirtschaftlich gebundenen Beschäftigung aus.289 Im Gegensatz zu anderen Regionen in der Welt ist ein Hauptmerkmal der informellen Beschäftigung im subsaharischen Afrika, dass sie sich hauptsächlich aus Selbstständigen (der Anteil Selbstständiger und unbezahlt mitarbeitender Familienangehöriger wird auf mehr als 70 % geschätzt) rekrutiert, während die abhängige Beschäftigung (zum Teil auch auf gelegentlicher Basis), mit Ausnahme von Südafrika und Kenia, nur eine untergeordnete Rolle spielt (Tabelle 5.1). Unter diesen Bedingungen beitragspflichtige Sozialversicherungssysteme auszuweiten, ist eine besondere Herausforderung. Eine beschäftigungsbasierte Sozialversicherung würde darauf hinauslaufen, dass nur ein relativ geringer Teil der Bevölkerung von ihr profitieren würde, während arme Menschen und die ländliche Bevölkerung leer ausgingen: In Ergänzung sind also auch andere Modelle erforderlich. Daher ist das Modell reicherer Länder, in denen der Sozialschutz primär auf sozialen Sicherungssystemen basiert, die durch formelle Beschäftigung finanziert werden, in Afrika nicht praktikabel; jedoch könnte, wie weiter unten angesprochen wird, eine Ausweitung der formellen Sozialversicherungssysteme - möglicherweise in Kombination mit Mikroversicherungen - den Grundstein für eine umfassendere soziale Sicherung legen. Tabelle 5.1: Informelle Beschäftigung in Stellung im Beruf, Ländern und Regionen. 1990er- und 2000er Jahre Regionen/Länder Jahre Subsaharisches Afrika Benin Burkina Faso Tschad Guinea Kenia Mali Mauretanien Mosambik Südafrika Lateinamerika Süd- und Südostasien Anteil der Selbstständigen an informeller Beschäftigung 1990er Jahre - 2000 71,7 95,4 86,9 92,7 95 42 (78,1) 72,8 63,3 (73,2) 25,2 (20,8) 61,2 57,4 Quelle: Charmes 2010. 5.1.2 SICHERHEITSNETZPROGRAMME SPIELEN WEITERHIN EINE WICHTIGE ROLLE BEI DER GEFAHRENABWEHR Das zweite Merkmal der in Afrika schon existierenden sozialen Sicherung bezieht sich auf politische Maßnahmen im Zusammenhang mit vorübergehenden, existenziellen Notsituationen, wie sie in der Regel in Krisenzeiten auftreten. Die zahlreichen Hungersnot- und Notfallprogramme der letzten Jahrzehnte sind hierfür sehr typisch. Diese „Sicherheitsnetz“-Programme beinhalten hauptsächlich Nahrungsmittelhilfen und humanitäre Unterstützung - so werden den Opfern von Bürgerkriegen und Umweltkatastrophen 288 289 Morduch 1999. Charmes 2010. E U R O P Ä I S C H E R 79 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 5 Nahrung, temporäre Unterkünfte, Trinkwasser und medizinische Grundversorgung zur Verfügung gestellt. Derartige Programme sind überlebenswichtig, aber zeitlich befristet und haben für langfristige soziale Sicherungssysteme insgesamt kaum Relevanz. Sie beinhalten keine dauerhaften Verpflichtungen (für die Regierung) oder Rechte (für die Betroffenen). In seltenen Fällen führte der langfristige Bedarf an Unterstützung beispielsweise nach Katastrophen zu systematischeren Herangehensweisen und es wurden Sicherheitsnetz-Programme in umfassendere Pläne für soziale Sicherung umgewandelt, die Aspekte beinhalteten, die weit über eine Katastrophenhilfe hinausgingen. Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür ist das größte staatliche Beschäftigungsprogramm in Afrika im Mittelpunkt des äthiopischen „Produktiven Sicherheitsnetzprogramms“ (PSNP), das infolge der Dürre von 2002 - 2003 ins Leben gerufen wurde. Die Gefahr von Hungersnöten konnte im Großen und Ganzen durch Hilfsoperationen der Regierung und dank der Unterstützung internationaler Geber abgewendet werden. Das PSNP stellt regelmäßig während der ertragsarmen Saison 8 Millionen Menschen Bargeld oder Nahrung für Arbeit zur Verfügung. Obwohl dies kein übliches Verfahren ist, kam es aufgrund der Nahrungs- und Treibstoffkrise von 2007 - 09 zu ähnlichen Möglichkeiten, als viele Länder Sicherheitsnetzprogramme einleiteten oder ausbauten, öffentliche Beschäftigungsprogramme (in Südafrika, Tansania, Nigeria und Äthiopien) eingeschlossen.290 Dennoch ist es noch nicht abzusehen, wie sich diese Programme langfristig konzeptionell und funktional als Teil eines dauerhaften und umfassenderen sozialen Sicherungs-Mechanismus entwickeln werden. 5.1.3 DURCH PILOTPROJEKTE ZU GEZIELTEN SOZIALHILFEPROGRAMMEN Trotz der anhaltenden Dominanz von Sicherheitsnetzprogrammen als Teil der Nothilfe weisen einige Entscheidungsträger auf die Notwendigkeit hin, den Unterstützungsschwerpunkt von der temporären auf die chronische Armut zu lenken, insbesondere, da sich ein beachtlicher Teil der Gefahrenabwehr jedes Jahr an dieselben Empfänger richtet. Konsequenterweise entstand eine Herangehensweise der Armutsbekämpfung, die speziell darauf abzielt, diejenigen zu unterstützen, die dauerhaft außerstande sind, für ihre grundlegende Ernährungssicherheit selbst zu sorgen. Dadurch ist es möglich, den Umfang der Unterstützungsleistungen einzuschätzen, den chronisch arme Familien benötigen und ihnen regelmäßige Transferleistungen zu gewähren. Mit diesem Perspektivenwechsel war auch der Umstieg von Nahrungsmitteltransfers auf Geldleistungen verbunden. Unter anderem war diese Entscheidung auch durch die Erkenntnis motiviert, dass Geldleistungen effizienter zur Verfügung gestellt werden können als Nahrungsmittel, dass sie die Entwicklung lokaler Nahrungsmärkte in höherem Maße begünstigen, der Empfänger die Entscheidungshoheit darüber behält, wie er sein Geld ausgeben will und dass innovative elektronische Technologien genutzt werden können, die eine sichere und kostengünstige Auszahlung gewährleisten. Einige Pilotprojekte, beispielsweise das Kalomo-Projekt in Sambia im Jahr 2004 und das in Malawi von 2005 - 06 durchgeführte „Food and Cash Transfer“ (FACT)-Programm, verfolgen genau diesen Ansatz. Das „Hunger Safety Net Programm“ in Nordkenia ist wie auch das „Livelihoods and Empowerment Against Poverty“-Programm (LEAP) in Ghana ein weiteres Beispiel für diesen Denkansatz, wobei letzteres von der ghanaischen Regierung finanziert wird und Bedingungen an die Zuwendungen knüpft. Obwohl diese Programme die Voraussetzungen verbessern, die Brennpunkte extremer chronischer Armut durch Geldleistungen zu erreichen und deren Not zu lindern, zeigen sie auch die Grenzen von Kosten zur Zielgruppenbestimmung und politischer Einflussnahme auf.291 Bis jetzt sind viele dieser Programme tatsächlich nur Pilotprojekte, die von Gebern finanziert und von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) durchgeführt wurden, und eine systematische Ausweitung dieser Programme erfolgte bislang nicht einmal dann, wenn die jeweiligen Ergebnisse positiv ausfielen. In der Tat zögern die betreffenden Regierungen aus Angst, in Abhängigkeit zu geraten sowie aus Besorgnis über die fiskalische Nachhaltigkeit der notwendigen Mittelzuweisungen, die chronische Armut in dieser Weise anzugehen und eine Ausweitung oder Institutionalisierung dieser auf Armut ausgerichteten Transferleistungen zu beschließen. Nicht zuletzt deutet diese Haltung auch darauf hin, dass ein großer Teil der Bevölkerung, der annähernd so arm ist wie diejenigen, die von den Transferleistungen profitieren, derartigen Systemen keineswegs unterstützend gegenübersteht. 5.1.4 STOSSRICHTUNG UNIVERSELLE UNTERSTÜTZUNG Optimal ausgeweitete öffentlich finanzierte Sozialtransfers für spezifische, genau definierte Bevölkerungsgruppen sind insofern universell, als dass sie sich an alle Bürger richten, die die Anspruchskriterien für die betreffenden Beihilfen erfüllen. In manchen Untersuchungen werden diese Beihilfen als ‚kategorisch‘ bezeichnet, weil sie für eine genau definierte Personengruppe und nicht für die gesamte Bevölkerung vorgesehen sind. Diese Herangehensweise in Bezug auf die soziale Sicherung, deren Wurzeln in einer konventionellen Vorstellung von sozialer Sicherung liegen, bezieht sich auf Schutzlösungen für erhöhte Lebenszyklus-Risiken (Alter, Kindheit und Behinderung). In diesem Zusammenhang hat eine Gruppe südafrikanischer Staaten sowie einige Inselstaaten (Botswana, Lesotho, Mauritius, Namibia, die Seychellen, Südafrika, Swasiland) nicht-beitragspflichtige universelle oder nur schwach ausgerichtete Sozialrenten und, in manchen Fällen, auch Kindergeld und Erwerbsunfähigkeitsrenten als gesetzlich verankerte Rechte eingeführt. 290 291 Weltbank 2010. Ellis 2010. 80 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung im subsaharischen Afrika Verglichen mit der armutsorientierten Herangehensweise überwinden diese Transfers wichtige soziale und politische Grenzen. Ihre (annähernde) Universalität regt weiterreichende Unterstützung in der Bevölkerung an, sowohl unter den Reicheren als auch unter den Armen, vermeidet gesellschaftsspaltende, persönliche Vergleiche, die im Zusammenhang mit gezielten Transfers entstehen und ermöglicht politische Einflussnahme. Aber genau diese Universalität bedeutet auch höhere Kosten, denn hier erhalten auch Personen Transferleistungen, die sie gar nicht benötigen. Eine ungenaue Bestimmung der Zielkategorien kann zu Lücken im sozialen Sicherungssystem führen. 5.2 AUSBAU DES SOZIALVERSICHERUNGSSYSTEMS IM RAHMEN EXISTIERENDER PROGRAMME IM FORMELLEN SEKTOR ODER DURCH MIKROVERSICHERUNGEN Die meisten Länder mit geringem Einkommen im subsaharischen Afrika haben eine lange Tradition beitragsbasierter Sozialversicherungssysteme, die oft in Anlehnung an Systeme aus der Kolonialzeit entwickelt wurden. Ihr Hauptmerkmal ist, dass nur sehr wenige Menschen durch formelle Sozialversicherungssysteme abgesichert sind: nicht mehr als 5 % bis 10 % der Arbeitnehmerschaft - grundsätzlich in Form von Renten für Beamte oder Angestellte großer (formeller) Privatunternehmen.292 Parallel dazu bieten Mikroversicherungsinitiativen marktorientierte prämienbasierte Sozialversicherungslösungen, die auf die Bedürfnisse armer Menschen zugeschnitten sind. Zwar sind die Beschränkungen im Zusammenhang eines bloßen Ausweitens existierender Programme des formellen Sektors beträchtlich, aber der Aufbau beitragsbasierter Systeme, möglicherweise in Kombination mit marktorientierten Mikroversicherungssystemen, kann die bisherigen Bemühungen um einen weiteren Ausbau der Sozialhilfe sinnvoll ergänzen. 5.2.1 AUFBAU AUF SOZIALEN SICHERUNGSSYSTEMEN DES FORMELLEN SEKTORS Die meisten Beitragssysteme gelten für Regierungsbeamte und andere Beschäftige im formellen Sektor, die noch immer einen geringen Anteil der Arbeitnehmerschaft ausmachen (Tabelle 5.1). Dies führt dazu, dass diese Systeme einem geringeren Anteil der Erwerbstätigen im subsaharischen Afrika Absicherung bieten als dies in anderen Regionen dieser Erde der Fall ist. Arme Menschen, informell Beschäftigte und die ländliche Bevölkerung bleiben weitgehend ausgeschlossen. Ausgehend von der sehr begrenzten sozialen Absicherung ausschließlich auf den formellen Sektor wäre eine Möglichkeit, diese Art der sozialen Sicherung auf einen Großteil der Bevölkerung auszuweiten. Dies gestaltet sich allerdings schwierig, weil die meisten afrikanischen Erwerbstätigen entweder (als Landarbeiter oder im informellen Sektor) selbstständig sind oder nur mündliche Arbeitsverträge im informellen Sektor haben. Das Beispiel Namibia veranschaulicht diese Aussagen. Das Sozialversicherungsgesetz von 1994 gab selbstständigen Arbeitern die Möglichkeit, freiwillig dem System der sozialen Sicherung beizutreten. Da informelle Arbeitgeber ihren Angestellten jedoch nicht die gesetzlich vorgeschriebenen Beiträge bieten können, müssen Arbeitnehmer einen doppelten Beitrag entrichten, was zu einer geringen Beitrittsquote führt. Einige Programme versuchen, die Sozialversicherung des formellen Sektors mit einer weiter gefassten sozialen Sicherung zu verflechten. Ein Beispiel ist Ghanas „Social Security and National Insurance Trust“ (Anstalt für soziale Sicherheit und Landesversicherung), die einen „Informal Sector Fund“ (Fonds für den informellen Sektor) eingeführt hat. Vorher schloss das soziale Sicherungssystem 80 % der Arbeitnehmerschaft des Landes aus. Das anfängliche Fondsprogramm beruhte auf freiwilligen Beiträgen und bot informell Beschäftigten durch Altersrenten eine höhere Sicherheit. Unangemessene Anreize und der geringe Bekanntheitsgrad trugen allerdings zu einer niedrigen Inanspruchnahme des Versicherungsangebots bei. Als später im informellen Sektor ein starker Bedarf nach Sparbeträgen zur Altersvorsorge festgestellt werden konnte, startete der Fonds im Juni 2005 ein Pilotprojekt. Als sich dieses Konzept erfolgreich entwickelte, wurde im Februar 2008 der „Informal Sector Fund“ aufgelegt. Der Erfolg des Fonds geht insbesondere auf Bestimmungen zurück, die es den Versicherten erlauben, ihre Ersparnisse zu beleihen sowie Mikrokredite für produktive Zwecke aufzunehmen. In einigen Kontexten könnte es zudem möglich sein, die Sozialversicherungssysteme des formellen Sektors in ein größeres Rechts- und soziales Sicherungssystem zu integrieren, um auf diese Weise Gruppen zu erreichen, die vorher ausgeschlossen waren. Dies wurde für einheimische Arbeiter in Südafrika umgesetzt, wo aufgrund von Änderungen in den Rechtsvorschriften in den Jahren zwischen 2003 und 2008 mehr als 600 000 einheimische Arbeiter im Arbeitslosenfonds registriert wurden. Diese Ausweitung des Versicherungsschutzes (Kasten 5.2) geht auf eine höhere Bekanntheit der weiterentwickelten südafrikanischen Gesetzgebung in der Bevölkerung und auf die Bereitschaft zurück, die Umsetzung und Anwendung neuer Mechanismen zu akzeptieren. 292 In einigen subsaharischen Ländern mit mittlerem Einkommen wie Mauritius und Südafrika variiert der Sozialversicherungsschutz zwischen 40 % and 60 % und ist vergleichbar mit Ländern mittleren Einkommens in Asien, Lateinamerika und Nordafrika. E U R O P Ä I S C H E R 81 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 5 Kasten 5.2: Ausweitung der sozialen Sicherung auf Arbeiter im informellen Sektor: Die internationale Suche nach einer Alternative Von Marius Olivier, Direktor des Internationalen Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik Im Jahr 2006 nahm die IAO auf ihrer Konferenz die Empfehlung 198 über das Arbeitsverhältnis an, die einige Klauseln enthält, die für die Ausweitung des Versicherungsschutzes auf den informellen Sektor relevant sind. Die Empfehlung verpflichtet alle Mitgliederstaaten, Maßnahmen zu beschließen, die: • Verschleierte Beschäftigungsverhältnisse bekämpfen (Klausel 4(b)). • Den Schutz von angestellten Arbeitern in Arbeitsverhältnissen, an denen mehrere Parteien beteiligt sind, sicherstellen (Klausel 4c)). • Den effektiven Schutz von Arbeitern gewährleisten, die von Unsicherheit bezüglich der Existenz ihres Arbeitsverhältnisses betroffen sind (Klausel 5). • Dazu beitragen, die Existenz von Arbeitsverhältnissen festzustellen und eine Unterscheidung zwischen Selbstständigen und Angestellten ermöglichen (Klausel 11). Die Empfehlung kann nur begrenzt angewendet werden, da sie nicht alle Verhältnisse abdeckt, im Rahmen derer Arbeit ausgeübt wird. Beispielsweise wird Arbeit, die im Rahmen einer selbständigen Tätigkeit ausgeübt wird, nicht als Arbeitsverhältnis gewertet. Alternative konzeptionelle und institutionelle Vereinbarungen in Verbindung mit angemessenen Regulierungsmaßnahmen sind deutlich voneinander unterscheidbar. Progressive gesetzlich fixierte Anpassungen in den Rechtsprechungen der verschiedenen Länder erweitern im Arbeitsrecht sowohl in entwickelten Ländern als auch in Entwicklungsländern den Anwendungsbereich zunehmend auf Personen, die in einem abhängigen oder untergeordneten Verhältnis arbeiten. Dennoch ist eine wohldurchdachte Überarbeitung der Sozialgesetzgebung notwendig, um zu gewährleisten, dass diese konzeptionelle Erweiterung auch auf den Bereich der sozialen Sicherung Anwendung findet. Bei der Ausweitung des Sozialversicherungsschutzes auf Beschäftigte im informellen Sektor sollte auch berücksichtigt werden, dass es im Interesse eines sinnvollen Ausbaus der Sicherung unumgänglich sein wird, ergänzende institutionelle Maßnahmen zu ergreifen. Eine bloße Ausweitung der schon existierenden Sozialversicherungsmaßnahmen ohne entsprechende Anpassung an das spezifische informelle marktwirtschaftliche Umfeld hat sich, wie einige Beispiele in Afrika zeigen, als nicht besonders erfolgreich erwiesen. Grundsicherungsmaßnahmen spielen eine entscheidende Rolle, so auch (im Idealfall) als Brücke beim langfristigen Ausbau des Sozialversicherungswesens. Ein interessantes Beispiel hierfür sind die Altersunterstützung in Südafrika, im Gefolge derer die systematische Einführung von aus der Sozialversicherung gezahlten Renten beschlossen wurde. Erfolgreiche informelle und selbstinitiierte (Bottom-up) Maßnahmen sind ebenfalls von Bedeutung, wenn institutionelle Rahmenbedingungen entsprechend groß angelegt und gut organisiert sind. Eine umfangreiche Ausweitung des Versicherungsschutzes auf die ganze oder den größten Teil der informellen Wirtschaft ist gegebenenfalls möglich und sogar nötig - vorausgesetzt, dass die Mittel sorgfältig gewählt und abgestimmt, der Ausbau und die Maßnahmen zum Erreichen dieser Ziele gut durchdacht sind, ein beratungsintensiver und öffentlichkeitswirksamer Ansatz gewählt wurde und die institutionellen und fiskalischen Kapazitäten gegeben sind. Im Gegensatz dazu können branchenbezogene Ansätze mit jeweils maßgeschneiderten Lösungen, Bestimmungen und Verordnungen für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern in der informellen Wirtschaft zu einer Ausweitung des Versicherungsschutzes beitragen. Dies kann oft nur Schritt für Schritt umgesetzt werden. Eine erfolgreiche Ausweitung setzt voraus, dass die betroffenen Gruppen groß genug, vergleichsweise homogen und eindeutig schutzbedürftig sind, wie es bei den einheimischen Arbeitern in Südafrika der Fall war. Selbst in diesem Fall spielen jedoch der politische Wille, politische Grundentscheidungen, öffentliches Bewusstsein und Überzeugungsarbeit in Kombination mit einem auf Konsultationen beruhenden Ansatz und, wenn möglich, ein gewisses Maß an internationaler Unterstützung eine entscheidende Rolle bei der Erweiterung der sozialen Sicherung. Möglicherweise wird es auch notwendig sein, spezifische Lösungen in Bezug auf Beiträge, Anspruchskriterien und Leistungspakete für die informelle Wirtschaft als Ganzes oder für bestimmte Sektoren zu entwickeln. Die Beiträge müssen sich an die begrenzten Möglichkeiten der armen Arbeiter und der nur periodisch beschäftigten Menschen anpassen. Es wird entscheidend sein, die geringen Beiträge armer Arbeiter durch staatliche Fördermittel zu ergänzen, wie dies beispielsweise in der gemeindebasierten Gesundheitsversicherung in Tansania der Fall ist. Zusätzlich könnte es hilfreich sein, flexible Einkommensskalen zu entwickeln, anhand derer die Beiträge berechnet werden. 82 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung im subsaharischen Afrika Im Falle der Sozialleistungen ist es wichtig, maßgeschneiderte Pakete in Erwägung zu ziehen, die quantitativ und qualitativ ein Mindestmaß an Sozialleistungen für informelle Arbeiter bereitstellen (dies könnte individuell für die jeweiligen Branchen bestimmt werden). Dies gilt sowohl für vom Staat initiierte als auch für eigeninitiierte gruppenbasierte Programme. Es könnte auch ratsam sein, Sozialleistungen sequenziell zu erweitern. Auch in diesem Zusammenhang geben verschiedene Versorgungsmodelle für einheimische Arbeiter in Südafrika hilfreiche Anhaltspunkte. Quelle: Olivier 2009. Der Krankenversicherungsschutz ist ein weiterer aktiver Bereich für Initiativen, die auf Programmen für den formellen Sektor aufbauen. Für viele Selbstständige und informelle Arbeiter hat die medizinische Grundversorgung höchste Priorität bei der sozialen Absicherung.293 Die Regierungen aller Länder des subsaharischen Afrika erkennen die Bedeutung einer flächendeckenden Gesundheitsversorgung an, benötigen aber zu diesem Zweck auch nachhaltige Finanzmodelle. Daher setzt die Erreichung eines flächendeckenden Krankenversicherungsschutzes durch soziale Sicherung höchstwahrscheinlich voraus, dass eine geeignete Kombination aus beitragspflichtigen Sozialversicherungsprogrammen, die auch informell Beschäftigte einbeziehen, gefunden wird sowie eine steuerbezogene Grundsicherung für jene, deren Einkommen keine Beiträge zulassen,294 zusätzlich kombiniert mit einer erheblichen Steuer- und Fremdmittel-Finanzierung der Infrastruktur im Gesundheitswesen und eines Großteils ihrer Kosten. Einige Länder haben versucht, eine flächendeckende Krankenversicherung als Pflichtsystem gesetzlich zu verankern.295 In Ruanda sind die Beiträge nicht vom Erwerbsstatus abhängig, wodurch eine nahezu vollständige Abdeckung der Bevölkerung erreicht werden konnte; Ghana wird weiter unten ausführlicher besprochen.296 Gabun verfolgt einen vergleichbaren Ansatz. Auch die Elfenbeinküste griff bis zum Bürgerkrieg auf ein entsprechendes Verfahren zurück. Viele andere Länder arbeiten auf eine allgemeine Abdeckung hin, ohne dabei jedoch alle Kategorien zu versichern. Ein Standardmodell unterscheidet die Kategorien „Pflichtversicherung für den formellen Sektor“, „freiwillige Versicherung für zahlungsfähige Gruppen im informellen Sektor“ und „Kostenbefreiung oder Vermögensfonds für ärmste Bevölkerungsgruppen“. Derartige Systeme existieren in Kenia, Mali, Senegal und Tansania. Einige formelle Gesundheitsprogramme wurden später außer für die anfänglichen Leistungsempfänger auch für andere Bevölkerungsgruppen geöffnet. In Kenia beispielsweise bot der „National Hospital Insurance Fund“ (Staatlicher Krankenhausversicherungsfonds) anfänglich eine Krankenhauspflichtversicherung für Beamte an. Anschließend wurde der Fonds zunächst auf Arbeitnehmer im privaten Wirtschaftssektor ausgeweitet und vor kurzem - unabhängig vom wirtschaftlichen Status - auch allen anderen Bevölkerungsgruppen zugänglich gemacht. Tansania zieht gegenwärtig ähnliche Pläne in Erwägung. Der Erfolg dieser Programme ist unterschiedlich, da es wenig wahrscheinlich ist, dass eine Öffnung dieser Programme für Bevölkerungsgruppen, die nicht dem formellen Sektor angehören, funktioniert, wenn nicht auch aktiv versucht wird, neue Mitglieder zu gewinnen, selbst wenn vermutlich viele vom betreffenden Leistungspaket profitieren würden. Darüber hinaus hängt der Erfolg von Sozialversicherungsinitiativen im Gesundheitssektor stets von der Qualität der jeweiligen Gesundheitsversorgung ab. Selbst bei den weiter gefassten Pflichtprogrammen in Ghana und Ruanda belaufen sich die Beiträge auf weniger als 10 % des Gesundheitsbudgets.297 5.2.2 AUSBAU VON MARKTORIENTIERTEN UND GEMEINDEBASIERTEN SOZIALVERSICHERUNGEN Ein anderes Modell geht von eher marktorientierten und gemeindebasierten Systemen anstatt von im formellen Sektor bereits existierenden Systemen aus. Speziell im Gesundheitswesen wurden derartige Systeme in den letzten Jahrzehnten intensiv untersucht. Inspiriert von den europäischen sozialen Krankenversicherungssystemen (meist aus den späten 1980er Jahren) begannen viele afrikanische Länder damit, gemeindebasierte Gesundheitsversicherungsmodelle (CBHI, Community Based Health Insurance ) zu entwickeln. Gemeindebasierte Gesundheitsversicherungen werden von vielen unterschiedlichen Gemeinschaftsorganisationen, darunter Gesundheitseinrichtungen, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften, Gemeinden, Kommunalverwaltungen und Regierungen sowie Genossenschaften mit dem Ziel angeboten, die finanziellen Risiken für individuelle Kosten im Gesundheitswesen zu teilen und Haushalten mit geringem Einkommen den Zugang zum Gesundheitssystem zu erleichtern.298 Privatpersonen treten freiwillig einer gemeinnützigen Organisation bei und zahlen regelmäßig Beiträge, um sich Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen zu verschaffen oder um ein Anrecht auf Kostenerstattung zu erhalten. Normalerweise wird gemeinsam über die Dienstleistungen und Beiträge entschieden. In den meisten Fällen gibt es keinerlei fiskalischen Schutz oder staatliche Eingriffe bei der Übernahme dieser Risiken (Kasten 5.3). 293 294 295 296 297 298 van Ginneken 2010. Ron 2010. Letourmy 2010. Annycke 2009; Samson 2009. Letourmy 2010. Jütting 2009. E U R O P Ä I S C H E R 83 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 5 Kasten 5.3: Gemeindebasierte Gesundheitsversicherung (CBHI) in Afrika Im subsaharischen Afrika wurde der Großteil der gemeindebasierten Gesundheitsversicherungen ins Leben gerufen, um auf politische Instabilität sowie wirtschaftliche Engpässe und die fehlende formelle soziale Sicherung für gefährdete Bevölkerungsgruppen reagieren zu können. Aufgrund einer starken frankophonen Tradition kommen die „Mutuelles de Santé“, die lokalen Krankenversicherungen in West- und Zentralafrika um einiges häufiger vor als in anderen Teilen des Kontinents. Im Senegal haben CBHIs eine lange Tradition; in der Demokratischen Republik Kongo und Guinea gewannen die „Mutuelles de Sante“ in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre an Bedeutung, insbesondere, weil sich die Regierung vollständig aus der Finanzierung des Gesundheitswesens zurückzog und infolgedessen ein Bedarf an anderen Ressourcen entstand. Alle bestehenden gemeindebasierten Programme in Benin, Ghana, Kenia, Mali und Uganda entstanden in den 1990er Jahren. In Ghana und Kenia entstanden sie aus der Notwendigkeit heraus, die Einnahmen der Krankenhäuser zu stabilisieren, nachdem sich die Belegungsgebühren als nicht ausreichend erwiesen hatten und staatliche Zuschüsse wegfielen. Die meisten afrikanischen CBHIs sind mit durchschnittlich ca. 100 Leistungsberechtigten recht klein. Obwohl es mehrere tausend von ihnen gibt, impliziert bereits ihre geringe Größe eine niedrige Abdeckungsquote der Bevölkerung: nur geschätzte 8,2 % der anvisierten Bevölkerungsgruppe. Obwohl sie oft auf Werten traditioneller Solidarität aufbauen, handelt es sich bei ihnen um Versicherungsgruppen. Ein großer Teil der Prämien wird zur Finanzierung von Ansprüchen aus der Gesundheitsversicherung verwendet: Verwaltungskosten machen etwa 5 - 10 % der Gesamtausgaben der gemeindebasierten Gesundheitsversicherungen aus. Gesellschaften zur gegenseitigen Hilfe haben das Potential, viele der Herausforderungen zu bewältigen, die mit der Versicherung armer Menschen verbundenen sind. Dank ihres einfachen Aufbaus, ihrer Zugänglichkeit und lokalen Verwaltung reduzieren sie eine adverse Selektion, indem sie Menschen entsprechend ihres Risikos gruppieren und als Gruppe versichern. Ebenso stehen sie in einer Tradition relativ demokratischer Verwaltungsmechanismen, weil sie Mitgliedern die Möglichkeit bieten, an Gruppentreffen teilzunehmen, Programmverantwortliche zu wählen und sie bieten darüber hinaus Freiwilligendienste an. Auf diese Art und Weise ermöglichen sie einen verbesserten Zugang zur Gesundheitsversorgung für Arbeiter in ländlichen und informellen Sektoren, verbessern den Gesundheitsstandard in diesen Gemeinden und reduzieren die Gesundheitsrisiken. Gewisse Nachteile könnten allerdings eine Ausweitung der gemeindebasierte Gesundheitsversicherungen verhindern. Viele Belege deuten auf schwache Verwaltungskapazitäten, begrenzte mobilisierbare Ressourcen, hohe Kosten bei der Einrichtung, häufiges Ausschließen extrem armer Menschen und einen für gewöhnlich kleinen Risikopool hin, wodurch diese Versicherungsart teuer oder nicht selten wenig nachhaltig ist. Quelle: Tabor 2005; Jütting 2009 Programme für gemeindebasierte Gesundheitsversicherungen sind Beispiele für Mikroversicherungen, häufig definiert als Programme, bei denen ein Versicherungsprodukt angeboten wird, das auch für Haushalte mit geringem Einkommen erschwinglich ist. CBHI-Programme können von Mikrofinanz-Institutionen, gemeindebasierten oder auf gegenseitiger Hilfe beruhenden Gesellschaften, Banken, privaten kommerziellen Versicherern und Nichtregierungsorganisationen angeboten werden. Sie bieten das Äquivalent eines beitragsfinanzierten sozialen Sicherungssystems, nutzen dabei jedoch marktorientierte oder gemeindebasierte Systeme. Eine kürzlich veröffentlichte Schätzung der „Labour Organization-Micro-insurance Facility“, die auf einer Erfassung von mehr als 500 Programmen basiert, geht davon aus, dass etwa 15 Millionen Menschen im subsaharischen Afrika bzw. 2,6 % der Bevölkerung, die von weniger als 2 USD pro Tag lebt, durch Mikroversicherungen abgesichert sind.299 Etwa 56 % dieser Menschen lebt in Südafrika, wo Bestattungs- und Lebensversicherungen weiterhin sogar an arme Familien verkauft werden. Kreditversicherungen (die Lebensversicherungen nutzen, um Mikro-Finanzkredite abzusichern) machen den Löwenanteil der verbleibenden 6,5 Millionen Mikroversicherungspolicen im Rest des subsaharischen Afrika aus, gefolgt von Lebensversicherungen mit weniger als 2 Millionen Krankenversicherungen (darunter auch CBHI) und einer nur geringen Anzahl von Sach- oder Agrarversicherungen.300 Diese niedrigen Zahlen zeigen die Schwierigkeiten bei der Nutzung von versicherungsbasierten Modellen mit dem Zweck, ärmere Bevölkerungsgruppen zu erreichen. Wie bereits in Kapitel 2 erwähnt, sind einige Probleme zwar gut bekannt, deshalb aber nicht leichter lösbar: Das Versicherungsgeschäft ist eine komplizierte Materie und erfordert eine umfassende Verbraucheraufklärung und Sachverstand seitens des Konsumenten. Es erfordert allerdings auch Vertrauen, da die Kunden ihr Geld zunächst in der Erwartung ausgeben, dass ihnen entsprechende Beträge ausgezahlt werden, wenn der Notfall, gegen den sie sich versichert haben, eintritt. Diese Probleme, die nicht nur bei Mikroversicherungen auftreten, beeinflussen mit hoher Wahrscheinlichkeit alle Bemühungen, Sozialversicherungen auf der Basis freiwilliger Beträge auszuweiten. Da immer mehr Mikrofinanzinstitute ein Interesse an derartigen Produkten zeigen und zunehmend Erfahrungen mit Kreditversicherungen sammeln, ist davon auszugehen, dass zukünftig ein größeres Angebot unterschiedlicher Versicherungsprodukte für arme Menschen entwickelt und angeboten wird. 299 300 Matul et al. 2010. Ebd. 84 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung im subsaharischen Afrika Regierungen und Geber könnten diese Programme vorantreiben. Eine bereits erwähnte Möglichkeit besteht darin, entsprechende Programme rechtsverbindlich vorzuschreiben und sie stark zu subventionieren, um eine universelle Absicherung der Bevölkerung wie in Ghana und Ruanda voranzutreiben. Ohne Unterstützung dieser Art bleibt es nach wie vor wichtig, nach Versicherungsprinzipien aufgebaute freiwillige Systeme auszuweiten. Tatsächlich könnte dies ein wesentlicher Schritt in Richtung auf die Entwicklung nachhaltiger sozialer Schutzsysteme sein. Zunächst einmal könnte die Notwendigkeit regelmäßiger Beiträge die spezielle Behandlung einiger der Ärmsten erforderlich machen, aber um die Nachhaltigkeit des Risikopools nicht zu untergraben, ließe sich dies nicht ohne Regierungs- oder Geber-Unterstützung realisieren. Zweitens könnte Unterstützung zum Zwecke der Erweiterung des Risikopools geleistet werden (einschließlich des Risikoausgleichs für unterschiedliche Programme),301 um auf diese Weise den Zugang zu Rückversicherung durch private Versicherungsunternehmen zu erleichtern und um die Nachhaltigkeit dieser Programme sicherzustellen, die fiskalische oder Entwicklungshilfe-Mittel nutzen. Drittens könnten sich Regierungen oder Geber verpflichten, entsprechende Programme gegen wirtschaftliche Zusammenbrüche infolge kovariater Schocks wie beispielsweise Dürren oder Wirtschaftskrisen zu schützen, indem sie ihr Kapital oder andere Ressourcen entsprechend versichern. 302 Mindestens ebenso wichtig wie eine direkte Unterstützung, Überwachung und Kontrolle sind technische und administrative Kenntnisse.303 5.3 AUF DEM WEG ZUR SOZIALEN SICHERUNG VON AFRIKANISCHEN BEISPIELEN LERNEN In diesem Abschnitt werden fünf Beispiele für soziale Sicherungsprogramme im subsaharischen Afrika untersucht, die nicht ausgewählt wurden, weil sie überall implementiert werden sollten, sondern weil sie einige der Voraussetzungen für Erfolg erfüllen und die realen Probleme auf eine Art angehen, die auf den Kontext zugeschnitten scheinen. Sie verdeutlichen, was machbar ist, wenn es darum geht, in Afrika zu einem noch umfassenderen sozialen Sicherungssystem zu gelangen (Tabelle 5.2). Old Age Pensions (Altersrenten / OAP) 2004 Programm Beschreibung 301 302 303 Productive Safety Net Programme (Produktives Sicherheitsnetzprogramm / PSNP) 2005 Äthiopien Kenia Home-grown School Feeding Programme (Schulspeisungsprogramm mit einheimischen Nahrungsmitteln / HGSF) 2008 Lesotho Land Tabelle 5.2: Lernerfahrungen aus ausgewählten sozialen Sicherungsprogramme im subsaharischen Afrika Voraussetzungen Beschrei- Finanzielle Verwaltung bung Nachhaltigkeit und Institutionen Universelle, beitragsfreie Altersrenten Kosten auf weniger als 2 % des BIP geschätzt. Schulspei- Das Finanzmisung nisterium stellte 2009 etwa 5 Millionen USD bereit. Geld- und Naturalleistungen (abhängig von Teilnahme an öffentlichen Beschäftigungsprogrammen) Regierung deckt nur 8 % des gesamten Budgets ab (1,2 % des BIP), neun Geberorganisationen stellen die restliche Summe bereit. Auswirkungen Politisches Engagement Verbindungen Armut und Synergien Vom Ministerium für Finanzen und Entwicklungsplanung verwaltet, eine Fachabteilung ist ausschließlich für diese Arbeiten verantwortlich. Entwickelten sich vollständig aus der einheimischen politischen Agenda, bis sie durch das Old Age Pension Act (Alterseinkünftegesetz) von 2005 zum verbrieften Anspruch wurden. Teil der Strategie zur Armutsbekämpfung und des Programms Lesotho 2020. Geleitet vom Bildungsministerium in Zusammenarbeit mit dem Welternährungsprogramm. Hoch. Regierung übernahm das Projekt, das zuvor vom Welternährungsprogramm geleitet wurde. Von den Bezirken Hoch verwaltet. In Bezirken mit höheren administrativen Kapazitäten in Form von Geldleistungen, in Bezirken mit „niedrigen Kapazitäten“ und schwachen Märkten in Form von Nahrungsmitteln. Inklusion Exklusion Externe Effekte Keine eindeutige Evidenz in Bezug auf Armut, aber ähnliche Programme in Südafrika hatten erhebliche Auswirkungen auf ältere Menschen und deren Haushalte. Stärkt die Inklusion älterer Menschen in Haushalten und Gemeinden. Erhöht die Ernährungssicherheit und den Gesundheitsschutz in den Haushalten. Geringe Auswirkungen auf Vermögensaufbau. Verbindet Sozialpolitik mit sozialer Sicherung. Positive Auswirkungen auf Qualität der Ernährung, Gesundheit, Lernfähigkeit und -leistung und den Schulbesuch von Kindern. Zielt nur auf die bedürftigsten Bezirke in Trocken- und Halbtrockengebieten ab. Positive Nebeneffekte auf Bildung und Beschäftigung. Teil eines staatlich umgesetzten integrierten Ernährungssicherungsprogramms, darunter Vermögensbildung in Privathaushalten und Investitionen in die Gemeinschaft. Gering, aber im Durchschnitt erhebliche Auswirkungen durch Verbesserung der Ernährungssicherheit (um 11 %), des Viehbestands (um 7 %) und der Fähigkeit der Haushalte, mit Notsituationen umzugehen. Haushalte mit Geldleistungen schnitten hierbei durchschnittlich schlechter ab als Haushalte, die in Form von Nahrungsmitteln oder beidem unterstützt wurden. Nachhaltigere Effekte in Bezug auf Vermögensaufbau bei denen, die beträchtliche und ergänzende Unterstützung erhielten. Ausgeschlossen waren arme Haushalte mit eingeschränkten Beschäftigungschancen, da diese nicht in der Lage waren die Arbeitszeitbedingungen (Tage/ Stunden) zu erfüllen. Gute Effekte in Bezug auf Ernährungssicherheit, nur moderate Ergebnisse in Bezug auf Vermögensaufbau. Tabor 2005, S. 49. Jütting 2009. Tabor 2005, S. 49. E U R O P Ä I S C H E R 85 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Programm „Vision 2020 Umurenge“ (VUP) Ruanda Ghana National Health Insurance Scheme (Nationales Krankenversicherungssystem / NHIS) 2003 Kapitel 5 Sozialversi- Finanziert aus cherung nationalen Steuermitteln (70 - 75 %); aus Beiträgen des formellen Sektors (20 - 25 %) und Prämien aus dem informellen Sektor (5 %). Reguliert vom zentralen NHIRat, der den NHIFonds verwaltet. Operationalisiert in Regionen und Bezirken. Hervorgegangen aus dem „National Health Insurance Act“ (Nationales Krankenversicherungsgesetz) von 2003. Eine der Säulen Geringe Eigenleistungen für Gesundheit. der sozialen Sicherungsstrategie, verbunden mit der Bereitstellung von Geldleistungen durch LEAP. Bindet 50 % der für soziale Sicherung aufgewendeten nationalen Eigenmittel. Baut auf dem partizipativen gemeindebasierten Ansatz von Ubudehe auf. Starkes Engagement zur Verringerung von Armut und Gefährdung durch eine integrierte soziale Sicherungsstrategie. Eine Säule der 2008 - 12 -Strategie des Landes zur Verringerung der Armut. Öffentliche Beschäftigungsprogramme und Geldleistungen Beihilfen werden zur Befriedigung der elementaren Konsumbedürfnisse und zur Förderung des Sparverhaltens eingesetzt. Der Anteil extrem armer Menschen unter den Leistungsempfängern ist von 40,6 % auf 9 % gefallen. GesundheitsWeitgehender Ausschluss von schutz erhöht Produktivität. Menschen des ärmsten Quintils. In der ersten Phase der Umsetzung wurde eine gewisse Anzahl extrem armer Menschen ausgeschlossen. Förderung landwirtschaftsfremder Beschäftigungsmöglichkeiten; Verbesserung der (formellen) Marktwirtschaft. 