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www.emma.de | Männer gegen Prostitution: Ich kaufe keine Frauen! | Schwarzer über Putin | Hebammen schlagen Alarm | Neue Männer tragen Opas Bart EMMA – das politische Magazin von Frauen Nr. 3/14 (314) 001_EMMA_Titel_3_14 09.04.14 17:21 Seite 1 G 4155 F 9 € (It) 9 € (Lux) 12,50 SFr 7,50 € (A) 7,50 € (D)/Nr.3 (314) Mai/Juni 2014 www.emma.de MÄNNER GEGEN PROSTITUTION HANS BROICH Ich kaufe keine Frauen! Schwarzer über Putin • Hebammen schlagen Alarm • Neue Männer tragen Opas Bart 002_003_Inhalt 09.04.14 17:23 Seite 2 Inhalt 98 76 Wir teilen uns die Kinderarbeit 50/50. Junge Frauen ziehen in den Heiligen Krieg. 4 Editorial: Alice Schwarzer über Putin Nicht lange her, dass wir Russland überfallen haben. 8 Franziska Becker: Bikini-Diät Die EMMA-Cartoonistin hat Tipps für die Traumfigur. 14 Lena Dunham: Das Rolemodel In der Serie „Girls“ revolutioniert sie das Frauenbild. 16 Stephanie Bschorr: Die Unternehmerin Ihr Unternehmerinnenverband ist für die Quote. 18 Dilma Rousseff: Die Präsidentin In Brasilien bekämpfte sie einst den Staat. 20 Margaret Atwood: Die Realistin In der Wildnis lernte sie, nie straight zu denken. 22 Frauenministerin Schwesig Der Start der Frau aus dem Osten ist vielversprechend. 24 Gewalt in Beziehungen Nur noch jede zwölfte Anzeige führt zum Prozess. 27 Philosophin Gehring: Wohin mit dem Krieg? Sie träumt von einem Weltgastrecht für Frauen. FRAUEN UND DIE EU-WAHL 28 Unsere Lobby in Brüssel So kämpft die Women’s Lobby für Frauenrechte! 31 Die EU nutzt uns Frauen! Was wir auch in Deutschland der EU verdanken. 33 Der Siegeszug der Marine Le Pen Wieso ist die Rechtspopulistin so erfolgreich? PROSTITUTION: PARADIGMENWECHSEL 34 Der Paradigmenwechsel Aufstand gegen Prostitution: von Brüssel bis Berlin. 36 Der Schwedische Weg EMMA und die Schweden luden zur Information. 40 Prostitution: Zum Beispiel Pulheim EMMA-Reporterin in einer Stadt wie viele. 46 Gespräch mit einem, der Nein sagt Hans Broich sucht Männer für Zéromacho. 49 Zéromacho: Das Manifest Die Forderungen der Männer gegen Prostitution. 50 Beim Barte des Helden Alles, was Sie über Männer & Bärte wissen müssen. 53 Sonya Kraus: Liebeserklärung Ohne Hebamme hätte sie die Geburt nie überstanden. 54 Hebammen schlagen Alarm! Der gesamte Berufsstand steht auf dem Spiel. 58 Es gibt sie noch – die Anderen. 002_003_Inhalt 09.04.14 17:23 Seite 3 Seite 50 Verena Mörath, Amr Abdallah Dalsh/REUTERS, Jimmy Nelson Pictures BV/www.beforethey.com, Phillip Toledano, Sven Simon/imago 56 Ruby Cups: Tampons adieu! Das Ding macht nicht nur Frauen in Afrika glücklich. 57 Deckstein über Online-Shopping Sie erklärt ihrer Freundin Renate die Folgen. 58 Before they pass away Jimmy Nelson hat bedrohte Völker porträtiert. 76 Frauen im heiligen Krieg Junge Frauen aus Deutschland ziehen in den Djihad. 78 Die Stunde der Schwestern Welche Rolle Frauen bei den Muslimbrüdern spielen. DOSSIER: FRAUENARBEIT 80 Frau muss nur wollen! Wie die Trumpf-Chefin die Arbeitszeit flexibilisiert. 86 Die 32-Stunden-Woche … … die Lösung für Mütter und Väter mit Kleinkindern. 88 Hannelore muss sich ändern! Warum Frauen für Familie Nachteile in Kauf nehmen. 90 Ingenieurinnen in die Kita! Das empfiehlt Wirtschaftswissenschaftler Koppel. 92 Die Krux mit der Mütterrente Und warum die Rente ab 63 vor allem Männern nutzt. 93 Das Leid mit der Pflege Pflege ist doch Frauensache, warum also bezahlen? 95 Annette Anton: Bluffen lernen! Darum sollten Frauen sich so aufplustern wie Männer. 98 Echte 50/50-Eltern Suse und Micha über Hochs & Tiefs fairer Elternschaft. 102 Liebe Elisabeth Niejahr! Alice Schwarzer über Gendergap & Prostitution. 10 12 104 107 108 110 114 115 IMMER IM HEFT Magazin Kultur Bücher Impressum LeserInnen-Forum LeserInnen-Briefe Die lieben KollegInnen Die nächste EMMA SERVICE 7 EMMA im Abo 106 Marktplatz/Kleinanzeigen 113 EMMA-Shop PROSTITUTIO Lena Dunham (li) und ihre Girls. 14 Ich will meine Hebamme haben! 54 N FRAUEN Geht K AUF gar n icht! www.emm a.de Der Anti-ProstitutionsAufkleber. Jetzt bestellen! Seite 113 Manuela Schwesig – die Neue für Frauen. 22 Gabo 004_005_Editorial_korr 10.04.14 13:29 Seite 4 Russland & der Westen I n Deutschland passiert gerade etwas sehr Ermutigendes: Die Menschen glauben den Medien nicht mehr. Obwohl die Berichterstattung in Sachen Ukraine, Krim & Russland sich in überwältigender Mehrheit und unerschütterlicher Selbstgerechtigkeit einig ist in der Verurteilung von Putin und Verharmlosung des Westens, scheinen immer mehr Menschen das anders zu sehen. Laut Umfragen bilden sich zwei Drittel ihre eigene Meinung. Jenseits von Tagesschau, Spiegel und Bild. Auch 69 Jahre nach 1945 haben die Deutschen, quer durch alle Generationen, offensichtlich keinen Bock auf Krieg. Sie haben die deutsch-russische Geschichte nicht vergessen. Und sie haben ein Gespür für politische Propaganda. Denn sie haben schon einmal so gnadenlos falsch gelegen, dass sie so schnell nicht wieder mitmachen möchten im Chor der Selbstgerechten, der in der Regel Unrecht gebiert. Sehr viele Deutsche waren gegen beide Irakkriege, viele haben ziemlich rasch die Propaganda-Lügen im Kosovokrieg durchschaut („Nie wieder 4 EMMA Mai/Juni 2014 Auschwitz“), und die Mehrheit hat zu Recht gebilligt, dass Deutschland sich auch in jüngster Zeit nicht an humanitär verbrämten, militärischen Interventionen wie in Libyen oder Syrien beteiligte. Jetzt also Russland. Präsident Putin ist die Inkarnation des Bösen und wird mit Hitler verglichen. Moskau wird beschuldigt, einen neuen kalten Krieg anzetteln und in die Ukraine einmarschieren zu wollen. Was eine Verkehrung der Tatsachen ist. Denn es war zunächst der Westen, der seit dem Fall der Mauer keine Ruhe gab und unaufhaltsam Richtung Osten drängte – und weiter drängt. Zwölf Länder des ehemaligen Warschauer Paktes sind heute Mitglieder der Nato. Und im Süden Russlands reihen sich die USMilitärbasen an der Nordgrenze Afghanistans – oder rasseln die Gotteskrieger in den islamistisch beherrschten Ländern mit Maschinengewehren und Raketenbasen. Die jetzt in diesen Ländern herrschenden Islamisten waren in den 80er Jahren nicht zuletzt von Amerika unterstützt worden. Sie sollten den so genannten „grünen Gürtel“ um die Sowjetunion bilden: den Gürtel der Gotteskrieger. Was funktioniert hat. Kein Zweifel: Russland ist heute eingekreist. Jetzt also auch noch die Ukraine? Der Geburtsfehler des UkraineKonflikts war, dieses Land vor die Alternative zu stellen: EU oder Russland! Denn die Ukraine ist traditionell ein Brückenland, neigt halb zum Westen, halb zum Osten, und genau das hätte sie auch bleiben sollen. Aber das scheint jetzt verspielt. Statt diese West/OstLage als Stärke zu begreifen, ist sie nun eine Schwäche und befindet sich das Land in einer Zerreißprobe. Für diese Zerreißprobe tragen beide Verantwortung: Putin und der Westen. 004_005_Editorial_korr 10.04.14 13:29 Seite 5 Editorial Alle Länder, die in den letzten zwanzig Jahren gewaltsam „befreit“ wurden, gehörten einst zum sowjetischen Machtbereich. Wenige Westländer, allen voran Deutschland, haben nach der Eskalation versucht, zu Befriedung und Kompromiss beizutragen. Doch der wurde innerhalb weniger Stunden von dem sehr gemischt besetzten Majdan-Platz (von aufrecht empört bis nationalistisch bzw. faschistoid) hinweggefegt – und sodann von einem traditionell käuflichen Parlament bestätigt. Der heute amtierende Präsident Alexander Turschinow, Ökonom und TimoschenkoVertrauter, ist also auch nicht gerade demokratisch legitimiert. Was den Westen nicht hindert, dies hochtönend von Russland in der Krim zu fordern. Überhaupt der Ton. Die West-Medien scheinen in ihrer Herablassung Russland gegenüber und der Schuldverteilung – guter Westen, böser Osten – quasi gleichgeschaltet. 97 Prozent der auf der Krim lebenden Menschen votierten (bei einer Wahlbeteiligung von 90 Prozent) für die Zugehörigkeit zu Russland? Und das „störungsfrei“ unter den Augen internationaler Beobachter, wie es heißt? Na und! „Wir“, die EU und Amerika, „erkennen das nicht an“ und drohen mit „Sanktionen“. Und wir drohen nicht nur, wir handeln. Der Westen führt gerade seinen ersten erfolgreichen „Finanzkrieg“. Entwaffnend offen schrieb die FAZ: „Die modernen Waffen sind nicht länger Panzer, Flugzeugträger oder unbemannte Drohnen. Die Konflikte dieser Welt werden mit Kapitalattacken, Finanzsanktionen und Ratingagentur-Offensiven geführt. Durch den Druck der Finanzmärkte wird eine Ökonomie und damit ein ganzes Land in die Knie gezwungen. Der erste Schauplatz der neuen Kriegsführung ist Russland.“ – In der Tat: Bereits im März stürzten die russischen Kurse und der Rubel ins Bodenlose. Vorgeblich handelt der Westen wie immer im Namen von Demokratie und Menschenrechten. Doch ob wir ein Vor- gehen als „demokratisch“ und „völkerrechtlich legitimiert“ bezeichnen, scheint nicht von der Art des Vorgehens abzuhängen, sondern auch von der jeweiligen Interessenlage. Stichwort: Irak; Stichwort: Afghanistan; Stichwort: Kosovo; Stichwort: Serbien; Stichwort: Libyen; Stichwort: Syrien. Dabei fällt auf, dass all diese Länder, die in den letzten 20 Jahren unter der Flagge der Heilsbringung von der Nato in die Knie gezwungen wurden, in den Zeiten der Teilung der Welt in West- und Ostblock der Machthemisphäre der Sowjetunion angehörten. Heute herrschen in diesen „befreiten“ Ländern das Chaos und/oder die Islamisten. Überall hat der Westen zehntausende, ja hunderttausende von Toten hinterlassen, auch solche in den eigenen Reihen. Und verbrannte Erde. Seit Auflösung dieser Blöcke schreiten wir unaufhaltsam gen Osten. 1990 noch hatte der Westen dem damaligen russischen Präsidenten Michail Gorbatschow, der die Öffnung friedlich eingeleitet hatte, versprochen, den Machtbereich der Nato nicht weiter gen Osten auszudehnen. Seither ist viel passiert, zu viel. In Russlands Nachbarländern Polen und Tschechien sind amerikanische Raketen stationiert. Würde die Ukraine Teil der EU, stünde die Nato bald an der russischen Grenze. Heute ist inzwischen selbst Gorbatschow, der einstige Gegenspieler Putins, an seiner Seite: Der Präsident der Öffnung hält Putins Strategie der eisernen Faust inzwischen für richtig. Denn die Einkreisung Russlands macht nicht nur Putin Sorgen. So lange ist es schließlich noch nicht her, dass Nazi-Deutschland Russland überfallen hat – am Ende lagen da 25 Millionen Tote: Kinder, Frauen, Männer. 25 Millionen. Die letzten Überlebenden sowie die Kinder und Kindeskinder der Ermordeten leben heute in Russland. Präsident Putin ist eines dieser Kinder. Seine Eltern waren in dem von der deutschen Wehrmacht 827 Tage, also zweieinhalb Jahre lang, belagerten Leningrad (heute Petersburg). Der Vater hatte schwer verletzt überlebt, die Mutter war traumatisiert, der ältere Bruder Victor starb mit anderthalb Jahren in der umzingelten Stadt. Die Zahl der Toten in Leningrad in der Zeit der Belagerung wird auf eine halbe bis anderthalb Millionen geschätzt. Das Grauen in der eingeschlossenen Stadt, zuletzt ohne Essen und ohne Wasser, ist kaum vorstellbar. Ein Russland ohne einen wie Putin würde vermutlich in der Faust der Mafia enden. Das scheinen auch die berechtigten Putin-Kritiker nicht immer zu Ende zu denken. Putin ist heute das kleinere Übel – und in den Augen seiner Landleute mutiert er gerade zum Helden. Am 8. Mai wird auch Russland den 69. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges feiern. Dann marschieren die allerletzten Veteraninnen und Veteranen stolz mit ihren Orden durch die Straßen. Jetzt wurden Stimmen laut, die den Ausschluss des russischen Präsidenten von der gemeinsamen Siegesfeier in der Normandie forderten. Ausgerechnet. Ausgerechnet der Präsident des Landes, das den höchsten Preis bezahlt hat. Am 25. Mai sind Wahlen in der Ukraine. Seit Wochen ist von Einschüchterung der heutigen Oppositionellen, Schlägertrupps der Ultrarechten, ja sogar Toten zu hören. Es ist zu befürchten, dass die Wahlen in der zerrissenen Ukraine nicht so gemäßigt verlaufen werden, wie die auf der Krim. Der Krisenherd an der Nahtstelle zwischen Europa und Russland schwelt weiter. Zeit, wieder Brücken zu schlagen – statt sie niederzureißen. Mai/Juni 2014 EMMA 5 006_007_Hausmitteilung_Abo_korr2 11.04.14 15:10 Seite 6 Über uns Flitner/Gabo Hier sind sie, die schlanken EMMAs! 1. Reihe: Alexandra Eul, Angelika Mallmann, Chantal Louis, 2. Reihe: Silvia Kretschmer, Irina Rasimus, Margitta Hösel, dahinter: Franziska Becker, Anett Keller. Es fehlen Praktikantin Anna und Herausgeberin Alice – rechts im diätfeindlichen Outfit. Liebe Leserin, lieber Leser, 6 EMMA Mai/Juni 2014 Zehn EMMAs wiegen zusammen 676 Kilo, macht muss“, sagt eine, die schon viel über das Problem einen Schnitt von 68 Kilo pro Frau. Vier von uns lie- nachgedacht hat. Einerseits findet sie Diäten „echt gen unter diesem Schnitt, sechs drüber. Wobei „das peinlich“ und ist ein Genussmensch: „Ich würde feministische Umfeld“ hilfreich sei, sich damit ab- niemals auf abends essen gehen und ein, zwei Glas zufinden, sagt eine von denen, die drüber sind. Aber Wein verzichten.“ Andererseits hat sie immer wie- klar: Selbst bei EMMA sind Diäten Thema – auch der mal Diät gemacht, „so ein-zweimal im Jahr“: wenn die meisten von uns so tun, als wäre es Brigitte-Diät („gähn“), Kohlsuppen-Diät („kotz“), keines für sie. Und auch bei EMMA waren wir uns Diätpulver („hm“). Eigentlich wünscht sie sich, „den einig: Okay, wir sagen die Wahrheit – aber … unsere ganzen Quatsch zu vergessen“. Aber: „Auf das Fach Namen dürfen nicht genannt werden! Darauf ‚lustige Dicke‘ habe ich auch keinen Bock.“ Eine bestanden drei, und die anderen waren ebenfalls andere findet sich mit 74 Kilo „viiiel zu dick“. Doch: erleichtert. Sechs EMMAs finden sich „zu dick“, sie „Ich fand mich auch schon zu dick, als ich noch wären gerne drei bis zehn Kilo los. Drei EMMAs fin- 60 Kilo wog.“ Eine, die 75 Kilo wiegt, sagt selbstbe- den sich „normal“. Und nur eine findet sich „viel zu wusst: „Seit ich die 50 überschritten habe, habe ich dünn“ (stimmt). Sie futtert massig Nüsse zwischen- mich von dem ganzen Gedöns ums Dick- oder Dünn- durch und abends Nudeln, vergebens: Sie kommt sein verabschiedet.“ Aber fünf Kilo weniger hätte über Kleidergröße 34/36 nicht drüber. Davon kön- sie trotzdem gern. Und eine andere in ähnlicher nen wir übrigen neun nur träumen. Diäten haben Gewichtsklasse sagt gelassen: „Ehrlich, ich habe in wir alle schon gemacht. Drei von uns waren in ihrer meinem ganzen Leben noch nie eine Waage beses- Jugend sogar essgestört, haben das aber jetzt im sen.“ Aber Diät gemacht hat auch sie schon und Griff. Die eine wiegt heute 60 Kilo und würde gerne mit FDH 6,5 Kilo abgenommen – „doch jetzt schon nur noch „so ein bisschen abnehmen, drei Kilo wäre wieder drauf“. Mehrere Mal ist von „zu dicken Ober- gut“. Die andere war mit 14 durch das Buch „Die schenkeln“ die Rede und dass frau nur noch Männer- Bikini-Diät für junge Mädchen“ in die Magersucht jeans kaufen kann. Übrigens: Mittags essen wir gerutscht und hing sieben lange Jahre drin. Heute immer zusammen. Wir sind alle ziemlich verfres- wiegt sie 70 Kilo und sagt: „Ich kann mir gar nicht sen. Das Essen wird von der Praktikantin in einem mehr vorstellen, Diät zu machen.“ DIÄT. „Ich bin nahegelegenen Bistro geholt. Und wenn dann eine zerrissen zwischen meiner politischen Kritik an zum dritten Mal hintereinander nur Salat isst, dem Diätterror – und dem praktischen Wunsch, ein kommt unvermeidlich von einer von uns die dro- paar Kilo weniger zu haben. Damit ich mir auch hende Frage: „Du machst doch nicht etwa Diät?!“ die Kleider kaufen kann, auf die ich jetzt verzichten Und die Antwort: „Wo denkst du hin!“ 006_007_Hausmitteilung_Abo_korr2 11.04.14 15:10 Seite 7 Ja, ich will abonnieren! PROSTITUTIO N FRAUEN Geht K AUF gar n icht! www.emm a.de bzw. ein EMMA-Abonnement vermitteln. 6 Hefte im Jahr 45€ oder 6 Hefte & eMagazin 51€ Für das eMagazin im Abo zahle ich 39€ Siehe www.emma.de Für jedes der Angebote erhalte ich ein Geschenk: Schwarzers „Lebenslauf“ oder die Streitschrift „Es reicht!“ Und als Extra für Bankeinzug 20 Anti-Prostitutions-Aufkleber [email protected] Hotline 0711/725 22 85 www.emma.de JA, ICH WILL DAS EMMA-HEFT ZUM JAHRES-PREIS VON 45 €! An: EMMA-LeserInnen-Service, Postfach 81 06 40, 70523 Stuttgart Ich abonniere für mich persönlich. (E0314) Ich vermittele ein Abo (V0314) Als Dankeschön wünsche ich mir: A. Schwarzer: „Lebenslauf“ oder A. Schwarzer, Hg.: „Es reicht!“ Adresse der/des Vermittelten: 5994/6004 6001/6005 Ich zahle bargeldlos mit Einzugsermächtigung. Meine Adresse: Name, Vorname Name, Vorname IBAN Straße, Hausnummer Straße, Hausnummer Bankinstitut PLZ, Ort PLZ, Ort Datum, Unterschrift Telefon Geburtsdatum E-Mail Telefon Geburtsdatum E-Mail EMMA erscheint in der EMMA Frauenverlags GmbH, Geschäftsführerin Alice Schwarzer, Bayenturm, 50678 Köln, HRB 7742 Köln. Preis Das EMMA-Abo kostet 45 € (75 Sfr) im Jahr, Versand gratis in Deutschland, Schweiz und Österreich. Weiteres Ausland zzgl. Versandkosten. Nach dem ersten Jahr kann ich jederzeit kündigen. Vertrauensgarantie Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gründen in Schriftform widerrufen. Zur Wahrung der Frist genügt die Absendung an: EMMA LeserInnen-Service, Tina Wisst, Postfach 810640, 70523 Stuttgart, E-Mail [email protected], Fax 0711/725 23 33. BIC SEPA-Lastschriftmandat für wiederkehrende Zahlungen (Mandatsreferenz wird separat mitgeteilt): Ich ermächtige die ZENIT Pressevertrieb GmbH, Postfach 81 06 40, 70523 Stuttgart, Gläubiger-Identifikationsnummer DE34AVS00000020406, Zahlungen von meinem Konto mittels Lastschrift einzuziehen. Zugleich weise ich mein Kreditinstitut an, die von der ZENIT Pressevertrieb GmbH auf mein Konto gezogenen Lastschriften einzulösen. Hinweis Ich kann innerhalb von 8 Wochen, beginnend mit dem Belastungsdatum, die Erstattung des belasteten Betrages verlangen. Es gelten dabei die mit meinem Kreditinstitut vereinbarten Bedingungen. Einzugsermächtigung Diese Zahlungsweise hat Vorteile. Sie sparen Zeit und Wege und vor allem: Sie verpassen keine Ausgabe. 008_009_Cartoon 09.04.14 17:59 Seite 8 008_009_Cartoon 09.04.14 17:59 Seite 9 010_011_Magazin 09.04.14 18:03 Seite 10 Magazin Wunderbares Brasilien Neuigkeiten aus dem WM-Land: Laut einer Studie zur „Toleranz sexueller Gewalt gegen Frauen“ glauben 59 Prozent der BrasilianerInnen, PASCHA DES MONATS dass es „weniger Vergewaltigungen gebe, wenn Akif Pirinçci, Autor Frauen wüssten, wie sie sich zu verhalten Nein, um Akif Pirinçci geht es hier eigentlich nicht. Der ist Mitte 50, also in der Midlifecrisis, und hat ein Buch veröffentlicht, das für die FAZ von einem „Sarrazin auf Speed“ ist und Die Zeit mit „Mein Kampf“ von Hitler vergleicht. Wir reden von „Deutschland von Sinnen. Der irre Kult um Frauen, Homosexuelle und Zuwanderer“. Pirinçci, der im Alter von neun Jahren mit seinen Eltern aus der Türkei nach Deutschland kam, muss für dieses krude frauen- und menschenfeindliche Machwerk nun nicht auch noch von EMMA zum Pascha gekürt werden. Unser Pascha des Monats ist der Pirinçci-Leser! Der, der seine Naturfaserkleider und das Bioessen bei Manufactum kauft („Es gibt sie noch, die guten Dinge“). Plus das Pirinçci-Buch aus dem Manufactum-Verlag. Manchmal greift er auch zum Klepper- oder Lodenmantel, ganz wie der Herr Papa. Nur ins Bordell geht er nicht mehr heimlich. Die Scham ist längst vorbei. haben“. 62 Prozent finden: „Frauen, die sich pro- Zürcher Frauenzentrale vokant anziehen, verdienen es, vergewaltigt zu werden“. Gesagt, getan. Nach Schätzungen werden 527 000 Frauen im Jahr vergewaltigt. Die Journalistin Nana Queiroz initiierte daraufhin die Internet-Aktion. Rund 20 000 Brasilianerinnen stellten Protest-Selfies (wie oben) ins Netz. Präsidentin Rousseff erklärte sich solidarisch mit dem Protest: „Nana Queiroz verdient meine Solidariät und meinen Respekt. Regierung und Gesetz stehen an der Seite der Frauen, die Opfer von Gewalt sind.“ #naomerecoserestuprada Von Beinen & Baggern Beine übereinandergeschlagen, Nacken gebogen, Blick nach unten. So sitzen die beiden nackten jungen Herren auf dem Sofa. „Kommt Ihnen etwas seltsam vor?“ steht quer über der Postkarte. Klar! lautet die Antwort. So sitzt kein Mensch, jedenfalls kein männlicher. „Wir wollten zeigen, wie skurril und seltsam es wirkt, wenn Männer in typischen sexistischen Frauenposen dargestellt werden“, erklärt die Salzburger „Watchgroup gegen sexistische Werbung“. Einen Monat lang waren die Karten in drei Motiven als Freecards zu haben. Prompt sorgte die Aktion für einen Eklat unter Salzburger Werbern: „Wir brauchen keine Mini-Alice-Schwarzers, die uns ihre Auffassung von richtigem Einsatz von Sex vorschreiben wollen“, Am 3. August 1914, wenige Tage nach Aus- rügte Heinz Polak von der Agentur „Polak & Friends“. Doch Ger- bruch des 1. Weltkriegs, trafen sich 50 Vertre- hard Scheuer von „Markenstellwerk“ konterte: „Der Werbung ist terinnen von Schweizer Frauenorganisationen auch mit Möchtegern-Hugh-Hefners nicht gedient!“ Polak insistierte: und gründeten die „Frauenzentrale Zürich“. Man werbe schließlich auch mit nackten Männern. Tatsächlich: Bei einer Werbung für eine Im Kampf gegen die Folgen des Krieges orga- Baufirma hatte die Agentur einen Bagger auf den nackten Unterleib eines Mannes montiert. nisierten sie Volksspeisungen, Flick- und Slogan: „Unser bestes Stück ist 27 Meter lang und reißt alles nieder.“ Herrn Polak kommt Wärmestuben, Kurse im Gemüsean- daran offenbar nichts seltsam vor. Postkarten bei: www.watchgroup-salzburg.at bau oder sparsames Kochen. Heute hat die Zürcher Frauenzentrale 1 400 Mitglieder und die Einmal quer durch Wien Schweizer Frauenpolitik ein Jahr- Auf die Plätze – fertig – los! In diesem Jahr werden es 31 000 Frauen und Mädchen aus zahl- hundert lang mitgeprägt. Die reichen Nationen sein, die am 25. Mai im Wiener Prater auf den Rundparcours von fünf bzw. Beratungsstelle war eine zehn Kilometern an den Start gehen. Von Spaßläuferinnen über Nordic-Walkerinnen bis hin der wenigen zu Spitzensportlerinnen, wie die vielfache deutsche Meisterin Sabrina Mockenhaupt. Keine Frauenorgani- 50 Jahre nachdem die amerikanische sationen in der Pionierin Kathrine Switzer 1967 mit Schweiz, die sich 2013 gegen die Verrich- ihrem legendären Antritt beim Bos- tungsboxen in Zürich eingesetzt hat – und ton-Marathon das generelle Verbot gegen die Auffassung, Prostitution sei ein von Frauen bei öffentlichen Lauf- „Beruf wie jeder andere“. Zum Jubiläum veranstaltungen haben die Frauen eine großartige Dokumen- (EMMA 3/12), steigt 2014 in Wien das tation herausgegeben: „Beraten Bewegen Be- größte Frauenlauf-Event Europas – wirken“. 250 Seiten reich bebilderte Geschich- und endet am Sonntagnachmittag mit gebrochen hatte te des Kampfes gegen Entrechtung und für einer Party. www.oesterreichischer- Menschenwürde. www.frauenzentrale-zh.ch frauenlauf.at 10 EMMA Mai/Juni 2014 010_011_Magazin 09.04.14 18:03 Seite 11 Tierfreundin Lucia Der italienische Fleischproduzent „Bresaole Pini“ hatte die Rechnung ohne Lucia gemacht: iese kleine Amerikanerin weiß heute, dass sie ihre Chancen ihren Vorgängerinnen verdankt. D Über 45 000 Unterschriften hat die 14-jährige Zum Beispiel Harriet Tubman (1820–1913), der legendären geflüchteten Sklavin, die selber Tierrechtlerin mit ihrer Online-Petition gegen hunderten von SklavInnen zur Flucht verholfen hat – und später eine engagierte Frauenrechtle- dessen geplanten Bau einer Massenschlacht- rin wurde, für schwarze wie weiße Sisters. Die Amerikanerinnen haben sich einen „Women‘s anlage für Schweine in Bernburg gesammelt history month“ ausgedacht, im März. Und zu diesem Monat der Frauengeschichte hat die Foto- – und das Großprojekt damit vorerst gestoppt. grafin Eunique Jones mit dieser wunderbaren Girls-Serie beigetragen: „Because of them, we Der Stadtrat will prüfen, was es mit der Anlage can …“ (Dank ihnen können wir). An jedem Tag im März hat sie ein anderes Mädchen online ge- auf sich hat. Lucia kämpft für Tierrechte, seit stellt, das sich in eines der großen Vorbilder hineingedacht und es auf seine Weise dargestellt sie als Neunjährige in Bayern auf einem Gna- hat. Die Serie beschränkt sich nicht auf historische, sondern zeigt auch lebende Idole, von denhof für Tiere war. Seither ist sie nicht nur Ms.-Gründerin Gloria Steinem bis Schriftstellerin Toni Morrison. „Es gibt eigentlich viel zu viele Vegetarierin, sondern liest auch alles, was ihr Frauen, um diese Serie auf nur einen Monat zu beschränken“, klagt Fotografin Jones. Aber das zum Thema in die Finger kommt. Kurz vor ist schon mal ein Anfang. Begonnen hatte Jones vor einem Jahr im „Black history month“ mit Weihnachten hat Lucia auch Horst gerettet. Kindern von Freundinnen und Nachbarn. Zum Nachmachen! www.becauseofthemwecan.com Horst ist ihr neues Kaninchen. Eigentlich sollte Horst ein Braten werden. Jetzt hat er den Philipp Schalber/Diener, Maike Glöckner Mehrheit in Deutschland für Porno-Verbot! Himmel auf Erden bei Lucia. Und die plant schon die nächste Aktion. In Aschersleben, wo Laut einer Spiegel-Umfrage von April 2014 sind 71 % aller Frauen für die Sperrung der Porno- die Schülerin aufs Gymnasium geht, soll eine seiten im Internet – und 52 % aller Männer (gesamt 59 %). Unter 30 sind 39 % dafür, über 60 Legehennen-Anlage 72 %. Je weiblicher und je älter, desto Porno-kritischer. Mit 13 hatten 15 % der Mädchen 450 000 Hühner. Also das Grauen. Für die schon Kontakt mit Pornografie und 50 % der Jungen – mit 16 sind es 63 % der Mädchen und Hühner. Nächste Woche will Lucia aus Sach- 89 % der Jungen. In den letzten vier Wochen keine Pornos konsumiert hatten 92 % der Mäd- sen-Anhalt sich mit TierrechtlerInnen aus chen – und 46 % der Jungen. Derselbe Spiegel beginnt seine Titelgeschichte über die Frage Berlin treffen zum Protest-Flyer verteilen. Und „Wie schädlich ist Pornographie?“ mit der Behauptung: „Sexualforscher plädieren für einen die 45000 Unterschriften gegen die Massen- entspannteren Umgang mit der Flut der Nacktfilme (Hervorhebung EMMA) aus dem Internet.“ schlachtanlage gehen noch ans Wirtschafts- Und die Politik? Die scheint das Problem nicht zu beschäftigen. ministerium des Landes. Frau weiß ja nie. Couragierte Alice Nkom KatholikInnentag Sie müssen sich nicht einmal küssen, um im Gefängnis zu Im schönen, barocken Regensburg wird es landen. In Kamerun reichen schon ein gemeinsamer Knei- drei Tage lang heiß hergehen. Vom 28. Mai bis penbesuch oder eine SMS, um Artikel 347a des Strafgesetz- 1. Juni findet dort der 99. Katholikentag statt: buchs zu erfüllen: Sexuelle Handlungen zwischen Men- „Mit Christus Brücken bauen“. Die Schwes- schen gleichen Geschlechts werden mit bis zu fünf Jahren tern dürfen mitbauen. Eins von neun Schwer- Haft bestraft. Auch Nachbarn und sogar Eltern denunzieren punktthemen ist den „Frauen und Männern“ gern jene, die aus der Geschlechterrolle fallen. „Die Lage gewidmet, also der Geschlechterfrage. Dabei ist geradezu hoffnungslos“, klagt Alice Nkom. Dennoch oder gerade deshalb hat die 69-jährige geht es um „Das Ende der Bescheidenheit“ gebaut werden: für Anwältin als einzige den Mut, homosexuelle Frauen und Männer vor Gericht zu vertreten. Dafür von Frauen in kirchlichen Führungspositionen wurde sie jetzt mit dem Menschenrechts-Preis von amnesty international ausgezeichnet. Alice ebenso wie um gerechte Sprache oder sexu- Nkom, zweifache Mutter und achtfache Großmutter, ist das Einzelkämpferinnentum gewohnt: elle Gewalt. Dem Problem Prostitution & 1969 wird sie die erste Anwältin des Landes und gründet das Projekt „Lady Justice“ für Frauen- Frauenhandel sind insgesamt sieben Veran- rechte. 2003 folgt die „Association pour la Défense des Droits des Homosexuel(le)s“, kurz: AD- staltungen gewidmet. EMMA-Mitarbeiterin HEFHO. Rund sechzig Frauen und Männer hat Nkom bisher verteidigt. Jüngst forderte darum Bettina Flitner stellt am Freitag ihre Fotoserie ein Anwaltskollege im Fernsehen bibelschwingend ihren Tod. Aber Alice Nkom lässt sich nicht „Freier“ vor und diskutiert mit bei „Stoppt einschüchtern: „Solche Drohungen zeigen nur, dass unser Kampf weitergehen muss!“ Menschenhandel!“ www.katholikentag.de Mai/Juni 2014 EMMA 11 012_013_Kultur 09.04.14 19:08 Seite 12 Kultur TIPPS Die Selbert im TV Als Iris Berben 1950 geboren wurde, galt für Frauen noch der „Gehorsamsparagraf“: „Dem 12 EMMA Mai/Juni 2014 Manne steht die Entscheidung in allen das eheliche Leben betreffenden Angelegenheiten zu“. Ehefrauen waren zur Hausarbeit verpflichtet, der Gatte durfte ihre Kauf- und Arbeitsverträge kündigen. Jetzt spielt Berben die Frau, die entscheidend mit dafür gesorgt hat, dass diese Gesetze auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet sind: Elisabeth Selbert (1896–1986). Ihr ist zu verdanken, dass der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ am 23. Mai 1949 ins Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland geschrieben wurde. Wie die Kasseler Juristin und Sozialdemokratin Selbert Zehntausende Frauen gegen die ignoranten Politiker mobilisierte, erzählt – pünktlich zum 65. Geburtstag des Grundgesetzes – der ARD-Film „Sternstunde ihres Lebens“. Drehbuch: Ulla Ziemann; Regie: Erica von Moeller; Produktion: Juliane Thevissen. Elisabeth Selbert wäre begeistert gewesen. Sternstunde ihres Lebens, 21. Mai, 20.15 Uhr, ARD 20 Feet From Stardom Schon der Vorspann des oscarprämierten Dokumentarfilms „20 Feet From Stardom“ ist programmatisch: Er zeigt Plattencover, auf denen die Köpfe der Frontsänger überklebt sind. Zu sehen sind nur die, die sonst im Hintergrund stehen: die Backgroundsängerinnen. Deren großer Einfluss auf die Geschichte der Rock- und Popmusik wird unterschätzt. Merry Clayton, Darlene Love und Lisa Fischer heißen diese Sängerinnen, die ihr Leben lang auf der Bühne standen. Niemand kennt sie, obwohl sie in Welthits von Joe Cocker, den Rolling Stones und Sting mitsangen. Und ihre Stimmgewalt die der Frontsänger nicht selten übertraf – und inspirierte. Regisseur Morgan Neville rückt die Frauen ins Rampenlicht. Jetzt im Kino Bildhauerin Sintenis Komponistin Muntendorf Sie hat den „Berliner Bär“ geschaffen, der, Ob Musiktheater, Performance oder Elektro- der jetzt die ganze Hauptstadt verschandelt – nik, das „Experimentieren mit offenem Aus- aber dafür kann sie nichts. Renée Sintenis gang und das mutige Erkunden noch nicht (1888 –1965) war eine bedeutende Bildhaue- kartierter Handlungs- und Ausdrucksfelder“ rin, die viele Plastiken von Mensch und Tier seien Grundzüge in den spartenübergreifen- schuf – und im Berlin der 20er Jahre eine der den Werken der Komponistin Brigitta Mun- spektakulärsten Erscheinungen in der Da- tendorf. Dafür verleiht ihr die Ernst-von-Sie- menszene war. Jetzt zeigt Würzburg knapp mens-Musikstiftung am 24. Mai in München 200 Werke der Bildhauerin. Museum im den Förderpreis, dotiert mit 35 000 Euro. Kulturspeicher Würzburg, bis 22. Juni Muntendorf wurde 1982 in Hamburg geboren und studierte u.a. bei Younghi Pagh-Paan in Bremen und Rebecca Saunders in Köln. Hier gründete sie 2009 auch das „Ensemble Garage“. Seit Oktober 2013 unterrichtet sie Komposition an der Universität Siegen. JL Manu Theobald/Ernst von Siemens Musikstiftung FILM Das Mädchen Wadjda Der erste Film aus Saudi-Arabien – von einer Regisseurin – über ein afghanisches Mädchen, das von einem Fahrrad und der Freiheit träumt. Jetzt auf DVD. • Yves Saint Laurent Er revolutionierte die Mode für die moderne Frau und steckte sie als Erster in Anzüge. Fünf Jahre nach dem Tod von YSL jetzt ein Film über ihn und seinen Lebensgefährten. • MUSIK Pumeza: Voice of Hope Südafrikanische Traditionals und Opernarien. Eine gewagte Mischung der Sängerin aus dem Township. Neneh Cherry: Blank Project Seit 1996 das erste und diesmal düster-experimentelle Solo-Album der Schwedin. Joan As Police Woman: The Classic Das vierte Solo-Album der Sängerin Joan Wasser tönt mitreißend soulig. Rainbirds: Yonder Katharina Franck hat „Blueprint“ und zwölf weitere Rainbirds-Hits in tanzbare Elektronik-Songs verwandelt. • AUSSTELLUNG Ulrike Rosenbach in Bonn Vom 5.5. – 5.10. zeigt das Landesmuseum Werke der feministischen Performancekünstlerin und Malerin. Marianne Werefkin in Bietigheim Bis 6.7. zeigt die Städtische Galerie 100 Werke der großen Avantgarde-Künstlerin (1860 – 1938), "russischer Rembrandt" genannt. Ellen Gronemeyer in Aachen Bis 15.6. zeigt das LudwigForum die erschreckend komischen Bilder der jungen deutschen Malerin. Ute Mahler in Hamburg Bis 29.6. zeigen die Deichtorhallen Fotos des Ostberliner Fotografenpaares Ute und Werner Mahler. Sie wurde früh in der DDR bekannt mit ihren modernen Modefotos. Künstlerinnen in St. Pölten Bis 12.10. steht das Landesmuseum noch „im Zeichen der Frauen“, darunter: Elfriede Mejchar. 012_013_Kultur 09.04.14 19:08 Seite 13 Cannes: Campion! Ana Mendieta Sie war die erste Regisseurin, Die Kubanerin, die die die Goldene Palme in mit zwölf von ihren Cannes erhielt. Und die letzte. Eltern nach Amerika Das war 1993 für „Das Piano“. geschickt wurde, war Da war sie gerade hoch- erst 36 Jahre alt, als schwanger und kam nicht zur sie starb – aber hin- Verleihung. Diesmal ist sie da, terließ ein verzwei- und wie. Jane Campion, 59, ist felt-kühnes, vielfälti- beim 67. Filmfestival an der Croisette die Präsidentin der Jury. Wer auch immer ges Werk. Jetzt zeigt die Preise diesmal kassieren wird, eine Jury unter ihrem Vorsitz wird die Frauen Salzburg eine erste Retrospektive von Ana Mendieta nicht ignorieren. Denn in allen Filmen der Neuseeländerin stehen Frauen im (1948 –1985): 150 multimediale Arbeiten, von Foto bis zu Mittelpunkt: vom „Engel an meiner Tafel“ (1990), die Verfilmung der Autobio- Skulpturen (s. S. 25). Mendietas zentrale Themen sind: grafie ihrer großartigen Landsmännin Janet Frame, bis hin zu der wahnsinnig spannenden TV-Serie „Top of the Lake“ (2013, Star: ihr Alter Ego Holly Hunter). Identität, Gewalt und Natur. Der sorgfältig editierte Katalog „Traces“ erschien bei Hatje Cantz (35 €). Museum der Moderne Salzburg, bis 6. Juli Eric Gaillard/Reuters, © The Estate of Ana Mendieta Collection Und immer sind die Bilder und Plots der Anthropologin und Regisseurin, die – als Tochter einer Schauspielerin/Autorin sowie eines Regisseurs – ihre Drehbücher auch selbst schreibt, von avantgardistischer Kühnheit. Sie zeigt uns Menschen und Landschaften mit anderem Blick. Übrigens: Frauen dürfen bei Campion älter werden und weiße Haare haben. Ganz wie sie selbst. Zweimal Musik in Frankfurt Ab sofort können sich Frauen auf die Bühnen: Sisters in Law in München Frauen für den Jazz- Vom 7. bis 11. Mai findet in workshop „Soulsisters“ Frankfurt das „Women of Es ist eine der hinreißendsten Szenen des Films: Beatrice Ntuba und Vera anmelden, Start: 11. Juli. the World Festival“ statt. Ngassa, die mit ihren weißen Gerichtsperücken stolz in die Kamera blicken. Mädchen haben die Diesmal u.a. mit ZAZ, Gemeinsam kämpfen die Richterin und die Staatsanwältin in Kumba, einem Chance, noch einen Platz Angélique Kidjo, Wallis Bird, Dorf in Kamerun, dafür, dass geschlagene und vergewaltigte Frauen zu bei „Bandfieber“ zu er- Mariza und Lisa Stansfield. ihrem Recht kommen. „Sisters in Law“ ist einer von sieben Filmen der Britin gattern, Start: 29. April. womenoftheworld- Kim Longinotto, die das Dokumentarfilmfest München im Rahmen einer frauenmusikbuero.de festival.de Retrospektive zeigt. dokfest-muenchen.de, 7.–14.5. Violette Gabrielle Gegen Ende ihres Lebens Gabrielle ist 22, lebt in hat sie gesagt: „Hätte ich einer betreuten WG ken und Gewehre schultern: Es nicht geschrieben, wäre ich und arbeitet als Hilfs- ist eine bizarre Gesellschaft, die vielleicht Putzfrau gewor- kraft im Büro. In einem Deborah Sengl für ihre erste den.“ Zum Glück hat sie Chor lernt sie Martin große Ausstellung ins Essl Muse- Rattenscharf Ratten, die Pamphlete schwen- geschrieben. Violette Leduc kennen. Die beiden um (bei Wien) zitiert. Mit fast 200 (1907–1972), die von Simo- verlieben sich. Doch die Menschen in ihrer Umge- präparierten weißen Nagern und ne de Beauvoir entdeckt bung reagieren schockiert – denn sowohl Gabriel- dem schwarzen „Nörgler“ inter- und gefördert wurde (hier le als auch Martin sind geistig behindert. Dürfen pretiert die Wienerin „Die letzten beide im Café Deux Magots) die beiden eine Beziehung miteinander haben? Tage der Menschheit“, inspiriert – und ihr das mit lebens- Oder gar Sex? Gabrielle Marion-Rivard, die Haupt- von Karl Kraus. Die Rattenpara- langer amouröser Verehrung dankte. Martin Provost, darstellerin, hat das Williams-Beuren-Syndrom bel ist die bisher größte Arbeit der Regisseur, hat unübersehbar ein Faible für große (ein Gendefekt, der mit einer besonderen Bega- der Künstlerin. Sengl ist hundert Frauen, die aus dem Kleinen kommen. Nach der bung für Musik einhergeht) und spielt sich quasi Verfilmung des Lebens von Séraphine – der Putz- selbst. Ihr zur Seite stellte Regisseurin Archam- frau, die eine Malerin wurde – nun also Violette bault den Schauspieler Alexandre Landry. Heraus- uns“, der das Mit- Leduc, die Autorin von La Bâtarde (Die Bastardin), gekommen ist ein hinreißender Liebesfilm, der einander schwer die schon zu einer Zeit offen Frauen liebte, als das behutsam die Grenzen zwischen Fürsorge und noch gar nicht angesagt war. Ab 5. Juni im Kino Bevormundung auslotet. Jetzt im Kino Jahre nach Kraus geboren. Es ist „der Krieg in macht, sagt sie. D.B.B. Bis 25. Mai 014_021_Menschen 09.04.14 18:10 Seite 14 Menschen Lena Dunham Das Rolemodel Die unangepasste New Yorkerin revolutioniert das Frauenbild in ihrer Serie „Girls“ und im Leben. Lena pfeift auf Größe 38 und Photoshop. Text: Christiane Heil. Foto: Splashnews. N ie hat ein Outfit die amerikanische Fernsehnation tiefer gespalten als der Bikini von Lena Dunham. Nach dem Auftritt der Schauspielerin in der Serie „Girls“ in einem blaugrünen Nichts über Hüftspeck und Cellulite fand die 80-jährige Moderatorin Joan Rivers es an der Zeit, die 27-Jährige an ihre Vorbildfunktion zu erinnern. Sie mahnte öffentlich: „Lena, weil du amüsant bist, ist es in Ordnung so auszusehen wie du aussiehst. Aber rede anderen Mädels nicht ein, dass sie sich auch so präsentieren sollen!“ Der Erfinderin, Regisseurin und Hauptdarstellerin der Serie „Girls“, in der es um vier Mittzwanzigerinnen geht, die in Brooklyn ihre Sexualität ausprobieren und nach dem Sinn des Lebens suchen, hat sich nach drei Girls-Staffeln längst an Verrisse gewöhnt. Sie sagt: „Beleidigungen lassen mich kalt. Niemand kann mich so sehr hassen wie ich mich selbst. Jede Bösartigkeit, die jemand mir an den Kopf werfen könnte, habe ich mir allein in der vergangenen halben Stunde gesagt.“ Das sagt Lena zwar nicht als Lena, sondern als Girls-Protagonistin Hannah. Sie macht allerdings keinen Hehl daraus, dass ihr Drehbuch aus ihrem Leben geschöpft ist. Seit „Girls“ im Frühjahr 2012 in den USA Premiere feierte, polarisiert die 2013 vom Time-Magazine unter die „100 einflussreichsten Menschen der Welt“ gewählte Dunham wie keine andere. Ob beim Tischtennis mit nackten Brüsten, als ungelenke Kellnerin im Café Grumpy oder im Bett mit rammelnden Männern, ihre Titelheldin Hannah gibt nie die sprichwörtlich gute Figur ab. Ihre Brüste sind zu klein, die Hüften zu rund und die Rollen am Bauch zu üppig. „Endlich weiß ich, dass ich keine Größe 32 tragen muss, um Sex zu haben“, jubelt seither nicht nur Bloggerin Rhea Mirror. Dunham, die als Tochter des Popart-Künstlers Carroll Dunham und der Fotografin Laurie Simmons in Manhattans Künstlerviertel Soho aufwuchs, wird mal als Frauenidol der Generation Y gefeiert, mal als kleines, dickes Mädchen mit Hang zu Exhibitionismus verspottet. Aber alle kennen sie, alle regen sich über sie auf. Jeden Sonntag schalten über eine Million AmerikanerInnen den Kabelkanal HBO an, um der zweifachen Golden-Globe-Preisträgerin und „Herrin der Ängste“ beim (Über)Leben zuzusehen. Dunham war der New York Times schon zu Schulzeiten durch Eigenwilligkeit aufgefallen. Mal schrieb das Blatt über die Modeentwürfe der Elfjährigen, mal berichtete es über ein veganes Abendessen der Sechzehnjährigen, bei dem sich die Girls über Justin Timberlakes Musik mokierten („Bitte schreiben Sie, dass niemand in diesem Raum eine CD von ihm besitzt“). In diesen Jahren besucht Lena die Eliteschule Saint Ann’s in Brooklyn Heights, in der auch Drehbuchschreiben, Kostümschneidern und Schauspielerei auf dem Lehrplan stehen. Rückblickend beschreibt sie sich als altkluge Besserwisserin. „Ich hatte 14 EMMA Mai/Juni 2014 nicht viele Freunde. Viele haben mich abgelehnt, weil ich ständig redete und den Leuten auf die Nerven fiel.“ Nach Abschluss der Highschool zog die New Yorkerin in den Mittleren Westen und studierte an die Kunstakademie der liberalen Universität Oberlin, wo sie sich für kreatives Schreiben entschied. Als Zwanzigjährige verfasste sie erste Drehbücher, führte Regie und versuchte sich an Kurzfilmen, deren Hauptdarstellerinnen unübersehbar autobiografische Züge trugen: komisch, ein wenig neurotisch und so uncool, dass sie schon wieder cool waren. Nicht ganz unerwartet erzählt Dunhams erster Film „Tiny Furniture“ die Geschichte der orientierungslosen Aura, die nach dem Universitätsabschluss aus dem Mittleren Westen nach New York zurückkehrt, wo sie sich als Kellnerin durchschlägt und immer wieder auf egozentrische Männer reinfällt. Dunhams provokante Nacktheit als Antwort auf die Dauersalven unrealistischer Körperideale hat ihr inzwischen den Ruf der Verfechterin eines neuen amerikanischen Feminismus eingebracht. Wo Carrie Bradshaw und Freundinnen in der Kultserie „Sex and the City“ Quickies in Spitzenunterwäsche absolvierten, kommen die sexuellen Abenteuer von Dunhams Hannah Horvath in „Girls“ realistisch schwitzig und unromantisch daher. Privat teilt sie das Bett seit zwei Jahren mit Jack Antonoff, dem Gitarristen der amerikanischen Band „Fun“. Lena Dunhams Blick auf Amerika beschränkt sich allerdings nicht auf den Mikrokosmos ihrer „Girls“-Protagonistinnen. So warb sie bei der politisch zögerlichen Generation Y um Stimmen für Barack Obama, und auch in der Debatte um die wieder aufgeflammten Missbrauchsvorwürfe der Tochter gegen Woody Allen bewies Dunham Charakter. Via Twitter lobte sie den Offenen Brief von Dylan Farrow, die Allen des sexuellen Missbrauchs bezichtigt, als „mutig und kraftvoll“. Dass das Eis für gesellschaftliche Rebellinnen gelegentlich dünner ist als erhofft, erfuhr Dunham bei ihrem Vogue-Cover. Da die Unkonventionelle auf dem Titel des Glamourblattes ungewohnt glatt daherkam, setzte der Blog „Jezebel“ eine Prämie für die unretouchierten Originale aus. Tatsächlich belegten dann die Aufnahmen, dass die Fotoredakteure von Vogue bei Dunhams Falten, Hals und Kinn Hand angelegt hatten. Ein weiteres Mal entlud sich ein Kübel Dreck im Internet über Lena. Die ließ sich nicht einschüchtern: „Ich kann nicht nachvollziehen, warum es falsch sein soll, eine Frau auf dem Cover zu haben, die anders als das typische Model aussieht“, erklärte Lena Dunham gewohnt selbstbewusst. „Egal ob mit oder ohne Photoshop.