Wirtschaftsfaktor Land Hans-Joachim Vieweger Theo.Logik
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Wirtschaftsfaktor Land Hans-Joachim Vieweger Theo.Logik
Wirtschaftsfaktor Land Hans-Joachim Vieweger Theo.Logik, Bayern2, 30.01.2012 Es ist noch nicht lange her, da waren Klagen über stetig fallende Nahrungsmittelpreise an der Tagesordnung – Investitionen in die Landwirtschaft schienen unattraktiv. Dass nicht nur die Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital benötigt werden, um Güter herzustellen, sondern dass auch der Faktor Land eine Rolle spielt, diese Erkenntnis war in den Hintergrund getreten. Doch das änderte sich vor etwa fünf Jahren. Insbesondere durch die zusätzliche Nachfrage aus wirtschaftlich aufstrebenden Schwellenländern begannen die Nahrungsmittelpreise zu steigen. Dazu kamen Bestrebungen in den USA und in Europa, landwirtschaftliche Flächen für die Gewinnung von Energie zu nutzen. OT Prof. Dr. Justus Wesseler, TU München - Weihenstephan Das hat die Debatte über Nahrungsmittelproduktion, über den Einsatz von Land für Nahrungsmittel oder für Energie - food vs. fuel im Englischen - unterstützt. so der Weihenstephaner Agrar- und Wirtschaftswissenschaftler Justus Wesseler. Höhere Preise – das bedeutet in der Wirtschaft, dass Kapital angelockt wird: Kapital auf der Suche nach attraktiven Anlagemöglichkeiten. Wobei derzeit besonders viel Kapital im Umlauf ist, was mit der Finanzkrise zusammenhängt, erläutert Kirsten Bernoth vom DIW, dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in Berlin: OT Dr. Kirsten Bernoth, DIW Berlin Die Zentralbanken weltweit haben während der Finanzkrise die Märkte mit reichlich Liquidität geflutet, und dieses Geld floriert auf den Kapitalmärkten herum. Gleichzeitig gilt, dass die Zinsen weltweit auf historisch niedrigem Niveau sind. Investoren wollen ihr Geld trotzdem lukrativ anlegen. Ein Teil des Anstiegs bei den Nahrungsmittelpreisen geht auf diesen Faktor zurück, hat die DIW-Wissenschaftlerin herausgefunden. Spekulation an den Märkten kann daher dazu führen, dass die Preise zeitweise stärker steigen als dies mit Blick auf Angebot und Nachfrage eigentlich gerechtfertigt ist. Und das trifft dann besonders die Ärmsten. Freilich bieten die gestiegenen Preise auch den Anreiz, in die Landwirtschaft zu investieren. OT Dr. Kirsten Bernoth, DIW Das ist natürlich auch ein Signal, dass man das Lebensmittelangebot ausweiten sollte. Das ist auch eine Chance für die Landwirtschaft in Entwicklungsländern, wo noch sehr viel Potenzial ist, um das Lebensmittelangebot auszuweiten. Dass zusätzliche Gelder in die Landwirtschaft fließen, etwa in der Form, dass westliche Unternehmen oder auch Staaten wie China Flächen in Afrika kaufen, um dort Nahrungsmittel zu produzieren, das hält auch Professor Justus Wesseler zunächst einmal für positiv: Dadurch ließe sich das Angebot an Nahrungsmitteln bei einer weiter wachsenden Weltbevölkerung erhöhen. OT Prof. Dr. Justus Wesseler Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie können wir Regionen, die im Moment nicht so produktiv sind, in der Produktivität zu steigern. Und dafür braucht man Kapital. Und wenn jemand bereit ist, da Kapital hineinzustecken, dann ist das doch im Grundsatz keine schlechte Sache. Wie Investitionen von außen der Landwirtschaft eines Landes neue Impulse verleihen können, das lasse sich an historischen Beispielen zeigen. OT Prof. Dr. Justus Wesseler Wenn sie sich anschauen, was Paraguay gemacht hat, in den 30er