5.3.1 BEITRAGSGESTÜTZTE SOZIALE SICHERUNG FÜR EINEN VERBESSERTEN GESUNDHEITSSCHUTZ IN GHANA Aufbauend auf Elementen gemeindebasierter Krankenversicherungsprogramme hat Ghana mit dem Nationalen Krankenversicherungssystem (NHIS) ein typisches „soziales Krankenversicherungsmodell“ eingeführt. Schon existierende gemeindebasierte Krankenversicherungsprogramme in 57 der 138 Bezirke nehmen beratend auf das nationale Versicherungssystem Einfluss.304 Das NHIS ist eine Zwischenform einer Krankenversicherung, in die eine Sozialversicherung integriert ist, die sich aus Arbeitnehmerbeiträgen des formellen (und in geringerem Umfang auch des informellen) Sektors und aus staatlichen Zuschüssen für diejenigen finanziert, die keinen Beitrag leisten können. Im Jahr 2005 implementiert, bestehen die Ziele des NHIS darin, allen Bürgern Zugang zu einer qualitativ hochwertigen Gesundheitsversorgung zu gewähren, die die Eigenleistungen minimiert, die Ursachen für Mortalität reduziert und so direkt zum Erreichen der Millenniumsziele 4, 5 und 6 beiträgt. Das NHIS bietet ein Paket an, das etwa 95 % der gemeldeten Gesundheitsprobleme des Landes abdeckt. Ab dem Jahr 2005 (damals waren nur 6,6 % der Bevölkerung krankenversichert) stieg die Anzahl der Versicherten bis Juni 2010 auf 66,4 %. Dies wurde hauptsächlich durch den Eintritt von Arbeitern aus dem informellen Sektor und durch beitragsbefreite Versicherungsteilnehmer ermöglicht (Menschen, die jünger als 18 und älter als 70 sind, machen 29,2 % bzw. 55 % der Versicherten aus). Empirische Untersuchungen melden Zweifel in Bezug auf die Effektivität der Zielgruppenbestimmung an. Tendenziell bezieht das Programm mehr Empfänger aus reicheren denn aus ärmeren Quintilen der Bevölkerung ein.305 Einer der Gründe hierfür sind die hohen Anmeldekosten.306 Tatsächlich ist nur ein kleiner Anteil (2,3 %) der mittellosen Bevölkerung („absolut arm“) in das Programm einbezogen. Da der Anteil der unter der Armutsgrenze lebenden Menschen etwa 28 % ausmacht, ist diese Differenz beträchtlich.307 Im Jahr 2000 gelangte die „New Patriotic Party“ mit dem Versprechen an die Regierung, die Nutzergebühren abzuschaffen und eine nationale Versicherung einzuführen, die innerhalb von 10 Jahren 50 - 60 % der Bevölkerung und im Anschluss daran die gesamte Bevölkerung einbeziehen würde.308 Die Einrichtung einer Taskforce durch das Ministerium, die sich mit der Finanzierung der Gesundheitsversorgung befasste, führte im Jahr 2003 zur Verabschiedung des nationalen Krankenversicherungsgesetzes (National Health Insurance Act) Nr. 650.309 Die Nutzung der bereits existierenden gemeindebasierten Krankenversicherungen als Plattformen führte zu einem von einer Zentralbehörde koordinierten Satelliten-Modell und einem nationalen Regulierungs- und Subventionsfonds (der jedoch nicht regelnd eingreift) zur Organisation eines nationalen Netzwerks gemeindebasierter Krankenversicherungen.310 Das NHIS finanziert sich zu etwa 70 % aus Steuermitteln und zwar in Form einer Krankenversicherungsabgabe, die 2,5 % der Mehrwertsteuer auf Güter und Dienstleistungen ausmacht. Etwa 25 % werden durch 2,5 % der Sozialversicherungsbeiträge von Arbeitnehmern im formellen Sektor und durch Mittel aus dem Fonds finanziert. Der Rest finanziert sich über Versicherungsbeiträge, die auf der Zahlungsfähigkeit versicherter Arbeitnehmer des informellen Sektors basieren, wobei diese Beiträge in den verschiedenen Bezirken unterschiedlich hoch sind.311 Die finanzielle Nachhaltigkeit war von Anfang an ein Problem. In einem „reinen“ Krankenversicherungssystem wächst das Budget mit der Anzahl der Mitglieder - im NHIS jedoch wächst es mit der Zunahme des nationalen Waren- und Dienstleistungskonsums.312 304 305 306 307 308 309 310 311 312 Rajkotia 2007. Mensah et al. 2010; Brugiavini und Pace 2010. Dieses Ergebnis wird von Asante und Aikins 2009 bestätigt, die darüber hinaus feststellen, dass einer der Hauptfaktoren für die begrenzte Akzeptanz des Programms - insbesondere in ländlichen Regionen - darin begründet liegt, dass Informationen über das Programm nicht in ausreichendem Maß verfügbar sind. Witter and Garshong 2009. Ein weiterer Selektionsfehler, der anhand empirischer Auswertunge deutlich wird und eine erhebliche Diskriminierung zwischen gebildeten und ungebildeten Personen aufzeigt, wobei die Zahl der Anmeldungen bei gebildeten Personen höher ist. USAID 2009; Mensah et al. 2010. R4D 2010. Nur Mali (1996) und anschließend Senegal (2003) haben ein Gesetz über Gegenseitigkeitsgesellschaften für den Gesundheitssektor. Aber einer Bestimmung der UEMOA aus dem Jahr 2009 zufolge arbeiten die meisten Französisch sprechenden afrikanischen Länder an einem eigenen Gesetz (Letourmy 2010, S. 11). R4D 2010, S. 3. Das Gesetz 650 aus dem Jahre 2003 bezieht sich explizit auf die Tatsache, dass das NHIS Versicherungssysteme auf Bezirksebene aufbauen soll. Mit dem Ziel der Dezentralisierung der Versicherungsorganisation wurden entsprechende Regional- und Bezirksstellen eingerichtet. Die Beiträge wurden ermittelt, indem die nationale jährliche Nutzergebühr durch die Gesamtbevölkerung dividiert wurde (ein Betrag von ungefähr 4 USD pro Kopf und Jahr). Zusätzlich wurde der Betrag aufgrund des 1:1-Verhältnisses von befreiten zu nicht-befreiten Versicherten verdoppelt, um auf 8 USD zu kommen (Rajkotia 2007). Witter und Garshong 2009. 86 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung im subsaharischen Afrika Durch steigende Eintrittsquoten erhöht sich die Anzahl derjenigen, die Gesundheitsdienstleistungen von ausgebildetem medizinischem Personal in Anspruch nehmen. Die Versicherten machen zudem mehr Gebrauch von der präventiven Gesundheitsversorgung, beispielsweise von regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen oder von Schwangerschaftsvorsorgeuntersuchungen, was die Zahl der Selbstbehandlungen reduziert.313 Die Effizienz der Dienstleistungen hat sich ebenfalls verbessert, wodurch die Anzahl der Krankenhaustage drastisch reduziert werden konnte.314 Dass zudem die Eigenleistungen in einigen Bezirken um mehr als die Hälfte gesenkt werden konnten, ist bisher einer der größten Erfolge des NHIS.315 Lernerfahrungen. Der Fall des NHIS zeigt, wie eine universelle Zugangsgarantie zur Gesundheitsversorgung sehr schnell umgesetzt werden kann, wenn die politische Eigenverantwortung entsprechend hoch ist. Ghanas Regierung sieht soziale Sicherung als eine Investition in staatliche Sozialleistungen an und ihre nationale Strategie scheint sich durch die steigende Nachfrage in der Bevölkerung zu bestätigen. Anders als in Ländern, die versuchten, universelle Gesundheitssysteme aufzubauen (wie beispielsweise Benin und Senegal), machte Ghana von gemeindebasierten Systemen Gebrauch, was zur Ausweitung des Gesundheitssystems auf den informellen Sektor beitrug. 5.3.2 ALLGEMEINE UNTERSTÜTZUNGSLEISTUNGEN FÜR GEFÄHRDETE PERSONENGRUPPEN: SOZIALRENTEN IN LESOTHO Das Altersrenten- (OAP)-Programm in Lesotho - vollständig eigenentwickelt und finanziert - zeigt, dass auch Länder mit geringem Einkommen speziellen Bevölkerungsgruppen316 durch ein harmonisiertes und integriertes Rentensystem regelmäßige Geldleistungen zur Verfügung stellen können. Dieses universelle nicht-beitragspflichtige Programm, das vom „Lesotho Kongress für Demokratie“ im April 2004 bekanntgegeben wurde, startete offiziell sechs Monate später. Im Januar 2005 wurde es formell als Rechtsanspruch im Altersrentengesetz verankert, was Lesotho zu einem der wenigen subsaharischen Länder macht, die universelle, nicht-beitragspflichtige Renten bereitstellen, wobei Lesotho (zusammen mit Nepal) von diesen Ländern das am wenigsten entwickelte Land ist.317 Komplett eigenentwickelt steht dieses Gesetz deutlich mit den Sozialrenten im benachbarten Südafrika in Zusammenhang, nach deren Vorbildern es konzipiert wurde. Im März 2009 gab es 78 064 registrierte Empfänger,318 von denen 60 % Frauen waren.319 Der Altersrentenanspruch ist von Alter und Staatsbürgerschaft abhängig: Alle registrierten Bürger, die älter sind als 70 Jahre und über keine andere Altersversorgung verfügen, haben Anspruch auf eine monatliche Rente, die im Jahr 2004 150 Maloti (25 USD) betrug (zwei Maloti über der nationalen Armutsgrenze). Während der landesweiten Wahlen 2007 wurden die Altersrenten Teil der politischen Auseinandersetzungen, woraufhin der Finanzminister nach der Wiederwahl des „Lesotho Kongresses für Demokratie“ eine Anhebung der Geldleistungen von 33 % bekanntgab (auf 200 Maloti, damals 29 USD pro Monat). Eine weitere Erhöhung (auf 300 Maloti, 42 USD) wurde im April 2009 beschlossen. Sowohl das Alter der Zielgruppe als auch die Höhe der Geldleistungen unterscheiden sich in Lesotho erheblich von denen anderer Länder mit nicht-beitragspflichtigen Renten. In Botswana liegen die Altersrenten mit etwa 220 Pula (etwa 32 USD) für in Botswana wohnhafte Staatsbürger über 65 viel niedriger, während das Rentenalter in Namibia bei 60 Jahren und die ausgezahlte Summe bei 60 USD (500 NAD) liegen. In Südafrika ist der Betrag mit 1080 R (etwa 130 USD) etwas großzügiger für anspruchsberechtige Personen über 60 Jahren. Als die Altersrenten eingeführt wurden, sah sich Lesotho rückläufigen Rücküberweisungen, einer hohen Arbeitslosigkeit und einer gefährlich hohen Zahl an HIV-/AIDS Erkrankungen gegenüber. Daraufhin räumte die Regierung der sozialen Sicherung in der „Lesotho National Vision 2020“ und der „Poverty Reduction Strategy“ (Strategie zur Armutsbekämpfung) Vorrang ein. Die Renten - sowie kostenlose Grundschulbildung, subventionierte medizinische Versorgung und Geldleistungen an die Ärmsten - sind Teil einer „egalitären, redistributiven Philosophie der Regierung“.320 Im Gegensatz zu den angebotsorientierten Prozessen in Südafrika und Namibia, wo Altersrenten eingeführt wurden, um auf bestehende Bedürfnisse und spezifische Interessengruppen zu reagieren oder um politische Positionen der Regierung abzusichern,321 scheinen die beitragsfreien Altersrenten in Lesotho von dem Wunsch nach Gleichbehandlung beseelt zu sein, wobei diese Überzeugungen stark von der Regierung unterstützt werden und von der regionalen Geopolitik motiviert waren. Seit 1993 waren die Altersrenten Teil der Grundsatzerklärung des Lesotho Kongresses für Demokratie (und seiner Vorgänger).322 Es wurde viel Wert auf Eigenständigkeit gelegt: Während der parlamentarischen Debatte betonte der Finanzminister ausdrücklich seine Absicht, die Unabhängigkeit vor externer Finanzierung zu bewahren und legte fest, dass Lesotho „nicht von fremder Hilfe abhängig sein 313 314 315 316 317 318 319 320 321 322 Mensah et al. 2010; Brugiavini und Pace 2010. USAID 2009. Asante und Aikins 2009. Ellis et al. 2009. Ellis et al. 2009; Devereux et al. 2005, S. 23. APRM 2010. Devereux et al. 2005, S. 23. Pelham 2007, S. 18. Siehe Pelham 2007, S. 7. Nyanguru 2007. E U R O P Ä I S C H E R 87 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 5 darf, um Renten zu bezahlen“.323 Die Renten werden nach wie vor ausschließlich aus nationalen Mitteln bezahlt und die Gebergemeinschaft wurde über diese formale Bestimmung erst während des Registrierungsverfahrens im Oktober 2004 informiert. Die Kosten des Programmes, 2008/2009 auf etwa 205 Millionen Maloti geschätzt und 2009/2010 auf etwa 288 Millionen, stellen möglicherweise keine ernsthafte Belastung für die Staatskasse dar, da die Steuereinnahmen nach wie vor hoch sind.324 Dennoch hängt die Nachhaltigkeit von demographischen Trends, der Entwicklung von HIV und AIDS sowie von den Belastungen der jüngsten Krisen auf den Staatshaushalt ab.325 In Lesotho werden die Altersrenten vom Ministerium für Finanzen und Entwicklungsplanung und einer unabhängigen Fachabteilung verwaltet, die die alleinige Verantwortung über Entscheidungen hat. Im Allgemeinen werden die Sozialrenten (wie in Namibia) von den Sozialministerien verwaltet (oft schwächer).326 Viele Studien heben hervor, dass Sozialrenten die Armut älterer Menschen und der Haushalte, in denen diese leben, verringern, wofür es allerdings im Falle Lesothos keine direkten Belege gibt. Eine kleine Studie, für die 215 Personen im Rentenalter nach Einführung der Altersversorgung327 entsprechend befragt wurden, deutet darauf hin, dass die Armut abnahm. Zuverlässigere Erkenntnisse über ähnliche Programme in Südafrika zeigen, dass Sozialsysteme dieser Art die Armut tatsächlich reduzieren, die Ernährung von Kindern, die mit Rentenbeziehern zusammenleben, verbessern und im Allgemeinen nur wenig Negativanreize verursachen.328 Die Älteren, die früher von anderen im Haushalt wohnenden Personen abhängig waren, können nun selbst Mittel bereitstellen329 und beteiligen sich mehr an ihren jeweiligen Haushalten und Gemeinden. Ein Teil der Renten trägt zum Wohlergehen in den Familien bei, denn häufig werden Ausbildungskosten damit bestritten. Ein regelmäßiger Geldfluss gibt den Haushalten ferner die Möglichkeit, ihren Zugang auf Kurzzeitkredite für Güter zu verbessern, die zurückgezahlt werden, sobald die Altersrente ausgezahlt wird. Dem Bericht „African Peer Review Mechanism Lesotho“ zufolge denken viele Menschen, „dass die Altersrente eine wichtige Rolle bei der Verringerung von Armut und Abhängigkeit (der Älteren) von anderen im Haushalt wohnenden Personen spielt“.330 Voraussetzung für einen Ausbau der Leistungen wäre eine Aufstockung der administrativen Kapazitäten (beispielsweise durch mehr Personal). Darüber hinaus sprechen sich die Senioren aufgrund ihrer geringen Lebenserwartung für eine Herabsetzung des gegenwärtigen Renteneintrittsalters aus. Sie sind der Meinung, dass der Leistungsbezug früher erfolgen sollte, wie dies z. B. in Namibia, Südafrika und Swasiland der Fall ist. Dies würde jedoch zu einer erheblichen finanziellen Mehrbelastung des Staatshaushalts führen und damit die Nachhaltigkeit des Programms gefährden. Lernerfahrungen. Altersrenten reduzieren die Armut und erlauben es Haushalten mit Rentenbeziehern, ihre Verwundbarkeit zu reduzieren und ihr Gesundheits- und Humankapital zu verbessern, was in Ländern mit hohen HIV-/AIDS-Raten besonders wichtig ist. Die Tatsache, dass Renten im Wahlkampf zu einem Thema wurden, zeigt, dass Bürger Altersrenten nunmehr als rechtlichen Anspruch und soziale Sicherung als Staatspflicht ansehen. Dadurch wird der Gesellschaftsvertrag neu definiert, da vom Staat erwartet wird, dass er seinen Bürgern zumindest ein Mindestmaß an Schutz bietet. Als Ausgleich dafür könnte die Bereitschaft des Staates, auf die Bedürfnisse der schutzbedürftigsten Bürger einzugehen, seine Legitimität stärken. Tatsächlich hat die Einführung der Altersrenten durch den Lesotho Kongress für Demokratie (sowie das Versprechen einer Rentenerhöhung) während der Wiederwahl im Jahr 2007 eine große Rolle gespielt. Eine Umfrage ergab, dass viele Wähler ihre Wahlentscheidung von der entsprechenden Verpflichtung der Parteien zur Einführung bzw. Erhöhung der Altersrente abhängig gemacht haben.331 5.3.3 ENTWICKLUNG VON SOZIALEN SICHERUNGSSYSTEMEN IN RUANDA Die Einbettung der Programme für soziale Sicherung in einen nationalen Plan spielte in Ruanda eine wichtige Rolle. Hier unternahm und unternimmt die Regierung große Anstrengungen, um soziale, ökonomische und strukturelle Schwächen zu reduzieren und sieht soziale Sicherung als eine Säule ihrer langfristigen Entwicklungsstrategie an. Ihr starkes Engagement führte zu spezifischen schutzrechtlichen Bestimmungen für die Überlebenden des Genozids und für Kinder im Zusammenhang mit zwei Artikeln (14 und 23) der neuen Verfassung, die im Jahr 2003 angenommen wurde. Seine administrativen Merkmale machen Ruanda zusammen mit den dezentralen Verwaltungseinheiten zum Vergleichsmaßstab. Die Anstrengungen der Regierung zur Stärkung der sozialen Sicherung gipfelten 2010 in der nationalen sozialen Sicherungsstrategie (noch nicht verabschiedet). Die Strategie zielt darauf ab, die Ziele der Vision 2020 und die wirtschaftliche Entwicklungs- und 323 324 325 326 327 328 329 330 331 Pelham 2007. Dem African Economic Outlook 2010 zufolge weist Lesotho den höchsten Steuerleistungsindex auf, mit dem gemessen wird, wie erfolgreich ein Land bei der Steuererhebung ist. APRM 2010. Devereux et al. 2010. Bello et al. 2007. Siehe Woolard et al. 2010 und unter Kapitel 4 eine Zusammenfassung über diese Erkenntnisse. Nyanguru 2007. APRM 2010, S. 185. Devereux et al. 2010. 88 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung im subsaharischen Afrika Armutsbekämpfungsstrategie umzusetzen, die für den Zeitraum von 2008 - 2012 entwickelt wurden. Dieser Strategie zufolge führt die Verwirklichung einer angemessenen sozialen Sicherung für alle zu einer Stärkung des Gesellschaftsvertrags zwischen Regierung und Bürgern. Ruanda kann hierbei bereits auf eine ganze Reihe gut entwickelter sozialer Sicherungsprogramme zählen, darunter eine universelle Krankenversicherung (deckt 91 % der Bevölkerung ab), kostenlose Bildung, Sozialtransfers wie ein Rentensystem, das „Vision 2020 Umurenge Programme“ (VUP), die Unterstützung für die Überlebenden des Genozids und das „eine Kuh pro Familie“-Programm. Eine zentrale Rolle spielt hierbei die administrative Dezentralisierung, die vom „Ministerium für lokale Verwaltung, gute Regierungsführung, Entwicklung der Gemeinschaften und des Sozialwesens“ vorangetrieben wird. Die Ubudehe-Methode ermöglicht es den Dorfgemeinschaften, gebietsspezifische Programme und schutzbedürftige Personen oder Haushalte in ihrer Gemeinschaft zu identifizieren.332 Für die nächsten 20 Jahre hat sich Ruandas nationale soziale Sicherung zum Ziel gesetzt, ein System aufzubauen, das ein Mindestniveau an sozialer Grundsicherung (Social Protection Floor), besseren Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen für arme und schutzbedürftige Menschen und eine intensivere Beteiligung des informellen Sektors am Sozialversicherungssystem vorsieht.333 Mittelfristig sollen bestehende Programme verstärkt und eine universelle Altersrente für Menschen über 65 Jahre eingeführt werden. Die Regierung stellte 2009/2010 etwa 4,7 % ihres Staatshaushalts für die soziale Sicherung zur Verfügung, ein Betrag, der Erwartungen zufolge 2010/2011 auf 4,9 % und 2011/2012 auf 5,1 % angehoben wird.334 Das VUP-Programm, das im Rahmen der nationalen Strategie eine zentrale Rolle spielt, besteht aus den folgenden drei Kerninitiativen, die darauf abzielen, soziale Sicherungsprogramme auf schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen umzulenken: öffentliche Beschäftigungsprogramme, den Ubudehe-Kreditplan und direkte Unterstützung. Gegenwärtig vom Ministerium für internationale Entwicklung (DFID) der Weltbank und der Europäischen Union unterstützt wurde das VUP-Programm 2008 als Pilotprojekt mit öffentlicher Beschäftigungskomponente gestartet, gefolgt von Geldleistungen im Jahr 2009. Zuletzt wurde der Kreditplan im Februar 2010 umgesetzt. Im Rahmen einer raschen Ausweitung ist geplant, das VUP-Programm bis 2013335 auf alle Sektoren336 des Landes auszuweiten. Die öffentliche Beschäftigungskomponente für arbeitsfähige Menschen basiert auf dem gemeindebasierten partizipativen Ansatz der Ubudehe und trägt den von der Regierung vorgesehenen dezentralisierten Zielen und Strukturen Rechnung. Die lokalen Gemeinschaften bestimmen die Leistungsempfänger und schlagen Gemeinschaftsprojekte vor. In der ersten Phase wurden 30 Sektoren aufgrund ihrer sozio-ökonomischen Merkmale ausgewählt.337 In jedem Sektor werden die Bezugsberechtigten auf Basis zweier Hauptkriterien ausgewählt. Zunächst einmal muss der betreffende Haushalt eine der beiden folgenden Ubudehe-Kriterien erfüllen (entweder in extremer oder hoher Armut leben); die durch eine nationale partizipative Armutsbewertung ermittelt werden. Zweitens sollte der Landbesitz eines betreffenden Haushaltes insgesamt 0,25 Hektar nicht übersteigen. In der ersten Implementierungsphase wurde die Zielgruppenbestimmung schlecht umgesetzt, wodurch viele sehr arme Menschen ausgeschlossen wurden.338 Für einen Zeitraum von zunächst 12 Monaten können Haushalte vom VUP entweder Anspruch auf direkte Unterstützung erhalten oder die Berechtigung, an einem öffentlichen Beschäftigungsprogramm teilzunehmen. Nach den ersten 12 Monaten wird der Status des Haushalts erneut bewertet. Wenn der betreffende Haushalt die Berechtigungskriterien nicht länger erfüllt, ist das Programm abgeschlossen und es besteht kein weiterer Anspruch auf Unterstützung. Da davon ausgegangen werden muss, dass nach nur einem Jahr Arbeit nicht alle Haushalte der Armut entkommen können, sieht die nationale soziale Sicherungsstrategie von 2010 vor, eine Beschäftigungsgarantie über 100 Tage bezahlte Arbeit einzuführen, wobei das entsprechende Lohnniveau unter dem des Marktes liegt.339 Die Investitionen in soziale Sicherung haben seit Einführung des VUP-Programms zugenommen. Nach Angaben der Regierung sind für das VUP-Programm pro Person 72 USD im Jahr erforderlich.340 Im ersten Jahr des Pilotprojekts kostete das Programm geschätzte 44 Millionen US-Dollar. Öffentliche Beschäftigungsprogramme machen etwa die Hälfte der Gesamtsumme für Gehälter und Ausstattung aus, während der Rest des Geldes für den Kreditplan (30 %) und die Geldleistungen (20 %) verwendet wird. Die Regierung weist darauf hin, dass das Programm durch die Verbesserung der produktiven Kapazitäten auch zur Förderung landwirtschaftsfremder Beschäftigung beiträgt.341 In der Tat sollte das unter der ärmsten Bevölkerung verteilte Geld die Wirtschaft nach und nach monetarisieren und schließlich formalisieren. Eine erste Prüfung des Programms, die im Dezember 2009 vom Ministerium für 332 333 334 335 336 337 338 339 340 341 Ubudehe ist traditioneller Brauch und kulturelles, kollektives Handeln zur Lösung von Gemeinschaftsproblemen. Das Mindestniveau an sozialer Grundsicherung, das auf den bestehenden Programmen aufbaut, beinhaltet eine Altersrente, eine Invalidenrente, Kindergeld und ein Geld-für-Arbeit-Programm. Regierung von Ruanda 2009 in McConnel 2010. Ein Sektor (Umurenge) ist eine administrative Einheit unterhalb der Bezirksebene. Die Bevölkerung von Ruanda ist in 30 Bezirke und 416 Sektoren aufgeteilt. Devereux und Ndejuro 2009. Regierung von Ruanda 2007. Devereux und Ndejuro 2009. Der Tageslohn für öffentliche Beschäftigungsprogramme liegt zwischen 700 und 1.000 RwF (ca. 2 USD) pro Tag. Regierung von Ruanda 2007. Regierung von Ruanda 2007. E U R O P Ä I S C H E R 89 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 5 internationale Entwicklung (DFID) durchgeführt wurde, zeigte, dass ein großer Teil der Leistungen an anspruchsberechtigte Haushalte zur Befriedigung der elementaren Grundbedürfnisse diente.342 Ein von Kimetrica International Limited (im Juli 2010) erstellte rasche Bewertung bescheinigt, dass das VUP-Programm auch das Sparverhalten anregt. Etwa 55 % der Empfangsberechtigten sparten einen Teil der im Rahmen des VUP erhaltenen Sozialleistungen und nutzten sie, um Nahrungsmittel zu kaufen (53,3 %) sowie für produktive Ausgaben, z. B. den Kauf von Vieh (24,5%), für landwirtschaftliche Betriebsmittel (18,3%) oder Bildung (13,1 %). Im selben Bericht wird ausgeführt, dass die Zahl der empfangsberechtigten Haushalte der schutzbedürftigsten Kategorie drastisch von 41 % auf 9 % gefallen ist. Und tatsächlich zeigten auch die ersten offiziellen Ergebnisse der im September 2010 präsentierten Monitoring- und Evaluierungsaktivitäten, dass die extreme Einkommensarmut von 39 % im Jahr 2006 auf 34,5 % im Jahr 2009 gefallen war, was im Wesentlichen dem Programm selbst zuzuschreiben ist.343 Die Armutsreduzierung hatte in Haushalten mit männlichen Familienoberhäuptern mehr Erfolg (- 6 %), während Haushalte mit weiblichen Familienoberhäuptern keine bedeutende Verringerung verzeichnen konnten (- 0,4 %), was wiederum Fragen bezüglich der geschlechtsspezifischen Ausrichtung des Programms aufwirft.344 Lernerfahrungen. Das VUP-Programm ist eines der bemerkenswertesten Beispiele für soziale Sicherung: Gänzlich in der nationalen Entwicklungsstrategie verwurzelt, ist es gleichzeitig Ausdruck des starken Engagements der Zentralregierung. Dies führte zudem dazu, dass Geber ihre Vorgehensweise mit der Regierung abstimmten und entsprechend ausrichteten, wodurch die Rolle der Geber gewahrt wurde, aber eine Fragmentierung des Programms vermieden werden konnte. Bislang hat das Land Vorteile aus seiner stark dezentralisierten Verwaltungsstruktur gezogen und einen innovativen Weg der Zielorientierung (die Ubudehe-Methode) beschritten. Hierdurch konnte die allgemeine Effizienz der Interventionsmaßnahmen erhöht und Überschneidungen vermieden werden, was wiederum zu einer besseren Ressourcennutzung führte. 5.3.4 GEZIELTE UND GROSSFLÄCHIGE UNTERSTÜTZUNG IM LÄNDLICHEN RAUM: DAS PRODUKTIVE SICHERHEITSNETZPROGRAMM PRODUCTIVE SAFETY NET PROGRAMME IN ÄTHIOPIEN Das äthiopische Sicherheitsnetzprogramm (PSNP) unterstützt durch konditionierte Transferleistungen in Form von Geld/Nahrung (Getreide) für öffentliche Arbeit.345 Für bestimmte Personengruppen (erwerbsunfähige bzw. erwerbslose Personen, wie Kinder, ältere Menschen, HIVinfizierten Personen) sieht das Programm auch direkte, nicht konditionierte Transferleistungen vor. Mehr als 80 % der Leistungsempfänger erhält Transferleistungen im Austausch gegen Arbeit, weniger als 20 % erhalten direkte Unterstützung.346 Das PSNP zielt kurzfristig auf die Bekämpfung der Armut ab, langfristig hat es sich auch den Vermögensaufbau zum Ziel gemacht. Mit 8,3 Millionen Bezugsempfängern verfügt das Programm über ein Budget von ca. 500 Millionen USD und ist damit das größte öffentliche Arbeitsprogramm in Afrika selbst und eines der umfangreichsten außerhalb Afrikas. Die Regierung setzt sich entschlossen für die landwirtschaftliche Entwicklung des Landes ein und hat das dringende Anliegen, von Nothilfeaufrufen zu vorhersehbarer sozialer Sicherung für die arme ländliche Bevölkerung zu gelangen.347 Sie ist mit mehr als 8 % am PSNP-Budget (ungefähr 1,2 % des BIP) beteiligt, während neun Geberorganisationen den Rest beisteuern. Der Beitrag der Europäischen Kommission (zweitgrößter Geber) umfasst 160 Mio. EUR seit 2006.348 Die Förderungswürdigkeit ergibt sich aus einer dauerhaften Lebensmittelknappheit über mindestens drei Monate im Verlauf der letzten drei Jahre - und somit einer fortlaufenden Nothilfe im genannten Zeitraum; das Programm bezieht sich ferner auf arbeitsfähige Erwachsene, die auch für nicht aktive Mitglieder des Haushalts mitarbeiten. Die Lebensmittelration deckt den Energiebedarf einer durchschnittlichen, aus 6 Familienmitgliedern bestehenden Familie und beinhaltet 1 800 kcal pro Kopf und pro Tag. Der Lohntarif, der unter dem Marktniveau liegt, wird verrechnet in Form eines Gegenwerts, der 3 Kilogramm Getreide in bar entspricht oder in einem „gefüllten“ Korb mit Nahrungsmitteln (Getreide plus Hülsenfrüchte und Öl) besteht als Entlohnung für acht Stunden Arbeit pro Tag und fünf Tage Arbeit pro Monat für jedes Haushaltsmitglied. Die gleiche Nahrungsmenge steht, in diesem Fall unabhängig von Bedingungen, erwerbsunfähigen bzw. erwerbslosen Personen zu.349 Die Projekte sind nach oben begrenzt auf 20 % der Verwaltungs- und Kapitalausgaben:350 Das Programm greift speziell im Hochland und in acht Regionen während der Hungermonate.351 Das PSNP wird ergänzt durch Ernährungssicherungsprogramme in Form von Darlehen, 342 343 344 345 346 347 348 349 350 351 Devereux und Ndejuro 2009. Asselin 2010 in Hartwig 2010. Hartwig 2010. In den vergangenen Jahrzehnten litt Äthiopien unter erheblicher Ernährungsunsicherheit, wodurch dieses Land zu einem der wichtigsten Nahrungsmittelhilfeempfänger in Afrika wurde. Der Einfluss von Notfalleinsätzen zum Schutz von Vermögenswerten und zur Linderung der Auswirkungen von Dürreschocks auf das Einkommen vieler Tausender von Menschen war begrenzt. Gebru et al. 2010. Devereux und Guenther 2009. Weltbank 2009. Sharp et al. 2006. Devereux 2006. Hobson 2009. 90 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung im subsaharischen Afrika Investitionen und landwirtschaftlich-technischer Unterstützung, durch ein Vermögensbildungsprogramm für Haushalte und ein zusätzliches Investitionsprogramm für Gemeinden; all diese Programme sind unter dem Ernährungssicherungsprogramm (Food Security Programme, FSP) der Regierung zusammengefasst und zielen auf die Verbesserung der Lebensbedingungen der Programmteilnehmer ab und darauf, ihnen zu ermöglichen, sich von der PSNP-Unterstützung zu emanzipieren. Es wird dann davon ausgegangen, dass ein Haushalt der Unterstützung nicht mehr bedarf, wenn er keine PSNP-Transferleistungen mehr erhält, seinen Nahrungsmittelbedarf über einen Zeitraum von 12 Monaten selbst decken und kleinere Krisen selbst überwinden kann. Aufgrund der geringen Anreize widerstrebt es den Programmteilnehmern allerdings sehr häufig, den PSNP zu verlassen.352 Ein spezielles Merkmal des PSNP als öffentliches Arbeitsprogramm, das sich in erster Linie mit dem Problem der Ernährungsunsicherheit befasst, ist die duale Zahlungsweise in Form von Geld- oder Nahrungsmitteln. Einige Studien weisen darauf hin, dass die Zielorientierung des PSNP arme Haushalte mit beschränkten Beschäftigungschancen ausschließt. Allerdings existieren zu wenig gesicherte Belege zu diesem Thema. Auf jeden Fall gibt es während der problematischen Zeit, in der ein Überschuss an Arbeitskräften herrscht, d. h., wenn es besonders darauf ankommt, dass das PSNP Arbeitsplätze bereitstellt, praktisch keinen Markt für private Beschäftigungsverhältnisse in den PSNP-Regionen. Kleinbauern, denen es nicht gelingt, von dem, was sie erwirtschaften, zu leben, und Arbeiter ohne Grundbesitz sind gleichermaßen an einer Teilnahme an den PSNP-Projekten interessiert.353 Jüngsten Einschätzungen zufolge trägt das PSNP zum Schutz von Vermögenswerten bei, da Leistungsberechtigte einen erheblich größeren Zuwachs an Einkommen und Vermögen aufweisen als Nicht-Leistungsberechtigte. Allerdings gehen diese Erkenntnisse auf nichtrepräsentative Paneldaten zurück.354 Einkommens- und Vermögenszuwächse (in Form von Viehbestand) im Zeitraum von 2006 - 08 lagen bei Personen, die in Form von Nahrungsmitteltransfers entlohnt wurden, bei 59 % bzw. bei 62 %. Vergleichbare Effekte waren bei Teilnehmern, die nur Geldleistungen erhalten hatten, nicht feststellbar. In einer größer angelegten und national repräsentativen Paneldatenumfrage ebenfalls im Zeitraum zwischen 2006 und 2008, weisen Gilligan und Kollegen auf geringere (aber dennoch bedeutsame) Effekte des PSNP-Programms hin: Ein Anstieg bei der Ernährungssicherheit um 11 % (gemessen in Form des Anstiegs der Anzahl der Monate, in denen die Haushalte ihren Nahrungsmittelbedarf selbst decken können) und ein 7%iger Anstieg bei der Nutztierhaltung.355 Diese Effekte liegen, wenngleich sie bedeutsam sein mögen, deutlich unter den erwarteten Ergebnissen. Die Differenz könnte auf die unregelmäßigen Zahlungen in dieser Projektphase sowie auf ein umfangreicheres Sparverhalten als erwartet zurückzuführen sein. Die Auswirkungen sind deutlicher spürbar bei Menschen, die umfangreiche Transferleistungen vom PSNP bekamen oder zusätzlich aus anderen Teilbereichen des FSP Unterstützung erhielten. Es gibt gewisse Hinweise auf eine Privattransfer-Verdrängung, aber wenig deutet auf Negativanreize in Bezug auf die Erwerbstätigkeit hin. Eine Studie der Organisation „Save the Children“356 in der Amhara-Region in der Zeit zwischen Januar 2007 und Februar 2008 stellte fest, dass der Maispreis pro Tag von 2 auf 3 ETB stieg. Die Regierung reagierte mit einer Anhebung der PSNP-Entlohnung von 6 auf 8 ETB pro Tag. Aber die Maispreise stiegen weiter und am Ende des PSNP-Transfers 2008 konnte man im Juli für den Lohn von 8 ETB auf dem lokalen Markt nur 1,2 kg Getreide kaufen - ein Kaufkraftverlust von 56 % im Verlauf von nur sieben Monaten für die ärmste Menschen und die meisten der ernährungsunsicheren Haushalte in der ländlichen Region Amhara. Hinweise auf Reaktionen am lokalen Markt in ernährungsunsicheren Regionen lehnen daher aufgrund des möglichen Preisanstiegs bei Nahrungsmitteln den Bargeld-Ansatz des PSNP in diesen Phasen ab. Die „Region der südlichen Nationen, Nationalitäten und Völker“, eine der neun Verwaltungsregionen Äthiopiens und gleichzeitig die im Jahr 2008 von der Erhöhung der Nahrungsmittelpreise am stärksten betroffene Region veranschaulicht diesen Aspekt. Vormals eine der erfolgreichsten Regionen des PSNP, war sie im Jahr 2007 fast vollständig auf Geldleistungen umgestiegen und litt aufgrund der Inflation bei den Nahrungsmittelpreisen im Jahr 2008 unter einer katastrophalen Ernährungskrise und einer höheren Kindersterblichkeit. Dies führte bei den Teilnehmern des PSNP-Programms zu einer sehr starken Bevorzugung von Nahrungsmitteltransfers.357 Die übliche Sorge im Hinblick auf die Entwicklung eines Abhängigkeitssyndroms konnten empirisch ausgeräumt werden.358 Es finden sich keine Belege dafür, dass aufgrund des PSNP-Programms weniger Geld in Vieh oder Bäume investiert werden. Im Gegenteil, die Anzahl des Vieh- und Baumbestands nimmt in den PSNP-Haushalten zu.359 Auf der anderen Seite berichten Gilligan und Kollegen360 jedoch über eine relativ geringe Teilnahme an öffentlichen Beschäftigungsprogrammen, über Probleme im Hinblick auf pünktliche Lohnauszahlungen und eine geringere gemeinsame Teilnahme am PSNP- und anderen Ernährungssicherungsprogrammen als erwartet. All dies deutet auf administrative Probleme bei der Verwaltung eines so umfangreichen Programms