“ ! Termine Immer mittwochs um 20.15 Uhr auf TNT Glitz: „Girls“ 014_021_Menschen 09.04.14 18:10 Seite 15 014_021_Menschen 09.04.14 18:10 Seite 16 Menschen Stephanie Bschorr Die Unternehmerin Sie zeigt als Präsidentin des Unternehmerinnenverbandes, dass Frauen als Arbeitgeberinnen mehr verstehen von flexiblen Arbeitszeiten – und fordert die Quote. Text: Ursula Weidenfeld. E in bisschen wirkt es so, als habe sich Stephanie Bschorr irgendwann einfach mal vorgenommen, Karriere-Juristin, Vorzeige-Engagierte und Muster-Mutter Nummer 1 zu werden. Die temperamentvolle Berlinerin ist Partnerin der Steuerberaterkanzlei HTG, seit zwei Jahren Präsidentin des Bundesverbandes der Unternehmerinnen (VdU), und Mutter zweier gut geratener Söhne. Sie spricht mehrere Fremdsprachen, setzt sich für den Berliner Dom und „Kinder in Not“ ein. Nebenbei joggt und segelt sie, liest und reist, hilft bei den Hausaufgaben und Referaten, bildet sich regelmäßig weiter. Fröhlich schüttelt sie den Kopf. Geplant war das so nicht. Es ist nur so gekommen. Aufgewachsen ist die stets gut gelaunte Rheinländerin in einem Kölner Arzthaushalt, mit zwei Geschwistern. Eine Familie mit traditionellen Rollenmustern, die von den Kindern positiv erlebt werden. Der Vater arbeitet, die Mutter, gelernte Kinderkrankenschwester, kümmert sich um Haushalt und Kinder. Stephanie Bschorr stellt das nie in Frage. Auch nicht, als sie selbst zum Jura-Studium nach München geht, und dort ihren späteren Mann, der ebenfalls Jura studiert, kennenlernt. Nach dem Studium und einer Zeit in den USA gehen beide nach Berlin. 1990, Berlin boomt. Er wird Anwalt und dann Partner in einer der traditionsreichsten Berliner Rechtsanwaltskanzleien und Notariate, sie startet in der Steuerberatung. Als die Kinder kommen, ist für beide sonnenklar, dass sie sich darum kümmert. Und doch verlässt sie in dieser Phase der Familiengründung den traditionellen Weg. Sonnenklar ist für sie nämlich auch, dass sie weiter arbeiten und vorankommen will. Auch wenn sie die Arbeitszeit reduziert, während er sich mit vollem Einsatz in seinem Beruf engagiert. Um weiter arbeiten zu können, organisiert sie die Betreuung der Kinder mit Bekannten aus der Mutter-Kind-Gruppe privat, und sie schafft es: Sie wird Partnerin in ihrer Kanzlei. „Heute würde ich es anders machen“, sagt Bschorr trotzdem. Wäre sie heute jung, gäbe es von vornherein eine echte Arbeitsteilung in der Familie. Wäre sie heute jung, könnte sie auch von den neuen Arbeitszeitmodellen in ihrer 80-Personen-Kanzlei profitieren. Arbeitszeitmodelle, die die jungen Männer und Frauen selbstverständlich in Anspruch nehmen, ohne sich um ihr Fortkommen zu sorgen. Den durch ihre eigene FamilienTeilzeit bedingten Gehaltsunterschied zu den anderen Partnern in der Kanzlei gäbe es dann wohl auch nicht. Auch deshalb hat sich die 48-Jährige zur Chefin des Unternehmerinnenverbandes wählen lassen. Der VdU brauchte vor zwei Jahren, nach der schweren Erkrankung und dem Tod der 16 EMMA Mai/Juni 2014 langjährigen Präsidentin Petra Ledendecker, einen Neustart. Bschorr stellte sich zur Verfügung. Sie will dafür sorgen, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf – „das ist immer noch der Kern des Problems“ – für beide Geschlechter zufriedenstellend geregelt wird. Der VdU ist der größte Zusammenschluss von Unternehmerinnen und weiblichen Führungskräften in Deutschland. Er repräsentiert über 1600 Firmen mit einer halben Million MitarbeiterInnen und einem Umsatz von 85 Milliarden Euro. Die Unternehmerinnengruppe gilt zwar nicht gerade als die Speerspitze der Revolution. Dazu würden Unternehmerinnen wie Regine Sixt, Marli Hoppe-Ritter (Ritter-Sport), oder Rosely Schweizer (Henkell Söhnlein) auch kaum taugen. Doch vielleicht ist das in der derzeitigen Situation gar kein Nachteil. In der öffentlichen Debatte entschieden, aber anschlussfähig zu sein, ist für Bschorr der größte Vorteil des VdU. Weil von alleine nichts passiert, sagt sie. Man muss kämpfen, reden, überzeugen. Und auch mal aufstehen und gehen. Zum Beispiel in Verhandlungen mit der Bank. Maßlos geärgert hat sie sich, dass sie erst einmal keinen Kredit bekam, als sie Teilhaberin der Kanzlei werden wollte. Die Bank forderte eine Bürgschaft ihres Ehemanns. Sie brach die Gespräche ab und suchte sich ein Institut, das in Gender-Fragen ein bisschen weiter entwickelt war. Als Verbandspräsidentin und als Arbeitgeberin hat sie ein feines Gespür dafür entwickelt, dass viele Unternehmen heute gar nicht mehr gegen flexible Arbeitszeitmodelle, Jobsharing, Quoten oder Mentoringprogramme für Frauen sind. Manche haben sich aus Überzeugung geöffnet, manche notgedrungen, wegen des absehbaren Fachkräftemangels. Deshalb lehnt Bschorr einen harten Konfrontationskurs ab. „Wir müssen die Männer gewinnen“ sagt sie, wenn man ihr vorwirft, im Lager der männlich bestimmten Wirtschaftsverbände zu anschmiegsam zu sein. Ohne die Unterstützung der Männer in den Unternehmen, sagt sie, werden die Frauen zwar über eine Quote in die Führungsetagen kommen – nur bleiben würden sie dort wahrscheinlich nicht. Da müsse man nur in die Führungsetagen der großen Konzerne schauen. Dort seien in den vergangenen Jahren einige Frauen in die Vorstände gekommen – die meisten seien schon wieder weg. Viel klüger erscheint es der löwenmähnigen Juristin, Verbündete zu suchen. Da seien die Männer, die selbst mehr Zeit für die Familie fordern. Die Manager, deren Töchter Familie und Karriere vereinbaren wollen. „Die müssen wir ins Boot holen, wir dürfen sie nicht vor den Kopf stoßen,“ findet Bschorr – und weiß sich mit dieser Position beim VdU gut aufgehoben. Dessen Wahlspruch lautet: Fortschritt in Tradition. 014_021_Menschen 09.04.14 18:10 Seite 17 014_021_Menschen 09.04.14 18:10 Seite 18 Menschen Dilma Rousseff Die Präsidentin Die brasilianische Staatschefin bekämpfte einst den Staat als Guerillera im Untergrund. Heute kämpft sie für soziale Gerechtigkeit. Text: Eva Karnofsky. Foto: Friedemann Vogel/Getty Images. I nzwischen haben sich die Gemüter darüber beruhigt, dass Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff während der zwanzigjährigen Militärdiktatur in linken Widerstandsgruppen aktiv war. Dilma – damals noch mit dicker schwarzer Hornbrille – war Ende der Sechzigerjahre für die Guerilla als Kurier unterwegs und hatte angeblich Waffen unter ihrem Bett versteckt. Sie selbst hatte immer bestritten, selbst an bewaffneten Aktionen teilgenommen zu haben. Aber sie wurde dennoch verhaftet – und gefoltert. Heute ist das einstige Opfer des Regimes die Präsidentin ihres Landes. Und wenn im Oktober gewählt wird in Brasilien, hat die Ex-Guerillera gute Chancen, zum zweiten Mal gewählt zu werden. Zwar wünschen sich die meisten der fast 200 Millionen BrasilianerInnen grundlegende Änderungen, doch viele trauen der taffen ersten Frau im Regierungspalast zu, selbst das Steuer herumreißen zu können. Vor allem die aufstrebende Mittelschicht verlangt nach besseren Schulen, Universitäten und Krankenhäusern und ging dafür in den letzten Monaten immer wieder auf die Straße. Die Präsidentin versprach, sich darum zu kümmern, seitdem ist es wieder ruhiger geworden. Man glaubt ihr, dass sie zu ihrem Wort steht. Ebenso geht man davon aus, dass diese Frau die Korruptionsskandale des staatlichen Energieriesen Petrobras in den Griff bekommt, schließlich hat sie sich schon zu Beginn ihrer Präsidentschaft mit aller Härte von Mitstreitern getrennt, die in die eigene Tasche gewirtschaftet hatten. 2012 hat die Präsidentin mit Maria das Graças Foster erstmals eine Frau an die Spitze des Weltkonzerns Petrobras gesetzt. Dilma Rousseff, die 66-jährige Volkswirtin aus wohlhabender Familie, lenkt seit dem 1. Januar 2011 Brasiliens Geschicke. Ihr populärer Vorgänger Lula hatte sie persönlich seiner Arbeiterpartei als Kandidatin vorgeschlagen. Zuvor hatte sie in Lulas Regierung als Ministerin für Bergbau, Energie und Kommunikation und dann als Präsidialamtsministerin einiges bewegt. Dilma ist eine Macherin: Sie initiierte ein Wachstumsprogramm, das Investitionen in Höhe von 183 Milliarden Euro in die Infrastruktur, die Energieversorgung und die Stadtsanierung vorsah. Und das nicht nur mit Blick auf die Fußballweltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016, sondern vor allem, um Brasilien zum global player zu machen. Zudem initiierte Dilma die Kampagne „Licht für alle“: Bis 2015 sollen alle Haushalte in Brasilien Strom haben. Die Chancen stehen gut, dass sie dieses Ziel erreicht. Die stetige Zunahme des Energieverbrauchs führt allerdings immer öfter zu Stromausfällen, 18 EMMA Mai/Juni 2014 dennoch gehen die meisten Bürger davon aus, dass Dilma auch da Abhilfe schaffen wird. Als die Präsidentin gegen anfänglichen Widerstand entschied, dass für Brasiliens Erdölplattformen nicht mehr wie früher 15, sondern 60 Prozent nationale Materialien verwendet werden müssen, bewies sie Weitblick. Es war zwar kurzfristig teurer, führte jedoch zur Schaffung von 40 000 Arbeitsplätzen auf brasilianischen Werften und brachte dem Land technisches Know-how. Schon als Guerillakämpferin war es Rousseff um die Abschaffung der Armut gegangen, und auch heute ist die Bekämpfung von Arbeitslosigkeit ihr oberstes Ziel. Deshalb setzt sie immer zuerst auf Wachstum und erst dann auf Umweltschutz. In Lulas Kabinett legte Dilma sich ständig mit Umweltministerin Marina Silva an. Die nahm schließlich ihren Hut, weil sie die aggressive Wachstumspolitik nicht mittragen wollte. Ein Parlamentsabgeordneter spottete damals, Dilma sei die demokratischste Person der Welt – wenn man nur mit ihr einer Meinung sei. Auch wurde geklagt, die harte Ministerin bringe selbst Mitarbeiter zum Weinen. Darauf antwortete Dilma cool: „Ich finde es interessant, dass eine Frau, wenn sie eine Führungsposition ausübt, immer als hart und rigide charakterisiert wird.“ Privat gilt die zweimal geschiedene Dilma keineswegs als hart. Sie meditiert, verbringt ihre Freizeit mit ihren beiden Hunden, liebt Literatur, Filme von Glauber Rocha und Musik von Wagner, Puccini, den Beatles und Chico Buarque. Und sie mag die neuen Technologien: Auf ihrem iPad, von dem sie sich kaum je trennt, betrachtet sie gern ihre virtuelle Kunstgalerie. Sie hat aus der zweiten Ehe mit einem Rechtsanwalt eine Tochter und ist seit 2010 Großmutter. Die Guerillera war 1970 festgenommen, gefoltert und zu gut sechs Jahren Gefängnis verurteilt worden. Ihre Folterer zeigte sie später an – vergeblich. Sie waren durch ein Amnestiegesetz geschützt. 2006 wurde Dilma immerhin eine Entschädigung zugesprochen. Als Präsidentin konnte sie dann ein Gesetz unterzeichnen, das eine Wahrheitskommission ins Leben rief, die allen Menschenrechtsverletzungen aus dieser Zeit nachgehen soll. Die Präsidentin von Brasilien hat ihre politische Vergangenheit nicht vergessen. emma.de Dossier: Qué mujeres – von Müttern & Machos (4/10) 014_021_Menschen 09.04.14 18:10 Seite 19 014_021_Menschen 09.04.14 18:10 Seite 20 Menschen Margaret Atwood Die Realistin Die in der Wildnis aufgewachsene Tochter von InsektenforscherInnen hat bis heute nicht gelernt, straight zu denken. Text: Alexandra Kedves. Foto: Imeh Akpanudosen/Getty Images. S ie sind groß, grünäugig und geheimnisvoll, die vier Neugeborenen in dem Lehmhüttenhaufen, der nach der Apokalypse irgendwie zum Nabel der Welt geworden ist. Oder zumindest zum Nabel der Menschheit. Der Menschheit? Die vier Babys sind Mischlinge: Sie haben Menschenmütter und genmanipulierte Halbmenschenväter, und keiner weiß, was das für die Zukunft bedeutet. Fürs Finale von Margaret Atwoods jetzt auf Deutsch erschienenen Roman „Die Geschichte von Zeb“ (im Original „MaddAddam“) – und damit ihrer großen Endzeit-Trilogie – bedeutet es jedenfalls ein halbes Happy End. Die Kult-Kassandra schenkt sich und uns einen Hoffnungsschimmer, nachdem die Spezies Homo sapiens den Karren an die Wand gefahren hat. „Ich habe nicht die geringste Ahnung, wie sich in Wirklichkeit alles entwickeln wird“, sagt sie dazu und gestattet sich ein Lächeln zwischen Schalk und Wehmut. Das überrascht bei dieser Autorin, die seit der Veröffentlichung von „The Handmaid’s Tale“ („Der Report der Magd“) im Jahr 1985 von vielen wie eine Prophetin verehrt wird – eine harte, eine strenge Prophetin. Atwoods Albtraum von einer christlichfundamentalistischen USDiktatur, die Frauen versklavt, wirkte in den 90ern weit hergeholt. Mittlerweile aber, in Zeiten der allgemeinen Fanatisierung und Überwachung, wirkt das Szenario ungemütlich vertraut. Dass Atwood im scheinbar Fernsten stets so zielgenau das Eigene, Unsere trifft, liege daran, dass sie eben keine Science-Fiction schreibe, erklärt sie. Zu den realitätsverankerten literarischen Zukunftsforschern zählt die Autorin etwa Aldous Huxley, George Orwell und, mit Verve, sich selbst: Wenn durch ihren Action-starken „Zeb“ intelligente Transplantationsorganschweine trotten, wenn dort Bienen als rare Kostbarkeit verehrt und Menschen genmanipuliert werden, wenn künstlich erzeugte Krankheiten die Menschheit ebenso in Schach halten wie die Kameraaugen allüberall, ist das kein Phantasma. Schließlich wollte die 1939 in Ottawa geborene Tochter von InsektenforscherInnen, die in der kanadischen Wildnis aufwuchs und erst mit elf Jahren eine öffentliche Schule besuchte, selbst einmal Naturwissenschaftlerin werden. „Mein Bruder und ich hatten kein Fernsehen, kein Radio, keine Spielkameraden, und die Science Fiction-Welten waren ein Paradies für uns. Doch bereits damals war klar: Er kann sich so was viel besser ausdenken als ich.“ Sie lacht. Ich begegne der Schriftstellerin aus Toronto in Greater Norwich. Die großartige kleine Stadt im Südosten Englands mit rund 230 000 Einwohnern hat viele Pluspunkte. Norwich verfügt über eine phänomenale Buchladendichte, eine Universität von internationalem Renommee (University of East Anglia, UEA) – und seit 2012 über den Titel „Unesco City of Literature“. Chris Gribble, der Chef des Writer Centers, findet im Morgengrauen Zeit für einen vogelkundlichen Spaziergang mit der 20 EMMA Mai/Juni 2014 passionierten Ornithologin Margaret Atwood und ihrem Mann. Eine Ehrensache für ihn, die Autorin ist ja als (dritte) „Unesco Visiting Professor for Creative Writing“ für zwei Monate in Norwich und lehrt an der UEA. Atwood gewährt hier nicht nur dem Nachwuchs Einblicke ins Geschäft des Schreibens. Sie tritt auch am Literaturfestival auf – und wie! Frisch wie eine Kindergärtnerin singt sie da aus dem zweiten Band ihrer Endzeit-Trilogie ein Kinderlied vor und animierte das Publikum zum Mitmachen. Die 74-Jährige ist nach einer ersten, gescheiterten Ehe seit vier Jahrzehnten mit dem Ex-Romancier Graeme Gibson zusammen. Was sie nicht hindert, in ihrem Werwolf-Gedicht das heulende Männermonstrum abzukanzeln und sich sich vor den langbeinigen, manikürten Wölfinnen von heute zu verneigen. Und sie liest in diesem trockenen Atwood-Ton aus „Zeb“, lässt sich auf naturwissenschaftliche Exkurse ein, um endlich bei ihrem Credo zu landen: „I am a strict agnostic.“ Die scheinbar alterslose Prophetin mit 400 000 Twitter-Followern hält den Humanismus und die Naturwissenschaften für die Leitplanken auf dem Weg in eine lebenswerte Zukunft. Darin könnten auch ihre Tochter und ihre beiden Enkelkinder gut leben. Denn: „Nicht alles am Fortschritt ist schlecht, Nierentransplantate von Schweinen etwa sind genial.“ „Die Geschichte von Zeb“ erzählt auch von einem misanthropischen Forscher, der eine umweltverträglichere, freundlichere Spezies schaffen will, als wir Menschen es sind: die Craker. Und es gelingt ihm. Was ihm nicht gelingt, ist, den Hunger nach einem Gott, einer Ursprungserzählung, nach Erzählen und Singen überhaupt, auszumerzen: Eine brillante Pointe in diesem brillanten Roman, der sich ansonsten, in all seiner knallharten Intellektualität, vor der Kraft der Natur verneigt. „New York wäre nach der Kapitulation des Menschen schneller überwuchert, als man schauen kann“, sagt die Booker-Preis-Trägerin und Verfasserin von 14 Romanen sowie Gedicht- und Erzählbänden, Libretti und Sachbüchern. Unbequem, wie immer, stellt Atwood in „Zeb“ die Figuren denn auch vor ein moralisches Dilemma: Darf man drei Menschen töten, um die Gruppe, die Menschheit, zu retten? Ihre Antwort lautet: Ja. Man habe von ihr ja auch nie verlangt, ein braves Mädchen zu sein, sagt sie vergnügt – und strahlt dabei wie eine, die das ohnehin auf keinen Fall geworden wäre. „Alice Munro hatte es diesbezüglich schwerer“, sagt sie. Eine tragische Kassandra ist Margaret Atwood jedenfalls nicht. Eher eine feurige Wahrsagerin. Gekürztes Portrait aus dem Schweizer Tages-Anzeiger (18.3.2014) Weiterlesen Margaret Atwood: Die Geschichte von Zeb (Berlin Verlag, 22.99 €) 014_021_Menschen 09.04.14 18:10 Seite 21 Sven Simon/imago 022_023_Schwesig_korr2 11.04.14 15:41 Seite 22 SPD-Frauenministerin Schwesig führt von der Leyens Politik weiter. Die Frauenministerin auf dem richtigen Weg A uf die Frage des Spiegel nach ihrer Meinung zum Betreuungsgeld reagierte sie erwartungsgemäß kritisch und erklärte: „Mein Mann und ich haben gute Erfahrungen mit dem Kita-Besuch unseres Sohnes gemacht.“ Mein Mann und ich. Der Vater zuerst. Und genau so ist es in der Tat in ihrem Leben. Der Mann, von Beruf Kaufmann, arbeitet teilzeit, um sich um den inzwischen siebenjährigen gemeinsamen Sohn in Schwerin kümmern zu können. Sie macht derweilen Karriere als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Dennoch sagt sie, nehme sie sich jede Woche einen Nachmittag frei, um dem Sohn bei den Hausaufgaben helfen zu können. In der Person der 40-jährigen Manuela Schwesig kommen die Erfahrungen des Protestes der Frauenbewegung West und des Selbstbewusstseins der Frauen Ost zusammen. Schließlich waren die OssiFrauen schon Kranführerinnen, als die 22 EMMA Mai/Juni 2014 Wessi-Frauen ihre Ehemänner noch um Erlaubnis bitten mussten, nebenher arbeiten gehen zu dürfen. Konkret: Die Mutter der Frauenministerin war Statistiker, der Vater Schlosser. Und die Tochter ist nach einem Umweg über das Finanzamt genau da gelandet, wo sie hin wollte: in der Familienpolitik. Denn eigentlich wollte Schwesig Kinderheimerzieherin werden, hat sie mal verraten. Als Ministerin allerdings kann sie nicht zuletzt für Kinder mehr bewirken. Mit ihrer Familienpolitik knüpft die SPDSeiteneinsteigerin (erst seit 2003 in der Partei) an die Politik ihrer Vorvorgängerin Ursula von der Leyen an. Und sie führt deren emanzipierte Politik nicht nur fort, sondern weiter. Seit sie Ministerin ist, macht Emanzipation wieder Schlagzeilen. Hier ihre interessantesten Vorstöße: Die 32-Stunden-Woche für Mutter und Vater. Mit der Idee preschte Schwesig wenige Wochen nach Amtsantritt vor und erntete prompt Schlagzeilen. Zwar äußerte die Kanzlerin sich zurückhaltend und sprach Regierungssprecher Steffen Seibert von einem „persönlichen Debattenbeitrag“ der Ministerin, doch ist das Thema, das in der Opposition auch Andrea Nahles schon angeschlagen hatte, seither auf dem Tisch. Das Elterngeld plus ist eine richtig gute Idee! Es soll das Aussteigen der Mütter aus dem Beruf abbremsen. 40 Prozent aller deutschen Frauen steigen für drei oder mehr Jahre aus, wenn sie ein Kind bekommen. Dagegen setzt die Ministerin das Elterngeld plus: Erhöhung von 14 auf 28 Monate, wenn der zu Hause gebliebene Elternteil wieder arbeiten geht. Plus Partnerschaftsbonus Arbeiten Mutter und Vater Teilzeit (zwischen 25 und 30 Stunden), verlängert sich das Elterngeld um weitere vier Monate. Zu dem Paket gehört auch der Rechtsanspruch, von Teilzeit wieder in Vollzeit zu wechseln. 022_023_Schwesig_korr2 11.04.14 15:42 Seite 23 Und die Frauenquote? Zusammen mit SPD-Justizminister Maas hat die Frauenministerin am 26. März „Leitlinien“ für ein halbherziges Gesetz vorgestellt, das 2015 in Kraft treten soll. Es sieht eine Mischung aus verbindlichen Quoten und Flexi-Quote vor. 30 Prozent Frauen in Aufsichtsräten großer Aktiengesellschaften bei Neubesetzungen ab 2016 (betrifft 110 Unternehmen), verbindliche Quotenpläne bei Unternehmen mit mehr als 50 Prozent Bundesbeteiligung (wie die Deutsche Bahn), eigenverantwortliche Frauenförderpläne bei börsennotierten Unternehmen (davon wären 3 500 Firmen betroffen). – Das alles reicht nicht, wäre aber ein erster Schritt. Ebenfalls in die Debatte eingebracht hat Schwesig eine steuerliche Erleichte- „Mein Ziel ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe bei Kindererziehung und Beruf.“ MANUELA SCHWESIG rung für Alleinerziehende. Und dass auch sie für den Mindestlohn ist, und zwar ohne Unterscheidung nach West und Ost, versteht sich. „Mein Ziel“, erklärt Schwesig, „ist eine Partnerschaft auf Augenhöhe bei Kindererziehen und Beruf“. Die Chancen, das Angekündigte in absehbarer Zeit auch durchzusetzen, stehen nicht schlecht. Schließlich demons- triert auch der SPD-Parteivorsitzende Gabriel öffentlich seine Mitverantwortung als Vater (und ist übrigens mit einer berufstätigen Zahnärztin aus dem Osten verheiratet). Und Kanzlerin Merkel? Die hält sich zwar persönlich bedeckt in der Frauenfrage, ist aber doch diejenige, die von der Leyen zunächst zur Frauenministerin und sodann zur Verteidigungsministerin gemacht hat. Kommentar Genossin Schwesig: „Ich finde gut, dass mit Ursula von der Leyen erstmals eine Frau Verteidigungsministerin ist. Unabhängig vom Parteibuch.“ Hört sich ganz so an, als käme endlich wieder eine gewisse Frauensolidarität auf in der Regierung, unabhängig vom Parteibuch. Anzeige Jede 7. EMMA-Leserin ist Studentin. Aber nur die Hälfte hat EMMA abonniert. Das muss sich ändern! Zu aller Gunsten. Das Studi-Abo für 38€ Digital-Studi-Abo für 32€ (statt 45 €) Plus ein Buch- oder DVD-Geschenk: Den Klassiker zur Sexismus-Debatte. Oder das Simone de Beauvoir-Portrait von Alice Schwarzer (von 1973). Hotline 0711/725 22 85 www.emma.de (statt 39 €) oder 024_027_Gewalt_Gehring 09.04.14 18:21 Seite 24 E s gibt da diese beiden Zahlen, die ihm keine Ruhe lassen: Die 28 und die 10. Die erste stammt aus dem Jahr 1985, die zweite aus dem Jahr 2012. Und hinter diesen Zahlen verbirgt sich, sagt Kriminologe Christian Pfeiffer, eine „besorgniserregende Entwicklung“. Man könnte es auch anders nennen: ein handfester Skandal. 1985 endeten 28 Prozent aller Anzeigen wegen Vergewaltigung mit der Verurteilung des Täters. Mehr als jeder vierte Vergewaltiger landete also hinter Gittern – oder bekam eine Bewährungsstrafe. Heute ist es nur noch jeder zehnte. Anders gesagt: 90 Prozent aller (mutmaßlichen) Täter werden nicht zur Verantwortung gezogen. Und das gilt nur für die angezeigten Fälle, also das so genannte Hellfeld. Das riesige Dunkelfeld ist gar nicht eingerechnet: All die sexuellen Übergriffe, die die Opfer aus Scham, Angst oder fehlendem Vertrauen in die Justiz für sich behalten und die nie in irgendeiner Statistik landen. Pfeiffer ist Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) und ehemaliger niedersächsischer Justizminister – und er will wissen, warum das so ist. Was ist in den letzten 30 Jahren passiert, dass Opfer, die eine Vergewaltigung anzeigen, es in der Justiz mit einer „beständig sinkenden Verurteilungswahrscheinlichkeit“ des Täters zu tun bekommen? Das würden Pfeiffer und seine KollegInnen gern herausfinden. Einige Verdachtsmomente hat Kriminologe Pfeiffer schon jetzt. Verdachtsmoment Nr. 1: „Früher waren 30 bis 40 Prozent fremde Täter. Diese Zahl ist drastisch rückläufig. Heute finden die meisten angezeigten Vergewaltigungen im sozialen Nahfeld statt.“ Jeder zweite sexuelle 24 EMMA Mai/Juni 2014 Übergriff passiert durch den eigenen Freund oder Ehemann beziehungsweise Ex-Mann. Jeder fünfte Vergewaltiger ist ein Bekannter oder Nachbar, jeder zehnte ein Familienmitglied. In 69 Prozent der Fälle ist der Tatort die eigene Wohnung. Das wird auch schon 1985 so gewesen sein. Aber offenbar hat bei den Frauen ein Bewusstseinswandel stattgefunden: Seit 1997 ist die Vergewaltigung in der Ehe strafbar. Frauen nehmen es nicht mehr hin, dass die Gewalt im Namen der Liebe erlaubt sein soll. Aber: Wenn der eigene Ehemann, Lebensgefährte oder Ex-Freund der Täter ist, lässt sich die Tat noch schwerer beweisen. Auch wenn die Kriminaltechnik in den letzten drei Jahrzehnten Nur noch jede zwölfte Anzeige führt zu einer Verurteilung. Quantensprünge gemacht hat – was nutzt der DNA-Test, wenn der Täter schlicht und einfach behauptet, es habe sich um „einvernehmlichen Sex“ gehandelt? Verdachtsmoment Nr. 2: Diese Behaup- tung ist unter anderem deshalb so schwer zu widerlegen, weil der Vergewaltigungsparagraf § 177 dringend reformbedürftig ist. Das Gesetz sieht vor, dass der Täter Gewalt anwenden bzw. seinem Opfer „mit einer Gefahr für Leib und Leben“ drohen muss. Immer wieder haben Gerichte das Ausmaß an Gegenwehr, das eine Frau leisten muss, damit die Tat überhaupt als Vergewaltigung gewertet wird, höchst erstaunlich definiert. Allen voran der Bundesgerichtshof, der 2006 einen Freispruch wie folgt begründete: Dass „der Angeklagte der Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“, belege „nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt. Das Herunterreißen der Kleidung allein reicht zur Tatbestandserfüllung nicht aus“. Andere RichterInnen folgen dem höchstrichterlichen Vorbild. Der letzte spektakuläre Fall dieser Art war der Freispruch von Roy Z. durch das Landgericht Essen im November 2012. Der 31-jährige schwere Alkoholiker, dessen Gewalttätigkeit aktenkundig war, hatte in seiner Marler Wohnung eine 15-Jährige vergewaltigt. Das Mädchen hatte zuvor gesagt: „Nein, ich will das nicht“, die Vergewaltigung aber aus Angst über sich ergehen lassen. Roy Z. gehörte nach Ende des Prozesses zu den 92 Prozent Tätern, die keinerlei Konsequenzen zu tragen haben. Es gibt in Deutschland viele solcher Fälle, die meisten machen aber keine Schlagzeilen. Rund drei Viertel der Verfahren wird noch vor dem Prozess von den Staatsanwaltschaften eingestellt. Mit Begründungen wie dieser: „Aus der Tatsache, dass der Beschuldigte Haus- und Studiotür abgeschlossen hatte, kann nicht der Schluss eines strafbaren Verhaltens gezogen werden.“ Oder dieser: „Sie empfanden die Handlungen des Beschuldigten als abstoßend und verkrampften sich für ihn erkennbar. Dass der Beschuldigte dennoch versuchte, den Vaginalverkehr durchzuführen und dabei auch oberflächlich eindringen Ana Mendieta: Beschwörung der Olokun-Yemaya, 1977 © The Estate of Ana Mendieta Collection (siehe auch S. 13) Gewalt in Beziehungen 024_027_Gewalt_Gehring 09.04.14 18:22 Seite 25 konnte, stellt jedoch keine gewaltsame Erzwingung dieser sexuellen Handlung dar.“ Auf der Website „vergewaltigt.angezeigt. eingestellt“ sammeln Opfer diese Art von Begründungen für Verfahrenseinstellungen und Freisprüche, die den immer noch zutiefst patriarchalen Blick der deutschen Justiz auf sexuelle Gewalt werfen: Der Mann darf davon ausgehen, dass ihm eine Frau grundsätzlich sexuell zur Verfügung steht. Welche Rolle spielen also die Formulierung des § 177 und vor allem die höchstrichterliche Rechtssprechung für die bedrückend niedrige Verurteilungsquote von 8,4 Prozent? Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) kämpft seit Jahren für eine Reform des täterfreundlichen Vergewaltigungsgesetzes. „Vergewaltigung – Schluss mit der Straflosigkeit!“ fordert auch Terre des Femmes in einem Appell, den über 20 000 Menschen unterzeichnet haben. Die Unterschriften sollen im Mai Justizminister Heiko Maas (SPD) übergeben werden. Verdachtsmoment Nr. 3: Betrachtet man die einzelnen Bundesländer, fällt auf: Es gibt ein riesiges Gefälle zwischen Ländern mit den höchsten und denen mit den niedrigsten Verurteilungsquoten: von 24 Prozent zu vier Prozent. „Wir haben eine gesplittete Republik“, warnt Kriminologe Pfeiffer. „In einigen Bundesländern funktioniert der Rechtsstaat bei Vergewaltigungen, in anderen offenbar nicht.“ Hinzu kommt: Bei den Ländern mit hohen Verurteilungsquoten gibt es laut KNA keinen Unterschied zu anderen Gewalttaten. Der Tatverdächtige einer Vergewaltigung wird also genauso häufig angeklagt und verurteilt wie jemand, gegen den wegen Raubes ermittelt worden ist. In Ländern mit einer niedrigen Verurteilungsquote von vier Prozent ist das anders: Hier werden Tatverdächtige anderer Gewalttaten, 3,5 mal häufiger verurteilt als mutmaßliche Vergewaltiger. 26 EMMA Mai/Juni 2014 Christian Wyrwa 024_027_Gewalt_Gehring 09.04.14 18:22 Seite 26 „In manchen Bundesländern funktioniert offenbar der Rechtsstaat nicht.“ KRIMINOLOGE CHRISTIAN PFEIFFER Pfeiffer hat auch hier eine Vermutung: „Es gibt offenbar große Unterschiede zwischen den Ländern, was die Arbeitsweise der Polizei anbelangt.“ Entscheidend dafür, ob ein Strafverfahren eingeleitet wird, sei zum Beispiel, wie die Aussage des Opfers aufgenommen wird. So mache es einen enormen Unterschied, ob ein Polizeibeamter die Aussage in eigenen Worten notiert oder ob sie per Tonband oder Video aufgezeichnet werde. Ein Beispiel: „Ein Opfer hatte ausgesagt, der Täter habe sie an den Armen festgehalten“, erzählt Pfeiffer. „In der Version des Polizisten wurde daraus, der Täter habe das Opfer ‚umarmt‘.“ Das Kriminologische Forschungsinstitut will auch diese Einflüsse untersuchen. Und Kriminologe Pfeiffer steht nicht allein mit seinem Alarmruf. Am 31. März hatte Frauenministerin Schwesig ein Jahr nach dem Start des „Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen“ (www.hilfetelefon.de) Bilanz gezogen. „Die Zahlen sind erschreckend“, sagte Schwesig. 47 504 Mal haben zwischen 8. März und 31. Dezember hilfesuchende Frauen und Mädchen die Nummer 08000/116 016 gewählt, das macht fast 160 Anrufe pro Tag. 18 800 mal wurde aus dem Anruf ein Beratungsgespräch. Rund um die Uhr sind 60 geschulte Beraterinnen im Kölner „Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben“ im Einsatz. Anruferinnen können in 15 Sprachen, einschließlich Gebärdensprache, beraten oder an die passenden Beratungsangebote vermittelt werden. Die meisten Frauen, nämlich 6 471, riefen an, weil sie Opfer der so genannten „Häuslichen Gewalt“ sind. Täter ist also der eigene Ehemann oder Lebensgefährte. Jede siebte Anruferin (rund 2 600) meldete sich, weil sie „Gewalt außerhalb von Paarbeziehungen“ erlitten hatte. Auch die aktuelle EU-Studie, für die 42 000 Frauen in allen 28 Mitgliedsstaaten befragt wurden, förderte ein erschreckendes Ausmaß an Gewalt zutage: Jede dritte Frau in Deutschland war/ist seit ihrem 15. Lebensjahr Opfer körperlicher und/oder sexueller Gewalt. Jede fünfte hat diese Gewalt in ihrer Beziehung oder durch den Ex-Mann erlitten. Kriminologe Pfeiffer und sein Forschungsinstitut können diese Gewalt nicht verhindern. Aber sie könnten womöglich herausfinden, warum die Täter in Deutschland immer öfter ungestraft davonkommen – und damit die Opfer ermutigen, sich zu wehren. CL emma.de Sexualgewalt: Haben Opfer eine Chance? (4/11), Vergewaltigung, das straflose Verbrechen (4/10) 024_027_Gewalt_Gehring 09.04.14 18:22 Seite 27 D I E P H I LO S O P H I N Wohin mit dem Krieg? E in Wort wird zentnerschwer: K-R-I-E-G. Natürlich kennen wir das Wort, aber für die meisten von uns bezeichnet es Nachrichten von anderswo. Oder ein Etwas aus Geschichtsbüchern. Der 1. Weltkrieg ist ein fernes Gespenst. Der 2. Weltkrieg endete 1945, unsere Mütter oder Großmütter haben ihn noch erlebt. Aber wenn wir jünger als 70 Jahre alt sind? Dann sind wir Friedenskinder. Wir kennen Erzählungen und Fotos von Elend und Luftschutzkellern. Vereinzelt noch Baulücken in Städten. Hinzu kommen aktuelle aber ferne Kriege aus zweiter Hand, Nachrichtenschnipsel, wackelige Kamerafahrten, KommentatorInnen vor hastig arrangiertem Hintergrund. Wir misstrauen den Bildern, während sie uns zugleich gefangen halten. Wenn wir aber hinsehen: Was wäre zu tun? Scham und Ohnmacht mischt sich mit der gleichwohl vorhandenen Erleichterung, „hier“ sicher zu sein. Ein diffuser Schrecken: Krieg ist die Katastrophe schlechthin. Ich zum Beispiel empfinde neben den Bombentoten oder Schusswaffen das als besonders fürchterlich, was zwischen Uniformierten und Zivilisten passiert, was marodierende Milizen anrichten. Dazu das, was Schmerzen, Verletzungen, Tod wie eine Lache umgibt, die auch in Jahrzehnten nicht trocknen wird: Angst, Grauen, Trauer, Panik, Verrat. Der Zerfall jeglicher Freundschaft und Fürsorge. Zu lindern ist das nicht – oder eben durch Hass. Hass wiederum treibt Kriegsbereitschaft und Kriegsgeschäfte weiter voran. Überhaupt, ja: die Geschäfte. „Sicherheit“ ist ein Gut, dessen Aktienkurse man durch Kriegsangst und Krieg hochtreibt. Es gibt Ökonomien des Krieges, Branchen, für die sich Krieg rechnet, und militärische Eliten, deren Handwerk er ist. Die Soldaten und neuerdings auch Soldatinnen sind nur zu verheizendes Material. Und Waffen sind Material, das verbraucht sein will, zumal in Zeiten, in denen es kein teures (also lukratives) Wettrüsten mehr gibt. Die „neuen“ Kriege gehen darum so: Immer seltener steigen heute ganze Staaten offiziell ein. Stattdessen toben heute, wo geschossen, vergewaltigt, verstümmelt wird, die Wölfe: Warlords, Clanchefs, Milizen, Söldner, Mafia. Ein schmutziger Alptraum mit leisem Beginn und ohne Ende. Krieg ist nach wie vor Männersache, auch das macht ihn gespenstisch. Trotz Frauen im Soldatenberuf: In der Eskalation fallen die Geschlechterrollen wieder brutal auseinander. Schon lange sterben in Kriegen prozentual mehr Zivilpersonen als Militärs. Systematische Vergewaltigungen sind ein Instrument auch der Kriegführung des 21. Jahrhunderts. Und das Leben danach mit den Ex-Kämpfern, die das Vergewaltigen und Morden professionell betrieben haben? Frauensache. Das Grauen geht auch nach Kriegsende im Kleinen weiter. Wohin also mit dem Krieg? Einfach nur hoffen, dass er uns nicht trifft? Und wenn ich etwas tun will: Wie kann ich heute noch friedenspolitische Zeichen setzen? Gibt es Friedensdemonstrationen, die hie die Waffenproduzenten und da die Warlords, marodierende Milizionäre, die Mafia beeindrucken? Oder auch nur den Sohn meiner Nachbarin, der mit Kumpels weltweit World of Warcraft spielt? Ist ja nur ein Spiel, meinte die Nachbarin, eine überzeugte Pazifistin. Unlängst meldete ihr Sohn sich als Zeitsoldat zum Bund. Gewalt öffentlich anprangern, Heroisierung verweigern, Bilderkonsum hinterfragen. Reicht das aus? Ich habe Traum: Lasst uns in großem Stil weibliche Flüchtlinge aus Kriegsgebieten aufnehmen! Öffnet die Kindergärten für afghanische Mädchen, bietet ihren Müttern Wohnraum und einen Job, schafft Studienplätze für syrische Studentinnen, holt weibliche afrikanische Vertriebene – kurzum: Schafft ein Weltgastrecht für Frauen! Aufenthalt so weit und so lange sie es wollen. Nehmen wir den kriegführenden Parteien die andere Hälfte der Menschheit weg, ihr Ruhekissen und ihre Zukunft. Angenommen, diejenigen, zu denen Soldaten, Waffenschmuggler, Milizionäre zurückkehren wollen, könnten mit den Füßen abstimmen. Angenommen, ihre Frauen, ihre Mütter, ihre Töchter wären keine Geiseln des Territoriums mehr. Dann endlich würde Krieg sich nicht mehr lohnen. „ Ich habe einen Traum. Lasst uns weibliche Flüchtlinge aus Kriegsgebieten aufnehmen. Ein Weltgastrecht für Frauen schaffen! PETRA GEHRING lehrt Philosophie an der TU Darmstadt. Zahlreiche Veröffentlichungen. Mai/Juni 2014 EMMA 27 028_033_EU_Wahlen 09.04.14 19:38 Seite 28 workers Equality economic framework Guarantee men European Ensure justice gender EU equality Europe internal equal realise Independence access Strategie Gender implement UN Adopt poverty sexual violence realisation work Women women level policies develop Parliament forms promotion sustainable groups ensure end discrimination future democracy Establish comprehensive action girls directive support process elections human political social rights one Zwischen dem 22. und 25. Mai sind rund 400 Millionen Wahlberechtigte der EU-Staaten aufgerufen, das EUParlament zu wählen, darunter 62 Millionen Deutsche. Zur Wahl stehen 751 Abgeordnete (z. Zt. sind 35 Prozent Frauen). Doch die Motivation der EuropäerInnen ist schwach. 2009 gingen nur noch 43 Prozent an die Urnen. Was bedauerlich ist, gerade für Frauen. Denn in Brüssel werden Empfehlungen und sogar Gesetze zur Gleichstellung der Frau geschmiedet, die die heimischen Paschas auf Trab bringen und oft fortschrittlicher sind als das nationale Recht. Das gilt auch und gerade für Deutschland. Gleichzeitig aber gibt es ein sehr berechtigtes Unbehagen der BürgerInnen an der Europäischen Union. Die straffe Zentralisierung, Bürokratisierung und Normierung übergeht oft nationale Eigenheiten. Not täte eine Dezentralisierung bei gleichzeitiger Intensivierung des europäischen Zusammenhaltes. – Nachfolgend ein Bericht über die so tatkräftige Frauenlobby in Brüssel, ein Interview mit der EU-Expertin Uta Klein und ein Schlaglicht auf die Rolle der Frauen in der Neuen Rechten Europas. In Frankreich lässt gerade Marine Le Pen mit ihrer Front National die etablierten Parteien erzittern. 28 EMMA Mai/Juni 2014 028_033_EU_Wahlen 09.04.14 19:38 Seite 29 Unsere Lobby in Brüssel G eht es um Frauenpolitik, heißt es oft: Frauen haben keine Lobby. Das stimmt nicht. In einem Büro in der Brüsseler Rue Hydraulique sitzt sie, die Lobby: die European Women’s Lobby (EWL). Eine Dachorganisation für 2 000 Frauenorganisationen aus allen EU-Mitgliedsstaaten. Sie kämpft seit nunmehr 24 Jahren für „Frauenrechte“ und die „Gleichberechtigung von Frauen und Männern“. Und zwar da, wo unsere Gesetze von morgen gemacht werden: auf EUEbene. VIVIANE TEITELBAUM, PRÄSIDENTIN „Im 21. Jahrhundert sollten unsere Gesellschaften vom System der Prostitution befreit werden.“ 41 Frauen sitzen im Vorstand der EWL, sie kommen aus den Koordinierungsstellen der Lobby auf nationaler Ebene: In Deutschland ist das der Deutsche Frauenrat. Sieben gewählte Vorstandsfrauen bilden das „Executive Committee“: Sie treffen sich regelmäßig, um sich über das Tagesgeschäft der Lobby auszutauschen. Präsidentin der EWL ist derzeit die Belgierin Viviane Teitelbaum. Und wenn ein Mal im Jahr die Vollversammlung einberufen wird, kommen 100 Dele- gierte aus den 28 Mitgliedsländern – und aus drei weiteren assoziierten Staaten wie der Türkei – nach Brüssel, zum Beispiel um über Prostitution, Abtreibung oder die Quote zu debattieren. Die professionellen Feministinnen haben für 2014 noch viel vor. Denn zwischen dem 22. und 25. Mai wählen die 28 Mitgliedsstaaten das EUParlament (Deutschland: 25. Mai). Im Juni werden erstmalig die 751 EU-Abgeordneten über den Präsidenten der Europäischen Kommission abstimmen, eines der mächtigsten Ämter in Europa. Es folgt die Ernennung der „Hohen VertreterIn für Außen- und Sicherheitspolitik“ und der PräsidentIn des Europäischen Rates. „Die EU hat nach wie vor ein männliches Gesicht“, klagt Serap Altinisik, Mitglied der Women’s Lobby. Zu den wenigen Ausnahmen gehören Catherine Ashton, die derzeitige Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik und die neun Kommissarinnen (von 28), wie Viviane Reding für Justiz oder Cecilia Malmström für Inneres. „Wir müssen die Regierungen und Politiker also immer wieder an die Versprechen erinnern, die sie mit Unterzeichnung der Europäischen Verträge eingegangen sind“, sagt Altinisik. Schon 1957, zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, war die „Entgeltgleichheit“ der Geschlechter Thema der Römischen Verträge, seither wurden die Paragraphen für Gleichberechtigung kontinuierlich ausgebaut. Aber was de jure auf dem Papier steht und was de facto in den Mitgliedsstaaten umgesetzt wird, unterscheidet sich oft erheblich. Serap Altinisik sitzt im Sekretariat der Women’s Lobby. Die gebürtige Hannoveranerin, deren Eltern aus der Türkei nach Deutschland kamen, hat davor fünf Jahre das Referat gegen Gewalt gegen Frauen bei Terre des Femmes geleitet. Heute koordiniert sie aus Brüssel mit acht weiteren Frauen die Arbeit der Lobby für die gesamte EU: Die Frauen schreiben an Ge- setzesentwürfen mit, erstellen Studien zum Stand der Gleichberechtigung in den Mitgliedsstaaten und werden von EU-Institutionen als Expertinnen eingeladen. „Und wenn nicht, geben wir trotzdem unseren Senf dazu!“, sagt Altinisik. Der Einfluss der Frauenlobby ist seit ihrer Gründung 1990 stetig gewachsen, ihre Arbeit wird von vielen EU-PolitikerInnen aktiv unterstützt. Altinisik selbstbewusst: „Wir müssen heute nicht mehr bitten, wir fordern.“ Die 39-Jährige leitet außerdem die „50/50 Campaign“, die Kampagne für eine SERAP ALTINISIK, KAMPAGNEN „Die Europäische Union hat nach wie vor ein männliches Gesicht. Das muss sich ändern!“ paritätische Besetzung aller EU-Ämter. Wie schon zur letzen Wahl 2009 stellte die Frauenlobby dazu Kampagneninstrumente zur Verfügung: Wie zum Beispiel Brief-Entwürfe an die Parteien in den Mitgliedsstaaten, in denen sie u. a. dazu aufgefordert werden, Wahllisten für das EU-Parlament paritätisch zu besetzen. Beispiel Deutschland: SPD, Grüne und Linke haben ihre Listen paritätisch besetzt. Die CDU schickt etwa ein Drittel Frauen ins Rennen. Bei den Republikanern ist nur Mai/Juni 2014 EMMA 29 028_033_EU_Wahlen 09.04.14 19:38 Seite 30 einer der 20 Listenplätze mit einer Frau besetzt. Bisher sind 35 Prozent der EU-Abgeordneten weiblich, fünf Prozent mehr als 2009. Deutschland hat 99 Sitze (zukünftig 96), davon 38 mit Politikerinnen besetzt (macht 38 Prozent). Im Vergleich: Spitzenreiterinnen sind Finnland und Kroatien, hier liegt der Frauenanteil bei 62, bzw. 50 Prozent. Wie es nach der EU-Wahl aussieht? Schwer zu sagen. Aber eines steht für Altinisik schon jetzt fest: „Die neu gewählten Politikerinnen dürfen auf keinen Fall als der Liberalen und Demokraten (ALDE) ihren Fraktionsvorsitzenden Guy Verhofstadt aus Belgien. Und die Europäische Linke (PEL) ihren griechischen Vizepräsidenten Alexis Tsipras. Nur die Europäische Grüne Partei (EGP) hat eine Kandidatin und einen Kandidaten: Die Deutsche Ska Keller und den Franzosen José Bové. Doch die haben keine Chance. Die Frauenlobby reagierte prompt auf ihrer Webseite: „Mehr als 50 Prozent der europäischen Bevölkerung wird sich mit diesen Kandidaten nicht identifizieren können“. Für die Zukunft fordern die tution. Lobby-Präsidentin Teitelbaum: „Im 21. Jahrhundert sollten Gesellschaften vom System der Prostitution und der Gewalt gegen Frauen befreit werden.“ Schon im Jahr 2006 hat die Lobby u. a. mit „Mouvement du Nid“ ihre bisher bekannteste Kampagne gestartet: den so genannten Brussels’ Call, den Brüsseler Appell: „Zusammen für ein Europa ohne Prostitution“. 200 Organisationen aus allen Mitgliedsstaaten haben diesen Appell unterzeichnet, der u.a. Ausstiegsmöglichkeiten für Prostituierte und die Bestrafung der Freier fordert. In Brüssel, europaweit, weltweit. Der Slogan „Abolish Prostitution“ ist zur Kampfansage geworden. Hinterbänklerinnen im Parlament enden.“ Die Frauenlobby ist entschlossen, die Neuen zu pushen. Einer der begehrten „Top Jobs“ ist das Amt des oder der PräsidentIn und der VizepräsidentInnen im Parlament. Es gibt davon 14, bisher drei Frauen. Oder der Vorsitz in einem der 22 ständigen Fachausschüsse, immerhin zehn haben bereits eine Frau an der Spitze. Im Sommer 2014 wird es schließlich um den Top Job unter den EU-Top-Jobs gehen: Die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das EUParlament. Die europäischen Parteien gehen deshalb im Mai 2014 erstmalig mit SpitzenkandidatInnen für die Parlamentswahl ins Rennen – es sind quasi ausschließlich Männer. Die europäischen Sozialdemokraten (PES) haben den deutschen SPD-Mann Martin Schulz auserkoren, die Europäische Volkspartei (EPP) nominierte den ehemaligen luxemburgischen Premierminister Jean-Claude Juncker, die Allianz 30 EMMA Mai/Juni 2014 Frauen deshalb eine verbindliche Regelung: Sowohl bei der Wahl des Kommissionspräsidenten als auch bei der darauf folgenden Ernennung der Kommissare aus den Mitgliedsstaaten soll immer eine Frau und ein Mann vorgeschlagen werden. Die nächsten EU-Wahlen sind 2019. Die KommissarInnen werden schon diesen Sommer ernannt. Einen Überblick ihrer Themen gibt die Women’s Lobby in ihrem „Manifesto“ zur EU-Wahl und unter „Take Action!