Jahren, als die Mennoniten aus Russland ausgewandert sind und ein Teil nach Paraguay gegangen ist: Da hat der Staat ihnen ein Stück Land mitten in der Wüste gegeben, wo die Tagestemperaturen bis zu 40 Grad hochgehen. Dort haben die Mennoniten ihr eigenes Dorf aufgebaut, Philadelphia, mit einer eigenen Molkerei, einer eigenen Brauerei und allem, was dazu gehört. Wenn der Wille da ist, dann ist es scheinbar möglich, über Investitionen in der Landwirtschaft eine Region, die sonst als vernachlässigt oder im allgemeinen als nicht sehr produktiv dargestellt wird, so umzuwandeln, dass in der Region Nahrungsmittel produziert werden können, was man vorher mit dem technischen Wissen was wohl vorhanden war, nicht hätte machen können. Freilich: In den Jahren vor 1927, als die Mennoniten nach Paraguay kamen, waren die Flächen unbebaut, praktisch Niemandsland. Das ist bei den meisten Landkäufen heute anders. Hier geht das Land aus der Hand von Kleinbauern häufig in die Hand großer Konzerne. Die Gefahr droht, dass den Kleinbauern ihre Lebensgrundlage entzogen wird - selbst wenn sie den vereinbarten Pachtpreis erhalten. OT Prof. Dr. Justus Wesseler In manchen Fällen mag das der Fall sein, dass nur für den Export produziert wird. Andererseits muss man berücksichtigen, dass diese Investitionen Kapital braucht, Infrastrukturmaßnahmen werden eingeleitet, das heißt es finden Investitionen in eine Verbesserung der Landnutzung statt, es werden eventuell Bewässerungssysteme etabliert. Es muss investiert werden in Häuser und andere Infrastruktur. All diese Investitionen kommen diesem Land zugute, weil natürlich lokale Material dort eingesetzt wird. Nicht nur einheimisches Material wird gebraucht, auch einheimische Arbeitskräfte können neue Arbeit finden, so der Weihenstephaner Agrar- und Wirtschaftswissenschaftler: Ein bestimmter Prozentsatz der investierten Gelder bleibe immer im jeweiligen Land. Was nicht gesichert ist: Bei wem diese Gelder landen – bei den Menschen vor Ort oder bei korrupten Eliten? OT Prof. Dr. Justus Wesseler Und da mag es zu Fällen kommen, dass Landwirte enteignet werden. Dass der starke Staat oder andere Machthaber das Land an ausländische Investoren verkaufen, aber die Landwirte, oder die das Land vorher genutzt haben, nicht ausreichend kompensiert werden. Da hat es Beispiele gegeben, in Äthiopien, oder anderen Teilen Afrikas. Das deutet schon darauf hin: Das entscheidende Kriterium dafür, welche Folgen ausländische Investitionen in der Landwirtschaft von Entwicklungsländern haben, ist die Qualität der institutionellen Rahmenbedingungen. OT Prof. Dr. Justus Wesseler Handelt es sich um ein Land, wo die Rechtsformen gut entwickelt sind, wo es ein Rechtsystem gibt, das funktioniert? Oder habe ich ein Land, wo diese institutionellen Rahmenbedingungen nicht so gut entwickelt sind. Und das ist die entscheidende Frage, wenn man sich damit beschäftigen will, ob die Investitionen durch ausländische Investoren als gut oder schlecht zu bewerten sind. Diese Frage stellt sich aber nicht nur bei Investitionen, sondern auch bei klassischen Entwicklungshilfeprojekten. Die Antwort „Kein Geld für Länder mit schlechten, korrupten Regierungen“ kann richtig sein, aber auch problematisch, wenn man bedenkt, dass es sich häufig um die ärmsten Länder der Welt handelt. Dann gilt es zu prüfen, ob ausländisches Kapital trotz aller Probleme nicht vielleicht doch einen Anstoß zur Entwicklung, vielleicht sogar einen Anstoß zur politischen Öffnung dieser Länder geben kann.