hin. Lernerfahrungen. Als öffentliches Beschäftigungsprogramm zum Abbau von Ernährungsunsicherheit ist das PSNP-Programm ein gutes Beispiel für ein Sicherheitsnetzprogramm, das in ein Grundsicherungssystem überführt wurde. Es trug zur Verringerung der Armut bei, 352 353 354 355 356 357 358 359 360 IDL Group 2010. Koohi-Kamali 2010. Sabates-Wheeler und Devereux 2010; Devereux und Guenther 2009. Gilligan et al. 2009. Save the Children 2008. Sabates-Wheeler und Devereux 2010. Andersson et al. 2009. Ebd. Gilligan et al. 2009. E U R O P Ä I S C H E R 91 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 5 zur Einkommenssteigerung, zum Vermögensschutz und zur Vermögensbildung. Durch seine direkten Unterstützungsleistungen wurde außerdem die soziale Inklusion unter Einbeziehung einiger äußerster Randgruppen, beispielsweise Waisen, gefördert. Zum Teil ist die Planbarkeit dieses Programms der kontinuierlichen Rückendeckung durch Geberorganisationen geschuldet. Mit entsprechenden Anpassungen könnte es in kleinerem Maßstab von anderen subsaharischen Ländern nachgeahmt werden, möglicherweise beschränkt auf besonders ernährungsgefährdete Regionen. Wenn die Gewährleistung der Ernährungssicherheit das wichtigste Ziel ist, sollte die kombinierte Entlohnung in Form von Nahrungsmittel-/Bargeldtransfers nicht leichtfertig verworfen werden. Um Ungleichheiten zu vermeiden, wäre bei einer Umsetzung in subsaharischen Ländern Afrikas allerdings eine gewisse Indexierung der Geldleistungen im Verhältnis zu Nahrungsmitteltransfers ratsam. Ein Beispiel hierfür ist Malawis FACT-Projekt. Die innovativen Merkmale dieses Projekts, seine Indexanpassung der monatlichen Geldleistungen an die Marktpreise für Lebensmittel im Vormonat tragen zur Beibehaltung der Parität zwischen Lebensmittel- und Bargeldleistungen bei und minimieren die Auswirkungen der Inflation bei den Lebensmitteln.361 5.3.5 BESONDERS SCHUTZBEDÜRFTIGE KINDER ERREICHEN: SCHULSPEISUNGEN IN KENIA Beim kenianischen Schulspeisungsprogramm mit einheimischen Nahrungsmitteln (Home-Grown School Feeding Programme, HGSF) verhindert die Zusammenarbeit auf lokaler und internationaler Ebene, dass sich Hunger und Armut von einer Generation auf die nächste vererben. Ziel dieses Programms ist es, sowohl Kindern als auch ortsansässigen Bauern einen Nutzen zu bieten, wobei auch Sekundärbegünstigte, beispielsweise Händler und ortsansässige Köche ihren Nutzen aus dem Programm ziehen, da die lokale Wirtschaft durch die öffentliche Auftragsvergabe der ortsansässigen Schulen stimuliert wird. In Kenia hat das Welternährungsprogramm (WEP) derartige Maßnahmen in den letzten 30 Jahren geleitet. Nach und nach wurde das Programm-Management in die Hände der Regierung gelegt, wobei sich eine Wandlung vom reinen und punktuellen Reagieren auf Ernährungs- und Armutsnotstände zu einem nachhaltigen Interventionsprogramm vollzog. Das HGSF-Programm wurde 2008 vom Bildungsministerium in Zusammenarbeit mit dem WEP mit dem Ziel ins Leben gerufen, den Hunger zu lindern und die Bildung zu fördern. Die Übernahme des Programm-Managements durch die Regierung kann als eine Verpflichtungserklärung gewertet werden. Als das WEP bestimmte Förderungsgebiete von seiner Unterstützung ausklammerte, wurden sie von der Regierung übernommen. Die Regierung ist bereit, sich der Verantwortung zu stellen, eine halbe Million Grundschulkinder im Rahmen von Schulspeisungen in Trocken- und Halbtrockengebieten zu verköstigen, wobei jedes Jahr weitere 50 000 Kinder zum Projekt hinzustoßen. Die Kosten für eine Schulspeisung beliefen sich im Jahr 2008 in Kenia auf 11 KES pro Schüler und pro Tag, im Jahr 2009 waren es 12,4 KES.362 Die am Programm teilnehmenden Schulen erhalten von der Regierung zu Beginn des Schuljahrs eine Transferleistung in Höhe von 7 KES pro Schüler. Der Betrag wird direkt an die Schulen ausgezahlt, damit diese dafür vor Ort Lebensmittel einkaufen können, die von Kleinbauern produziert werden. Der Schulleitungsausschuss jeder der bezuschussten Schulen ist mit der Lebensmittelbeschaffung für die Mittagsessen betraut. Er beschließt außerdem schulpolitische Maßnahmen, unterstützt den Direktor bei der Organisation der schulischen Angelegenheiten, fördert Spendenaktionen für die Schule und Einschulungsaktivitäten. Ein Unterausschuss befasst sich mit der Lagerung der Lebensmittel und der Einstellung von Personal für die Speisenzubereitung. All dies fördert die Verbindung zwischen lokalen Gemeinschaften und Schulen. Zum Zweck der Zielgruppenbestimmung stellen die Regierung und das WEP fest, wo die bedürftige Menschen leben und wie sie erreicht werden können. Angesichts der geringen Mittel, die für die Schulspeisungen zur Verfügung stehen, wurden einige Regionen ermittelt, die gemäß einem gewogenen durchschnittlichen Indikator (Bildung, Armut und Ernährungsunsicherheit) Priorität haben. Diese Methode gewährleistet eine erfolgreiche Zielausrichtung auf die bedürftigsten Bezirke und wird jedes Jahr erneut angewendet, um das Programm neu auszurichten. Im Jahr 2009 stellte das Finanzministerium 400 Mio. KES (ca. 5 Millionen USD) zur Verfügung, während der japanische „Government Counterpart Fund“ weitere 150 Millionen KES (1,8 Mio. USD) bereitstellte. Dieselben staatlichen Mittel standen auch im Jahr 2010 zur Verfügung. Damit die Preise für Grundnahrungsmittel bezahlbar bleiben, investierte die Regierung in die Landwirtschaft und unterstützte Kleinbauern mit Anreizen für die Nahrungsmittelproduktion.363 Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegt noch keine Folgenabschätzung dieses Programms vor. Frühere Programme in Kenia hatten positive Auswirkungen auf die Ernährungsqualität von Kindern, ihre Gesundheit, Anwesenheit im Unterricht, ihre Lernfähigkeit und -leistung. Es wird erwartet, dass das HGSF zu vergleichbar positiven Auswirkungen geführt hat.364 361 362 363 364 Devereux 2008. WEP-Bericht 2010. USAID 2009. WEP 2010. 92 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung im subsaharischen Afrika Lernerfahrungen. Schulspeisungsprogramme können in erheblichem Maße zur Gesundheit von Kindern sowie zu einer erhöhten Anwesenheit im Unterricht und zur Verbesserung der schulischen Leistung beitragen. Das Programm sorgt für einen festen und bestimmbaren Bedarf an Lebensmitteln am lokalen Markt, eröffnet Chancen für die Gemeinschaft zur Interaktion bei schulischen Aktivitäten, hebt die Einnahmen einer großen Anzahl von Kleinbauern und trägt zu einer Verbesserung der Beschäftigungssituation in den verschiedenen Gemeinschaften bei. Schulmahlzeiten erlauben es den Haushalten, einen Teil ihres jährlichen Einkommens einzusparen; der Einkauf von Lebensmitteln direkt bei den Kleinbauern stärkt die Bauern und Gemeinschaften und trägt zur lokalen Entwicklung bei. 5.4 LERNERFAHRUNGEN AUS DEN FALLSTUDIEN Diese Fälle zeigen, dass es sowohl politisch als auch fiskalisch und verwaltungstechnisch für subsaharische Länder mit geringem Einkommen möglich ist, soziale Sicherungsprogramme in einer Größe bereitzustellen, die zuvor für unrealistisch gehalten wurden. Dies legt nahe, dass es auch für weitere subsaharische Länder möglich ist, vergleichbare Programme einzuführen, die ihren jeweiligen haushaltspolitischen und administrativen Kapazitäten entsprechen. Bestimmte landesspezifische Bedingungen, politisches Engagement und entsprechende Vorerfahrung ermöglichen es, maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln. Politischer Wille ist nicht nur anfänglich als Auslöser für diese Programme unabdingbar, sondern auch im Sinne eines dauerhaften Engagements für das gewählte soziale Sicherungssystem und seinen langfristigen Ausbau. In einigen Fällen war das Engagement der Regierung hauptsächlich durch die Notwendigkeit bedingt, Antworten auf die eklatantesten, die Bevölkerung bedrohenden Probleme zu finden, um die Widerstandsfähigkeit der ortsansässigen Menschen langfristig zu stärken. In Lesotho wurde ein Altersrentenprogramm eingeführt, um die Belastungen für die ältere Bevölkerung abzubauen und darüber hinaus indirekt die Haushalte zu unterstützen, in denen diese älteren Menschen leben. In Äthiopien wiederum lag das Ziel des PSNP darin, die Abhängigkeit von Nothilfemaßnahmen zu überwinden und über planbare Unterstützung chronische Armut zu lindern. Ein zusätzliches Ziel war es, durch Förderung der Landwirtschaft, dem bisherigen Rückgrat des Wachstums, Vermögen zu schützen. Die Entscheidung, soziale Sicherung zum Zentrum der nationalen Entwicklungsagenda zu machen, kann auch zu einer Bekräftigung des Gesellschaftsvertrags zwischen Staat und Bürgern beitragen und auf diese Weise die Legitimität der Regierung stärken. Aus einem Wahlversprechen heraus entwickelte sich in Ghana ein richtungsweisendes Krankenversicherungsprogramm mit gesetzlich verankertem Anspruch, das gefährdete Personen schützt und gleichzeitig die Regierungsverantwortung stärkt. Politisches Engagement im Bereich der sozialen Sicherung hat sich in der Vergangenheit ausgezahlt: In Lesotho haben die Altersrenten zur Wiederwahl der Regierung geführt. Eine Verringerung der Krisenanfälligkeit, ein beschleunigter Fortschritt in Richtung auf Wachstum und Entwicklung und Nutzung von Wettbewerbsvorteilen bei der Wahl könnten in den subsaharischen Ländern Afrikas den Anreiz zur Steigerung des politischen Engagements geben und insbesondere zur Einführung umfassender nationaler Strategien für soziale Sicherung führen. In Ghana muss das NHIS als Teil eines breit angelegten politischen Prozesses verstanden werden, der zur „National Social Protection Strategy“ (nationalen Strategie für soziale Sicherung) im Jahr 2007 führte. Länder wie Sierra Leone und Ruanda haben die grundlegende Bedeutung der sozialen Sicherung für den Prozess der Versöhnung und Staatsbildung erkannt: Beide Länder räumen der sozialen Sicherung in ihren Nationalen Strategiedokumenten zur Armutsbekämpfung (Poverty Reduction Strategy Papers, PRSP) Vorrang ein und haben jüngst ihre nationalen Strategien für soziale Sicherung (National Social Protection Strategies, NSPS) entwickelt. In Mosambik steht die „National Basic Social Security Strategy“ (nationale Strategie für grundlegende soziale Sicherheit) für 2010 - 2014 im Mittelpunkt eines umfassenden rechtlichen und institutionellen Rahmenwerkes zur Förderung eines integrierten sozialen Sicherungsansatzes. Auch andere Länder bewegen sich zügig in diese Richtung. Mali startete im Jahr 2009 ein nationales Forum, um das Engagement der Regierung für soziale Sicherung erneut zu stärken. Kenias Regierung hingegen plant einen richtungsweisenden sozialen Sicherungsfonds als Teil seines nationalen Entwicklungsplans “Vision 2030“. Ein derartiges politisches Engagement sollte durch angemessene institutionelle und administrative Kapazitäten ergänzt werden. Ferner sollten Programme erschwinglich und finanziell nachhaltig sein und dabei kontraproduktive Anreize vermeiden. Öffentliche Einrichtungen müssen Dienstleistungs- und Infrastrukturnetze aufbauen, eine transparente Programmverwaltung sicherstellen, zur Optimierung der Koordination zwischen den unterschiedlichen Akteuren beitragen und die Verwaltungskosten niedrig halten. Ein institutionelles Gleichgewicht und institutionelle Koordination - sowohl horizontal als auch vertikal - haben sich als Schlüssel zum Erfolg erwiesen. In Lesotho wird das Altersrentenprogramm vom Finanzministerium - eine der mächtigsten Institutionen, wenn nicht sogar die mächtigste Institution des Landes - initiiert und verwaltet. Im Gegenzug dazu unterstützt das sambische „Ministry of Community Development and Social Services“ (Ministerium für Gemeindeentwicklung und Sozialwesen) die Ausweitung der Kalomo-Pilotprojekte zu einem „nationalen Sozialen Geldtransferprogramm“ (National Social Cash Transfer Scheme). Dabei ergaben sich jedoch erhebliche „Probleme bei der Übergabe der Führungsrolle an andere Akteure, da die soziale Sicherung zum einen in Sambias institutioneller Architektur keine wichtige Rolle einnimmt“ und zum anderen infolge interner Schwächen des Systems.365 365 Chiwele 2010, Seiten 3-4. E U R O P Ä I S C H E R 93 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 5 Häufig stellt die Koordination zwischen den Ministerien ein Problem dar. Kenia ist mit größeren Herausforderungen bei der Verwaltung seiner sozialen Sicherungsprogramme konfrontiert: Obgleich die Hauptverantwortung für diese Programme beim Ministerium für Gleichstellungsfragen, Kinder und soziale Entwicklung liegt, setzt sich die Debatte darüber fort, ob dies institutionell gesehen die richtige Entscheidung ist. Mehrere Ministerien implementieren unterschiedliche soziale Sicherungsmaßnahmen, ohne eine effizient aufeinander abgestimmte Koordination zu gewährleisten. Im Gegensatz dazu basiert das VUP-Programm in Ruanda auf dem Subsidiaritätsprinzip: Maßnahmen werden zentral formuliert, von den Unterbezirken verwaltet und von den Dörfern umgesetzt. Adäquate Lösungen kombiniert mit ausgeprägten administrativen Kapazitäten mindern die Organisationkosten pro Transfereinheit und tragen zu einer verbesserten Umsetzung bei. Die Verwaltungskosten des Altersrentenprogramms in Lesotho nehmen nur einen geringen Teil der Gesamtkosten (2 %) in Anspruch. Das Nahrungsmittelsubventionsprogramm in Mosambik hingegen krankt infolge einer unangemessenen Finanzierung und geringen Zahl der Leistungsberechtigten unter extrem hohen Verwaltungskosten (30 %). Daher könnten sich beitragsunabhängige Altersrenten eventuell besonders gut als Einstiegs- und Ausgangspunkt für umfassendere soziale Sicherungssysteme eignen. Die administrativen Lasten und Kosten sind vergleichsweise niedrig, mit politischer Unterstützung kann gerechnet werden und es werden kaum Negativanreize gesetzt. Daneben stellen die Faktoren eines angemessenen Konzepts, einer präzisen Zielgruppenbestimmung und einer entsprechenden Umsetzung einen weiteren Schlüssel zum Erfolg dar, da sie einen direkten Einfluss auf Kosten und Effektivität haben. Malawis FACTProgramm vergab seine Transferleistungen zur Hälfte in Form von Bargeld und zur Hälfte in Form von Sachleistungen und koppelte die Transferleistungen an die lokale Preisentwicklung bei den Nahrungsmitteln, um die Kaufkraft auch in Zeiten der Dürre stabil zu halten. Ferner hingen die Auszahlungen von der jeweiligen Größe der Haushalte ab (klein, mittel, groß). Das PSNP-Programm in Äthiopien, einem Land, das mit einer langen Geschichte der Ernährungsunsicherheit verbunden ist, bietet eine Teillösung für Vulnerabilität dieser Art. Über innovative Geldtransfers wird in Kenia versucht, Einschulungen als „soziale Impfung“ gegen AIDS zu nutzen, um der außergewöhnlich hohen Gefährdung zu begegnen, denen junge Menschen in Ost- und Südafrika in Form des Infektionsrisikos ausgesetzt sind (Kasten 5.4). Kasten 5.4: Geldleistungen für den Schulbesuch zur Bekämpfung von HIV Frühehen und „Kinderbräute“ sind zwei Hauptursachen für die HIV-Disparitätslücke in der Gruppe der Jugendlichen. Das ZombaGeldtransferprogramm ist ein über zwei Jahre laufendes, randomisiertes, kontinuierliches und konditioniertes Programm für junge Mädchen - sowohl Schülerinnen als auch junge Schulabbrecherinnen. Es führte zu einem starken Anstieg der Schulpräsenz, speziell bei denjenigen, die vorher gar keine Schule besucht hatten (17,2 % der Kontrollgruppe, aber 61,4 % der Behandlungsgruppe); die Bezugsberechtigten der Behandlungsgruppe besuchten in der Regel 3 - 4 Mal so häufig den Unterricht. Bei den Schulabbrecherinnen der Behandlungsgruppe konnten Schwangerschaften im vergangenen Jahr in der Regel um 5,1 % reduziert werden, eine statistisch signifikante Verringerung um mehr als 30 %. Im Großen und Ganzen ist es nicht wichtig, Transferleistungen zu konditionieren. Ausschlaggebend sind die Transferleistungen an sich. Die Transferleistungen waren für jeden Dollar Transferleistung mit 0,5 USD Verwaltungskosten für Anwesenheitskontrollen verbunden. Eine Veränderung der Transferbeträge hatte keine signifikanten Auswirkungen auf das Verhalten der Empfängerinnen - dies lässt darauf schließen, dass die Finanzierung dieser Programme relativ günstig sein sollte, da die Zahlung eines vergleichsweise geringen Betrags genauso effektiv zu einer Erhöhung der Anwesenheit im Unterricht führt wie die Zahlung höherer Beträge. Diese Ergebnisse sind wichtig für subsaharische Länder Afrikas, wo Geldleistungen mit hoher Wahrscheinlichkeit immer üblicher werden und die Risiken einer HIV-Infektion für junge Frauen überproportional hoch sind. Quelle: Baird et al. 2009. Zur Vermeidung grober Inklusions-/Exklusionsfehler könnte eventuell die gemeindebasierte Herangehensweise - bei der die Gemeinschaften die primäre Verantwortung für die Identifizierung der Bezugsberechtigten übernehmen - eine Alternative zur „Top-down“-Zielorientierung darstellen, bei der möglicherweise lokale Bedürfnisse nicht abgedeckt und somit Ressourcen verschwendet werden. Die Ubudehe-Methode in Ruanda zeigt, dass Dezentralisierung insgesamt zur Effizienz beitragen und Überschneidungsverluste vermeiden kann. Die Beispiele aus Ghana deuten in dieselbe Richtung: Die Nutzung bereits existierender gemeindebasierter Systeme trug zu einer erfolgreichen Zielgruppenbestimmung und einer konsequenten Ausweitung des Programms auf den informellen Sektor bei. Dennoch war auch bei diesem Programm eine verstärkte Exklusion ärmster Menschen festzustellen. Transferleistungen können grundsätzlich entweder nach dem „Pull- oder Push-Mechanismus“ ausgezahlt werden.366 Ersterer verlangt von den Bezugsberechtigten eine Abholung der Transferleistungen an einem bestimmten Ort, Letzterer erlaubt es den Bezugsberechtigten, ihre Transferleistungen zeitlich als auch örtlich nach Bedarf zu empfangen. In letzter Zeit werden Auszahlungen nach dem Push-Prinzip immer beliebter, da die zunehmende Verbreitung der Informationstechnologie auch den Zugang zu ärmeren Bevölkerungsgruppen 366 Devereux 2008. 94 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung im subsaharischen Afrika ermöglicht. In einigen Provinzen setzt die südafrikanische Regierung für ihre Auszahlungen die Sekulula-Debitkarte ein. Kenia und Tansania haben einen Geldtransfer-Service per Handy eingerichtet, um Mikrokreditempfänger bei der Rückzahlung ihrer Darlehen zu unterstützen. Bei den Auszahlungen nach dem Pull-Prinzip fallen höhere Opportunitätskosten an, da die Bezugsberechtigten zur Abholung an einen bestimmten Ort reisen und sich daher einigen Sicherheitsrisiken aussetzen müssen: In Nigeria beispielsweise nahm die Zahl der Überfälle auf Leistungsempfänger zu, die sich nach dem Bankbesuch auf dem Heimweg befanden. Wenn allerdings die Auslieferung in ein gut ausgebautes Netz wie beispielsweise den Postfilialen in Lesotho eingebettet ist, nehmen die Opportunitätskosten ab, da die Abholung der Transferleistungen aufgrund der vorteilhaften Verteilung der Auszahlungsstellen nur wenig Zeit in Anspruch nimmt. Die Bezahlbarkeit der Sozialleistungen wird von den Regierungen oft als das größte Hindernis angesehen. Und tatsächlich äußern sich die Finanzministerien, beispielsweise in Tansania oder Mosambik, viel häufiger besorgt über den Wert und die Nachhaltigkeit von Investitionen in soziale Sicherung, da sie sich von Investitionen in produktive Aktivitäten mehr versprechen.367 Einige soziale Sicherungsprogramme haben sich zwar als erfolgreich erwiesen, waren aber zu kostspielig. Programme für stillende Mütter haben sich zur Senkung der Kindersterblichkeit besonders bewährt. Die vorliegenden Daten aus Ghana, Madagaskar und Sambia zeigen allerdings, dass die Kosten für diese Programme nach wie vor zu hoch sind, um ihre Bezahlbarkeit und Nachhaltigkeit sicherzustellen.368 Für viele Länder mit geringem Einkommen im subsaharischen Afrika ist das Gesamtpaket der UN zum „Mindestmaß an sozialer Grundsicherung“ (Social Protection Floor) nicht bezahlbar, insbesondere dann nicht, wenn die Kapazitäten zur Steigerung öffentlicher Einnahmen gering bleiben und die Verwaltungskosten hoch sind. Es gibt jedoch einige Teilbereiche der sozialen Grundsicherung, die für die meisten südsaharischen Länder Afrikas durchaus erschwinglich sind. Erneut soll darauf hingewiesen werden, dass nicht-beitragspflichtige Altersrenten, Kindergeld oder öffentliche Beschäftigungsprogramme einen guten Ausgangspunkt darstellen könnten. Allerdings wäre mehr soziale Sicherung möglich, wenn die Regierungen ihre Steuereinnahmen im Verhältnis zum BIP erhöhen würden (an sich wünschenswert), Ressourcen innerhalb ihrer Budgets umverteilten oder zuverlässige Unterstützung von außen erhielten. Kasten 5.5: Bezahlbarkeit der sozialen Sicherung im subsaharischen Afrika Die Kosten für den Ausbau von sozialen Sicherungsprogrammen im subsaharischen Afrika gelten seit langem als zentrales Hindernis für die Umsetzung der sozialen Sicherung. Jüngste Erfahrungen mit anderen Entwicklungsländern sowie Erfahrungen mit subsaharischen Ländern Afrikas bei der Umsetzung verschiedener sozialer Sicherungsprogramme (Geldleistungen und kostenlose Krankenversicherung eingeschlossen) zeigen, dass die Bezahlbarkeit einer unvoreingenommen Neubewertung unterzogen werden sollte. Beispiele aus südafrikanischen Ländern zeigen, dass ein Ausbau der sozialen Sicherung in afrikanischen Ländern mit mittlerem Einkommen machbar ist. Derartige soziale Sicherungspakete könnten daher auch für subsaharische Länder Afrikas mit geringem Einkommen erschwinglich sein. Aufgrund der begrenzten Erfahrungen in Bezug auf die Kosten grundlegender sozialer Sicherungsleistungen in Ländern mit geringem Einkommen hat die Internationale Arbeitsorganisation (IAO) Simulationsstudien für 12 Länder mit geringem Einkommen durchführen lassen, um entsprechende Kostenschätzungen zu ermöglichen.369 Das Mindestpaket für soziale Sicherung beinhaltet eine kostenlose medizinische Grundversorgung (Einschätzung auf Aufwandsbasis), Kindergeld (15 % des Pro-Kopf-BIP bis zu 0,50 USD pro Tag KKP), zielgerichtete Einkommensunterstützung für Arme und Arbeitslose sowie Invaliditäts- und Altersrenten bis zu 1,00 USD (KKP), ausgezahlt an 1 % der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter und allen Menschen im Alter von 65 und mehr Jahren. Zwar wurden bestimmte Teilbereiche dieses Pakets in einigen afrikanischen Ländern schon umgesetzt, aber das Gesamtpaket bislang noch nirgendwo. So bietet Südafrika beispielsweise Beihilfen für Kinder sowie für ältere und Menschen mit Behinderungen an (auf einem viel höherem Niveau als im IAO-Mindestpaket vorgesehen), aber es gibt keine allgemeinen Unterstützungsleistungen für Arbeitslose und Arme oder eine kostenlose medizinische Grundversorgung. Die Elemente des sozialen Sicherungspaketes wurden für eine ganze Reihe von Ländern kalkuliert (siehe Kasten 5.5 Tabelle 5.3). Einige Hypothesen dieser Kostenberechnung lassen sich durchaus in Zweifel ziehen. Insbesondere die Leistungen zur Beschäftigungsförderung und Armutsbekämpfung, die durch ein Beschäftigungsprogramm bereitgestellt werden sollen, wurden so kalkuliert, dass nur 10 % der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter berücksichtigt wurden, was durchaus zu wenig sein könnte, um alle Arbeitslosen und Armen im erwerbsfähigen Alter abzudecken; ein Anteil von nur 1 % der Bevölkerung, die Invalidenrente beanspruchen, erscheint ebenfalls zu niedrig angesetzt und führt zu der Frage, welche Aufnahmekriterien für das Programm vorgesehen sind. Für die medizinische Grundversorgung wurden viel geringere Kosten veranschlagt als von der WHO-Kommission für Makroökonomie und Gesundheit für ein Mindestpaket in Ländern mit geringem Einkommen geschätzt. Nicht zuletzt erscheint die Hypothese problematisch, dass sich die Verwaltungskosten im Falle von Geldtransferprogrammen rein proportional zur Auszahlung verhalten. Sicherlich werden bei der Einrichtung von 367 368 369 ERD-Umfrage. Chee und Makinen 2006. Siehe IAO 2008. E U R O P Ä I S C H E R 95 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 5 Geldtransferprogrammen Fixkosten anfallen und die variablen Kosten werden höchstwahrscheinlich unter den geschätzten 15 % liegen. Folglich werden die Verwaltungskosten pro Bezugsberechtigtem für arme Länder mit geringeren Auszahlungen höher liegen als dies bei reicheren Ländern mit größeren Programmen der Fall ist. Bei einer Sensitivitätsanalyse betrachten wir zwei Alternativen bei den Verwaltungskosten. Bei der ersten Annahme werden die Verwaltungskosten auf 5 USD (gemäß Wechselkurs) pro Kopf/Jahr plus 10 % Bargeldtransfer-Auszahlung festgelegt; bei der zweiten Annahme werden 10 USD (KKP) pro Kopf/Jahr eingesetzt, was (besonders in sehr armen Ländern) beachtlich weniger ist als bei der ersten Annahme; es spiegelt die Tatsache wider, dass ein großer Anteil der fixen Verwaltungskosten Gehälter sind, die in ärmeren Ländern kostengünstiger sind. Die Kosten der einzelnen Teilbereiche des Mindestpakets plus Verwaltungskosten (unter Verwendung von IAO- und anderen Daten) werden in Kasten 5.5 in Tabelle 5.3 dargestellt. Die alternativen Annahmen bei den Verwaltungskosten führen bei Ländern mit geringem Einkommen zu bedeutenden Ergebnisunterschieden. Insgesamt liegen die Kosten des Paketes zwischen 5 % und 12 % des BIP für die aufgelisteten Länder. Dies ist eine beachtliche Summe, die zu einer erheblichen Erhöhung der Sozialversicherungsausgaben führen würde und die in den aufgelisteten Ländern gegenwärtig bei 0,5 - 2 % des BIP liegen.370 Selbst wenn alle öffentlichen Gesundheitsausgaben einbezogen würden (die nicht alle für eine Umverteilung zur Erreichung der sozialen Grundsicherung zur Verfügung stünden), liegen die gegenwärtigen Ausgaben weit unter den erforderlichen Ressourcen. Die Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Gesamtpakets erscheinen ebenso offenkundig, wenn es der Mobilisierung heimischer Ressourcen und Hilfsströmen gegenübergestellt wird. In den aufgelisteten Ländern betragen die Steuereinnahmen in Relation zum BIP 10 - 18 %. Mit dieser Ressourcenausstattung ist die Einführung aller Teilbereiche des sozialen Sicherungspaketes in einigen Ländern kurzfristig nicht erreichbar. Aber eine schrittweise Umsetzung des Pakets auf der Basis nationaler Bedürfnisse, Prioritäten und der Bezahlbarkeit ist eine Option. Die Steuereinnahmen sind im Verhältnis zum BIP eindeutig sehr gering und müssen mittelfristig erhöht werden, um viele notwendige Staatsausgaben zu decken, u. a. für die soziale Sicherung. Die Gebermittel sind hinsichtlich ihres Umfangs mit den Steuereinnahmen vergleichbar und könnten somit nicht ausreichende Steuereinnahmen kurz- oder mittelfristig ergänzen. Insofern könnte ein Ausbau der sozialen Sicherung auf das von der IAO angestrebte Niveau auf eine Unterstützung durch die Geber aufbauen oder diese Unterstützung (sowie Inlandsausgaben) für andere Bereiche könnte neu zugewiesen werden. Wenn beispielsweise alle Kosten des öffentlichen Gesundheitswesens den Ausgaben für soziale Sicherung hinzugerechnet werden (siehe Kasten 5.5 Tabelle 1, letzte Spalte), nähern sich die tatsächlichen Ausgaben dem Niveau in manchen Ländern an. Wenn sowohl andere soziale Sektoren als auch nicht-soziale Sektoren berücksichtigt würden (zum Beispiel Bildung, Verteidigung, Verwaltungsausgaben), könnte ein Ausbau der sozialen Sicherung eventuell durch eine entsprechende Neuzuweisung gelingen. Eindeutig existiert ein gewisser Spielraum für Neuzuweisungen, allerdings würde dies eine sehr sorgfältige landesspezifische Einschätzung von Prioritäten und Bedürfnissen bei den Ausgaben für den sozialen (und nicht sozialen) Sektor erfordern. Table 5.3: IAO - grundlegende soziale Sicherung und fiskalische Gegebenheiten in subsaharischen Ländern Afrikas Geschätzte Kosten für grundlegende soziale Sicherung in Prozent des BIP (2008) Medizinische Universel- Grundverle Renten sorgung Kindergeld VerwalAlterAltertungsnative 1 native2 Verwalkosten VerwalVerwalSoziale tungspro Kopf tungstungsBNE pro Hilfe/ koste, (aktueller kosten kosten Kopf Beschäfti- Geldleis- Wechsel- (aktueller (aktueller (aktueller gungspro- tungen kurs USD, Wechsel- Wechsel- Wechselgramme (IAO) IAO) kurs USD) kurs USD) kurs USD) Insgesamt ODA 2006 Steuern 2006 Geschätzte Ausgaben für grundlegende soziale Sicherung 2010 Soziale Sicherung und Gesundheitsausgaben im vergangenen Jahr Burkina Faso 1,1 5,5 2,8 0,6 0,7 2,6 6,8 5,1 440 10,6-12,1 14,1 11,1 1,1 4,9 Kamerun 0,8 2,6 1,8 0,4 0,4 4,0 7,6 6,5 990 6,0-6,8 9,2 11,1* 0,6 2,0 Äthiopien 1,0 3,6 2,8 0,6 0,4 1,0 5,7 2,3 170 8,8-12,1 14,6 10,7* 1,3 9,6 Guinea 0,6 1,5 1,5 0,3 0,4 1,2 5,8 2,0 400 4,4-5,9 4,9 n,a, 0,4 0,8 Kenia 0,9 3,0 3,0 0,6 0,7 3,5 7,3 5,9 580 8,2-9,5 4,1 18,3 1,6 3,0 Senegal 1,1 2,5 2,0 0,5 0,5 3,8 7,5 6,8 760 6,6-7,6 9 16,1* 0,6 3,6 Tansania 1,1 1,4 3,1 0,6 0,7 2,1 6,4 5,5 350 7,9-9,7 14,2 n,a, 2,1 4,5 371 Quelle: IAO (2008) ; WDI 2009; Internationale Statistiken des IWF. 370 371 Die IAO schätzt, dass die Erhöhung der Sozialversicherungsausgaben in den betreffenden Ländern zwischen 0,9 % - 9,6 % des BIP liegen. Die IAO (2008) analysiert die Kosten für die eine grundlegende soziale Sicherung, bestehend aus: Allgemeine primäre Gesundheitsfürsorge; Grundversorgung Alters- und Invalidenrente; Grundversorgung Kindergeld für die ersten zwei Kinder; Grundversorgung soziale Hilfe mit 100 Tagen Beschäftigungsgarantie für das ärmste Bevölkerungsdezil im arbeitsfähigen Alter. Die Kostenschätzungen für die allgemeine primäre Gesundheitsfürsorge basieren auf einem Verhältnis von 300 Angestellten im medizinischen Bereich auf 1 000 000 Menschen, die Gehälter des medizinischen Personals sind an das Wachstum des Pro-Kopf-BIP angepasst (wenn keine separaten Daten zu Gehältern im Gesundheitssektor zur Verfügung standen, wurde angenommen, dass medizinisches Personal durchschnittlich so viel verdient wie Lehrer). Die Gehälter des medizinischen Personals wurden mit mindestens dem dreifachen Wert an das Wachstum des Pro-Kopf-BIP angepasst. Die Grundversorgung bei den Renten wurde auf einem Niveau von 30 % des Pro-Kopf-BIP (maximal 1 USD (KKP) pro Tag) geschätzt. Das Kindergeld wurde auf einem Niveau von 15 % des Pro-Kopf-BIP (maximal 0,5 USD (KKP) pro Tag) geschätzt. Die Grundversorgung bei der sozialen Hilfe für Arme oder Arbeitslose wurden auf ein Niveau von 30 % des Pro-Kopf-BIP (maximal 1 USD (KKP) pro Tag) geschätzt. Bei den Sozialleistungen wurde davon ausgegangen, dass 10 % der Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter 100 Tage Beschäftigung pro Jahr zur Verfügung gestellt wird. 96 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Soziale Sicherung im subsaharischen Afrika Anmerkung: Der Berechnung liegen Daten aus dem Jahr 2000 zugrunde. Die Verwaltungskosten unter Alternative 1 gehen von fixen Bereitstellungskosten von 5 USD pro Kopf plus einer Geldleistung von 10 % aus; die Verwaltungskosten unter Alternative 2 gehen von fixen Verwaltungskosten in Höhe von 10 USD (KKP) pro Kopf aus, während die IAO von Geldleistungen in Höhe von 15 % (ohne Fixkosten) ausgeht. Zu den tatsächlichen Sozialversicherungsausgaben: Die vorletzte Spalte beinhaltet IAO-Schätzungen (2008) zu den tatsächlichen Ausgaben für soziale Grundsicherung. Die letzte Spalte beinhaltet öffentliche Ausgaben für soziale Sicherung zuzüglich der Gesamtaufwendungen für das öffentliche Gesundheitswesen. Quellen: Statistischer Anhang IAO-Tabelle 18. 2010. World Social Security Report 2010 - 2011: Providing coverage in times of crisis and beyond (Sozialschutz in Zeiten der Krise und darüber hinaus) (Genf). Quelle beruht auf Daten aus Kenia 2008: IMF Government Finance Statistics (staatlichen Finanzstatistiken des IWF) (Health and Social Protection (Gesundheit und soziale Sicherung), World Development Indicators (Welt-Entwicklungsindikatoren) (GDP and exchange rate (BIP und Wechselkurse). Eine Einführung einer vollwertigen sozialen Grundsicherung ist daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt möglicherweise für viele subsaharische Länder Afrikas finanziell nicht realisierbar. Aber auch für subsaharische Länder Afrikas mit geringem Einkommen existieren Handlungsspielräume zur schrittweisen Einführung einzelner Teilbereiche des Mindestniveaus an sozialer Sicherung. Die folgenden Optionen verdienen eine vorsichtige landesspezifische Analyse und eine vertiefte Auseinandersetzung: 1. Soweit eine entsprechende Geberunterstützung für soziale Sicherung nachhaltig und wesentlich verstärkt werden kann, ist eine stufenweise Einführung des Gesamtpakets mittelfristig in vielen Ländern möglich; allerdings muss das Problem der geringen Eigenverantwortlichkeit (Ownership) existierender von Gebern gestützten Pilotprojekte angegangen werden (siehe Kapitel 6). 2. Sollte es Ländern mit unhaltbar niedrigen Steuereinnahmen im Verhältnis zum BIP gelingen, das Niveau ihrer Steuereinnahmen mittelfristig zu erhöhen, könnte eine stufenweise Einführung des Gesamtpakets mit inländischen Ressourcen mittelfristig möglich sein. 3. Falls es gelingt, die derzeitigen Ausgaben (des Staates sowie der Geber) im sozialen Sektor in Richtung auf das Mindestniveau an sozialer Grundsicherung teilweise umzuverteilen, könnte eine stufenweise Einführung des Gesamtpakets mittelfristig möglich sein. 4. Teilbereiche des Paketes sind von fast allen subsaharischen Ländern Afrikas problemlos finanzierbar. Insbesondere universelle, beitragsunabhängige Renten sind in so gut wie allen Kontexten bezahlbar. Ferner kann davon ausgegangen werden, dass in vielen Kontexten bestimmte öffentliche Arbeitsprogramme sowie ein sozialer Mindestschutz zur Bereitstellung einer kostenlosen Gesundheitsversorgung im Rahmen eines Maßnahmen-Minimalpakets durchaus erschwinglich sind. Es steht zu vermuten, dass derartige Programme wesentlich nachhaltiger sind, wenn sie von nationalen Regierungen betrieben und mit eigenen Ressourcen finanziert werden, während Geber eine nur unterstützende Rolle spielen. Selbst wenn politisches Engagement und Eigenverantwortlichkeit für die soziale Sicherung entsprechend stark sind, kann Geberunterstützung wichtig sein, zumindest wenn die Mobilisierung inländischer Ressourcen niedrig ist. In Äthiopien stellt die Regierung nur 8 % des Budgets für das PSNP zur Verfügung. Obwohl das Engagement der malawischen Regierung zur Gewährleistung der Ernährungssicherheit groß ist, wurde das FACT-Programm vollständig von Gebern finanziert und durchgeführt, da seitens der Regierung ein Mangel an Ressourcen vorherrschte und die Kapazitäten auch aufgrund der Nahrungsmittelkrise von 2005 - 06 stark limitiert waren. Als der massive Anstieg der Lebensmittelpreise das WEP in Kenia dazu zwang, seine Unterstützung zurückzufahren, nahm die kenianische Regierung das Programm in ihr Portfolio auf, um Wohlstandsverluste zu vermeiden, und übernahm ferner die Verantwortung für das Schulspeisungsprojekt. Insgesamt zeigen sowohl die ausgewählten Fälle als auch die Belege in Kasten 5.4, dass einige selbst großflächig angelegte Programme für soziale Sicherung in subsaharischen Ländern Afrikas bezahlbar sind. Die Sozialrenten in Lesotho wurden, obwohl sie, was das BIP (2 %) angeht, relativ kostspielig sind, komplett durch steuerbasierte Ressourcen finanziert, für dieses Land eine vergleichsweise hohe Summe. Das NHIS-Programm in Ghana, das jetzt einen großen Teil der Bevölkerung abdeckt, stützt sich auf verschiedene finanzielle Quellen, die alle aus dem Land selbst stammen. Tatsächlich hängt die Bezahlbarkeit von der Bereitschaft der Gesellschaft ab, soziale Maßnahmen durch Steuern, Budgetumverteilungen und Beiträge zu finanzieren. Politischer Wille und Bezahlbarkeit gehen somit Hand in Hand. E U R O P Ä I S C H E R 97 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 KAPITEL SECHS Kapitel 6 KAPITEL 4: THE NEW GENERATION OF SOCIAL PROTECTION PROGRAMMES: REASONS FOR SUCCESS AND LESSONS FOR ELSEWHERE MAIN MESSAGE: THE NEW GENERATION OF SOCIAL PROTECTION PROGRAMMES Programmes from around the world show that there are good opportunities for introducing social protection where levels of poverty are high. There are no magic bullets, but there is considerable evidence on what works, what doesn’t and in what circumstances. Successful programmes have distinctive features that make them suitable for their context. In all cases of successful programmes, there is strong political leadership, which mobilises political and elite support. Preconditions for success also include adequate administrative capacity, and links to (and synergies with) other social policies. Moreover, successful social protection programmes have addressed the fiscal sustainability challenge by reaching large segments of the poor at limited cost. An important element of their success has been that programmes have been shown to have clear impacts on the well-being of intended beneficiaries, measured by indicators of poverty, inequality and human development. Rigorous impact assessment has been key to determining strengths and weaknesses, as well as to building political support. But more evidence of the programmes’ impact on risk and vulnerability reduction and on income smoothing over the life cycle is still needed: investigating those longer-term effects is a crucial aspect of a forward-looking policy research agenda. FÖRDERUNG VON SOZIALER SICHERUNG IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA: VON DER GEBERSCHAFT ZUR PARTNERSCHAFT A new generation of social protection programmes has emerged outside the OECD over the last two decades. This Kapitel describes why and where these programmes have emerged, and what lessons can be drawn for other countries, particularly in Sub-Saharan Africa, the subject of Kapitel 5. 