“ auf ihrer Webseite: Sie fighten u. a. für ein Europa ohne Gewalt gegen Frauen (2016 soll zum Jahr gegen Gewalt gegen Frauen ernannt werden); für gleichen Lohn für gleiche Arbeit; für die gerechte Aufteilung der meist unbezahlten Wohlfahrtsarbeit zwischen Frauen und Männern; für eine Verbesserung der Anti-Diskriminierungsgesetze der EU; für mehr Beteiligung von Frauen mit Migrationshintergrund; für das Recht auf Abtreibung – und gegen Prosti- Doch es sind nicht alle Frauenorganisationen immer einer Meinung. Der Deutsche Frauenrat zum Beispiel unterstützt den Brüsseler Appell nicht, er konnte ihn aber auch nicht verhindern: Die Mehrheit hat ja dafür gestimmt. Oder: Wenn das Brüsseler Büro eine Demonstration für das Recht auf Abtreibung vor dem europäischen Parlament organisiert, dann sind die Malteserinnen nicht dabei. „Sie müssen wegen der rigiden Abtreibungspolitik in Malta einfach eine andere Strategie fahren“, versteht Altinisik. Doch in einem Punkt sind sich alle einig: Ein Europa ohne Gleichberechtigung hat keine ALEXANDRA EUL Zukunft. Im Netz www.womenlobby.org 028_033_EU_Wahlen 09.04.14 19:39 Seite 31 Die EU nutzt uns Frauen! Das Gesetz verbietet die Benachteiligung von Menschen aufgrund ihres Alters, ihrer immer ein Motor für die Frauenpolitik. Sagt ethnischen Herkunft, Religion oder WeltUta Klein, und die muss es wissen: Seit Mitte anschauung, einer Behinderung – und der 1990er Jahre forscht die Soziologie-Proihres Geschlechts und ihrer sexuellen Orifessorin, die die „Gender Research Group“ entierung,. Dagegen hatte sich die deutsche an der Universität Kiel leitet, zum Thema Wirtschaft lange gesträubt. „Gleichstellungspolitik in der Europäischen Genau. Aber auch die Regierung hatte sich Union“. Im EMMA-Interview erklärt sie, gesperrt, weil das Konzept eines „Antidiswarum deutsche Frauen der EU eine Menge kriminierungsrechts“ für Deutschland ganz fortschrittlicher Gesetze zu verdanken haben. ungewohnt war. Aber die EU-Richtlinien mussten in nationales Recht umgesetzt werden. Denn Richtlinien sind quasi Gesetze auf EU-Ebene. Ein anderes Beispiel ist die so genannte Unisex-Richtlinie vom Dezember 2004, die dafür gesorgt hat, dass es seit 2012 keine unterschiedlichen Versicherungstarife mehr für Frauen und Männer geben darf. Bei den Europawahlen wählen ist wichtig – gerade für Frauen! Denn die EU war schon EU-Kommissarin Reding: Pro-Quote Spielt die EU eigentlich eine Rolle bei der Frauenpolitik der Mitgliedsländer? Ja, auf jeden Fall! Allerdings kommt es darauf an, welches Niveau an Gleichstellung die Länder schon haben. In den skandinavischen Ländern zum Beispiel gab es ja früher mehrere Volksentscheide gegen einen EU-Beitritt. Es liegt die Vermutung nahe, dass besonders Frauen dagegen gestimmt haben, weil sie Angst hatten, dass ihr hohes Gleichstellungsniveau durch den Beitritt zur EU wieder gesenkt wird. Wenn wir aber auf Deutschland schauen, hat sich die EU sehr positiv ausgewirkt. Wie zum Beispiel? Wir haben zum Beispiel das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) der EU zu verdanken. Vier AntidiskriminierungsRichtlinien der EU haben dafür gesorgt, dass in Deutschland 2006 endlich dieses so genannte Antidiskriminierungsgesetz in Kraft getreten ist. Wer erlässt denn die Richtlinien? In den meisten Fällen der Rat der Europäischen Union und das EU-Parlament gemeinsam. Deshalb ist es auch so wichtig zu wählen, denn wir als EU-BürgerInnen wählen unsere Vertretung für das Parlament. Im Europäischen Rat sitzen die Fachministerinnen und -minister der einzelnen Regierungen. Der Erfolg der EU-Gleichstellungspolitik ist also immer auch abhängig von den Regierungskonstellationen in den Mitgliedsländern. Wer ergreift denn überhaupt die Initiative für eine solche Richtlinie? Die EU-Kommission. Sie besteht aus 28 Kommissarinnen und Kommissaren aus je einem Mitgliedsland, davon sind zur Zeit neun Frauen. Da ist also noch Luft nach oben. Er oder sie ist jeweils für ein Ressort zuständig. Die Kommission überwacht einerseits, ob die Mitgliedsländer das EURecht auch umsetzen. Mit ihrem Initiativrecht unterbreitet sie aber auch Gesetzentwürfe. Je nach Besetzung kann also die Kommission ein Motor der Gleichstellungspolitik sein. Ein Beispiel dafür ist der Vorstoß von Justiz-Kommissarin Viviane Reding zur Frauenquote. Wie kommt es eigentlich, dass die EUGesetze in Sachen Gleichstellungspolitik meist so fortschrittlich sind? Viele dieser progressiven Richtlinien oder auch andere Maßnahmen werden aus ökonomischen Interessen verabschiedet. Ein schönes Beispiel dafür ist der allererste Artikel der EU, damals noch Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, zu Gleichstellungsfragen: Artikel 1.19 zur Lohngleichheit, der schon in den Römischen Verträgen von 1957 steht. Weshalb ist der da reingekommen? Weil damals von den sechs Gründerstaaten nur Frankreich das Lohngleichheitsgebot in der Verfassung stehen hatte und argumentierte: „Wenn nur wir uns daran halten, ist das für uns ein Wettbewerbsnachteil!“ Mit diesem Argument wurde die gleiche Bezahlung für Männer und Frauen in den Vertrag aufgenommen. Für die reale Umsetzung des Artikels hat man dann allerdings nicht besonders viel getan. Das ökonomische Interesse allein kann es also nicht sein. Stimmt. Die EU ist ja durch die frühen Mitgliedsländer geprägt, dazu gehören eben auch Dänemark seit 1973 oder ab 1995 Schweden und Finnland, also die besonders fortschrittlichen skandinavischen Länder oder die Niederlande. Hinzu kommt, dass die frauenpolitischen Akteurinnen auf EU-Ebene immer schon höchst erfolgreich waren. Meine Kollegin Alison Woodward spricht vom sogenannten „Velvet Triangle“ der EUGleichstellungspolitik. Dieses „samtene Dreieck“ besteht an der einen Ecke aus den Aktivistinnen der Frauenbewegung, die sich schon in den 70er Jahren auf EU-Ebene eingemischt haben. NGOs haben auf der europäischen Ebene große Einflussmöglichkeiten. An der zweiten Ecke des Dreiecks sind die „Femokratinnen“, die „feministischen Bürokratinnen“, die vormals frauenpolitisch engagiert waren und jetzt in den EU-Institutionen sitzen. Und die dritte Ecke bilden die feministischen Wissenschaftlerinnen, die einen wichtigen Think Tank für die Politik darstellen. Und dieses Dreieck ist auf der EU-Ebene enorm effizient. Die European Women’s Lobby zum Beispiel, der Dachverband der Frauenorganisationen, hat sowohl einen kurzen Draht zur EU-Kommission als auch einen Sitz im Gleichstellungsausschuss des EU-Parlaments. Aus meiner Sicht ist die Mai/Juni 2014 EMMA 31 028_033_EU_Wahlen 09.04.14 19:39 Seite 32 Gleichstellungspolitik ganz klar der erfolgreichste Teil der EU-Sozialpolitik. Welche Sanktionen hat die EU denn zur Verfügung, wenn ein Land eine Richtlinie nicht fristgemäß umsetzt? Wie zum Beispiel Deutschland, das mit der Richtlinie zur Bekämpfung des Menschenhandels inzwischen über ein Jahr im Verzug ist. Dann verlangt die Kommission als Hüterin der europäischen Gesetzgebung zunächst eine Stellungnahme von der säumigen Regierung. Der nächste Schritt ist eine Mahnung, danach eine Fristsetzung. Und wenn dann immer noch nichts passiert, leitet der Europäische Gerichtshof ein „Vertragsverletzungsverfahren“ ein. Er kann dann Buß- oder Zwangsgelder festlegen. Auch der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat mit seinen Urteilen immer wieder entscheidende Impulse gegeben. Ja! Denken wir zum Beispiel an die Klage von Tanja Kreil für die uneingeschränkte Zulassung von Frauen zur Bundeswehr. Die Energieelektronikerin hatte sich vor dem Verwaltungsgericht Hannover ganz gezielt darauf berufen, dass der Ausschluss der Frauen vom Dienst an der Waffe gegen EU-Recht verstößt. Und das Gericht hat daraufhin den Europäischen Gerichtshof gebeten, sich zu dieser Frage zu äußern – das ist ein so genanntes „Vorabentscheidungsverfahren“. Der EuGH hat schließlich im Januar 2000 erklärt, dass der Ausschluss von Frauen tatsächlich gegen EU-Recht verstößt. So musste sich die Bundeswehr für Frauen öffnen. Wir können aber auch noch weiter zurück gehen: In den 80er Jahren, also zu Kohls Zeiten, musste Deutschland die Rechtsstellung für Teilzeitbeschäftigte deutlich verbessern. Da gab es zum Beispiel 1986 das Urteil des EuGH zu den sogenannten Bilka-Frauen. Die Verkäuferinnen hatten geklagt, weil sie von der betrieblichen Altersvorsorge ausgeschlossen waren. Der Gerichtshof ist also schon lange immer wieder ein starker Motor für die Gleichstellung. Nochmal zurück zu den Frauen in der Armee. Polen zum Beispiel hat erst 2010, also zehn Jahre nach dem Kreil-Urteil, Frauen in seinen Streitkräfte zugelassen. Wie kann das sein? Weil es keine EU-Richtlinie gibt, in der steht: Bis zu einem bestimmten Termin 32 EMMA Mai/Juni 2014 müssen die Streitkräfte aller EU-Mitglieder für Frauen geöffnet sein. Hätte in Polen aber eine Frau geklagt, hätte sie auf jeden Fall Recht bekommen. Nun gibt es in der EU auch Länder wie Polen oder Irland mit einem extrem restriktiven Abtreibungsrecht oder Malta, das bis 2011 die Ehescheidung verboten hatte. Kollidieren diese Gesetze nicht mit EU-Recht? In bestimmten Bereichen hat die EU nicht das Recht einzugreifen. Das sind die sogenannten „Home Issues“ („Heimangelegenheiten“) der Mitgliedsländer. Dazu gehören viele Bereiche des Familienrechts, die immer noch als genuiner, an Traditionen gebundener Gesetzesbereich der Mitgliedsstaaten be- UTA KLEIN „Auf die deutsche Frauenpolitik hat sich die EU sehr positiv ausgewirkt.“ trachtet werden. Da kann es, wie übrigens auch bei der Gewalt gegen Frauen, Empfehlungen oder Aufforderungen geben. Mehr nicht. Die EU kann auch nicht das Ehegattensplitting im deutschen Steuersystem verbieten oder die Systematik der Sozialversicherungssysteme vorschreiben. Zum Beispiel die vom Mann abgeleitete Witwenrente, die ja auf einem traditionellen Geschlechterbild beruht und das man in Skandinavien gar nicht kennt. Da kann die EU nur durch politischen Druck etwas verändern. Und sie hat das Splitting ja schon als kontraproduktiv für die Gleichstellung der Geschlechter kritisiert. Bisher leider ohne Erfolg. Es gibt aber doch eine Tendenz, die Kompetenzen der EU gegenüber den Ländern auszudehnen. Ja, die Kompetenzen weiten sich aus. Am Anfang, ab 1957, gab es zunächst nur deklamatorische Äußerungen auf dem Papier, wie eben die Lohngleichheit. Erst ab Mitte der 1970er Jahre tut sich dann was, weil sich da die Zweite Frauenbewegung auswirkt. So hat zum Beispiel eine EU-Richtlinie schon 1976 die Quote legitimiert! Die dritte Etappe beginnt in den 1990er Jahren, da wird das sogenannte Gender Mainstreaming als Strategie verankert, und der frauenpolitische Einfluss verstetigt sich. 1999 wird im Amsterdamer Vertrag Gleichstellungspolitik als Gemeinschaftsziel festgelegt. Und ab 2000 gibt es einen immensen Paradigmenwechsel: Bis dahin haben sich die EU-Richtlinien zur Gleichstellung auf den Bereich Arbeitsmarkt und Beschäftigung beschränkt. Die UnisexRichtlinie 2002 hat das Gleichstellungsthema zum ersten Mal auf private Güter und Dienstleistungen erweitert. Und durch die Antidiskriminierungsrichtlinien ist der Schutz vor Diskriminierung über das Geschlecht hinaus ausgedehnt worden. Auch das EU-Parlament kritisierte schon 1994 die Diskriminierung von Homosexuellen, gerade hat es Prostitution als Verstoß gegen die Menschenwürde verurteilt. Das ist richtig. Hier befinden wir uns im Bereich des „Soft Law“. Das sind sozusagen Normvorgaben, die aber rechtlich nicht bindend sind. Die EU arbeitet hier mit dem Prinzip „Blaming and Shaming“. In EU-Publikationen wird zum Beispiel aufgeführt, in welchen Mitgliedsstaaten es Nachholbedarf gibt. Wenn das bei einem Land häufig der Fall ist, erzeugt das durchaus einen gewissen Druck auf Regierungen. Ein sehr gutes Beispiel dafür ist der Ausbau der Kinderbetreuung. Deutschland hatte den Ausbau der Kinderbetreuung ja komplett verschlafen. Die EU hatte aber Ziele vereinbart: Bis 2010 sollte es für 33 Prozent der Kinder unter drei Jahren und für 90 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen einen Betreuungsplatz geben. Daran kann man sehen, dass die EU auch mit den sogenannten „Soft Laws“ eine große Wirkung erzeugen kann. Weiterlesen Uta Klein: Geschlechterverhältnisse, Geschlechterpolitik und Gleichstellungspolitik in der EU (Springer VS, 39.95 €) 028_033_EU_Wahlen 09.04.14 19:39 Seite 33 Der Siegeszug der Marine Le Pen E s kommt mir vor, als sei ich als Kind in einen Zaubertrank geplumpst, ein bisschen wie Obelix“, sagt sie zu dem Interviewer und strahlt. So kommt es den Franzosen auch vor. Die etablierte politische Klasse, von links bis konservativ, zittert vor ihr. Denn die Umfragen sagen ihr einen wahrscheinlichen Sieg bei den Europawahlen voraus. Marine Le Pen, 45, ist die Tochter eines Models und des antisemitischen, rassistischen, homophoben, ultrarechten JeanMarie Le Pen. Der Vater gründete 1972 den Front National und kam in seiner Zeit auf maximal zwölf Prozent. Seit 2011 steht die Tochter an der Spitze der rechtspopulistischen Partei und verordnete ihr mit Erfolg einen Modernisierungskurs. Bei den Kommunalwahlen im März eroberte der Front National 15 Rathäuser, darunter traditionelle rote Hochburgen, und zogen 1 200 seiner Kandidaten in die Stadträte. Jeder vierte Franzose bzw. Französin würde sie wählen, 45 Prozent bezeugen Sympathie für die taffe Blondine. Was ist los in Frankreich? Rückt die Nation der Liberté und Fraternité nach rechts? Spitzensteuersatz auf 46 Prozent heben. Zur Strategie der Leaderin passt, dass sie es verstanden hat, in den vergangenen Jahren renommierte linke und liberale Köpfe aus dem sozialistischen und bürgerlichen Lager in den Front National zu holen. Bei den EU-Wahlen im Mai kandidiert Marine Le Pen mit der Absicht, ein Frankreich unter ihrer Ägide aus der Europäischen Union zu lösen – „nach konsequente Laizität: „Der Glaube ist eine strikt private Angelegenheit, und seine Ausübung darf nicht Gegenstand von Provokation sein.“ Das Prinzip der Laizität ist zwar in Frankreich eigentlich eine Selbstverständlichkeit, dennoch hat vor allem die Linke im Namen des Kulturrelativismus den Siegeszug des politisierten Islam inklusive Kopftuch und Scharia keinen Einhalt geboten. Es scheint komplizierter. Ja, auch die Tochter hat was gegen Fremde und will die jährliche Einwandererzahl von 200 000 auf 10 000 im Jahr reduzieren. Aber vom Antisemitismus des Alten hat sie sich radikal distanziert; von ihrem erfolgreichsten Parteigenossen, Steeve Briois, der bei den Kommunalwahlen das Rathaus der Arbeiterstadt Hénin-Beaumont eroberte, heißt es, er sei homosexuell – und was die modernen Frauen angeht, die werden von Marine persönlich verkörpert: Rechtsanwältin, zwei Mal geschieden, drei Kinder, Patchworkfamilie mit Lebensgefährten (der Theoretiker des Front National), pro Recht auf Abtreibung. Und damit ist das Verwirrspiel noch lange nicht zuende. Die charismatische Chefin des Front National plädiert für einen starken (Sozial)Staat, die Reindustrialisierung Frankreichs sowie eine Achse Frankreich/Deutschland/Russland. Sie will die Macht der Banken beschränken, sie gar „teil- oder zeitweise verstaatlichen“ und den Jeder vierte Franzose würde die Rechtspopulistin wählen. einer Volksbefragung“, versteht sich. Denn das ist die wohl größte Verheißung der Front-National-Führerin: La Grande Nation. Frankreich den Franzosen! Damit erobert die Kandidatin die Herzen der geknickten, von Selbstzweifeln geplagten Franzosen auch weit über die klassische rechte Klientel hinaus. Hinzu kommt: Nicht nur die Frauen goutieren ihre Kritik am politischen Islam. Marine Le Pen plädiert für eine Ist die Front-National-Leaderin eine Wölfin im Schafspelz? Ist sie die Repräsentantin einer neuen rechtspopulären Bewegung, die im Begriff ist, ganz Europa zu erfassen? Und die in die von den etablierten Parteien gelassene Lücke der Politikmüdigkeit stößt? Die Antwort ist offen. Aber eines ist klar: Bei den EU-Wahlen am 25. Mai wird in Frankreich vor allem eine triumphieren: Marine Le Pen. Mai/Juni 2014 EMMA 33 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 34 Der Paradigmen ach jahrzehntelangem Ignorieren bzw. Tolerieren kriegt die Sache plötzlich Drive. Auf europäischer Ebene forderten Parlament und Europarat im Februar/April mehr Hilfe für Frauen in der Prostitution, verstärkte Verfolgung der Profiteure – und das Verbot des Sexkaufs, also die Bestrafung von Freiern. In Deutschland, dem „Bordell Europas“, ist man noch nicht ganz so weit. Aber man schreitet ebenfalls mit Siebenmeilenstiefeln voran. Am 8. April, also fünf Monate nach Erscheinen des EMMA-Appells gegen Prostitution – der zum Auslöser einer gesamtgesellschaftlichen Debatte wurde – legten CDU/CSU ihre Eckpunkte zur Änderung des Prostitutionsgesetzes vor. Sie sind auf den Punkt! Und man kann nur hoffen, dass die Sozialdemokraten diese Forderungen mittragen und nicht in Versuchung geraten, sie zu verwässern. Was die SPD allerdings nicht hindern sollte, vielleicht sogar darüber hinaus zu gehen. Noch vor der Sommerpause will die schwarz-rote Koalition über die überfällige Änderung des Prostitutionsgesetzes von 2002 debattieren – und im Herbst das neue Gesetz verabschieden. Die Union tat nun den ersten Schritt. Hier ihre Eckpunkte: N 34 Die Altersgrenze für Prostituierte soll von 18 auf 21 Jahre angehoben werden. Zum Schutz junger Frauen in der Prostitution, die immer jünger werden. Eine Anmeldepflicht für Prostituierte soll eingeführt werden. Damit man weiß, welche und wie viele Frauen überhaupt anschaffen, Zwangsprostituierte aufgespürt werden und Frauen nicht einfach spurlos verschwinden können. EMMA Mai/Juni 2014 Gesundheitsuntersuchungen sollen wieder Pflicht werden. Das schützt die Frauen nicht nur vor Krankheiten – und ist darum schon lange auch ihr eigener Wunsch. Flatrate-, Gang-Bang- und Rape-Prostitution sollen als Verletzung der Menschenwürde verboten werden. Die Beratung von Prostituierten – endlich auch zum Ausstieg? – soll verstärkt und das Aufenthaltsrecht von Zeuginnen gegen Menschenhandel und Zwangsprostitution verbessert werden. Eine Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten soll eingeführt werden, geregelt in einem eigenen „Prostitutionsstättengesetz“, nicht im Gewerberecht. Prostitution ist also nicht länger ein „Beruf wie jeder andere“. Die Polizei soll die Prostitutionsstätten kontrollieren können. Zuhälterei und Menschenhandel sollen stärker bestraft werden. Und Menschenhändler sollen auch ohne Aussage der Opfer zur Rechenschaft gezogen werden können. Nur ein Punkt ist halbherzig. Erwartungsgemäß. Ausschließlich Freier von „Zwangs- Die CDU/CSU legt Eckpunkte für ein neues Prostitutionsgesetz vor. Die Forderungen sind auf der Höhe der Zeit. prostituierten“ sollen in Zukunft bestraft werden. Doch da Zwangsprostitution erfahrungsgemäß nur sehr schwer beweisbar ist, ist das nicht mehr als eine folgenlose Geste. Diese Halbherzigkeit war zu erwarten, weil es in Deutschland – im Gegensatz zu vielen anderen europäischen Ländern – bis vor kurzem noch kein kritisches Verhältnis zur Prostitution gab. Die Debatte hatte erst wirklich begonnen mit dem EMMA-Appell gegen Prostitution im November 2013. Jetzt, nach nur fünf Monaten, sind wir dafür allerdings schon ganz schön weit in dem Land, das heute als europäische Drehscheibe des Menschenhandels gilt. Die Europäische Union zeigt, wo es lang geht. Ende Februar hatte das EU-Parlament beschlossen, Prostitution als „Verstoß gegen die Menschenwürde“ zu klassifizieren und den 28 Mitgliedsstaaten das „Schwedische Modell“ empfohlen, also die Freierbestrafung. Im April legte der Europarat nach: „Wir fordern die Mitgliedsländer auf, die Kriminalisierung des Sexkaufs, basierend auf dem Schwedischen Modell, als effektivste Maßnahme im Kampf gegen den Menschenhandel zu betrachten.“ Als die britische EU-Abgeordnete mit der Platznummer 547 am 26. Februar die Hand hob, um mit Ja zu stimmen, tat sie das mit hochgerecktem Siegerdaumen. Zu Recht. Denn neben Mary Honeyball hoben exakt 342 weitere ParlamentarierInnen ihre Hand. Damit hatte das EUParlament mit klarer Zweidrittel-Mehrheit entschieden: „Prostitution ist mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, einschließlich des Ziels der Gleichstellung der Geschlechter, unvereinbar.“ 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 35 wechsel Auch in der so genannten „freiwilligen“ Prostitution „werden alle intimen Handlungen auf einen Marktwert reduziert und Menschen dadurch zu Waren oder Gegenständen degradiert, die dem Kunden zur Verfügung stehen“, heißt es in dem EUReport. Und weiter: Prostitution sei „untrennbar mit der Ungleichbehandlung der Geschlechter in der Gesellschaft verbunden“ und habe „Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Status von Frauen und Männern sowie ihre Beziehungen untereinander und die Sexualität“. Der Europarat, eine Art UNO auf Europaebene, in dem alle 47 europäischen Staaten Mitglied sind, fordert wenig später die Länder außerdem auf, die Werbung für Prostitution zu verbieten sowie ausreichend Beratungszentren und Ausstiegsprogramme einzurichten, in denen Prostituierte, unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus, rechtlichen und gesundheitlichen Beistand bekommen. Mit einer überwältigenden Mehrheit von 102 Ja-Stimmen verabschiedeten die 125 Mitglieder des Europarates ebenfalls ein klares Votum für die Freierbestrafung. Für Deutschland allerdings konstatierte der Report des Europäischen Rates: „Sowohl die Situation der Prostituierten als auch das Vorkommen des Menschenhandels haben sich verschlimmert.“ Und was passiert in Deutschland? Während die Hauptstadt die Debatte noch vor sich hat, wird auf Länderebene längst gehandelt. Denn Länder und Kommunen müssen ausbaden, was der Gesetzgeber 2002 verbockt hat. Das Saarland zum Beispiel will nicht warten, bis das neue Prostitutionsgesetz kommt. Denn in dem Grenzland zu Frankreich, das kürzlich die Freierbestrafung eingeführt hat, hat die Plötzlich passiert etwas: in Europa, in Deutschland, in den Kommunen – ja sogar in der alternativen Szene. Prostitution „unerträgliche Ausmaße“ angenommen, so die Oberbürgermeisterin von Saarbrücken, Charlotte Britz (SPD). Ministerpräsidentin Annegret KrampKarrenbauer (CDU), die wie Britz zu den ErstunterzeichnerInnen des EMMA-Appells „Prostitution abschaffen!“ gehört, forderte darum gemeinsam mit ihrem sozialdemokratischen Koalitionspartner von der schwarz-roten Bundesregierung bereits im März Maßnahmen, die den Eckpunkten der Union entsprechen. In Baden-Württemberg ging Frauenministerin Karin Altpeter (SPD) noch einen Schritt weiter. Sie spricht sich klar für das „Schwedische Modell“ aus, also die generelle Freierbestrafung. Auch die Kommunen verlieren langsam die Geduld. So hatte Sylt Anfang des Jahres ein im Herzen von Westerland geplantes „Edelbordell“ verhindert. Im hohen Norden, in Schwerin, gehen die BürgerInnen gegen einen Neubau mit Wohnungsbordellen auf die Barrikaden. Und in Nordrhein-Westfalen hat der Stadtrat von Waldbröl ebenfalls gerade ein Bordell im Stadtzentrum verhindert. Die Kreisstadt hat knapp 20 000 EinwohnerInnen und ist eher konservativ gestrickt; im Rat sitzen 17 Abgeordnete für die CDU und neun für die SPD, dazu vier Unabhängige Wähler, drei FDPler und zwei Grüne. 28 der 35 Europa geht voran – EU-Parlament und Europarat fordern das Verbot des Sexkaufs: die Freierbestrafung. Abgeordneten sind Männer. Aber an diesem 27. März 2014 sind sich alle 35 einig: Der von einem einschlägig bekannten Bordellbetreiber mitten im Zentrum geplante „Saunaclub mit sexuellen Dienstleistungen“ muss verhindert werden! Und der Stadtrat von Waldbröl wusste auch, wie: Ganz einfach, indem er das „Mischgebiet“ via Änderung des Bebauungsplans kurzerhand in ein „Wohngebiet“ umwandelte. Abgeschmettert. Kein Puff in der Kaiserstraße. Mit diesem Ratsbeschluss liegt Waldbröl ganz oben auf der Höhe des europäischen Fortschritts. Kein Wunder: Hatte doch der komplette Stadtrat im Oktober 2013 den EMMAAppell gegen Prostitution unterzeichnet. Bezeichnend für den Stimmungswandel ist auch die jüngste Entwicklung bei Terre des Femmes (TdF). Deren Vorsitzende Irmingard Schewe-Gerigk hatte noch im November 2013 im TV-Gespräch mit Alice Schwarzer offensiv Position pro Prostitution bezogen – was allerdings bei den TdF-Mitgliedern eine Welle von Protesten auslöste. Denn früher einmal hatte die Frauenrechtsorganisation Prostitution als „frauenverachtend“ und „unvereinbar mit der Menschenwürde“ verurteilt. Auf der Vereinssitzung, die als Folge des Eklats anberaumt wurde, entschied die Mehrheit nun im März: Auch Terre des Femmes ist jetzt für ein Verbot des Sexkaufs! Die Zeit scheint reif für einen Paradigmenwechsel. Aus dem „Bordell Europas“, wie Deutschland zwölf Jahre nach der fatalen Reform genannt wird, wird in nicht allzu ferner Zeit hoffentlich wieder ein Land werden, in dem in Sachen Prostitution der Schutz der Frauen und ihre Menschenwürde entscheidend ist – und nicht das Geschäft mit der Ware Frau. Mai/Juni 2014 EMMA 35 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 36 Am 14. März lud die Schwedische Botschaft in Kooperation mit EMMA zu einer Info-Veranstaltung. Um diese aus erster Hand zu bekommen, hatte EMMA eine Informationsveranstaltung Schwedens in Berlin angeregt – und die Schwedische Botschaft die Initiative mit offenen Armen aufgenommen. So kamen am 14. März sieben schwedische und deutsche ExpertInnen und rund hundert geladene Gäste in die Botschaft, darunter zahlreiche Bundestagsabgeordnete und weitere PolitikerInnen wie die baden-württembergische ie schwedische Justizkanzlerin Anna Skarhed (Foto) formuliert es höflich, aber es ist klar, was sie meint: Nach der Lektüre deutscher Zeitungen habe sie festgestellt, dass „bei Ihnen ziemlich viele Mythen über das schwedische Prostitutionsgesetz kursieren. Heute haben Sie Gelegenheit, Fakten zu hören.“ Wer gelesen hat, was in den letzten Monaten in deutschen Medien so alles über das so genannte Schwedische Modell verbreitet wurde, wusste die Contenance der Justizkanzlerin zu schätzen. Auf Seite 1 der Zeit hatte zum Beispiel eine Autorin über den „Triumph des Staatsfeminismus“ gewettert, der dem Schwedischen Modell zugrunde liege. Vokabeln wie „Umerziehung“ fielen. Auch habe die Gewalt gegen Prostituierte in Schweden „erheblich zugenommen“. Quelle? Keine. Und für Percy MacLean, bis 2012 Vorsitzender Richter des Berliner Verwaltungsgerichts, ist die Verfolgung der Freier in Schweden gar „unappetitlich, menschenverachtend und würdelos“, ja gar „lebensbedrohend“, denn wie einst die DDR-Grenzkontrolleure verfolge die schwedische Polizei die Sexkäufer mit „einer Art Röntgenstrahlung“. Quelle? Keine. Richter MacLean war es übrigens, der im Jahr 2000 mit seinem Urteil, Prostitution sei nicht länger „sittenwidrig“, die Schleusen für das Prostitutionsgesetz von 2002 geöffnet hatte. Selbst der Deutsche Frauenrat hatte sich scharf gegen das Schwedische Modell ausgesprochen. Begründung: „Auch die Prostituierten selbst würden der Gefahr der Kriminalisierung ausgesetzt.“ Quelle? Keine. Höchste Zeit also für Fakten. D 36 EMMA Mai/Juni 2014 Für die Prostituierten hat sich die Situation verschlechtert – für die Bordellbesitzer verbessert. KOMMISSAR DÖRNHÖFER In Schweden sind die Frauen Opfer – in Deutschland sind sie Konsumartikel. SOZIALARBEITERIN CONSTABEL Wir haben in Deutschland eine Gesetzeslage, die es den Strafverfolgern sehr schwer macht. STAATSANWÄLTIN LOTZ Sozialministerin Karin Altpeter oder der Vorsitzende des Menschenrechts-Ausschusses des Bundestages, Michael Brand. Ebenfalls dabei: VertreterInnen von Frauenrechtsorganisationen und Bürgerinitiativen sowie von Wissenschaft und Medien. Sie alle wollten wissen: Was hat es denn nun wirklich auf sich mit dem Schwedischen Modell? Also lautete die Ausgangsfrage von Moderator Ranga Yogeshwar: „Was können wir 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 37 Der Schwedische Weg von Schweden lernen?“ Denn eins stehe fest: Das Land, das 1999 als erste Nation weltweit den Sexkauf unter Strafe stellte und gleichzeitig die Prostituierten völlig entkriminalisierte, „hat nicht nur ein Gesetz geändert, sondern auch eine Haltung“. Wie auch Deutschland mit seinem Prostitutionsgesetz von 2002 nicht nur ein Gesetz geändert hat, sondern eine Haltung, das beschrieb der vierfache Vater Yogeshwar an- schaulich: Er sei „aus allen Wolken gefallen“, als zur Abitur-Feier seines Sohnes plötzlich „ein Puffbesuch im Pascha angestanden hat“. Yogeshwar gehört zu den ErstunterzeichnerInnen des EMMA-Appells „Prostitution abschaffen!“ Sein Sohn habe glücklicherweise nicht ins Pascha gehen wollen und „eine Ausrede gefunden“. Die braucht ein 18-Jähriger heutzutage in Deutschland offenbar, wenn er nicht in den Puff gehen will. Das Sexkaufverbot ist ein sehr effektives Werkzeug, das ziemlich leicht anzuwenden ist. KOMMISSAR TROLLE Wir signalisieren den Frauen, dass die Schande nicht bei ihnen liegt, sondern beim Käufer. SOZIALARBEITERIN GREEN Das Sexkaufverbot öffnet uns den Weg zu den Frauen und in die Strukturen des Menschenhandels. STAATSANWALT AHLSTRAND Die schwedischen Gäste konnten über solche Berichte nur fassungslos den Kopf schütteln. Denn für sie steht außer Frage, was Christian Berg, Pressesprecher der Schwedischen Botschaft, in seiner Begrüßungsrede betonte: „Prostitution ist ein Verstoß gegen die Menschenwürde.“ „Die Straßenprostitution hat sich markant verringert“, berichtete Justizkanzlerin Skarhed, die die Auswertung des Gesetzes im Jahr 2010 geleitet hatte. Die ehemalige Bundesrichterin hatte dazu mit PolizistInnen, StaatsanwältInnen und StreetworkerInnen gesprochen sowie mit ehemaligen bzw. aktiven Prostituierten. Fazit der Bilanz: Die Millionenstadt Stockholm hat noch etwa zehn Straßenprostituierte. Einen Rotlichtbezirk Marke Hamburger Herbertstraße gibt es nicht, Bordelle waren in Schweden schon vor dem „Sexköpslagen“, dem Sexkaufgesetz von 1999, verboten. Folge: „Schweden ist für den internationalen Menschenhandel kein attraktiver Markt mehr.“ Was man vom Nachbarland Dänemark nicht behaupten kann. Dort habe sich die Zahl der Prostituierten auf der Straße wie im Internet stetig erhöht. Wie aber funktioniert das schwedische Gesetz nun in der Praxis? Wie kann die Polizei Freier auf der Straße überhaupt erkennen? Wie die Sexkäufer entdecken, wenn die Prostitution über das Internet organisiert wird? Und wie finden die Sozialarbeiterinnen die Prostituierten? Darüber berichteten an diesem Tag in Berlin drei PraktikerInnen: Kriminalkommissar Jonas Trolle aus Stockholm, Staatsanwalt Thomas Ahlstrand aus Göteborg und Sozialarbeiterin Lisa Green aus Malmö. Um ihre Berichte mit den Erfahrungen in Deutschland abzugleichen, stehen ihnen drei deutsche Pendants gegenüber: Kriminalhauptkommissar Uwe Dörnhöfer aus München, Staatsanwältin Kerstin Lotz aus Frankfurt und Sozialarbeiterin Sabine Constabel aus Stuttgart. „Das Sexkaufverbot ist ein sehr effektives Werkzeug, das ziemlich einfach anzuwenden ist“, erklärte Kommissar Trolle. Auf dem Straßenstrich kenne man die Frauen. „Wenn wir sehen, dass ein Mann, der womöglich vorher noch am GeldautoMai/Juni 2014 EMMA 37 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 38 maten war, auf sie zugeht, sprechen wir die beiden an. Dann hören wir oft Sätze wie ‚Das ist meine Freundin‘ oder ‚Das ist ein Bekannter meines Vaters‘.“ Wenn man dann Mann und Frau getrennt befrage, stelle sich sehr schnell heraus, ob das stimmt. „Zum Beispiel, indem wir den Mann nach dem Namen seiner ‚Freundin‘ fragen und er einen falschen sagt. Das sind in der Regel kurze, einfache Befragungen.“ Auch die oft gehörte Behauptung, dass die Prostitution sich nur ins Internet verlagert habe und deshalb für die Polizei unauffindbar sei, sei schlichtweg falsch. „Wir finden die Frauen auf die gleiche Weise wie die Freier – über Foren und Annoncen.“ Außerdem gebe es eine sehr gute Zusammenarbeit mit Hotels, die der Polizei meldeten, sobald sie Prostitution vermuteten. Auch Nachbarn von „Modelwohnungen“ riefen an, wenn sie einen Verdacht hätten. In Deutschland läuft es bisher genau umgekehrt: Hier legen Hotels Visitenkarten von Bordellen aus und gehört es zum guten Service, einem Gast auch schon mal eine Dame aufs Zimmer zu bestellen. Und was die Wohnungsprostitution anbelangt: Nachbarn, die sich darüber beschweren, haben ganz schlechte Karten, denn die Prostitution ist in der Regel hierzulande in ganz normalen Wohnhäusern inzwischen erlaubt. „Natürlich gibt es auch bei uns eine gewisse Dunkelziffer“, räumte Kommissar Trolle ein. Wer Schweden das vorwerfen möchte, sei daran erinnert, dass sich die Prostitution in Deutschland in einem vollständig unüberschaubaren Graubereich abspielt. Hierzulande, wo die Mehrheit der Prostituierten aus Osteuropa kommt, haben Hunderttausende Frauen in der Prostitution weder einen festen Wohnsitz noch sind sie irgendwo gemeldet. Ergo kann die Polizei die Verschiebe-Ströme von Bordell zu Bordell nicht nachvollziehen. Auch wer sich in den zahllosen Wohnungsbordellen verbirgt, weiß kein Mensch. Und noch etwas ganz Entscheidendes läuft anders in Deutschland: „Wenn in Hamburg die Polizei einen Freier mit einer Prostituierten sieht, kann sie nichts unternehmen. Wenn das in Göteborg passiert, macht sich der Freier strafbar, und wir sprechen mit der Frau. Die kommt fast immer aus Bulgarien, Slowenien oder einem anderen osteuropäischen Land“, 38 EMMA Mai/Juni 2014 erklärt Staatsanwalt Thomas Ahlstrand. So erfahre man von ihrer Lage und ihrem Zuhälter. Und man befrage auch den Freier, wie der Kontakt zu der Frau zustande gekommen sei. „Das Sexkaufverbot eröffnet uns einen Weg zu den Prostituierten und in die Strukturen des Menschenhandels, den wir ansonsten nie gefunden hätten.“ Interessanterweise gehört der 57-jährige Jurist zu denjenigen, die 1999 dem „Sexköplagen“ zunächst sehr skeptisch gegenüber standen. „Ich dachte damals: Wieso sollen wir uns in das Privatleben der Menschen einmischen?“ Dann habe er angefangen, im Bereich Menschenhandel zu arbeiten und die Wirkung des Schwedischen Modells bei der Verfolgung der Täter erlebt. „Heute halte ich das Sexkaufverbot für eine der besten Erfindungen, die Schweden jemals gemacht hat. emma.de Die Debatte auf Video EMMA hat die Veranstaltung in der Schwedischen Botschaft filmisch dokumentiert. Auszüge aus der Debatte stehen auf EMMAonline. Stichwort Themen/Prostitution. Was Staatsanwältin Kerstin Lotz aus Frankfurt berichtet, klingt anders. Ganz anders. „Wir haben 2013 kein einziges Menschenhandels-Verfahren mit rumänischen Opfern führen können. Und das, obwohl die Zahl der rumänischen Prostituierten in Frankfurt ständig steigt und die Erkenntnisse der Polizei steigende Opferzahlen nahelegen“, klagt sie. Der Grund: „Wir haben eine Gesetzeslage, die es den Strafverfolgern sehr schwer macht.“ Und den Tätern leicht. In Deutschland ist heutzutage noch nicht einmal die Vermittlung einer Frau in ein Bordell strafbar. Lotz: „Und der Straftatbestand im § 232 ist so kompliziert gefasst, dass es unglaublich schwer ist, ihn nachzuweisen.“ Dazu braucht die Staatsanwaltschaft zwingend die Aussage des Opfers. Aber: „Die Frauen sind meist sehr, sehr jung und in einem schlechten körperlichen und psychischen Zustand. Die sind oft gar nicht in der Lage zu beschreiben, ob sie Opfer sind oder nicht.“ Hinzu kommt: Die Verteidiger richteten ihre Verteidigung immer wieder darauf aus, dass die Frau ja habe flüchten können. Aber, so die Staatsanwältin: „Die Frau wurde oft jahrelang von Bordell zu Bordell verschoben. Und jetzt weisen Sie mal nach, dass es nicht einen Moment gegeben hat, in dem sie hätte flüchten können.“ Der Münchner Kommissar Uwe Dörnhöfer kann das nur bestätigen. „Die Staatsanwaltschaft winkt in vielen Fällen von Menschenhandel gleich ab, weil sie den Fall für aussichtslos hält.“ Und Staatsanwältin Lotz beklagt ein weiteres Problem: „Es kann nicht sein, dass man in einem Bordell immer wieder Opfer von Menschenhandel findet, ohne dass dem Bordellbetreiber eine Sanktion droht.“ Auch hier bestehe „dringender Handlungsbedarf“. Das Schwedische Modell, erklärte die deutsche Staatsanwältin in der Schwedischen Botschaft, fände sie für Deutschland „absolut übertragbar und wünschenswert“. Das sieht auch Kommissar Dörnhöfer so. „Das deutsche Prostitutionsgesetz ist eine Schimäre. Für die Prostituierten ist nichts besser geworden – im Gegenteil: Für sie hat sich die Situation verschlechtert!“ Die einzige Veränderung seit der Reform von 2002 ist laut Dörnhöfer: „Es sind nur noch mehr Bordelle und noch mehr Prostituierte geworden.“ Und dieses Angebot „erzeugt eben auch eine Nachfrage. Wie kommen denn die Abiturienten darauf, für 20 Euro ins Bordell zu gehen?“ Die Antwort gibt ein Bordell-Flyer, den der Kommissar ins Publikum hält: „100 Frauen für 70 Euro!“ Seine Forderung: „Wir brauchen dringend eine Verringerung der gesellschaftlichen Akzeptanz!“ Und endlich neue Gesetze: Der Erste Kriminalhauptkommissar im Bereich Organisierte Kriminalität in München präsentiert einen umfangreichen Maßnahmenkatalog, den er schon 2009 gemeinsam mit einer Bund-Länder-Gruppe erarbeitet hatte: von der Meldepflicht für Prostituierte, die von Bordell zu Bordell verschoben würden, über bundeseinheitliche Kontrollmöglichkeiten für die Polizei bis hin zur Telefonüberwachung beim Verdacht auf Zuhälterei. „Sonst kommen wir an die Täter schlichtweg nicht ran.“ Die Vorschläge liegen nun seit fünf Jahren bei der jeweiligen Bundesregierung. Passiert ist bisher – nichts. 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 39 Moderator Yogeshwar befragt Sozialarbeiterinnen (li). EMMA-Redakteurin Chantal Louis bei der Podiumsdiskussion. Anscheinend gehört Michael Brand, der Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte im Bundestag, zu denjenigen, die das ändern wollen. Er stellte sich und Kommissar Dörnhöfer nach all dem, was er gehört hatte, die Frage: „Ist es sinnvoll, das baufällige Haus an einigen Ecken zu reparieren – oder sollte man es besser einreißen und neu aufbauen?“ Will heißen: Die Gesetzgebung radikal in Richtung Schwedisches Modell reformieren und damit einen Paradigmenwechsel einleiten. Die Antwort des Kommissars fiel eindeutig aus: „Ich hätte nichts dagegen, alles einzureißen und neu aufzubauen.“ Denn: „Es gibt keine Prostitution ohne Menschenhandel.“ Das Haus, das Schweden gebaut hat, hat mehrere hierzulande bisher unbekannte Elemente. Zum Beispiel: Schwedische SozialarbeiterInnen arbeiten nicht nur mit den Frauen, sondern auch mit den Freiern. Jeder entdeckte Freier bekommt von der Polizei eine Karte der Beratungsstelle der örtlichen „Prostitution Unit“. Viele gehen hin. 700 bis 800 Gespräche im Jahr mit Sexkäufern führen Lisa Green und ihre KollegInnen allein in Malmö. Die schwedische Sozialarbeiterin entkräftet einen weiteren Mythos über das Schwedische Modell: Weil die Prostituierten in die Illegalität abtauchten, erreiche die Sozialarbeit die Frauen nicht mehr. Es sei genau anders herum, erklärte Green. „Wir signalisieren den Frauen ja ganz klar, dass Schuld und Schande nicht bei ihnen liegen, sondern beim Käufer. Deshalb vertrauen sie sich uns an.“ Außerdem suche man die Frauen permanent dort auf, wo sie zu finden sind: Auf der Straße, in Hotels, im Internet. In ganz Schweden ist die Zahl der Prostituierten, die sich an die Beratungsstellen wenden, gestiegen. Rund 60 Frauen kommen allein in Stockholm pro Woche in die Prostitution Unit. „In Schweden sind die Frauen Opfer – in Deutschland sind sie Konsumartikel“, kommentiert die Stuttgarter Sozialarbeiterin Sabine Constabel. „Bei uns wird so getan, als könnte man die Sexualität aus dem Körper extrahieren – als ob sie nicht zutiefst mit dem Inneren verbunden wäre.“ Die vielbeschworene „Freiwilligkeit“ sei äußerst relativ, erklärte Constabel, die seit 24 Jahren mit Prostituierten arbeitet und im Stuttgarter Rotlichtviertel das Prostituierten-Café „La Strada“ betreibt. Viele Frauen aus Osteuropa würden von ihren Familien geschickt und erklärten: „Ich bin freiwillig hier – weil ich muss.“ Viele der meist sehr jungen Frauen machten ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit Freiern. Und die Frauen werden immer jünger. Die osteuropäischen Zuhälter, berichtet Constabel, rekrutierten ihre Ware inzwischen in Kinderheimen. „Kürzlich hat sogar eine der ‚Hausdamen‘ gesagt: Ich arbeite nicht im Bordell, sondern im Kindergarten!’“ Ob eine Prostituierte in Deutschland Ausstiegshilfe bekomme, ist „Glückssache“, weiß die erfahrene Sozialarbeiterin. Kein Wunder: Die meisten deutschen Beratungsstellen sind im Dachverband „Bufas“ organisiert, der nicht nur die Gesetzesreform von 2002 gutheißt und offen mit Bordellbetreibern kooperiert, sondern sogar die Abschaffung der Gesetze gegen Zuhälterei fordert. So berichtet Constabel von einer Prostituieren, die sich mit ihrem Wunsch auszusteigen dreimal an eine Beratungsstelle gewandt habe. Dort wurde sie jedes Mal in die Prostitution zurückgeschickt: Sie habe nur den Flyer einer Agentur bekommen. „Damit sollte sie ihr Selbstmarketing optimieren. Dann würde es ihr schon besser gehen“. Ein solcher Zynismus wäre in Schweden undenkbar. „Als wir das Gesetz gemacht haben, hatten wir zwei Hoffnungen“, erklärt Justizkanzlerin Anna Skarhed. „Wir wollten die Abschreckung der Freier erreichen. Und wir wollten, dass Schweden ein weniger attraktives Land für Menschenhändler wird. Beide Ziele haben wir erreicht.“ Und dann wird sie noch einmal sehr grundsätzlich: „Es geht nicht um eine so genannte moralische Gesetzgebung. Es geht um Menschenrechte – und um die Gleichheit der Geschlechter.“ Nach den drei Stunden geballter Informationen in der Schwedischen Botschaft gab es viele nachdenkliche Gesichter beim deutschen Publikum. Nicht zuletzt unter den PolitikerInnen. Was die unnachahmliche taz nicht hinderte zu spötteln: Die „Verkaufsveranstaltung“ für „Schwedens erfolgreichsten Exportartikel“ sei geglückt. Eigentlich konsequent. Wer, wie die taz, Sexualität für eine Dienstleistung und Frauenkörper für verkäuflich hält, wer von „Sexarbeiterinnen“ und „Sexindustrie“ spricht, der ist wohl endgültig im Kapitalismus angekommen. Und in dem geht es eben nur noch ums Geschäft, ums Kaufen und Verkaufen. Wie durfte die Postfeministin Laury Penny noch kürzlich in der taz räsonieren? „Sex gegen Geld tauschen, das tun alle Frauen in dieser Gesellschaft mehr oder weniger.“ Von welcher Gesellschaft spricht die Engländerin? Von der schwedischen wohl kaum. Und auch nicht von der, die immer mehr deutsche Frauen und Männer wollen. CHANTAL LOUIS Mai/Juni 2014 EMMA 39 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 40 So präsentiert sich das Pulheimer Bordell Paradiso im Internet. Tageskarte mit all incl. und 5 x Sex: nur 79,99 €. EMMA-Redakteurin Alex Eul was here. Zum F ahren Sie Ihren Rechner hoch und starten Sie Ihren Internet-Browser. Klicken Sie auf Google Maps. Dann tippen Sie: Pulheim, Deutschland. Eine Kleinstadt, von der Sie, wenn Sie nicht zufällig aus dem Rhein-Erft-Kreis stammen, wahrscheinlich noch nie gehört haben. Sie werden auf der Online-Landkarte sehen, so denn Sie mittlerweile auf „Enter“ gedrückt haben, dass Pulheim eine von vielen Gemeinden zwischen Köln und Düsseldorf ist. Kleinstädte, zersplittert in noch kleinere Ortsteile, an denen die meisten Menschen mit Tempo 40 EMMA Mai/Juni 2014 70 vorbei oder durch die sie mit Tempo 50 durch fahren. Diese Geschichte spielt in Pulheim. Sie könnte auch in vielen anderen Kleinstädten in dieser oder in einer anderen Ecke von Deutschland spielen. Pulheim ist nur ein Exempel. Zum Beispiel Pulheim: 53 786 Einwohner, über die Hälfte Frauen. Gut katholisch, die CDU ist mit 24 von 54 Sitzen im Rat die stärkste Partei (SPD: 14, Grüne: 7). 