98 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 KAPITEL 6 FÖRDERUNG VON SOZIALER SICHERUNG IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA: VON DER GEBERSCHAFT ZUR PARTNERSCHAFT 372 Im subsaharischen Afrika haben Geber erheblichen Einfluss auf die Agenda für soziale Sicherung ausgeübt. Häufig mangelt es ihnen jedoch an Kenntnis der nationalen Prozesse, in die ihre Interventionen eingebunden sind. Dies gefährdet die Eigenverantwortlichkeit und Nachhaltigkeit ihrer Initiativen und macht so neue Ansätze notwendig. Ein Wechsel von der Geberschaft zur Partnerschaft erfordert eine koordinierte Anpassung der internationalen Akteure an die Anstrengungen und Prioritäten der Partnerländer, um durch planbare Finanzierung Nachhaltigkeit, Kapazitätsaufbau und Lernprozesse zu fördern. Ansätze und Unterstützung müssen den Erfordernissen der Partnerländer und den Bedürfnissen gefährdeter Menschen entsprechend auf den jeweiligen Kontext - von unstabilen Ländern in fragilen Situationen bis hin zu Staaten mit etablierten sozialen Sicherungssystemen - zugeschnitten sein. Die Anpassung an die sich ändernden Entwicklungsbedingungen und die zunehmende Bedeutung der Süd-Süd-Kooperation ist von zentraler Bedeutung. 6.1 DIE ROLLE DER GEBER: INTERNATIONALE PARTNERSCHAFTEN FÜR SOZIALE SICHERUNG 6.1.1 DIE UNTERSTÜTZENDE FUNKTION DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT 6.1.1.1 ZWISCHEN SOLIDARITÄT UND EIGENNUTZ: GRÜNDE FÜR EIN ENGAGEMENT DER GEBER Es gibt einen guten Grund für die Verantwortung des Nordens, ein gewisses Maß an „Wohlfahrtswelt“373 zu gewährleisten: Hilfe, die nicht als Almosen verstanden wird, sondern als ein „notwendiger Transfer von Wohlstand als Ausgleich für Verteilungsungerechtigkeit“.374 In diesem Licht betrachtet sollte Umverteilung nicht nur innerhalb von Ländern, sondern auch zwischen den Staaten stattfinden: Hilfe für soziale Sicherung fügt sich außerordentlich gut in diese globale Perspektive von Verteilungsgerechtigkeit ein (Kasten 6.1). Kasten 6.1: Verteilungsgerechtigkeit als Perspektive Das Thema Gerechtigkeit in internationalen Beziehungen ist „umfassender als das der Verteilungsgerechtigkeit…aber die Probleme internationaler Verteilungsgerechtigkeit sind die bei weitem besorgniserregendsten“. 375 Die Frage der Verteilungsgerechtigkeit wirft in der Tat grundlegende Fragen auf im Hinblick auf die strukturellen Ursachen globaler Ungleichheiten, das Ausmaß, in dem diese angegangen werden sollten, von wem und auf welche Weise. Können und sollten folglich innerstaatliche Grundsätze der Verteilungsgerechtigkeit - wie insbesondere in Rawls Eine Theorie der Gerechtigkeit376 dargelegt - auf die globale Ebene übertragen werden? Die Antwort hierauf hängt vollkommen von der jeweiligen Weltanschauung ab, in ihrer ganzen Bandbreite von Hobbes bis Kant, von Realismus bis Weltoffenheit. Auf der kosmopolitischen Seite des Spektrums argumentiert Beitz, dass „internationale wirtschaftliche Interdependenz ein Prinzip globaler Verteilungsgerechtigkeit ähnlich dem innerstaatlich 372 373 374 375 376 Dieses Kapitel bezieht sich die“Umfrage zu sozialer Sicherung in der EU-Entwicklungspolitik” des Europäischen Entwicklungsberichts, die vor Ort verbreitet wurde. 39 Fragebögen, ausgefüllt von Fachleuten von 10 EU-Gebern (Belgien, Deutschland, der Europäischen Kommission, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Schweden, Spanien sowie dem Vereinigten Königreich), bezogen sich auf 23 Entwicklungsländer im SSA und anderen Gebieten (Afghanistan, Äthiopien, Belarus, Bolivien, Burkina Faso, die Demokratische Republik Kongo, El Salvador, Ghana, Indien, Indonesien, Kambodscha, Kenia, Lesotho, Mali, Mosambik, Nepal, Paraguay, Ruanda, Sambia, Senegal, Tansania, die Ukraine und Vietnam). Mitrany 1975, S. 219. Beitz 1979, S. 172. Hoffmann 1981, S. 141. Rawls 1971. Später stimmte Rawls Beitz’ Auffassung nicht mehr zu und plädierte für eine weitaus restriktivere Anwendung seiner eigenen Theorie über einzelstaatliche Grenzen hinaus (Rawls 1999). E U R O P Ä I S C H E R 99 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 6 angewandten stützt.“377 In einer Welt wechselseitiger Abhängigkeiten sind wirtschaftliche und soziale Kooperationen grenzüberschreitend, sie bringen Nutzen und Lasten mit verteilungsrelevanten Auswirkungen hervor und schaffen eine neue Grundlage für eine internationale Moral. Daher „bestünde die Aufgabe eines Prinzips der Verteilungsgerechtigkeit darin, zu bestimmen, wie eine faire Verteilung dieser Nutzen und Lasten aussehen könnte“.378 Das Rawls’sche Prinzip des „Schleiers des Nichtwissens und der Unterscheidung“ würde so auf die globale Ebene übertragen. In der gegenwärtigen globalen Architektur sind jedoch Autorität, Legitimität und sozialer Zusammenhalt nach wie vor fest im souveränen Nationalstaat verwurzelt - das Konzept einer globalen Umverteilungsbehörde mit eigener dauerhafter Steuergrundlage scheint somit weit entfernt. Aus diesem Grund stellt die Struktur internationaler Hilfe die Keimzelle eines internationalen Steuersystems dar, mit Transfers von Unterstützungsleistungen im Rahmen öffentlicher Entwicklungszusammenarbeit (ODA - official development assistance) in der Art einer „reinen Umverteilung des globalen Einkommens”.379 Aber Umverteilung durch internationale Hilfe findet vorwiegend im zwischenstaatlichen Bereich, nicht zwischen Völkern statt. Ob sie tatsächlich den ärmsten und gefährdetsten Menschen zugute kommt - und so die größten Verteilungsungerechtigkeiten beseitigt - hängt wesentlich von der innerstaatlichen Sozialpolitik ab. Forschungsergebnisse zeigen, dass sich internationale Hilfe mit Blick auf die Verteilung, insbesondere für die ärmsten 10 % der Bevölkerung, nur in geringem Maße gleichheitsfördernd auswirkt.380 Dennoch wird die „geschätzte Wirkung der Umverteilung durch Hilfe vom Ausmaß an Umverteilung, das innerhalb von Ländern mit effektiven Umverteilungsprogrammen stattfindet, in den Schatten gestellt.“381 Insofern sie innerstaatliche Umverteilung unmittelbar fördert und stärkt, könnte internationale Zusammenarbeit für soziale Sicherung - vor allem, wenn sie innovativ über eine Steuer oder einen Fonds finanziert würde - zu einem wichtigen Instrument globaler Verteilungsgerechtigkeit werden. Ihre Auswirkungen blieben jedoch abhängig von Reformen in anderen Politikbereichen wie etwa dem Handel, dem für die Beseitigung der Ursachen zunehmender globaler Verteilungsungerechtigkeit eine entscheidende Rolle zukommt. Auch die wachsende Kluft zwischen den Reichsten und Ärmsten der Welt - 10 % der Bevölkerung verfügen über 85 % des gesamten Reichtums382 - macht internationale Umverteilung durch Hilfe erforderlich, da zunehmende Ungleichheit zu globaler Instabilität und Unsicherheit führen kann. Zur Vermeidung von Rückwirkungen auf eigenes Gebiet (Terrorismus, illegale Migration, Konflikte) haben entwickelte Länder ein durchaus eigenes Interesse daran, Entwicklungsländer auf ihrem Weg zu Erholungsfähigkeit zu unterstützen. Die Förderung von sozialer Sicherung leistet einen Beitrag zu internationaler Stabilität durch Verbesserung des Wohlergehens der ärmsten und gefährdetsten Menschen. Darüber hinaus könnten internationale Partner, wenn sie auf die Kraft Afrikas bauen und soziale Sicherung zum integralen Bestandteil ihrer Entwicklungspolitik machen, eine zuvor versäumte Gelegenheit wahrnehmen und die Früchte verbesserter Entwicklungshilfeleistungen ernten. Nicht in soziale Sicherung zu investieren hat entscheidende negative Auswirkungen vor allem auf die Bereiche Gesundheit, Hungerbekämpfung und Bildung, was in der Folge zu einem Hemmnis für nationales Wirtschaftswachstum wird. Umgekehrt stellt die Förderung von sozialer Sicherung einen wichtigen Faktor zur Beschleunigung des Fortschritts in Richtung auf die Millennium-Entwicklungsziele (MDG) und inklusive Entwicklung dar. Soziale Sicherung ist daher ein zentraler Ansatz für einen „globalen Sozialvertrag“383 zum Nutzen von Gebern und Empfängern. 6.1.1.2 PLÄDOYER FÜR DIE INTERNATIONALE FÖRDERUNG VON SOZIALER SICHERUNG IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA Für die Umsetzung der Empfehlungen der Rahmenbedingungen der Sozialpolitik für Afrika (SPF) - insbesondere der Empfehlungen mit Bezug auf soziale Sicherung - führen afrikanische Partner die Notwendigkeit „technischer und finanzieller Unterstützung“ durch ihre jeweiligen Entwicklungspartner an.384 In erster Linie ist eine „verstärkte Unterstützung durch die Entwicklungspartner für eine langfristig tragfähige Finanzierung von sozialer Sicherung“385 von Bedeutung. Dies gilt vor allem für die SSA-Länder, deren Abhängigkeit von Hilfe 377 378 379 380 381 382 383 384 385 Beitz 1979, S. 144. Ebd., S. 152 und 176. Bourguignon et al. 2009, S. 1. Hilfe kann sowohl als globales Sicherheitsnetz wie auch als Mechanismus zur Umverteilung verstanden werden, indem sie als ein „permanentes Instrument internationaler Regulierung fungiert (Naudet et al. 2007, S. 103). Bourguignon et al., S. 1 und 5. Ebd., S. 5. Ortiz 2007, S. 63. Birdsall 2008. Afrikanische Union 2008, Abschnitt 3.2.5. Ebd., Abschnitt 2.2.3. 100 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Förderung von sozialer Sicherung im subsaharischen Afrika: Von der Geberschaft zur Partnerschaft groß, deren finanzpolitischer Spielraum jedoch gering ist. Wenn die einheimische Wirtschaft nicht stabil genug ist, um Programme für soziale Sicherung zu finanzieren, können Geber eine Ausweitung der eingeschränkten Möglichkeiten bewirken. Gestützt auf die Kostenberechnungen der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) besteht das Potenzial externer Finanzierung von Sozialtransfers a priori allein im Hinblick auf deren Größenordnung: so könnten beispielsweise Kredite über 50 % eines BasisTransferpakets gewährt werden,386 vorausgesetzt allerdings, die Geber leisten die Afrika zugesicherte Hilfe - dies ist in vielen Fällen fraglich387 - und weisen einen beträchtlichen Anteil ihrer Hilfe der sozialen Sicherung zu - dies triff t bislang nicht zu.388 Daher ist langfristige und planbare finanzielle Unterstützung durch die Geber in größerem Umfang erforderlich, um den subsaharischen Ländern Afrikas bei der Bewältigung ihrer Aufgabe, dem wachsenden Bedarf an sozialer Sicherung nachzukommen, zu helfen. Geber können ihre Unterstützung nicht nur über Finanzmittel, sondern auch durch technische Unterstützung, Kapazitätsaufbau und Erfahrungsaustausch leisten. Beim Übergang von der Geberschaft zur Partnerschaft können sie eine auf die spezifischen Bedürfnisse der Partnerländer zugeschnittene Kombination aus Wissenstransfer, technischer und finanzieller Unterstützung bieten und so einen Beitrag zu sinnvoller Förderung leisten. Es ist allerdings mit Nachdruck darauf hinzuweisen, dass die Unterstützung der internationalen Entwicklungspartner - deren Rolle in den Rahmenbedingungen der Sozialpolitik für Afrika entworfen ist - sich stets an den Entwicklungsprioritäten Afrikas (Afrikanische Union, Regionen, Länder und lokale Ebene) orientieren sollte.389 Ideal wäre ein langfristiges, bedarfsorientiertes Engagement der Geber, abgestimmt auf die ländereigenen Strategien und harmonisiert durch gemeinsame Finanzierungsmechanismen. Selbstverständlich weicht die gegenwärtig praktizierte externe Unterstützung für soziale Sicherung erheblich von diesem Szenario ab. 6.1.2 DIE POLITISCHEN BEDINGUNGEN INTERNATIONALER UNTERSTÜTZUNG FÜR SOZIALE SICHERUNG Die Entwicklungspartner verfügen über eine Reihe von Optionen, um ihre Interventionen optimal an die Bedürfnisse der Partnerländer und an ihre eigene Agenda anzupassen. Bislang wurden drei Ansätze bevorzugt: Einrichtung von Pilotprojekten für Sozialtransfers, Budgethilfe und Kapazitätsaufbau. 6.1.2.1 PILOTPROJEKTE FÜR SOZIALTRANSFERS Sozialtransfers wurden von weiten Teilen der Gebergemeinschaft als bevorzugtes politisches Instrument eingesetzt. Bilaterale wie multilaterale Geber haben im SSA eine große Anzahl von Pilotprojekten für Sozialtransfers, vornehmlich als Geldleistungen, unterstützt und finanziert. Viele dieser Projekte werden ausschließlich von Gebern entwickelt, finanziert und umgesetzt (Hunger Safety Net Programme und OVC Cash Transfer in Kenia; Social Cash Transfers in Sambia; Mchinji, Food and Cash Transfer (FACT) und Dowa Emergency Cash Transfers (DECT) in Malawi, usw.), während andere (Productive Safety Net Programme (PSNP) in Äthiopien, Programa Subsidio de Alimentos (PSA) in Mosambik, Livelihood Empowerment Against Poverty (LEAP) in Ghana, Vision 2020 Umurenge Programme (VUP) in Ruanda, usw.) von den Regierungen gesteuert werden und Geberunterstützung erhalten. Eine eindeutige Unterscheidung ist nicht immer möglich, da die Situation sich ändern kann: so basiert z. B. PSA in Mosambik - fast 20 Jahre lang ausschließlich regierungsfinanziert - gegenwärtig auf Geberfinanzierung, um dieses Programm zu stärken und auszuweiten. Aus Sicht der Geber stellen Sozialtransfers ein kosteneffektives und pragmatisches Mittel für eine direkte Ressourcenübertragung an die Armen dar. Die Pilotprojekte kleineren Umfangs sollen überzeugende Belege für die positiven Auswirkungen solcher Transfers erbringen und so Regierungen dazu bewegen, die Finanzierung der Programme zu übernehmen und ihren Wirkungsbereich auf nationaler Ebene auszuweiten. Bekannte Pilotprojekte wie Kalomo in Sambia und Mchinji in Malawi haben erfolgreich zur Bekämpfung der Armut bestimmter Bevölkerungsgruppen beigetragen. Dennoch wurden sie bezeichnenderweise nicht von Regierungen übernommen oder erweitert. Geberfinanzierte Transfers entwickeln sich selten, wenn überhaupt, von befristeten, gebergesteuerten Kleinprojekten mit Modellcharakter zu langfristigen, nationalen Regierungsprogrammen für soziale Vorsorge. Daher sind von außen gesteuerte Pilotprojekte - ohne deren positiven Folgen für das Leben einiger Menschen in Abrede zu stellen - recht problematisch. Zwar dienen sie Geber- und Nichtregierungsorganisationen (NRO) als Vorzeigeprojekte und nützliche Lektion, häufig allerdings schaffen sie lediglich „Zugang zu temporären Inseln international finanzierter Wohlfahrt“, auf Kosten von Eigenverantwortlichkeit und Nachhaltigkeit.390 386 387 388 389 390 Dieser Absatz bezieht sich auf Holmqvist 2010. Siehe Kapitel 1, Abschnitt 1.6.1. Der Umfang der ODA, der für soziale Sicherung bereitgestellt wurde, fällt - soweit festellbar - weiterhin recht gering aus. Nach OECD-Statistiken sind 1,6 % der gesamten DAC-ODA der Kennzahl 1610 (Sozialwesen) des Computerreservierungssystems zugeordnet. Allerdings ist der genaue Anteil, der auf soziale Sicherung entfällt, schwer zu bestimmen; dies gilt umso mehr für das SSA (OECD-POVNET 2010). Siehe Afrikanische Union 2008 und Taylor 2009. Devereux und White 2010. E U R O P Ä I S C H E R 101 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 6 6.1.2.2 BUDGETHILFE Eine andere Option besteht darin, Regierungen allgemeine (an die Umsetzung einer nationalen Entwicklungsstrategie gebundene) Budgethilfe oder sektorspezifische (an die Umsetzung einer sektorspezifischen Strategie gebundene) Budgethilfe zu gewähren.391 Unter dem Aspekt „Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit“ steht Budgethilfe im Einklang mit den Deklarationen von Paris und Accra und erleichtert deren Implementierung. Unter dem Aspekt „Erschwinglichkeit“ könnte sie Regierungen mit angespannter Finanzlage die Mittel zur Erfüllung der Grundversorgung gemäß den Anforderungen der IAO (oder anderer Programme für soziale Sicherung) direkt zur Verfügung stellen. Unter dem Aspekt „Gesellschaftsvertrag“ bietet die Budgethilfe eine sehr gute Chance für Eigenverantwortlichkeit bei Systemen für soziale Sicherung, bei denen die Regierung nicht allein den Gebern, sondern auch ihren eigenen Bürgern gegenüber rechenschaftspflichtig ist. Einige Entwicklungspartner greifen bereits auf Budgethilfe zurück, um soziale Sicherungsprogramme und -systeme im subsaharischen Afrika zu finanzieren. In Mosambik stellen das Entwicklungsministerium des Vereinigten Königreichs (Department for International Development, DFID) und die Niederlande Finanzmittel zur Verfügung, die man als sektorspezifische Budgethilfe bezeichnen kann: die Mittel werden für die Durchführung der PSA-Überweisungen und für den institutionellen Kapazitätsaufbau am Nationalen Institut für Soziale Aktion, das PSA umsetzt, zugewiesen, sowie zu einem kleineren Teil für das Ministerium für Frauen und Soziale Aktion (Ministry of Women and Social Action, MMAS). In Tansania gewährt der Deutsche Entwicklungsdienst (DED) Budgethilfe und beteiligt sich im Rahmen des tansanisch-deutschen Programms zur Zusammenarbeit im Gesundheitssektor am Projekt HealthBASKET. In Ruanda ist die Delegation der Europäischen Union (EU) Teil eines Teams, das derzeit sektorweite Budgethilfe für soziale Sicherung vorbereitet. Budgethilfe ist jedoch kein Allheilmittel. Während sie theoretisch Eigenverantwortlichkeit fördert, „gewährt sie Gebern ein Überprüfungs- und Mitsprache-/Bewertungsrecht in Bezug auf den Gesamthaushalt des Partnerlandes“392 - was angesichts des „wesentlich politischen Charakters des Staatshaushalts“ als direkte Einmischung in die inneren Angelegenheiten aufgefasst werden könnte.393 Darüber hinaus bestehen einige steuerrechtliche Bedenken hinsichtlich der direkten Gewährung von Budgethilfe für die soziale Sicherung, die zu untragbar hohen regelmäßigen Ausgaben führen kann.394 Aspekte der Regierungsführung (governance) und der Verwaltung der öffentlichen Finanzen können, vor allem in „fragilen“ oder „schwierigen“ Ländern, in denen staatliche Institutionen entweder funktionsunfähig oder illegitim sind, ebenfalls eine Rolle spielen.395 Um ihr Versprechen einzulösen, bedarf die Budgethilfe der Absicherung durch einen glaubwürdigen Vertrag für Hilfe, bei dem Finanzierung und Ergebnisse miteinander verknüpft sind. Durch Verlagerung des Schwerpunkts von Inputs auf messbare Ergebnisse stärkt der Ansatz „ergebnisorientiertes Handeln“ eine „Leistungskultur“ mit dem Ziel, die gegenseitige Rechenschaftspflicht zu stärken und Entscheidungsmechanismen zu verbessern. In diesem Bereich zählt die Europäische Kommission zu den Pionieren: bei dem Vertrag über die Millenniumsziele z. B. dienen Ergebnisindikatoren als Basis für die Fortschrittsbewertung und die Freigabe der Auszahlung variabler Teilbeträge.396 Mit dem Ansatz “Cash-on-Delivery”(COD) des Zentrums für globale Entwicklung wurden weitere Schritte zur Verfeinerung des Konzepts „Zahlung für entwicklungspolitische Ergebnisse” unternommen. Kernstück ist ein Vertrag, in dem das beiderseitig gewünschte Ergebnis und eine festgelegte Zahlung nach jeder erreichten Fortschrittseinheit definiert werden. In dem Vertrag geht es nur um Ergebnisse; wie diese Ergebnisse erreicht werden, bleibt den Partnern überlassen. Die Auszahlungen erfolgen nach Lieferung von Ergebnissen und deren unabhängiger Prüfung.397 Darauf aufbauend schlägt Holmqvist die Entwicklung eines CODHilfe-Vertrags für Sozialtransfers als eine potenzielle Verbesserung der Budgethilfe vor. Ein solcher Vertrag würde drei attraktive Merkmale kombinieren: • Eine glaubwürdige lastenverteilende Formel, die langfristig den Partnerländern Planbarkeit und den Gebern eine Ausstiegsstrategie bietet. 391 392 393 394 395 396 397 „Unter Budgethilfe versteht man den Transfer finanzieller Ressourcen durch eine externe Finanzierungseinrichtung an das Finanzministerium eines Partnerlandes, nachdem sich dieses zur Einhaltung der vereinbarten Zahlungsbedingungen verpflichtet hat. Diese Finanzmittel gehen in den Haushalt des Partnerlandes ein und unterliegen dann folglich den Verfahren des Partnerlandes für die Verwaltung der öffentlichen Finanzen. Ausgehend von den verschiedenen Rechtsgrundlagen für die EU-Unterstützung der einzelnen Regionen gewährt die EU lediglich denjenigen Ländern Budgethilfe, die die folgenden drei Förderkriterien erfüllen: Sie müssen über a) eine klar definierte nationale - oder im Falle der sektorbezogenen Budgethilfe sektorspezifische - Politik und Strategie, b) einen stabilitätsorientierten makroökonomischen Rahmen und c) ein glaubwürdiges und geeignetes Programm zur Verbesserung der Verwaltung der öffentlichen Finanzen verfügen oder dabei sein, diese einzuführen. Alle Auszahlungen hängen von der permanenten Einhaltung dieser drei Standard-Förderkriterien („allgemeine Bedingungen“) ab und können auch „besonderen Bedingungen“ in Form von Leistungskriterien und (häufig ergebnisorientierten) Indikatoren in Schwerpunktbereichen unterliegen.” Europäische Kommission 2010 S. 3. Europäische Kommission 2008a, S. 21. Europäische Kommission 2010, S. 8. Penrose 2010. Europäische Kommission 2010, S. 14. Nur wenige Geber gewähren Ländern in Situationen der Fragilität Budgethilfe. Die Europäische Kommission, die Afrikanische Entwicklungsbank, der Internationale Währungsfonds und die Weltbank erstellen derzeit ein gemeinsames Konzept (Common Approach Paper). Gestützt auf Europäische Kommission 2008b; Europäische Kommission 2010 S. 10; OECD 2008b, S. 6-8; Erklärung von Paris über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit „Ergebnisorientiertes Handeln”. Birdsall und Savedoff 2010. Siehe auch: http://www.cgdev.org/section/initiatives/_active/codaid. 102 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Förderung von sozialer Sicherung im subsaharischen Afrika: Von der Geberschaft zur Partnerschaft • Einen Ansatz der Nichteinmischung durch die Geber, bei dem die Eigenverantwortlichkeit der Partnerländer für Planung und Umsetzung respektiert wird. • Klarheit über die durch Hilfsgelder finanzierten Ergebnisse, die den Wählern in Geberländern kommuniziert werden können. Dieser Ansatz würde auf Seiten der Geber ein langfristiges Engagement erfordern, verbunden mit Strategien in Länderverantwortung und harmonisiert durch einen gemeinsamen Finanzierungsmechanismus.398 Kasten 6.2: Wie könnte ein „Cash-on-Delivery”-Hilfe-Vertrag für Sozialtransfers aussehen? Parteien: Land X (das Land) und eine Gruppe von Geberagenturen (die Förderer). Zweck: Das Land hat einen höheren Umfang von Sozialtransfers für bestimmte Zielgruppen als einen wesentlichen Bestandteil seiner Strategie für soziale Sicherung definiert. Zweck dieses Vertrages ist es, diese Ausweitung zu erleichtern. Ziel: Langfristige und vorhersehbare Sozialtransfers sollen Einzelpersonen in Gruppen verfügbar gemacht werden, die durch eine Reihe von Kriterien C (d. h. von dem Land definierte Förderkriterien für verschiedene Arten von Sozialtransfers für: Kinder, Arbeitslose, ältere und behinderte Menschen…) definiert werden. Die Ausweitung bis zum vollen Umfang erfolgt stufenweise; geschätzte Dauer: X Jahre/Jahrzehnte. (Das Leistungsniveau kann sich im Laufe der Zeit und abhängig von der Zielgruppe ändern und bedarf keiner Festlegung in diesem Vertrag; festgelegt wird höchstwahrscheinlich eine Obergrenze.) Ausgangsbasis: Im Jahr X beliefen sich die an die durch die Kriterien C definierten Gruppen geleisteten Sozialtransfers auf XXX USD zum gegenwärtigen Wert. Maßeinheit und Zahlung: Die Förderer verpflichten sich, dem Land jährlich 75 % des Wertes der Sozialtransfers zu zahlen, die im vorangegangenen Jahr über die Ausgangsbasis hinaus geleistet wurden; Voraussetzung ist, dass die Transfers die Einzelpersonen in den durch die Kriterien C definierten Gruppen erreicht haben. Mit der ersten Verlängerung des Vertrages (nach fünf Jahren) wird die Ausgangsbasis jährlich angepasst und entspricht dem Betrag der fünf Jahre zuvor gezahlten Sozialtransfers. Nach Auszahlung durch die Förderer bestehen keinerlei Einschränkungen hinsichtlich der Verwendung der Fördermittel durch das Land. Die Zuteilung der Transfers durch das Land erfolgt ohne jegliche Diskriminierung der potenziellen Nutznießer auf Grund ihrer ethnischen, religiösen oder politischen Zugehörigkeit. Davon abgesehen steht es dem Land frei, bei der Ausweitung auf den angestrebten Umfang Prioritäten zu setzen (Anpassung des Leistungsniveaus, Zielkriterien, Bedingungen, Beginn in bestimmten Untergruppen oder Gebieten). Berichterstattung: Das Land erstattet Bericht über die Anzahl der Nutznießer und das Leistungsniveau in einem Format, das die Prüfung der Validität der Informationen erleichtert. Die Berichte sollten der Öffentlichkeit zugänglich sein. Prüfung: Ein unabhängiger Prüfer wird den Bericht an Hand von Stichproben bewerten. Der Prüfer bewertet auch, ob das Verfahren der Transferlieferung in irgendeiner Form durch systematische Diskriminierung, die im Rahmen dieses Vertrages nicht statthaft ist, beeinträchtigt wurde. Laufzeit: Die Vertragslaufzeit beträgt fünf Jahre in der Erwartung, dass der Vertrag in Abständen von fünf Jahren erneuert wird. Andere mögliche Bedingungen: • Begrenzung des Leistungsniveaus: das Leistungsniveau darf gewisse festgelegte Obergrenzen nicht unterschreiten. • Begrenzung der jährlichen Auszahlung durch die Förderer. • Mehr Großzügigkeit in der Anfangsphase durch Finanzierung eines geringeren Anteils von Sozialtransfers unterhalb der Ausgangsbasis in den ersten X Jahren. 6.1.2.3 KAPAZITÄTSAUFBAU, TECHNISCHE UNTERSTÜTZUNG UND DIALOG Bei der Entwicklung und Umsetzung von Programmen und Systemen für soziale Sicherung sind die Partnerländer des SSA häufig nicht nur finanziellen Beschränkungen ausgesetzt, sondern auch Beschränkungen hinsichtlich ihrer technischen und personellen Kapazitäten. Entwicklungspartner können durch Kapazitätsaufbau, technische Unterstützung, politische Empfehlungen sowie durch Erfahrungsaustausch über eigene Erfolge und Misserfolge schwerpunktmäßig Unterstützung leisten. Die Förderung von nationalem Kapazitätsaufbau stellt eine unverzichtbare Investition in langfristige Nachhaltigkeit dar und ist entscheidend für die Sicherstellung 398 Holmqvist 2010. E U R O P Ä I S C H E R 103 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 6 des Funktionierens der Programme und Systeme nach dem Rückzug der internationalen Unterstützung.399 Der Kapazitätsaufbau umfasst eine Vielzahl von Aktivitäten unter Einbindung einer Reihe von Akteuren (Ministerien, Regierungsinstitutionen auf zentraler und dezentraler Ebene, Gemeinschaften, NRO und die akademische Welt). In dieser Hinsicht spielt die IAO eine zentrale Rolle, da „die Stärkung der Kapazität der Hauptbeteiligten Ziel der Abteilung Soziales und Sicherheit der IAO ist.“400 Dieses Ziel wird durch die Leistung technischer Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen erreicht, von politischen und rechtlichen Empfehlungen zur Konzipierung von Programmen und Strategien für soziale Sicherung über versicherungstechnische und finanzielle Beratungsdienste (versicherungstechnische Prüfungen und Modelle, Aufstellung von Sozialhaushalten, Kostenbewertungen) bis hin zu Prüfungen der nationalen Ausgaben und Leistungsfähigkeit im Bereich soziale Sicherung und Schulungen im IAO-Zentrum in Turin. Auch andere Entwicklungspartner investieren in Kapazitätsaufbau, sei es zur Erfüllung spezifischer Anforderungen durch die Partnerländer (im Falle technischer Unterstützung oder politischer Empfehlungen)401 oder als institutionalisierter Bestandteil eines Programms (wie beispielsweise das PSNP). In Mosambik leisten die Entwicklungspartner, die PSA unterstützen, institutionellen Kapazitätsaufbau und technische Unterstützung in vielen unterschiedlichen Bereichen, darunter Stärkung von Kapazitäten des treuhänderischen Risikomanagements, Informationsverwaltungssysteme, Monitoring und Evaluierung, Kompetenzbildung sowie Entwicklung einer faktengesicherten Grundlage.402 Bestandteil des Ubudehe-Projekts in Ruanda ist der Kapazitätsaufbau für das Personal dezentralisierter Einheiten und Vertreter lokaler Gemeinschaften.403 Nichtregierungspartner können ebenso einen Beitrag leisten. Die Universität Maastricht z. B. hat eine Partnerschaft mit der Universität von Sambia und dem Ministry of Community Development and Social Services abgeschlossen, um Beratung für die Entwicklung von Schulungen zu sozialer Sicherung sowie zu Fortbildungen für Technokraten und politische Entscheidungsträger anzubieten, mit dem Ziel, kurzfristige wie auch langfristige Kapazitäten aufzubauen.404 In den letzten Jahren wurde im Rahmen der Entwicklung des „South-South learning” ein „innovativer Ansatz für den Kapazitätsaufbau für Partnerregierungen“ geschaffen.405 Chile beteiligt sich durch internationale Zusammenarbeit am Erfahrungsaustausch,406 während Indien, Brasilien und Südafrika „verbesserte technische Zusammenarbeit und den Transfer von Sozialtechnologie“ für Afrika in Betracht ziehen.407 Brasilien hat Ghana bereits bei der Konzipierung von LEAP unterstützt. Es hat im Rahmen des afrikanisch-brasilianischen Kooperationsprogramms für soziale Entwicklung außerdem "South-South learning" mit Guinea Bissau, Mosambik, Nigeria, Sambia und Südafrika gefördert. Jüngste Veranstaltungen wie die Global South-South Development Expo, die Policy Dialogue und eine Veranstaltung im Rahmen des "South-South Learning" über langfristigen sozialen Schutz für inklusives Wachstum sowie der Start des Internetportals "South-South Learning on Social Protection Gateway" sind deutliche Belege für die wachsende Bedeutung des Süd-Süd-Dialogs.408 Dialog ist auch wesentliches Element für den Aufbau einer starken Partnerschaft, für Erfahrungsaustausch und die Stärkung des politischen Willens auf beiden Seiten. Er kann auf bilateraler oder multilateraler, formeller oder informeller Ebene stattfinden, im Rahmen thematischer Arbeitsgruppen oder auf einer höheren politischen Ebene. Die EU unterscheidet zwischen politischem Dialog (über Regierungsführung (governance) und deren Grundprinzipen) und strategischem Dialog (über die Rolle von Bedingungen und ihre Verknüpfung mit Leistung und Ergebnissen).409 Beide ergänzen sich und sind notwendig, um die Agenda für soziale Sicherung voranzubringen, und gewährleisten die gegenseitige Rechenschaftspflicht. 6.1.2.4 INNOVATIVE BEDINGUNGEN FÜR UNTERSTÜTZUNG ALS PERSPEKTIVE410 Geber könnten auch eine größere Rolle bei der Finanzierung der hohen Anlaufkosten bei der Einrichtung landesweiter Programme zur sozialen Sicherung spielen. Dazu zählen nationale Identifikationssysteme (wie Smartcards), Bereitstellungsmechanismen 399 400 401 402 403 404 405 406 407 408 409 410 OECD 2009, S. 30. Website der SEC/SOC: http://www.ilo.org/public/english/protection/secsoc/areas/index.htm. Die kenianische Regierung ist sehr an Expertenwissen interessiert, aber auch am Aufbau eigener Kapazitäten. Für gewöhnlich wird ein Regierungsbeamter für die Zusammenarbeit im Bereich der technischen Unterstützung (Umfragen) abgestellt. ERD-Umfrage. Entwicklungspartner: DFID, Botschaft des Königreichs der Niederlande, ILO, UNICEF. ERD-Umfrage. Die EU zählt zu den Hauptunterstützern des Programms. MCDSS, “Capacity building”: http://www.mcdss.gov.zm/capacity_building.php. OECD 2009, S. 30. Siehe http://www.fosis.cl/ “Cooperacion internacional”. In Mosambik leistet der Fondo de Solidaridad e Inversion Social Kapazitätsaufbau für das Ministerium für Frauen und soziale Aktion (MMAS). Gemeinsam wird eine auf dem „Programma Puente” basierende Pilotinitiative entwickelt. IPC-IG 2010, S. 5 Die Expo (http://www.southsouthexpo.org/) fand im November 2010 in Genua statt, Gateway (http://south-south.ipc-undp.org/) wurde im Oktober 2010 im Rahmen der Veranstaltungen Policy Dialogue und South-South Learning in Johannesburg (http://pressroom.ipc-undp.org/about/3-day-workshop-on-social-protection/) gestartet. Europäische Kommission 2010, S. 9. Wir sind Nicholas Freeland für seine Anregungen zu diesen Themen zu Dank verpflichtet. 104 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Förderung von sozialer Sicherung im subsaharischen Afrika: Von der Geberschaft zur Partnerschaft (durch den Einsatz von Point of Sale-Geräten im Einzelhandel oder durch Telekommunikations- und Mobiltelefonanbieter) sowie unabhängiges Monitoring und Evaluierung. Dies alles könnte entscheidende und weitreichende Auswirkungen haben. So könnten Identifikationssysteme für andere Zwecke (Patientenakten, Wählerverzeichnisse, Führerscheine etc.) verwendet werden, Point of Sale-Geräte würden den Einzelhandel stärken, und Telekommunikation würde die Kommunikation und Marktinformation verbessern. Die Einbeziehung der Privatwirtschaft in Bereichen, in denen dies vergleichsweise vorteilhaft ist, könnte Einschränkungen der Regierungskapazität verringern. Die Verbesserung von Monitoring und Evaluierung würde lokale Forschungskapazitäten und die Qualität der Debatte stärken, unabhängige Evaluierungen vor allem die Glaubwürdigkeit der Programme und das Vertrauen in sie. Innovative Methoden wie beispielsweise Randomisierung könnten hinzugezogen werden, um die Effektivität verschiedener Konzepte, Programme und Maßnahmenpakete zu prüfen (Kasten 6.3). Kasten 6.3: Randomisierte Kontrollversuche und Programme zur sozialen Sicherung In den letzten zehn Jahren sind randomisierte Kontrollversuche (Randomised Control Trials, RCT) zu einem integralen Forschungsinstrument für Entwicklungsökonomen geworden, um die Effektivität von Sozialprogrammen zu untersuchen. Die Wirkung eines Programms auf eine Bevölkerung zu verstehen bedeutet, Antworten zu finden auf die Fragen: Wie wäre es Personen, die an einem Programm teilgenommen haben, ohne das Programm ergangen? Wie wäre es Personen, die nicht an einem Programm teilgenommen haben, bei einer Teilnahme ergangen? Der RCT-Ansatz beruht auf der zufallsgesteuerten Zuordnung von Personen zu Behandlungs- bzw. Kontrollgruppen. Die randomisierte Zuordnung behandelter Personen ermöglicht, zu einer Einschätzung der Wirkung des Programmes auf das Ergebnis ohne systematische Verzerrung (Bias) zu gelangen. Kremer und Miguel411 bewerteten den Effekt von in Schulen verabreichten Entwurmungsmitteln auf die Bildungsergebnisse. Sie konnten belegen, dass Entwurmung den Schulabsentismus an den teilnehmenden Schulen um 25 % verringerte. Darüber hinaus verbesserte die Behandlung den Gesundheitszustand und die Teilnahme am Unterricht bei den unbehandelten Schülern erheblich. Das Programm ist kostengünstiger als alternative Arten zur Förderung der Unterrichtsteilnahme und wird derzeit in Indien, Kenia, Madagaskar und Tansania ausgeweitet. Kremer, Miguel und Thornton412 untersuchten die Wirkung eines Programms zur Vergabe von Leistungsstipendien (Merit Scholarship) in Kenia: den Mädchen, die am Ende der 6. Klasse gute Prüfungsergebnisse erzielten, wurde das Schulgeld gezahlt und sie erhielten in den folgenden zwei Jahren einen Zuschuss für Lernmittel. Die Ergebnisse zeigen, dass stipendienberechtigte Mädchen deutlich bessere Ergebnisse bei Prüfungen erzielten. Die Untersuchung liefert auch Belege für positive externe Effekte: Mädchen mit niedrigem Leistungsstand vor der Untersuchung und geringen Aussichten auf ein Stipendium verbesserten im Untersuchungszeitraum ihre Leistungen an den teilnehmenden Schulen. Mit RCT wurden auch Evaluierungen im Bereich der Gesundheitsfürsorge durchgeführt. Dupas und Cohen413 untersuchten die Auswirkung der Verteilung von mit Antimalaria-Insektiziden behandelten Moskitonetzen (insecticide-treated nets, ITNs) auf die Anzahl der Neuerkrankungen bei Malaria. Sie randomisierten den Preis, zu dem Pränatalkliniken die ITNs an schwangere Frauen verkaufen konnten. Entgegen der Annahme, dass eine Kostenbeteiligung die Verschwendung von Ressourcen an diejenigen, die das Produkt nicht nutzen, verringert, erwies sich, dass Frauen, die die ITNs kostenlos erhielten, diese mit der gleichen Wahrscheinlich nutzten wie Frauen, die für sie zahlten. In seinem jüngsten Projekt informierte Dupas414 Teenager in Kenia nach dem Zufallsprinzip über das Risiko einer HIV-Infektion, bezogen auf das Alter des Partners. Mit der Kampagne wurde die Teenage-Schwangerschaft in der Gruppe der teilnehmenden Mädchen um 28 % reduziert - ein Hinweis auf die Quote von ungeschütztem Sex. Karlan und Zinman415 untersuchten, ob ein erhöhter Zugang zu Krediten zur Konsumförderung den Kreditnehmern hilft, insbesondere in Fällen, in denen an Verbraucher mit höherem Risiko vergebene Darlehen zu hohen Zinsen verlängert werden. Sie fanden heraus, dass 26 % der untersuchten Haushalte einen höheren Lebensmittelkonsum angaben, was einen positiven Effekt von Krediten bei kurzfristigen Ausgaben nahelegt. 411 412 413 414 415 Kremer und Miguel 2010. Kremer et al. 2009. Dupas und Cohen 2010. Dupas 2009. Karlan und Zinman 2010. E U R O P Ä I S C H E R 105 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 6 Fazit: es bestehen vielfältige Möglichkeiten der Unterstützung, die sich in einem geeigneten und maßgeschneiderten „Paket“ gegenseitig ergänzen sollten. Unterstützung zu leisten ist allerdings ein heikles Geschäft: Beratung z. B. kann als Zwang, Dialog als Monolog wahrgenommen werden. Ungeachtet der erheblichen bereits unternommenen Anstrengungen „war der Erfolg bis heute nicht einheitlich“,416 vor allem weil externe und interne Akteure häufig uneinig sind. Daher ist es wichtig, aus Fehlschlägen, Schwierigkeiten und kleinen Erfolgen bei der Überwindung von Differenzen zu lernen. 6.2 LERNERFAHRUNGEN BEI DER UMSETZUNG 6.2.1 VERFEHLTES GEBERENGAGEMENT UND UNSTIMMIGKEITEN417 Unstimmigkeiten zwischen Gebern und Regierungen in den letzten zehn Jahren werfen ein Licht auf die zum Teil erhebliche Kluft zwischen ihren jeweiligen Präferenzen, Prioritäten und Handlungsspielräumen. So haben mehrere Regierungen im subsaharischen Afrika sich jüngst in größeren staatlich gelenkten Initiativen engagiert, um eher externe (finanzielle oder technische) Unterstützung zu vermeiden als geberinitiierte Programme zu fördern, die hinsichtlich ihrer Erfordernisse und Prioritäten als weniger angemessen wahrgenommen wurden. In Lesotho und Swasiland wurde 2004 bzw. 2005 ein staatliches Rentensystem eingeführt. Diesen in den Ländern selbst entwickelten Initiativen standen die Geber zunächst ablehnend gegenüber - sie plädierten stattdessen für finanzielle Nothilfe in der Zeit nach der Dürrekatastrophe. Das Rentensystem wird jetzt als Erfolg gefeiert, weil es von Regierung und Bürgern umgehend angenommen und - gegenüber den geberorganisierten Programmen - als „politisch positiv bewertet“418 wurde. Die Regierungen von Malawi und Sambia entschieden sich mit dem „Input Subsidy Programme” (Malawi) und dem „Targeted Food Security Pack“ sowie dem „Fertilizer Support Programme” (Sambia) für Investitionen in landwirtschaftliche Produktionsmittel, um auf lokaler und nationaler Ebene Ernährungssicherheit durch Förderung kleinbäuerlicher Produktion zu erreichen. In Malawi führte die Regierung 2005 erneut Subventionen für Düngemittel und Maisanbau ein, nachdem internationale Partner empfohlen hatten, diese Subventionen einzustellen.419 Zielgruppe des „Input Subsidy Programme“ waren nicht die ärmsten Teile der Bevölkerung, sondern arme Bauern, die zumindest ein Stück Land und die Fähigkeit besaßen, es zu bearbeiten, sodass sie für ihre Investition mit einem sicheren Ergebnis in Form höherer Getreideerträge rechnen konnten. Das Programm wurde vollständig von der Regierung finanziert und organisiert. Auf Seiten der Geber gab es große Widerstände; sie entschieden sich stattdessen für die Umsetzung und Unterstützung der Programme für Sozialtransfers Mchinji, FACT und DECT.420 Das Subventionsprogramm wurde schließlich aufgrund starker Unterstützung durch Politik und Bevölkerung als Erfolg gewertet, während die Transfers sich als effektiv erwiesen, aber keine Unterstützung im Land selbst finden konnten.421 Internationale Partner unterstützten gelegentlich die Subventionsprogramme, obschon diese Art „produktiver“ Interventionen nicht dem von ihnen geförderten konventionellen Portfolio von Instrumenten zur sozialen Sicherung entspricht. Die Lernerfahrung aus diesen vier Beispielen liegt auf der Hand: soziale Sicherungsprogramme sollten aus politischen Entwicklungen im Land selbst hervorgehen und die politische Agenda und die Prioritäten vor Ort widerspiegeln - auch wenn diese nicht der „landläufigen Meinung“ entspricht - anstatt „per Fallschirm“ von außen ins Land gebracht zu werden. Es sei noch einmal betont: aus Geberinitiativen werden selten Regierungsinterventionen. 6.2.2 PILOTPROJEKTE, AUSWEITUNG UND NACHHALTIGKEIT422 Eine genauere Betrachtung des Falls Sambia zeigt, dass das Land eine Ausnahme von der Regel werden könnte. Im Jahr 2004 wurde im Distrikt Kalomo ein Programm für Sozialleistungen durch Geldtransfers (Kalomo District Social Cash Transfer Scheme) eingeführt mit finanzieller und technischer Unterstützung im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (GDC) und durch Care International. Es wurde dann auf fünf Pilotprojekte erweitert und wird im Diskurs (der Geberländer) über soziale Sicherung weithin gefeiert. Kalomo kann als Erfolgsgeschichte präsentiert werden. Die Regierung zog es allerdings vor, die begrenzten einheimischen Ressourcen ihren eigenen Programmen zuzuweisen statt die Verantwortung für die Pilotprojekte zu übernehmen und diese auszuweiten. Die Geber fanden im Ministerium für Kommunale Entwicklung und Soziale Dienste (Ministry of Community Development and Social Services, MCDSS) einen Verbündeten, mussten sich jedoch mit hartnäckigem Widerstand von Seiten des Ministeriums für Finanzen und Nationale Planung 416 417 418 419 420 421 422 Devereux et al 2010. Dieser Abschnitt bezieht sich auf die vom ERD in Auftrag gegebenen Arbeiten von Adesina, Devereux und McCord. Siehe dazu die Lesotho-Fallstudie in Kapitel 5; Devereux 2010. 1987 erzwangen internationale Finanzinstitutionen die Aufgabe des „Fertiliser Subsidy”-Programms, mit fatalen Folgen. Ende der 1990er Jahre wurde von einer Gebergruppe „Starter Packs“ eingeführt, das 2002 auf das „Targeted Input Programme” reduziert und 2004 aufgegeben wurde (Devereux und White 2010). FACT wurde 2005-2006 durchgeführt, DECT 2006-2007. Devereux und White 2010, S. 58-59. Dieser Abschnitt bezieht sich auf Erfahrungen von DFID- und Irish Aid-Beratern in Sambia (ERD-Umfrage). 106 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Förderung von sozialer Sicherung im subsaharischen Afrika: Von der Geberschaft zur Partnerschaft (Ministry of Finance and National Planning, MOFNP) auseinandersetzen. Gründe hierfür waren Bedenken hinsichtlich der Entstehung von Abhängigkeit und mangelnder Nachhaltigkeit sowie eine Präferenz für produktivere Investitionen. In den letzten Monaten fanden jedoch verstärkt Gespräche im Zusammenhang mit dem Fünften und Sechsten Nationalen Entwicklungsplan statt, und das MOFNP hat damit begonnen, die Pilotprojekte „einzukaufen”. DFID und Irish Aid entsprachen einem Regierungsantrag und führten eine umfangreiche mittelfristige Mittelbindung ein, die die Finanzierung der Pilotprojekte für zehn Jahre absichert. Dies hat einen Wandel in der Haltung der Regierung bewirkt und zur Entwicklung eines mittelfristigen Finanzplans geführt, bei dem die Finanzierung durch die Regierung stufenweise anwächst, um nach Auslaufen der Geberfinanzierung den Großteil der Programmkosten abzudecken. Durch Bereitstellung von Finanzmitteln und Leistung von Kapazitätsaufbau werden DFID, Irish Aid, IAO, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen (UNICEF) und jetzt auch Finnland das Programm zur Ausweitung der sozialen Sicherung unterstützen und begleiten.423 Der Fall Sambia zeigt, dass ein glaubwürdiges, erweitertes Engagement auf Seiten der Geber positive Auswirkung auf die Bereitschaft der Regierung haben kann, die mit der Übernahme von Pilotprojekten für Geldtransfers verbundenen zukünftigen finanziellen Verpflichtungen zu tragen. Zum jetzigen Zeitpunkt lässt sich allerdings noch nicht sagen, ob hier das allzu seltene Beispiel eines geberinitiierten Pilotprojekts vorliegt, das stufenweise in Regierungsverantwortung übergeht. 6.2.3 KONSENSBILDUNG ZWISCHEN GEBERN UND REGIERUNG Im Hinblick auf das Verhältnis von Gebern und Regierung sind die Erfahrungen aus dem Projekt zur Verbesserung der Ernährungssicherheit (Productive Safety Net Programme, PSNP) in Äthiopien äußerst wertvoll. Das Projekt wird zum größten Teil (mehr als 90 %) von einer Gruppe externer Partner finanziert,424 es wird vollständig durch die Regierung umgesetzt und wurde gemeinsam von beiden Seiten entwickelt. Als solches bietet es „ein lebendiges Beispiel für die Chancen und Herausforderungen, die sich für Geber und Regierungen bei ihrem Bemühen um Konsens bei der sozialen Sicherung ergeben.“ 425 Während zu Beginn alle Partner aus unterschiedlichen Motiven im Hinblick auf die Notwendigkeit des Programms einer Meinung waren, war die Phase der Umsetzung durch Unstimmigkeiten belastet. In der Gruppe der Geber gingen die Ansichten über Nahrungsmittelleistungen, konditionierte Geldleistungen (Conditional Cash Transfers, CCTs) versus nicht konditionierte Geldleistungen (Unconditional Cash Transfers, UCTs) oder über „Anspruch“ versus „produktive Merkmale“ auseinander.426 Trotz aller Schwierigkeiten einigten sich die Geber schließlich auf wichtige „rote Linien”, die wiederum zu erheblichen Unstimmigkeiten mit der Regierung führten. Es entstanden zwei Hauptbereiche der Divergenz. Zum einen wollte die Regierung das PSNP sofort im großen Maßstab starten und durch ihre eigenen Strukturen umsetzen, während die Geber ein Rollout in Phasen mit umfassender Einbindung von NRO favorisierten. Zum anderen plädierten die Geber für UCTs, während die Regierung auf CCTs als Gegenleistung für staatliche Beschäftigungsprogramme beharrte und eher für „produktive“ Merkmale als für „Wohlfahrt“ plädierte.427 Das PSNP war letztlich das Ergebnis eines hochgradig politischen Verhandlungsprozesses, bei dem es der Regierung gelang, ihre Vision (breit angelegter Start, Umsetzung durch ihre Strukturen) durchzusetzen und gleichzeitig Kompromisse zuzulassen - das PSNP ist zu 80 % an staatliche Beschäftigungsprogramme gebunden, 20 % sind nicht-gebunden - sowie die Befürchtungen der Geber durch die Einrichtung einer speziellen Haushaltslinie für zweckgebundene Mittel zu zerstreuen. Die internationalen Partner ihrerseits gründeten eine Gebergruppe und entwickelten starke Koordinierungsmechanismen, um „ihre individuellen Stimmen zugunsten der Gemeinschaft zu unterdrücken.“ 428 Das Resultat ist ein landeseigenes Programm, das von externen Partnern (durch Ressourcenbündelung und langfristige Finanzierung) gefördert wird, die auch technische Unterstützung und Kapazitätsaufbau aus einer Hand leisten. Das PSNP stellt nicht nur für sich betrachtet eine Errungenschaft dar, es hat auch die soziale Sicherung in Äthiopien verstärkt und die Grundlagen für einen fruchtbaren (wenn auch bisweilen kontroversen) Dialog zwischen Partnern unter starker Führung durch die Regierung geschaffen. Die Regierung hat 2009 eine nationale Plattform für soziale Sicherung entwickelt und eingerichtet, und der Plan für Wachstum und Umwandlung für den Zeitraum 2011 bis 2015 soll die Veränderungen im System der sozialen Absicherung als Priorität signalisieren.429 Auch wenn die Ergebnisse dieser jüngsten Entwicklung noch nicht vorliegen, könnte das PSNP den ersten Schritt eines stufenweisen Übergangs zu einem erweiterten sozialen Sicherungssystem bedeuten, dass von der Regierung gesteuert und durch internationale Partner unterstützt wird.430 423 Die finnische Unterstützung wurde November 2010 gebilligt (siehe Anhang). EU, Weltbank, USAID, WEP, DFID, Sida, Irish Aid, die Niederlande, CIDA. 425 IDL, S. 4. 426 Gebru et al. 2010, S. 335. Auf Grund seiner engen Zusammenarbeit mit der Regierung und seinem Ansatz „Vorrang für Nahrung“ waren die Beziehungen zwischen dem Welternährungsprogramm und anderen internationalen Partnern häufig angespannt (ebd., S. 341). 427 Devereux und White 2010, S. 67. 428 Gebru et al., S. 335. 429 Bestandteil der ERD-Fragebögen, die von Beratern der EU, des DFID, der Irish Aid und der SIDA ausgefüllt wurden. Es scheint, dass das Sytem der sozialen Absicherung allein den formalen Sektor abdecken soll. 430 Es sollte allerdings berücksichtigt werden, dass in einem von Human Rights Watch veröffentlichten Bericht das PSNP ausdrücklich als ein Programm bezeichnet wird, das „durch politische Vereinnahmung gefährdet” ist und instrumentalisiert wird, um politische Gegner zu diskriminieren und die politische Kontrolle zu stärken. (Human Rights Watch 2010). 424 E U R O P Ä I S C H E R 107 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 6 6.2.4 UNTERSTÜTZUNG DER SYSTEME DER SOZIALEN SICHERUNG Im Hinblick auf das am Anfang dieses Kapitels skizzierte „ideale“ Szenario stellt die Unterstützung von Partnerländern bei ihren Anstrengungen, eigene umfassende Strategien zur und Systeme der sozialen Sicherung aufzubauen, den angemessensten Ansatz dar. Er umfasst eine Kombination der verschiedenen, auf die Bedürfnisse des jeweiligen Landes zugeschnittenen und vor allem an die politischen Entwicklungen im Land und deren Prioritäten angepassten Modalitäten für Hilfe. Dies bleibt meist ein erstrebenswertes Ideal, dessen Verwirklichung entscheidend vom eigenen Engagement der Partnerländer abhängt. Allerdings zeichnet sich in einigen wenigen Ländern ein Wandel in diese Richtung ab. Ein gutes Beispiel hierfür ist Ruanda auf seinem Weg zu einem umfassenden sozialen Sicherungssystem.431 Es scheint, dass in den letzten Jahren das starke Engagement der Regierung sinnvoll ergänzt worden ist durch einen echten Dialog mit den Entwicklungspartnern und durch deren Unterstützung für im Land entwickelte Programme wie „Vision 2020 Umurenge“ (VUP) und „Ubudehe“, ein Programm zur Armutsbekämpfung auf kommunaler Ebene. Im Rahmen dieses Dialogs haben die Entwicklungspartner einen Beitrag zur Vorbereitung der Nationalen Strategie für soziale Sicherung geleistet, die den Kurs einer zukünftigen Partnerschaft für soziale Sicherung mit der Regierung absteckt. Die Strategie sieht insbesondere die Umsetzung „verstärkter Koordinierungsmechanismen“ vor, die von den Entwicklungspartnern regelmäßige Berichterstattung an die Bezirksbehörden über ihre Maßnahmen zur sozialen Sicherung verlangt, um deren Übereinstimmung mit den Prioritäten des Bezirks sicherzustellen. Auf nationaler Ebene sieht die Strategie die Entwicklung eines „sektorweiten Finanzierungsmechanismus“ vor, der „gewährleistet, dass Finanzierungen mit den Prioritäten der Regierung übereinstimmen, und der Gebern ein Engagement im gesamten Sektor ermöglicht.“ 432 Die Regierung und ihre Entwicklungspartner entwerfen gegenwärtig eine Absichtserklärung über sektorale Budgethilfe für soziale Sicherung - ein Zeichen für die Qualität der Partnerschaft auf Ruandas Weg zu einem sozialen Sicherungssystem.433 Ruanda ist jedoch kein Einzelfall. Die Nationale Strategie für soziale Sicherung (National Social Protection Strategy, NSPS) und LEAP „gingen aus der Partnerschaft und dem Dialog mehrerer Jahre hervor“,434 nicht nur mit den traditionellen Entwicklungspartnern der „Arbeitsgruppe Gefährdung und sozialer Ausschluss“, sondern auch mit Partnern aus dem Süden (Brasilien, Sambia, Südafrika und die Türkei), die Fachwissen und Unterstützung lieferten. In Mosambik bieten die kürzlich beschlossene Nationale Strategie für Grundlegende Soziale Sicherung 20102014 und die mit dem Strategiepapier zur Armutsbekämpfung befasste „Arbeitsgruppe für soziale Belange“ einen stabilen Rahmen, „um gemeinsame Strategien zur Förderung der Agenda für die Ausweitung der grundlegenden sozialen Sicherung festzulegen.“ 435 In Burkina Faso unterstützen Entwicklungspartner die Regierung auf ihrem Weg zu einer nationalen Politik der sozialen Sicherung.436 In Uganda haben DFID, Irish Aid und UNICEF in einer fünfjährigen koordinierten Partnerschaft das kürzlich gestartete „Programm zur Ausweitung der sozialen Sicherung“ (Expanding Social Protection, ESP) unterstützt, um „einen kohärenten und realisierbaren nationalen strategischen fiskalischen Rahmen für soziale Sicherung“ zu entwickeln und umzusetzen.437 Alle diese Erfahrungen - seien es Erfolgsgeschichten oder Fehlschläge - lassen sich zu einer grundlegenden Lernerfahrung zusammenfassen: internationale Unterstützung für die soziale Sicherung funktioniert dann besser, wenn sie die lokalen Anstrengungen und Initiativen ergänzt, statt sie zu verdrängen. Nachhaltigen Erfolg kann es nicht ohne ein hohes Maß an Eigenverantwortlichkeit in den Ländern selbst geben, die - falls erforderlich und wo immer dies möglich ist - durch koordinierte und angepasste Hilfe von Entwicklungspartnern unterstützt werden. Um dies zu erreichen, sollte die Gebergemeinschaft ihre Politik stärker reflektieren und die anstehenden Herausforderungen bewältigen. 6.3 HERAUSFORDERUNGEN FÜR DIE GEBERGEMEINSCHAFT 6.3.1 UNTERSTÜTZUNG OHNE DRUCK: EIGENVERANTWORTLICHKEIT UND NACHHALTIGKEIT 6.3.1.1 DIE UNSCHARFEN GRENZEN ZWISCHEN GEBERUNTERSTÜTZUNG, EINFLUSSNAHME UND EINMISCHUNG438 Die Intervention von Gebern durch Hilfe ist problematisch, gleichgültig in welchem Bereich sie erfolgt. Geber und Partnerländer haben oft unterschiedliche und manchmal gegensätzliche Prioritäten und Präferenzen. Bei der Planung beispielsweise haben Geber häufig 431 432 433 434 435 436 437 438 Siehe Kapitel 5. Dieser Absatz beruht auf der Nationalen Strategie für Soziale Sicherung (Entwurf Mai 2010) und auf der Beantwortung des ERD-Fragebogens durch drei EU-Berater vor Ort (COM, DFID, GTZ). Regierung von Ruanda, MINALOC 2010, § 4.4 und § 6.2. In seiner Einführung zur Ersten Nationalen Beratung der Gesellschaft Ruandas zu souialer Sicherung (20. Oktober 2010) dankte der Vertreter der Regierung von Ruanda „den Entwicklungspartnern, die ohne Ausnahme die Arbeit ihrer Institutionen an den Visionen der Regierung ausgerichtet haben.“ ERD-Umfrage. Mausse und Cunha 2010. Siehe Kasten 1.5. und http://sites.google.com/site/protectionsocialeauburkinafaso/. Offizielle Website des ESP : http://www.socialprotection.go.ug/. Das ESP wurde im September 2010 gestartet. Schwerpunkt zu Beginn sind zwei Sozialtransfers: „Old Age Grant” für ältere Menschen und „Vulnerability Family Support Grant” für gefährdete Familien; beide wurden gemeinsam von DFID und Irish Aid finanziert, mit technischer Unterstützung durch UNICEF und die Weltbank. Dieser Abschnitt bezieht sich auf ERD-Hintergrunddokumente (Adesina, Hickey, Holmqvist, McCord). 108 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Förderung von sozialer Sicherung im subsaharischen Afrika: Von der Geberschaft zur Partnerschaft entsprechend ihres institutionellen Auftrags und ihrer Programmschwerpunkte für die Unterstützung verschiedener Zielgruppen darunter vor allem ältere Menschen, Kinder und die ärmsten 10 % der Bevölkerung - plädiert. Diese Präferenzen müssen nicht immer mit den Prioritäten im Land selbst übereinstimmen, wie der Fall Malawi zeigt, das den potentiell produktiven Rand der Bevölkerung bevorzugt. Entwicklungsakteure mit einem einzigen Schwerpunktthema (Alter, Gender, Hunger, Arbeit) erbringen fortwährend Beweise, um ihr Engagement zu stützen - sie betonen häufig den „geringen“ Anteil am BIP, den ein Programm zur Bewältigung der Aufgaben des von ihnen gewählten Themas ausmachen würde - und um Regierungen deren Mangel an „politischem Willen" vorzuwerfen. Geber und Regierungen operieren auch unter unterschiedlichen zeitlichen Beschränkungen. Für den Aufbau der politischen Unterstützung für soziale Sicherung braucht ein Land Zeit, genauso wie für die Debatten und Verhandlungen, um eine gemeinsame Vision sowie für alle Akteure annehmbare Kompromisse zu vereinbaren. Die Veränderung kann nur stufenweise erfolgen wie in den Ländern, die heute fortschrittliche Systeme der sozialen Sicherung vorweisen. Geber hingegen können unter dem Druck stehen, kurzfristige Ausgabenziele erfüllen und sichtbare Erfolge erzielen zu müssen. Daher könnten Geber, die sich aktiv an der Förderung der sozialen Sicherung beteiligen, versucht sein, die Agenda in einem zu schnellem Tempo voranzubringen, auf Kosten eines stabilen Impulses und sozialen Vertrages für das Land. Soziale Sicherung gehört allerdings zu dem sozialen (und fiskalischen) Vertrag zwischen einem Staat und seinen Bürgern.439 In diesem Licht betrachtet ist soziale Sicherung ein Kernstück staatlicher Souveränität; externe Interventionen sind daher ein hochgradig politisches Minenfeld. Geber könnten z. B. mit ihrer Entscheidung, eher mit NRO zusammenzuarbeiten als mit staatlichen Strukturen, die bestehenden sozialen Sicherungsverträge unterlaufen und so das soziale Gleichgewicht im Land beeinflussen.440 Die Linie zwischen „Förderung“ von sozialer Sicherung in Partnerländern und dem unverhohlenem Versuch, den sozialen Vertrag des Landes von außen zu gestalten oder zu ändern, ist aus diesem Grund bisweilen dünn und unscharf. 6.3.1.2 EINFLUSS DER GEBER UND EIGENVERANTWORTLICHKEIT Bei ihrem Vorhaben, soziale Sicherung zu fördern, haben Geber die Regierungen meist dazu bewegt, sich auf eine weitgehend neue und extern entwickelte politische Agenda zu verpflichten, die häufig von den Erfahrungen und den Modellen für soziale Sicherung der Geber inspiriert und von deren Präferenzen bestimmt war. Dabei kann sich herausstellen, dass die von der Gebergemeinschaft eingeführten Konzepte zu sozialer Sicherung nicht an die Verhältnisse vor Ort und deren Herausforderungen angepasst sind. Nach Devereux und White „war die Dominanz internationaler Akteure in Afrika bei Entwicklung, Finanzierung und selbst Ausführung von Sicherung für gewisse systematische Fehler in Bezug auf Art, Maßstab, Ort und Dauer der umgesetzten Programme verantwortlich … diese Fehler haben zwangsläufig zum Ausschluss anderer Formen von sozialer Sicherung geführt … In der Praxis wird soziale Sicherung in Afrika von nicht konditionierten Geldleistungen beherrscht, die oft auf sub-nationaler Ebene geplant, üblicherweise von bilateralen oder multilateralen Gebern finanziert und von NRO umgesetzt werden und vorwiegend in anglophonen Ländern angesiedelt sind.“ 441 Aus afrikanischer Sicht argumentiert Adesina, dass die Förderung der Agenda für soziale Sicherung durch Geber häufig einem „politischen Handel" gleicht, bei dem die Geber ein „unfreiwilliges Publikum” beeinflussen (oder einschüchtern) und auf Selbstbedienungs-Lösungen drängen und so eine umfassendere Sicht auf die sich entwickelnde soziale Sicherung im subsaharischen Afrika verhindern.442 Selbst Evidenz von Gebern wird als problematisch eingeschätzt, da ihre Forschung als „eigennützig“ oder „häufig wenig untermauert und fragwürdig“ gesehen werden kann.443 Die Förderung von „afrikanischen Erfolgsgeschichten“ kann ebenfalls als Mittel gesehen werden, den „den Programmen anhaftenden Gebergeruch“ zu beseitigen und die „Gewinner“ - in den meisten Fällen in den Sozialministerien - zu bewegen, eine Agenda für soziale Sicherung zu fördern, die andernfalls nicht den Verhältnissen vor Ort angemessen wäre. Dies wirft grundsätzlich die Frage nach der Bedeutung von Hilfe als Mittel zur Förderung strategischer und institutioneller Reformen von außen auf. Es gibt einen inhärenten Widerspruch zwischen den „Bemühungen (der Geber), einerseits ihre eigene Sicht der sozialen Sicherung zu fördern und andererseits die Eigenverantwortlichkeit der Regierung zu gewährleisten".444 Partnerregierungen tolerieren externe Initiativen (wie etwa geberfinanzierte Geldleistungen), selbst wenn diese nicht die Prioritäten des Landes widerspiegeln. Dies ist zum Teil auf das ungleiche Machtverhältnis zwischen Regierung und Geber zurückzuführen, zum Teil auf den fehlenden politischen und fiskalischen Spielraum zur Umsetzung ihrer eigenen Initiativen. Aber diese Toleranz impliziert nicht notwendigerweise Eigenverantwortlichkeit, politische Bekräftigung oder finanzielle Verpflichtung. 439 440 441 442 443 444 Siehe Kapitel 3. Hickey 2010. Devereux und White 2010, S. 55. Adesina 2010. Ebd. Dieser Aspekt wurde auch von einigen afrikanischen Teilnehmern einer ERD-Umfrage angesprochen. Übernommen von Hickey et al. 2008. E U R O P Ä I S C H E R 109 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 6 6.3.1.3 SCHÄDLICHE AUSWIRKUNGEN AUF NACHHALTIGKEIT UND KOHÄRENZ Mangel an Eigenverantwortlichkeit hat unmittelbare Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit vieler laufender Programme für soziale Sicherung im subsaharischen Afrika. Wie bereits erwähnt, zeigen Regierungen wenig Bereitschaft, Initiativen zu übernehmen, die sie nicht selbst ins Leben gerufen haben. Das ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass Geber als unzuverlässig und ihre finanzielle Unterstützung als vorübergehend angesehen werden. Die Bedrohung durch „Geberlaunen“ - Vorantreiben eines Schwerpunkts über mehrere Jahre, um ihn dann plötzlich fallen zu lassen und sich einem anderen Schwerpunkt zuzuwenden - ist immer vorhanden. Daher „hält sich bei einigen Regierungen die Auffassung, dass soziale Sicherung nur eine weitere Modeerscheinung der Entwicklungszusammenarbeit ist, und sie zeigen wenig Bereitschaft, Systeme einzurichten oder zu unterstützen, die möglicherweise aufgegeben werden müssen, wenn die Geberfinanzierung eingestellt wird.”445 Die Aussicht, dass Geber versagen (Rückzug ohne Exit-Strategie), stellt angesichts der notwendigen Dauer von sozialen Sicherungsaktivitäten ein besonderes Problem dar; dies gilt ebenso für die Unterstützung anderer laufender Kosten. Die Bedenken sind keineswegs unbegründet. Während DFID und Irish Aid die Sozialtransfers des Kalomo-Projekts nach dem Ausstieg der GDC übernommen haben, gibt es für andere Projekte kein solches „Happy End”. In Côte d’Ivoire musste das Welternährungsprogramm den Umfang der Schulmahlzeiten für 460 000 Kinder wegen Finanzierungsdefiziten halbieren.446 Als in Burkina Faso ein von der Weltbank finanziertes Projekt für Geldleistungen nach geplanter zweijähriger Laufzeit beendet wurde, gaben (ehemalige) Hilfeempfänger ihrer Sorge Ausdruck, dass die Dinge einfach „wieder so wie vorher“ würden, und dass sie erneut in die Armutsfalle und in prekäre Lebensbedingungen gerieten.447 Ohne vorhersagbares und verlässliches langfristiges Engagement sind Partnerregierungen - aber vor allem die gefährdeten Teile der Bevölkerung - der Gnade von Gebervorlieben, Projektzyklen und finanziellen Unwägbarkeiten ausgeliefert. Geber - selbst die „traditionellen“ - bilden auch keine homogene Gemeinschaft. Als politische Akteure repräsentieren sie unterschiedliche nationale Traditionen und verteidigen ihre Agenda im Rahmen ihrer eigenen politischen Zwänge und Ideologien. Sie plädieren möglicherweise für unterschiedliche - und gelegentlich divergierende - Lösungen, häufig eher von institutionellen Mandaten und Prioritäten bestimmt als von der Notwendigkeit einer kohärenten Programmplanung unter Federführung der Regierung. Programmplanung und Finanzierung müssen folglich in Bezug auf die soziale Sicherung rationalisiert und der Wettbewerb der Geber um alternative Konzepte und Instrumente minimiert werden mit dem Ziel, die Versorgung mit sozialer Sicherung aus einer Perspektive anzugehen, die die Präferenzen der Regierung berücksichtigt und Versorgung und Programmplanung nicht fragmentiert.448 6.3.2 HARMONISIERUNG OHNE BEEINTRÄCHTIGUNG DER EIGENVERANTWORTLICHKEIT 6.3.2.1 DIE BELASTUNG DER GEBERFRAGMENTIERUNG Eine der größten Herausforderungen für Geber besteht darin, die Agenda zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit umzusetzen. In Rom (2003), Paris (2005) und Accra (2008)449 haben sich die Geber verpflichtet, ihre Aktivitäten aufeinander abzustimmen und die Eigenverantwortlichkeit der Partnerländer zu fördern. Laut Umfrage zum Monitoring der Erklärung von Paris der OECD (2008) „wurden gewisse Fortschritte erzielt, doch diese sind nicht ausreichend. Ohne weitere Reformen und ohne weitere Maßnahmen wird es nicht möglich sein, die Zielvorgaben 2010 zur Verbesserung der Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit zu erfüllen.“ 450 Vor allem die Zunahme und Fragmentierung der Geber ist besorgniserregend, da auf diesem Gebiet seit der Verabschiedung der Erklärung von Paris keine Fortschritte erzielt wurden.451 Es hat im Gegenteil den Anschein, dass die Fragmentierung zugenommen hat, insbesondere in Ländern mit geringem Einkommensniveau, „die wohl über die niedrigsten institutionellen Kapazitäten verfügen, um die Kosten der Fragmentierung zu verkraften.“ 452 Dies führt zu einer unverhältnismäßig hohen Belastung für die von Hilfe abhängigen Partner, die häufig gezwungen sind, ihre bereits knappen Human- und Finanzressourcen für die Bewältigung geberbezogener Aufgaben einzusetzen. 6.3.2.2 HARMONISIERUNG DER GEBERPRAKTIKEN AUF DEM GEBIET DER SOZIALEN SICHERUNG Angesichts der Tatsache, dass sich nur wenige Geber aktiv für die Förderung von sozialer Sicherung einsetzen, wird Harmonisierung künftig zu einem wichtigen Thema werden. Doch schon jetzt tauchen Bedenken auf: in Ghana beispielsweise, wo „bislang das Engagement der Geber verhältnismäßig vernetzt und kohärent war, ist man besorgt, dass dieser Zusammenhang sich auflösen könnte, 445 446 447 448 449 450 451 452 Marcus 2007. Welternährungsprogramm 2010. Zielgruppen der Transfers, die Juni 2010 beendet wurden, waren (aids)gefährdete Waisen und von HIV/Aids betroffene Personen in der Provinz Nahouri. Das Projekt wurde vom Nationalen Komitee für den Kampf gegen Aids umgesetzt und erreichte 3 250 Haushalte. UNICEF und die Weltbank prüfen gegenwärtig Optionen für ein neues Projekt (Bericht von einem Projektbesuch). Dieser Absatz bezieht sich auf McCord 2010. Erklärung von Rom über die Harmoniserung der Geberpraktiken (2003); Erklärung von Paris über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit (2005); Aktionsplan von Accra (2008). Verfügbar auf www.oecd.org/dac „Ergebnisorientiertes Handeln” OECD 2008a, S. 3. Frot und Santiso 2009. Ebd. 110 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Förderung von sozialer Sicherung im subsaharischen Afrika: Von der Geberschaft zur Partnerschaft wenn/falls die Anzahl der Geber zunimmt - da es eine Reihe wichtiger Themen gibt, bei denen (wir) möglicherweise keine Einigung erzielen, z. B. in der Frage konditionierter oder nicht-konditionierter Finanzhilfe.“ 453 In einigen Ländern bestehen offenbar funktionierende Mechanismen der Koordination und des Dialogs, nicht nur zwischen Gebern, sondern auch zwischen Gebern und Partnerländern. In Äthiopien, Mosambik und Sambia haben Geber ihre Ressourcen gebündelt und ihre Unterstützung für spezifische Projekte (PSNP, PSA und Social Cash Transfers) koordiniert. In Ghana, Kenia und Ruanda sorgen Arbeitsgruppen gegenwärtig für eine gute Koordinierung und den Dialog zwischen den Parteien. Wie bereits gezeigt, sind diese Mechanismen üblicherweise mit einem hohen Grad an Eigenverantwortlichkeit der Regierung verknüpft und erleichtern daher die Unterstützung umfassender Ansätze für soziale Sicherung. In vielen anderen Ländern bestehen jedoch keine formalen Koordinationsmechanismen für soziale Sicherung. Das Thema könnte in anderen Foren behandelt werden: in Lesotho z. B. wird soziale Sicherung über andere Koordinationsmechanismen wie das Nationale OVC-Koordinationskomitee oder die verschiedenen Foren zu Gesundheitsfürsorge und Ernährungssicherheit kommuniziert. Selbst wenn es eine spezifische Arbeitsgruppe zu sozialer Sicherung gibt, könnten Geber, die soziale Sicherung nicht als eigenständigen Sektor ansehen, es vorziehen, das Thema innerhalb der Arbeitsgruppen des Sektors zu diskutieren, in dem sie intervenieren (Gesundheit, Gender, Behinderung, Rechte der Kinder). Die Überwindung dieser „institutionalisierten Fragmentierung“ erweist sich schwierig. Außerdem geht die Harmonisierung der Geber weit über das Vorhandensein (oder Fehlen) formaler Koordinationsmechanismen hinaus. Es ist keineswegs ungewöhnlich, dass Geber unterschiedliche fragmentierte Programme umsetzen mit unterschiedlichen Abteilungen desselben Ministeriums, die in unterschiedlichen Politikfeldern arbeiten. In solchen Fällen verbindet sich die Fragmentierung der Geber mit der Fragmentierung lokaler Institutionen und unterläuft kohärente strategische Planung. Kohärenz ist erst recht bedroht, wenn Geber nicht nur unterschiedliche Programme umsetzen, sondern auch konkurrierende Visionen und Instrumente fördern und so die nationale Anstrengung in Richtung auf die Ausweitung von sozialer Sicherung untergraben.454 6.3.2.3 HARMONISIERUNG UND EIGENVERANTWORTLICHKEIT: EIN NOTWENDIGES GLEICHGEWICHT Harmonisierung und Eigenverantwortung zählen zu den wichtigen Zielen der Erklärung von Paris, aber erstere kann letzterer abträglich sein. Auf der einen Seite „erwarten Partnerländer, dass Harmonisierung von ihnen gesteuert wird und sich an ihren Systemen orientiert und diese unterstützt.