72 Quadratkilometer Fläche, 17 Schulen, 13 Kirchen, 90 Kinderspiel-, 33 Tennis- und zwei Golfplätze. Und ein Billig-Puff. Der bietet Männern für 79,99 Euro eine „Tageskarte ohne Zeitbegrenzung, all incl. und 5 x Sex“. Zoomen Sie nun in die Karte rein. Sehen Sie die L 183, namentlich Bonnstraße? Diese Straße führt nach Pulheim. Wenn Sie diese Straße befahren, passieren Sie Felder, die im Frühjahr gelb sind vom Ginster, im Sommer gold vom Korn und im Winter mit einer glitzernden Schicht Raureif überzogen. Strommaste flimmern in der Nachmittagsonne. Wir passieren Brauweiler, der bekannteste der zwölf Stadtteile. 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 41 Nein, das sind nicht die Damen vom Paradiso. Das sind die Funkenmariechen des Karnevalvereins Ahl Häre. Beispiel Pulheim Hier steht die ehrwürdige Abtei Brauweiler, Pulheims Aushängeschild. Auch ihre dunklen Kapitel sind heute aufgearbeitet: 1933 errichteten die Nazis für zwölf Monate ein Konzentrationslager in der ehemaligen Benediktinerabtei. Ab 1941 nutzte die Gestapo sie als Gefängnis. In den 1970er Jahren war die Abtei eine Fachklinik für Psychiatrie und Neurologie. Heute, nach einer Renovierung für 35 Millionen Euro, ist von alledem nichts mehr zu spüren. Die großen Säle, die aufgeräumten Höfe und der spitze Kirch- turm der St. Nikolaus Kirche, der hoch über die Bäume ragt, sind ein beliebtes Ausflugsziel. Nicht nur für Pilger zwischen Köln und Aachen. Der „Freundeskreis Abtei Brauweiler“ lockt mit Klassikkonzerten und Ausstellungen. Das ist Pulheim, wie es sich gerne zeigt. Wir fahren weiter auf der L 183, kreuzen die S-Bahn mit Direktverbindung nach Köln und stoßen auf die Venloer Straße. Jetzt könnten wir direkt links fahren, ins Pulheimer Zentrum, einen Parkplatz am Straßenrand suchen und auf der Einkaufsmeile rauf und wieder runter schlendern. Entlang der Lädchen, die Tee, Blumen und Engelsfiguren anbieten; und vorbei an dem Büchergeschäft, das in der Kommunionszeit die Kinderausgabe der Bibel genau so prominent ausstellt wie die Sex-Schmonzette „Fifty Shades of Grey“. Wenn wir Glück haben, erleben wir ein Stadt- oder Schützenfest mit Karussell, Wurstbude und Losstand. Wir fahren trotzdem erst mal rechts, Richtung Kentucky Fried Chicken und dann scharf links in die Industriestraße, wo der so genannte Zentralort Pulheim an das Gewerbegebiet grenzt. Am Ende Mai/Juni 2014 EMMA 41 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 42 der Straße steht ein umzäunter Klotz in Bonbonrosa, mit gusseisernem Tor inklusive Sichtschutz. An der Tür steht in Neonpink auf knallblauem Hintergrund „Pauschalclub Paradiso“. Das ist Pulheim, wie es sich nicht so gerne zeigt. Der spitze Kirchturm der Nikolaus-Kirche ist von hier nicht zu sehen. Schade, denn der Heilige Nikolaus hatte zumindest der Legende nach ein Herz für die Frauen hinter dem Gittertor. So geht die Legende über die „drei Jungfrauen“: Ein Vater entscheidet, seine drei Töchter in die Prostitution zu schicken, weil er nicht genügend Geld für die Mitgift hat. Nikolaus, damals noch kein Bischof, hört das und wirft in drei Nächten je einen Goldklumpen durchs Fenster. Die Töchter müssen sich nicht prostituieren. Durch die Fenster im Pauschalclub wirft niemand Goldklumpen, da ist Geiz geil. Auf Kosten von Frauen, die mit falschen Hoffnungen hierherkamen oder vielleicht auch dazu gezwungen wurden. Und die nun festsitzen. Im Bordell von Pulheim. Mit Sauna im Keller. Deshalb ist der Puff offiziell ein „Saunaclub“. Und kein Puff. Aber solche Dinge werden in Pulheim nur hinter vorgehaltener Hand gesagt. Denn den Puff gibt es ja eigentlich nicht. Deshalb fahren wir auch erstmal weiter. Rechts, im Kreisverkehr wenden und nach ein paar Metern erneut rechts. Geradewegs rein ins Pulheimer Stadtzentrum. Wir parken nur wenige Meter entfernt vom „Alten Rathaus“. Das ist so etwas wie das Herz der Stadt. Es ist noch gar nicht so lange her, dass es in ein „Haus der Vereine“ umgewandelt wurde. Die Vereine sind so etwas wie die Seele der Stadt, „gute Beispiele für den Gemeinschaftssinn der hier lebenden Menschen“ (Zitat der Stadt Pulheim). Denn: „Man fühlt sich wohl hier.“ Schließlich ist Pulheim im Rhein-ErftKreis die Stadt mit der geringsten Kriminalitätsrate – mal abgesehen von einem Anstieg der Sexualdelikte. Pulheim hat 42 EMMA Mai/Juni 2014 Prost: Man kennt sich, man schätzt sich. Bürgermeister Keppeler (2. v. li) bei Eröffnung des „Brauhaus Malzmühle“ im Alten Rathaus, Treffpunkt der Stadt. außerdem die höchste Kaufkraft im Kreis. Und eine Arbeitslosenquote unter Durchschnitt. Nicht zufällig wohnen angesehene Persönlichkeiten wie Jürgen Rüttgers, der ehemalige NRW-Ministerpräsident, in Pulheim. Der Bau einer Bäderlandschaft im Ortsteil Stommeln. Ja oder nein? Darüber Die Stadt Pulheim: 90 Kinderspielplätze, 33 Tennisplätze, 17 Schulen, 13 Kirchen und ein Puff. stritten sich die BürgerInnen sechs Jahre lang. Neuerdings mischt auch der Arbeitskreis „Besseres Pulheim“ mit, eine Initiative aus Geschäftsleuten. Bei einem Stadtrundgang in der Einkaufszone rund um das Alte Rathaus wurde im November die Marschrichtung für 2014 festgelegt: Die Gestaltung der Blumenbeete soll ansehnlicher werden, die Bürgersteige sauberer und die Schaufenster der Geschäfte einladender. „Wir wollen uns gegenseitig die Augen öffnen“, sagt Horst Engel, Kopf der Initiative und langjähriges Mitglied im Pulheimer Stadtrat. Zwischen den Blumenbeeten und dem gusseisernen Tor vor dem Pauschalclub Paradiso liegen weniger als zwei Kilometer. 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 43 Pulheim“. Der Pascha-Prinz Harald I. heißt mit bürgerlichem Namen Harald Müller und ist Vater eines Sohns. Seinen Beinamen hat der 48-Jährige aus folgendem Grund: Müller ist der Immobilienmanager, genannt „Hausmeister“, im selbsternannten größten Bordell Europas, dem Pascha in Köln. Er ist außerdem der Bruder von Hermann Müller, dem Besitzer des Großbordells. Einer der ersten Amtshandlungen als Pulheimer Prinz Karneval war für Müller eine Einladung an die Vereinskumpanen: „Wir werden mit großem Geschirr den Tabledance besuchen. Das ganze Regiment kommt dann vorbei.“ Wenige Wochen später marschierten der Prinz und sein Gefolge voll kostümiert in den Pascha Nightclub mit direktem Zugang zum Laufhaus nebenan. In Pulheim gingen die Dinge derweil ihren Norbert Rohde, KG Ahl Häre (re), trägt sich ein ins Goldene Buch der Stadt. Der Pascha-Prinz Harald I., auch ein Ahl Här, wird in Pulheim gefeiert. Aber wir stehen ja noch vor dem Alten Rathaus. Einer von zwei Geschäftsführern der Betreibergesellschaft „KG-Ahl-HäreVeranstaltungs GmbH“ heißt Norbert Rohde, gebürtiger Pulheimer, dreifacher Vater und vierfacher Großvater, wegen seines „langjährigen großen Einsatzes“ im Goldenen Buch der Stadt verewigt. Wie zuvor schon sein Vater. Seit 1986 ist er der Präsident der größten Karnevalsgesellschaft „Ahl Häre“. Frauen sind seit 1996 zugelassen. Der Karneval hat in Pulheim eine „besondere Bedeutung“, steht auf der Internetseite der Stadt. Ein „gesellschaftsbildendes Kraftfeld“ mit „menschenverbindender Wirkung.“ Für alle NichtRheinländer: Der traditionsreiche Karneval ist außerdem die wichtigste Stellschraube der Lokalpolitik. Die Session 2013 sollte für das Städtchen Pulheim tatsächlich eine besondere Bedeutung erhalten – weit über die Stadtgrenzen hinaus. Die Ahl Häre stellte das Dreigestirn und der Kölner Express jubelte: „Ab sofort regiert Prinz ‚Pascha‘ in Der Karneval hat in Pulheim eine besondere Bedeutung. Die Session 2013 mit Puff-Prinz auch. gewohnten Gang. Kein Wort in der Lokalpresse. Keine Bürgerinitiative, die protestierte. Als eine Stadträtin das Thema bei einer Ratssitzung auf den Tisch brachte, erntete sie Gleichmut. „Alle fanden das völlig normal.“ Eine Mutter aus Pulheim machte eine ganz ähnliche Erfahrung: Sie erfuhr eher zufällig von ihrem Sohn, welcher Narr das Regiment übernommen hatte. Der hatte die Neuigkeit auf dem Pausenhof aufgeschnappt. Als sie das Thema bei Nachbarn und Freunden ansprach, schwiegen die einen beschämt, die anderen hatten „gar nichts mitbekommen“. Dabei gab es längst Irritationen, auch in dem Karnevalsverein selbst: „Liebe Frau Schwarzer, ich kann Ihnen versichern, dass die Frauen in der Pulheimer KG nicht so nonchalant über den Beruf des Prinzen hinweggegangen sind, wie sie es behaupten“, schrieb eine der Vereinsfrauen. Doch keine der empörten Frauen will mit Namen genannt werden. Pulheim ist klein – und der Ruf schnell ruiniert. Offiziell tönte es ohnehin ganz anders aus der rheinischen Kleinstadt. „Harald Mai/Juni 2014 EMMA 43 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 44 Nach dem Kirchgang am Sonntag geht es in Pulheim um das werte Befinden und die guten Geschäfte. Müller ist ein normales Mitglied der Gesellschaft“, rechtfertigte sich KG-Präsident Rohde im Kölner Stadt-Anzeiger. Und der Tabledance-Club sei eine „ganz normale Adresse im Kölner Gastro-Angebot“. Rohde selbst verkehrt natürlich in feineren Kreisen: Seit er im Ruhestand ist, steht er als Mitglied der Truppe „Cäcilia Wolkenburg“ des Männergesangsvereins Köln beim bekannten „Divertissementchen“ auf der Bühne der Kölner Oper. In Pulheim hat er schon im Kirchenchor gesungen. Seine Ehefrau Gisela leitete früher den katholischen Kindergarten in St. Kosmas und Damian (mit 10 214 registrierten Gläubigen eine der größten katholischen Gemeinden im gesamten Erzbistum Köln). Wir verlassen jetzt den Platz vor dem Alten Rathaus, steigen ins Auto und machen uns auf den Weg nach St. Kosmas und Damian. Wer sich in Pulheim verfährt, versteht rasch, wieso die Stadt ihren „teils kleinstädtischen, teils dörflichen Charakter“ betont. Wer sich in Pulheim verfährt, versteht nicht, wie in dieser Stadt mit ihren immer enger zulaufenden Straßen, den dicht aneinandergebauten Einfamilienhäusern, den gepflegten Vorgärten und gestutzten Hecken und den Carports vor der Haustür einem irgendetwas entgehen kann. So ein Puff zum Beispiel. Vor allem nicht sonntags, nach der Messe auf dem Vorplatz der Pfarrkirche St. Kosmas und Damian. Da, wo sich die Pulheimer nach dem Kirchgang die Hände schütteln und über das werte Befinden und die guten Geschäfte plauschen. Wenn die Küsterin das Körbchen für die Kollekte in die hölzernen Sitzrei44 EMMA Mai/Juni 2014 hen reicht (600 Sitzplätze), wandern Fünf- und Zehn-Euro-Scheine hinein. So ein Schein, nicht mehr, bleibt vielen Frauen im Pauschalclub Paradiso nach einem Tag Prostitution. Wie das zustande kommt? So: Eine Tageskarte für frei Saufen inklusive fünf Mal Sex kostet die Freier 79,99 Euro, ein Drei-StundenTicket inklusive drei Mal Sex 59,99 Euro, das Ticket für frei Saufen plus ein Mal Sex (11 bis 16 Uhr) 29,99 Euro. Zieht man da die Betriebskosten, die Kosten für das Freibier und den Gewinn des Bordellbetreibers ab, plus das Geld, dass die Prostituierten vermutlich für Zimmer, Essen und Getränke zahlen, dann bleibt nicht mehr viel übrig. Auf der Webseite verspricht der Bordell-Betreiber „Spaß ohne Ende“. Den Freiern. Rufen wir doch einfach mal an, sagen wir, um einen Junggesellenabschied zu organisieren! Es meldet sich eine Frau, die erklärt, dass Gruppen sich vorher anmelden müssen, damit auch sicher genug „Damen“ anwesend sind. Normalerweise sind immer 15 bis 30 Damen da, zwischen 18 und 37 Jahren alt und „international“. Fragt man die Frau am Telefon nach Gruppenrabatt, antwortet sie: „Wir sind ja wohl schon günstig genug!“ Vor vier Jahren hieß der Puff noch „Partytreff Pulheim“ und war ein FlatrateBordell. Davon zeugen immer noch Einträge in den einschlägigen Foren. Auf bordellcommunity.com äußert sich ein Freier erbost darüber, dass den Gästen nur drei Frauen zur Verfügung standen: „Bis ich die Dritte so weit hatte, dauerte es Stunden. Eine sehr Junge. Sie fühlte sich sichtlich unwohl und hatte einen kleinen Teddybären und einen Eisbären dabei, die sie streichelte. Sie zitterte, war abweisend und teilnahmslos. 20 Minuten vor den drei Zimmern gesessen. Sie wollte unbedingt das letzte Zimmer, das frei wurde (nur Herauszögerei!). Dann aber schnell den Gummi drum und ich musste ran, während sie teilnahmslos weiterhin ihre Teddys streichelte. Nachdem ich abgespritzt hatte, springt sie ohne Ton wie von einer Tarantel gestochen auf und rast mit ihren Tierchen aus dem Zimmer.“ Ob Pulheims Bürgermeister Frank Keppeler manchmal im Internet surft? Und auf bordellcommunity.com geht? In seinem Neujahrsgrußwort 2014 stimmt er seine Bürger zuversichtlich auf das neue Jahr ein. Besonders die „Neugestaltung der Pulheimer Bildungslandschaft“ und die „Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Arbeit“ sind in Pulheim auf gutem Wege. „Sauberkeit, Sicherheit und Ordnung“ sind Keppeler ein Anliegen. Pulheim wirbt um junge Familien mit Kindern. Denn Pulheim hat das gleiche Problem wie die meisten kleinen Städte: Die Jungen ziehen weg. Keppeler blieb. Als das Bordell vor rund zwanzig Jahren aufmachte, hatte er gerade Abitur gemacht am katholischen Gymnasium Kloster Knechtsteden im nahen Dormagen, wo „der christliche Glaube Grundlage der Bildungs- und Erziehungsarbeit“ ist. Danach studierte er Jura und arbeitete als Rechtsanwalt. 18 Jahre war Keppeler alt, als er in die CDU eintrat. Und erst 36 Jahre, als er 2009 zum Oberbürgermeister der Stadt gewählt wurde. Das Bordell gab es da immer noch. 2010 kam die Frauen-Flatrate und damit auch das Mädchen mit den Stoffteddys in die Stadt. Seit kurzem ist der Pauschalclub Paradiso – laut eigener Webseite „mit neuer Führung“ – damit beschäftigt zu expandieren. Da, wo heute der Klotz in Rosa steht, stand bis vor kurzem noch ein schäbiger, grau-verklinkerter Bungalow. Die Geschäfte scheinen zu laufen. Am 25. Mai 2014 sind Kommunalwahlen. Auf Bundesebene wird eine Reform des Prostitutionsgesetzes diskutiert. Nicht nur in Deutschland, sondern in gesamt Europa wird die Frage nach der Menschenwürde gestellt. Was ist davon im gut katholischen Pulheim angekommen? Dierk Timm, Spitzenkandidat der Pulheimer SPD und Vorsitzender der SPD-Fraktion im Stadtrat, antwortet auf Beim Puffgang in Pulheim gibt es Freibier satt, fünf Mal Sex für 79,99 Euro und „Spaß ohne Ende“. Brauerei zur Malzmühle Schwartz GmbH & Co. KG (3), pulheim.de, Stefanie Stockem 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 45 eine Anfrage von EMMA: „Die Ansiedlung eines Bordellbetriebs in einem Gewerbegebiet sehe ich nicht als problematisch an.“ Marlies Stroschein, stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt und weibliche Spitzenkandidatin der SPD, schließt sich kommentarlos an. Auch die Grünen möchten keine Stellungnahme abgeben. Sie verweisen auf die offizielle Stellungnahme ihrer Stadt. Allerdings schickte Grünen-Sprecher Thomas Roth vorab noch schnell eine ganz persönliche E-Mail: „Von der Existenz des Bordells weiß ich nichts“, schreibt er. Und versichert: „Prostitution spielt in meinem direkten Umfeld keine Rolle. Wir sind davon in keiner Form betroffen, weder persönlich, privat noch in meinem Freundeskreis.“ Bürgermeister Frank Keppeler (CDU) lässt seinen Pressesprecher antworten, Dirk Springob. „Die Existenz dieses Saunaclubs ist für die Stadtverwaltung nicht von einer moralischen Bewertung, sondern von der rechtlichen Beurteilung abhängig“, schreibt der. Und: Grundsätzlich sei der Betrieb eines „Saunaclubs“ in einem Gewerbegebiet zulässig. Der Pressesprecher weist allerdings daraufhin, dass die Stadt Pulheim in den Jahren 1992 bis 2008 gegen insgesamt fünf Bordellbetriebe in Wohngebieten „vorgegangen sei“. Immerhin. Pulheim hat 79 Millionen Euro Schulden. Die Stadt nehme aber „durch ihr Grundstücksmanagement viel Geld ein“, erklärte Bürgermeister Keppeler im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger 2009. Pulheim präsentiert sich als attraktiver „Wirtschaftsstandort mit Wohnqualität“. Und das Bordell nebenan? Wie hoch die steuerlichen Einnahmen sind, die eine Stadt mit einem solchen Bordell macht, das ist ein Geheimnis. Auch Pulheim will keine Auskunft geben, aus „rechtlichen Gründen“. In einer Anfrage an die NRW-Regierung aus dem Jahr 2013 zum Thema „Sexsteuer in nordrhein-westfälischen Kommunen“ heißt es: „Es liegen keine Erkenntnisse vor, welche Kommunen die Einführung einer solchen Steuer planen“. Eine „Sexsteuer“ gibt es nicht, auch wenn sich der Begriff eingebürgert hat. Erhoben wird eine sogenannte „Vergnü- gungsstättensteuer“ von den Bordellen und anderen „Prostitutionsobjekten“. Sowie eine Pauschalsteuer, eine Art Einkommenssteuer von den (angeblich selbstständigen) Prostituierten. Ob und wie das im Detail abläuft, ist Angelegenheit der Kommunen und der zuständigen Finanzdirektionen. Und die sind erfinderisch. Im benachbarten Städtchen Elsdorf zahlen Prostituierte pro „Veranstaltungstag“ sechs Euro an die Stadt. Laut Satzung „unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme und der Anzahl sexueller Dienstleistungen“. Wie viele Kommunen in NRW in welcher Höhe Steuern durch die Prostitution beziehen, darüber kann allerdings weder das Finanzministerium, noch das Ministerium für Kommunales oder das Frauenministerium, das von Hause aus für das Thema zuständig wäre, Auskunft geben. Fahren wir also noch mal zurück zu dem rosafarbenen Betonklotz in der Industriestraße. Über den es laut Pressesprecher Springob bisher „keinerlei Beschwerden gegeben hat“. Ganz im Gegenteil: „Der Betrieb läuft unauffällig und wird von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen.“ Etwa 500 Meter hinter dem Bordell beginnt ein Neubaugebiet mit Reihenhäusern und verkehrsberuhigten Straßen. Die Art von Häusern, in die typischerweise die jungen und zahlungskräftigen Familien einziehen, die zukünftig Pulheims wichtigster Wirtschaftsfaktor sein sollen. In dem Neubaugebiet sind Straßen nach Edelsteinen benannt. Der kürzeste Weg von Köln in die Saphirallee führt direkt an dem Bordell vorbei. Noch ein paar Meter weiter geht es links zu Pulheims Moschee. Und dann wird es so richtig ländlich. Hier stehen prächtig sanierte Bauernhöfe und alte Apfelbäume. Wer sich die Zeit nimmt, trifft im Sommer Pilgerreisende, die ein Kreuz vor sich hertragen und landeinwärts ziehen, während einer laut aus der Bibel vorliest. Mission Nächstenliebe. Nächstenliebe ist Pulheim wichtig. Der Aktionsring „Besser kaufen in Pulheim“, eine Interessensgemeinschaft Pulheimer Unternehmer, sorgt sich schon seit 1978 um den Erhalt der „lebens- und liebenswürdigen Stadt“. Nicht nur aus kommer- „Der Betrieb läuft unauffällig und wird von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen.“ (Stadt Pulheim) ziellem Interesse, betonen die Initiatoren. In Pulheim ist immer was los vor dem Alten Rathaus: Ostermarkt, Weinmarkt, Weihnachtsmarkt. Die Oldtimer-Tour „de Flönz“ nicht zu vergessen. Die wird auch von der Karnevalsgesellschaft Ahl Häre organisiert. Dann kommen die, die es sich leisten können, mit ihrem Oldtimer vor das Alte Rathaus gefahren. Die Gäste johlen und klatschen bei jedem Wagen, der an die Startposition für die gemeinsame Spritztour fährt. Aber Anfassen verboten! „Sie dürfen sich reinsetzen“, sagt der Besitzer des silbernen Porsches stolz. Und sein Freund sagt: „Reinsetzen ist wahrscheinlich nicht das Problem. Sondern Rauskommen. Der macht nachher die Tür zu und fährt mit Ihnen sonst wo hin.“ Harald Müller ist auch da. Es ist einer seiner letzten großen Auftritte in der Session 2013. Der Pascha-Prinz schlürft auf dem Rücksitz einer schwarzen Stretchlimousine Champagner. Als der Wagen an die Startposition fährt, johlt und klatscht niemand. Einige Wochen später macht die KG Ahl Häre es offiziell: In der Session 2014 gibt es im zentralen Pulheim kein Dreigestirn. Sie können Ihren Browser jetzt wieder schließen und den Rechner runterfahren. Setzen Sie sich ins Auto und fahren Sie mal in die nächste Kleinstadt. Halten Sie diesmal ausnahmsweise an. Und gucken sie nicht weg. ALEXANDRA EUL emma.de Themen: Prostitution Mai/Juni 2014 EMMA 45 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 46 Das Gespräch mit einem, der NEIN sagt Er ist einer von 2 362. So viele Männer haben bisher das Manifest der Zéromachos, der Nullmachos, unterschrieben. Darin heißt es: „Lasst uns eine Welt schaffen, in der niemand mehr auf die Idee kommt, sich den Zugang zum Körper eines anderen kaufen zu können, und in der Sex weder mit Geld noch mit Gewalt zu tun hat!“ Auch Hans Broich will eine Welt ohne Prostitution – und er findet, dass gerade Männer sich dafür einsetzen sollten. Deshalb hat er seinen Namen unter das Manifest gesetzt. Das fordert unter anderem die Bestrafung der Sexkäufer. In Frankreich, dem Mutterland der 2011 gegründeten Zéromachos, ist dieses Ziel schon fast erreicht. Und das auch Dank ZéromachoGründer Patric Jean (EMMA 1/2014) und seinen Mitstreitern, die via Interviews, Filmclips und Presseerklärungen eine unüberhörbare Stimme im Kampf gegen das „système prostitueur“ geworden sind. In Deutschland war es bisher noch recht still um die knapp 200 Nullmachos, die das Manifest hierzulande unterzeichnet haben. Doch das ändert sich gerade. Nicht zuletzt Dank Hans Broich, 23, Student der Agrarökonomie und Sohn der SchauspielerInnen Margarita Broich und Martin Wuttke. Vor kurzem gab er sein erstes Interview zum Thema Prostitution. Und das soll erst der Anfang sein: Mitunterzeichner und Mitstreiter gesucht! – Chantal Louis traf Hans zusammen mit seiner Lebensgefährtin Bérénice in seiner Wohngemeinschaft in Berlin-Schöneberg. Bérénice ist bei den Femen aktiv und Mutter einer sechsjährigen Tochter. Hans ist seit deren zweiter Lebenswoche der soziale Vater des kleinen Mädchens – das einmal in einer Welt ohne Prostitution aufwachsen soll. 46 EMMA Mai/Juni 2014 Hans, wie bist du eigentlich dazu gekommen, dich gegen Prostitution zu engagieren? Ich laufe permanent mit einem kleinen, sechsjährigen Mädchen durch die Stadt und sehe dabei auf Werbeplakaten nur nackte Frauen. Da geht es zunächst noch gar nicht um Prostitution, sondern um den alltäglichen Sexismus, der mir überall begegnet. Dagegen zu halten ist schwer, weil ein unglaublicher Mediendruck herrscht. Wir kaufen der Kleinen schlichte, praktische Schuhe, aber im Kindergarten haben alle Mädchen rosa Prinzessinnen-GlitzerSchuhe. Als das Barbie-Dreamhouse hier in Berlin stand, sind alle Mädchen aus dem Kindergarten hingegangen. Was nun die Prostitution angeht: Prostitution ist in meinen Augen gleichzeitig Auswuchs und Förderer von Sexismus. Dabei gehörst du zu der Generation junger Männer, die mit dem Slogan von der Prostitution als „Beruf wie jeder andere“ aufgewachsen ist. Klar! Als ich in der Oberstufe war, sind Mitschüler in der großen Pause ins Artemis gefahren (ein Großbordell in Berlin, Anm. d. Red.). Das waren zwar nicht meine Freunde, aber ich bekam das mit, weil ganz offen darüber gesprochen wurde. Auch in meinem früheren Freundeskreis habe ich das gemerkt. Man muss dazu sagen, dass wir viel in Berlin-MitteKreisen unterwegs waren. Das war so ein Milieu mit reichen Künstler-Kindern. Und eines Abends hat mich eine Freundin, mit der ich aufgewachsen bin, angerufen und gesagt: „Ich bin hier in so einer Bar, kommt doch da nach der Arbeit noch hin!“ Dann sind Bérénice und ich hingefahren und kamen in einen dunklen Raum. Da war eigentlich nur ein Barkeeper, und in der Ecke saßen ein paar aufgebrezelte Frauen. Dann wurden wir in einen Hinterraum geführt. Da standen Leder-Couches und auf einer saß ein bekannter Berliner Gastronom und hatte zwei 20-jährige Frauen auf dem Schoß. Wenn da zwei Frauen auf dem Schoß von einem sechzig Jahre alten, wahnsinnig unattraktiven Mann sitzen, dann weiß man einfach, was los ist. Wir waren da in einer Art Bordell gelandet. Und was besonders eklig war: Alle haben so getan, als 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 47 „Prostitution geil zu finden, das hat nichts mit Testosteron zu tun, sondern mit Sexismus.“ HANS BROICH Werner Hallatschek Deutschland. Denn ohne die Nachfrage der Männer gäbe es keine Prostitution. ob das völlig normal wäre. Die Freundin, die uns da hinbestellt hatte, hat uns sogar noch einen Porno auf ihrem iPhone gezeigt und gesagt: „Guckt mal, der ist so hardcore, das ist quasi eine Vergewaltigung.“ Wir sind dann sofort gegangen. Hast du selbst nie gedacht: Das würde ich auch gern mal …? Nein! Das wäre für mich nie in Frage gekommen. Ich würde mich zu Tode schämen. Ich möchte keinem anderen Menschen auf diese Weise begegnen. Viele Leute, mit denen ich über Prostitution diskutiere, wollen Statistiken hören. Das ist für mich gar nicht der Punkt. Es ist eine Sache des gesunden Menschenverstandes. Und wie bist du zu Zéromacho gekommen? Durch meine Freundin Bérénice. Die ist sehr feministisch aufgewachsen. Das erste Buch, aus dem sie mir vorgelesen hat, war der Interviewband von Alice Schwarzer mit Simone de Beauvoir. Die Mutter von Bérénice ist Französin und hat eines Tages den Kontakt zu Florence Montreynaud hergestellt. Die ist quasi die Initiatorin von Zéromacho. Vor ungefähr anderthalb Jahren kam sie nach Berlin, um auch in Deutschland Unterschriften für Zéromacho zu sammeln, und wir haben uns mit ihr in einem Café getroffen. Sie hat mir das Manifest von Zéromacho gezeigt und mich gefragt, was ich dazu denke. Ich fand alles richtig, was da stand, und habe es selbstverständlich unterschrieben. Darin fordern die Zéromachos auch die Bestrafung der Freier. Genau. Und die Nullmachos waren in Frankreich eine laute Stimme in der Debatte um das neue Gesetz, nach dem in Zukunft die Freier bestraft werden sollen. Ich wünsche mir so ein Gesetz auch für Du bist bei den Femen, Bérénice. Wie bist du denn zu denen gestoßen? Bérénice: Hans und ich haben zusammen den Dokumentarfilm „Nos seins, nos armes“ (Unsere Brüste, unsere Waffen) von Caroline Fourest über die Femen geschaut. Da war ich total begeistert! Ich habe die Femen angeschrieben und gesagt, dass ich mitmachen will. Bis dahin hatte ich immer allein gestanden mit meiner Haltung – und habe dann endlich Frauen gefunden, die mit mir auf einer Linie sind. Hans: Das sind alles kluge, junge Frauen. Und ich fand es toll, dass es junge Menschen in meinem Alter gibt, die über Sexismus und Prostitution nicht nur diskutieren, sondern auch Aktionen machen und handeln! Bérénice: Ich habe dann im Dezember 2013 bei der Aktion vor dem Berliner Großbordell Artemis mitgemacht. Hans war auch dabei und hat unsere Jacken gehalten. Hans: Ich war so stolz! Ich war, glaube ich, aufgeregter als Bérénice. Bérénice: Das Schwierige an so einer Aktion ist übrigens gar nicht, sich auszuziehen. Das sind wir Frauen schließlich gewöhnt. Das Schreien und dabei stark sein, das ist der Punkt. Und wenn man diese Slogans immer wieder ruft – „Importiert kein Menschenfleisch! Sex ist kein Grundrecht!“ – dann bekommen sie wirklich eine ganz große Kraft, auch für einen selbst. Das habe ich als eine Art Rückeroberung meines Körpers empfunden. Und ich fand übrigens plötzlich auch meine kleinen, abgestillten Brüste wieder schön. Mai/Juni 2014 EMMA 47 034_049_Prostitution_korr 10.04.14 13:32 Seite 48 Hans Broich und Lebensgefährtin Bérénice, eine aktive Feme. Hans, deine Eltern sind die SchauspielerInnen Margarita Broich und Martin Wuttke. Was sagen denn die zu deinem Engagement? Zu dem Interview auf SpiegelOnline haben sie bisher erstaunlicherweise gar nichts gesagt. Vermutlich müsste ich mit meiner Mutter eine Diskussion darüber führen, dass es schließlich auch „freiwillige“ Prostituierte gibt. Mit Feminismus oder überhaupt der Idee, sich politisch zu engagieren – damit bin ich nicht aufgewachsen. In dem Künstlermilieu, in dem ich groß geworden bin, war eher so eine Laissez-faireHaltung angesagt. Da war es schick, alles laufen zu lassen und keine Moral oder Haltung zu etwas zu haben. Und das beobachte ich auch bei meiner Generation: Eine Haltung zu haben, das ist uncool geworden und wird als spießig abgestempelt. Und wie haben Kollegen oder Freunde auf das Interview mit dir reagiert? Ich jobbe in einem Nachtclub, und da kamen von Gästen schon Sprüche wie: „Aha, du vergleichst mich also mit einem Vergewaltiger …“ Oder: „Ich lese auch SpiegelOnline, Hans.“ Und dann kein Wort mehr. Meine Freunde weichen dem Thema eher aus. Wenn ein Freund von mir ein Interview über Prostitution gegeben hätte, würde ich doch nachfragen! Es 48 EMMA Mai/Juni 2014 „Das Schwierige bei einer Femen-Aktion ist nicht das sich Ausziehen, sondern das Schreien.“ BÉRÉNICE fragt aber keiner. Es sagt auch keiner: „Was redest du da für einen Quatsch?“ Das wäre ja auch okay, denn dann könnte man wenigstens darüber diskutieren. Aber sie ziehen es vor, die Sache zu ignorieren. Mit einer Ausnahme: Ich hatte noch nie erlebt, dass sich meine Mitbewohner über ein politisches Thema gestritten haben. Diesmal aber schon. Das fand ich super. Ich dachte: Wenn sich nur ein paar Wohngemeinschaften in Deutschland jetzt mal über das Thema Prostitution auseinandersetzen, dann hat das Interview schon was bewirkt. Gab es auch Zuspruch? Mein Patenonkel hat mir aus Irland gemailt, dass er es gut, richtig und wichtig findet. Dieser Patenonkel hat mich sehr geprägt. Meine Eltern haben als Schauspieler ja abends oft gearbeitet und ich war viel mit ihm zusammen. Er schrieb an diesem Morgen allerdings auch: „Lies die Kommentare nicht!“ Und: „Du musst dir darüber im Klaren sein, dass jetzt ein paar Millionen Menschen eine Meinung über dich haben.“ Ich habe gedacht: „Ich finde gut, dass jetzt ein paar Millionen Menschen wissen, dass ich eine Meinung habe!“ Und wie wird es jetzt weitergehen mit Zéromacho Deutschland? Bisher haben wir ja erstmal nur das Manifest unterschrieben. Wir, das sind rund 120 Männer. Ich will aber auf jeden Fall weitermachen! Inzwischen habe ich eine deutsche Zéromacho-Seite auf Facebook erstellt und hoffe, dass wir auf diesem Weg mehr Unterzeichner und Mitstreiter finden. Und wenn jetzt auch noch EMMA das Manifest veröffentlicht, kann es richtig losgehen. Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass sich gerade Männer zu Wort melden und ihren Geschlechtsgenossen erklären: Prostitution geil zu finden und Frauen zu erniedrigen, hat nichts mit Testosteron zu tun, sondern mit Sexismus! Im Netz www.facebook.com/freierbestrafung www.zeromacho.fr 034_049_Prostitution_korr 11.04.14 15:15 Seite 49 Männer sagen Nein zur Prostitution! Ist Prostitution ein „Herrenrecht“? Bedeutet sie „sexuelle Freiheit“ für Frauen? Ist sie eine unvermeidliche Realität, damit Männer ihre „ununterdrückbaren Bedürfnisse“ befriedigen können? Nein! Schluss mit dieser Propaganda! Wir, Männer jeden Alters, unterschiedlichster Herkunft und verschiedenster Lebensumstände, weigern uns, unsere Sexualität im Rahmen von Geschäftsbeziehungen auszuleben. Für uns ist Sexualität Kommunikation zwischen Menschen, die unter Gleichen stattfinden sollte – mit Respekt vor dem/der anderen, vor seiner/ihrer Freiheit und seiner/ihrer Lust. Wir sagen: • NEIN zu diesem Markt des Elends, der die Verletzlichsten dazu treibt, ihren Körper zu vermieten! • NEIN zu einer Machokultur, die Sexualität dazu benutzt, um andere zu dominieren und zu entwürdigen! • NEIN zu Bordellen, auch gewerberechtlich anerkannten, wo von Zuhältern ausgebeutete Frauen eingepfercht sind, um Männern zu Diensten zu sein. • JA zur sexuellen Freiheit! • JA zu gegenseitigem Begehren und gemeinsamer Lust! Wir vertreten das Prinzip der Gleichheit zwischen den Geschlechtern und fordern deshalb die Politik auf: • Maßnahmen zur Prävention zu ergreifen sowie Ausstiegsprojekte und wirkliche Alternativen zur Prostitution zu schaffen • Eine anti-sexistische Sexualerziehung in die Lehrpläne aufzunehmen, die den Respekt vor dem/der PartnerIn und seiner/ihrer Lust und seinen/ ihren Wünschen vermittelt. • Die Bestrafung der Freier, die den Prostitutionsmarkt überhaupt erst schaffen, nach dem „Schwedischen Modell“ einzuführen Lasst uns eine Welt schaffen, in der niemand mehr auf die Idee kommt, sich den Zugang zum Körper eines anderen kaufen zu können. Eine Welt, in der Sex weder mit Geld noch mit Gewalt zu tun hat! www.facebook.com/freierbestrafung Mai/Juni 2014 EMMA 49 050_057_Baerte_Hebammen_Ruby_Deck 09.04.14 18:31 Seite 50 D ieser Text beginnt mit einer Feststellung, die meine Kolleginnen überaus peinlich finden, man könnte sogar sagen: mit einer Art ComingOut. Es ist nämlich so: Ich mag Bärte. Ich führe diese Präferenz auf eine frühkindliche Prägung zurück, denn meine Mutter hatte über ihrem Bett(!) ein Poster von Che Guevara hängen. Es handelte sich um das berühmte Bild des Guerillakämpfers, der im Original ja gar nicht sooo gut aussah, in der schwarz-weißen scherenschnittartigen Variante aber überzeugend den jungen schönen Wilden gab. Offensichtlich hat sich mir das Poster als eine Art Prototyp des gutaussehenden Mannes eingebrannt. Verstärkt wurde dies durch die Tatsache, dass ich ohnehin kaum bartlose Männer kannte, denn wir befinden uns im linken studentischen Milieu der 1970er Jahre, in dem mann Marx und Engels, beide Träger ausufernder Bärte, auch optisch nacheiferte und so den spießigen, glattrasierten Vätern sein revolutionäres Potenzial plastisch vor Augen führte. Als Vorbild war aber auch der Typus Partisan angesagt, der zum Beispiel in Spielfilmen über den spanischen Bürgerkrieg auftauchte und mit hohlen, unrasierten Wangen erheblich mehr Sexyness aufwies als die wohlgenährten Schreibtischtäter Karl und Friedrich. 50 EMMA Mai/Juni 2014 BEIM BARTE DES HELDEN Ja, jedenfalls mag ich also Bärte. Theoretisch. In der Praxis ist es so, dass mir Bärte, die nicht auf Postern oder in Filmen über den spanischen Bürgerkrieg auftauchen, sondern im wahren Leben, nicht so nahe kommen, dass sie mich kratzen und pieksen könnten. Was ich mit alledem sagen will, ist: Ich bin, vermutlich als einziges Mitglied der EMMARedaktion, in der Lage, unvoreingenommen und sogar mit einem gewissen Wohlwollen über das Thema Bärte zu schreiben. Dass Bärte zurzeit ein bedeutendes Thema sind, erschließt sich jedem und jeder, der oder die gelegentlich seine oder ihre Nase entweder in hippe Kneipen deutscher Großstädte oder in Zeitschriften steckt, die prominente Männer wie Jake Gyllenhaal oder Ingo Zamperoni abbilden. Hinzu kommen Modeanzeigen mit Herren, die man noch vor einem Jahr der Mitgliedschaft bei den Taliban verdächtigt hätte. Sogar der einst schmierig gegelte Bild-Chefredakteur Kai Diekmann gehört nach seinem Ausflug ins Silicon Valley nun in die Rübezahl-Riege. Kleiner empirischer Test: Von vier Männern auf dem Titel der Gala Men haben drei bewucherte Wangen, nämlich Pep Guardiola (mittel), James Franco (lang) und Ashton Kutcher (Ziege, neudeutsch: Goatee). Im Inneren des Magazins präsentieren sich Schauspieler Erol Sander oder Fußballer David Beckham mit kompletter Gesichtsbehaarung. Sogar zwei von vier Protagonisten eines Artikels, der beweisen soll, dass Männer „im Bad auf Expansionskurs“ sind, sprich: Kosmetika benutzen, tragen Vollbart. Kein Wunder, dass sich auch Chefredakteur Christian Krug fürs Editorial-Foto nicht rasiert hat, und das augenscheinlich seit Wochen. Ein weiteres und definitiv todsicheres Zeichen für die Hipness des Bartes: Auch Schwule, bekanntlich Early Adopters jedweden Trends, tragen welche. Sogar Boy George hat einen. Und das will nun wirklich was heißen. Kein Zweifel: Bärte sind angesagt. Und zwar lange Bärte. Der Drei-Tage-Bart scheint der Bezeichnung „Bart“ nicht mehr würdig. Männer lassen ihre Wangen bewachsen, was das Rasierzeug hält. Bekanntlich wohnt jeder Mode eine Botschaft inne. Die Frage ist also: Was wollen uns die Männer mit ihren Bärten sagen? Bei einigen wenigen Exemplaren springt die Message spontan ins Auge. Denn geht man dem Phänomen an die Haarwurzel, stößt man auf eine sehr einfache Erkennt- 050_057_Baerte_Hebammen_Ruby_Deck 09.04.14 18:31 Seite 51 George Clooney nis: Der Bart ist in diesen emanzipierten Zeiten quasi das einzige, was den (angezogenen) Mann noch von der Frau unterscheidet. Manchen Männern ist dieser Unterschied eklatant wichtig. Zum Beispiel eben den Taliban. Oder Bushido, der inzwischen eine gewisse Sympathie für diese Herren zu hegen scheint, und das nicht nur die gemeinsame Art der Barttracht betreffend. Bushidos Neuköllner Lieblingsmoschee wird wegen salafistischer Umtriebe vom Verfassungsschutz beobachtet, und so ist es ja auch durchaus stimmig, dass der Rapper jene Menschen, denen Allah den Bartwuchs versagt hat, als „Fotzen“ und „Nutten“ tituliert. Aber wir wollen nicht ungerecht sein. Auch unter www.bibellexikon.de findet sich unter dem Stichwort „Bart“ eine klare Ansage: „Ihr sollt nicht den Rand eures Haupthaares rundscheren, und den Rand deines Bartes sollst du nicht zerstören“, wird Moses zitiert. Der biblische Urvater brachte auch andernorts seine Abneigung gegen den Unisex-Style zum Ausdruck: „Es soll nicht Mannszeug auf einem Weibe sein und ein Mann soll nicht das Gewand eines Weibes anziehen, denn wer solches tut, ist ein Gräuel für Jahwe, deinen Gott.“ Es gibt zunehmend Menschen, die solche biblischen Befehle auch 2 000 Jahre später noch wörtlich befolgen. So fordert zum Beispiel im Internet der passionierte Christ Hans-Jürgen Böhm in seiner 34seitigen Abhandlung „Der Bart des Mannes“ die Herren der Schöpfung unmissverständlich auf: „Handle nach dem Wort GOTTES: Lass deinen Bart ohne jegliche Eingriffe wachsen.“ „Den Rand deines Bartes sollst du nicht zerstören“, befahl schon Moses. Kai Diekmann Schließlich war auch Gottes Sohn Bartträger. Das wissen wir nicht nur aus zahllosen Jesus-Filmen, sondern auch aus Jesajas Hohelied: „Seine Wangen sind wie Beete von Würzkraut.“ Worum es dem frommen Verfasser der Abhandlung eigentlich geht, ist klar: „Die Frage, die sich jeder Gläubige stellen sollte, ist, inwieweit er bereit ist, willentlich die Rolle einzunehmen, welche ER für ihn als Mann oder Frau vorgesehen hat.“ Wir wissen nicht, ob Henning Baum christlicher Fundamentalist ist. Aber der „Letzte Bulle“, der schon Vollbart trug, als sein blondes Gesichts-Gewöll in den Talkshows noch für Irritation sorgte, ist jedenfalls großer Anhänger der Geschlechterdifferenz. Der breitschultrige Schauspieler sagt in Interviews Sätze wie: „Der Mann muss raus aus der Höhle und auf die Jagd gehen!“ Oder: „Wäschewaschen ist Frauensache.“ Aber die Sache ist augenscheinlich komplizierter. Denn das Gros der neuen Bartmänner gehört gar nicht zum Typus Bin Laden, Vader Abraham (der mit den Schlümpfen) oder Kanadischer Holzfäller. Nein, es sind die netten jungen Männer mit den Strickmützen und den schwarzen Nerdbrillen, die ihre Gesichtsbehaarung wuchern lassen. Und jetzt wird es richtig spannend. Betrachtet frau nämlich die weiteren Körpersignale, die die Bartträger so aussenden, kommt sie zu dem Schluss, dass es sich um eine klassische Doublebind-Botschaft handelt. So ist zum Beispiel der gemeine Hipster keineswegs ein Mann wie ein (Henning) Baum, also nicht mit Holzfällerschultern ausgestattet, sondern mit bisweilen beängs- tigendem Untergewicht. Dieses betont er auch noch, indem er seine Spinnenbeinchen in superenge, ebenfalls hochmodische Jeans quetscht. Von Muskeln keine Spur. Eine veritable Axt kann der bärtige Nerd keinesfalls schwingen. Hinzu kommt: Die Jungs lassen ihrem Bart erklärtermaßen intensive Pflege angedeihen. Sie ölen, wachsen, striegeln das Gewucher, auf dass es nicht gar zu wild werde. Google spuckt bei den Suchbegriffen „Bart“ und „Pflege“ eine halbe Million Ergebnisse aus und fördert Produkte zutage wie das „Beard Conditioning Oil“, den „Moisture Kick Spray Conditioner“ oder den „Men Expert Hydra Energy Feuchtigkeits-Fluid“. Sorry, aber echte Blockhütten-Bauer haben so was nicht im Badezimmerschränkchen. Wir haben es also mit einer Art Persönlichkeitsspaltung zu tun. Und die kennen wir Frauen nur zu gut. Wir senden nämlich auch zur Genüge Doublebind-Botschaften aus. Wir werden Geschäftsführerin – und lächeln unsere Untergebenen permanent an. Wir werden AutokonzernManagerin – und stöckeln auf Pfennigabsätzen durch die Chefetage. Wir werden Ministerin – und nehmen den Namen unseres Mannes an. Alles halb so wild mit der Emanzipation, soll das heißen. Nun ist ja bekanntlich auch der Mann ob seiner Rolle in der Gesellschaft verwirrt. (Das war er übrigens auch damals in den 1970ern, als der Freundeskreis meiner Mutter nicht nur mit glattrasierten Nazivätern, sondern auch mit frauenbewegten Lebensgefährtinnen konMai/Juni 2014 EMMA 51 050_057_Baerte_Hebammen_Ruby_Deck_korr 11.04.14 13:01 Seite 52 Google spuckt bei den Begriffen „Bart“ und „Pflege“ eine halbe Million Ergebnisse aus. Bushido Brad Pitt frontiert war.) Und da fungiert der Bart als Symbol der Selbstvergewisserung. Denn eins ist klar: Der Bart bedeutet Macht. Das wussten schon die alten Pharaonen, die bei wichtigen repräsentativen Events einen Zeremonialbart trugen, also eine Attrappe, die sie anlegten wie später Könige ihre Krone. Wie reagieren nun die Frauen auf die Zuwendung der Herrn zum kleinen – oder je nach Bartlänge auch großen – Unterschied? Sie bürsten gegen. Dafür jeden- falls scheint es Anzeichen zu geben: Die Frau entdeckt den Bart. „Angeschnauzt“ heißt eine Aktion, zu der jüngst die Schweizer Frauenzeitschrift annabelle aufrief. In einer Zürcher Boutique wurde ein Fotoautomat postiert und diverse Kunstbärte bereitgestellt. Auf der annabelle-Website konnten UserInnen dann für das beste Bartträgerinnen-Foto voten. Frauen der DGB-Jugend protestierten zum Equal Pay Day – mit Bärten! BravoGirl, die ihre jungen Leserinnen stets mit trendigen Gimmicks ausstattet, entschied sich in einer ihrer letzten Ausgaben für ein Paar Ohrringe – mit Bart! Ein schwarzer Schnäuzer war, natürlich in doppelter Ausführung, auf den Metallträger aufgeklebt. Slogan: „Be moustached!“ Dazu muss man wissen, dass im alten Ägypten auch die Pharaoninnen den Zeremonialbart anlegten. Gewisse Parallelen drängen sich hier auf. Warten wir also gelassen auf den ersten Auftritt von Angela Merkel mit Bart. Auch den würde ich ganz bestimmt mögen. CHANtAl louiS Anzeige Neu Neu Neu Neu Neu Neu Neu Neu Neu Neu eMMA als eMAgAziN 6.50 € eMMA im Print- & Digital-Abo nur 1 € plus pro Heft! Plus Buch-geschenk s. S. 7 www.emma.de 050_057_Baerte_Hebammen_Ruby_Deck 09.04.14 18:31 Seite 53 Diesmal geht es in der EMMAKolumne der TV-Moderatorin und Buchautorin um etwas sehr Persönliches. Eine Liebeserklärung an meine Hebamme W „weh tun“) bevor, also dann auch gleich drei verschiedene Hebammen. Wie verlockend! Möglicherweise ist so was einem in dieser Situation schnurz, ich war jedoch sehr dankbar, dass mich eine Bekannte über die freiberuflichen so genannten Beleghebammen aufklärte. Schon während der Schwangerschaft kann frau diese erfahrenen Geburtshelferinnen kennenlernen, ihnen Löcher in den Bauch fragen, Ängste gestehen und mit ihnen alle Möglichkeiten der Entbindung durchsprechen. Geduldig und einfühlsam wird dann das Bäuchlein abgetastet, vermessen und gehorcht, welche Töne das Alien im Bauch so von sich gibt. Das Großartigste aber: Diese Beleghebamme ist zu jeder Tages- und Nachtzeit für einen da, wenn’s wirklich ernst wird. Sie begleitet die werdende Mutter ins Krankenhaus und hilft uns, das letzte große Abenteuer dieser technologisierten Zeit zu meistern: Wenn aus eins plötzlich zwei werden. Außerdem versorgt sie den Säugling nicht nur in seinen ersten Lebensminuten, sondern leistet auch die Nachsorge, besucht Mutter und Kind bis zu zehn Mal zu Hause. Die Beleghebammen kennen die Historie „ihrer“ Babys von der ersten Sekunde und helfen den frischgebackenen Mamis, die neue Situation und all die Auas zu meistern. er dem Ursprung der Wortes „Kreißsaal“ auf den Grund geht, findet heraus, dass die Bezeichnung vom Verb „kreischen“ inspiriert wurde, was logisch erscheint. Denn genau dort, an diesem Ort, muss das Runde durchs enge Eckige. Mutter Natur (die blöde Schlampe) ist mit uns Frauen mal wieder nicht zimperlich umgegangen, als sie sich diese Methode fürs Kinderkriegen ausdachte. Klar, es hatten schon ein paar Milliarden Frauen vor mir geschafft, Kinder in die Welt zu pressen. Was mich hinsichtlich einer natürlichen Geburt jedoch keinen Deut beruhigte. Die verdammte Familienplanung hätte ich doch besser bis kurz vor der Menopause aufschieben sollen – falls überhaupt! Schlaue Überlegungen, leider etwas zu spät: Ich war im sechsten Monat schwanger und panisch beim Gedanken an den unkalkulierbaren Ausnahmezustand des Gebärens. Selbstverständlich hätte ich dem in meiner Branche üblichen Trend zum geplanten Kaiserschnitt folgen können. Nur fand ich den Gedanken, den Bauch aufgeschnitten zu bekommen, noch beängstigender. Es half alles nix, der Touchdown des neuen Erdenbürgers musste geplant werden. Ich machte mich also schlau: Im Krankenhaus sind es vor allem die Hebammen, die die Arbeit tun. Sie sind an unserer Seite, wenn wir winselnd das Kamasutra durchtanzen, während der Herr Doktor nur zur Aufsicht dazukommt, um den Unterbodenschaden zu flicken, oder wenn’s mal nicht so prima flutscht. Die Hebammen, diese großartigen Frauen, sind fest angestellt und arbeiten im Schichtbetrieb: Acht anstrengende aufregende Stunden, dann löst die Kollegin ab. Doch irgendwie war der Gedanke, dass mir eine Wildfremde, sei sie noch so kompetent, im Uterus herum kramte, nicht unbedingt sympathisch. Als so genannte Erstgebärende standen mir im schlimmsten Fall über 20 Stunden Wehen (Ja, kommt von 400 Euro muss man drauflegen, wenn man eine Beleghebamme in Anspruch nimmt – für mich das am besten investierte Geld meines Lebens. Sie war da, als ich an einem heißen Sonntag im Jahr 2010 mein erstes Kind bekam. Als ich jammerte, flehte, mich wand wie ein Wurm und ausgerechnet während des Fußball-WM-Finales zu meinem persönlichen Finale ansetzte. Während Arzt und Kindsvater vorm TV klebten, gingen wir Mädels gemeinsam in die Verlängerung ... Ohne meine Hebamme hätte ich wohl nicht den Mut aufgebracht, ein zweites Kind zu bekommen, geschweige denn auf natürliche Art und Weise. Darum könnte Sonya Kraus mit ihrem Ältesten. ich heulen vor Wut, dass diese Frauen, die trotz eigener Familie oft Nächte durcharbeiten, die enthusiastisch ihren Beruf als Berufung verstehen und die uns Frauen so großartige Dienste leisten, nun vor dem beruflichen Aus stehen, da die nötige Haftpflichtversicherung für tausende freiberufliche Geburtshelferinnen unerschwinglich geworden ist. In Bälde wird es sogar gar keine Versicherung mehr geben, die selbstständige Hebammen abdeckt. Wir Mütter müssen Schwangerschaftsstreifen, Dammriss, Krampfadern, Hämorrhoiden und all die anderen netten Begleiterscheinungen einer Schwangerschaft sowieso hinnehmen. Sollen wir jetzt auch noch auf diese weisen Frauen, die sich so hingebungsvoll um uns kümmern, verzichten? Verdammt noch mal: Würden Männer Kinder kriegen, gäbe es hier keine Diskussionen! Aber wo ist die Lobby der Hebammen? Ich fürchte, wie ich, mit Windeln wechseln, Wäsche waschen plus Job SonyA KrAuS restlos überfordert. Mai/Juni 2014 EMMA 53 Phillip Toledano/„The reluctant father“ (Dewi Lewis Media) 050_057_Baerte_Hebammen_Ruby_Deck 09.04.14 18:31 Seite 54 Hebammen schlagen Alarm! F ür eine Frau, die ab Herbst 2015 schwanger wird, könnte folgendes Schreckensszenario eintreten: Sie bekommt ihr Baby in einem 50 Kilometer von ihrem Wohnort entfernten Krankenhaus, nachdem sie vorher in einer KlinikWG tagelang auf das Einsetzen der Wehen gewartet hat. Kehrt sie dann endlich mit ihrem Baby nach Hause zurück, ist sie auf sich allein gestellt, ohne Hebamme, die sie besucht, ihre vielen neuen Fragen beantwortet und ihr die Unsicherheiten nimmt. Wird es wirklich so weit kommen? Einiges spricht dafür, seit die Nürnberger Versicherung angekündigt hat, ab Juli 2015 aus dem letzten verbliebenen Versicherungskonsortium für Hebammen auszusteigen und keine Policen mehr anzubieten für die rund 3 500 freiberuflichen Hebammen in Deutschland. Sowohl beim Deutschen Hebammenverband (DHV) als auch beim Bund freiberuflicher Hebammen Deutschlands (BfHD) ist zurzeit fraglich, wer die Hebammen danach überhaupt noch versichert. „Das bedeutet 54 EMMA Mai/Juni 2014 quasi ein Berufsverbot für alle freiberuflichen Hebammen, denn ohne Haftpflichtversicherung dürfen wir weder Geburten zu Hause noch im Geburtshaus oder als 1:1-Beleghebamme in der Klinik betreuen und auch keine Schwangeren- und Wochenbettbetreuungen mehr annehmen“, sagt Ruth Pinno, die Vorsitzende des Bundes freiberuflicher Hebammen Deutschlands e.V. (BfHD). Damit spitzt sich die Situation der Hebammen noch einmal zu. Schon seit Jahren machen sie auf die steigenden Beiträge der Haftpflichtversicherer aufmerksam. Lag der Beitrag vor zehn Jahren noch bei 1350 Euro im Jahr, zahlen Hebammen zurzeit 4 240 und ab Juli sogar 5 090 Euro für ihre Haftpflichtversicherung – und das bei einem Nettostundenlohn von durchschnittlich 8,50 Euro. Der Hintergrund: Zwar gibt es insgesamt nicht mehr Schadensfälle, die Zahl liegt konstant bei etwa 50 pro Jahr. Doch die Kosten durch so genannte „Personenschäden“ bei der Geburt steigen, unter anderem, da geburtsgeschädigte Kinder länger leben als früher und die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten besser geworden sind. Als Folge heben die Versicherungen die Beiträge für die Berufshaftpflicht stetig an. Immer mehr freiberufliche Hebammen Wer fängt das steigende Kostenrisiko auf? Werden die Mütter letztendlich den Preis zahlen? begleiten deshalb inzwischen keine Geburten mehr. Geburtshäuser, zum Beispiel in Fulda und Stuttgart, haben angekündigt, wegen des Kostendrucks schließen zu müssen. In den ländlichen Regionen, wo in der Regel freiberufliche Beleghebammen auch die klinische Geburtshilfe 050_057_Baerte_Hebammen_Ruby_Deck 09.04.14 18:31 Seite 55 abdecken, steht jetzt sogar die komplette Geburtshilfe vor dem Aus – so keine Lösung für die Berufshaftpflichtversicherung gefunden wird. Und: Auch die angestellten Hebammen betrifft die Erhöhung der Prämien. Zwar sind sie über die Klinik versichert. Aber die Schadensfälle, die bei der Geburtshilfe auftreten können, haben so gigantische Höhen erreicht, dass die normale Versicherung nicht mehr ausreicht. Die meisten schließen daher zusätzlich eine private Haftpflichtversicherung ab, um nicht mit ihrem Privatvermögen haften zu müssen. ob es einen Ausweg aus diesem Dilemma gibt, hängt jetzt davon ab, ob die Politik rasch handelt. Mitte Februar haben sich die beiden großen Hebammenverbände mit Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) getroffen, um mögliche Lösungen zu diskutieren. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Da die Beiträge in diesem Sommer noch mal steigen, brauchen wir kurzfristig eine ministerielle Ansage, dass der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen diese Erhöhung übernimmt, um die Hebammen zu entlasten und ihnen Mut zu machen, weiterzuarbeiten“, erklärt Martina Klenk, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes. Verhandlungsgespräche Ende März blieben bislang erfolglos, weil das erste Angebot des GKV-Spitzenverbandes nach Angaben des Hebammenverbandes unannehmbar sei. Langfristig fordert Klenk, dass eine Haftungsobergrenze bei drei Millionen Euro (bisher sechs Millionen) festgelegt und ein steuerfinanzierter Fonds eingerichtet wird, der bei Härtefällen die darüber hinaus anfallenden Kosten übernimmt. „Wir hoffen, dass dann wieder mehr Versicherer bereit sind, uns zu übernehmen, dass die Prämien für Hebammen sinken und die Geschädigten trotzdem Hilfe bekommen“, so Klenk. Der Vorschlag liegt zurzeit im Bundesjustizministerium, wo er auf seine Verfassungsmäßigkeit geprüft wird. „Steuerfinanzierte Fonds sind grundsätzlich in Deutschland möglich, es gibt sie schon, zum Beispiel für die Contergan-Opfer und für Landwirte, die das Grundwasser verseucht haben“, erklärt die Hebammenpräsidentin. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat im Bundestag weitere Lösungsmodelle zur Prüfung vorgeschlagen: zum Beispiel eine Regressdeckelung für Schadensfälle und eine Übertragung der Regelungsprinzipien der gesetzlichen Unfallversicherung auf die Berufshaftpflichtversicherung. In einem Antrag an die Bundesregierung vom 18. März fordern die Grünen, die Möglichkeiten zu wir das 2012 rechtlich geregelt haben.“ So hofft Gröhe, Zeit zu gewinnen, um weitergehende, juristisch komplizierte Vorschläge prüfen zu können. „Jede Neueinführung einer anderen Haftungsstruktur würde Zeit benötigen und nicht jetzt helfen.“ Dafür seien schwierige rechtliche Fragen zu klären, zum Beispiel zum Verhältnis von Schadensverursachung und Haftung sowie zur Gleichbehandlung unterschiedlicher Berufsgruppen. „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand. Wir hoffen, dass die Prämien für Hebammen sinken.“ Präsidentin Klenk leidtragende, falls es keine politische prüfen und „zügig eine grundlegende Neuordnung der Regelungen zur Berufshaftpflicht für alle Gesundheitsberufe in Angriff zu nehmen“. Dann würde das Risiko aller Heilberufe auf viele Schultern verteilt und die Beiträge blieben bezahlbar. Geht es aber nicht mehr nur um die Hebammen, sondern auch um andere medizinische Berufsgruppen wie zum Beispiel Gynäkologinnen, könnte eine politische Lösung vorerst in weite Ferne rücken. „Dann wird es zeitlich knapp“, befürchtet Martina Klenk, „und Zeit haben wir nicht. Wir brauchen eine schnelle Entscheidung.“ Sollte der Bundesgesundheitsminister bis Mai keine tragfähige Lösung präsentieren, will der Deutsche Hebammenverband noch mal politisch aktiv werden und auf die Straße gehen. Bundesgesundheitsminister Gröhe (CDU) ist jedoch zuversichtlich, dass es eine Lösung zur Haftpflichtversicherung geben wird. Er erklärte: „Die Unsicherheit, die durch den Ausstieg eines Versicherungsunternehmens entstanden ist, muss aufhören. Wir brauchen mindestens einen, besser mehrere neue Gruppenhaftpflichttarife für Hebammen. Dann gilt die klare Ansage der Krankenkassen, dass sie steigende Haftpflichtprämien durch eine faire Vergütung der Hebammen absichern, so wie Lösung gibt, sind nicht nur die Hebammen, sondern auch die Familien. Mütter finden schon jetzt immer schwerer eine Hebamme, die sie im Wochenbett oder bei der Geburt betreut. Die Oldenburger Sana-Klinik plant, Schwangere nach der Schließung der Geburtsstation in Oldenburg künftig per Hubschrauber nach Eutin auszufliegen. „Das ist ein Horrorszenario: Geburtszentren, zu denen Frauen weit anreisen müssen. Die Frauen brauchen ihr vertrautes Umfeld“, sagt die Berliner Hebamme Jana Friedrich, die auf ihrer Website hebammenblog.de Unterstützungsaktionen wie die Petition „Rettet unsere Hebammen“ auf Change.org (bis Ende März 380 000 UnterstützerInnen) verlinkt. Friedrich: „Es ist wichtig, dass auch Eltern sich stark machen für die Hebammenbetreuung, denn dann kommt der Protest nicht mehr nur von uns.“ DAnIElA StoHn Die Autorin hat mehrfach über Medizinthemen für EMMA geschrieben. Sie ist Mutter von zwei Kindern. emma.de Kaiserschnitt – Ja oder Nein? (3/10), Hebammenprotest (3/10) Mai/Juni 2014 EMMA 55 050_057_Baerte_Hebammen_Ruby_Deck 09.04.14 18:31 Seite 56 Der Ruby Cup – so ein Coup! Eine Deutsche hat das Ding erfunden. Es soll nicht nur Frauen in Afrika glücklich machen. A uf den ersten Blick erinnert das Ding an eine Miniatur-Saugglocke. Wenn man es an der Spitze anfasst, wackelt es lustig hin und her. Die gestrichelten Linien im Inneren des Gummikelchs bedeuten: Das Ding fasst bis zu 34 Milliliter Blut. Menstruationsblut. Womit sich einmal im Monat fast alle Frauen bis zur Menopause beschäftigen. Und worüber trotzdem wenig gesprochen wird. Ein Tabu, nach wie vor. Die Tante kommt! Aber zurück zu dem wippenden Dings, das eine „Menstruationstasse“ ist. So wird sie verwendet: Zu einem C zusammenfalten, dann in die Vagina schieben – die Tasse ploppt auf und ersetzt für 4 – 12 Stunden den Tampon bzw. die Binde. Danach das Blut entsorgen und wieder einsetzen. So erklärt es Maxie Matthiessen (Foto) im Plauderton. Ohne jede falsche Scham. Über Menstruation reden gehört zu ihrem Alltagsgeschäft. Matthiessen ist 29 Jahre alt und lebt in Berlin. Sie schreibt ihre Masterarbeit in „International Business and Politics“, macht Yoga und singt im „Berliner Kneipenchor“. Und sie vertreibt Menstruationstassen. Zu kaufen gibt es ihre Ruby Cups bisher nur im Internet und in Berliner Bio-Läden. Schwester Clara war es, die Maxie Matthiessen vor drei Jahren auf die Tampon-Alternative aufmerksam machte in einem Studentenheim in Kopenhagen. Die Tassen gibt es seit den 1930er Jahren, sie konnten sich nur nie gegen die Binden- und Tamponindustrie durchsetzen. Eine 56 EMMA Mai/Juni 2014 gewisse Leona W. Chalmers meldete 1937 in Amerika das erste Patent an. Heute vermarktet Maxie den Ruby Cup hauptberuflich. Rund 12 000 Tampons nutzt eine Frau in ihrem Leben, das kostet eine Menge Geld, erklärt sie. Es sei denn, sie kauft einen Ruby Cup. Den muss sie nur einmal alle zehn Jahre wechseln. Und einmal im Monat sterilisieren. Der Cup ist aus medizinischem Silikon, das Bakterien abweist. Tampons dagegen enthalten Bleichmittel und Parfüme, sagt Maxie. Sie trocknen die Scheide aus, wenn die Tage nicht so stark sind. Manchmal verursachen sie Pilzinfektionen und im schlimmsten Fall toxische Schocks, das aber nur selten. Und Tampons bzw. Binden produzieren sehr viel Müll, erinnert Matthiessen. Die UNO hat die fehlende Hygiene bei der Periode zu einem der größten Hindernisse für die „Gleichstellung der Geschlechter“ erklärt. Am 28. Mai findet das erste Mal der „Internationale Tag der Menstruationshygiene“ statt. Denn über eine Milliarde Mädchen und Frauen können sich Binden oder Tampons gar nicht leisten. Sie benutzen Blätter, Stofffetzen oder Papier, verlassen tagelang das Haus nicht, gehen also auch nicht in die Schule oder zur Arbeit. Das Infektionsrisiko ist hoch. Das soziale Stigma noch höher. Maxie entschied zusammen mit zwei Kommilitoninnen, Veronica D’Souza und Julie Weigaard Kjaer, die Sache in die Hand zu nehmen. Die drei gründeten eine Firma und entwickelten gemeinsam mit einer dänischen Firma ihre eigene Menstrua- tionstasse. Dann mieteten sie sich eine Wohnung in Nairobi, ließen 10 000 Ruby Cups liefern und knüpften Kontakte zu lokalen Frauengruppen. Der Plan: das Tupperware-Modell. Die Kenianerinnen sollten die Ruby Cups auf Kommission selbst in den Slums verkaufen. Die schwedische Organisation „Innovaton Against Poverty“ förderte die Entwicklung und den Start von Ruby Cup mit 180 000 Euro. Die Deutsche blieb zwei Jahre in Nairobi. In dieser Zeit lernte sie: Die Kenianerinnen sind sehr interessiert an einem Menstruations-Mittel, aber von so was kann eine Jungunternehmerin nicht leben. Als Maxies Wohngemeinschaft in Nairobi dann auch noch von bewaffneten Männern überfallen wurde, stand der Entschluss fest: ab nach Hause und den Ruby Cup in Deutschland starten. Maxis Geschäftsmodell sieht jetzt so aus: Jede Frau, die in Deutschland einen Ruby Cup für 27 Euro kauft, spendet damit gleichzeitig einen Cup an ein Mädchen in Kenia. 4 000 Stück hat Matthiessen schon verkauft. Und 4 000 haben die Ruby CupStreetworkerinnen in Slums für 10 bis 50 Cents weiterverkauft. „Dass Frauen diesen kleinen Betrag zahlen, ist wichtig“, findet Maxie. Damit der Cup etwas wert ist. Den Ruby Cup in deutschen Drogeriemärkten zu platzieren ist dagegen nicht so einfach. Die verlieren dadurch ja ihre Tampon-Kundinnen. Aber Maxie macht das schon. AlExAnDrA Eul Im Netz www.ruby-cup.com 050_057_Baerte_Hebammen_Ruby_Deck 09.04.14 18:31 Seite 57 Dagmar Deckstein, langjährige SZRedakteurin, arbeitet heute als freie Journalistin. Sie schreibt in EMMA regelmäßig an ihre Freundin Renate. Liebe Renate, wie gerne denke ich an unser letztes Treffen bei euch in Heidenheim zurück, wo wir in so fröhlicher wie inspirierender Runde beisammensaßen, um deinen Geburtstag zu feiern. Zwischendrin klingelte es, der Paketbote stand vor der Tür und brachte dir zwei Kartons mit Kleidern und Schuhen, die du bei Internethändlern bestellt hattest. Du hast zwar nicht „vor Glück geschrien“, wie es in einer einschlägigen Werbung heißt, dich aber gefreut wie eine Schneekönigin über die schicken Schnäppchen, die du da an Land gezogen hattest. Ich weiß noch, dass wir, bevor es klingelte, gerade das Thema „Wirtschaft“ diskutierten. Deine Freundinnen und du meinten, das sei für euch eine ziemlich undurchschaubare, komplizierte Angelegenheit, zahlen- und formellastig, nur etwas für ExpertInnen wie mich vielleicht. Ich hätte das ja schließlich auch studiert. Von wegen, habe ich gesagt – weißt du noch? – gerade jetzt, wenn der Postmann einmal klingelt, ist das Wirtschaft pur. Wirtschaft, die du mitgestaltest über deine Kauf- oder sonstigen Geldverwendungs-Entscheidungen. Zurück in Hamburg habe ich noch ein wenig recherchiert, welche ökonomischen und damit auch ökologischen Nebenwirkungen Kaufentscheidungen wie deine Internet-Bestellung auslösen. Expertenschätzungen zufolge wird der Anteil des OnlineShoppings im Jahr 2020 um die 40 Prozent des gesamten Einzelhandels ausmachen. Das heißt, auch du trägst dazu bei, dass in kleinen und mittleren Städten wie Heidenheim schon jetzt jedes vierte Ladengeschäft aufgegeben hat und schließen musste. Dass mit diesem Ladensterben eine schleichende Verödung der Innenstädte einhergeht und Investoren der Immobilienbranche kein Geld mehr in neue Einkaufszentren oder in die Renovierung bestehender Ladenzentren stecken. Das wird auch dein Freund Rolf mit seiner Baufirma zu spüren bekommen, er wird wahrscheinlich über kurz oder lang eine Reihe seiner derzeit 80 Beschäftigten entlassen müssen. Von den pleitegegangenen LadenbesitzerInnen gar nicht erst zu reden. Und von der abends menschenleeren, tristen „City“ auch nicht. Dafür „boomt“ es andererseits in den Versand- und Logistikzentren der Internethändler und Paketdienstleister. Zumindest, was die wachsenden Beschäftigtenzahlen anbetrifft. Aber was nun überhaupt nicht boomt, ist deren Bezahlung. Ganz im Gegenteil! Unerträgliche Bedingungen für Leiharbeiter und vor allem Leiharbeiterinnen beim Onlinehändler Amazon sorgten im vergangenen Jahr für kritische Berichterstattung und herben Imageverlust des US-Konzerns. Aber am Pranger stehen auch Logistik-Konzerne wie DHL oder GLS, die Subunternehmer mit der Paketzustellung beauftragen. Die wiederum lassen ihre Bediensteten in 14-Stunden-Schichten für drei bis fünf Euro die Stunde schuften. Das alles, liebe Renate, ist Wirtschaft pur. Frei Haus. Für das Erkennen dieser Zusammenhänge muss man oder frau gar nicht studieren. Es reicht, aufmerksam die Nachrichten zu verfolgen und sich immer wieder die Frage zu stellen: Welche Folgen hat eigentlich meine Schnäppchen-Jagd auf dem Internet-Bazar? Schon gar, wenn du, was du mir auch schon erzählt hast, mal eben fünf Paar Schuhe zur Ansicht bestellst, um dann vier wieder zurückzuschicken. Die Retourenquoten in Deutschland sind übrigens so weltmeisterlich wie unsere Exportbilanz: Im Schnitt geht jedes zweite Paket bei Bekleidungskäufen im Internet zurück. Das ARD-Wirtschaftsmagazin Plusminus hat mal ausgerechnet, dass Tag für Tag 800 000 Pakete in Deutschland nur zurückgeschickt werden, was einer CO2-Belastung von 400 Tonnen täglich entspricht. Dafür könnten auch 255 Autos von Frankfurt nach Peking fahren. Kurz: Wirtschaft ist eigentlich ganz einfach und geht dich direkt an. Sie beginnt schon hinter deiner Haustür, in dem Moment, in dem du vor deinem Computer sitzt und wieder mal „was Nettes“ erspäht und per Mausklick gekauft hast. Denk an die Folgen dieses Klicks! Oder, wie die Zeitschrift Öko-Test rät: „Bestellen Sie nur das, was Sie wirklich brauchen und was Sie vor Ort nicht bekommen. Vermeiden Sie es, Waren zurückzuschicken.“ Siehst du, liebe Renate, auch du „machst“ Wirtschaft, wenn auch in diesem Fall so gar nicht positiv. Sei dennoch wie immer herzlichst gegrüßt von deiner Mai/Juni 2014 EMMA 57 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:13 Seite 58 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:13 Seite 59 Before they pass away FOTOS VON JIMMY NELSON 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:13 Seite 60 B evor sie verschwunden sein werden … hat Fotograf Jimmy Nelson sie noch einmal dokumentiert. Zwei Jahre lang war er mit seinem Zwei/Frau/Mann-Team auf allen Kontinenten: in stickigen Sümpfen und auf eisigen Gipfeln, im Dschungel und in Steppen, in Äthiopien oder Sibirien. Er hat 31 Kulturen ausgesucht und Antworten gefunden auf Fragen wie: Wer sind sie? Wie leben sie? Warum ist ihr Schicksal uns gleichgültig? So manches Mal hat er dabei sein Leben riskiert. (Vorderseite: Die Hamars in Äthiopien. Sie leben auf dem Hochland östlich des Flusses Omo, sind Bauern und tauschen mit anderen Stämmen Perlen, Rinder, Stoffe und Lebensmittel, neuerdings auch Waffen und Bier. Sie glauben an mehrere Götter, zwischen Animismus und Monotheismus. Die Mädchen werden genitalverstümmelt, Polygamie ist erlaubt. Die Frauen bemalen ihr Gesicht mit Kalkfarbe. Sie leben in Schilfhütten; die Frauen schlafen rechts, die Männer links. 60 EMMA Mai/Juni 2014 Photo © Jimmy Nelson Pictures BV, www.beforethey.com, www.facebook.com/Jimmy.Nelson die Himbas in Namibia/Südwest-Afrika) 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:13 Seite 61 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:13 Seite 62 Photo © Jimmy Nelson Pictures BV, www.beforethey.com, www.facebook.com/Jimmy.Nelson 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:13 Seite 63 Die Tschuktschen in Russland. Sie leben in der Tundra im äußersten Westzipfel Russlands, nördlich von Japan. Ein Teil sind Nomaden mit Rentieren, ein anderer Teil Fischer auf der Jagd nach Meeressäugetieren. Die Temperaturen liegen zwischen 10 Grad plus (im Sommer) und 54 Grad minus. Die Tracht der Frauen heißt Kerker, ein knielanger Overall aus Rentier- oder Seehundleder mit Fuchs- und Wolfsfell. Ihre kegelförmigen Zelte heißen Jaranga, doch immer mehr Tschuktschen ziehen in Häuser. Sie essen gefrorenen Fisch, Blätter, Wurzeln und ihre Spezialität Rilkeil, ein halbverdautes Moos aus Rentiermägen. Gastfreundschaft ist ihr höchstes Gut, keiner wird abgewiesen. Sie sind Schamanen, die Natur ist für sie von Geistern beseelt. Mai/Juni 2014 EMMA 63 Die Maoris in Neuseeland. Sie kamen im 13. Jahrhundert in Kanus von den ostpolynesischen Inseln nach Neuseeland und lebten lange isoliert. Dadurch entwickelten sie eine eigene Sprache und Kunst und eine einzigartige Mythologie. Sie verehren „Vater Himmel“ und „Mutter Erde“. Tätowierungen waren üblich und ihre Gesänge heilig, wer sie unterbrach, beschwor Unheil herauf. Im 18. Jahrhundert kamen die europäischen Kolonialherren und unterwarfen sie brutal. Heute leben 650 000 Maori auf Neuseeland, noch immer überwiegend in der Whanau, Großfamilie oder Sippe. Das typische MaoriEssen heißt Kai und besteht aus Vögeln, Fisch, Wurzeln und Kräutern. Sie sind zwischen Ausgestoßenheit und Integration und zunehmend auf der Suche nach ihren Wurzeln. Eine der berühmtesten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts ist Halb-Maori: Janet Frame („Der Engel an meiner Tafel“). 64 EMMA Mai/Juni 2014 Photo © Jimmy Nelson Pictures BV, www.beforethey.com, www.facebook.com/Jimmy.Nelson 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:13 Seite 64 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:13 Seite 65 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:13 Seite 66 Photo © Jimmy Nelson Pictures BV, www.beforethey.com, www.facebook.com/Jimmy.Nelson 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:14 Seite 67 Die Vanuatuer im Südpazifik. Die 83 Inseln östlich von Australien errangen 1980 ihre Unabhängigkeit von den französischen und englischen Kolonialherren. Es wird vermutet, dass die Inseln 1300 vor Christus von Seefahrern aus Papua-Neuguinea erstbesiedelt wurden. Heute leben dort 250 000 Menschen. Die Vanuatuer tanzen gerne, ihre prächtigen Tamtams werden aus Baumstümpfen geschnitzt. Der traditionelle Rom-Tanz wird nur unter Männern aufgeführt. Die Männer tragen den Namba, den Penisköcher aus Rinde oder Blättern. Die Männer haben das Sagen, aber auf drei ihrer Inseln herrscht das Matriarchat, zählt die Abstammung von der weiblichen Linie. Sie leben von der Viehhaltung und Landwirtschaft und machen Brandrodung, wenn die Felder ausgelaugt sind. Mai/Juni 2014 EMMA 67 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:14 Seite 68 Photo © Jimmy Nelson Pictures BV, www.beforethey.com, www.facebook.com/Jimmy.Nelson Die Mursi in Äthiopien. Die extremen Dürren der letzten Jahre und die Nationalparks machen den 4 000 Nomaden, die von der Viehzucht leben, zu schaffen. Auch der Tourismus schadet ihnen, er hat das Geld und den Alkohol in die Region gebracht. Die Touristensensationen sind die MursiFrauen mit ihren Lippentellern. Ab 15 wird ihnen ein Schlitz in die Unterlippe geschnitten, in den zur Dehnung immer größere Teller geschoben werden. Je größer der Teller, umso mehr Rinder ist die Braut wert. Es herrscht Polygamie. Die Frauen errichten die Hütten aus Ästen, Schilf und Stroh. Die Mursi leben vom Rindfleisch, Mais und Honig. Sie sind Animisten und glauben, dass alle Dinge, auch Steine, von Geistern beseelt sind. 68 EMMA Mai/Juni 2014 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:14 Seite 69 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:14 Seite 70 Photo © Jimmy Nelson Pictures BV, www.beforethey.com, www.facebook.com/Jimmy.Nelson 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:14 Seite 71 Die Huaorani in Ecuador. Seit 10 000 Jahren leben sie in den Regenwäldern des Amazonasbeckens, und erst seit 1956 haben sie Kontakt mit dem Rest der Welt. Heute sind sie etwa 2 000 Menschen auf 6 800 qm, ein Drittel ihres Territoriums. Dem Mythos nach stammen sie von einem Jaguar ab, der sich mit einem Adler gepaart hat. Die Männer gehen mit Bogen, Speer und Blasrohr auf die Jagd und sind gefürchtete Krieger. Auch die Frauen bemalen sich zur Abschreckung der bösen Geister oder auch zum Schmuck. Die Huaoranis verstehen viel von Arzneien, Giften und halluzinogenen Drogen. Sie leben als Großfamilien in Langhäusern und gehen sich gegenseitig zur Hand. Und sie glauben, dass sie nach dem Tod auf einem Pfad ins Jenseits gehen – das jedoch von der großen Anakonda-Schlange bewacht wird. Wer die nicht überwindet, kommt als Tier, oft Termite, auf die Erde zurück. Mai/Juni 2014 EMMA 71 Die Huli Wigmen auf Papua Neuguinea. Die „Perückenmenschen“ fertigen ihre Kopfbedeckungen aus Eigenhaar. Die Eingeborenen dieser Insel nordöstlich von Australien leben dort seit ca. 45 000 Jahren. Unwirksame Gebiete und Stammeskriege haben zu isolierten Stämmen und unterschiedlichen Sprachen geführt. Die Frauen tragen Baströcke und die Männer ein Penis-Futteral. Auf Jagd und Kriegsfuß malen sie sich furchterregend an. Sie kämpfen um: Land, Schweine und Frauen – in der Reihenfolge. Und sie sind Rächer, vergeben wird nie. Die Huli sind Animisten, sie opfern den Geistern ihrer Ahnen. Krankheit und Unglück gelten als Folge von Hexerei. Fotograf Jimmy Nelson berichtet, dass der Besuch bei den Huli echt lebensgefährlich war. 72 EMMA Mai/Juni 2014 Photo © Jimmy Nelson Pictures BV, www.beforethey.com, www.facebook.com/Jimmy.Nelson 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:14 Seite 72 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:14 Seite 73 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:14 Seite 74 Photo © Jimmy Nelson Pictures BV, www.beforethey.com, www.facebook.com/Jimmy.Nelson 058_075_Jimmy_Nelson 09.04.14 17:14 Seite 75 Fotograf Jimmy Nelson aus Amsterdam. „Mein Vater war Manager eines Ölkonzerns, und ich habe mit sieben Jahren schon mehr Länder gesehen als die meisten Menschen in ihrem Leben.“ Mit 18 begab Jimmy sich auf eigene Faust auf Weltreise – und 26 Jahre später zog er mit einem kleinen Team, einem Mann und einer Frau, los, um sich auf die Spuren der „bemalten Seelen“ zu begeben. Dazwischen lagen Jahrzehnte als Weltenbummler, Kriegsreporter und Werbefotograf. 1998 zog Nelson nach Amsterdam, heiratete und bekam drei Kinder. Frau und Kinder freuen sich, wenn Papa zwischen den Weltreisen mal Pause in Amsterdam macht. Für das beeindruckende Projekt „Before they pass away“ waren Nelson und sein Team zwei Jahre lang unterwegs. Es konnte nur Dank eines Mäzens realisiert werden. Das Buch hat über 400 Seiten, ist phantastisch gedruckt und sein Geld mehr als wert (Verlag te Neues, 128 €, auch als Collectors Edition XXL erhältlich, www.teneues.com) – Bis zum 21. Juni sind die Fotos in Berlin zu sehen: bei Camera Work und in der CWC Gallery. Links die Samburus in Kenia. Unten: Fotograf Jimmy Nelson in Papua-Neuguinea mit den Hulis – die bei Gelegenheit auch schon mal Fremde umbringen. Mai/Juni 2014 EMMA 75 Amr Abdallah Dalsh/ Reuters 076_079_Djihad 09.04.14 18:33 Seite 76 Junge Deutsche ziehen in den Heiligen Krieg Die Nachricht, die im März durch die Medien ging, schockierte: Unter den rund 300 Deutschen, die in den vergangenen Monaten nach Syrien in den „Heiligen Krieg“ zogen, sind auch 20 bis 25 junge Frauen. Sie wollen an der Waffe dienen oder als Bräute der Krieger. Die Jüngste unter ihnen ist 15 Jahre alt und flog ohne Wissen ihrer Eltern an die syrische Grenze. Die Männer locken Heldentum und 72 Jungfrauen im Paradies bei Märtyrertod. Aber was lockt die Frauen? 76 EMMA Mai/Juni 2014 W er dachte, die Absurditäten islamistischer und jihadistischer Ideologie seien nicht mehr zu übertreffen, sieht sich getäuscht. Dass der traurige Bürgerkrieg in Syrien fanatische Muslime aus aller Welt in seinen Bann zieht, ist bekannt. Tausende Männer aus über 60 Ländern in aller Welt zogen in den „Befreiungskampf“; etwa 300 sind es aus Deutschland, darunter auch etliche Konvertiten. Ihre Motive sind bekannt: Fanatismus, Selbstgerechtigkeit und Lust auf Gewalt. Im Diesseits wollen sie eine strikt islamische Ordnung errichten, in der die Scharia Gesetz ist und jedes „unislamische Verhalten“ streng geahndet bzw. ausgemerzt wird. Im Jenseits hoffen sie auf paradiesische Freuden, allem voran die 72 Jungfrauen, die die Ideologen des Jihad jedem in Aussicht stellen, der im Kampf für den Islam fällt. Relativ neu sind die jungen Frauen, die ebenfalls in den „heiligen Krieg“ ziehen. 20 bis 25 junge Mädchen und Frauen haben Deutschland in den letzten Monaten mit dem Ziel verlassen und sind meist über die Türkei nach Syrien gelangt. Aufsehen erregte der Fall von Sarah aus Konstanz, die im Herbst 2013 im Alter von 15 Jahren ohne Wissen ihrer Eltern und mit einer gefälschten Vollmacht nach Gaziantep in der Osttürkei flog. Der Ort ist 50 Kilometer von der syrischen Grenze 076_079_Djihad 09.04.14 18:33 Seite 77 entfernt. Die war schnell erreicht und überwunden. Heute bekennt sich Sarah zu der radikal-islamischen und Al-Qaidanahen Miliz ISIS (Islamischer Staat im1 Irak und Syrien). Seit Anfang Januar ist sie mit dem türkischstämmigen JihadKämpfer Ismail S. verheiratet. Geboren in Brühl und aufgewachsen in Köln war Ismail S. den Sicherheitsbehörden bereits seit Jahren bekannt. Im Frühjahr 2013 reiste er gemeinsam mit seinem Bruder und mit Unterstützung der Mutter über Ägypten nach Syrien. Auch für seine junge Jihad-Braut Sarah, die als Tochter eines strenggläubigen Algeriers und einer zum Islam konvertierten deutschen Mutter aufwuchs, spielte die Religion schon immer eine zentrale Rolle im Leben. Auffällig wurde Sarah erstmals nach einem längeren Aufenthalt in Algerien und dem Besuch einer islamischen Schule vor Ort. Zurück in Deutschland zog sie sich immer mehr von den Gleichaltrigen zurück, vertiefte sich in den Koran und verbrachte ihre Zeit im Netz, wo sie mit anderen radikalisierten jungen Muslimen kommunizierte. Vergleichbare Fälle sind aus Belgien bekannt. Hier ist die 16-jährige marokkanischstämmige Nora aus dem Großraum Brüssel die bisher jüngste Jihad-Braut, die offenbar über das Internet radikalisiert wurde. Die Rolle der Frauen im Jihad ist in einschlägigen Internet-Foren und Facebook-Gruppen längst Thema, und auch, dass auf dem Weg Ehen geschlossen werden, ist nicht neu. Im traditionell islamischen Milieu ist es schließlich nicht ungewöhnlich, den Ehepartner vor der Heirat kaum oder gar nicht zu kennen. Da scheint es auch zweitrangig, ob die Auswahl durch die Familie erfolgt oder eben über eine Internetseite, deren NutzerInnen eine religiös-ideologische Familie sind. In diesen Internet-Foren werden Männer, die den bewaffneten Kampf meiden, als „Memmen“ und „Verräter am Islam“ gebrandmarkt, denen ewige Höllenstrafen drohen. Die Kämpfer aber werden als die einzig wahren Männer verherrlicht, denen beizuwohnen für jede muslimische Frau eine Ehre ist. Weder Sarahs noch Noras Vater gaben das auch islamrechtlich notwendige Ein- verständnis zur Eheschließung der Tochter. Doch der Zweck heiligt die Mittel, die betroffenen Eltern scheinen machtlos, das Schicksal von Sarah und Nora ist ungewiss. Die 20-jährige Aischa aus Tunesien hatte mehr Glück. Kurz vor ihrer geplanten Ausreise nach Syrien wurde ihr mulmig und sie vertraute sich ihrer Mutter an, die die Tochter in letzter Minute von ihrem wahnwitzigen Vorhaben abbringen konnte. Aischa berichtete, was passiert war: An der Universität Monastir tauchte eines Tages eine Frau mittleren Alters auf, die sich als Predigerin ausgab und die Neugier der Studentinnen auf sich zog. Sie beeinflusste die jungen Frauen, den Ganzkörperschleier zu tragen und ihr weltliches Studium gegen Korankurse einzutauschen. Manch eine ging ihr auf den Leim und glaubte, dass ihr als gläubiger Muslimin nur zwei Wege blieben: ein Selbstmordattentat oder eine Ehe mit einem Kämpfer. Manche ehemalige Mitstudentin von Aischa wird unter den mehreren hundert tunesischen Frauen gewesen sein, die bereits nach Syrien reisten. Um die Sache zu vereinfachen und vor allem der nach wie vor ungünstigen Zahlenrelation zwischen Männern und Frauen im Kriegsgebiet Herr zu werden, erließ der radikale saudische Prediger und JihadIdeologe Mohammed al-Arifi eine Fatwa, die die so genannte „Ehe auf Zeit“ erlaubt. Gelobt wird das ‚Opfer‘ junger Frauen, die sich für einen von vornherein festgelegten Zeitraum einem Kämpfer „zur Verfügung stellen“. Delikat an der Sache ist, dass die Zeitehe eigentlich nur im schiitischen Islam bekannt ist, gerade von den salafistisch ausgerichteten Sunniten aber, die die Ideologie des Jihad in Syrien bereitstellen und als Erzfeinde der Schiiten gelten können, traditionell als Form der Prostitution angesehen wird. Aber al-Arifi scheint die Zeitehe besser zu finden als die Vorstellung, sich mit sexuell frustrierten Jihadisten herumschlagen zu müssen. Inzwischen sind wahre ‚Jihad-Bordelle‘ entstanden, in denen junge Frauen aus zahlreichen Ländern kurzzeitig „verheiratet“ werden. Dabei liegt die Mindestdauer Die „Ehe auf Zeit“ kann für Stunden geschlossen werden – manchmal über hundertmal. einer Jihad-Ehe bei einem Tag, manche lassen sie sogar für eine Stunde gelten. Mit dem Ablauf der vereinbarten Zeit ist die Ehe automatisch beendet, kann aber erneut geschlossen werden. Der Verzicht auf Nachkommen ist erlaubt, die Frau darf direkt nach dem Ende der Ehe eine neue Zeitehe schließen. Immerhin: Sie enthält eine „Entschädigung“. Prostitution auf islamistisch. Einige der Frauen sollen unter bis zu hundert Jihadisten „herumgereicht“ worden sein. Wenn es ganz schlimm kommt, so al-Arifi, darf die sexuelle Begegnung sogar ohne Zeitehe zustande kommen. Der Frau, die sich so am Kampf für den Islam beteilige und im strikten Geltungsbereich der Scharia mit dem Tode rechnen müsse, drohe keine Strafe, sondern es erwarte sie große Ehre und Anerkennung in der Gesellschaft. Auf die allerdings hoffen derzeit viele Tunesierinnen, die schwanger und unverheiratet in ihre Heimat zurückgekehrt sind, vergeblich. In diesen Ländern ist eine uneheliche Geburt nach wie vor eine Katastrophe. Die tunesische Regierung hat die Ausreisemöglichkeiten in den Nahen Osten inzwischen streng gemaßregelt und bemüht sich um präventive Aufklärung in Schulen und Universitäten – und um soziale Programme für die unehelichen Mütter. In ihrer Gesellschaft sind diese Frauen nichts mehr wert, und mit der Hilfe von al-Arifi und seinen Mitstreitern ist wohl nicht zu rechnen. Auch nicht für Sarah. RITA BREUER ist Islamwissenschaftlerin und veröffentlichte u.a. „Im Namen Allahs?“ und „Familienleben im Islam“ (Herder). Mai/Juni 2014 EMMA 77 076_079_Djihad 09.04.14 18:33 Seite 78 Es schlägt die Stunde der Schwestern Die Muslimbrüder sind die Keimzelle des fundamentalistischen Islam. Sie traten von Ägypten aus ihren Siegeszug in die Welt an – in Ägypten jedoch waren sie 80 Jahre lang verboten. Dann griffen sie nach dem Umsturz nach der Macht – und wurden selber wieder gestürzt. Heute sind die Muslimbrüder in Ägypten wieder verboten und im Untergrund. Es schlägt die Stunde der Frauen. D as Kopftuch ist das schönste Geschenk des Islam an die Frauen“, verkündet die promovierte Mathematikerin Ghada Haschad mit überschwänglichem Enthusiasmus. „Die Scharia, das aus Koran und der Überlieferung der Sprüche des Propheten abgeleitete islamische Gesetz, ist einfach die ideale Ordnung für uns Menschen.“ Dazu zähle auch, dass ein Mann vier Frauen haben kann. „Ach, die Natur will das so“, kommentiert sie gelassen. Ghada Haschad ist Anfang vierzig, mehrfache Mutter, Schulinspektorin in Kairo und war eine von vier weiblichen Parlamentsabgeordneten des politischen Flügels der ägyptischen Muslimbruderschaft. Zum Zeitpunkt des Interviews mit ihr, im Februar 2013, war noch keine Rede von Putsch und Unterdrückung. Flankiert von ihren Mitarbeiterinnen – darunter die Ärztin Abeer al-Menschay, Toxikologin am Gerichtsmedizinischen Institut in Kairo, orchestrierte Frau Doktor Haschad im Partei-Hauptquartier im Zentrum Kairos die Kampagne für die nächsten Wahlen. 78 EMMA Mai/Juni 2014 Die Frauen der Brüder sind an Durchhalteparolen und Sicherheitsengpässe gewöhnt. Seit ihrer Teenagerzeit sind Haschad und die Mitfünfzigerin Abeer alMenschay als „Schwestern“ Teil der ägyptischen Muslimbruderschaft. Die „Muslimische Schwesternschaft“ gilt als tragende Säule der Organisation, weil sie für die Publikumswirksamkeit des grau melierten Männerkaders sorgt. Al-Menschay: „Wir Schwestern erfüllen die eigentliche Botschaft Hassan al-Bannas. Er strebte eine menschlichere Gesellschaft an. Dafür kämpfen wir auf unsere Art: in den Slums mit Ausspeisungen, in den mobilen Kliniken, in den Waisenhäusern. Wenn wir Frauen zu den Menschen, denen wir geholfen haben, gehen und sie bitten, unsere Partei zu wählen, ist es doch logisch: Natürlich haben wir dann ihre Stimme. – Und natürlich“, ergänzt sie, „sehen sie an unserem Beispiel, dass der Islam die Lösung ist. Für alle Probleme dieser Welt.“ Zirka die Hälfte der Mitglieder der Bruder- schaft Ägyptens sind Frauen. Führungsrollen waren für sie lange tabu. Im Konzept des politischen Islamismus, der sich mehr oder weniger buchstabengetreu am Modell der vom Propheten Mohammed entworfenen politischen Ordnung orientiert, sind Frauen in Spitzenfunktionen nicht vorgesehen. Im politischen Windschatten der Brüder kümmerten und kümmern sie sich dafür emsig ums Kerngeschäft der Islamisten: Wohltätigkeit. Doch im 21. Jahrhundert gehen sie weiter. Immer mehr Schwestern gelingt es, als politischer Faktor wahrgenommen zu werden. Der „Arabische Frühling“ sorgte für frischen Wind in der Schwes- ternschaft. Sie schlossen sich Seite an Seite mit Männern den Demonstrationen an und entdeckten ein neues Selbstvertrauen. „Ursprünglich war der Hintergedanke der Schwesternschaft, dafür zu sorgen, dass wir Ehefrauen und Mütter erziehen, die in ihren Familien die wahren Werte des Islam achten. Das hat sich nun aber geändert“, so Wahfa Mashoun, eine der führenden Figuren der ägyptischen Schwesternschaft. Die Rolle der Frau, ihre Benachteiligung, ihre Degradierung zum Menschen zweiter Klasse in den Ideologien fanatischer ultraorthodoxer Islamisten zählt zu Recht zu den zentralen Vorwürfen, denen sich Islamistengruppen stellen müssen: rigide Kleidungsvorschriften, extreme Benachteiligung beim Erbrecht, das Recht von Männern ihre Frauen auch körperlich zu misshandeln, Körperstrafen bis zur Steinigung, wenn eine Frau außerhalb der Ehe Geschlechtsverkehr hat etc. Die angeblich von den Lehren des Islam sanktionierten Misshandlungen passieren am meisten im Kontext salafistischer Gruppen, wie den Wahabiten, zu denen die saudischen Königsfamilien zählen. In diesem Land dürfen Frauen nicht einmal Auto fahren. Das Frauenbild als Marketinggag: So könnte man etwas überspitzt formuliert den jüngsten Schachzug der palästinensischen Hamas-Bewegung werten. Im November 2013 wurden der attraktiven 23-jährigen Isra al-Mudullal Fotostorys in diversen internationalen Medien gewidmet, nachdem die TV-Moderatorin, die in England aufwuchs, als internationale Pressesprecherin der Gruppe vorgestellt worden war. Ihr waren beim Vorstellungstermin nur wenige aussagekräftige State- 076_079_Djihad 09.04.14 18:33 Seite 79 ments zum Thema Islam zu entlocken. Deutlicher hingegen äußerte sich der Hamas-Kommunikationschef Ihab alGhossein: „Hintergrund unserer Entscheidung für sie ist ein neues PR-Programm, auf dessen Basis wir eine veränderte Darstellung unserer Bewegung in Europa und den USA erreichen möchten. Wir suchten eine Frau, die fließend Englisch spricht und so ein neues, offenes Bild ausstrahlt.“ Doch wann immer es der Bruderschaft gelang, sich mit politischen Flügeln an demokratischen Wahlen zu beteiligen oder auch Regierungsämter in Koalitionen zu übernehmen, bot dies den Schwestern eine echte Chance auf realen Machtgewinn. Der Rückkoppelungseffekt auf die Bewegung – hin zu einer internen Stärkung von Frauen – ist gerade in diesem Bereich enorm. So verfügt auch die Hamas nicht bloß über weibliche Abgeordnete, sondern auch über eine Ministerin: Jamila al-Schanti leitet das Frauenressort. Immerhin. Krisenzeiten der Bewegung wie heute zählen vor allem in Ägyptens Vergangenheit zu jenen Momenten, in denen die Schwesternschaft in eine zentrale Rolle rückt. Um den Zusammenhalt der Gruppe auch in Phasen der Repression zu gewähren, wird tunlichst darauf geachtet, dass ihre Mitglieder auch untereinander verwandt sind. Arrangierte Hochzeiten zwischen Bruder- und Schwesternschaft zählen zu den weiteren Jobs der Schwesternschaft. Durch diese Bindung – neben dem System der „usras“ – innerhalb der Organisation soll garantiert werden, dass hinter jeder männlichen Führungsfigur eine in der Bewegung geschulte und der Gruppe treu ergebene Frau steht. Die erste ägyptische Muslimschwester Zeinab al Ghazali hingegen, die bis heute als Ikone gilt, gelangte nicht durch Heirat, sondern durch ihr eigenes Engagement in die Rolle der Gründungsmutter. Sie hatte bereits die erfolgreiche „Vereinigung Muslimischer Frauen“ gegründet, als Hassan al-Banna im Jahre 1928 die Muslimbruderschaft formierte. Es lag später vor allem an ihrem Kampfgeist und ihrem Engagement, dass sich die Bewegung nach al-Bannas Ermordung 1948 im Untergrund neu gruppieren konnte und so langfristig zur mächtigsten islamistischen Bewegung der Geschichte wurde. Sie wurde 1960 verhaftet und zum Tod verurteilt; später änderte man das Urteil auf lebenslange Haft. Die Lektüre der Tagebücher al-Ghazalis während ihrer Gefangenschaft zählen zur Grundausbildung jeder Schwester. Bei der Organisation der eigentlich verbotenen Straßenproteste rückten die Brüder die Schwestern mit gezieltem Kalkül in die erste Reihe. Ein Jugendführer der Bruderschaft aus der ägyptischen Stadt Assiut gab dies gegenüber einer internationalen Presseagentur unumwunden zu. „Wir Männer müssen quasi überwintern. Aber wir sind sicher, dass die Mehrheit der Ägypter, die hinter as-Sisis Putsch gestanden ist, sich auf unsere Seite schlagen wird, wenn sich die wirtschaftliche Lage weiter verschlechtert. Und da bin ich mir sicher: Das wird sie.