“ 455 Auf der anderen Seite verfolgt die Gebergemeinschaft eigene Interessen bei der Harmonisierung und könnte sich zu schnell für zu viel Harmonisierung einsetzen - bei geringer Beteiligung der Partnerländer, die ihrerseits ungleich in den Prozess eingebunden sind. In einem solchen Szenario „wird es als dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit zuwiderlaufend angesehen, wenn Geber der Harmonisierung einen zu hohen Stellenwert einräumen.“ 456 Außerdem könnte zu viel Harmonisierung Befürchtungen wecken, dass Geber sich zu „Banden“ zusammenschließen, um ihre Sicht darüber, was getan werden sollte und wie, aufzuzwingen: wenn Geberagenturen sich auf die gleiche Strategielinie verpflichten, können Politikentscheider im subsaharischen Afrika sich auf einsamem Posten wiederfinden, wenn sie gegen den vorherrschenden - und keineswegs immer angemessenen - Diskurs über soziale Sicherung argumentieren.457 Das richtige Gleichgewicht zwischen Harmonisierung und Eigenverantwortlichkeit zu finden ist daher nicht einfach: aus Sicht der Geber impliziert dies, sich einer Reihe von politischen Zielen des Landes anzupassen, die nicht unbedingt zu den eigenen Prioritäten zählen, anstatt die Interessen ihrer jeweiligen Organisation durch Pilotprojekte zu fördern.458 Die Unterstützung im Land selbst entwickelter legitimer Strategien sollte die bevorzugte Option sein. Das Problem der Fragilität allerdings erfordert oft alternative Lösungen. 6.3.3 UNTERSTÜTZUNG VON LÄNDERN IN SITUATIONEN DER FRAGILITÄT 6.3.3.1 FRAGILES ENGAGEMENT DER GEBER Wie in Kapitel 3 herausgestellt, gleichen viele Herausforderungen bei der Bereitstellung von sozialer Sicherung in fragilen Ländern den Herausforderungen, die sich in Ländern mit geringem Einkommensniveau stellen - jedoch in vergrößertem Maßstab. Dies gilt ebenso für die Interventionen von Gebern: Unterstützung zu leisten stellt immer eine Herausforderung dar, in Ländern in Situationen der Fragilität jedoch, in denen „internationale Akteure die Ergebnisse sowohl im positiven wie im negativen Sinne beeinflussen können“,459 ist es umso schwieriger, das richtige Gleichgewicht und den richtigen Ansatz zu finden. Im Hinblick auf 453 454 455 456 457 458 459 ERD-Umfrage. Dieser Absatz bezieht sich auf Adesina 2010. Woods et al. 2008, S. 20-21. Ebd., S. 20-21. Adesina 2010. Wie in Ruanda (ERD-Umfrage). OECD 2007. E U R O P Ä I S C H E R 111 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 6 eine „Maximierung der positiven Auswirkung von Engagement und eine Minimierung des unbeabsichtigten Schadens“ haben OECD-Geber sich auf „Zehn Prinzipien für ein internationales Engagement in fragilen Staaten und Situationen” geeinigt.460 Es gibt allerdings unterschiedliche Formen von Fragilität. Während internationale Partner vorwiegend soziale Sicherung in Ländern unterstützen, die unter die Kategorien „allmähliche Verbesserung“ und „Post-Konflikt-/Krisensituationen oder politische Übergangssituationen“ fallen, wird schwierigeren, von „andauernder Krise oder völligem Stillstand“ und „sich verschlechterndem Governance-System” gekennzeichneten Staaten Unterstützung nur in geringerem Ausmaß zuteil.461 Daher sollen hier vor allem diese letzteren zwei Kategorien in den Mittelpunkt gerückt werden, um die möglichen Bedingungen für Unterstützung von sozialer Sicherung zu bewerten und zu versuchen, Lehren aus der erheblichen Bandbreite bereits umgesetzter Lösungen zu ziehen. 6.3.3.2 DER GELTUNGSBEREICH DER UNTERSTÜTZUNG VON SOZIALER SICHERUNG IN LÄNDERN IN SITUATIONEN DER FRAGILITÄT In Ländern in Situationen der Fragilität - insbesondere in Konfliktsituationen oder deren Nachwirkungen - „erfordert die „Anwendung des Konzepts für soziale Sicherung eine gewisse Anpassung gegenüber der normalen Handhabung.“ 462 Der Geltungsbereich von sozialer Sicherung ist erweitert, während das Spektrum der Interventionsmöglichkeiten verhältnismäßig eingeschränkt ist. Die internationalen Partner sollten daher von ihren üblichen Auffassungen abweichen und ihre Instrumente und Konzepte entsprechend anpassen. Das dritte Prinzip für ein internationales Engagement in fragilen Staaten und Situationen ist, „Staatsbildung als zentrales Ziel (zu) betrachten”. In einigen Fällen von Konflikten oder sich verschlechterndem Governance-System ist es durchaus möglich, dass der Staat ein Teil des Problems oder sogar dessen Ursache ist, dass er selbst Konfliktpartei ist oder Teile der eigenen Bevölkerung diskriminiert. Während nun Zusammenarbeit mit dem Staat die normalerweise bevorzugte Lösung zur Förderung der Eigenverantwortlichkeit und Stärkung des Gesellschaftsvertrags darstellt, sind die internationalen Akteure möglicherweise nicht zu einer solchen Zusammenarbeit bereit, wenn der Staat als unzureichend legitimiert wahrgenommen wird. In anderen Fällen ist der Staat möglicherweise kein geeigneter Partner, da er zu schwach (oder bereits zusammengebrochen) ist oder die Kontrolle über Teile oder den Großteil seines Territoriums verloren hat. Wenn also Kooperation mit dem Staat unmöglich oder nicht wünschenswert ist, müssen alternative Lösungen („Umwege“) entwickelt werden. Andere internationale und lokale Akteure könnten dann zu Partnern für soziale Sicherung werden. „Den Kontext als Ausgangspunkt nehmen” (das erste Prinzip für ein internationales Engagement) ist in diesem Zusammenhang von grundlegender Bedeutung. Die Berücksichtigung der lokalen Auffassung von Legitimität ist ausschlaggebend für die Wahl der Partner in fragilen Situationen (Staat auf zentraler oder dezentraler Ebene, eher unkonventionelle politische Partner wie lokale Führer, Gemeinschaften, Privatwirtschaft, lokale und internationale NRO, UN-Agenturen).463 Ebenso ist eine gründliche Kenntnis des lokalen Kontexts für die Wahl geeigneter Instrumente erforderlich.464 Es ist argumentiert worden, dass es ungeachtet der Bedenken (beispielsweise in Bezug auf die Durchführbarkeit und Angemessenheit von Geldtransfers) „nichts der Fragilität des Staates Inhärentes gibt, das zum routinemäßigen Ausschluss einiger Instrumente führen sollte … anstatt die Auswahl der verfügbaren Instrumente einzuschränken, sollten diese eher in fragilen Kontexten angewendet werden“.465 Erhöhte Risiken und erschwerte Bedingungen machen eine umso größere Bandbreite von Instrumenten für soziale Sicherung erforderlich, die von humanitärer Hilfe bis zu Nothilfeeinsätzen reicht. Humanitäre Hilfe ist in vielen Fällen der primäre Mechanismus für die Leistung von sozialer Sicherung. Hilfe in Form von Nahrungsmittelhilfe oder Schulspeisungen zählt zu den geeigneten und praktikablen Instrumenten. Über diesen Rahmen hinaus könnten Maßnahmenpakete für Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung, die der gefährdeten Bevölkerung vorübergehend ein Netz sozialer Sicherheit bieten, als eine Form der sozialen Sicherung interpretiert werden. Wie aus der Aufmerksamkeit, die Ruanda mit seinem System und seiner Strategie für soziale Sicherung den ehemaligen Kämpfern und Überlebenden des Völkermords gewidmet hat, hervorgeht, produzieren Krisen und Konflikte neue Kategorien gefährdeter, schutzbedürftiger Bürger, deren soziale Inklusion für den gesellschaftlichen Wiederaufbau nach Beendigung des Konflikts von entscheidender Bedeutung ist.466 460 461 462 463 464 465 466 (1) Den Kontext als Ausgangspunkt nehmen; (2) Keinen Schaden zufügen; (3) Die Staatsbildung als zentrales Ziel betrachten; (4) Der Prävention den Vorrang geben; (5) Die Zusammenhänge von Politik-, Sicherheits- und Entwicklungszielen erkennen, (6) Nichtdiskriminierung als Basis für inklusive und stabile Gesellschaften fördern; (7) Die Maßnahmen in verschiedenen Kontexten auf verschiedene Weise auf lokale Prioritäten ausrichten; (8) Praktische Koordinationsmechanismen zwischen internationalen Akteuren vereinbaren; (9) Schnell handeln ... aber lange genug engagiert bleiben, damit sich Erfolge einstellen können; (10) Ausgrenzung vermeiden. (OECD 2010a). Dies sind die vier OECD-Kategorien für fragile Staaten. Darcy 2004. OECD 2010b. Siehe ERD 2009. Harvey et al. 2007, S.19. Die Bedenken im Hinblick auf Sozialtransfers umfassen Probleme der Zielgenauigkeit und mögliche diskriminierende Effekte, Anfälligkeit für Korruption und Inflation, fehlende funktionsfähige Märkte und fehlende Regierungskapazitäten, Sicherheitsmängel bei der Bereitstellung, Entstehen von Abhängigkeit und von Erwartungen langfristiger Unterstützung. Der bereits eingerichtete „Fonds d’Aide aux Rescapés du Genocide” sowie Invalidenrenten für ehemalige Kämpfer bilden die Grundlage des sozialen Sicherungsnetzes (Regierung von Ruanda, MINALOC 2010). 112 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Förderung von sozialer Sicherung im subsaharischen Afrika: Von der Geberschaft zur Partnerschaft Fazit: Unterstützung von sozialer Sicherung in fragilen Situationen mit vergrößerten Problemen und verringerten Lösungsmöglichkeiten stellt eine gewaltige Herausforderung dar. Externe Interventionen, die nicht sorgfältig vorbereitet und auf den Kontext zugeschnitten sind, könnten fragile Gleichgewichte verschieben. Solche Einschränkungen sollten Geber allerdings nicht davon abhalten, in fragilen Staaten Unterstützung zu leisten. 6.3.3.3 DIE UMSETZUNG SOZIALER SICHERUNG IN LÄNDERN IN SITUATIONEN DER FRAGILITÄT Im subsaharischen Afrika und wie auch in anderen Gebieten sind eine Reihe von geberunterstützten Programmen umgesetzt worden. Obwohl sich Beispiele nicht ohne weiteres übertragen lassen, können diese Lösungen ein Licht auf die (unerschöpfliche) Vielfalt der Möglichkeiten werfen. Im Hinblick auf die hier angeführten Beispiele lässt sich sicherlich viel von der Unterstützung der sozialen Sicherung durch die Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) lernen, die fragile Staaten besonders fördert.467 Kasten 6.4: Unterstützung von sozialer Sicherung in fragilen Situationen Gemeinsame Programme zur Umgehung des Staates Das Langfristige Hilfsprogramm (Protracted Relief Programme, PRP) in Simbabwe und der Vorläufige Internationale Mechanismus (Temporary International Mechanism, TIM) in den palästinensischen Gebieten sind Beispiele für gemeinsame Unterstützung von sozialer Sicherung in Gebieten, in denen der Staat nicht als geeigneter Partner angesehen wird. PRP wurde 2004 vom Britischen Ministerium für internationale Entwicklung gestartet und verbindet humanitäre Hilfe mit längerfristiger Hilfe für den Lebensunterhalt durch eine Reihe von Instrumenten (Landwirtschaftshilfe, Sozialtransfers, gemeindebasierte Hilfe, Trinkwasserversorgung und sanitäre Anlagen). Das Projekt, an dem viele Geber beteiligt sind, wird in seiner zweiten Phase (2008-2013)468 von 21 internationalen Organisation und Nichtregierungsorganisationen (NRO) umgesetzt und von Partnern im Bereich Technische Hilfe und von UN-Agenturen unterstützt.469 Unter Umgehung der Strukturen der Zentralregierung unterstützt PRP schätzungsweise zwei Millionen Menschen, das entspricht etwa 15 bis 20 % der Bevölkerung Simbabwes. In die gleiche Richtung zielt auch TIM, das 2006 eingerichtet wurde, um die Hamas-Regierung zu umgehen: im Rahmen des EU-Programms zur Auszahlung von Sozialbeihilfen „Fenster III“ haben die Europäische Kommission und andere Geber ihre Unterstützung gebündelt und fördern schätzungsweise eine Million gefährdete Palästinenser.470 Sozialtransfers in Krisen- und Konfliktsituationen In Somalia wurden unter den Bedingungen des „gescheiterten Staates“ erfolgreich Geldtransfers durchgeführt. Im Norden und Süden von Somalia haben Zusammenschlüsse internationaler NRO (Oxfam, Action Contre la Faim, Horn Relief) und lokaler NRO Finanzhilfen und „Cash-for-work“(Geld gegen Arbeit)-Projekte durchgeführt, bei denen die Auszahlungen GeldtransferUnternehmen übertragen wurde. Auswertungen ergaben, dass die zielgerichtete finanzielle Hilfe die Bevölkerung und die wirtschaftlichen Strukturen vor Ort gefördert haben.471 Diese und andere Beispiele - wie das „Cash-for-work“-Projekt der Hilfsorganisation „Save the Children“ in der Demokratischen Republik Kongo und das Programm „National Rural Access” zur Förderung ländlicher Infrastruktur in Afghanistan472 - zeigen, dass Geldtransfers auch in Konfliktgebieten durchführbar sind. Darüberhinaus können Geldtransfers zur Bewältigung von Notsituationen wie etwa Nahrungsmittelkrisen beitragen (z. B. das Pilotprojekt für Geldtransfers des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen in Niger),473 während kombinierte Lösungen wie etwa Gutscheine Hilfe für gefährdete Menschen in instabilen Situationen leisten können (Gutschein-Messe in der Demokratischen Republik Kongo).474 Sozialtransfers in Form von Naturalleistungen können ebenso eine wichtige Rolle 467 468 469 470 471 472 473 474 „Die Abteilung (für Humane und Soziale Entwicklung) beteiligt sich am Wiederaufbau der sozio-ökonomischen Infrastruktur in Post-Konflikt-Gebieten mit Schwerpunkt auf arbeitskräfteintensiven öffentlichen Baumaßnahmen, Qualifizierung und Schaffung von Arbeitsplätzen/Einkommen. Die Bank arbeit eng mit anderen Entwicklungspartnern in speziellen Projekten für Demobilisierung, Entmilitarisierung und Wiedereingliederung zusammen, um den von Konflikten am meisten Betroffenen Chancen zu eröffnen.“ (http://www.afdb.org/). Zusätzlich zu den von der DFID bereitgestellten 54,8 Mio. GBP werden Australien, Dänemark, die Niederlande, Norwegen, die EU und die Weltbank 24 Mio. GBP für den Zeitraum 2008-2013 beisteuern (House of Commons 2010). Offizielle Website des PRP: http://www.prpzim.info/. Ein „erneutes, schrittweise verstärktes Engagement“ ist zwar geplant, aktuell fließen jedoch keine Mittel des DFID über Regierungsstrukturen in Simbabwe (House of Commons 2010). Zwei Programme für direkte Geldhilfe („Low Income Cases” und „Social Hardship Cases”) wurden im Rahmen von TIM/Fenster III durchgeführt mit einem Gesamthaushalt von 425,7 Mio. EUR. Ali et al. 2005; Majid 2006. Harvey et al. 2007, S. 10. UNICEF 2010a. UNICEF hat hier zum ersten Mal Barzahlung (40 USD monatlich für drei Monate an 30 000 gefährdete Familien) als Nothilfe geleistet. UNICEF 2010b. Innerhalb von drei Wochen erhielten 65 000 gewaltsam vertriebene Menschen Gutscheine, die sie zum Kauf von dringend benötigten Lebensmitteln verwenden konnten. E U R O P Ä I S C H E R 113 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 6 spielen: während des Konflikts in Côte d’Ivoire konnten die Auswirkung der Krise auf die Kinder durch Schulspeisungen des Welternährungsprogramms gemildert werden.475 Staatliche Beschäftigungsprogramme in Post-Konflikt-Situationen In Übergangssituationen nach Konflikten können staatliche Beschäftigungsprogramme dazu beitragen, das Land (im wörtlichen wie im übertragenen Sinne) wiederaufzubauen. Die Regierungen in Liberia und Sierra Leone fördern mit Nachdruck die Beschäftigung von Jugendlichen, weil die Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten ein wichtiges Instrument zur (Wieder)Eingliederung marginalisierter und mittelloser Gruppen Jugendlicher (darunter ehemalige Kämpfer) und damit für sozialen Zusammenhalt und Stabilität ist. Mit internationaler Unterstützung haben die „Nationale Kommission für Soziale Belange” (National Commission for Social Action, NaCSA) in Sierra Leone und die Agentur für die Stärkung der demokratischen Kompetenzen des Landes (Agency for Country Empowerment) in Liberia erfolgreich gemeindebasierte Beschäftigungsprogramme durchgeführt. Die Weltbank hat 2010 die Finanzierung zweier neuer Projekte zur Beschäftigungsförderung von Jugendlichen („Youth, Employment and Skills” in Liberia und “Youth Employment Support” in Sierra Leone) bewilligt.476 Die Afrikanische Entwicklungsbank, die seit 2003 auch NaCSA in Sierra Leone unterstützt, hat kürzlich mit der Umsetzung eines arbeitskräfteintensiven staatlichen Beschäftigungsprogramms in Liberia begonnen.477 Unter instabilen Bedingungen und in Notfallsituationen ist Erfolg schwer zu erzielen. Während ständig neue Methoden, Hilfe zu leisten, entwickelt und getestet werden,478 tauchen immer neue Hindernisse auf. So hat z. B. die islamistische Gruppe al-Shabab, die fast den gesamten Süden Somalias kontrolliert, ein Verbot von Geldüberweisungen per Mobiltelefon angeordnet, weil dies als „unislamisch” angesehen wird.479 Ein derartiges Verbot würde die Übermittlung von Geldanweisungen und innovative Mechanismen für Geldtransfers ernsthaft beeinträchtigen. Aber Situationen können sich verbessern, und Länder in Situationen der Fragilität können sich zu Musterbeispielen für soziale Sicherung entwickeln, wie im Fall Ruanda. Auf dem Weg zu Sanierung und Erholungsfähigkeit könnten rechtzeitig verfügbare Programme zu einem Katalysator für verbesserte Lösungen werden (wie das Nationale Palästinensische Programm für Geldtransfers (Palestinian National Cash Transfer Program)) oder Teil eines weiter gefassten und ehrgeizigeren strategischen Rahmens werden (wie der Strategische Rahmen für Soziale Sicherung (National Policy Framework for Social Protection) in Sierra Leone). Die Unterstützung von sozialer Sicherung in Ländern in Situationen der Fragilität ist eine Verpflichtung aus Gründen der Humanität und ein Weg, um Menschen, die in schwierigen Umgebungen leben, grundlegende Fürsorge zukommen zu lassen.480 6.4 FAZIT Die Erfahrungen haben gezeigt, dass traditionelles Engagement von Gebern häufig zu unangepassten, schlecht koordinierten und finanziell ungesicherten Formen von sozialer Sicherung geneigt hat. Zudem verfügen Geber häufig nicht über die notwendigen Kenntnisse der politischen Entwicklungen des Landes, in das ihre Interventionen eingebunden sind, und begrenzen so das Potential ihrer Initiativen im Hinblick auf Eigenverantwortlichkeit und Nachhaltigkeit. Neue Konzepte sind daher erforderlich. Anstatt ihre eigene Agenda voranzutreiben, sollten Geber zu Partnern der subsaharischen Länder werden und deren Übergangsprozess in Richtung auf die Einrichtung von sozialen Sicherungsstrategien und -systemen begleiten. Ein solcher Wandel von der Geberschaft zur Partnerschaft verlangt von den internationalen Partnern eine koordinierte Anpassung an die Anstrengungen und Schwerpunkte des Partnerlandes, um vorhersehbare Finanzierung als Voraussetzung für Nachhaltigkeit zu leisten und um Kapazitätsaufbau und Lernprozesse zu fördern. Außerdem müssen Rollen und Konzepte auf den jeweiligen Kontext - von instabilen fragilen Staaten bis hin zu Ländern mit etablierten sozialen Sicherungssystemen - und im Hinblick auf die Anforderungen des Partnerlandes und die Bedürfnisse der gefährdeten Menschen abgestimmt werden. Die traditionelle Gebergemeinschaft muss sich auch an die sich ändernde entwicklungspolitische Landschaft und die zunehmende Bedeutung der Süd-Süd-Kooperation anpassen. Diese Lernerfahrungen bieten eine Ausgangsbasis für ein Engagement der EU zur Förderung von sozialer Sicherung. 475 476 477 478 479 480 WEP 2008. http://web.worldbank.org/.“Projekte und Tätigkeiten”. http://www.afdb.org/en/projects-operations/project-portfolio/ (wurde im November 2010 hinzugezogen). Siehe zum Beispiel: Harvey et al. 2010. „Al-Shabab verbietet Geldtransfers per Mobiltelefon in Somalia” 2010 (http://www.bbc.co.uk/). Harvey et al. 2007. 114 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Förderung von sozialer Sicherung im subsaharischen Afrika: Von der Geberschaft zur Partnerschaft Europäischer Entwicklungsbericht 2010 KAPITEL SIEBEN Kapitel 7 SOZIALE SICHERUNG FÜR INKLUSIVE ENTWICKLUNG UND DIE ROLLE DER EU ENGAGEMENT, HERAUSFORDERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN 116 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 KAPITEL 7 SOZIALE SICHERUNG FÜR INKLUSIVE ENTWICKLUNG UND DIE ROLLE DER EU ENGAGEMENT, HERAUSFORDERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN Angesichts ihres großen Erfahrungsschatzes im Bereich der sozialen Sicherung und ihres Eintretens für Entwicklung und die soziale Dimension der Globalisierung ist die Europäische Union gut gerüstet, um die soziale Sicherung in den Entwicklungsländern zu unterstützen. Einige EU-Geber, darunter die Europäische Kommission, unterstützen bereits aktiv Initiativen für soziale Sicherung unter Führung der Länder. Es bedarf allerdings eines größeren Engagements, um die andauernden Probleme bewältigen und den potenziellen Vorteil der EU in der Praxis nutzen zu können. Der Europäische Entwicklungsbericht nennt sieben Schwerpunkte für die Stärkung und Verbesserung der europäischen Unterstützung der sozialen Sicherung in Entwicklungsländern: (1) Soziale Sicherung zu einem festen Bestandteil der EU-Entwicklungspolitik machen durch einen umfassenden politischen Rahmen, geknüpft an konkrete, in einem Zeitplan festgelegte Verpflichtungen und zweckgebundene Mittel; (2) Die Entwicklungen in den Ländern fördern und unterstützen und die Grundlagen für langfristige Nachhaltigkeit schaffen; (3) Den finanziellen Spielraum erweitern durch Förderung des Wachstums des Nationaleinkommens durch verlässliche und vorhersehbare Hilfe und durch innovative Finanzierungsoptionen; (4) Interventionsmodalitäten an den spezifischen Kontext und die spezifischen Bedürfnisse anpassen; (5) Wissensaufbau und Erfahrungsaustausch unterstützen; (6) Die Koordination, Komplementarität und Kohärenz von EU-Maßnahmen verbessern; (7) Die EU-Partnerschaften für eine fortschrittliche Agenda für soziale Sicherheit stärken. Angesichts ihres großen Erfahrungsschatzes im Bereich der sozialen Sicherung und ihres Eintretens für Entwicklung und die soziale Dimension der Globalisierung ist die Europäische Union (die Kommission und die Mitgliedstaaten) gut gerüstet, um die soziale Sicherung in den Entwicklungsländern zu unterstützen. Berücksichtigt man die im vorangegangenen Kapitel dargelegten Lernerfahrungen, bedarf es allerdings eines größeren Engagements, um den potenziellen Vorteil der EU in der Praxis nutzen zu können. Das europäische Sozialmodell zeichnet sich durch die gemeinsame Verpflichtung zur sozialen Sicherung innerhalb einer Vielfalt von nationalen Wegen im Hinblick auf dessen Entwicklung, Funktionsweise und die zugrundeliegenden Ansätze aus. Die EU-Entwicklungspartner haben beim (Wieder)Aufbau der sozialen Sicherungssysteme, ausgehend von den Anfängen des Sozialstaats im 19. Jahrhundert bis zu den Übergangsprozessen in den neuen Mitgliedstaaten, ein umfangreiches Fachwissen erworben. Das Abkommen von Cotonou und die neue strategische Partnerschaft zwischen Afrika und der EU bieten Plattformen für ein Engagement mit afrikanischen Partnern durch politischen Dialog und wechselseitiges Lernen auf der Basis dieser europäischen wie auch der afrikanischen Erfahrungen. Die EU setzt sich für ehrgeizige entwicklungspolitische Ziele ein - vom Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik bis zu den Zielen der öffentlichen Entwicklungshilfe (official development assistance, ODA) - und bewegt sich vom Verhältnis Geber-Empfänger hin zu einer Partnerschaft mit Vertragskonzepten und berechenbarer Finanzierung.481 Sie ist somit potenziell gut aufgestellt, um von Partnern gesteuerte und in deren übergreifende Entwicklungsstrategie integrierte soziale Sicherungssysteme zu unterstützen. 7.1 VON DER THEORIE ZUR PRAXIS: SOZIALE SICHERUNG IN DER EUENTWICKLUNGSPOLITIK482 7.1.1 DER STAND DER DINGE: DAS JUNGE UND VIELFÄLTIGE ENGAGEMENT DER EU Da die verschiedenen EU-Geber gemäß ihren eigenen Definitionen von sozialer Sicherung (soweit vorhanden) agieren, stellt die Aufgabe, eine Übersicht sämtlicher Akteure, Einsatzorte und Projekte zu erstellen, eine beträchtliche Herausforderung dar. Nur die Aktivitäten einiger weniger führender EU-Geber im Bereich der sozialen Sicherung - des Britischen Entwicklungsministeriums (DFID), der Deutschen Entwicklungszusammenarbeit (DED bzw. BMZ) und, in geringerem Maße, der Europäischen Kommission sowie der Schwedischen Zentralbehörde für Internationale Entwicklungszusammenarbeit (SIDA) - sind einigermaßen bekannt und dokumentiert. Verschiedene 481 482 Europäische Kommission 2010b S. 3, Europäischer Konsens über die Entwicklungspolitik 2006. Die meisten Informationen in diesem Abschnitt wurden von der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten zur Verfügung gestellt. Das ERD-Team hat mit den Zentralen Kontakt aufgenommen, um aktuelle und umfassende Informationen über deren Aktivitäten zu erhalten. Zusätzlich wurden im Rahmen der ERD-„Umfrage zur sozialen Sicherung in der EU-Entwicklungspolitik” 39 Fragebögen von Fachleuten von 11 EU-Gebern ausgefüllt (siehe Anmerkung in Kapitel 6). E U R O P Ä I S C H E R 117 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 7 andere EU-Akteure engagieren sich in weniger bekannten, gelegentlich am Rande erwähnten Initiativen, die zur Breite und Tiefe der EUUnterstützung für soziale Sicherung beitragen. 7.1.1.1 DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION Die Europäische Kommission unterstützt die Entwicklung, Umsetzung und Stärkung der einheimischen sozialen Sicherungssysteme und -programme. Das Fehlen einer umfassenden, in ihre Entwicklungspolitik eingebetteten politischen Position zur sozialen Sicherung beeinträchtigt jedoch ihr Handeln und ihre Führungsrolle. Die Maßnahmen der Kommission reichen von kurzfristigen Sicherheitsnetzen bis zu Reformen der Politik der sozialen Sicherung in Entwicklungsländern weltweit. Sie unterstützt Länder, die ihre sozialen Sicherungssysteme entwickeln oder modernisieren, durch Bereitstellung von Finanzmitteln und technischer Hilfe sowie durch Kapazitätsaufbau und politischen Dialog. In Afghanistan arbeitet sie zusammen mit der Regierung, der Zivilgesellschaft und einer Reihe von bilateralen und multilateralen Gebern an der Entwicklung und Umsetzung eines sozialen Sicherungssystems. In Armenien, Kirgisistan und Tadschikistan leistet sie sektorspezifische Unterstützung zur Verbesserung von Entwicklung, Verwaltung, Bereitstellung und Effektivität der nationalen Politik der sozialen Sicherung. In Aserbaidschan, China, Moldau und Syrien liegt der Schwerpunkt auf der Modernisierung bestehender Systeme. In El Salvador hat die Kommission das Sozialtransfer-Programm Comunidades Solidarias (Solidarische Gemeinschaften) unterstützt und gestaltet nun eine sektorspezifische Budgethilfe für die Regierungspolitik zur sozialen Sicherung. In Paraguay unterstützt sie die Umsetzung des Netzwerks für soziale Sicherung, das an ein Programm für konditionierte Geldleistungen für gefährdete Familien gekoppelt ist, das 2006 von der Regierung gestartet wurde; eine sektorspezifische Budgethilfe für soziale Sicherung wird vorbereitet. Das umfangreichste von der Kommission unterstützte Programm für soziale Sicherung wird in Äthiopien durchgeführt, bei dem „Produktiven Sicherheitsnetz (Productive Safety Net Programme, PSNP) knapp 100 Mio. EUR für Geldleistungen an Einzelpersonen sowie für Kapazitätsaufbau und technische Hilfe zur Verfügung gestellt wurden. Direkte Unterstützung von sozialer Sicherung in anderen Ländern des subsaharischen Afrika fällt recht spärlichaus, vor allem wenn man das Eintreten der EU für die soziale Dimension der Globalisierung und für Afrika berücksichtigt. In Lesotho bietet die Kommission in Zusammenarbeit mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen Fördermittel und technische Hilfe für das Förderungsprogramm für Waisen und (Aids)gefährdete Kinder (Child Grant Programme for Orphan and Vulnerable Children, OVC). In Ruanda hat sie zur Finanzierung des gemeindebasierten Programms Ubudehe beigetragen und bereitet gegenwärtig eine sektorspezifische Budgethilfe für soziale Sicherung in Höhe von 20 Mio. EUR vor. In Burkina Faso wird ECHO, die Generaldirektion der Kommission für humanitäre Hilfe, ein Pilotprojekt für Geldleistungen zusammen mit dem Welternährungsprogramm durchführen. Außerdem ist in Burkina Faso und in Äthiopien ein von der Kommission finanziertes Gemeinschaftsprojekt der EU und der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) zur „Verbesserung der sozialen Sicherung und der Beschäftigungsförderung“ in Vorbereitung. Soziale Sicherung zählt normalerweise nicht zu den politischen Schwerpunkten, aber die Kommission verfügt über Möglichkeiten der Unterstützung im Rahmen ihrer bilateralen Kooperation in Bereichen wie Beschäftigung und soziale Kohäsion, ländliche Entwicklung oder Ernährungssicherheit.483 Nach einer Bewertung der Nationalen und Regionalen Richtprogramme für den Zeitraum 2007 bis 2013 ist eine vorrangige Unterstützung von sozialen Themen im weitesten Sinne (wie soziale Sicherung, Kinderarbeit, Betrugsbekämpfung, menschenwürdige Arbeit und berufliche Bildung) in 23 Partnerländern vorgesehen.484 Soziale Sicherung wird zunehmend zu einem Bestandteil des politischen Dialogs der EU mit den Ländern im subsaharischen Afrika und in anderen Regionen.485 Innovative Instrumente der EU können - selbst wenn sie nicht spezifisch auf soziale Sicherung ausgerichtet sind - ebenso zum Schutz gefährdeter Menschen beitragen. Die EU-Nahrungsmittelfazilität z. B. unterstützt die Einrichtung von Sicherheitsnetzen mit 1 Mrd. EUR über einen Zeitraum von drei Jahren, um die landwirtschaftliche Produktionskapazität aufrechtzuerhalten bzw. zu steigern und so die Versorgung der gefährdetsten Bevölkerungsgruppen mit Grundnahrungsmitteln in den Ländern sicherzustellen, die von der Nahrungsmittelkrise besonders hart getroffenen sind. Im Rahmen des Ad-hoc-FLEX-Mechanismus mit einem 2-Jahres-Budget in Höhe von 500 Mio. EUR werden die besonders gefährdeten und am wenigsten erholungsfähigen Länder in Afrika, im karibischen Raum und im pazifischen Ozean (AKPStaaten) unterstützt, die Hilfe zur Deckung der vorrangigen Ausgaben vor allem im sozialen Sektor anfordern. Die Kommission gehört zu den größten Gebern von Budgethilfe, sowohl im Hinblick auf ihren Anteil (37 % im Jahr 2009 im Rahmen des 10. Europäischen Entwicklungsfonds) als auch hinsichtlich des Umfangs (fast 8 Mrd. EUR für Afrika im Zeitraum 2003 bis 2009).486 Die innovativen Verträge im Rahmen der Millennium-Entwicklungsziele (MDG-Verträge) eröffnen vielversprechende Fördermöglichkeiten für nachhaltige Partnerschaften zur Einrichtung von sozialen Sicherungssystemen, da sie (bei einer Laufzeit von sechs Jahren) langfristige Vorhersehbarkeit der Finanzierung bieten und das Konzept vertragsbasierter Unterstützung fördern. Mit den Partnerländern wurden im Rahmen ihrer nationalen Entwicklungsstrategien Indikatoren vereinbart: in Ruanda beziehen sich vier Indikatoren der MDG-Verträge auf die soziale Sicherung. 483 484 485 486 Die Kommission kann auch durch thematische Programme wie „In Menschen investieren“ Unterstützung leisten. Europäische Kommission 2009, S. 109. Siehe Abschnitt 7.2.1.2. Europäische Kommission 2010a, c. Die EU leistete im Zeitraum 2003 bis 2009 Budgethilfe in Höhe von 13 Mrd. EUR; 56 % gingen an AKP-Staaten, 5 % an Südafrika. Soziale Sicherung ist eine Priorität der allgemeinen Budgethilfe für Kap Verde, während für Ruanda sektorale Budgethilfe geplant ist. 118 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die Rolle der EU - Engagement, Herausforderungen und Empfehlungen Soziale Sicherung gewinnt EU-weit an Profil, wie sich aus den jüngsten politischen Positionen der EU487 und Forschungsaufträgen (Europäischer Entwicklungsbericht, Studie über „Soziale Sicherung in Zentralamerika“, Konzept zu Sozialtransfers) ergibt. Die Kommission hat außerdem damit begonnen, in eigenen Kapazitätsaufbau zu investieren, um den Informationsstand über diesen nicht-traditionellen Bereich bei den Mitarbeitern der Zentralen und der Delegationen zu verbessern (Internetplattform Capacity4Dev, Schulungen zum Thema Soziale Sicherheit, Referenzdokument „Sozialtransfers und der Kampf gegen den Hunger”). Diese Initiativen sind Anzeichen für einen dringend notwendigen Wandel in Richtung auf eine größere Beteiligung der EU an der politischen und geistigen Debatte und einen größeren Vorrang für soziale Sicherung in der zukünftigen EU-Entwicklungspolitik.488 7.1.1.2 DIE MITGLIEDSTAATEN Bei den Mitgliedstaaten ergibt sich ein vielfältiges und uneinheitliches Bild. Eine Reihe von EU-Gebern ist beteiligt; es lässt sich allerdings schwer bestimmen, welche ihrer Aktivitäten dem Bereich soziale Sicherung zuzuordnen sind, da es keine gemeinsamen Definitionen und Indikatoren für öffentliche Entwicklungshilfsleistungen (ODA) gibt.489 Tabelle 7.1 vermittelt einen vorläufigen Überblick über diese Aktivitäten.490 Tabelle 7.1: Soziale Sicherung in den entwicklungspolitischen Aktivitäten der EU-Mitgliedstaaten Mitgliedstaat Länder Aktivitäten Mikro-Versicherungen, gutscheinbasierte Konzepte, Strategien zur Inklusion von Menschen mit Behinderungen, Unterstützung Guinea, Kamerun, Kenia, Malawi, und Modernisierung des öffentlichen Gesundheitsschutzes Mosambik, Namibia, Ruanda, Deutschland-GDC (P4H-Mitglied), Unterstützung für Krankenkassen, die nach Simbabwe, Tansania, Bangladesch, (BMZ, GIZ, KfW, dem Solidaritätsprinzip funktionieren, und Unterstützung von El Salvador, Indien, Indonesien, Inwent, DED) Systemen für grundlegende soziale Sicherung. Kambodscha, Pakistan, die Philippinen Finanzielle Unterstützung, Kapazitätsentwicklung und Beratungsdienste Pilotprojekte für Sozialtransfers, Budgethilfe, Kapazitätsaufbau, Systemstärkung durch Unterstützung regierungsgesteuerter Programme Äthiopien, Ghana, Kenia, Malawi, Vereinigtes Wissensaufbau Unterstützung für Forschung und Erprobung Mosambik, Nigeria, Sambia, Sierra Königreich Leone, Simbabwe, Tansania, Uganda, Unterstützung für Süd-Süd-Erfahrungsaustausch (South-South (DFID) Indonesien, Jemen, Vietnam learning) Kapazitätsentwicklung (Netzwerkforum „Train4Dev“, Handbuch zur sozialen Sicherung mit EPRI) Geldleistungen und Ernährungssicherheit Kinder- und Jugendfürsorge, vor allem bei HIV/Aids-Gefährdung Äthiopien, Kenia, Mali, Mosambik, Schweden Sambia, Bosnien und Herzegowina, Einrichtung allgemeiner Strukturen für soziale (Sida) Belarus, Bolivien, Kroatien, Sicherungssysteme Tadschikistan, Ukraine Unterstützung für die Zivilgesellschaft Langfristige Unterstützung von Forschung durch UNRISD Schwerpunkt auf öffentlichem Gesundheitsschutz (P4H-Mitglied) Unterstützung bei der Entwicklung von KrankenversicherungsBenin, Kamerun, Tschad, die Komoren, Frankreich Programmen (Mikroversicherung, CBHI) auf lokaler, nationaler und Mali, Mauretanien, Niger, Senegal, (MFA, AFD, GIPSI) sub-regionaler Ebene (UEMOA) Togo, Kambodscha, Laos, Vietnam Budgethilfe, technische Hilfe, politischer Dialog Hochrangige Arbeitsgruppe Hunger als Einstieg für soziale Sicherung Irland Äthiopien, Lesotho, Malawi, Uganda, Pilotprojekte für Sozialtransfers, Budgethilfe, (Irish Aid) Sambia, Vietnam Katastrophenschutzprogramm Kapazitätsaufbau, Systemunterstützung 487 488 489 490 Siehe Kapitel 1, Abschnitt 1.6.3. Vor allem, da im Vorfeld der geplanten Mitteilung zur Modernisierung der Europäischen Entwicklungspolitik (und der potenziellen Modernisierung des Europäischen Konsenses), des Finanzrahmens 2014-2020 und der neuen Programmzyklen verschiedene Konsultationen (zur Modernisierung der EU-Entwicklungspolitik, zur zukünftigen Budgethilfe und zur Finanzierung der EU-Außenpolitik nach 2013) stattfinden. Im Netzwerk Armutsbekämpfung (POVNET) der OECD wird dieses Thema gegenwärtig diskutiert. Ausführliche Informationen hierzu finden sich im Anhang. E U R O P Ä I S C H E R 119 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 7 Die Niederlande (Minbuza) Äthiopien, Mosambik, Simbabwe Finnland (MFA) Sambia, Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan, Vietnam Portugal (Ministerium für Arbeit und Soziale Solidarität) Angola, Guinea-Bissau, Kap Verde, Mosambik, São Tomé und Principe, Timor-Leste Luxemburg (MFA) Ghana, Senegal Benin, Demokratische Republik Kongo, Mali, Ruanda, Senegal, Südafrika, Uganda Spanien (AECID) Senegal Burkina Faso, Äthiopien, Mosambik, Uganda, Armenien, Aserbaidschan, Österreich (ADC) Georgien, Moldawien, Palästinensische Gebiete Belgien (MFA) Italia (MFA) Unterstützung für die Programme PSNP und PSA Budgethilfe, Kapazitätsaufbau, politischer Dialog Kapazitätsaufbau, Nutzung nationaler Systeme, Koordination, IKT-basierte Systeme, Monitoring, Mutterschutz, Arbeitslosenversicherung, Arbeitsschutz und Gesundheit (OSH). Einsatz für die Rechte und die Inklusion von Menschen mit Behinderungen. Berufliche Bildung, Entwicklung institutioneller Kapazitäten Umsetzung durch lokale NRO Unterstützung für IAO-/STEP-Programme zur sozialen Sicherung in den portugiesisch-sprachigen Ländern Afrikas Unterstützung für Krankenkassenfonds; Ghana-Luxembourg Social Trust Budgethilfe, Projekte, Unterstützung für NRO und Zivilgesellschaft Jugendschutz und Schutz für gefährdete Kinder Sozialtransfers, staatliche Beschäftigungsprogramme, Diversifizierung des Lebensunterhalts Unterstützung für das Integrierte Programm für wirtschaftliche und soziale Entwicklung (PIDES), das mit dem PRSP und der Nationalen Initiative für soziale Sicherung verbunden ist. Senegal Über das Ausmaß, in dem die EU und ihre Mitgliedstaaten das Potenzial ihres komparativen Vorteils auf dem Gebiet der sozialen Sicherung ausschöpfen, kann man unterschiedlicher Auffassung sein. Wie das Fehlen eines gemeinsam vereinbarten politischen Rahmens und Engagements der EU belegt, hat soziale Sicherung nach wie vor eine nachrangige Position auf der EU-Entwicklungsagenda. So bleibt die Unterstützung durch die EU zumeist fragmentiert und unkoordiniert und lässt viele „Stiefkinder der Geber” ohne Hilfe. 