“ In der Zwischenzeit würde man Proteste mit der „Schmetterlingstaktik“ weiter am Leben erhalten. Damit meint er plötzliche, spontane Proteste, die sich rasch formieren und wieder auflösen. „Frauen und Studentinnen aus unseren Reihen spielen da eine wichtige Rolle. Sie stehen auf keinen Fahndungslisten, niemand kennt sie und was sehr wichtig ist: Wenn wir die Gesichter von Frauen in die vorderste Reihe rücken, wird dies unser Image mit der ägyptischen Öffentlichkeit versöhnen.“ Wie die Brüder, bilden auch die Schwestern „Familien“ – usras –, in denen sie ihre jahrelangen Schulungen erhalten. Das Aufnahmeprozedere und die wöchentliche Routine sind deckungsgleich mit jenen der Männer. „Diese Treffen geben mir alles, was ich brauche: Klarheit beim Denken, das Wissen, was ich lesen soll. Wir besprechen dort jeden Aspekt unseres Lebens: Probleme in unseren Ehen, bei der Kindererziehung. Da gibt es keine Geheimnisse“, erzählt die 24-jährige Menna Tallah, eine frisch verheiratete Pharmazeutin. „Meine Familie besteht aus sechs jungen Frauen wie ich und einer etwas älteren Führerin. Sie sucht aus, wo wir uns wohltätig engagieren, wie wir die Treffen gestalten. Zuletzt waren die Mädchen bei mir in meiner Wohnung. Nach dem Gebet haben wir getanzt und gesungen, um die Verlobung einer Freundin zu feiern.“ Als 18-Jährige habe sie mal versucht auszusteigen. „Ratlos, entscheidungsunfähig und heimatlos“, fühlte Menna Tallah sich danach: „Ich war wie ein Blatt im Wind. Ohne Anker: Ohne meine Identität als Schwester, was bleibt von mir übrig?“ Den Ausstieg geschafft hat die Autorin Intissar Abdel-Moneim, die über ihre Erfahrungen ein Buch schrieb: „Die Erinnerungen einer Schwester. Meine Geschichte mit der Muslimbruderschaft“. Darin schildert sie, wie die quasi-familiäre Struktur, die jedes Mitglied kontrolliert, die Ehen innerhalb der Bewegung die Muslimbruderschaft zu einem von außen kaum durchdringbaren Machtblock festigen: „Frauen haben eine immense Bedeutung, aber keine politische Mitsprache. Die Brüder wissen aber sehr genau“, so Abdel-Moneim: „Ohne die Unterstützung der Schwesternschaft sind sie auf verlorenem Posten.“ Ohnehin würden die Schwestern selten dem Klischee des untergebenen Heimchens am Herd entsprechen, sagt Ou-mayma Abu Bakr, eine ägyptische Wissenschaftlerin, die Geschlechterrollen erforscht. „Die meisten sind sehr aktive Frauen, engagiert in ihrer Karriere, sehr selbstbewusst.“ Azza al-Garf kommentierte 2012 ihre Kür zur Parlamentarierin: „Meine Wahl ist ein Schlag ins Gesicht jener, die bislang Frauen unterdrückten.“ Ihr erster Antrag befasste sich allerdings mit der Aufhebung des Verbots der Beschneidung von Mädchen. „Es muss Privatsache sein, ob junge Frauen dieser Verschönerung unterzogen werden“, erklärte sie. Und sie setzte sich auch dafür ein, das Mindestalter bei Eheschließungen auf zehn Jahre zu senken. „Solche Frauen in Machtpositionen zu haben, ist gefährlicher, als gäbe es überhaupt keine Frauen in entscheidenden Funktionen“, sagt Hoda Badran, Vorsitzende der „Union Ägyptischer Feministinnen“. PETRA RAMSAUER Weiterlesen Der Text ist ein Auszug aus dem gerade erschienenen Buch von Petra Ramsauer: „Muslimbrüder“ (19.99 €, Molden Verlag). Mai/Juni 2014 EMMA 79 080_103_Dossier_Beruf_korr 11.04.14 11:17 Seite 80 DOSSIER ARBEIT Wir reden hier von Arbeit. Frauenarbeit. Gratis in der Familie und (unter)bezahlt im Beruf. In keinem europäischen Land ist der Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen so groß wie in Deutschland, genauer: wie in Westdeutschland. In Ostdeutschland sieht das nämlich anders aus. In der DDR waren Frauen immer schon berufstätig, in der BRD galten berufstätige Mütter bis vor nicht so langer Zeit als Rabenmütter. Und das dauert an. Es ist kein Zufall, dass die westdeutsche Familienministerin Kristina Schröder mit dem Argument an den Herd zurück kehrte, ihr Kind brauche sie – und die ostdeutsche Familienministerin Manuela Schwesig kaum je thematisiert hat, dass sie auch Mutter ist. Das hat wenig mit hie konservativ und da sozialdemokratisch zu tun und mehr mit hie West und da Ost. Über 50 Prozent aller Berufstätigen in Ostdeutschland sind Frauen (West 43 Prozent). Die Durchschnittsrente für Frauen Ost beträgt 727 Euro (West 520 Euro). Und die gesamtdeutsche Falle heißt: Teilzeit! Die führt stracks in die Altersarmut. Drei von vier Teilzeitstellen sind in Deutschland von Frauen besetzt, aber nur eine von drei Vollzeitstellen. Das wollen immer mehr Frauen nicht länger hinnehmen. Nicht nur Arbeitnehmerinnen, sondern auch Arbeitgeberinnen wie Nicola Leibinger-Kammüller (Foto re) nicht. Was alles passieren muss – und was schon passiert ist! Das EMMA-Dossier über Arbeit. Marijan Murat/dpa/lsw 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 81 Die Maschinenbauerin und vierfache Mutter Nicola Leibinger-Kammüller in ihrer Fabrik im schwäbischen Ditzingen. Frau muss nur wollen! Sie ist eine von immer mehr Unternehmerinnen, die im eigenen Betrieb und im Leben ernst machen mit mütter- und vätergerechten Arbeitsbedingungen. A ls Nicola Leibinger-Kammüller mit ihrem vier Wochen alten Sohn Justus im japanischen Büro der Trumpf GmbH erschien, staunten alle Mitarbeiter. Es waren die späten 1980er-Jahre. So ein kleines Wesen im Babykorb bei der Arbeit war für die Japaner kaum vorstellbar. Fast so wenig wie die Mama als Managerin. NLK, wie man sie nennt, machte das alles nichts aus. Bereit, an die Arbeit zu gehen, stellte sie den Korb in der Nähe ihres Schreibtischs ab. Schließlich würde sie für die kommenden drei Jahre als PRManagerin der japanischen Tochtergesellschaft arbeiten, auch wenn sie wider Erwarten erst mal keine Nanny in Yokohama finden konnte. Der Sohn war aber ganz lieb. Sie hat ihn gefüttert und dann einfach weitergearbeitet, erinnert sich die Schwäbin heute. Punkt. Aus. Flexibel denken. Weiterschaffen. So einfach kann das sein. Über all die Jahre im familiengeführten Unternehmen, das mit 2,3 Milliarden Euro Umsatz zu den weltweit größten Maschinenbauern gehört, hat Nicola Leibinger- „Flexibilisierung der Arbeitszeit ist eine Revolution. Eine, die wir brauchen.“ NICOLA LEIBINGERKAMMÜLLER 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 82 Kammüller selbst erlebt, wie schwer es ist, Kinder und Beruf zu vereinbaren. Nicht ein oder zwei, gleich vier Kinder hat sie. Doch als ihr Vater 2005 in Ruhestand ging, wählte er die promovierte Literaturwissenschaftlerin als Nachfolgerin – anstatt wie erwartet ihren Bruder oder sogar ihren Ehemann, beide Ingenieure, beide im Betrieb. Berthold Leibingers Eindruck damals: Die Nicola kann das. Seitdem ist die Blitzschnellrednerin mit den tiefbraunen Augen eine Ikone für andere weibliche Führungskräfte im deutschen Mittelstand. Ihre Erfahrungen als berufstätige Frau und Mutter haben Nicola Leibinger-Kammüllers Führungsstil in vielerlei Hinsicht geprägt. Mit ganz konkreten Maßnahmen hilft sie Frauen auf dem Weg nach oben – von klitzekleinen Lösungen für die täglichen Zwickmühlen des Haushalts über Sponsoring-Initiativen bis hin zu einem revolutionären Arbeitszeitmodell. Diese Frau verändert die Lebenswirklichkeit, nicht nur bei Trumpf, sondern zunehmend auch in der deutschen Wirtschaft. Sie steht im Vordergrund einer kleinen Gruppe Frauen, die ein neues Weltbild echter Chancengleichheit in der Wirtschaft umsetzen. Als junge berufstätige Mutter hatte Nicola Leibinger-Kammüller selber die Herausforderungen des Alltags zu bestehen, da half auch der familiäre Reichtum wenig. Denn wer organisierte die Kinderbetreuung und den Haushalt? Sie natürlich. Nachmittags ging sie nach Hause, als die Kinder ganz klein waren, um dann nachts von zu Hause aus weiterzuarbeiten. Telefonkonferenzen erledigte sie oft im Wohnzimmer, manchmal kamen die Mitarbeiter auch zu „Heimkonferenzen“ mit der Chefin. Im Grundschulalter waren die Kinder oft krank, und das verursachte logistische Schwierigkeiten. Negative Vorurteile über berufstätige Mütter blieben ihr auch nicht erspart. Die alten Zeiten vom Babyalter bis zur Pubertät hat die heute 53-Jährige in lebhafter Erinnerung. Heute beim Interview in der Ditzinger Konzernzentrale erzählt sie gerne von der persönlicheren Seite ihrer beruflichen Laufbahn – von all dem, was nicht auf dem Lebenslauf zu finden ist. Die Nannies kamen und gingen, und Leibinger-Kammüller fing mit der Suche und der Einarbeitung immer wieder von vorne an. „Ich war privilegiert, das muss man sagen. Wir hatten genügend Geld, um Nannies zu haben.“ Umso mehr versteht Nicola LeibingerKammüller die Probleme der Mitarbeiterinnen ohne Privilegien. Immer wieder ermuntert sie junge Mütter dazu, Leitungspositionen anzunehmen, auch wenn sie zunächst nur Teilzeit arbeiten können. Viel hat sie unternommen, um ihnen das Leben bei Trumpf leichter zu machen, seit sie die Chefin ist. Mit Kindergärten in der „Hört mit dem Lügen auf! Redet darüber, wenn ihr Zeit für eure Kinder braucht.“ ANNE-MARIE SLAUGHTER 82 EMMA Mai/Juni 2014 Nähe hat sie Verträge geschlossen für kostenlose Kinderbetreuung bis 19 Uhr. Für viele Frauen hat sie Heimarbeitsplätze geschaffen. Auch erlaubt sie den Angestellten, das Abendessen für die ganze Familie aus dem Betriebsrestaurant in Pappkartons zu packen und mit nach Hause zu nehmen. Mittlerweile bietet sie Mitarbeitern einen Wäsche- und Bügelservice direkt im Betrieb an sowie ein Bestellsystem für Wochenendeinkäufe. „Es ist eine Revolution“, sagt sie. „Eine, die wir brauchen.“ Und eine, die über die knapp 10 000 Mitarbeiter von Trumpf hinausgeht. Dank Nicola Leibinger-Kammüller können Mitarbeiter seit Ende 2011 ihre Arbeitszeiten maßschneidern. Je nach persönlichen Wünschen und Lebensphasen können die Beschäftigten deutlich mehr oder weniger arbeiten, als es StandardArbeitszeitverträge bisher erlaubten. All das hat sie mit der Gewerkschaft so vereinbart. Ein Beispiel aus der internen Broschüre: Ein Berufseinsteiger will erst mal zeigen, was er kann, und wählt eine Basisarbeitszeit von 40 Stunden pro Woche. Aber ein junger Vater möchte sich zusammen mit seiner Frau ums Kind kümmern und schraubt seine Arbeitszeit auf 28 Stunden zurück. Man sieht schon, nicht nur Frauen sind gemeint. „Es ermöglicht ein Familienleben – und es ist mir sehr wichtig, dass es die Männer auch mit einbezieht“, sagt Nicola Leibinger-Kammüller. „Wir haben junge 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 83 DOSSIER ARBEIT Väter, die sagen, jetzt arbeite ich ein paar Jahre lang weniger Stunden und meine Frau dafür mehr.“ Ihre Botschaft ist einfach: Nicht die Lebenszyklen der Mitarbeiter sollen sich den Firmen anpassen, große und kleine Arbeitgeber sollen sich gefälligst nach den Lebenszyklen richten. Und das, betont sie, muss genauso gut für Männer gelten wie für Frauen. Kernstück des Modells ist, dass die Mitarbeiter regelmäßig alle zwei Jahre selbst entscheiden können, ob sie ihre Wochenarbeitszeit erhöhen oder absenken wollen, und zwar im Rahmen von 15 bis 40 Stunden. Außerdem können sie bis zu 1 000 Stunden auf einem individuellen Konto ansparen, um diese später für längere Freizeiten einzusetzen oder damit eine zeitweise Arbeitszeitreduzierung zu finanzieren. Andere Unternehmen lassen sich heute bei Trumpf zum Arbeitszeitmodell beraten. In den 18 Monaten nach Einführung des Modells sind Abgesandte von 120 Unternehmen im schwäbischen Ditzingen zu Gast gewesen. Richtige Seminare hat Trumpf gehalten, sagt Leibinger-Kammüller mit amüsiertem Lächeln. Bei Siemens, wo sie im Aufsichtsrat sitzt, hat sie selber das Konzept präsentiert. Laut Statistischem Bundesamt können vier von zehn Erwerbstätigen in Deutschland die eigenen Arbeitszeiten mitbestimmen. Bei der Fürst Gruppe zum Beispiel, einem Gebäudereiniger mit rund 5 000 Mitarbeitern in Nürnberg, den seit 2005 eine Frau führt. Christine Bruchmann, geschäftsführende Gesellschafterin, ist heute eine große Verfechterin von flexiblen Arbeitslösungen, nachdem sie in der männerdominierten Unternehmenswelt von Gillette oder der Zeitarbeitsfirma Randstad aufstieg – und den Preis dafür bezahlte. Nur zwei Monate nach der Geburt ihres Sohnes musste sie damals wieder voll im Job präsent sein. „Das war eine brutale harte Zeit“, erklärte sie dem Magazin Impulse. Inzwischen ist Bruchmann geschieden, ihr Sohn lebt beim Ex-Mann. Wer heute bei Fürst Kinder bekommt, darf ohne Druck entscheiden, wie lange er oder sie zu Hause bleibt. Teilzeit nach der Rückkehr ist auch gern gesehen, die Lösung wird individuell entwickelt – egal, ob sie dann heißt, dass die Mitarbeiterin im Heimbüro arbeitet oder doch zwei Tage pro Woche im Büro erscheint. Die Aufstiegschancen bei Fürst sollen dadurch nicht berührt werden. Auch das Mittelstandsunternehmen Anton Schönberger im oberpfälzischen Wölsendorf bietet seinen Mitarbeitern Arbeitszeitkonten an, auf denen sie Überstunden ansammeln können. Die können sie zum Beispiel einsetzen, wenn Nachwuchs kommt. Das Unternehmen, seit 1990 von zwei Frauen geführt, hat auch ein Spielzimmer eingerichtet und erlaubt es den Mitarbeitern ausdrücklich, die Kinder mit ins Büro zu bringen, wenn die Betreuung kurzfristig ausfällt. Laut Deutschem Institut für Wirtschaftsforschung liegt die Zahl weiblicher Vorstände in den Top-200-Unternehmen in Deutschland bei nicht einmal vier Prozent. Im deutschen Mittelstand dagegen sind mindestens 20 Prozent aller Führungskräfte der obersten Ebene weiblich. Und anders als bei den Großunternehmen geht es auch an der Spitze schon seit einigen Jahren frauenfreundlich zu: Der Anteil weiblicher Firmeneigner in den etwa 3,7 Millionen mittelständischen Unternehmen lag 2011 bei 20 Prozent. Von den 30 Dax-Konzernen indes hatte und hat keiner einen weiblichen Chef oder Aufsichtsratschef. „Das eine, was wir wirklich wie in einer Revolution durchsetzen können, ist Flexibilität“, sagte Anne-Marie Slaughter, Princeton-Professorin und ehemalige Chefplanerin des US-Außenministeriums. Das war im September 2012 bei einer Konferenz des New Yorker „Families and Work Institute“. Die Mutter von zwei Jugendlichen hat flexibles Arbeiten schätzen gelernt, nachdem sie als erste Frau die Chefplanerstelle unter Außenministerin Hillary Clinton 2009 angetreten war. Es war der Traumjob der in Amerika bekannten Akademikerin, die vorher als erste weibliche Dekanin einen Teil der Elite-Uni Princeton leitete. Doch den Traumjob schmiss sie nach zwei Jahren hin, weil er ihr überhaupt „Bei uns ist die Rückkehr aus der Teilzeit in den Volltagsjob jederzeit willkommen.“ CHRISTINE BRUCHMANN Mai/Juni 2014 EMMA 83 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 84 DOSSIER ARBEIT keine Zeit für die Familie ließ. Anwesenheit war verlangt, frühmorgens und spätabends. Sie schrieb ihre Erfahrung auf, und im Sommer 2012 erschien ihr hoch kontroverser Artikel „Warum Frauen immer noch nicht alles haben können“. „Wir brauchen einen grundsätzlichen Wandel in der Arbeitswelt und in der Gesellschaft“, sagte Slaughter 2012 dem Spiegel. „Hört mit dem Lügen auf“, rief sie den Frauen zu. „Redet darüber, wenn ihr Zeit für eure Kinder braucht. Tun Männer das, werden sie als besonders einfühlsame Väter bejubelt, bei Frauen ist es anders.“ Die Amerikanerin gelangt mit ihren Erfahrungen als Frau, Mutter und Spitzenforscherin zum ähnlichen Ergebnis wie die Schwäbin: Man muss das Problem offen angehen, wenn man eine Wirtschaft mit mehr Frauen an der Spitze will. Dabei hilft die Krise. Das war auch in Ditzingen so. Anfang der 1990er Jahre wurde Trumpf von der weltweiten Krise der Maschinenbauindustrie mitgerissen – kaum jemand investierte noch. Die Banken verlangten von Trumpf, 400 Mitarbeitern zu kündigen. Doch das Unternehmen kürzte lieber die Arbeitszeiten aller Mitarbeiter. So konnte es die schwere Zeit mit nur 41 Entlassungen überleben. „Die Grundidee war, dass eine Organisation mit den Zyklen der Wirtschaft atmen muss“, erinnert sich Nicola Leibinger-Kammüller. „Wir haben damals erkannt, dass mehr Flexibilität dringend notwendig ist, um auch auf Schwankungen im Auftragseingang eingehen zu können, ohne Mitarbeiter zu entlassen. Das Instrument dazu waren zunächst Arbeitszeitkonten. Damit kann man in guten Zeiten Stunden ansammeln, und diese Stunden können dann in schlechten Zeiten abgebaut werden. Wobei das Gehalt immer gleich bleibt.“ Leibinger-Kammüller hat lange und hart für das neue Arbeitszeitmodell gekämpft. Nicht nur, um das Modell selbst zu entwickeln, sondern auch die gesamte Geschäftsleitung davon zu begeistern – und die Gewerkschaft. „Die Gewerkschaft war bereit, sich hier gemeinsam mit uns auf ein Experiment einzulassen“, sagt die Unternehmerin. Trumpf musste mit der 84 EMMA Mai/Juni 2014 IG Metall die geltenden Tarifverträge verändern. Nach langem Verhandeln hat das Unternehmen eine gesonderte Abmachung abschließen können. Das neue Arbeitsmodell bei Trumpf, das offiziell erst Ende 2011 eingeführt wurde, bietet zum Beispiel die Möglichkeit an, bis zu zwei Jahre lang für die Hälfte des Lohns zu arbeiten, um vor oder nach dieser Phase im Rahmen eines Sabbaticals arbeitsfrei zu sein und dabei ebenfalls den halben Lohn zu beziehen. Führungskräfte bei Trumpf werden mittlerweile in ihren jährlichen Leistungsbeurteilungen nicht nur an ihren eigenen Entwicklungen gemessen, sondern auch daran, ob sie Frauen in ihren Abteilungen weitergebracht haben. „Wenn die Führungskräfte, die hier in Deutschland nach wie vor oft Männer sind, nach einem Jahr gefragt werden, was ist aus der und der Frau geworden, welche Perspektiven haben sie, dann hilft das enorm“, sagt Leibinger-Kammüller. „Wir müssen die Frauen im Unternehmen mehr begleiten, sie dazu bringen, zu sagen: ‚lt’s my turn.‘“ Viele Frauen hegten zu viele Selbstzweifel, gerade wenn es um die Vereinbarkeit mit der Familie geht. „Ich erlebe es so oft, dass ich eine junge Frau frage, ob sie sich vorstellen kann, eine Gruppe zu leiten. Dann kommen Zweifel: ‚Meinen Sie, dass ich dem gerecht werde? Ich habe die Kinder zu Hause, und mein Mann arbeitet auch zu viel und, und, und ...‘ Doch wir wollen, dass die Frauen in der schwierigen Phase auf ihrem Weg begleitet werden und sich etwas zutrauen.“ Nicola Leibinger-Kammüller nimmt das ernst. „Männer haben oftmals weniger Selbstkritik. ‚Jetzt war ich so und so lange Gruppenleiter, jetzt fühle ich mich reif und führungsstark, ich möchte eine Abteilung leiten‘ – das ist ein gängiges Argumentationsmuster“, sagt sie. „Frauen neigen dazu, sich im Hintergrund zu halten und darauf zu warten, dass jemand anderes merkt, dass sie gut sind. Aber das ist natürlich nicht selbstverständlich. Also man muss sie dazu bringen, zu sagen: ‚Ich kann das!‘ und es ihnen durch die entsprechenden Rahmenbedingungen ermöglichen.“ Selbstbewusstsein muss man früh aufbauen. Weil Selbstzweifel und Stereotype schon im Grundschulalter entstehen, arbeitet Leibinger-Kammüller zum Beispiel auch in regionalen Projekten mit Vorschulkindern und versucht zudem, Mädchen für den Technikberuf zu begeistern. Und sie nutzt ihr persönliches Netzwerk, um jungen Frauen in der Wirtschaft weiterzuhelfen. „Ich kenne mittlerweile viele Unternehmerinnen, und da tauscht man nicht nur Erfahrungen aus, sondern gibt auch gelegentlich eine gute Bewerbung von einer Frau weiter, die vielleicht gerade zu uns nicht passt.“ Als Aufsichtsratmitglied bei Siemens oder Lufthansa kennt sie viele der Frauen, die es in der Dax-Welt nach oben geschafft haben. Sofort hat sie Brigitte Ederer nach Ditzingen eingeladen, als sie in den Siemens-Vorstand gerufen wurde. Die Topfrauen verstehen sich gut. „Ich war anfangs sehr skeptisch in Bezug auf die Idee eines Frauennetzwerks. Aber im Laufe der Jahre lernen sich die – wenigen – Frauen in der Wirtschaft ja untereinander kennen und tauschen sich aus. Selbst da sieht man die Unterschiede. Männer haben immer ihre Netzwerke gehabt ... wir haben das erst lernen müssen.“ DEBORAH STEINBORN Die Amerikanerin ist freie Autorin, selbst Mutter von zwei Kindern und lebt in Hamburg. Weiterlesen Gekürzter Auszug aus: Jean Heuser/ Deborah Steinborn: Anders denken! Warum die Ökonomie weiblicher wird (Hanser). w 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 85 a p o r Eu Der Hintergrund im Vordergrund: taz lesen und Europa verstehen. www.taz.de | [email protected] | T (030) 25 90 25 90 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 86 DOSSIER ARBEIT Die 32-StundenWoche ist die Lösung … … für Eltern mit Kleinkindern. Dann können Mutter und Vater sich die Kinderarbeit teilen – und keiner hat Nachteile im Beruf. A m 22. Januar hat es schon mal nicht geklappt. Jeden Mittwochnachmittag wolle er sein Töchterchen aus der Kita abholen, kündigte der Vizekanzler und junge Vater Sigmar Gabriel an. Doch zur Kabinettsklausur mit Kanzlerin in Schloss Meseberg konnte der SPD-Chef dann doch nicht fehlen – und so musste die kleine Marie an diesem Mittwoch auf ihren Papa verzichten. Ob die Ankündigung von Gabriel ernst gemeint war oder doch eher in Richtung PR-Gag ging, muss also noch abgewartet werden. Doch die Richtung stimmt: Eine Vier-Tage-Woche für Mütter wie Väter könnte die Vereinbarkeit von Beruf und Familie entscheidend verbessern. Auch die neue Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) ist ein Fan: Ihr erster öffentlicher Vorstoß im neuen Amt ging um diese 32-Stunden-Woche für Familien. Und auch ein Paper des „Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung“ (DIW) legt dieses Modell nahe. Zwar watschte Regierungssprecher Steffen Seibert Schwesigs Vorschlag umgehend als „Privatmeinung“ ab. Doch nun ist er in der Welt – und sollte ernsthaft diskutiert werden. Denn viele Umfragen zeigen, dass Mütter mit Kleinkindern gern mehr und Väter gern weniger arbeiten wollen. So gaben vier von zehn befragten Vätern in einer repräsentativen Forsa-Umfrage für das Magazin Eltern im vergangenen Oktober an, unter der Woche „eher nicht genügend Zeit“ für ihre Kinder zu haben. Weitere 13 Prozent hielten die Zeit für „überhaupt nicht ausreichend.“ Für Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin, ist Zeit86 EMMA Mai/Juni 2014 politik ein ganz entscheidender Faktor, nicht nur um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern, sondern auch um den Aufstieg von Frauen in Führungspositionen zu fördern und bei der drohenden Altersarmut von Frauen gegenzusteuern. „32 Stunden sind die neue Vollzeit“, sagt die Soziologin, selber Mutter von zwei Kindern. Noch jedoch sieht der Alltag anders aus. Gerade mal ein Prozent aller Eltern mit Kindern bis zu drei Jahren arbeiten beide in „reduzierter Vollzeit“, heißt es in dem DIW-Modell zur Familienzeit. 39 Prozent hingegen leben das klassische 50er-Jahre Modell: Vati arbeitet, Mutti ist zuhause. Bei weiteren je 13 Prozent hat die Mutter einen Teilzeit- bzw. Minijob. Viele WissenschaftlerInnen warnen sogar vor einem Trend zur Retraditionalisierung dieser Rollenmuster, sobald das erste Kind geboren ist. Die Mehrzahl der Mütter in Deutschland landet immer noch in der Teilzeitfalle. Aus dem Minijob kommen sie kaum heraus, weil sich Mehrarbeit auch finanziell nicht lohnt. Und auch die Teilzeit stellt sich „Mehr Männer in Teilzeit und an den Wickeltisch!“ oft genug als berufliche Sackgasse heraus, ein Aufstieg ist nur selten möglich. Zwar will Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) schnellstmöglich die Bedingungen für Teilzeit verbessern: Der Wechsel zwischen Voll- und Teilzeit soll weiter erleichtert und mit Rückkehrgarantien abgesichert werden. Denn offensichtlich schrecken vor allem Männer vor Teilzeit auch deshalb zurück, weil sie nicht sicher sind, ob sie später wieder auf eine volle Stelle zurückkommen. Das eigentliche Problem dürfte aber weniger die Gesetzeslage sein als die Mentalitäten hierzulande. Während es in Skandinavien vollkommen normal ist, dass auch Männer Teilzeit arbeiten, gilt das in Deutschland als seltsam. Zwar gaben in der Eltern-Umfrage immerhin 22 Prozent der Väter an, „am liebsten in Teilzeit von 30 bis 35 Stunden“ arbeiten zu wollen. Doch nur zwei Prozent setzten diesen Wunsch auch in die Wirklichkeit um – und das, obwohl es laut der Umfrage in 58 Prozent der Firmen auch möglich wäre. Der wahre Grund für die Zurückhaltung gegenüber der Teilzeit liegt wohl in der Furcht, das würde der Karriere schaden. Einen klaren Hinweis darauf geben die Antworten der Männer auf die Forsa-Frage nach Elternzeiten und Karriere: 41 Prozent der Befragten antworteten, dass Elternzeiten sich bei Männern „negativ oder sehr negativ“ auf die Karriere auswirkt – und das, obwohl die allermeisten noch niemals Elternzeit genommen hatten. Es kommt also auf die Rollenbilder an – und die Vorbilder. Gerd Göbel beispielsweise, der bei der Commerzbank ein Team von fünf Mitarbeitern leitet und als erster Mann seiner Abteilung auf einen 80-Prozent-Job ging, um seine Tochter zu betreuen. Er ist einer der „Karriereväter“, denen der Spiegel Anfang dieses Jahres eine große Geschichte gewidmet hat. Noch seien die vorgestellten Männer „Exoten“. Doch der Handlungsdruck wachse auf beiden Seiten, bei den Firmen und bei ihren männlichen Vollzeitangestellten. Vor allem bei großen Konzernen wie Lufthansa, der Bahn, Bosch oder dem Ver- Tim Wegner/laif 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 87 Gert Göbel (re), Teamleiter bei der Commerzbank, ging auf eine 80 %-Stelle, um mehr Zeit für seine Tochter zu haben. sicherungskonzern Ergo gibt es seit einiger Zeit außerordentlich flexible Arbeitszeitmodelle und oft sogar spezielle Programme für das Führen in Teilzeit. Denn immer mehr Personalchefs finden verblüfft heraus, dass das Wickeln, Füttern und Sorgen für den Nachwuchs auch bei Männern Sozialkompetenzen bringt, die für das Unternehmen vorteilhaft sind. „Eine aktive Vaterrolle zu übernehmen fördert oft soziale und emotionale Kompetenz. Diese Eigenschaften sind auch im beruflichen Umfeld und für uns als Unternehmen wichtig“, zitiert der Spiegel Bettina Volkens, die bei der Lufthansa das Personalressort verantwortet. Wer also mehr Männer in Teilzeit und an den Wickeltisch bekommen will, sollte dafür sorgen, dass möglichst schnell möglichst viele möglichst hochrangige Männer sich auf eine Vier-Tage-Woche einlassen. Denn nur dann trauen sich all diejenigen, die ihren Wunsch nach mehr Zeit mit den Kindern bislang nur anonym gestehen. Jenseits der Gruppe gutverdienender Akademiker stellt sich allerdings die Gehaltsfrage. Noch ist alles in der deutschen Sozialgesetzgebung auf die EinverdienerEhe ausgerichtet – vom Ehegattensplitting bis zur kostenlosen Mitversicherung der Ehefrau in der Krankenkasse. Noch immer fällt es Männern deshalb viel zu leicht, ihre Frauen mit dem Argument „Das lohnt sich doch nicht“ vom Aufstocken ihres Minijobs oder Teilzeitjobs abzuhalten. Die Gesetze müssen geändert werden, damit das anders wird. Die vor allem Frauen benachteiligende Steuerklasse 5 muss abgeschafft und das Ehegattensplitting muss endlich gestrichen werden! Diese Subentionierung der Hausfrauenehe kostet Vater Staat jährlich 19 Milliarden Euro. Die SPD hatte in der Opposition immer wieder mal angekündigt, das Splitting streichen zu wollen – einmal an der Regierung aber schweigt sie zu dem brisanten Thema. Sitzen zu viele Karrieremänner mit Hausfrauen in Berlin? Das Wirtschaftsinstitut geht davon aus, dass sich der Anteil von Eltern mit einer Vier-Tage-Woche kurzfristig verdoppeln lassen könnte: also zwei Prozent aller Eltern statt einem Prozent. Nicht wirklich viel, aber immerhin ein Anfang. Die Kosten wären moderat: Mehr als 140 Millionen Euro pro Jahr würde das zu Anfang nicht kosten. Ein Klacks bei derzeit rund 39 Milliarden Euro jährlich für Kindergeld sowie rund fünf Milliarden Euro für Elterngeld. Und 19 Milliarden fürs Splitting. Dass die Wirtschaft und auch die Union dennoch Sturm liefen, als Familienministerin Manuela Schwesig ihr VierTage-Modell vorstellte, hat unterschiedliche Gründe. Erste fürchten die Kosten, letztere eher die „Bevormundung der Eltern“, wie einer der Unions-Unterhändler beim Koalitionsvertrag erklärte. DIWForscherin Katharina Wrohlich sieht das gelassen. „Der Trick bei unserem Modell ist, dass jeder Elternteil diese Lohnersatz- leistung nur bekommt, wenn beide ihre Arbeitszeit entsprechend wählen“, sagt sie. Dieser „Trick“ hat auch schon beim Elterngeld hervorragend funktioniert. 14 Monate Geld statt 12 gab es eben nur, wenn auch die Väter mindestens zwei Monate Elternzeit genommen haben. Als „Wickelvolontariat“ hatte der damalige CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer diese Idee der damaligen CDU-Familienministerin Ursula von der Leyen angegriffen – und durch seinen Wutausbruch erst so richtig populär gemacht. Es ist zu erwarten, dass der Vorstoß der SPD-Ministerin Schwesig – die eher in die Fußstapfen ihrer Vorvorgängerin von der Leyen tritt als in die ihrer Vorgängerin Schröder – zur Familienzeit nur der Auftakt war. Für die Familien in Deutschland zart rosa Aussichten. MARGARET HECKEL Die Autorin ist Wirtschaftsjournalistin, zuletzt erschien von ihr „Aus Erfahrung gut: Wie die Älteren die Arbeitswelt erneuern“ (Edition Körber Stiftung). Mai/Juni 2014 EMMA 87 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 88 Hannelore muss sich ändern Noch hinderlicher als die fehlenden Krippen sind die noch immer aufgestellten Barrieren im Kopf. W arum bleibt in Deutschland jede fünfte Frau kinderlos? Und warum ist die Geburtenrate in Deutschland eine der niedrigsten in Europa? Wer hier nachforscht, gelangt ins Zentrum der Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die meist nach wie vor als reine Frauenfrage betrachtet wird. Betrachten wir zum Beispiel Hannelore, deren Arbeitstag beginnt, nachdem sie für die Familie Frühstück gemacht, die Söhne Peter und Frank angezogen und in die Kita gebracht hat. Die promovierte Kunsthistorikerin aus Hamburg hat mit der Geburt des ersten Kindes ihre Stelle als Museumskuratorin aufgegeben und arbeitet nun als freiberufliche Grafikerin für eine Werbeagentur von zu Hause aus. Aufträge hat sie genug. Doch an manchen Tagen will es einfach nicht so klappen, weil die einjährige Tochter Esther zu Hause ist. Die Arbeit bleibt oft liegen und Aufträge müssen abgesagt werden. Hannelore findet dennoch, dass sie die Vereinbarkeitsfrage für sich und ihre Familie gut gelöst hat, denn im Augenblick möchte sie der kleinen Esther vor allem eine gute Mutter sein. Ohnehin erscheint ihr eigener Zuverdienst für das Gesamteinkommen der Familie auch eher verzichtbar, denn ihr Mann verdient gut. Was wäre anders, wenn Hannelore nach wie vor auf der Vollzeitstelle als Kuratorin arbeiten würde? Die Situation von Hannelore ist in gewisser Weise typisch für viele deutsche Mütter. Nur jede dritte deutsche Mutter mit Kleinkindern von unter drei Jahren ist überhaupt berufstätig. Sobald die Kinder in die Schule kommen, erhöht sich zwar der Anteil er88 EMMA Mai/Juni 2014 werbstätiger Mütter auf etwa 70 Prozent, doch arbeiten die allermeisten Mütter dann Teilzeit. Sie verzichten also nicht nur auf Karriere, sondern sind nun die Hauptverantwortlichen für Kinder und Familie – und setzen sich langfristig einem Armutsrisiko aus. Wie viele andere Mütter, so ist auch Hannelore nur eine Scheidung weit von der Armut entfernt. Denn haben Frauen erst einmal beruflich den Anschluss verpasst, ist es nach einer Scheidung eher schwierig, eine reguläre Stelle zu bekommen. Vor dem Hintergrund der Zunahme von Niedriglöhnen ist die Erwerbssituation alleinerziehender Frauen gerade in Deutschland dramatisch. In anderen europäischen Ländern, wie in Frankreich, stellt sich die Situation völlig anders dar. Nicht nur, weil in Frankreich für jede Art von Beschäftigung ein Mindestlohn von neun Euro bezahlt werden muss und Teilzeittätigkeiten also nicht so riskant sind, sondern auch, weil in Frankreich zwei von drei Müttern von Kindern im schulpflichtigen Alter vollzeitbeschäftigt sind. Das schafft Frauen ein hohes Maß an ökonomischer Selbstständigkeit und Unabhängigkeit, auch vom Mann. Genau darum bekommen gut ausgebildete und berufsorientierte Frauen in Deutschland erst gar keine Kinder. Dies gilt besonders für Frauen mit Hochschulabschluss – inzwischen bleibt fast jede dritte deutsche Akademikerin endgültig kinderlos. Andere Frauen schließen das Kinderkriegen dabei keineswegs aus, möchten sich lieber aber erst einmal beruflich etablieren, bevor sie eine Familie gründen. Dabei gelingt es nicht immer, den „richtigen Zeitpunkt“ in der Rushhour des Lebens, in der wichtige berufliche und familiäre Weichen gestellt werden müssen, zu erwischen. Interessanterweise bekommen Frauen gerade in solchen europäischen Ländern eher und mehr Kinder, in denen gleichzeitig die Frauenerwerbstätigkeit hoch ist – zum Beispiel eben in Frankreich aber auch in den skandinavischen Ländern wie Finnland, Schweden und Norwegen. Deutschland hingegen befindet sich hinsichtlich der Geburtenrate im unteren Bereich. Doch wenn immer mehr Frauen, gerade in den jüngeren Generationen, die eigene Arbeitsplatzsicherheit als Voraussetzung der Familiengründung ansehen – was hindert sie dann daran, auch als Mutter einer Vollzeiterwerbstätigkeit nachzugehen? Warum gelingt es Frauen in Deutschland so häufig nicht, Familie und einen vollwertigen Beruf miteinander zu vereinbaren? Dabei bekunden gerade junge Frauen, nicht mehr festgelegt werden zu wollen auf die Wahl. Sie sind qualifiziert, verfügen über gute Schulabschlüsse und sehen sich selbst als emanzipiert und keineswegs als benachteiligt an. Sie wollen beruflich weiterkommen und wünschen sich gleichzeitig. Haus- und Familienarbeit partnerschaftlich zu teilen. Im Widerspruch zu den Selbsteinschätzungen und Plänen steht dann jedoch das tatsächliche Verhalten: nämlich die Tatsache, dass lediglich ein kleiner Teil der jungen Frauen mit Kindern unter sechs Jahren einer Vollzeitbeschäftigung nachgeht. 52 Prozent sind gar nicht erwerbstätig und 23 Prozent in Teilzeit. Letztlich bedeutet dies, dass 75 Prozent aller deutschen Mütter beruflich enorme Nachteile für sich in Kauf nehmen. Wie kommt das? Wer sich mit dieser Frage befasst, stellt bald fest, dass es für diesen scheinbar freiwilligen Verzicht nicht nur eine einzige Ursache gibt. Mindestens drei Faktoren ziehen die jungen Mütter in diese Richtung. Der erste Faktor: Kinder zu bekommen, ist heute keine in Traditionen verwurzelte Selbstverständlichkeit mehr, sondern wird mehr und mehr zu einer Lebensaufgabe, die bewusst gewählt und gestaltet wird. Die jungen Frauen fühlen sich persönlich in hohem 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 89 DOSSIER ARBEIT Maße dafür verantwortlich, ihren Kindern die besten Entwicklungs- und Startchancen mitzugeben. Der zeitliche Aufwand dafür ist hoch und seit den 1970er Jahren immer weiter gestiegen: Solange das Kind klein ist, braucht es seine Bezugsperson; wird es älter, gilt es, die richtigen Bildungsentscheidungen zu treffen und die Kinder auch außerschulisch mit interessanten Freizeit- und Unterrichtsangeboten zu fördern. Das Misstrauen gegenüber staatlichen Bildungs- und Erziehungseinrichtungen ist hoch. Darum sehen gerade viele gut ausgebildete Frauen keine Möglichkeit, sich in einer Vollzeitbeschäftigung zu engagieren. Der zweite Faktor sind die mangelnden öffentlichen Betreuungsangebote für kleine Kinder. Dass Frankreich die Betreuung von Kindern durch „Kindermädchen“ staatlich bezuschusst und Kindern bereits im ersten Lebensjahr die Möglichkeit bietet, in einer öffentlichen Kinderkrippe bis zu zwölf Stunden am Tag betreut zu werden, erleichtert es französischen Müttern enorm, Beruf und Familie zu vereinbaren. Noch hinderlicher als die fehlenden Betreuungsangebote sind drittens die kulturellen Barrieren, wie das deutsche Leitbild der „guten Mutter“. In Deutschland gelten Mütter, die ihr Kleinkind „wegorganisieren“ und sich nicht zumindest die Hälfte ihrer Zeit der Kinderbetreuung widmen, immer noch als „Rabenmütter“. Dies ist nicht nur eine gesellschaftliche Zuschreibung, auch die Mütter selbst fühlen sich nicht wohl, wenn sie sich nicht mindestens die Hälfte ihrer Zeit ihren Kleinkindern widmen. Daher auch das Misstrauen gegenüber öffentlichen Betreuungseinrichtungen. Wie schon der Philosoph Jaques Rousseau (1712 – 1778) herausgefunden hat, ist dieses Misstrauen tief in der Mentalität der Deutschen verwurzelt. Denn hierzulande wird, anders als in Frankreich, die Persönlichkeit eines Neugeborenen, als durch und durch gutartig verstanden. Sie wird erst später durch vermeintlich negative Einflüsse der Außenwelt beeinträchtigt, weshalb es den Deutschen besonders wichtig erscheint, das Neugeborene solange wie möglich von äußeren Einflüssen abzuschirmen. „Je berufstätiger die Frauen in Europa sind – je mehr Kinder kriegen sie.“ Verblüffend an den öffentlichen Debatten um Vereinbarkeit ist auch die Tatsache, dass Väter darin meist gar nicht erwähnt werden. Und dies ist nicht nur in Deutschland so. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf gilt in allen europäischen Ländern als „Frauenfrage“. Väter haben damit anscheinend nicht viel am Hut. Diese Sichtweise, so zeigen Umfrageergebnisse, wird in der Regel auch von den Vätern selbst geteilt. Sie gehen weiterhin nicht davon aus, ihre Erwerbsarbeit im Falle einer Familiengründung reduzieren zu müssen. Dies gilt selbst dann, wenn sie sich selbst als „aktive Väter“ betrachten, also als Männer, die sich an der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder aktiv beteiligen wollen. Damit ist kein Verzicht auf Erwerbstätigkeit gemeint, sondern lediglich der Versuch, für die Kinder „da“ zu sein – zumindest an Abenden, in den Ferien und an Wochenenden. Die eigene Erwerbstätigkeit wird durch die „aktive Vaterschaft“ keineswegs in Frage gestellt, denn nach wie vor scheinen Väter wie selbstverständlich davon auszugehen, dass es die Mutter ist, die ihre Erwerbstätigkeit bei Geburt von Kindern reduziert. Begründet wird das, wenn überhaupt, mit dem höheren Verdienst des Mannes. Doch was geschieht in Fragen der Elternschaft in dem Augenblick, in dem nicht der Mann, sondern die Frau den höheren Verdienst erzielt? Immer mehr Männer geraten in die Situation, eine geringfügige oder eine Teilzeit-Beschäftigung annehmen zu müssen oder unfreiwillig erwerbslos zu sein. Vielfach übernimmt dann die Frau die Rolle der Ernährerin. Mittlerweile ist bei jedem zehnten deutschen Paar die Frau die Hauptverdienerin. Wären die Männer dieser Frauen nicht die idealen Väter, die sich „hauptberuflich“ um Familie und Haushalt kümmern und darin aufgehen würden? Wie eine eigene Studie zum Thema „Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist“ zeigt, wird ein solcher Rollentausch tendenziell nur bei solchen Paaren vorgenommen, bei denen die Partnerin von vornherein deutlich höhere Berufsqualifikationen und Einkommenschancen als der Mann in die Beziehung einbringt und der Mann seine eigene Erwerbssituation als unbefriedigend empfindet. Mit Beginn der Familiengründung verzichtet dann der Mann, wie sonst in solchen Fällen die Frau, auf die Entwicklung einer beruflichen Laufbahn und wird zum Familienvater, während die Frau das Familieneinkommen verdient. Bei Paaren hingegen, die über ähnliche Qualifikationen verfügen und bei denen die Frau den höheren Verdienst erzielt, ist das Elternarrangement dagegen oft alles andere als ausgeglichen. Denn neben dem Fehlen öffentlicher Betreuungsmöglichkeiten für Kleinkinder und den schlechten Einkommenschancen von Teilzeitmüttern, erweisen sich vor allem die deutschen Mentalitäten als Hemmschuh in Fragen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Von einer Modernisierung der Elternschaft, das heißt der Mutter- und Vaterrollen, sind wir noch sehr weit entfernt. Den familiären Konservativismus zementieren Ehegattensplitting und Betreuungsgeld. CORNELIA KOPPETSCH Die Autorin ist Professorin für Soziologie an der TU Darmstadt. Zuletzt erschien von ihr „Die Wiederkehr der Konformität. Streifzüge durch die gefährdete Mitte“ (Campus). Mai/Juni 2014 EMMA 89 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 90 Ingenieurinnen in die Kita! ... fordert Wirtschaftswissenschaftler Oliver Koppel. Denn da fängt das an mit den „Frauenberufen“ und „Männerberufen“. Nach der Grundschule ist es eigentlich schon gelaufen. Dr. Oliver Koppel ist seit 2005 am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Seine Themen: Innovationsökonomie und technisch-naturwissenschaftliche Berufe. Herr Koppel, was studieren Frauen heute denn so? Koppel: In sprach- und geisteswissenschaftlichen Fächern liegt der Frauenanteil bei 70 bis 80 Prozent. In rein technischen Disziplinen wie Elektrotechnik, Maschinenbau oder Informatik bei nur 15 bis 20 Prozent. Da sind Frauen immer noch ganz klar die Ausnahme. Dabei heißt es doch, der Frauenanteil in technisch-naturwissenschaftlichen Fächern sei angestiegen. Das ist er in der Tat. Vor zehn Jahren hatten wir im Bereich der Elektrotechnik einen Frauenanteil von sechs Prozent. Heute sind es rund zehn Prozent. Doch ein Erfolg wäre es nur, wenn sich innerhalb der Studentinnen der Anteil technischnaturwissenschaftlicher Fächer erhöht hätte. Das ist aber nicht so. Der relative Fachrichtungsanteil innerhalb der Studentinnen bleibt seit Jahren konstant. Und im Ausbildungsbereich? Da ist die Situation wirklich dramatisch. In technischen Ausbildungsberufen wie Mechatronik oder Elektrotechnik gibt es fünf bis acht Prozent Frauen. Das ist extrem wenig. Gleichzeitig sind Ausbildungsberufe wie Erzieherin oder Friseurin extrem frauendominiert. Die Top Ten 90 EMMA Mai/Juni 2014 der Ausbildungsberufe von Männern und Frauen sieht seit 20 Jahren gleich aus. Wie denn? Bei den Männern ist es die KFZ-Ausbildung oder Industriemechanik. Also gewerblich-technische Berufe, die auf die Industrie abzielen. Frauen dagegen finden Sie eher in Dienstleistungsberufen wie Verkäuferin oder Bürokauffrau. Alle Initiativen, die daran etwas ändern wollten, haben dies nicht zu ändern vermocht. Was läuft schief? Ich bin kein Freund von Show-Veranstaltungen zu Werbezwecken. So wie beim Girls Day in Unternehmen zum Beispiel. Da kommen die Mädchen kurz vorbei und sehen: Das ist also eine Maschine! Dann dürfen sie zwei Knöpfe drücken und dann gehen sie wieder nach Hause. So funktioniert das nicht. Was könnte denn funktionieren? Interesse wecken. Indem man sagt: Wir haben ein vierwöchiges Projekt, ein Schnupperstudium oder ein Praktikum im Angebot. Da müssen Unternehmen ein bisschen Zeit und Geld in die Hand nehmen. Sie könnten ja die Schülerinnen etwas machen lassen, was sie auch selbst gebrauchen können. Vielleicht bauen die dann einfach eine kleine Maschine zusammen, die hydraulische Pressbewegungen macht. Oder basteln eine Solaranlage. Das ist nicht nur ein tolles Erfolgserlebnis, sondern nimmt auch die Scheu. Was wir brauchen, sind Initiativen, die über die berufliche Realität aufklären. Die zeigen, dass Jobs im MINT-Bereich die attraktiveren Arbeitsbedingungen bieten. MINTlerinnen haben häufiger unbefristete Anstellungen. „Ist doch klar, dass Mädchen keine Stärken entdecken können, wenn die nie gefördert wurden.“ OLIVER KOPPEL Sie arbeiten Vollzeit. Eine Mechatronikerin verdient deutlich mehr als eine Altenpflegerin. Als Ingenieurin hat man es einfacher, als als Psychologin, weil es in Deutschland tausend mittelständische Unternehmen gibt, die Ingenieurinnen und Ingenieure suchen. Frauen sollten sich ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt unter diesen Aspekten ansehen. Tun sie das nicht? Ich glaube, dass sich sowohl Frauen als auch Männer eher schlecht informiert für einen Beruf oder ein Studium entscheiden. Und diese Unwissenheit führt dann zu geschlechtsstereotypen Auswahlverfahren. Sie fragen sich nicht: Was will ich denn eigentlich? Sondern: Was machen denn meine Freunde bzw. Freundinnen so? BWL, das haben schon viele geschafft, das schaffe ich also auch. Viele denken auch immer noch, der Ingenieurberuf hätte etwas mit Öl und Schmutz zu tun. 