7.1.2 AUFBAU VON PARTNERSCHAFTEN FÜR SOZIALE SICHERUNG: DER WEG DER EU EU-Geber könnten voneinander lernen durch Austausch bewährter Verfahren und innovativer Konzepte, die eine solide Grundlage für ein verbessertes Engagement der EU bieten. Dazu sollten nicht nur die spezifischen Instrumente und Projekte oder Ländererfahrungen in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt werden,491 sondern ebenso das Handeln der EU und ihrer Mitgliedstaaten sowie die Partnerschaften, die sie bei der Förderung und Unterstützung der sozialen Sicherung im subsaharischen Afrika eingehen. 7.1.2.1 ENGAGEMENT IN DER ZIVILGESELLSCHAFT Auf dem Weg zu umfassenden sozialen Sicherungssystemen sind Entwicklung von Eigenverantwortlichkeit und Unterstützung im Land selbst entscheidend, da durch sie die Einführung von Initiativen für soziale Sicherung ermutigt und deren Nachhaltigkeit gewährleist wird. Während die lokale Basis allgemein zu wenig berücksichtigt worden ist, haben einige EU-Partner zur Stärkung der Eigenverantwortlichkeit wichtiger Akteure der Zivilgesellschaft beigetragen. In Sambia haben Irish Aid und DFID die zivilgesellschaftliche Plattform für soziale Sicherung unterstützt, die die Agenda für soziale Sicherung gestaltet hat und nun eine wichtige koordinierende und fördernde Funktion innehat. Ein Gemeinschaftsprojekt vom Rat für Soziale Entwicklung in Tansania (Tanzanian Council on Social Development) und seinem finnischen Partner unterstützt den Kapazitätsaufbau bei wichtigen zivilgesellschaftlichen Akteuren der sozialen Sicherung. Viele andere EU-Geber wie die SIDA und Portugal unterstützen auch Projekte von Nichtregierungsorganisationen (NRO) in verschiedenen Bereichen der sozialen Sicherung. Gewerkschaften und Privatwirtschaft sind ebenfalls Partner. In Benin, Ruanda und Südafrika unterstützt Belgien das Gewerkschaftsprogramm des internationalen Instituts für gewerkschaftliche Bildung (Programme syndical de l’Institut de formation syndicale internationale) für den gewerkschaftlichen Kapazitätsaufbau in den Bereichen Gesundheit und Arbeitsschutz, um besseren Schutz im formellen wie im informellen Sektor zu gewährleisten. In Senegal erprobt die Französische Agentur für Entwicklung (AFD) innovative Mikroversicherungen in Partnerschaft mit der Privatwirtschaft. In Guinea plant die Deutsche Entwicklungszusammenarbeit (DED) öffentlich-private Partnerschaften mit Bergbauunternehmen und privaten Unternehmen zur Entwicklung von Mikroversicherungen. Diese Initiativen ergänzen die Unterstützung staatlich gelenkter Prozesse und stärken durch Kapazitätsaufbau auf beiden Seiten den Gesellschaftsvertrag zwischen Staat und Bürgern. 491 EU-Geber sind an einer Reihe bewährter Verfahren beteiligt, die in Kapitel 6 untersucht werden. 120 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die Rolle der EU - Engagement, Herausforderungen und Empfehlungen 7.1.2.2 ZUSAMMENARBEIT MIT DER INTERNATIONALEN ARBEITSORGANISATION Die IAO unterstützt die Ausweitung von sozialer Sicherung im subsaharischen Afrika. Sie ist zugleich ein internationales Forum für die Gestaltung des politischen Konsenses zu sozialen Fragen und zur sozialen Sicherung wie im Fall des Sozialpolitischen Rahmens für Afrika (UN Social Protection Floor, SPF). Eine Einbindung der EU-Politik für soziale Sicherung in den weiter gefassten Rahmen der IAO könnte ihr daher größere Legitimität verleihen. So wurde jüngst beschlossen, den Geltungsbereich der strategischen Partnerschaft der IAO-Kommission für die Entwicklung der sozialen Sicherung auszuweiten, um zu gewährleisten, dass die vier Säulen des Konzepts für menschenwürdige Arbeit berücksichtigt werden.492 Das 2010 gestartete gemeinsame Projekt „Verbesserung der sozialen Sicherung und Beschäftigungsförderung“ wurde in Äthiopien, Burkina Faso, Honduras und Kambodscha eingerichtet. Ziel ist, durch einen nationalen Konsens eine integrierte Strategie für soziale Sicherung und Beschäftigungspolitik zu fördern, die in den entwicklungspolitischen Rahmen dieser Länder eingebunden ist.493 Mehrere Mitgliedstaaten haben mit der IAO außerdem Partnerschaften in Bereichen mit Bezug zur sozialen Sicherung abgeschlossen. Belgien hat im Rahmen seiner Zusammenarbeit mit der IAO ein Programm zur Förderung des sozialen Dialogs auf regionaler Ebene in Afrika finanziert (Programme de Promotion du Dialogue social en Afrique, PRODIAF), während Portugal das IAO-Programm „Strategien und Instrumente gegen soziale Ausgrenzung und Armut” (ILO/Strategies and Tools against social Exclusion and Poverty programme) zur Ausweitung der sozialen Sicherung in den portugiesisch-sprachigen Ländern Afrikas unterstützt.494 Luxemburg hat das innovative Konzept eines globalen Sozialfonds (Global Social Trust, GST) entwickelt und umgesetzt (Kasten 7.1). Kasten 7.1: Der Ghana-Luxembourg Social Trust Die IAO entwickelte 2002 das Konzept eines globalen Sozialfonds (Global Social Trust), der „auf den Grundsätzen sozialer Gerechtigkeit, internationaler Solidarität, Gleichheit und Verantwortlichkeit beruht“.495 Das Konzept sieht vor, dass Einzelpersonen in den entwickelten Ländern einen geringen monatlichen Betrag als eine Art zusätzlichen freiwilligen Sozialversicherungsbeitrag in einen globalen Fonds einzahlen, mit dessen Hilfe dann die Ausweitung der sozialen Sicherung in Entwicklungsländern finanziert wird. Der Ghana-Luxembourg Social Trust (GLST) wurde im Januar 2010 aufgelegt und ist der erste seiner Art. Das Pilotprojekt des GLST ist ein bedarfsorientierter, konditionierter Sozialtransfer für in Armut lebende schwangere Frauen in vier Gemeinden im Westen des Bezirks Dangme. Das Programm wird von der luxemburgischen Regierung (zu zwei Dritteln) und der gewerkschaftlichen Nichtregierungsorganisation OGB-L Solidarité Syndicale (zu einem Drittel) kofinanziert und gemeinsam von OGB-L, der IAO und der Regierung von Ghana entwickelt und umgesetzt. GLST ist in das soziale Sicherungssystem Ghanas eingebunden und, arbeitet wo immer möglich, mit vorhandenen lokalen Strukturen zusammen. Es ist eng mit dem Sozialhilfeprogramm „Livelihood Empowerment Against Poverty“ (LEAP) verknüpft, dessen Methoden zur Armutsbewertung für die Auswahl der Hilfeempfänger angewendet wurden. Die Projektentwicklung soll einen einfachen Übergang in Regierungsverantwortung ermöglichen. Ziel ist schließlich, die Regierung am Ende der fünfjährigen Laufzeit durch Präsentation der positiven Auswirkung des Pilotprojekts dazu zu bewegen, das Projekt zu übernehmen und seine Umsetzung und Finanzierung auszuweiten. 7.1.2.3 FÖRDERUNG REGIONALER KONZEPTE Die EU und ihre Mitgliedstaaten verfügen über langjährige Erfahrung in der Regionalisierung und haben regionale Integration durch Entwicklungszusammenarbeit gefördert. Die Kommission hat das Programm für Regionale Ernährungssicherheit und Risikomanagement (REFORM) finanziell und technisch unterstützt, das sich zum Ziel setzt, Ländern der IGAD-Region (Aktivitätsbereich der Zwischenstaatlichen Entwicklungsbehörde (Intergovernmental Authority on Development - IGAD)) bei der Entwicklung von Rahmenplänen und Strategien der sozialen Sicherung zu helfen. Im September 2010 hat die Französische Agentur für Entwicklung (AFD) ein Projekt mit dem Ziel beschlossen, den öffentlichen Gesundheitsschutz zu erhöhen und die Mitgliedstaaten der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion bei der Planung und Umsetzung nationaler Strategien und Systeme für soziale Sicherung im Gesundheitswesen mit einem besonderen Schwerpunkt auf regionalem Kapazitätsaufbau zu unterstützen.496 Solche Initiativen sind besonders wichtig, weil regionale Konzepte notwendig sein können, um grenzüberschreitende Probleme 492 493 494 495 496 Europäische Kommission 2009, S. 105. Internes von der EU übermitteltes Dokument. PRODIAF (www.prodiaf.org/) engagiert sich vor allem in den französischsprachigen Ländern Afrikas und wird auch von Frankreich unterstützt. Centro de Informação em Protecção Social (www.cipsocial.org/) bietet Informationen in portugiesischer Sprache. GLST-Broschüre, verfügbar auf www.solidaritesyndicale.lu/glst.php. Siehe auch IAO 2005. Projet d’appui à l’extension de la couverture du risque maladie dans les États membres de l’UEMOA (PACRM). Hauptpartner des Projekts wird die Direction de la Santé, de la Protection sociale et de la Mutualité der UEMOA-Kommission sein (UEMOA = Westafrikanische Wirtschafts- und Währungsunion). E U R O P Ä I S C H E R 121 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 7 der sozialen Sicherung (wie im Fall nomadisierender Hirten am Horn von Afrika) bewältigen zu können. Regionale Organisationen können so die panafrikanische Dynamik fördern und ihre Mitgliedsstaaten unterstützen. 7.1.2.4 FÖRDERUNG DER SÜDSÜDKOOPERATION FÜR SOZIALE SICHERUNG Wie in Kapitel 6 gezeigt, ist die „traditionelle“ Rolle der Geber als politische Direktoren und Lieferanten technischer Hilfe für soziale Sicherung strittig. Auch der Wandel in der Geberlandschaft und die wachsende Nachfrage nach Süd-Süd-Kooperation im Bereich der sozialen Sicherung machen eine Neuorientierung erforderlich. Vor diesem Hintergrund haben EU-Entwicklungspartner begonnen, nicht nur als direkte Anbieter von Hilfe und Beratung zu agieren, sondern auch als Vermittler. Vor allem DFID hat den Süd-Süd-Wissenstransfer zwischen dem brasilianischen Ministerium für Soziale Entwicklung und Bekämpfung des Hungers und seinem Partner in der Regierung Ghanas unterstützt; aus dieser Zusammenarbeit entstand das Sozialhilfeprogramm „Livelihood Empowerment Against Poverty“ (LEAP). An diesen Erfolg schloss sich 2008 der Start des vom DFID unterstützten Kooperationsprogramms zur Sozialen Entwicklung zwischen Afrika und Brasilien an, der die gemeinsame Zusammenarbeit auf dem Gebiet der sozialen Sicherung weiter verstärkte. Ein Internetportal für den Wissensaustausch im Bereich der sozialen Sicherung (South-South Learning on Social Protection Gateway) wurde 2010 gestartet, ebenfalls mit Unterstützung vom DFID. Die GDC (GIZ) finanziert den Chilenischen Fonds für Solidarität und soziale Investition (FOSIS) zur Entwicklung seines Potenzials für horizontale und dreiseitige Kooperation.497 Frankreich hat sich verpflichtet, den Sozialpolitischen Rahmen für Afrika (SPF) durch Förderung der Süd-Süd-Kooperation und der dreiseitigen Kooperation zwischen Argentinien, Brasilien und Mexiko und afrikanischen und asiatischen Ländern zu unterstützen.498 Diese aufkeimenden „EU-Süd-Süd“-Initiativen stellen einen ersten Schritt in Richtung auf den Wandel der Geberlandschaft dar und dienen gleichzeitig der Umsetzung der Empfehlung der Afrikanischen Union für den Sozialpolitischen Rahmen für Afrika „die Vorteile der Süd-Süd-Kooperation und regionaler und internationaler bewährter Verfahren nutzen“.499 Aus dem Wandel der Rolle der EU-Geber von führenden Gebern zu Nischenakteuren und aus der Entwicklung von bewährten Verfahren zu innovativen Experimenten ist einiges über das weitgehend unbekannte und unerschlossene Potenzial der EUUnterstützung für soziale Sicherung im subsaharischen Afrika und in anderen Regionen zu lernen. Um dieses Potenzial voll ausschöpfen zu können, sollten die EU-Partner sich den in Kapitel 6 skizzierten Herausforderungen stellen und mehr EU-spezifische Hindernisse überwinden. 7.2 HERAUSFORDERUNGEN BEI DER AUSWEITUNG UND VERBESSERUNG DER EUUNTERSTÜTZUNG FÜR SOZIALE SICHERUNG 7.2.1 DIE BEDEUTUNGSLOSIGKEIT DER EU 7.2.1.1 NACHFRAGEORIENTIERUNG ALS KONZEPT: PERSPEKTIVEN DES EUENGAGEMENTS IM SUBSAHARISCHEN AFRIKA Entwicklungszusammenarbeit im subsaharischen Afrika verschaff t der Europäischen Union einen „Hebel, um soziale Anliegen vorzubringen“500 und so ihre eigene „soziale“ Vision der Globalisierung umzusetzen.501 Allerdings sollte - ungeachtet des großen Fachwissens und Erfahrungsschatzes der EU auf dem Gebiet der sozialen Sicherung und ungeachtet ihres Potenzials für Erfahrungsaustausch502 - eine übertrieben eurozentristische Perspektive - in der Annahme, Europa besitze einen inhärenten und vorherrschenden komparativen Vorteil - vermieden werden. Den EU-Gebern ist bewusst, dass sie mit einem Rückgriff auf das Konzept „Modell Europa“ schlecht beraten wären und dies auch dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit widerspräche. Das wachsende Interesse an sozialer Sicherung in den Ländern des subsaharischen Afrika führt zudem nicht zwangsläufig zur Orientierung an einer sozialen Sicherung nach europäischem Muster oder zur Einbeziehung europäischer Geber als Partner. Das europäische Sozialmodell ist das Ergebnis spezifischer Prozesse unter besonderen Rahmenbedingungen, die sich von denen im subsaharischen Afrika unterscheiden. Die Dominanz des informellen Sektors, geringe fiskalische Ressourcen und Herausforderungen wie 497 498 499 500 501 502 Im Rahmen dieser Zusammenarbeit wurde die CD-ROM Modelo de Transferencia para la Cooperación Horizontal y Triangular erstellt, um den Austausch der FOSISErfahrungen zu erleichtern. Diese Verpflichtung ist Bestandteil der neuen Rahmenvereinbarung für Partnerschaft 2010 zwischen Frankreich und der IAO. Afrikanische Union 2008, § 2.2.3 „Empfohlene Maßnahmen”. Eichhorst et al. 2010. Siehe Kapitel 1, Abschnitt 1.6.3. Siehe Kästen 3.6 und 4.4. 122 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die Rolle der EU - Engagement, Herausforderungen und Empfehlungen die HIV/Aids-Epidemien erfordern andere Lösungen, die zudem von Land zu Land unterschiedlich ausfallen. Vor diesem Hintergrund ist die Geschichte der europäischen Sozialpolitik zwar von Interesse, sie bietet allerdings nicht das einzige „Modell“, und nicht unbedingt das wichtigste. Afrikaner sind möglicherweise mehr daran interessiert, von erfolgreichen sozialpolitischen Lösungen in anderen Staaten des subsaharischen Afrikas zu lernen, die sich an die lokalen Bedingungen und die begrenzten Ressourcen und Kapazitäten des eigenen Landes anpassen lassen. Die in Lateinamerika und Asien gemachten Erfahrungen - auf deren Vielfalt und Umfang in Kapitel 4 hingewiesen wurde - sind zunehmend gefragt, wie die steigende Zahl der Veranstaltungen und Programme im Bereich des Süd-Süd-Erfahrungsaustausches (South-South-Learning) zeigt. Verwertbare Erfahrung und Unterstützung kann daher durchaus von afrikanischen oder anderen Entwicklungspartnern kommen, ebenso wie von „traditionellen“, meist multilateralen Partnern aus Nicht-EU-Ländern. Für die Europäische Union besteht die Herausforderung darin, die Lücke zwischen geweckten Erwartungen und tatsächlichen Fähigkeiten („capability-expectations gap”)503 bei der Unterstützung von sozialer Sicherung zu schließen, nicht allein durch die Verbesserung ihrer Fähigkeiten, sondern auch durch einen unverstellten Blick darauf, was Partner tatsächlich von der EU erwarten. In Übereinstimmung mit dem Prinzip der Eigenverantwortlichkeit sollten Unterstützung und Beratung durch die EU sich daher so weit wie möglich an der Nachfrage orientieren. Die Praxis zeigt nämlich, dass eine deutliche Nachfrage nach EU-Unterstützung besteht.504 Dabei können spezifische Aspekte des europäischen Systems der sozialen Sicherung von Interesse sein. So haben Vertreter der senegalesischen Regierung jüngst eine Studienreise nach Italien unternommen, um den dortigen Rahmen und die Mechanismen für den Schutz gefährdeter Kinder kennenzulernen und daraus zu lernen. Das Tansanisch-Deutsche Programm zur Unterstützung der Gesundheit (Tanzanian-German Programme to Support Health) ist ein Beispiel für institutionalisierte Partnerschaft, die auf ein spezielles Instrument der sozialen Sicherung ausgerichtet ist.505 Es besteht insgesamt eine starke Nachfrage nach technischer Unterstützung und Kapazitätsaufbau. In Ruanda z. B. reagierten EU-Partner auf ein Regierungsersuchen in Bezug auf langfristige technische personelle Unterstützung in den Bereichen Programmentwicklung und -verwaltung, Finanzierung, Monitoring und Evaluierung. Der Mehrwert der EU-Partner kann sich auch aus ihren Aktivitäten in anderen Entwicklungsländern ergeben. DFID kann aufgrund seiner umfangreichen Erfahrung bei der Unterstützung der sozialen Sicherung in subsaharischen Ländern Afrikas als Vermittler für Erfahrungsaustausch und Austausch bewährter Verfahren unter Ländern auf vergleichbarer Entwicklungsstufe und mit vergleichbaren Herausforderungen agieren. Entsprechend können andere EU-Geber mit Erfahrung im subsaharischen Afrika oder in anderen Regionen GIZ in Asien, SIDA in Osteuropa, die Kommission in Lateinamerika - Prozesse des Süd-Süd-Erfahrungsaustausches unmittelbar vermitteln. 7.2.1.2 ENGAGEMENT DURCH POLITISCHEN DIALOG Der komparative Vorteil der EU beruht zum Teil auf der Breite und Tiefe seiner institutionellen Partnerschaften. Die Nachfrage von SSA-Ländern und anderen Partnern nach Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der sozialen Entwicklung und sozialen Sicherung scheint zu steigen. So gehörte die soziale Sicherung zu den Hauptthemen des letzten Asien-Europa-Treffens (ASEM). Auf dem Gipfeltreffen forderten die Vertreter der ASEM-Länder „mehr Erfahrungsaustausch und technische Unterstützung bei der Umsetzung von sozialen Sicherungsstrategien“.506 Soziale Sicherung zählt zu den sechs Prioritäten des Programms EUROsociAL II zur sozialen Kohäsion, das den Erfahrungsaustausch zwischen Entscheidungsträgern der EU und Lateinamerikas fördert. Und im Rahmen des Kooperationsprojekts China-EU zur Modernisierung der Sozialen Sicherung („Social Security Reform Cooperation Project”) findet jedes Jahr ein hochrangiger Runder Tisch statt. Soziale Sicherung ist ebenfalls Bestandteil des politischen Dialogs mit der Ländergruppe Indien-Brasilien-Südafrika im Rahmen der jeweiligen strategischen Partnerschaften mit der EU. Der Gemeinsame Aktionsplan für die Strategische Partnerschaft Südafrika-EU (South Africa-EU Strategic Partnership Joint Action Plan (2007)) empfiehlt die Aufnahme von Gesprächen über soziale Sicherung unter Einbeziehung der „Agenda für menschenwürdige Arbeit“ (Decent Work Agenda) der IAO. Der zweite Aktionsplan EU-Indien (2008) empfiehlt, den „Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der nachhaltigen Ausweitung sozialer Sicherung" zu intensivieren. Und der Gemeinsame Aktionsplan für die Strategische Partnerschaft Brasilien-EU (2008) setzt sich für eine Vielzahl von Aktivitäten im Bereich der sozialen Sicherung ein, u. a. für „die Intensivierung des Austauschs zur Süd-Süd-Kooperation auf der Basis des brasilianischen Modells für einen Zugang zu gerechten Systemen der grundlegenden sozialen Sicherung“ sowie für die Stärkung der „Kooperation und des Dialogs auf dem Gebiet der Systeme der sozialen Sicherung, insbesondere durch deren Ausweitung auf ArbeitnehmerInnen in atypischen und prekären Arbeitsverhältnissen.“507 Diese Dialoge entwickeln sich zu einem EU-Süd-Süd- 503 504 505 506 507 Der Begriff wurde von Christopher Hill geprägt (Hill 1993). Dieser Abschnitt beruht auf Erkenntnissen aus der Fachliteratur, Diskussionen auf ERD-Konferenzen und zwei ERD-Umfragen (Einschätzungen von afrikanischen Akteuren und von EU-Fachleuten). Im Rahmen des Programms (http://www.tgpsh.or.tz). Die Interventionen umfassen Kapazitätsentwicklung und langfristige technische Unterstützung auf zentraler, regionaler und Bezirksebene. ASEM 2010, S. 6. Gemeinsamer Aktionsplan für die Strategische Partnerschaft Brasilien-EU, 2. Gipfel EU-Brasilien, Rio de Janeiro, 22. Dezember 2008, S. 9 - 10. E U R O P Ä I S C H E R 123 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 7 „Trialog“, da das Interesse aller Beteiligten (SSA, südliche Schwellenländer und EU) an Erfahrungsaustausch auf dem Gebiet der sozialen Sicherung gestiegen ist. In Artikel 25 Abs. 3 des Abkommens von Cotonou heißt es dazu: „Die Vertragsparteien fördern und unterstützen mit ihrer Zusammenarbeit die Entwicklung und Umsetzung einer Politik für den sozialen Schutz und die soziale Sicherheit und entsprechender Systeme, um den sozialen Zusammenhalt zu stärken und die Selbsthilfe und die Solidarität in der örtlichen Gemeinschaft zu fördern.“ In der zweiten Änderung des Abkommens (2010) wurde eine spezielle Regelung in Bezug auf die Verbesserung der Gesundheitssysteme und die Unterstützung von Sicherheitsnetzen ergänzt.508 Die strategische „Partnerschaft für Migration, Mobilität und Beschäftigung“ im Rahmen des ersten Aktionsplans (2008 - 2010) der Gemeinsamen Strategie Afrika-EU hat sich zu einem Diskussionsforum über Beschäftigung, menschenwürdige Arbeit und soziale Sicherung entwickelt.509 Der zweite Aktionsplan (2011 - 2013) sieht vor, den Dialog über die Umsetzung des OuagadougouAktionsplans und die globale Agenda für menschenwürdige Arbeit zu intensivieren. Die Kommissionen der Afrikanischen Union und der Europäischen Union verpflichten sich insbesondere, ein gemeinsames Projekt zu starten mit dem Ziel, die soziale Sicherung besonders im informellen Sektor auszuweiten. Sie planen eine Veranstaltung für den Erfahrungsaustausch zwischen entsprechenden Sachverständigen und anderen wichtigen Akteuren, darunter Vertreter aus Regierung, Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft sowie Vertreter der Sozialpartner und internationaler Organisationen.510 Trotz vielversprechender Aussichten wurden bei den Gesprächen bisher nur geringe Fortschritte erzielt.511 Die Herausforderung liegt somit nicht einfach darin, soziale Sicherung zu einem Eckpfeiler der Partnerschaft zu machen, sondern darin, seine Versprechen auch einzuhalten. 7.2.2 POLITIKKOHÄRENZ IM INTERESSE DER ENTWICKLUNG 7.2.2.1 SOZIALE SICHERUNG IM UMFASSENDEN KOHÄRENZRAHMEN Die Verpflichtung der EU zu Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung (Policy Coherence for Development - PCD) ist in den Verträgen,512 dem Europäischen Konsens über die Entwicklungspolitik sowie in zahlreichen vereinbarten Dokumenten und den Beschlüssen auf EU-, OECD- und DAC-Ebene verankert. Der EU-Bericht 2009 zur Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung betont, dass „die Aufgabe, die soziale Sicherung im formellen wie im informellen Sektor auszuweiten, bewältigt werden muss, was auch bedeutet, die Politikkohärenz in den Sektoren Handel, Finanzen und Soziales/Entwicklung und den entsprechenden Institutionen auf allen Ebenen zu verbessern.“513 Die EU-Außenpolitik kann durchaus eine größere (schädliche oder nutzbringende) Auswirkung auf die soziale Sicherung im subsaharischen Afrika haben als die Entwicklungspolitik der EU. So können beispielsweise Handelsreformen in einigen Fällen kurzfristig den Arbeitsmarkt durch einen erhöhten Anteil informeller Beschäftigung gefährden.514 Eine auf freiem Handel beruhende Globalisierung kann daher die Versorgung mit sozialer Sicherung und deren Ausweitung im subsaharischen Afrika behindern. Zum einen macht Informalität soziale Sicherung besonders notwendig (Arbeitnehmer in informellen Beschäftigungsverhältnissen zählen zu den besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen), zum anderen erhöht sie jedoch gleichzeitig die Schwierigkeit, soziale Sicherung umzusetzen (die meisten der bestehenden Programme können nicht ohne weiteres auf Selbstständige und den informellen Sektor ausgeweitet werden). Freier Handel kann auch die Möglichkeiten von Regierungen einschränken, finanzpolitischen Spielraum zu schaffen, er kann insbesondere auch zur Ausgabenreduzierung für Bereiche wie Sozialversicherungen führen, gerade wenn diese Leistungen besonders dringlich erforderlich sind, um die Auswirkungen externer Schocks zu mildern.515 Abgesehen vom Handel können auch politische Maßnahmen - von der Änderung von Eigentumsrechten (mit Implikationen für Landbesitz und Landnutzung, Fischereirechte, Zugang zu Wasser, Bergbau) bis hin zu Migrationsbestimmungen (Nachfrage nach Zuwanderung hochqualifizierter Fachkräfte, die zur Abwanderung der einheimischen Intelligenz (Brain-drain) führt) - die Umverteilung und die soziale Sicherung im subsaharischen Afrika beeinflussen. 508 509 510 511 512 513 514 515 EU-AKP-Partnerschaftsabkommen, unterzeichnet am 23. Juni 2000 in Cotonou, geändert am 25. Juni 2005 in Luxemburg; Zweite Änderung des Cotonou-Abkommens, vereinbarter konsolidierter Text, 11. März 2010. So fand beispielsweise vom 30. Juni bis 2. Juli 2010 ein „Workshop in Dakar, Senegal, über Beschäftigung, soziale Sicherung und menschenwürdige Arbeit in Afrika - Erfahrungsaustausch über die informelle Wirtschaft“ statt. Afrikanische Union - Europäische Union. 2010, S. 62 und 64. Europäische Kommission 2009, S. 109; Bossuyt und Sherriff 2010; Bello 2010. Artikel 208 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union:”… Bei der Durchführung politischer Maßnahmen, die sich auf die Entwicklungsländer auswirken können, trägt die Union den Zielen der Entwicklungszusammenarbeit Rechnung.” Europäische Kommission 2009. Bacchetta et al. 2009. OECD, IAO, WB, WTO 2010, S. 25. 124 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die Rolle der EU - Engagement, Herausforderungen und Empfehlungen 7.2.2.2 ANTWORT UND VERANTWORTUNG DER EU Die Reaktion der EU auf Bedenken hinsichtlich der Auswirkungen der Globalisierung auf Beschäftigung, Arbeitsbedingungen, Einkommen und soziale Sicherung bestand bisher vorrangig darin, die Grundsätze menschenwürdiger Arbeit und Kernarbeitsnormen durch handelspolitische Instrumente auf bilateraler und multilateraler Ebene (wie bei GSP+, der Erweiterung des Programms der Gemeinschaft für allgemeine Zollpräferenzen - GSP) zu fördern. Dies ist sicherlich notwendig. Allerdings gelten diese Normen nicht in der informellen Wirtschaft und gewähren so der überwältigenden Mehrheit der afrikanischen Bevölkerung keine Sicherheit. Aus diesem Grund sollte der Abfolge der EU-Reaktionen größere Aufmerksamkeit gewidmet werden, da endogene Reformen und eine aktive Arbeitsmarktpolitik notwendig sind, um die kurzfristigen Kosten (Ansteigen von Informalität) abzufedern und einen Übergang zu langfristigem Nutzen (stabilere Wirtschaften) sicherzustellen. Mit Blick auf andere Herausforderungen sind im Rahmen des Arbeitsprogramms 2010 - 2013 Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung (Policy Coherence for Development Work Programme) eine Reihe von Maßnahmen vorgesehen - Festlegung von Grundsätzen für verantwortliche Investitionen in landwirtschaftlich genutzte Flächen, Senkung der Überweisungskosten bei Zahlungsanweisungen, Einführung von EU-Normen für die Ausbildung von Fachkräften im Gesundheitswesen sowie Durchführung von Bewertungen der Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit - mit denen ein erster bescheidener Schritt zur Bewältigung und Vermeidung von Inkohärenz unternommen wird. Politikkohärenz ist jedoch ein äußerst sensibles politisches Thema, wenn man bedenkt, dass Rechenschaft gegenüber EUInteressenvertretern (wie Landwirtschafts- und Fischereilobby) Vorrang vor entwicklungspolitischen Überlegungen zu besitzen scheint. Damit die Verpflichtungen der EU in Bezug auf PCD in die Praxis umgesetzt werden können, sind verstärktes politisches Engagement und mehr Koordination auf der Ebene der Mitgliedstaaten und auf EU-Ebene erforderlich. Ein Konzept, das auf besserer Kenntnis der Zusammenhänge und Kosten und auf gemeinsam vereinbarten Folgenbewertungen beruht, könnte beschleunigten Fortschritt bewirken. Während die EU und ihre Mitgliedstaaten die Kohärenz ihrer Politik sicherlich verbessern sollten, ist ein umfassenderes Engagement der globalen Gemeinschaft notwendig. Neue Geber (und Regierungen) stehen wie die EU in der Verantwortung zu gewährleisten, dass ihre Außenpolitik andere Entwicklungsländer nicht benachteiligt und deren Übergang zu stabilen Wirtschaften und integrativen Gesellschaften hemmt. In der globalen Entwicklungspolitik spielt Politikkohärenz allerdings nur eine untergeordnete Rolle, und „neue“ Geber unterzeichnen in den wenigsten Fällen die nicht bindenden Rechtsakte (soft law) des OECD-Ausschusses für Entwicklungshilfe. In Anbetracht ihrer Verpflichtung für die soziale Dimension der Globalisierung muss die EU daher Sorge tragen, dass Politikkohärenz zu einem vorrangigen Thema der globalen Agenda wird. 7.2.3 ARBEITSTEILUNG UND WIRKSAMKEIT IN DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT 7.2.3.1 EUENGAGEMENT FÜR EINE POLITIK DER WIRKSAMKEIT UND DER ARBEITSTEILUNG IN DER ENTWICKLUNGSZUSAMMENARBEIT Die EU-Geber engagieren sich mit einem ehrgeizigen Programm für die Arbeitsteilung und Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit auf internationaler Ebene (Erklärung von Paris und Aktionsplan von Accra) und auf EU-Ebene (Verhaltenskodex für Arbeitsteilung in der Entwicklungspolitik, Operationeller Rahmen für die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit).516 Die Umsetzung dieser Verpflichtungen in die politische Praxis bleibt Widerständen ausgesetzt, und bisher wurden nur geringe Fortschritte erzielt. Weiterhin überwiegen Fragmentierung und Proliferation, häufig auf Kosten von Kohärenz, Eigenverantwortlichkeit und umfassender Entwicklung. Dennoch gibt es Fortschritte bei den EU-Gebern, insbesondere im Kontext der Fast-Track-Initiative zur Arbeitsteilung (FTI-DoL), um die Probleme zu ermitteln und einen Fahrplan für deren Lösung vorzuschlagen.517 Als erstes SSA-Land wurde Äthiopien einer gründlichen Prüfung unterzogen (Aufstellung der Geber, Fragmentierungs-Tabelle, sektorale Struktur). Die Untersuchung ergab, dass das Engagement der Geber nicht immer der Selbstbewertung ihres komparativen Vorteils oder der Bedeutung, die Geber wie Empfänger der Hilfe-Beziehung beimessen, entspricht. Zu diesen Themen wurde von der Europäischen Kommission ein EU-Aktionsplan entworfen, der mit der äthiopischen Regierung erörtert werden soll. Ein ähnliches Verfahren wird aktuell in Mali durchgeführt (wo sich bereits eine Reihe von Gebern aus delegierten Kooperationen zurückgezogen hat). Ruanda und Sierra Leone sind voraussichtlich die nächsten Länder, die einer Prüfung unterzogen werden. 516 517 Erklärung von Paris über die Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit (2005); Aktionsplan von Accra (2008); Rat der Europäischen Union 2007; Rat der Europäischen Union 2009. Ziel der FTI-DoL ist die beschleunigte Umsetzung des EU-Verhaltenskodex in ausgewählten Pilot-Partnerländern. Im Rahmen der Initiative sind für jedes Partnerland leitende und unterstützende EU-Vermittler benannt worden. Die Fast-Track-Initiative der EU wird in 32 Partnerländern umgesetzt, 18 davon sind SSA-Länder (Rat der Europäischen Union 2009). E U R O P Ä I S C H E R 125 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 7 7.2.3.2 SOZIALE SICHERUNG IM RAHMEN INLÄNDISCHER ARBEITSTEILUNG Diese Verfahren beinhalten konkrete Implikationen für die EU-Unterstützung der sozialen Sicherung. Bislang sind nur wenige EU-Geber im Bereich der sozialen Sicherung aktiv. Dies bedeutet natürlich, dass mehr Engagement notwendig ist; den EU-Partnern bietet sich allerdings auch die Gelegenheit, gleich zu Beginn „bewährte“ Verfahren anzuwenden - wie in Mosambik, wo DFID und die Niederlande das Programa Subsidio de Alimentos durch gemeinsame Mittelbereitstellung in Abstimmung mit den Regierungssystemen unterstützen -,518 um dann im weiteren Verlauf ihr Engagement zu verstärken. Noch allgemeiner gefasst könnte die Ausrichtung auf gemeinsame EU-Programme - und auf den Vorschlag für eine fortschreitende Synchronisierung von EU- und nationalen Programmzyklen, die auf den Entwicklungsstrategien und Programmzyklen der Partnerländer fußen519 - ein besser abgestimmtes EU-Engagement zur Unterstützung umfassender sozialer Sicherungssysteme ermöglichen und zugleich die Eigenverantwortlichkeit von Partnerländern fördern. Mit der EU-Politik für wirksame Entwicklungszusammenarbeit stellt sich auch die Frage, ob soziale Sicherung als ein eigenständiger Sektor betrachtet werden sollte. Es spricht sicherlich viel dafür, dass sich das Sektorkonzept auf den Bereich der sozialen Sicherung anwenden lässt. Soziale Sicherung als Sektor zu definieren könnte dabei helfen, dem Bereich Priorität zuzuweisen und die Mittelbindung zu sichern. Es könnte darüber hinaus die Kohärenz des Gesamtkonzepts für soziale Sicherung und deren Integration in den breiteren entwicklungspolitischen Rahmen verbessern. Auf Länderebene würde das Konzept die Einrichtung von Arbeitsgruppen erleichtern und den politischen Dialog stärken. Das EU-Grünbuch über die Zukunft der Budgethilfe bezeichnet soziale Sicherung ausdrücklich als einen wichtigen Bereich des sektorpolitischen Dialogs.520 Da sich die EU-Geber allerdings verpflichtet haben, ihr aktives Engagement auf maximal drei Sektoren pro Land zu konzentrieren,521 birgt die Anwendung des Sektor-Konzepts das Risiko des Ausschlusses von Geberbeteiligungen. Im Kontext der Prozessoptimierung könnte es sich als schwierig erweisen zu gewährleisten, dass soziale Sicherung zu den ausgewählten Sektoren zählt, da sie noch keine allgemeine Priorität der Entwicklungspolitik darstellt. Der am besten geeignete Weg, diese Frage zu entscheiden, kann daher durchaus in der Angleichung an die Partnerprioritäten auf Länderebene liegen. Wie im Verhaltenskodex betont wird, „sollte das Verständnis davon, was einen Sektor konstituiert, … mit der Definition des Partnerlands übereinstimmen, das den Sektor als eine Priorität im Rahmen seiner Strategie zur Armutsbekämpfung oder ähnlicher Maßnahmen festgelegt haben sollte.522 Ein gutes Beispiel hierfür bietet Ruanda, dessen Nationale Strategie der Sozialen Sicherung, unterstützt von gemeinsamer Budgethilfe, eindeutig ein sektorweites Konzept favorisiert. Im Rahmen der Geberpolitik könnte soziale Sicherung als ein Querschnittsthema gefördert werden, mit zahlreichen Ansatzpunkten für Mittelverwendung, einschließlich Budgethilfe, wann immer diese möglich und angemessen ist. Ein solches Konzept würde einen starken übergreifenden politischen Rahmen für die EU-Politik erfordern sowie Koordinationsmechanismen, die umfassende Kohärenz gewährleisten und soziale Sicherung eindeutig zu einem Bestandteil der EU-Geberpolitik machen. 