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 91 DOSSIER ARBEIT Dieses klassische Blaumann-Image, das gar nicht mehr der Realität entspricht. Es handelt sich dabei ja um einen konzeptionellen, also einen sauberen Beruf. Dazu kommt, dass sich Mädchen unter Bürokauffrau einfach mehr vorstellen können, als unter Mechatronikerin. gehören auch Netzwerke dazu. Wenn sich Männer abends treffen und gemeinsam zum Fußball gehen, dann ist das vielleicht für eine Frau nicht ganz so spannend. Aber in diese außerberuflichen Aktivitäten müssen Frauen rein. Denn da werden Karrieren entschieden. Weil es keine Vorbilder gibt. Ja, es gibt im Fernsehen keine Ingenieurinnen. Es gibt nur die Anwältin oder die Managerin. Und ganz viele Lehrerinnen. Nur Mathe, das unterrichtet in den Fernseh-Serien trotzdem immer noch ein Mann. Die Frage ist ja, ob die Frauen überhaupt rein dürfen! Ich beobachte heute, dass diese geschlossenen Kreise aufbrechen. Frauen werden nicht mehr blöd beäugt, wenn sie mit zum Fußball gehen. Was vor 15 Jahren noch der Fall war. Wenn sie wollen, sind sie bei allem dabei. Die Frage ist: Wollen sie dabei sein? Und dann gehen die Mädels in den KFZBetrieb und sehen Jungs, die an Autos schrauben ... Klar. Und da hängen im Spind dann vielleicht keine Van-Gogh-Zeichnungen, sondern nackte Frauen. Das muss man dann aushalten. Halten Mädchen das aus? Mir kommen die Mädels heute deutlich selbstbewusster vor, als man denkt. Außerdem gibt es so ein männliches KlischeeVerhalten immer seltener. Das wird alles aufgeweicht. Wir haben ja jetzt mit Ursula von der Leyen sogar eine Verteidigungsministerin. Wenn ich mir die Herausforderungen in Deutschland anschaue, fällt mir als erstes die Energiewende ein. Umwelttechnologie. Da haben wir Frauen en masse. Es liegt ja nicht an dem fehlenden technischen Verständnis, dass Frauen nicht Elektrotechnik studieren, um dann in der Waffentechnologie zu arbeiten oder in einem Presswerk mit Walzen. Es liegt in der Regel daran, dass Frauen darin keinen individuellen oder gesellschaftlichen Sinn sehen. Sind Frauen vielleicht auch einfach ein bisschen beratungsresistent? Nein. Es dauert nur sehr lange, eine extrem männerdominierte Industrie umzukrempeln. Mal ganz vom Alltäglichen gedacht: Wie läuft Karriere? Karriere macht man durch fachliche Leistungen, aber es Braucht nicht auch die Wirtschaft die qualifizierten Frauen? Ich sehe in der Tat in erster Linie die Frauen, die als quantitativ relevante Potentialgruppe im MINT-Bereich dem deutschen Arbeitsmarkt zukünftig zur Verfügung stehen könnten. Jetzt ist die Stärkung der so genannten geschlechtergerechten Berufswahl Thema im Koalitionsvertrag. Was würden Sie der Politik raten? Prinzipiell kann sich ja jetzt schon jeder Mensch unabhängig vom Geschlecht für einen Beruf entscheiden. Die Diskriminierung liegt eher in der Art, wie unterschiedlich Mädchen und Jungen in der Schule an Berufe herangeführt werden. Oder bei der Vermittlung von technischem und naturwissenschaftlichem Wissen im Elternhaus. Ein Vater redet auch heute immer noch eher mit seinem Sohn über Technik als mit seiner Tochter. Eine Aufgabe der Politik wäre also, möglichst früh in der Bildungskette anzusetzen, am besten schon im Kindergarten. Kinder sind ja, was solche Themen angeht, völlig unvorbelastet. Die fragen sich gar nicht: Kann ich das? Sie sind neugierig. Wenn ich bis nach der Grundschule keinerlei Kontakt zu Technik hatte, dann wird da auch später nichts mehr draus. Und dann gehen die Mädchen aufs Gymnasium und haben laut Pisa-Studie Angst vor Mathe. Das finde ich auch schockierend. Die Angst ist völlig unbegründet. Wenn Sie sich die Mathe-Studierenden im ersten Semester angucken, dann sitzen da zu 50 Prozent Frauen. Und die sind genau so gut wie die Männer. Woher kommt die falsche Selbsteinschätzung der Mädchen? Das beginnt damit, dass schon Erzieherinnen im Kindergarten im Bereich Naturwissenschaft und Technik so gut wie ungebildet sind. Da ist es ja kein Wunder, dass das an die Kinder genau so weitergegeben wird. Wir müssen also bei der Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern deutlich stärker auf solche Inhalte Wert legen. Es gibt ja heute sogar Baukästen, die umsonst von Unternehmen zur Verfügung gestellt werden. Die haben ja auch ein Eigeninteresse. Oder mal eine Physikerin oder eine Ingenieurin in eine Kita schicken? Ja, das wäre natürlich was! Stattdessen wird es Mädchen heute wieder schmackhaft gemacht, Prinzessinnen zu sein. Blaues Spielzeug für die Jungs. Rosa Spielzeug für die Mädchen. Das ist eine Entwicklung, die ich persönlich absolut gruselig finde. Diese ganzen Rollenbilder sollten aus dem Kindergarten verschwinden. Alle Begabungen der Kinder müssen gefördert werden. Unabhängig vom Geschlecht. Ist doch klar, dass Mädchen keine Stärken entdecken können, die nie gefördert wurden. Das Gespräch führte Alexandra Eul. emma.de Themen: Bildung & Beruf Mai/Juni 2014 EMMA 91 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 92 Die Krux mit der Mütterrente Denn die kriegen beileibe nicht alle Mütter. Dafür profitieren vor allem Männer von der Rente mit 63. F ür Mütter, die ihre Kinder vor 1992 bekommen haben, gibt es in diesem Jahr ein zusätzliches MuttertagsPräsent: Am 1. Oktober werden sie pro Kind 28,14 Euro mehr im Monat bekommen. Wer im Osten lebt, erhält mit 25,74 Euro allerdings 2,40 Euro weniger. Das zeigt schon die erste Gerechtigkeitslücke dieser neuen „Mütterrente“ – und leider gibt es noch viel mehr davon. Es ist unbestritten, dass Eltern und insbesondere Mütter in Deutschland besser gefördert werden müssen. Doch die jetzt beschlossene Mütterrente wird dieses Ziel nicht erreichen. Ganz im Gegenteil: Sie ist außerordentlich problematisch. Denn bezahlt wird sie nicht von uns allen über Steuern, sondern durch einen dreisten Griff in die Rentenkassen. Immerhin 80 Milliarden Euro wird die Mütterrente bis 2020 kosten. Weil die Rentenkassen durch die gute Lage am Arbeitsmarkt prall gefüllt sind, hätte zu Anfang dieses Jahres eigentlich der Beitragssatz gesenkt werden müssen. Das hat die Große Koalition verhindert, damit Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) die beiden zentralen Wahlgeschenke der letzten Bundestagswahl verteilen kann: Die CDU/CSU wollten unbedingt die Mütterrente, die SPD bestand auf der „Rente mit 63“ für alle, die 45 Jahre in die Rentenkassen eingezahlt haben. Von der „Rente mit 63“ profitieren fast ausschließlich ohnehin schon besserverdienende männliche Facharbeiter, die nun deutlich früher in Rente gehen können. Von der Mütterrente profitieren ältere Frauen. Wer seine Kinder vor 1992 geboren hat, bekam bislang nur einen so genannten Ent92 EMMA Mai/Juni 2014 geltpunkt für ihre Erziehungsleistung angerechnet. Für ab 1992 geborene Kinder hingegen gibt es drei Entgeltpunkte. Ein Entgeltpunkt ist derzeit rund 28 Euro Monatsrente im Westen und 25 Euro Monatsrente im Osten wert. Jetzt kriegen die Mütter von vor 1992 geborenen Kindern einen Punkt mehr, also zwei Punkte. Erst seit 1986 werden Kindererziehungszeiten überhaupt auf die Rente angerechnet. Das deutsche Rentensystem ist umlagefinanziert: Jeder Erwerbstätige, der einzahlt, spart nicht für sich selbst, sondern zahlt für die jeweilige Rentner-Generation. Ohne Kinder – und damit die künftigen Beitragszahler – bräche das System zusammen. 1986 wurde das „Babyjahr“ eingeführt: Pro Kind wurden jeder Mutter ein Jahr Kindererziehungszeiten angerechnet, und zwar so als ob die Mutter ein Jahr lang das Durchschnittseinkommen verdient hätte. Deshalb der Entgeltpunkt pro Kind. Dass Kindererziehungszeiten eine „wichtige und bestandssichernde Bedeutung für das Rentensystem“ hätten, wurde dann 1992 im so genannten „Trümmerfrauenurteil“ vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich bestätigt. Weil Mütter damals drei Jahre Erziehungszeiten nehmen konnten, wurden deshalb ab 1992 auch ihre Rentenzeiten angepasst – auf drei Entgeltpunkte pro Kind. Die Beiträge für die Mütter musste der Staat dann erst ab 1999 zahlen. Die Wählergeschenke werden heute verteilt. Bezahlt wird morgen oder übermorgen, wenn der geschenkeverteilende Politiker längst nicht mehr im Amt ist. Immerhin wählte die 1999 amtierende rot-grüne Regierung den ordnungspolitisch sauberen Weg und finanzierte die Beitragszahlungen für die Mütterrenten aus Steuern. Denn im Rentenjargon sind das so genannte „versicherungsfremde Leistungen“ – also Renten, denen keine eigenen Beitragszahlungen der Begünstigten gegenüberstehen. Das ist ähnlich wie bei den Rentenzahlungen an Ostdeutsche, die während DDR-Zeiten nicht in die Westkassen einzahlen konnte oder Deutschstämmige aus Osteuropa. Über 80 Milliarden Euro pro Jahr an Steuergeldern fließen deshalb derzeit zusätzlich in die Rentenkassen. 11,6 Milliarden davon, etwas mehr als jeder achte Euro, ist für die Mütterleistungen. Im Prinzip müsste die Rente mit 63 und die Anpassung der Mütterrenten für vor 1992 geborene Kinder also ebenso aus Steuern finanziert werden. Doch dann hätten die Großkoalitionäre entweder die Steuern erhöhen oder irgendwo anders Milliardensummen einsparen müssen. 80 Milliarden Euro werden bis 2020 für die Mütterrente gebraucht, weitere 80 Milliarden Euro werden dann im folgenden Jahrzehnt fällig. So wendeten CDU-Chefin Angela Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel folgenden Trick an: Statt den Rentenbeitragszahlern die in der Rentenkasse angehäuften Milliardenüberschüsse in Form niedrigerer Beiträge zurückzugeben, wird die Rentenkasse für die neuen Wohltaten ausgeplündert. Das aber bedeutet zum Beispiel, dass Selbstständige und Beamte bei der Finanzierung der neuen Renten-Wohltaten außen vor bleiben, weil sie nicht in die Rentenversicherung einzahlen. Geschröpft werden stattdessen die Jungen, die noch besonders viele Zahljahre vor sich haben und zudem nicht wissen, wie viel sie selbst jemals an staatlicher Rente bekommen werden. Eigentlich steigen die Renten im Gleichklang mit den durchschnittlichen Lohnerhöhungen. Nehmen aber die Rentenausgaben „übermäßig“ zu, werden auch die jetzigen Rentner geschröpft: So werden die Rentner über den so genannten „Nachhaltigkeitsfaktor“ rund 1,6 Milliarden Euro der insgesamt 6,5 Milliarden Euro Zusatzkosten in diesem Jahr selbst bezahlen, weil ihre 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:27 Seite 93 DOSSIER ARBEIT Renten weniger stark steigen als die Lohnerhöhungen. Nicht nur die Jungen zahlen für die Alten. Sondern wahrscheinlich wird auch von Rentnern zu Rentnerinnen umverteilt. Denn es gibt mehr männliche Rentner und ihre Renten sind höher. Was angesichts der „Familienzeit“ der Frauen gerecht wäre. Gleichzeitig liegt die durchschnittliche Rentenbezugszeit von Frauen mit derzeit 21,3 Jahren gut vier Jahre höher als die von Männern (16,7 Jahre). Wie auch immer: Erfreulich ist, dass sich die Rente der 9,8 Millionen Rentnerinnen durch die neue Mütterrente erhöht: von durchschnittlich 555 Euro im Monat auf 601 Euro. Bei den 1,5 Millionen Rentnerinnen mit drei Kindern stehen dann im Schnitt 558 statt 482 Euro auf dem Rentenbescheid. Das jedenfalls hat Ingo Schäfer von der Arbeitnehmerkammer Bremen ausgerechnet. Am besten stehen sich allerdings nach wie vor Frauen, die keine Kinder hatten und stattdessen erwerbstätig waren: Ihre durchschnittliche Rente liegt schon heute mit 651 Euro deutlich über den Werten, auf die Frauen mit der Mütterrente im Schnitt kommen werden. Grundsätzlich bleibt deshalb die Kernfrage, wie sinnvoll es zukünftig ist, Kindererziehungszeiten in der Rente zu fördern. Was, wenn 1986 statt dem „Babyjahr für die Rente“ ein flächendeckendes, qualitativ hochwertiges öffentliches und kostenfreies Kitasystem aufgebaut worden wäre? Oder wenigstens 1999, als der Bund angefangen hat, tatsächlich Beiträge für die Mütterrente in die Rentenkasse zu zahlen? Dann hätte so manche Mutter, die heute auf RentenAlmosen angewiesen ist, einfach vollzeit berufstätig sein können. Weit mehr Frauen (und Männer) hätten Kinder, Familie und Beruf vereinbaren können. Weit weniger Frauen hätten die gebrochenen Erwerbsbiografien von heute, die sie zu armutsgefährdeten Rentnerinnen von morgen machen. Und vielleicht gäbe es sogar deutlich mehr Nachwuchs als die 1,39 Kinder, die Frauen im Schnitt seit Jahrzehnten bekommen. MARGARET HECKEL Das Leid mit den Pflegeberufen Pflegeberufe werden so schlecht entlohnt, weil Pflege Frauensache ist – die das traditionell umsonst machen. 80 Prozent der Fürsorge- und Pflegeberufe sowie 90 Prozent der Familien- und Hausarbeit werden von Frauen geleistet. Die einen werden sehr gering entlohnt, die anderen machen die Arbeit gratis. Da gibt es selbstverständlich einen Zusammenhang – denn warum sollte eine Arbeit, die auch gratis gemacht wird, plötzlich entlohnt werden? Und das auch noch angemessen. Vor allem, da es sich um eine so genannte „Frauenarbeit“ handelt, und Frauen bekanntlich bescheiden sind. Bei den matten Versuchen, die Familienarbeit zwischen Frauen und Männern gerecht aufzuteilen und die Pflegeberufe anständig zu entlohnen – nicht zuletzt, damit auch die Männer rein gehen – begnügt man sich mit wohlfeilen Appellen: an Frauen mit Kindern, ihren Job nicht aufzugeben – und an Arbeitgeber in Krankenhäusern und Altenheimen, ihre Angestellten besser zu bezahlen. Die Konservativen sehen in Wahrheit keinen Grund, die Dinge zu ändern. Die Fortschrittlichen wünschen sich mehr Männer in der Pflege. Keine schlechte Idee. Der Film „Ziemlich beste Freunde“ – in dem ein armer farbiger Pfleger den Rollstuhl eines reichen Adligen schiebt und dem Gelähmten die Lebensfreude zurückgibt – hat gezeigt, wie sinnvoll Männer in der Pflege sein können. Und die feministische Position? Sie ist einfach. Sie verweist darauf, dass Frauen immer schon, seit Jahrhunderten, als Pflegerinnen tätig waren, professionell oder privat, und dass die Gesellschaft ihnen darum endlich die Teilhabe in anderen, interessanten Berufsdomänen schulde. Denn die Fürsorge, um es offen zu sagen, ist über weite Strecken keineswegs so erfüllend, wie gerne behauptet wird, sondern oft belastend, ermüdend und entsetzlich langeweilig. Sicher, es gibt, wenn es um sehr junge Kinder oder sehr alte Menschen geht, immer wieder auch erhabene Momente. Aber die sind selten im Vergleich zu der Monotonie repetitiver Tätigkeiten, die nun mal sein müssen und für die das Personal von Krankenhäusern und Pflegeheimen nur selten Dank erntet – die Ehefrau oder Tochter schon gar nicht. Dennoch geht man davon aus, dass Männer sich nun mal nur für gut bezahlte Posten interessieren, während Frauen „was mit Menschen“ machen wollen und Geld nicht so wichtig finden. Das mag, was die Frauen betrifft, stimmen, ändert sich aber gerade. Den Männern nun geht es keinesfalls immer nur ums hohe Einkommen. Sie wünschen sich interessante Berufe, eine Arbeit, die sie fordert und fördert, ihnen neue Einsichten verschafft und sie was von der Welt sehen lässt. Frauen wünschen eigentlich auch Heraus- forderungen, Erkenntnisse, Gehaltserhöhungen und Reisen, aber sie knicken bei der Berufswahl dann doch reihenweise ein und begnügen sich mit ihrer angestammten Sphäre: der Pflege, der Fürsorge, als Beruf oder als Hobby. Diese Wahl ist nicht Ausdruck der weiblichen Natur, sondern geprägt von dem Vorbild der Mutter und Großmutter. Bevor den Frauen der Arbeitsmarkt offen stand, blieb ihnen neben der ErzieMai/Juni 2014 EMMA 93 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 94 DOSSIER ARBEIT hung ihrer Kinder und der hauswirtschaftlichen Betätigung im weitesten Sinn (Kleinlandwirtschaft usw.) nur die Fürsorge für die Familie. Das war ihre Welt. Und das wirkt nach. Der erste höher qualifizierte Beruf, den Frauen in unserer Zivilisation neben oder anstatt ihrer „natürlichen“ Berufung zur Hausmutter ausüben durften, war die Lehrerin. Darin setzte sich sozusagen die pädagogische Berufung einer Mutter fort. Später folgten dann die Ärztin bzw. die Krankenschwester – eine Mutter musste und muss ja bei Krankheit von Mann und Kindern immer auch erste hausärztliche Hilfe leisten. Die meisten Frauenberufe – wie Schneiderin oder Köchin oder Kindermädchen – sind von der Tätigkeit der Ehefrau und Mutter abgeleitet und führen aus der engen Häuslichkeit als Schauplatz des weiblichen Wirkens nicht hinaus, ob bezahlt oder nicht. Frauen tüteln zu Hause oder in der Kita oder im Pflegeheim rum, Männer befahren die Weltmeere, führen Kriege oder fordern einander verbal auf den Tribünen und Kanzeln der Parlamente, Forschungszentren, Kirchen und Konferenzen heraus. Frauen sind heute schon immer mal dabei, gut so. Aber sie haben noch lange nicht aufgeschlossen, und ihre Neigung zu Pflegeberufen ebenso wie die Scheu der Männer vor diesen Tätigkeiten sind kein gutes Zeichen. Der konservative Einspruch, der auch von so mancher Frau geteilt wird, lautet: Die Erziehung von Kindern, die Pflege kranker oder alter Menschen berge ein großes Potenzial humaner Bewährung und Erfüllung, ob nun daheim beim Säugling oder Großvater oder gegen Bezahlung in der Klinik geleistet. Lassen wir die Schattenseiten der Fürsorge also mal weg und betonen ihren menschlichen Wert: Was spricht dann dagegen, dass auch Männer sich in dieser wunderbaren Sphäre tummeln? Zumal wir spätestens seit „Ziemlich beste Freunde“ wissen, dass sie sich zur Pflege eignen? Gerade deshalb, weil sie unverblümter an die Aufgaben rangehen, da ihnen der von Frauen seit Jahrhunderten eingeübte TherapeutenSprech abgeht. 94 EMMA Mai/Juni 2014 „Wir brauchen eine Männerquote für die Pflegeberufe! Und Zurückhaltung der Frauen.“ Die Professionalisierung von Fürsorge und Pflege wird zunehmen. Also wäre eine Elementarbildung in diesem Bereich für alle wünschenswert. Es sollte über ein Schulfach „Pflege“ nachgedacht werden. Die heutigen Curricula orientieren sich noch an der Begeisterung für die Naturwissenschaften aus dem 19. Jahrhundert (Biologie, Chemie, Physik) und waren für die künftige studentische Elite gedacht, sie gehen also an der heutigen Lebenswirklichkeit vorbei. Das Erlernen von Haushaltsführung, Erster Hilfe, Kinderpflege und Altenbetreuung ist angesagt. Für beide Geschlechter. Aus dem freiwilligen sozialen Jahr nach dem Schulabschluss sollte ein verbindliches Pflegejahr für alle werden. Letztendlich kommt die Gesellschaft um eine Männerquote für die pflegerischen Berufe nicht herum, denn es ist die Gewohnheit, die Arbeitgeber in Altersheimen oder Kinderkrippen dazu bewegt, Frauen einzustellen, so wie es auch die Gewohnheit ist, die Chefs dazu treibt, lieber einen Mann als eine Frau zu befördern. Quoten sind dafür da, diese antiquierten Gewohnheiten zu konterkarieren. Das Argument „Es war schon immer so“ kann sich unsere mit dem Pflegenotstand kämpfende Gesellschaft nicht länger leisten. Um der Frauen Willen, die nicht weiterhin auf die Pflegerei als angeblich typisch weibliches Berufsfeld festgelegt werden dürfen. Um der pflegebedürftigen Menschen Willen, die beide Geschlechter um sich haben sollten. Und um der Männer Willen, die ein besseres Gewissen haben werden, wenn sie das Ihre zu der Fürsorge für Kinder, Schwache, Kranke und Alte hinzutun. Gerade die Männer mit ihrer Freude an Rivalität und Mobilität können gewinnen, wenn sie dazu genötigt werden, einem Menschenwesen mit Defiziten – gerade erst zur Welt gekommen und rund um die Uhr der Zuwendung bedürftig, oder krank, drogensüchtig, wahnsinnig, suizidal, steinalt, bewegungsunfähig, dement – ihr Ungestüm zügeln müssen beim Zuhören am Krankenbett, beim Füttern, Waschen, Zudecken und Trösten, und erfahren, wie fragil, wie verletzlich und bedroht das menschliche Leben ist, wenn es ohne Hilfe und Fürsorge sich selbst überlassen bleibt. Zumal sie ja mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit eines Tages auch selber erneut in die Lage kommen werden, Pflege und Hilfe zu benötigen. Dem steht die schlechte Bezahlung der pfle- gerischen Berufe entgegen. Doch da wir einen Pflegenotstand haben, müsste den Marktgesetzen folgend der Lohn der Erziehenden und Pflegenden steigen. Was die Berufe für Männer akzeptabler machen würde. Da kommen nun aber Arbeitssuchende aus dem europäischen Osten dazwischen, die berühmte Polin, und die Aufwärtstendenz der Löhne wird wieder gestoppt. Hier könnte nur der politische und gewerkschaftliche Wille helfen. Zeit, die Politik wachzurütteln, damit auch sie begreift: Pflegerische Berufe dürfen nicht länger Frauensache bleiben, die Männerquote muss her. Und das soziale Jahr für alle. BARBARA SICHTERMANN Von der Autorin erscheint gerade: „Vorsicht Kind – Eine Arbeitsplatzbeschreibung für Mütter, Väter und andere“ (Wagenbach, 10.90 €). Robert Haas 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 95 Wir müssen bluffen lernen „Frauen, wir sollten nicht länger die besseren Menschen sein wollen – aber die besseren Männer werden.“ ANNETTE C. ANTON … und genau so mittelmäßig, aufgeblasen und von uns selbst überzeugt sein wie die Männer. L ook like a lady, act like a man, work like a dog. Dieser Spruch stand auf meinem ersten Bürobecher und hat mich während meiner frühen Berufsjahre mehr beeinflusst als irgendein Chef, geschweige denn ein weibliches Vorbild, das es ohnehin nicht gab. Wir schreiben die späten 80er Jahre, und die Frauen in meinem Arbeitsumfeld kochten Kaffee, schrieben Protokoll und übertrugen die handschriftlichen Notizen der als genialisch erachteten Cheflektoren „ins Reine“. Der Spruch auf der Tasse war zudem der ferne Widerhall eines Satzes, den meine Professorin an der Uni mir mit auf den Weg gegeben hat: „Vergessen Sie eine akademische Karriere: Sie müssen doppelt so viel arbeiten wie jeder Mann, um dann als halb so gut wahrgenommen zu werden. Dann werden Sie feststellen, dass genau das nicht ausreicht. Sie werden mit Sicherheit scheitern. Wozu sollte das alles gut sein?“ „Und wozu war es bei Ihnen gut?“ fragte ich verunsichert zurück. „Bei mir ist das ja wohl etwas anderes“, bürstete sie mich schroff ab, und damit war das Gespräch beendet. Ich war damals Mitte zwanzig und blieb nach dieser wenig motivierenden Unterhaltung einigermaßen verstört zurück. Jahre brauchte ich, bis ich begriff, Mai/Juni 2014 EMMA 95 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 96 DOSSIER ARBEIT dass es eben gar nichts anderes bei ihr war. Diese Professorin war die fleischgewordene Botschaft der Bürotasse und zu „act like a man“ gehörte bei ihr, dass man andere – auch wenn sie nur kleine Studentinnen waren – einschüchterte und wegbiss. (Jeder Professor männlichen Geschlechts an der Uni hat mich damals übrigens mehr ermutigt, eine akademische Laufbahn einzuschlagen als diese Frau.) Überzeugt, dass aus mir sowieso nie etwas werden würde, landete ich in einem quasi nicht bezahlten Verlagsjob, wo dieselben universellen Regeln galten wie in der akademischen Welt. Regeln, die man in Kurzform auf einen Becher schrieb, der täglich auf meinem übervollen Schreibtisch vor mir stand und seine Botschaft in mein Hirn brannte. Irgendwann fiel mir die Tasse runter und zerbrach, aber ihre Lebensweisheit hatte ich längst verinnerlicht, vor allem den letzten Part. Tatsächlich arbeitete ich in den ersten 15 Jahren meines Berufslebens wie ein Hund und war überzeugt, das müsse so sein. Und zwar nicht, um eine grandiose Karriere zu machen und alle weit hinter mir zu lassen, sondern um grade mal so mitzukommen und den Anschluss nicht zu verlieren. Ich war überzeugt, dies sei der Lauf der Arbeitswelt und anders könne sich mein Berufsleben gar nicht abspielen. Zudem gab die Wirklichkeit mir recht: Alle anderen Frauen in meinem Umfeld, die es zu etwas bringen wollten (oder ganz selten auch mal brachten), arbeiteten ebenfalls nahezu rund um die Uhr und riskierten Gesundheit und Partnerschaft. Ohne sie zu hinterfragen, hatte ich die Maxime übernommen, dass die Grundvoraussetzung für den Konkurrenzkampf mit Männern so aussah, dass man als Frau immer besser sein musste, als sie es waren. Viele Frauen in meiner Branche waren wirklich sichtbar besser als die männliche Konkurrenz, das heißt sie waren klüger, trafen die besseren Entscheidungen, hatten den richtigen Riecher für Autoren, Stoffe, Konzepte, Bücher. Nur um dann festzu96 EMMA Mai/Juni 2014 stellen, dass es den männlichen Kollegen nicht im Traum einfiel, mit ihnen in den Ring zu steigen. Sie saßen ja schon auf den Chefposten, ließen sich die Butter nicht vom Brot nehmen und förderten andere Männer. Die Frauen blieben die ewigen zweiten Sieger oder gaben frustriert auf. So weit der Teil „work like a dog“. Aufschlussreich wird es bei „act like a man“. Ich kenne nur eine einzige Kollegin, die das versucht hat. Ihr Ego war so groß wie ein Haus, obwohl sie nach anderthalb Jahren auf ihrem Cheflektorenposten keine Erfolge vorzuweisen, dafür aber viel Geld durch absurd hohe Honorare und falsche Auflagenplanung versenkt hatte. Sie kam jeden Tag unangenehm spät zur Arbeit, ging dafür früher und gönnte sich in der verbleibenden Zeit ausgedehnte Mittagessen mit Autoren und Agenten. Ihre große Stärke bestand in der Selbst-PR, während Disziplin, Fleiß und Gewissenhaftigkeit ihr als Eigenschaften für Verlierer galten. Interessanterweise gab es im Unternehmen mindestens ein halbes Dutzend Männer, die ihr in all dem zum Verwechseln ähnlich waren. Aber während diese Männer sich alle halten konnten, schleuderte es meine Kollegin ins berufliche Aus. Auf gezieltes Mobbing folgten Abmahnungen und schließlich die Kündigung. Schneller, gründlicher und nachhaltiger habe ich nie wieder jemanden scheitern sehen. „Viele Frauen in meiner Branche sind klüger und treffen bessere Entscheidungen als Männer.“ Eine unter Männern gängige Karrierestrategie hatte für sie nicht funktioniert. Alles an ihr wurde als das entlarvt, was es war: leere Worte, falsche Behauptungen, Planlosigkeit, Erfolglosigkeit. Spätestens jetzt werden Sie sich fragen: Warum sollten Männer nicht entlarvt werden, wenn sie nichts auf dem Kasten haben? Die Antwort ist ganz einfach: Weil andere Männer dieses System aus heißer Luft stützen – manchmal sogar so lange, bis es an Substanz gewinnt. Nur so ist es doch zu erklären, warum auch die größten Has-beens immer wieder aus der Geisterbahn geholt, abgestaubt und in ziemlich guten Posten reinstalliert werden. Dort können sie dann genau die Fehler wiederholen, die ihre vorigen Unternehmen in die Schieflage oder gar die Pleite gebracht haben: Fehlplanungen, keine oder die verkehrte Strategie, negative Geschäftsergebnisse, vernichtetes Kapital. Inzwischen sind fast 15 Jahre vergangen, und ich habe nicht den Eindruck, dass sich die Geschäftswelt so grundlegend gewandelt hätte, dass die Schaumschlägernummer meiner ehemaligen Kollegin jetzt von Erfolg gekrönt wäre. Und genau an diesem Punkt fordere ich Sie jetzt auf, gemeinsam mit mir eine neue Denkfigur zu wagen: Wäre es denn nicht herrlich gerecht, wenn es aber so wäre? Was, wenn die Blenderin jetzt damit durchkäme und mit diesem Verhalten ihren Machtanspruch geltend machen könnte? Wäre das nicht ganz wunderbar? Würde denn das nicht bedeuten, dass wir Frauen in der Berufswelt endlich oben angekommen sind? Ich will mich der Denkfigur noch auf einem anderen Weg nähern, damit Sie sehen, was ich meine. Kürzlich war ich beim Vortrag eines Unternehmensberaters. In der anschließenden Diskussion wurde er auch zur Frauenquote befragt und sprach sich dagegen aus. „Ja, aber wie soll es denn dann jemals etwas mit den weiblichen Karrieren werden?“ fragte ihn eine der vier anwesenden Frauen, wäh- 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 97 rend die etwa vierzig Männer gelangweilt guckten. Der Berater schaute kurz ratlos und bot dann an: „Vielleicht muss eine Frau mal so schweinegut sein, dass das Geschlecht keine Rolle mehr spielt?“ Da war sie wieder, die Botschaft meiner Bürotasse: Look like a lady, act like a man, work like a dog. Und in dem Moment wurde mir schlagartig klar, dass das nun genau nicht – oder nicht mehr länger – die Lösung sein kann, die wir akzeptieren sollten. „Schweinegut“ sind mittlerweile sehr viele Frauen. Und hat es uns was gebracht? Natürlich nicht. Noch immer sind Frauen in Toppositionen und Chefetagen unterrepräsentiert und haben in der Wirtschaft zu wenig Macht und Einfluss. „Schweinegut“ zu sein ist also definitiv nicht das Gegenmittel, das hier Abhilfe schafft. Und zwar ganz sicher nicht etwa deshalb – wie ein paar Optimistinnen glauben –, weil wir die Männer durch unsere Überlegenheit so stark einschüchtern, dass sie uns nicht nach oben kommen lassen oder bewusst ausgrenzen. Alles Quatsch: Sie nehmen uns überhaupt nicht wahr! Damit sich das ändert, sollten wir doch – statt uns weiter auf der nach oben offenen „schweinegut“-Skala abzuzappeln – ab sofort genauso mittelmäßig, aufgeblasen und von uns selbst überzeugt sein wie die Männer. Wir können auf der Stelle damit aufhören, uns nach der gläsernen Decke zu strecken. Ich schlage statt dessen vor, dass jede Frau, die sich auch nur im entferntesten dazu berufen fühlt, von nun an Karriereambitionen entwickelt, und zwar ohne zuerst zu fragen: Bin ich eigentlich qualifiziert genug und kann ich das überhaupt? Klar bist du! Und ja, kannst du! So ist die erste Hürde schon genommen. Dann müssen nur noch die Ellbogen ausgefahren werden, die Skrupel können über Bord gekippt und jegliche Zurückhaltung aufgegeben werden. Vor einem löchrigen Hintergrund mangelnder Kompetenzen sollten wir uns aufführen, als ob „Hat denn die Strategie des Sichfleißig-Hocharbeitens und Es-allenRecht-Machens etwas gebracht?“ wir mit unserem Handeln täglich die Welt aus den Angeln heben. Und das ziehen wir bitte mit allem Drum und Dran durch: nicht mehr zuhören, die meiste Redezeit in Meetings selbst beanspruchen, empathielos durch die Gegend stoffeln, haltlose Behauptungen in die Welt setzen, ein von der tatsächlichen Hierarchiestufe unabhängiges Chefgehabe an den Tag legen und die eigene Wichtigkeit wie eine Monstranz vor sich hertragen. Das schaffen Sie nicht? Und ob! Es ist leichter, als Sie denken, lässt sich bei den männlichen Kollegen täglich abschauen, und der schnelle Erfolg wird Sie in Ihrem Tun in Nullkommanix bestätigen. Wir haben uns den zweiten Schritt, wie er auf dem Kaffeebecher geschrieben stand, vielleicht in der Vergangenheit falsch ausgelegt. „Act like a man“ bedeutet, dass wir uns genauso nach oben rüpeln und improvisieren sollen, wie das andere Geschlecht dies seit Jahrzehnten praktiziert. Dazu gehört auch: Andere Dumme finden, die die eigentliche Arbeit erledigen, deren Erfolg Sie dann einheimsen. Sie finden diesen Ansatz verwerflich, allein schon in Gedanken? Kann ja sein, aber hat denn die Strategie des Sich-fleißig-Hocharbeitens und Es-allen-Rechtmachens etwas gebracht? Wo stehen Sie denn heute – und wo könnten Sie sein? Na also. Nicht besser zu werden als die Männer sollte unser Ziel sein, sondern genauso schlecht. Das wäre die wahre Gleichberechtigung in der Arbeitswelt und besser als jede Quotenregelung. Nur so schaffen wir es erstmal hinein in den ganzen Zirkus. Dabei sein ist alles. An einer besseren Welt können wir später noch arbeiten. Überhaupt: Die Sache mit der besseren Welt. Ist das nicht ein ganz grundlegendes Missverständnis, das dem Thema „Gleichberechtigung am Arbeitsplatz“ zu Grunde liegt? Wir brauchen die Gleichberechtigung, um die gleichen Machtansprüche und Gehaltsanforderungen geltend machen zu können, aber naiv ist es doch zu glauben, dass Frauen nach ethischeren Prinzipien arbeiten als Männer. Warum sollten sie? Überall da, wo Frauen wirklich mächtig sind, wirken sie in quasi geschlechtsloser Weise von Maggie Thatcher bis Angela Merkel, von Carly Fiorina bis Meg Whitman. Oder kann mir jemand nachweisen, dass eine Entscheidung, die diese Frauen getroffen haben, besonders gut war, weil sie besonders weiblich war? Wohl kaum und das wäre ja – ehrlich gesagt – auch alarmierend. Statt zu behaupten, dass wir die besseren Menschen sind, sollten wir hart daran arbeiten, dass wir erst mal in die Posten kommen, wo wir die gleichen kapitalen Fehler machen können wie Männer und ebenfalls ganz berauscht sind von der Quadratmeterzahl unseres Büros, dem grandiosen Titel auf der Visitenkarte, dem Hubraum unseres Dienstwagens und der beeindruckenden Zahl auf dem Gehaltszettel. Denn das Ziel sollte doch sein, dass nach dem Geschlecht keiner mehr fragt. Das geht aber nur, wenn auch wir uns vollkommen darüber hinwegsetzen. Frauen, wir müssen uns von der Idee verabschieden, dass wir die besseren Menschen sind. Aber die besseren Männer, die könnten wir doch sein. ANNETTE C. ANTON Mai/Juni 2014 EMMA 97 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 98 Mutter Suse und Vater Micha mit Tochter Meta – der scheint das Experiment Spaß zu machen. – Fotos: Verena Mörath Wir sind echte 50/50-Eltern! Zumindest versuchen wir es ernsthaft. Auch wenn er noch einen gewissen Verantwortungs-Nachholbedarf hat, geht sie schon munter Party machen. Suse Vor der Geburt unseres Kindes hatten Micha und ich exakt die gleichen Möglichkeiten, wir waren ein Mann und eine Frau, junge unabhängige Menschen, wir konnten tagtäglich machen, was wir wollten und wann wir es wollten. Wir waren selbstständig, beziehungsweise freiberuflich tätig, konnten dementsprechend ausschlafen, spät ins Bett gehen, arbeiten, nicht arbeiten, verreisen, Party machen, nüscht machen. Nach der Geburt würde sich das ändern – klar, das hatte man ja schon bei anderen mitbekommen. Aber schon Monate vorher schlich sich bei mir der Verdacht ein, dass das nur zu Lasten einer Person gehen würde – meiner. Es sei denn, wir fingen sofort an, unser Leben nach der Geburt zu besprechen, zu planen, zu organisieren. 98 EMMA Mai/Juni 2014 Micha Ich hasse es, Verantwortung zu übernehmen. Ich schlafe gern aus. Ich lebe gern nach meinem eigenen Zeitplan. Ich kann nicht kochen. Ich räume nie auf. Und ich finde dieses Leben gut und habe überhaupt keine Lust mich in puncto Lebensqualität auf irgendwelche Kompromisse einzulassen. Suse Als ich schwanger wurde, waren Micha und ich seit einem Jahr und drei Monaten ein Paar, wir wohnten jeder in einer WG, ohne Kind wären wir nie zusammen gezogen. Das wäre bis dahin – zart formuliert – eine Horrorvorstellung gewesen. Mit Micha zu wohnen ist nicht gemütlich, denn er mag es zwar heimelig, aber er ist nicht bereit, irgendwas dafür zu tun. Das bedeutet: Micha kocht nie. Micha geht für jede Mahlzeit essen und wenn nicht, dann schmiert er sich (selten) ein Brot. Micha ist ein Chaot, in seiner damaligen WG kam es zum Eklat wegen seiner Faulheit und Unordnung – die Konsequenz: Micha zahlte eine Putzfrau. Wie sollte ich mit so einem erstens zusammenleben und zweitens ein Kind aufziehen?! Der war doch selber noch ein Kind! Unter diesen Umständen war es programmiert, dass ich zu Hause zur „meckrigen Mutti“ werden würde, bzw. gemacht werden würde. Ich, der wandelnde Vorwurf, Micha, das wandelnde schlechte Gewissen. Davor hatte ich Angst. Denn was würde vermutlich geschehen: Ab dem ersten Tag nach der Geburt wäre ich die Melkmaschine, das Versorgungstier, würde nur zwei Stunden 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 99 DOSSIER ARBEIT am Stück schlafen und das mindestens vier Wochen lang bzw. ohne dass ein Ende abzusehen ist. Parallel müsste ich Micha zu jeder Haushaltstätigkeit auffordern müssen und loben für die Erledigung. Aber das will ich alles nicht! Ich will ihm nicht sagen, was zu tun ist, ich will, dass er das selber sieht! Ich sehe es doch auch! Und: Ich krieg doch nicht alleine dieses Kind. Er kriegt es doch auch. Also sollten sich gefälligst zwei Leute Gedanken darüber machen, was zu tun ist, um es zu versorgen. Micha Als Suse im sechsten Monat schwanger war, dämmerte mir so langsam, dass mein schönes Leben durch das kommende Kind bald zu Ende sein würde. Alle Welt erklärte mir süffisant lächelnd, dass mit einem Kind nun mal das wilde Leben vorbei und die durchfeierten Nächte gezählt seien. Ich fühlte mich wie kurz vor der Einlieferung in den Knast. Durch meine Faulheit und meine zu Hause erlernte Macho-Art würde zwischen Suse und mir ein „Regime des schlechtes Gewissens“ entstehen und zusätzlich zur knapper werdenden Zeit müssten wir nervige, liebestötende Gespräche über die Unausgewogenheit der Haushalts- und Kinderpflichten führen. Bei aller Liebe: Das würde zur Trennung führen. Suse meinte: „Eigentlich stelle ich es mir einfacher vor, wenn ich das Kind allein aufziehe. Dann müsste ich mir nicht zusätzlich noch Gedanken um die Beziehung machen.“ An diesem Punkt hätte alles schon enden können – hat es aber zum Glück nicht. Wir haben aus der Erkenntnis eine Idee gemacht: Lass es uns doch genau so machen! Jede und jeder ist einen Tag lang wie „alleinerziehend“ – und am nächsten Tag ist der/die andere dran! Unser „Modell“ war geboren – noch vor dem Kind! Suse Wie oft habe ich – von Freundinnen, Kolleginnen und Hebammen, darunter Eltern und vor allem jede Menge Nichteltern – zu hören bekommen: Aber „das Kind gehört doch zur Mutter …“, die „enge Bindung aus dem Mutterleib kann ein Vater nicht ersetzen …“ Bei keinem anderen Thema hatte ich bisher erlebt, wie begeistert und mit wehenden Fahnen junge, aufgeklärte, moderne Großstädterinnen mich in traditionelle Rollenklischees schicken wollten. Ich weiß jetzt: Es gibt keinen Unterschied zwischen dem Vater und mir. Außer dass ich stillen kann und er nicht. Ein Detail! Unser Modell Wir haben angefangen, uns Regeln fürs Zusammenleben und Elterndasein aufzustellen. Wir teilen uns die Kinderbetreuung tageweise: Montag Micha, Dienstag Suse, Mittwoch Micha, Donnerstag Suse und so weiter. Also hat einer in der einen Woche drei und in der nächsten vier Tage kinderfrei. Wer das Kind hat, muss ausnahmslos alles tun, was zu Haushalt und Kind gehört: Wickeln, Füttern, Bespaßen, Aufräumen, Einkaufen, Putzen, Waschen ... „Schichtwechsel” ist um 20 Uhr. Das heißt, wenn das Kind um 19:55 Uhr schreit, ist eineR dran, um 20:05 der oder die andere – ohne dass ein Wort darüber verloren werden muss. gern gesehenen Ausgleich zum vorherigen Arbeitstag versteht, sondern es bietet ihr auch eine breitere Palette an Role Models. Wir denken, dass wir durch unsere Aufteilung der Kinderbetreuung unserer Tochter glaubwürdig vorleben, dass es normal ist, dass Männer und Frauen sich gleich viel und gut um Kinder kümmern; dass außerdem beide Geld verdienen und beide ein individuelles Leben führen können. Das Thema Zusammenwohnen hat sich Micha Ja – die Kindertage sind eine willkommene Abwechslung, aber meine Nicht-Kindertage sind mir dennoch lieber – sie sind stressfreier. Ich hatte also die Wahl: Entweder würde ich meine Freiräume täglich und mühselig gegen Suse erkämpfen müssen und das Kind würde sich immer wie eine Last anfühlen, oder ich gäbe freiwillig die Hälfte meiner Zeit ab, um die andere Hälfte komplett frei zu verbringen. Ich habe mich für Letzteres entschieden und bekomme dafür die Möglichkeit, garantiert jeden zweiten Tag nur das zu tun, was ich möchte, ohne mich mit jemanden abzustimmen oder für etwas rechtfertigen zu müssen. überraschend problemfrei entwickelt. Micha bezahlt eine Putzkraft und kauft sich so von drohenden Ordnungs-Diskussionen frei. (Keine emanzipatorische, aber vorerst eine Lösung.) Dann hat bei uns jedeR sein eigenes Zimmer mit eigenem Bett – das schafft Rückzugsraum und macht das Zusammenschlafen im Vergleich zur alternativlosen Ein-Bett-Variante zu etwas Besonderem. Dieses tageweise Abwechseln geht natürlich nur, weil wir beide selbstständig bzw. freiberuflich sind. Suse als freie Journalistin, Micha mit einer eigenen Internetfirma. Beide können wir selbst wählen, an welchen Tagen wir arbeiten. Wir verdienen durchschnittlich, zahlen wenig Miete und halten nicht viel von Konsum. Auf der einen Seite soll also unser Modell Gerechtigkeit zwischen uns herstellen. Aber wir glauben, dass auch unsere Tochter davon profitieren wird. Nicht nur, dass sie jeden Morgen ein ausgeschlafenes Elternteil vorfindet, das den neuen Tag mit ihr als Suse Nachdem wir vier Wochen mit dem Säugling zu Hause ein Leben wie unter der Käseglocke gelebt haben, ich alle drei Stunden gestillt habe, Micha sie gewickelt, Tee gekocht, wir geschlafen, gegessen, Besuch empfangen, wieder gestillt und gewickelt haben … machte sich langsam ein ordentlicher Koller breit – Zeit für unser Modell. Aber auch wenn meine Ausflüge wegen des Stillens zeitlich stark eingegrenzt waren, gab es jeden zweiten Tag welche. Ich ging zum Sport, ins Kino, in Buchläden, ins Restaurant essen, traf mich mit FreundInnen. Und ich fühlte mich nur die ersten paar Male ein bisschen komisch und dann immer selbstverständlicher. Ein ungutes Gefühl hab ich eigentlich immer nur dann bekommen, wenn Leute fast schon entsetzt reagiert haben, wenn sie mich ohne Kind sahen. Im Laufe der Monate verkehrte sich dieses Entsetzen bei meinen Gegenübern in so eine Art Respekt: „Toll, dass du ausgehst, obwohl Mai/Juni 2014 EMMA 99 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 100 DOSSIER ARBEIT dein Kind erst drei Monate alt ist!“ Jedes einzelne Wort in diesem Satz bitte ich euch, auf der Zunge zergehen zu lassen und anschließend zu überlegen, ob ein junger Vater so einen Satz jemals zu hören bekommen hat. Micha Seitdem Suse schwanger war, hatte ich vor folgender Situation Angst: Wir sitzen beide am Abend zu Hause, sie stillt das Kind. Ich will eigentlich mit meinen Freunden in die Kneipe. Ich kann ja nicht stillen und eigentlich nichts tun. Ich traue mich aber nicht zu gehen, weil ich Suse nicht das Gefühl geben will, dass ich sie alleine lasse. Wenn ich doch gehe, kann ich den Kneipenabend nicht genießen und werde aus schlechtem Gewissen früh wieder zurückkommen … Was mir den Spott der Kumpels einbringt: „Ja, ja, Papa muss nach Hause“. Diesen Zustand nenne ich „Regime des schlechten Gewissens“, ich habe ihn schon bei vielen Familien beobachtet. Mit unserer Aufteilung kann es dieses Problem nicht geben. Denn sie regelt, wer an welchem Tag verantwortlich ist. Sätze wie „Kannst du bitte jetzt mal wickeln, ich hab‘s die letzten drei Mal gemacht!“, gibt es bei uns nicht. Unsere klare Teilung sorgt dafür, dass ich jeden zweiten Tag komplett frei bin und an diesen Tagen mein altes Leben, das ich so liebte, leben kann. Suse Ich erinnere mich noch sehr gut an mein allererstes Ausgehen am Abend. Die Geburt war drei Wochen her, es war ein warmer Frühlingsabend. Ich bin mit einer Freundin verabredet, wir trinken Limobier am Landwehrkanal. Mein erster Alkohol, mein erster Zug an der Zigarette meiner Freundin … Ich bin aufgeregt und fühle mich, als wäre ich trotz schwerer Grippe mit Fieber auf eine Technoparty gegangen. Denn ich bin Mutter. Seit nicht ganz vier Wochen. Eine Bekannte mit sieben Monate altem Baby in der Manduka und alkoholfreiem Getränk in der Hand läuft vorbei, genau in dem Moment, als ich (den) einen (einzigen) Zug von der Zigarette nehme: „Wo ist denn dein Kind?“ – „Zu Hause, Micha und ich mussten mal raus. Meine Schwester babysittet.“ Ertappt hebe ich zu meiner Verteidigungsrede an: „Ja, das ist total cool, ich weiß ja genau, wann Meta immer trinkt, da kann ich gut planen und zwischendrin wacht sie auch nicht auf und für den unwahrscheinlichen Fall, dass doch, bin ich ja in fünf Minuten zu Hause.