7.2.3.3 FÖRDERUNG VON SOZIALER SICHERUNG UND LÄNDERÜBERGREIFENDER ARBEITSTEILUNG Länderübergreifende Arbeitsteilung stellt eine weitere wichtige Herausforderung dar. „Hilfe, wie sie gegenwärtig zugewiesen wird, erzeugt Ungleichheit bei der Verteilung“,523 die durch eine hohe Konzentration in „Lieblingsländern“ gekennzeichnet ist, während viele andere Länder „Stiefkinder“ bleiben. Dies ist bei 15 fragilen afrikanischen Staaten der Fall, die im Zeitraum 2009 bis 2010 mit einem Rückgang der länderbezogenen planbaren Hilfe zu rechnen hatten, bei einigen Ländern (Côte d’Ivoire, Liberia, Togo und Tschad) in Höhe von fast 20 %.524 Im Bereich der sozialen Sicherung ist die Unausgewogenheit besonders eklatant: die internationale Unterstützung (einschließlich EU) konzentriert sich in der Regel auf eine Handvoll bevorzugter Länder (Äthiopien, Ghana, Kenia, Malawi, Ruanda und Sambia), die das Potenzial haben, „Erfolgsgeschichten“ zu werden. Währenddessen erhalten viele der bedürftigsten Staaten - häufig fragile Länder, deren geringe Kapazität, sich ein eigenes soziales Sicherungssystem leisten zu können, durch die Krise weiter geschwächt worden ist - geringe oder gar keine Unterstützung. Die EU hat sich im Verhaltenskodex, im Operationellen Rahmen und in Beschlüssen des Rates der jüngsten Zeit ausdrücklich dazu verpflichtet, dieses Problem anzugehen.525 Zunächst wurde ein regelmäßiger und systematischer Informationsaustausch vereinbart (insbesondere im Hinblick auf Entscheidungen über Einstieg in die bzw. Ausstieg aus der Unterstützung für ein Land) sowie ein jährliches Treffen auf Expertenebene, „um die Ergebnisse des Informationsaustauschs zu untersuchen und zu erörtern, vor allem im Hinblick auf 518 519 520 521 522 523 524 525 Das DFID und die Niederlande leisten Budgethilfe über ein zentrales Konto des Finanzministeriums. Zusammen mit IAO und UNICEF unterzeichneten sie 2008 einen Abschluß von Vereinbarungen (Memorandum of Understanding) mit der Regierung, der gemeinsame Unterstützung für institutionelle Entwicklung einsschließt. Die Regierung legt allen Partnern nur einen Bericht vor. Rat der Europäischen Union 2010a, Abs. 33 Europäische Kommission 2010a, S. 9. Der Kodex ist jedoch „freiwillig, flexibel und unterliegt freiwilliger Selbstbeschränkung”, und Geber können weiterhin mit Budgethilfe intervenieren. (Rat der Europäischen Union 2007). Ebd. „Leitprinzip 1“. Piebalgs und Rodríguez Ramos 2010. OECD 2010. Mittlerweile erhalten 6 von 43 fragilen Ländern 51 % der gesamten öffentlichen Entwicklungshilfe für fragile Staaten (Afghanistan 13,5 %, Äthiopien 9,5 %, Irak 9,4 %, Westjordanland und Gaza 7,3 %, Sudan 6,6 %, Uganda 4,7 %). Siehe insbesondere: Rat der Europäischen Union 2010b. 126 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die Rolle der EU - Engagement, Herausforderungen und Empfehlungen die Fragmentierung länderübergreifender Hilfe und die Proliferation der Geber“.526 Dies bedeutet einen zwar zögerlichen, dennoch wichtigen ersten Schritt, wenn man berücksichtigt, dass die geografische Ausrichtung von Hilfe häufig von (historischen, wirtschaftlichen, strategischen und kulturellen) Präferenzen bestimmt ist, die integraler Bestandteil des staatlichen Vorrechts auf souveräne Außenpolitik sind. Während die EU aufgrund der fortgeschrittenen Integration und Kooperation ihrer Mitgliedstaaten möglicherweise das beste Forum für die Auseinandersetzung mit diesen Themen bietet, hängt wirksame innerstaatliche und länderübergreifende Arbeitsteilung auch von der Zusammenarbeit mit anderen Akteuren ab (Geber aus Schwellenländern, Nicht-EU-Geber im Entwicklungshilfeausschuss der OECD, Stiftungen, NRO und vertikale Fonds). Auf dem Gebiet der sozialen Sicherung reichen innerstaatliche Partnerschaften (wie die Gruppe der PSNP-Entwicklungspartner) und länderübergreifende Partnerschaften (wie die internationale Initiative Providing for Health)527 häufig über EU-Grenzen hinaus. Der Harmonisierungsprozess findet selten ausschließlich oder vorwiegend auf EU-Ebene statt, sondern bezieht wichtige Partner aus der gesamten Geberschaft ein. Während die Europäische Union mit anderen Gebern zusammenarbeitet, um Synergien zu optimieren, sollte sie sich zugleich bemühen, ihre Position durch Ausweitung ihres Engagements und durch Übernahme einer führenden Rolle bei der Förderung einer fortschrittlichen Politik der sozialen Sicherung in Zusammenarbeit mit den Partnern im subsaharischen Afrika zu behaupten. 7.3 POLITISCHE EMPFEHLUNGEN: AUF DEM WEG ZU EINEM EUROPÄISCHEN KONZEPT FÜR SOZIALE SICHERUNG IM INTERESSE EINER INKLUSIVEN ENTWICKLUNG Die Europäische Union (die Kommission und die Mitgliedstaaten) ist international der größte Geber im Bereich öffentlicher Entwicklungszahlungen (ODA). Soziale Sicherung ist allerdings noch nicht vollständig in die entwicklungspolitische Agenda der EU eingebunden, obschon das auf dem Prinzip der Umverteilung fußende europäische Sozialmodell durchaus mit der internationalen Umverteilung zur Stärkung der Sozialmodelle der Partnerländer vereinbar ist. Die EU verfügt noch nicht über einen umfassenden Rahmen oder eine umfassende Strategie zur Förderung von sozialer Sicherung als integralem Bestandteil ihrer Entwicklungspolitik. Akteure wie die Europäische Arbeitsgruppe für soziale Sicherung und menschenwürdige Arbeit bei der Entwicklungszusammenarbeit haben nachdrücklich gefordert, der sozialen Sicherung „die ihr zukommende Bedeutung“528 in der Entwicklungspolitik der EU einzuräumen. Dies würde ihrem Engagement für die soziale Dimension der Globalisierung Glaubwürdigkeit verleihen. Die fehlende kollektive Führung der EU erinnert an ihren Hang, in der Entwicklungspolitik „unterhalb ihrer Gewichtsklasse zu boxen“, was vor allem ihrer Schwierigkeit „mit einer Stimme zu sprechen“ geschuldet ist. Allgemeiner gewendet ist die Position der EU und ihrer Mitgliedstaaten in der sich ändernden globalen Landschaft und politischen Struktur des Hilfe-Systems zunehmend in Frage gestellt. Wie die Reflexionsgruppe über die Zukunft der EU 2030 betonte, „kann es sich Europa nicht länger leisten, sich durchzuwursteln“.529 Europa muss seine Position und seinen komparativen Vorteil - auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit - auf globaler Ebene (neu) definieren. Die laufenden Überlegungen zur Modernisierung der Entwicklungspolitik und der Ausgabenprogramme der Europäischen Union bieten eine Gelegenheit, soziale Sicherung zu einem Schlüsselelement der EU-Unterstützung für inklusives Wachstum zu machen. Einige EU-Geber, darunter die Europäische Kommission, unterstützen bereits aktiv Initiativen für soziale Sicherung unter Führung der Länder. Für die EU bleibt allerdings noch viel tun, um anhaltende Schwierigkeiten zu überwinden und ihren komparativen Vorteil und ihre kollektive kritische Masse voll ausschöpfen zu können. Dies erfordert in erster Linie ein größeres Engagement. Wie dieser Bericht zeigt, ist soziale Sicherung nicht nur ein Recht, sondern ebenso eine Investition, die über den Erfolg des übergeordneten Entwicklungskonzepts entscheidet. Die Bekämpfung von Gefährdung und Ungleichheit wirkt sich unmittelbar auf die Entwicklung von Stabilität und das Erreichen von inklusivem Wachstum aus. Soziale Sicherung kann daher ein strategisches Instrument sein, um die Millennium-Entwicklungsziele in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Gender und Armut zu erreichen und die Nachhaltigkeit in vielen anderen Politikbereichen zu verbessern. Soziale Sicherung kann ein zukunftsorientiertes Instrument sein, um auf die gegenwärtigen und zukünftigen Bedürfnisse Afrikas in Zusammenhang mit demografischen Trends, Migration, Klimawandel und globaler Instabilität zu reagieren. Sie kann auch ein wichtiges Mittel zur Stärkung der sozialen Kohäsion und des Gesellschaftsvertrages sein und so politische Rechenschaftspflicht und soziale Stabilität fördern. Soziale Sicherung ist also ein wichtiges fehlendes Teilstück des Entwicklungspuzzles, das die Wirkung der entwicklungspolitischen Maßnahmen der EU wesentlich verbessern kann. Der Europäische Entwicklungsbericht empfiehlt der EU deshalb, ihre Unterstützung für die soziale Sicherung in Entwicklungsländern zu verstärken und zu verbessern. Dazu identifiziert der Bericht sieben Prioritäten für die EU und ihre Mitgliedstaaten: 526 527 528 529 Ebd. Die Initiative Providing for Health (P4H) ist eine internationale Plattform (beteiligt sind Deutschland, Frankreich, die IAO, die Weltgesundheitsorganisation und die Weltbank) für Dialog und harmonisierte Kooperation, um Länder mit niedrigem oder mittlerem Nationaleinkommen dabei zu unterstützen, ihre Ziele im Bereich des flächendeckenden öffentlichen Gesundheitsschutzes zu erreichen. Europäische Arbeitsgruppe für soziale Sicherung und menschenwürdige Arbeit 2010. Reflexionsgruppe über die Zukunft der EU 2030 (2010), S. 35. E U R O P Ä I S C H E R 127 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 7 PRIORITÄT 1: SOZIALE SICHERUNG ZU EINEM INTEGRALEN BESTANDTEIL DER EUENTWICKLUNGSPOLITIK MACHEN Die EU sollte einen umfassenden politischen Rahmen für soziale Sicherung mit verbindlichem Zeitplan und Mittelbindung einführen. Diese unverzichtbare Maßnahme dient einer besseren Wahrnehmung von sozialer Sicherung und eröffnet Möglichkeiten, den kollektiven Zusatznutzen des EU-Beitrags zu diskutieren. Auf diese Weise könnten auch dringend benötigte Mittel und Unterstützung der EU (Kommission und Mitgliedstaaten) freigesetzt werden. Die EU sollte daher die sich bietenden Gelegenheiten ergreifen und das breite Spektrum ihrer Konzepte und Instrumente auf das Ziel einer langfristigen, vorhersehbaren und zweckmäßigen Unterstützung für soziale Sicherung ausrichten. Laufende Konsultationen über die Modernisierung der EU-Entwicklungspolitik, die Zukunft der Budgethilfe und den Finanzrahmen der EU-Außenpolitik nach 2013530 bieten die Möglichkeit, soziale Sicherung als Priorität in die zukünftigen Politikinstrumente der EU einzubinden. Die Einrichtung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (European External Action Service - EEAS) und der neuen Generaldirektion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEVCO) der Kommission sowie die Umsetzung des Aktionsplans 2011 - 2013 der Gemeinsamen Strategie Afrika-EU bieten weitere Gelegenheiten, das noch junge EU-Engagement für soziale Sicherung in die Praxis umzusetzen. Besondere Aufmerksamkeit sollte auch dem Kapazitätsaufbau des EU-Personals vor allem im Bereich der sozialen Sicherung gewidmet werden. Gemeinsame Schulungen von Mitarbeitern der Kommission und der Mitgliedstaaten könnten die Sensibilität für dieses Thema erhöhen, eine gemeinsame Auffassung von sozialer Sicherung innerhalb der EU fördern und so auch den Dialog mit den Partnern im subsaharischen Afrika erleichtern. PRIORITÄT 2: INNERSTAATLICHE PROZESSE FÖRDERN UND UNTERSTÜTZEN Um Eigenverantwortlichkeit zu gewährleisten und die Grundlagen für langfristige Nachhaltigkeit zu schaffen, sollte die EU die Umsetzung einer Politik der sozialen Sicherung in afrikanischer Hand auf kontinentaler, sub-regionaler und nationaler Ebene fördern; ein Anfang könnte mit der Förderung des Sozialpolitischen Rahmens für Afrika der Afrikanischen Union gemacht werden. Soweit möglich, sollte die EU umfassende, in einen Rechtsrahmen eingebundene soziale Sicherungssysteme unterstützen. EU-Partner sollten zumindest gewährleisten, dass ihre Interventionen mit den inländischen Prioritäten und Bedürfnissen in Einklang stehen, um Mikromanagement und politische Einmischung zu minimieren. Zu den zweckmäßigen Funktionen der Geber zählt u. a. die Bereitstellung von technischer und finanzieller Unterstützung für den Kapazitätsaufbau auf allen Ebenen (nationaler, Provinzund lokaler Ebene sowie auf Regierungs- und Nichtregierungsebene) und Unterstützung bei der aufwändigen Anschubfinanzierung (z. B. von Systemen für Identifikation, Registrierung, Verteilung, Übergabe, Monitoring und Evaluierung). Die Stärkung der Unterstützung im Land ist ebenfalls ein wichtiger Faktor zur Förderung der Eigenverantwortlichkeit. Die EU sollte Konzepte fördern, die die Beteiligung zahlreicher Interessenvertreter vorsehen, und sie sollte führende nationale Persönlichkeiten der sozialen Sicherung (Regierungsvertreter, Abgeordnete, nichtstaatliche Akteure) unterstützen. Dabei sollte sie formelle wie informelle Kanäle nutzen und den Dialog mit potenziellen „Vetospielern“ (veto players), zum Beispiel in Finanzministerien, stärken. PRIORITÄT 3: DEN FINANZIELLEN SPIELRAUM ERWEITERN Da die Mobilisierung einheimischer Ressourcen entscheidenden Einfluss auf die Nachhaltigkeit von Programmen für soziale Sicherung hat, sollte die Europäische Union die Partner im subsaharischen Afrika bei der Reform des Steuersystems unterstützen. Der politische Dialog über die finanziellen und steuerlichen Aspekte von sozialer Sicherung (Steuerreform, Budgetierung, ExitStrategien der Geber) und über allgemeine Themen des öffentlichen Finanzmanagements hat oberste Priorität. Durch die Erweiterung finanzieller Spielräume in Übergangsphasen kann Entwicklungshilfe auch als Katalysator für soziale Sicherung und inklusives Wachstum wirken. In erster Linie müssen die EU-Geber ihre Verpflichtungen im Bereich öffentlicher Entwicklungshilfe (0,7 % des BNE bis 2015) erfüllen, trotz globaler Finanzkrise und den sich daraus ergebenden Haushaltszwängen. Im Bereich innovativer Finanzierung hat die EU bisher eine führende Rolle eingenommen und sollte daher ihre Erfahrung nutzen, um innovative Finanzierungsmodelle für soziale Sicherung wie das Global Social Trust-Konzept der IAO zu prüfen. Die Durchführbarkeit eines sozialen Sicherungsfonds für Afrika, der „Hilfe und andere Geberunterstützung für spezifische Programme mit hoher Priorität bündelt“,531 könnte in Zusammenarbeit mit der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) untersucht werden. Eine derartige Lösung könnte zusätzliche Fonds erschließen und so weitreichende Anstrengungen auf dem gesamten Kontinent ermöglichen. Bei der Bewertung dieser Optionen sollten deren Konzeption und Auswirkungen besonders berücksichtigt werden: neue vertikale Fonds 530 531 Öffentliche Konsultationen über die Grünbücher EU-Entwicklungspolitik zur Unterstützung von inklusivem Wachstum und nachhaltiger Entwicklung. Für eine EUEntwicklungspolitik mit größerer Wirkung und Die Zukunft der EU-Budgethilfe an Drittstaaten, die öffentliche Konsultation Welche Finanzinstrumente für die außenpolitischen Maßnahmen der EU nach 2013?, und Reaktionen auf die Mitteilung Afrika-Europa 2020: 1,5 Milliarden Menschen, 80 Länder, zwei Kontinente, eine Zukunft können ebenso eine Rolle spielen. Taylor 2009. 128 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die Rolle der EU - Engagement, Herausforderungen und Empfehlungen oder Pilotprojekte sollten nicht auf Kosten von Koordination, Harmonisierung und Eigenverantwortlichkeit eingerichtet bzw. durchgeführt werden. Das Engagement der Geber sollte glaubhaft und seine Finanzierung vorhersehbar und verlässlich sein, insbesondere dann, wenn Geber sich für die Unterstützung regelmäßiger Ausgaben entscheiden. Langfristiges Engagement wie in Sambia oder innovative Instrumente wie die Verträge im Rahmen der Millennium-Entwicklungsziele (MDG-Verträge) der EU sind in dieser Hinsicht positive Beispiele. Besondere Aufmerksamkeit sollte der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Staatsfinanzen gelten. Eine Exitstrategie sollte gleich zu Beginn entwickelt und vereinbart werden, um zu verhindern, dass „Wohlfahrtsinseln“ entstehen, die für unwägbare Geberlaunen anfällig sind. PRIORITÄT 4: INTERVENTIONSMODALITÄTEN AN SPEZIFISCHE KONTEXTE UND BEDÜRFNISSE ANPASSEN Für die Unterstützung der sozialen Sicherung im subsaharischen Afrika gibt es kein Patentrezept. Konzepte sollten auf einer gründlichen Kenntnis des lokalen Kontexts und der zugrundeliegenden Politik fußen, um bewerten zu können, was angemessen und was machbar ist. Dieser Bericht empfiehlt ein Maßnahmenpaket, das Budgethilfe, politischen Dialog und Kapazitätsaufbau einschließt und geeignet sein könnte, Eigenverantwortlichkeit und soziale Sicherungssysteme zu fördern, die Bestandteil einer umfassenden nationalen Entwicklungsstrategie sind. Für die Durchführbarkeit von Budgethilfe sind die lokalen Bedingungen entscheidend, insbesondere öffentliches Finanzmanagement und Regierungsführung. Budgethilfe sollte auf einen glaubhaften Hilfevertrag zwischen gegenseitig rechenschaftspflichtigen Partnern gestützt und ergebnisorientiert sein. Für eine Verbesserung der Qualität des politischen Dialogs wäre sektorweite Budgethilfe wünschenswert. Es könnten auch innovative Lösungsansätze wie „Cash on delivery“-Verträge (Geldzahlung nach Leistungserbringung) geprüft werden. Gebergelenkte Pilotprojekte sollten nur in geringem Umfang durchgeführt werden, da sie sich selten (wenn überhaupt) als nachhaltig erweisen. Pilotprojekte sind allerdings weiterhin von Nutzen, um Optionen zu testen oder zu evaluieren oder um Programme in Gang zu bringen, die künftig ausgeweitet werden sollen; diese Projekte sollten in die Prozesse im Land eingebunden und bevorzugt staatlich gelenkt sein. Die Zusammenarbeit mit dem Staat bzw. durch staatliche Strukturen sollte favorisiert werden, um den Gesellschaftsvertrag zu stärken. Unterstützung könnte allerdings auch von informellen und gemeindebasierten Programmen (wie Mutuelles de Santé, einem Projekt für Krankenversicherungen auf Gegenseitigkeit in Westafrika) geleistet werden, auf die im Rahmen eines umfassenderen Systems aufgebaut werden kann (wie in Ruanda). In Ländern in fragilen Situationen sind die Berücksichtigung der lokalen Auffassung von Legitimität (bei der Auswahl der Kooperationspartner) und die Ausweitung der Instrumente für sozialen Schutz (von humanitärer Hilfe bis zu Maßnahmen des Bevölkerungsschutzes) entscheidend. Die Abfolge der Interventionen sollte mit der internationalen Gemeinschaft, deren Unterstützung gebündelt werden kann, vereinbart sein. Nothilfemaßnahmen und Transferleistungen, staatliche Beschäftigungsprogramme, Inputlieferungen und medizinische Grundversorgung könnten ein erster Schwerpunkt sein, bevor die längerfristigen Aufgaben des Kapazitätsaufbaus staatlicher Institutionen für die Umsetzung von sozialen Sicherungssystemen angegangen werden können. Für den gesamten Prozess sind Monitoring und Evaluierung wesentliche Elemente, um Rechenschaftspflicht zu gewährleisten und Lernprozesse zu erleichtern, Ausweitung und Übertragung von Modellen zu ermöglichen und bewährte Verfahren und Engpässe bestehender Programme zu ermitteln. Die EU-Geber sollten angemessene Ressourcen für Monitoring und Evaluierung bereitstellen und Techniken der Folgenabschätzung verbessern. Sie könnten die Anwendung innovativer Methoden für aussagekräftige Folgenabschätzungen unterstützen, einschließlich der Durchführung von Pilotprojekten mit Basis- und Folgeerhebungen in den Pilot- und Kontrollgebieten. Soweit durchführbar, sollte Randomisierung als Methode für die Effektivitätskontrolle bestimmter Maßnahmenpakete, Entwicklungsoptionen oder gestaffelter Ausweitungsprozesse in Betracht gezogen werden. Um Entscheidungsprozesse und Programmplanung zu verbessern, sollte die EU auch Lösungen prüfen, die die Exaktheit und Aktualität der zu Armut und Gefährdung erhobenen Daten verbessern; dies könnte auch mit Unterstützung der „Global-Pulse“Initiative der Vereinten Nationen zur Erhebung aktuellerer und besser nutzbarer Daten erfolgen. PRIORITÄT 5: WISSENSAUFBAU UND ERFAHRUNGSAUSTAUSCH UNTERSTÜTZEN EU-Geber sollten Forschungsvorhaben zu den verschiedenen Auswirkungen und dem Nutzen von sozialer Sicherung im Interesse der Entwicklung in Auftrag geben und unterstützen, um Lernprozesse und faktengestützte Investitionsentscheidungen zu ermöglichen. Weitere Untersuchungen über die mittelfristigen Auswirkungen von sozialer Sicherung auf Wachstum und Gefährdung (insbesondere im Hinblick auf die Fähigkeit der Armen, Vermögenswerte aufzubauen und langfristig der Armut zu entkommen) E U R O P Ä I S C H E R 129 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Kapitel 7 sind erforderlich, ebenso wie Untersuchungen über die politische Stabilität, die soziale Kohäsion und den Gesellschaftsvertrag. Der Forschungsbereich sollte zur Erfassung eines breiteren Erfahrungsspektrums (über den Rahmen der „Lieblingsprogramme“ der Geber hinaus) ausgedehnt werden und einen interdisziplinären Ansatz verfolgen. Auch Erhebungen über die lokalen Einschätzungen und Bedürfnisse könnten einen Beitrag zu bedarfsgerechten Entscheidungen und Planungen leisten. Die Ergebnisse dieser Initiativen sollten unter politischen Entscheidungsträgern verbreitet werden. EU-Geber sollten vor allen Dingen auch die Kapazität der afrikanischen Staaten fördern, ihre eigenen Analysen und Überlegungen hinsichtlich sozialer Sicherung weiter zu entwickeln. Die Finanzierung lokaler Untersuchungen würde die Legitimität und Relevanz der gewonnenen Erkenntnisse stärken und deren Verbreitung (z. B. in der Nationalsprache oder in regionalen Sprachen) vereinfachen. Die Einbindung von sozialer Sicherung in den Dialog Afrika-EU auf allen Ebenen (bilateraler, regionaler und kontinentaler sowie auf der Ebene des politischen und des strategischen Dialogs) ist für die Erleichterung des Erfahrungsaustauschs und die Stärkung des beiderseitigen politischen Willens von Bedeutung. Die EU-Mitgliedstaaten sollten außerdem ihre Erfahrung im Bereich der sozialen Sicherung durch Zusammenstellung leicht zugänglicher Informationen (Das European Transition Compendium zum Übergangsprozess ehemaliger Ostblockstaaten ist ein gutes Beispiel) zur Verfügung stellen und auf Anfrage von Partnerländern Studienreisen, Konferenzen und Workshops durchführen. Angesichts der wachsenden Bedeutung des Erfahrungsaustausches der Entwicklungsländer untereinander (South-South learning) sollte die EU Unterstützung leisten, wenn Entwicklungspartner diese anfordern, und dabei auf Beispielen bewährter Verfahren aufbauen. Eine zielorientierte dreiseitige Partnerschaft des Lernens zur sozialen Sicherung wäre vorstellbar, in Form von regelmäßigem Austausch zwischen den wichtigen Akteuren im Rahmen der verschiedenen politischen Dialoge und strategischen Partnerschaften der EU. Die EU sollte überdies einen Beitrag zu den Leitlinien für bewährte Verfahren leisten, die auf den Mechanismen zur Umsetzung von sozialer Sicherung in Entwicklungsländern basieren, wie es von den G-20-Staaten in Seoul vereinbart wurde. PRIORITÄT 6: DIE KOORDINATION, KOMPLEMENTARITÄT UND KOHÄRENZ VON EUMASSNAHMEN VERBESSERN Die Unterstützung der Europäischen Union für soziale Sicherung sollte uneingeschränkt die Politik für wirksame Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigen und die vertraglichen Verpflichtungen der EU einhalten. Ein EU-weites Netzwerk für „soziale Sicherung und Entwicklung“, an dem Fachkräfte aus Entwicklungsministerien und Entwicklungsagenturen, Ministerien für Arbeit und Soziales und aus der Zivilgesellschaft beteiligt sind, sollte eingerichtet werden. Zu berücksichtigen ist dabei dessen Komplementarität mit POVNET, dem Netzwerk zur Armutsbekämpfung der OECD. Eine erste wichtige Aufgabe des Netzwerks bestünde in der Aufstellung einer Übersicht über die EU-Unterstützung für soziale Sicherung. Eine derartige Initiative würde nicht nur den Austausch von Erfahrungen und bewährten Methoden erleichtern, sondern durch Hervorheben von Lücken und Überschneidungen und durch Ermitteln von komparativen Vorteilen ebenso zu verbesserter Arbeitsteilung führen. Dazu bedarf es einer Vereinbarung darüber, ob soziale Sicherung als eigener Sektor zu behandeln ist. Dieser Bericht legt nahe, die Einbindung von sozialer Sicherung als Querschnittsthema in alle Politikbereiche als zweckmäßiger zu bewerten. Zur Festlegung ihrer Position sollte die EU sich allerdings durch Diskussionen in einem solchen neuen Netzwerk, im POVNET-Netzwerk und mit Partnerländern weitergehend informieren. Mit der Umsetzung des Verhaltenskodexes der EU könnten Programmentwicklung und -unterstützung auf Länderebene rationalisiert werden. Bei der Koordination mit der weiter gefassten Gebergemeinschaft und mit der OECD und ihrem Ausschuss für Entwicklungshilfe sowie bei der Zusammenarbeit mit Entwicklungspartnern sollte die EU die Führung übernehmen. Die länderübergreifende Arbeitsteilung der EU sollte verbessert werden, unter besonderer Berücksichtigung der „Stiefkinder der Geber“ (vor allem der Länder in Situationen der Fragilität). Angesichts ihrer globalen Präsenz hat die Kommission in diesem Zusammenhang eine wichtige Funktion, ebenso wie die EU-Geber mit Verbindungen zu den „verlorenen“ Ländern. Die Verbesserung der Politikkohärenz im Bereich soziale Sicherung ist ebenfalls eine entscheidende Aufgabe. Im Hinblick auf die Umsetzung des Arbeitsprogramms 2010 - 2013 Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung sollte die EU Untersuchungen in Auftrag geben, um die Auswirkungen ihrer Politik in Bereichen wie Handel, Migration und Landwirtschaft auf die soziale Sicherung in Entwicklungsländern zu bewerten. Es bedarf eines stärkeren politischen Willens, um die Verpflichtung der Europäischen Union zur Politikkohärenz im Interesse der Entwicklung in die Praxis umzusetzen und um diese Kohärenz in der weiter gefassten Entwicklungsgemeinschaft (dazu zählen der Vierte Hochrangige Gipfel zur Wirksamkeit der Entwicklungszusammenarbeit, die G-20-Staaten und die 4. UN-Konferenz über die am wenigsten entwickelten Länder (Least Developed Countries) LDC-IV) glaubwürdig zu fördern. 130 Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Die Rolle der EU - Engagement, Herausforderungen und Empfehlungen PRIORITÄT 7: DIE EUPARTNERSCHAFTEN FÜR EINE FORTSCHRITTLICHE AGENDA DER SOZIALEN SICHERUNG STÄRKEN Die Unterstützung sozialer Sicherung spielte im außenpolitischen Handeln der Europäischen Union bislang eine eingeschränkte Rolle, insbesondere im Rahmen ihres Engagements für die soziale Dimension der Globalisierung und für menschenwürdige Arbeit. Die EU sollte in enger Zusammenarbeit mit strategischen Partnern eine fortschrittliche internationale Politik für soziale Sicherung und eine gerechtere Globalisierung fördern. Der Unterstützung der IAO und anderer mit sozialer Sicherung befasster Organisationen der VN kommt angesichts ihrer Erfahrung und Legitimität auf diesem Gebiet eine entscheidende Bedeutung zu. Die EU sollte auch weiterhin die Abteilung für Soziale Angelegenheiten der Afrikanischen Union und die Abteilung für Humane und Soziale Entwicklung der Afrikanischen Entwicklungsbank (AfDB) unterstützen und mit diesen Institutionen zusammenarbeiten; beide übernehmen eine wichtige Funktion bei der Unterstützung der sozialen Kräfte in Afrika. Gestützt auf ihre Erfahrungen und angesichts der Betonung von regionaler Integration in der Entwicklungspolitik sollte sich die EU für regionale Zusammenarbeit bei sozialer Entwicklung und sozialer Sicherung einsetzen und dabei auf der vorhandenen Dynamik und den vorhandenen Instrumenten aufbauen. Ebenso könnten Partnerschaften mit der Privatwirtschaft die Politik der sozialen Sicherung voranbringen. Durch entsprechende Koordination und politische Planung kann die EU privates Engagement fördern. Neue und innovative Formen öffentlich-privater Partnerschaften sollten geprüft werden. Zusammenfassend ist festzustellen, dass es an der Zeit ist, eine neue afrikanisch-europäische Politik der sozialen Sicherung zu entwickeln. Der Konsens über den Nutzen sozialer Sicherung nimmt zu, und das Umfeld nach Krisen wie auch die mit dem Klimawandel verbundenen Risiken machen eine Erneuerung und Stärkung der Partnerschaft erforderlich. Programme der sozialen Sicherung können, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt sind, eine positive Auswirkung auf inklusives Wachstum und Armutsbekämpfung haben, sie können weite Teile der Bevölkerung erreichen und breite politische Unterstützung bewirken. Gut geplante Programme der sozialen Sicherung können informelle, gemeindebasierte Systeme wie auch marktbasierte Lösungen ergänzen. Regelmäßige, unabhängige und faktengesicherte Evaluierungen sind entscheidend, um glaubhafte Belege für die erzielten Programmfortschritte zu erbringen. So können Unterstützung (die weniger anfällig für politische Veränderungen ist) und dadurch politische Nachhaltigkeit und Erfolg gesichert werden. Die bisher erzielten Ergebnisse zeigen, dass durch Engagement, Vision und Unterstützung der Aufbau von sozialer Sicherung im subsaharischen Afrika machbar ist, selbst in Ländern mit niedrigem Nationaleinkommen. Die Auswahl spezifischer neuer Programme bzw. die Ausweitung bestehender Programme ist allerdings länderspezifisch und hängt von den demografischen, geografischen und ökonomischen Kontexten und von der politischen Initiative und den Prioritäten der Partnerländer ab. E U R O P Ä I S C H E R 131 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Literaturverzeichnis LITERATURVERZEICHNIS LITERATURVERZEICHNIS ZU KAPITEL 1 Adesina, J. 2010a. “Return to a Wider Vision of Development: Social Policy in Reframing a New Agenda.” Grundsatzrede auf der 48. Sitzung der Kommission für Soziale Entwicklung der Vereinten Nationen, New York. - - - . 2010b. “Rethinking the Social Protection Paradigm: Social Policy in Africa’s Development.” Hintergrundpapier für den Europäischen Entwicklungsbericht 2010. 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Neue Überlegungen zum Paradigma der sozialen Sicherung: Die Rolle der Sozialpolitik in der Entwicklung Afrikas Alinovi, L., D’Errico, M., Mane, E. und Romano, D. Lebensunterhaltsstrategien und Erholungsfähigkeit der Haushalte bei Ernährungsunsicherheit: Eine empirische Analyse der Situation in Kenia Arun, T. und Murinde, V. Mikrofinanzierungsverordnung und soziale Sicherung Baliamoune Lutz, M. Soziale Sicherung und der Fortschritt Afrikas im Hinblick auf die Millennium-Entwicklungsziele Bastagli, F. Armut, Ungleichheit und staatliche Geldleistungen: Lehren aus Lateinamerika Boni, G. Die Flexibilität des Arbeitsmarktes im subsaharischen Afrika: Französischsprachige Länder, Südafrika und Mosambik ein Vergleich. Brugiavini, A. und Pace, N. Die Ausweitung der Krankenversicherung: Auswirkungen des staatlichen Krankenversicherungsprogramms in Ghana Brunori, P. und O’Reilly, M. Soziale Sicherung im Interesse der Entwicklung: Überblick und Bewertung der Definitionen Bué, C. EU-Perspektiven im Hinblick auf die soziale Sicherung in Partnerländern McCord, A. Zur unterschiedlichen Perspektive von Regierung und Gebern bei auf Geldleistung beruhender sozialer Sicherung im subsaharischen Afrika: Die Folgen der EU-Programme für soziale Sicherung McGregor, A. Gemeindeorientierte soziale Sicherung: Monitoring sich verändernder Gefährdungen für Frauen und Kinder in Sambia Mendola, M. Migration und soziale Sicherung im ländlichen Mosambik Nyarko, Y. und Gyimah-Brempong, K. Soziale Sicherheitsnetze: die Rolle von Bildung, Geldleistungen und Migration Nyarko, Y., Gyimah-Brempong, K. und Peter-Hellwig, K. Überprüfung der Daten afrikanischer Haushaltserhebungen zu sozialen Sicherheitsnetzen und zur Rolle von Bildung, Rücküberweisungen und Migration Oduro, A. Formelle und informelle soziale Sicherung in Afrika Prados de la Escosura, L. Menschliche Entwicklung in Afrika: Eine Langzeitperspektive Woolard, I., Harttgen, K. und Klasen, S. Entwicklung und Auswirkung sozialer Sicherheit in Südafrika 3. DER KONSULTATIVE PROZESS ZUR ERSTELLUNG DES EUROPÄISCHEN ENTWICKLUNGSBERICHTS 2010 Der konsultative Prozess zur Erstellung des Europäischen Entwicklungsberichts 2010 umfasste folgende Veranstaltungen: 1. Erstes Brainstorming zum Europäischen Entwicklungsbericht (ERD) 2010, Florenz, Italien, 5. Februar 2010. 2. Workshop zum Konzeptentwurf für den ERD 2010, Brüssel, Belgien, 5. März 2010. 3. Konferenz „Erkenntnisse und Lernerfahrungen aus Programmen der sozialen Sicherung in den Entwicklungsländern: Die Rolle der EU“, Paris, Frankreich, 17. - 18. Juni 2010. 4. Konferenz „Förderung der Erholungsfähigkeit durch soziale Sicherung im subsaharischen Afrika“, Dakar, Senegal, 28. - 30. Juni 2010. Devereux, S. Der Aufbau sozialer Sicherungssysteme in Südafrika 5. Hickey, S. Die Politik der sozialen Sicherung in Afrika: Die Entwicklung eines neuen Gesellschaftsvertrags? Präsentation des ersten Berichtentwurfs, Florenz, Italien, 17. September 2010. 6. Präsentation des überarbeiteten Berichtentwurfs, Brüssel, Belgien, 4. November 2010. Campos, N. F. und Coricelli, F. Wie lassen sich die entwicklungspolitischen Auswirkungen der sozialen Sicherung in Afrika maximieren? Die Rolle der finanziellen Entwicklung Charmes, J. Informelle Beschäftigung, soziale Sicherung und soziales Kapital: Dimensionen der Erholungsfähigkeit im subsaharischen Afrika Checchi, D. und Salvi, A. Trägt Bildung im subsaharischen Afrika zur lebenslangen sozialen Sicherung bei? Collier, P. Soziale Sicherung in ressourcenreichen Ländern mit niedrigem Einkommensniveau Holmqvist, G. Externe Finanzierung der sozialen Sicherung Chancen und Risiken Kaplan, S. Die Bedeutung von staatlichem Zusammenhalt und Ideologie für die Armen -und für internationale Hilfsprogramme Band 1B dokumentiert den Konsultationsprozess anhand der Abschlussprogramme, der Teilnehmerliste und der Konferenzberichte. Konferenzbeiträge und Podcasts können, soweit vorhanden, von der Projekt-Website heruntergeladen werden. E U R O P Ä I S C H E R 145 ENTWICKLUNGSBERICHT Europäischer Entwicklungsbericht 2010 Vermerke 146 EINE NEUE PERSPEKTIVE IN DER ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN DER EU UND AFRIKA http://erd.eui.eu/ IN PARTNERSCHAFT MIT MOBILISIERUNG DER EUROPÄISCHEN FORSCHUNG IM DIENST DER ENTWICKLUNG SOZIALE SICHERUNG FÜR INKLUSIVE ENTWICKLUNG - EINE NEUE PERSPEKTIVE IN DER ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN DER EU UND AFRIKA SOZIALE SICHERUNG FÜR INKLUSIVE ENTWICKLUNG Europäischer Entwicklungsbericht 2010 SOZIALE SICHERUNG FÜR INKLUSIVE ENTWICKLUNG EINE NEUE PERSPEKTIVE IN DER ZUSAMMENARBEIT ZWISCHEN DER EU UND AFRIKA E U R O P Ä I S C H E R ENTWICKLUNGSBERICHT IN PARTNERSCHAFT MIT MOBILISIERUNG DER EUROPÄISCHEN FORSCHUNG IM DIENST DER ENTWICKLUNG E U R O P Ä I S C H E R ENTWICKLUNGSBERICHT