“ Zur perfekten Rabenmutter werde ich, als eine weitere Bekannte mich direkt begrüßt mit: „Äh, du sitzt hier, trinkst Alkohol und wo ist dein Kind!?“ Ich erkläre es, bekomme wieder einen befremdeten Blick zur Antwort, daraufhin ein schlechtes Gewissen, radele mit Herzrasen viel früher als geplant nach Hause und atme erst auf, als sich die Wohnungstür hinter mir schließt. Denn nur hier gehöre ich hin – so die Botschaft dieses Abends. „Ich gehe vollkommen auf in meiner Mutterrolle – jeden zweiten Tag.“ SUSANNE BRUHA 100 EMMA Mai/Juni 2014 Micha Wenn jemand monate- oder jahrelang rund um die Uhr so gut wie allein ein Kind betreut, dann macht das was mit der Person. Das Kind wird Lebensinhalt Nummer eins. Und dann reden diese Mütter über die Konsistenz der Kinderkacke, über Milchflaschensysteme und die Eigenarten der Kleinen. Bei uns war das so: Suse und ich redeten mit Inbrunst über die Konsistenz der Kinderkacke! Weil es uns ja beide jeweils jeden zweiten Tag betraf. Aber: Wir führten jeder auch noch unser altes Leben. Suse macht und ist immer noch all das, weshalb ich mich damals so unsterblich in sie verliebt habe. Wir entdeckten also ein Thema (das Kind) gemeinsam und erhielten uns gleichzeitig die ursprüngliche Basis unserer Beziehung (unser altes Leben). Eigentlich kam uns unser Aufteilungs-Modell gar nicht außergewöhnlich vor. Doch die Reaktionen unseres Umfelds waren unerwartet heftig. Anstatt sich unsere Ideen anzuhören, haben uns Freunde, Bekannte und Familien belächelt und gesagt: „Das klappt auf Dauer eh nicht“. Meine Mutter kommentierte: „Das ist doch Quatsch! Einer muss das Geld verdienen, der andere das Kind betreuen“ – obwohl sie selbst neben drei Kindern und einem Haushalt auch immer eine eigene Firma gemanagt hat. Wenn ich mit Meta kurz nach der Geburt allein unterwegs war, haben mich Freunde vorwurfsvoll gefragt, wo denn die Mutter sei. Später, als langsam Gewöhnung eintrat, kam die Frage, ob ich heute wieder „die 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 101 Mutti machen“ würde. Nein, ich bin der Vater. Suse Je älter das Kind wird, desto entspannter werden die Reaktionen von außen. Ich habe diese Mutterrolle angenommen und ich hab sie so gern angenommen! Ich liebe dieses Kind, ich bin wahnsinnig gerne seine Mutter. Ich habe es neun Monate gestillt, ich koche gesunden Gemüsebrei, ich kaufe, obwohl wir Berge von Klamotten aus der Verwandtschaft bekommen, ständig Klamotten im Secondhandladen nach, ich lese ihr Bücher und sing ihr Lieder vor, lerne Ukulele für sie (und mich), bin stundenlang mit ihr im Tragetuch spazieren gegangen, damit wir uns möglichst nah waren und verbringe die gleichen Stunden heute mit ihr auf den Spielplätzen dieser Stadt. Ich gehe auf in dieser „Mutterrolle“. Jeden zweiten Tag. Micha Wenn wir unser Modell erklären, stellt das Gegenüber aller Wahrscheinlichkeit nach diese Frage: „Macht ihr dann nie etwas gemeinsam?“ Anfangs haben wir uns über diese Frage gewundert und geantwortet: „Na klar, warum denn nicht? Wir sind doch beste Freunde und machen gern vieles zusammen.“ Aber nach einem Jahr müssen wir differenzierter antworten. Die Hürde ist größer geworden, freie Zeit für Familien- oder Paar-Aktivitäten abzugeben. Zwar trennen wir unsere Romantik von der Alltagsorganisation und laufen damit weniger stark Gefahr, dass im Namen der Liebe Erwartungen, Verpflichtungen und Ungleichheiten entstehen. Aber auch nach einem Jahr abwechselnder Kinderbetreuung fühle ich mich noch immer weniger verantwortlich für das Projekt Familie. Das führt zu Konflikten und äußert sich darin, dass es eben Suse ist, die sich informiert, welches Essen Meta als nächstes gegeben werden kann, welche Kleidergröße sie aktuell hat und ich zwar häusliche Aufgaben übernehme, Suse sie mir aber auftragen muss. Suse Unser Kind ist jetzt über ein Jahr alt und ich kann leider nicht behaupten, wir wären mit unserem Modell im Paradies der Gleichberechtigung angekommen. Wir haben immer noch ständig mit „Arbeitsteilungsproblemen“ zu kämpfen. Mit dem Modell haben die aber nichts zu tun. Das mit der Zeiteinteilung funktioniert super. Aber während ich alles, was das Kind betrifft, in mein Leben integriere und gerne Klamottenberge der neuen Kindergröße sichte und sortiere, Breie aus Biogemüse koche und einfriere, Metas Wäsche eben wasche, wenn ihr Wäschekorb voll ist, einen Fahrradsitz besorge, ein größeres Kinderbett, Windeln kaufe und eine neue Trinkflasche, Sauger auskoche und Schnuller, währenddessen macht Micha von all dem einfach nichts. Und wenn, dann nur nach mehrmaliger Nachfrage und Aufforderung, was immer öfter zu einem „dann kann ich es auch gleich selber machen“ und dementsprechend schlechter Laune meinerseits führt. Ich werde dann zu der meckrigen Mutti (gemacht), die ich nicht sein wollte. Micha Außerdem haben wir festgestellt, dass selbst eine perfekte 50/50-Aufteilung zwischen uns beiden keine wirkliche Gleichberechtigung bedeuten würde. Denn dadurch, dass die Gesellschaft von Frauen eher erwartet, sich um die Kinderaufzucht zu kümmern als von Männern, hat Suse nicht die gleiche Verhandlungsposition. Anders gesagt: Ich fühle mich oft so, als wäre ich ja schon sehr gnädig, dass ich die Hälfte meines Lebens abgebe. Denn das ist vielleicht mehr, als der Durchschnitts-Vater gibt, aber kommt bei Suse als Argument natürlich nicht an. Nach einem Jahr haben wir also ein Bewusstsein für eine gleichberechtigte Elternschaft gewonnen; aber Gleichberechtigung herrscht leider noch nicht. SUSANNE BRUHA UND MICHAEL BOHMEYER Weiterlesen Der Text ist ein gekürzter Auszug aus „The Mamas and the Papas – Reproduktion, Pop & widerspenstige Verhältnisse“ (Hrsg: Annika Mecklenbrauck und Lukas Böckmann, Ventil Verlag, 14.90 €) Im Netz www.femilyaffair.de „Mit unserer Aufteilung gibt es kein ‚Regime des schlechten Gewissens‘. Aber noch Verbesserungsbedarf.“ MICHAEL BOHMEYER Mai/Juni 2014 EMMA 101 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 102 Liebe Elisabeth Niejahr, liebe ZEIT! S ie haben im März in der ZEIT einen Offenen Brief an mich geschrieben: „Liebe Alice Schwarzer!“. Hier nun meine Antwort. Ihren Brief habe ich zwei Mal gelesen. Ich konnte es zunächst einfach nicht fassen. Und nun weiß ich nicht so recht, ob ich darüber lachen oder weinen soll. Denn Sie unterstellen ausgerechnet mir allen Ernstes, ich und EMMA, wir hätten uns noch nie für die „ökonomische Gleichstellung von Mann und Frau“ interessiert, sondern immer nur „für Sex“. Was Sie unter „Sex“ verstehen, darauf komme ich noch. Reden wir zunächst von der Ökonomie. Sie veröffentlichen Ihren Text, in dem Sie meine Arbeit und mein Engagement beurteilen, mit so viel demonstrativer Unbefangenheit wie unübersehbarer Unkenntnis. Denn aus Ihrer Argumentation muss ich schließen, dass Sie noch nie einen Text von mir gelesen haben und ebenso wenig jemals die EMMA. Was Ihr gutes Recht ist. Nur sollten Sie in diesem Fall dann nicht darüber befinden, was ich vertrete und was nicht. Ich bin nicht die Frauenbewegung. Und es handelt sich auch nicht um meine Frauenbewegung. Im Feminismus gibt es viele, auch kontroverse Stimmen. Ich verantworte ausschließlich das, was ich selber schreibe und tue – und was Monat für Monat in EMMA erscheint. Sie, liebe Elisabeth Niejahr, sind Wirtschaftsjournalistin, und zwar eine sehr gute. Viele Ihrer Texte aus den vergangenen Jahren hätte ich gerne genau so in EMMA gedruckt. Aber es freut mich 102 EMMA Mai/Juni 2014 natürlich, dass diese Themen endlich auch in anderen Medien aufgegriffen werden. Endlich. Denn eine Feministin wie ich beschäftigt sich nun seit über vierzig Jahren damit – also schon zu einer Zeit, als es noch so gar nicht angesagt war. Als ich 1973, vor 41 Jahren, mein Buch mit dem programmatischen Titel „Frauenarbeit – Frauenbefreiung“ veröffentlichte (edition suhrkamp), da standen die meisten Forderungen, die jemand wie Sie heute für neu hält, schon drin: Das Recht auf Berufstätigkeit für Frauen (das wir in Westdeutschland erst 1976 bekamen)! Die Warnung vor den traditionellen „Frauenberufen“! Die Gefahr der Teilzeitarbeit! Die Forderung nach gleichem Lohn für Frauen und Männer! Der Traum von einer gerechten Teilung der Haus- und Kinderarbeit zwischen den Geschlechtern! Zwölf Jahre später legte der Verlag das Buch erneut auf, diesmal unter dem nicht minder programmatischen Titel: „Lohn: Liebe“. Programmatisch, weil eben alles zusammenhängt. Frauen arbeiten gratis in der Familie „aus Liebe“. Frauen stecken zurück im Beruf „aus Liebe“. Frauen träumen seltener von einer Karriere und öfter von der Liebe. Das ist bis heute so. Die ökonomische Frage ist also unlösbar mit der emotionalen Frage verknüpft, und die emotionale Frage mit der sexuellen Frage. Wir kommen nochmal darauf. Die erste EMMA erschien am 26. Januar 1977. Da waren Sie zwölf Jahre alt. Also sei hier für Sie nachgetragen: Von der ersten Ausgabe – bis heute! – ist die Frage der ökonomischen Eigenständigkeit von Frauen, das heißt, ihre Berufstätig- keit, eines der zentralen Themen in EMMA. Denn ich, die EMMA-Macherin, bin der Überzeugung, dass die ökonomische Autonomie für jeden Menschen eine Grundvoraussetzung ist zur Unabhängigkeit, also Voraussetzung jedweder Emanzipationsbestrebung von Frauen (wenn auch nicht zwingend Erfüllung). Vielleicht erschreckt es Sie ja doch, wenn ich Ihnen jetzt sage: Alle Themen, mit denen Sie sich heute so kompetent beschäftigen, hat ausgerechnet EMMA vor Jahrzehnten angestoßen. Oft alleine, aber immer als erste, und meist zunächst verhöhnt und verlacht. Denn bis die Probleme von Frauen ZEITfähig werden, vergehen in der Regel nicht ein paar Jahre, sondern ein paar Jahrzehnte. Konkret: Seit den 70er bzw. 80er Jahren kämpft EMMA für: gleichen Lohn, die 32-Stunden-Woche für Eltern von Kleinkindern, gerechte Steuerklassen, gerechte Renten, mütterliche Väter und alleinerziehende Mütter (wie Sie eine sind). Gehen Sie mal in den EMMA-Lesesaal, in dem 37 komplette EMMA-Jahrgänge stehen, und geben Sie die entsprechenden Stichworte ein. Ihnen wird eine Flut von Artikeln entgegen kommen, aus denen auch Sie, die Expertin im 21. Jahrhundert, zweifellos noch heute viel lernen könnten. Schade eigentlich, dass Sie das nie getan haben. Denn in Kenntnis des bereits Gedachten, Geschriebenen und Getanen, hätten Sie gewiss kühner weiter denken und argumentieren können. Und weder für mich noch für EMMA (die deutsche Frauenzeitschrift mit den 080_103_Dossier_Beruf 09.04.14 20:28 Seite 103 DOSSIER ARBEIT jüngsten Leserinnen) sind diese Themen historisch, denn sie sind ja leider noch lange nicht erledigt, also hochaktuell. In der EMMA (z.B auch in dieser Ausgabe) geht es (mal wieder) um das Dauerthema „Beruf und Familie“ – zahlreiche Ihrer Kolleginnen tragen kompetent dazu bei. Warum also schreiben Sie so etwas? Bzw. warum veröffentlicht Ihre Zeitschrift, die doch den Anspruch auf journalistische Seriosität hat, so etwas? Sie müssten es beide doch besser wissen. Geht es um Diffamation? Oder um Anbiederung? Vielleicht ja um beides. Denn wie sonst könnten Sie sogar so weit gehen, mir zu unterstellen, ich würde über die von Ihnen so genannten „Sexthemen“ aus journalistischem Kalkül schreiben, weil man damit „in der Öffentlichkeit provozieren“ kann. Es stimmt, die konzernunabhängige, von niemandem subventionierte EMMA muss ökonomisch ganz schön kämpfen, auch am Kiosk, der überladen ist mit sexistischen und frauenverdummenden Magazinen. Aber Sie glauben doch nicht im Ernst, dass man mit Themen wie Missbrauch, Vergewaltigung oder Prostitution ein Heft besser verkauft?! Nein, das tut man mit den bei der ZEIT so beliebten Frontthemen wie „Liebe“, „Familie“ oder „Kinder“, wie Sie wissen. Es ist auch sehr aufschlussreich, dass Sie unter „Sexthemen“ zum Beispiel den Kindesmissbrauch verstehen, über den ich auf Wunsch Ihrer Redaktion im vergangenen Jahr auch in der ZEIT geschrieben hatte. Und die Prostitution. Beides hat zwar nichts mit „Sex“ und alles mit Macht zu tun, aber beides hängt in der Tat mit der ökonomischen Frage zusammen. Ist Ihnen noch nie in den Sinn gekommen, dass Frauen das unterbezahlte Geschlecht sind, weil sie das käufliche Geschlecht sind? Sehen Sie wirklich nicht den Zusammenhang der Abwertung? Eine Sorte Mensch, die man kaufen kann, die ist nicht viel wert. Wie heißt der StreikSlogan von ver.di so schön? „Wir sind es wert!“ Frauen sind es in der Regel nicht wert. Für Freier sind sie schon für 50 Euro zu haben – oder auch mal 20 oder 10 Euro auf dem Straßenstrich. Eine solche Sicht auf unser Geschlecht schlägt sich selbstverständlich auch auf das Gehalt nieder. Auch fördert das Wissen von Männern, wie billig Frauen sein können, nicht gerade die Bereitschaft, eine geschlechtergerechte Lohngleichheit für angemessen zu halten. „Ist Ihnen noch nie in den Sinn gekommen, dass Frauen das unterbezahlte Geschlecht sind, weil sie das käufliche Geschlecht sind?“ Was nun den frühen sexuellen Missbrauch und die (meist sexuelle) Gewalt in Beziehungen angeht: Ist Ihnen wirklich noch nie in den Sinn gekommen, dass diese Demütigungen und Brechungen eine Rolle spielen könnten bei dem mangelnden (beruflichen) Selbstbewusstsein von Frauen? Es handelt sich bei der sexuellen Gewalt ja schließlich nicht um individuelle Ausrutscher, sondern um ein strukturelles, ein Massenproblem. Was kein Zufall ist. Gewalt ist immer der dunkle Kern von Machtverhältnissen, ausgeübte oder drohende Gewalt. Leider auch zwischen den Geschlechtern. Und haben Sie als Wirtschaftsjournalistin wirklich noch nie darüber nachgedacht, warum alle Appelle an die Mädchen und Frauen so wenig fruchten? Warum die Barbie-Mädchen immer noch scharenweise in die unterbezahlten, begrenzten zehn „Frauenberufe“ streben? Warum es den Karriereknick bei Frauen gibt, sobald sie Kinder haben? Warum älter werdende Frauen sich trotz zunehmender beruflicher Kompetenz verunsichern lassen mit der Suggestion, sie seien nicht mehr begehrenswert? Schreiben Sie, Kollegin Niejahr, also tatsächlich über all diese ökonomischen und sozialen Fragen – ohne je das Ganze im Blick gehabt zu haben? Ohne zu sehen, dass die helle Seite des Fortschritts weiterhin überschattet ist von der dunklen Seite? Oder, um es mit Ihren Worten zu sagen: Sie, die Karrierejournalistin, sind also so gar nicht auf unserer Seite? Wie schade. ALICE SCHWARZER Mai/Juni 2014 EMMA 103 104_105_Buecher 09.04.14 18:42 Seite 104 Bücher TIPPS Und auch so bitter kalt „Lucinda“, sagt ihre Schwester SACHBÜCHER Sonia Sotomayor: Meine Malinda, ist „ein Mädchen, nach geliebte Welt Die Puertoricanerin schil- dem sich die Menschen auf der Straße umdrehen“. Lucinda, der strahlende Stern, die anders ist, dert in ihrer Autobiografie ihren steinigen die mehr sieht und mehr weiß. Die Jungens schwärmen sie an, der Vater nennt sie die Königin. Weg aus der Bronx zur ersten Latino-Rich- Doch da gibt es auch die dunkle Seite, Lucinda selbst nennt sie „das Tier“ und „es ist immer da“. terin am Obersten Gerichtshof der USA. Lucinda, die alles vom Leben will, verweigert das Essen. Bis ihr Magen die Größe eines Vögel- (C. H. Beck, 19.95 €) • Anne Siegel: chens hat, bis ihr Haare auf der Haut wachsen wie Fell. Sie verweigert sich jeder Hilfe, ja dem Himmelsstürmerinnen Zehn Porträts von Leben. Eines Tages verschwindet sie samt ihrem großen Koffer. Dieser „Jugendroman“ ist auch Frauen, die etwas wagen – von der Stunt- ein Buch für Erwachsene. Lara Schützsack: Und auch so bitter kalt (Fischer KJB, 14.99 €) frau Tanja de Wendt bis zur Wüsten-Filmerin Désirée von Trotha. (Cindigo, 12.95 €) • Ines Witka: Eine Familie macht Karriere Rembrandts Frauen Zehn Paare berichten in Interviews, wie ein In der Ausstellung „Rembrandt‘s women“ 2011 in Berufs- und Familienleben gleichberech- London irritiert den Autor, dass man über das Leben tigt gelingen kann. Plus Praxistipps. der Frauen – meist zugleich seine Modelle – in Rem- (Gatzanis Verlag, 24.95 €) • Waris Dirie: brandts Leben kaum etwas erfährt. Driessen, gebo- Safa – die Rettung der kleinen Wüsten- rener Niederländer, macht sich auf Spurensuche. Er blume Die Aktivistin gegen Genitalver- entdeckt nicht nur Erhellendes über den Maler als stümmelung erzählt, wie sie um die Besessener, Liebender und Rachsüchtiger, sondern Unversehrtheit von Safa, der kleinen auch über dessen Frauen. So auch Rembrandts somalischen Hauptdarstellerin im Film große Liebe, die früh verstorbene Saskia Uylenburgh; seine Geliebte Hendrickje Stoffels – und „Wüstenblume“, kämpft. (Knaur, 19.99 €) • die Kinderfrau Geertje Dircx, mit der der Meister zunächst das Bett teilt und sie dann gegen die Käthe Kratz/Lisbeth N. Trallori (Hg.): nächste jüngere Geliebte austauscht. Als Geertje ihn auf Unterhalt verklagt, wird sie von Rem- Liebe, Macht und Abenteuer 30 Aktivis- brandt ins Zuchthaus gebracht – jedoch nach Jahren von kämpferischen Freundinnen wieder tinnen der „Aktion Unabhängiger Frauen“ befreit. Das reich illustrierte, unterhaltsame Buch gibt einen spannenden Einblick in die Zeit. FB (AUF) haben ihre Erinnerungen zu einem Christoph Driessen: Rembrandt und die Frauen (Verlag Friedrich Pustet, 24.95 €) höchst lebendigen Buch über die öster- 19.90 €) BELLETRISTIK Ali Smith: Von Unterm Regenbogen gleich zu gleich Zwei Frauen, Amy und Die Frage im Untertitel ist eine Ash, erzählen jeweils ihre Variante ihrer handfeste „Sind Stimme aus der zerrissenen Ukraine. In Kiew 1970 Liebesgeschichte – mit dramatischem Aus- Schwule und Lesben die besse- geboren, verließ sie 1999 ihr Land, um in Berlin zu gang, Ü: Silvia Moratwetz. (Luchterhand, ren Eltern?“ Katja Irle hat Ant- leben. In ihrem Bericht „Vielleicht Esther“ erzählt sie 22.99 €) • Linda Benedikt: Eine kurze worten aus Politik, Kirchen & über eine Reise von Berlin nach Kiew. Eine Reise in die Geschichte vom Sterben Eine Woche lang Wissenschaft zusammengetra- Geschichte ihrer eigenen Familie, mit Humor und Trauer. kommt die Tochter ins Krankenhaus ans gen. Studien bestätigen den so Eine jüdische Geschichte. Das Gewaltige an dem Text Sterbebett der Mutter. Und erlebt Überra- genannten „Regenbogenkindern“ sind die Sätze, die man eigentlich nicht sagen darf. schungen. (Arche, 16.95 €) • Ingrid Noll: ein großes Selbstbewusstsein Beim Spaziergang über den jüdischen Kiewer Friedhof reichische Frauenbewegung der 1970er Jahre zusammengetragen. (Promedia, Provokation: Kiew – Berlin und zurück Im Frühling war Katja Petrowskaja, die BachmannPreisträgerin 2013, in Talkshows die glaubwürdigste Hab und Gier Bibliothekarin Karla, 60, und Durchhaltevermögen. Aber denkt die Ich-Erzählerin, „dass Juden im Ghetto privile- bekommt ein unmoralisches Angebot, das stehen Regenbogenfamilien wo- giert waren, fast hätte ich gesagt, dass sie Glück hatten“. Die Reisende sieht und formuliert das Verborgene mit Geld und Tod zu tun hat. (Diogenes, möglich auch unter Druck, nicht 21.90 €) • Annelie Wendeberg: Teufels- scheitern zu dürfen? 88 Prozent und das Gegenwärtige. Esther war grinsen Anna Kronberg darf nicht als Ärz- der Deutschen zwischen 25 und vielleicht die Großmutter des Vaters. tin arbeiten – das ist noch verboten Ende 39 finden: Ein Frauen- oder Män- Vielleicht. Ein literarisch heraus- des 19. Jahrhunderts. In London arbeitet nerpaar mit Kindern sind eine ragendes, historisch erhellendes sie als Arzt in der Pathologie und – ermit- „richtige Familie“. und politisch aktuelles Buch. V.A. telt mit Sherlock Holmes. (KiWi, 14.99 €) Katja Irle: Das Regenbogen- Katja Petrowskaja: Vielleicht Experiment (Beltz, 17.95 €) Esther (Suhrkamp, 19.95 €) 104 EMMA Mai/Juni 2014 104_105_Buecher 09.04.14 18:42 Seite 105 Der Fall Peggy Am 7. Mai 2001 wird die neunjährige Peggy Knobloch in ihrem fränkischen Heimatdorf Lichtenberg zum letzten Der Blues der Toni Morrison Mal gesehen. Das Mädchen bleibt verschwunden, eine Leiche wurde bis heute nicht gefunden. Am 30. April 2004 wird Ulvi Kuvac, ein Wie schafft sie es? Wie schafft sie es, uns den Blues ihrer Welt geistig zurückgebliebener 24-Jähriger in einem fragwürdigen Prozess wegen so zu erzählen, dass es der unsere wird? Wir durchqueren mit Mordes an Peggy zu lebenslanger Haft verurteilt. Am 10. April 2014 begann das dem traumatisierten Korea-Veteranen Frank das damals auch Wiederaufnahmeverfahren, denn Ulvis angebliches Geständnis war offenbar nach dem Gesetz noch rassistische Amerika der 1950er Jahre. von den Ermittlern manipuliert. Was auch immer bei dem neuen Prozess Er ist auf dem Weg nach Georgia, zu seiner todkranken herauskommt – es lohnt sich, „Die Geschichte eines Skandals“ von Ina Jung Schwester. Wenigstens sie will er retten. Und er? Ist er nur und Christoph Lemmer zu lesen. Skandalös sind nicht nur die einseitigen Opfer – oder auch Täter? In den 50ern war die 1931 geborene Ermittlungen, sondern auch, dass Peggy in einem Umfeld lebte, in dem gleich Toni Morrison eine junge Frau. Die Autorin von „Menschen- mehrere Männer als Täter in Frage kamen. Ab Sommer 2000 war Peggy auffäl- kind“, dieser Urgeschichte der schwarzen SklavInnen und lig geworden, aß schlecht und kleidete sich zunehmend sexualisiert. Der Arzt ihrer Kinder und Kindeskinder, setzt nach „Jazz“ ihre sprach- verschrieb der Neunjährigen Psychopharmaka. Geschützt hat Peggy niemand. gewaltige Chronologie der Geschichte ihres Volkes fort. Ina Jung/Christoph Lemmer: Der Fall Peggy (Droemer, 19.99 €) Toni Morrison: Heimkehr, Ü: Thomas Piltz (Rowohlt, 18.95 €) Das Leben der Bachmann Über den Sinn des Lebens Diese Biografie über eine der schillerndsten Auto- Die junge Philosophin mäandert über 170 Seiten durch rinnen des 20. Jahrhunderts ist ein großer Wurf. das moderne Leben. Sie fragt sich, was ist, wenn „das Psychologisch, aber nicht psychologisierend, ein- Leben selbst zur Ware wird“, was in unseren „Stresskör- fühlsam aber auch kritisch, ernsthaft aber auch pern“ steckt, wie wir es mit dem Tod halten, ob wir uns komisch nähert sich die Biografin der Schriftstelle- womöglich selbst verloren haben in diesen „zeitgenössi- rin. Sie bringt uns eine Person näher, die geprägt schen Formen der Selbstverfehlung“ – und wie wir uns war durch ihre Kindheit im Krieg, einen unsteten wiederfinden könnten. Denn: „In einer lebenswerten Welt Lebensstil und eine lebenslange Suche nach Hei- leben zu wollen, heißt, selbst dafür gerade stehen.“ mat. Bachmanns Lieben und Freundschaften, ihr Ariadne von Schirach: „Du sollst nicht funktionieren – Lebenshunger, ihr Genuss des Glamours als Shoo- für eine neue Lebenskunst“, Essay (Tropen, 17.95 €) tingstar und gleichzeitig ihre Erschöpfungszustände und Verzagtheiten werden in all ihren Facetten aufgezeigt. Stoll schafft es, Bachmann zwischen Anerkennung und Einsamkeit, die auch dem Mangel an vorgelebten weiblichen Künstlerexisten- Wie sollten wir sein? zen geschuldet ist, lebendig werden zu lassen. Eine Zerrissenheit, die in Tabletten- Selbstzufriedenheit statt Selbstoptimierung, aber die will und Alkoholsucht, einem viel zu frühen, tragischen Tod mündet. Dafür hat die Bio- sich partout nicht einstellen. Sheila hat sich gerade von grafin im Archiv Briefwechsel und Arbeitsmaterial gesichtet und mit Geschwistern, ihrem Mann geschieden und sitzt mit Schreibblockade vor FreundInnen, WeggefährtInnen gesprochen. FB Andrea Stoll: Ingeborg Bachmann. einem feministischen Theaterstück. Sie sucht nach Ant- Der dunkle Glanz der Freiheit (C. Bertelsmann, 22.99 €) worten. Aber gibt es die eigentlich? Sheila Heti: Wie sollten Christiane Wöhle, Susanne Schleyer/Suhrkamp Verlag wir sein? Ü: Thomas Überhoff (Rowohlt, 19.95 €) Die Pink Sari Revolutionärinnen Sampat Pal war sieben oder acht Jahre alt, als sie das Prinzip zum ersten Mal anwandte: Die Tochter eines mächtigen Großgrundbesitzers hatte einen Hirtenjungen geschlagen. Sampat trommelte eine Gruppe Kinder zusammen und gemeinsam zahlten sie es – nicht eben zimperlich – dem Mädchen heim. Heute ist die fünfache Mutter und Sozialarbeiterin die Anführerin der Gulabi-Gang, einer Gruppe von inzwischen mehr als zwanzigtausend Frauen, die in pinken Saris und mit Schlagstöcken gerüstet in Uttar Pradesh, der ärmsten Region Indiens, für Gerechtigkeit kämpfen. Zwei Jahre recherchierte die pakistanisch-irische Autorin Amana Fontanella Khan. Minutiös schildert sie anhand des Falls der vergewaltigten Sheelu Nishad, wie die unerschrockene Sampat und ihre MitstreiterInnen mal in detektivischer Recherche, mal mit spektakulären Aktionen wie der Erstürmung eines Polizeipräsidiums die Täter vor Gericht bringen. Amana Fontanella Khan: Pink Sari Revolution, Ü: Barbara Schaden (Hanser, 19.90 €) 106_107_marktplatz_ka 09.04.14 18:43 Seite 106 Marktplatz Reisen Im Süden von Sylt die Sonne genießen im Haus ATLANTIS werden 4 gemütliche, ruhige FeWos vorzugsweise an Frauen vermietet 3 Min. zum Strand, T 04651/88 15 24, [email protected]; www.atlantis-hoernum.de Reiturlaub im Süden Frankreichs Begegnung mit Pferden, individueller Reitunterricht, gut ausgestattete Ferienwohnungen. Ulrike Blum, T/Fax 00 33/558 44 93 53, [email protected]; www.pichourret.com I-Comer See (Dorf zw. Como u. Bellagio): gemütl. Ferienw. i. Garten mit Terrasse und Seeblick für 2 Pers. zu vermieten. Nur zu Fuß erreichbar, dafür autofrei (5 Min. v. Parkplatz; schöne Wanderungen in der Umgebung mögl.). 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In spannender Gestaltung spiegeln die weiteren Texte die Ausgrenzung von Frauen unserer Zeit. Rebecca Sander „Aus dem Gleis“ ISBN 978-3-9815686, Preis 14,80 € Neue Berufe – Gute Chancen Ch hancen Heilpraktiker/in Gesundheitsberater/in Wir machen Ausbildung bezahlbar ! Fitness- und Wellnesstrainer/in Tierheilpraktiker/in Entspannungstrainer/in Psychologische/r Berater/in Ernährungsberater/in Erziehungs- und Entwicklungsberater/in Psychotherapie Naturheilkunde für Kinder Homöopathie Klientenzentrierte Gesprächsführung Trad. Chin. Medizin Ayurveda Feng-ShuiBerater/in Mediator/in Beginn jederzeit möglich weitere Ausbildungen siehe Homepage Staatlich zugelassene Fernlehrgänge mit Wochenendseminaren in vielen Städten. Impulse e. V. Rubensstr. 20a 20 a · 4232 4232 9 Wuppertal Tel. 0202/73 95 40 www.Impulse-Schule.de 106 EMMA Mai/Juni 2014 106_107_marktplatz_ka 09.04.14 18:43 Seite 107 Kleinanzeigen Stellenmarkt Gibt es auch Köchinnen? Wir hätten gern eine Frau in unserer Küche im Landgasthof. Vielleicht auch ein Paar? Informationen und Bewerbung unter www.landgut-untere-muehle.de Für gepflegtes, älteres Anwesen im Südwesten biete ich (w, 59) Miteigentümerin/Investorin interessante Lebens-/Renditemöglichkeiten. Bitte E-Mail an: mascaral@ t-online.de Kunterbunt Schöner wohnen WG-PartnerIn gesucht in UE + Umkreis f. Whg./Haus + Garten. Möchte als Single nicht mehr alleine in einer Single-Wohnung leben. Bist du zuverlässig, NR, magst Natur u. gute Gespräche? Bin w., 34 J., NR. Chiffre 4708 Resthof wartet auf PferdehalterIn/nen am Dorfrand, zwischen Alsfeld, Neukirchen und Oberaula, 2 Wohnungen möglich, Stall und Scheune, 2 Garagen, eine für Pferdeanhänger oder WoMo, 3.600 qm Wiese direkt am Haus, es können noch weitere Wiesen gekauft werden. Renovierungsbedarf überschaubar, VB 59.000 €, T 0162/627 79 50 „Late Bloomers“ (späte Blüte) – eine Initiative für Frauen, die ihre lesbische Identität erst spät im Leben erkennen. 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[email protected] oder Chiffre 4713 Frau, 51, sportlich, sucht nach langjähriger Frauenbeziehung feminines Gegenstück von 45 – 60 J. zum Aufbauen einer Dauerbeziehung. Möglichst Raum MK. Chiffre 4714 Mit viel Weisheits- u. Daseinsfreude bei Ende 60 gelandet, würde ich gern (m)einer ebenso wertschätzenden, warmherzigen, natur- u. kulturverbundenen Gefährtin für die krönende zärtliche Liebesnähe unseres Lebens (irgendwo hierzuland) begegnen. Chiffre 4715 Mann sucht Frau WIEN: Niveauvoller schlanker Akademiker, in Pension, 64/1,78, NR, NT, naturverbunden, sucht für gemeinsame Unternehmungen eine ebenso ungebundene, ruhige und treue Partnerin. Chiffre 4716 Weitere Infos & Preise: für Kleinanzeigen/Marktplatz: www.emma.de unter: Anzeigen Kontakt: [email protected], T 0221/60 60 60-14. Nächster Anzeigenschluss: 21.5.2014 EMMA ist erhältlich im Bahnhofs- und Flughafenbuchhandel in Deutschland, Österreich und der Schweiz Emma Frauenverlags GmbH Bayenturm, 50678 Köln Redaktion 0221/60 60 60-0 Fax -29 [email protected] www.emma.de Büro Schwarzer Fax -29 www.aliceschwarzer.de Herausgeberin Alice Schwarzer Cartoon Franziska Becker Büro der Herausgeberin Margitta Hösel Grafik Irina Rasimus, Silvia Kretschmer Repräsentanz Markenwerbung Getz & Getz Medienvertretung, T 02205/8 61 79, Fax 8 56 09, [email protected] Abonnements Inland: 45 €, Ausland: 45 € (75 Sfr) zzgl. Versandkosten, außer A und CH. EMMA-LeserInnen-Service, Postfach 810640, 70523 Stuttgart, T 0711/72 52-285, Fax -333, [email protected] Rechte Alle Rechte vorbehalten. Copyright aller Beiträge bei EMMA. Für namentlich gezeichnete Beiträge sind AutorInnen selbst verantwortlich. Für unaufgeforderte Texte und Fotos keine Haftung. Rücksendung nur bei frankiertem Umschlag. Bankverbindung EMMA-Verlag, Sparkasse Köln, DE63 3705 0198 0017 9929 75, BIC COLSDE33 EMMA erscheint zweimonatlich, jeweils am letzten Donnerstag eines jeden geraden Monats. Die nächste Ausgabe erscheint am 26. Juni 2014. Einzelverkaufspreis 7.50 € Redaktion Alice Schwarzer, Alexandra Eul, Chantal Louis, Angelika Mallmann LeserInnenbrief-Redaktion Angelika Mallmann, [email protected] Online-Redaktion [email protected] Titel Werner Hallatschek Verlag T -14, Fax -29 Anett Keller (Leitung) (Klein)Anzeigen, Shop & Marktplatz EMMA, T -14, Fax -29 Lithographie purpur, Köln Druck L.N. Schaffrath GmbH & Co. KG DruckMedien, Geldern Vertrieb PARTNER Medienservices GmbH, PF 810420, 70521 Stuttgart Register-Nr. HRB 7742 Köln UID-Nr. DE 122 777 305 Ersterscheinungstag als Monatszeitschrift: 26.1.1977 Mai/Juni 2014 EMMA 107 108_109_LeserInnenForum 09.04.14 18:44 Seite 108 Forum Und die Nächstenliebe? Pfarrerin Bertenrath (Foto mit Tochter Emma) vermisst beim Thema Mitgefühl die Rolle der ChristInnen. iebe EMMAS, ich bin seit 25 Jahren EMMA-Leserin und arbeite genauso lange als Pfarrerin in der Evangelischen Kirche. Ich bin dankbar für eure Stimme und euer Engagement. Die Kirche hat landauf, landab „schlechte Presse“. Es wird fast nur über Kirche berichtet, wenn es Skandale aufzudecken gibt und dann wird oft alles in einen Topf geworfen. An diese Berichterstattung habe ich mich gewöhnt. Wie würden Christentum und Kirche wohl in eurem Dossier „Öffne dein Herz. Ist Mitgefühl lernbar?“ Erwähnung finden? Und ich bin erschrocken darüber, dass „Mitgefühl“ gar nicht in Beziehung gesetzt wird zur (christlichen) „Nächstenliebe“. Es ist von „Gandhi“ die Rede, von „religiöser“ Motivation und „Theologen“ werden zitiert, „Meditation“ und „Stille“ werden erwähnt, „innere Wandlung“ und „Kontemplation“, die „soziale Frage“ des 19. Jahrhunderts wird berührt – und die Kirchen tauchen dann immerhin 1958 mit der Gründung von „Miserior“ und 1959 mit der Aktion „Brot für die Welt“ in einem der Beiträge auf. Mitgefühl, Ehrfurcht vor dem Leben, Wertschätzung der Geschöpfe – diese Haltungen wurzeln in der jüdisch-christlichen Tradition, die unsere ganze Gesellschaft seit Jahrtausenden prägt. Der Jude Jesus von Nazareth antwortet, als er gefragt wird, L was das höchste Gebot für den Menschen ist: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt und du sollst deinen Nächsten lieben, wie dich selbst.“ Dieses Gebot wird noch verschärft in der Bergpredigt: „Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder seid eures Vaters im Himmel.“ Die „Herzübung“, „positive Gefühle „auf Andere, Unbekannte oder sogar schwierige Personen zu übertragen“ ist seit biblischen Zeiten bekannt und wurde und wird von so vielen Gläubigen seit Jahrtausenden praktiziert, geübt, gelehrt. Christinnen und Christen haben damit viel Gutes bewirkt und tun das bis heute. Im Jahr 2017 jährt sich die Reformation zum 500. Mal. Der Mönch Martin Luther hat mit seinem eigenständigen Denken und mutigen Bekennen eine Lawine in Europa ausgelöst. Ich möchte Euch Lust machen, einmal über die Evangelische Kirche zu berichten: Es gibt so viele Theologinnen und engagierte Christinnen, interessante, weise, moderne, kämpferische Frauen, die Euch dazu Gesprächspartnerinnen werden können! ANTJE BERTENRATH, PFARRERIN, 49, HENNEF Wir kämpfen weiter! Irene und Ursula leben seit 30 Jahren in Tunesien. Ihre Freude über die neue Verfassung ist nicht ungetrübt. ir Frauen sind über die neue Verfassung erfreut, aber nicht ganz so optimistisch, wie man es von Europa hört. Der Kampf um jeden Artikel war hart. Es gibt noch viele Artikel, die eine islamistische Interpretation erlauben. So wurde das „Verbot von Gotteslästerung“ (atteinte au sacré) eingeführt, mit dem hier schon Filme verboten (wie „Persepolis“) wurden, Menschen verhaftet und Kunstausstellungen gestürmt. Und sollten wir das Glück haben, nach den Wahlen eine demokratische Regierung zu bekommen, so muss die erst einmal mit den von den Islamisten in drei Jahren geschaffenen Fakten fertig werden: Die Toleranz gegenüber salafistischen Terroristen hat es möglich gemacht, dass sie in ganz Tunesien Waffen- W lager angelegt und Ausbildungslager gegründet haben. Sie haben viele Beamtenstellen mit ihren Anhängern besetzt (es ist die Rede von 16 –18 000). Sie haben eine eigene Miliz geschaffen, die sehr brutal vorgeht. Sie haben Organisationen zugelassen, die im Sinne der Scharia agieren, wie etwa die „Gesellschaft gegen das Laster und für die Tugend“, eine Art islamische Sittenpolizei. Es wäre naiv zu glauben, dass unsere Islamisten, die den Muslimbrüdern nahe stehen, Demokraten geworden sind. Der Druck Europas, dessen Kredite sie brauchen, ihre katastrophale Misswirtschaft, die Stärke der tunesischen Zivilgesellschaft, aber auch die prekäre Lage ihrer Brüder in den Nachbarländern haben sie zu einem taktischen Rückzug gezwungen. Darum haben sie einer neutralen Regierung bis zu den Wahlen zugestimmt. Demokratie ist für sie nur einer der Wege, um an ihr Ziel zu kommen: Kalifat und Scharia. Unverhüllt hat dies vor Jahren Erdogan ausgedrückt, als er in Deutschland war: „Die Demokratie ist für uns der Zug, auf den wir aufspringen, bis wir am Ziel sind, die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Gewehre.“ Wir glauben nicht an einen demokratischen Islamismus. Für uns Frauen in Tunesien ist der Kampf gegen diese frauenfeindliche Ideologie noch lange nicht zu Ende. URSULA, 65, UND IRENE, 68 108_109_LeserInnenForum 09.04.14 18:44 Seite 109 Schreibt uns – und schickt gleich ein Foto mit! EMMA-Lesen in Dubai Nadja arbeitet als Choreografin in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Eine ganz schöne Herausforderung. ch bin eine „bunte kulturelle Mischung“, was meine Herkunft angeht. Mein Vater ist Ägypter, meine Mutter Österreicherin, allerdings ukrainisch/tschechischer Abstammung. Ich bin in Wien geboren und in Deutschland sowie Ägypten aufgewachsen, mein Vater war ein sehr offener, toleranter Mann (Internist), der mir und meinem Bruder stets vermittelt hat: Unsere Religion ist zwar der Islam, aber wir leben in Deutschland und dementsprechend passen wir uns den Sitten an. Ich bin ihm sowie meiner Mutter ewig dankbar, denn ich hatte eine sehr schöne Kindheit und in meinem Herzen sind zwei Kulturen: die europäische wie die ägyptische. Auch meine Verwandtschaft in Ägypten tolerierte die Entscheidung meiner Eltern, und wir waren über all die Jahre sehr warmherzig in Kairo empfangen worden. Mittlerweile, ich bin jetzt 43, lebe ich seit sieben Jahren in Dubai und arbeite hier als freie Choreografin in I einer Männerdomäne. Mein Weltbild, mein Männerbild, meine gesamten Lebenseinstellungen werden hier aufs Neue geprüft. Der Grund ,warum ich gerade jetzt schreibe, ist, dass ich schlicht und einfach nur „Danke“ sagen möchte. Denn dank www.emma.de habe ich auch hier die Möglichkeit, Ihre interessanten Artikel weiterhin zu lesen (hier gibt es am Kiosk eben leider kein Heft). Gerade das Thema Frauen im Islam beschäftigt mich hier sehr und macht mich oft wütend. Umso mehr liebe ich Ihre kritischen Artikel! NADJA ISSA, 43, CHOREOGRAFIN, DUBAI PS: Liebe Nadja, wie wär’s mit einem (digitalen) EMMA-Abo? Vorurteile? Weggefegt! Kurve gekriegt? Viola hat in ihrem Urlaub den „Lebenslauf“ von Alice Schwarzer in einem einzigen Rutsch durchgelesen. Das hat Folgen … Petra hat eine lesbische Tochter. Was nicht immer akzeptiert wird. iebe Alice Schwarzer! Noch vor wenigen Wochen hätte ich diesen Brief nicht für möglich gehalten. Ich bin gern Frau und habe bisher geglaubt, alles, was mit Ihrem Namen verbunden werden kann, ist das gebremste Ego von frustrierten Frauen … Heute schäme ich mich solcher Oberflächlichkeit. Aber immerhin habe ich dazugelernt! Überrascht war ich von ihrem „Lebenslauf“ schon nach wenigen Seiten. Das Buch musste also mit in den Urlaub. Und da war es dann Tagesprogramm, zum Leidwesen meiner Enkelin, der ich diesen Urlaub versprochen hatte. Ich hatte es nach vier Tagen durch. Beeindruckt bin ich von Ihrem Kampf gegen Ungerechtigkeit, gegen Vorurteile, gegen Unbeweglichkeit und gegen Dummheit. Und noch etwas hat mich bewegt: Ihre Frage nach dem eigenen Werden. Diese Frage geistert seit langem in meinem Kopf und Ihr Buch hat mir Mut gemacht, mich endlich mal hinzusetzen und alles aufzuschreiben … Ich bin Jahrgang 1956, geboren und groß geworden in der DDR. Mit 18 bat ich um Aufnahme in die SED. Ich habe „an der Basis“ gekämpft für ein gutes Leben, vor allem für meine Kinder, die ich nahezu alleine großgezogen habe. Nichts, gar nichts wurde mir geschenkt, trotz Parteibuch. Das war immer nur ein Garant dafür, dass man Erwartungen an mich gestellt hat. Mehr nicht. Keine Vorteile, keine bevorzugte Vergabe einer Wohnung, kein besonderes Gehalt … immer nur mehr Arbeit. Und als ich kritisch wurde: Ermahnung, Verweis, Parteiverfahren. Das ist auch DDR-Geschichte. Ihr Lebenslauf hat mich dazu animiert, bei ebay alte Ausgaben der EMMA zu kaufen und EMMA zu abonnieren. Ich freue mich gerade auf die erste Ausgabe. ch bin Jahrgang 1959 und hätte niemals gedacht, dass das heute noch nötig sein würde, aber im Alltag gibt es unzählige Gelegenheiten, die Regenbogenfahne hochzuhalten: So beim Smalltalk mit meinem (Ex)Gynäkologen, wir kennen uns lange. Was machen Ihre Kinder?, fragte er. Meine Großen (ich habe einen Sohn und eine Tochter) haben beide eine Liebste, erzählte ich. Da berichtete er mir von der Tochter einer Bekannten, die auch eine Freundin hatte. Die habe man erst einmal „gelassen“ (!). Schließlich sei doch noch „der Richtige“(!!) gekommen und sie „kriegte die Kurve“(!!!). Mir fiel erst auf dem Nachhauseweg auf, was da eigentlich abgelaufen war. Ich schrieb ihm ein flammendes Plädoyer per Mail und appellierte an seine medizinische und psychologische Verantwortung. Nicht auszudenken, wenn sich ihm eine unsichere junge Frau oder eine Mutter anvertraut! Geantwortet hat er nie – und ich war auch nie mehr bei ihm. Danke, dass ihr im letzten Heft über SCHLAU (Schwul-Lesbische-Aufklärung) berichtet habt! Ein wunderbares Projekt – ebenso wie EMMA! VIOLA WORSCH, 57, NESSE-APFELSTÄDT PETRA GROSSE-STOLTENBERG, 54, HATTINGEN L I Mai/Juni 2014 EMMA 109 110_112_LBriefe 09.04.14 18:46 Seite 110 Briefe Die letzte EMMA: Mehr von diesen Heldinnen! ein Mann hat mir ein EMMA-Abonnement zu Weihnachten geschenkt. Sie hilft mir meine Gedanken zu strukturieren. Ich bin 31 Jahre alt, Mutter eines sechs Monate alten Buben und zurzeit in Karenz. Dementsprechend sind Themen wie Kinderbetreuung, Karriereunterbrechung, Muttersein etc. gerade hoch im Kurs ... Kurz: Bin ein großer Fan Ihrer Zeitung und akquiriere zukünftige Leser – hier unser Sohn Casper. ELEONORA TILLICH, 31 M eldinnen wie Ellen Lohr oder Powerfrauen wie Barbara Schöneberger! Ich wollte die EMMA gar nicht mehr aus der Hand legen und bin zu spät ins Büro gekommen … ANGELIKA KLINGEL, STUTTGART H Mal wieder von der EMMA vom Putzen abgehalten worden. ELKE K. FRITZ EMMA ist für mich ein Trost: Ich bin vielleicht doch nicht so ganz allein. MARIANNE V. GRAEVE-FREY, FRANKFURT A.M. n den meisten europäischen Länden gibt es die „Pille danach“ bereits ohne großes Tam-Tam. Dass man in Deutschland ein Rezept dafür braucht, dient nur der Diskriminierung der Frauen. Eine Moralpredigt gibt es dann von konservativ eingestellten Frauenärzten gratis mit dazu. KATRIN, 30, LONDON I ls „gelernte DDR Bürgerin“ empfinde ich das Abtreibungstheater des Westens seit der Vereinigung als Zumutung. Die DDR war in dem Punkt Frauenfreiheit Lichtjahre voraus! ANDREA FERBER, 54, DESSAU/ROSSLAU A ch musste an einem Sonntag vier Stunden im Krankenhaus warten, weil ich die „Pille danach“ brauchte. Ich war damals 19, das Kondom gerissen. Eine Ärztin redete ganze zehn Minuten mit mir, in denen sie mich auf die Risiken, die sowieso in der Packungsbeilage stehen, hinwies und unnötige Fragen stellte: Ob der Mann, mit dem ich geschlafen hatte, mein fester Partner sei? Wie das denn passieren konnte? usw. – Dinge, die sie einfach nichts angehen und auch mit der Pille danach nichts zu tun hatten. Es war offensichtlich, dass diese Frau fand, dass ich – Studentin der Biochemie – sozusagen „zu blöd zum Verhüten“ sei. EVA KIESSLING, 21, WIESBADEN ch miete mir gelegentlich einen BMW, weil die Karre sich so klasse fährt. Ich wünsche EMMARedakteurin Chantal Louis noch viel Spaß mit dem Ding – aber bitte nur so schnell, wie dein Schutzengel fliegen kann. MARTINA BRAND, HAMBURG, 45 I eine Frau und ich erleben hautnah und sehr schmerzhaft, was es heißt, wenn ein Kind missbraucht wurde. Unserem Sohn wurde nach einer schrecklichen Adoleszenz (Alkohol und Drogen, Depressionen) und einem späteren Schlüsselerlebnis bewusst, dass er von einem uns sehr nahe stehenden Mann missbraucht wurde. Der Fall ist verjährt, der Täter (übrigens ein angesehener Pfarrer) streitet alles ab und droht gerichtlich mit Verleumdungsklagen. Unser Sohn konnte glücklicherweise dank Therapie in ein halbwegs „normales“ Leben finden. Bleibt dran an Themen wie Missbrauch und Prostitution! Und danke für die immer wieder spannenden Geschichten, die so (fast) nirgends zu lesen sind. ERNST FEURER, BIEL-BENKEN M I anke für euren Schwerpunkt zu „Frauen und Autos“! Meiner hat hinten getönte Scheiben, Heckspoiler und Hutze auf der Motorhaube, einen fetten (und lauten) Auspuff, verfügt über Turbolader und bringt’s auf über 200 PS. Als Frau fällt man damit auf wie ein bunter Hund … Wenn frau am Steuer sitzt, den Motor anlässt und Gas gibt, dann gibt’s nichts Besseres auf der Welt. Ein schlechtes Gewissen habe ich nicht, auch wenn die Kutsche 10 Liter auf 100 km säuft. Meine letzte Flugreise ist fünf Jahre her und ich hab nicht vor, die nächsten paar Jahre in einen Flieger zu steigen. REGULA WINZELER D 110_112_LBriefe 09.04.14 18:46 Seite 111 WERBER & Frauen Überraschung! Werbung muss nicht immer sexistisch sein. Wir wollen mehr davon! mega out Game of Thrones: Nach Luft geschnappt anke für den tollen Beitrag über diese außergewöhnliche Frauenfigur. Sie ist ein Vorbild, stellt traditionelle Rollenbilder auf den Kopf. Ich musste auch nach Luft schnappen, als sie das erste Mal zu sehen war und nach einem gewonnenen Kampf den Helm abnahm. Wow! Ich wollte schon als Kind lieber Ritter(in) als Prinzessin sein und jetzt lerne ich gerade mittelalterliche Kampftechniken, inklusive Schwertkampf. Habe viel Spaß daran, kleine Mädchen, die Ritter/in spielen wollen, zu ermutigen und ihnen zu sagen, dass Frauen starke und mutige Kämpferinnen sind. Mädels, traut Euch! BETTINA KNAAK, 51, KÖLN D HWG, das ist die Hattinger Wohnungsbau Genossenschaft ([email protected]). HWG, das ist – in der Amtssprache – auch der „häufig wechselnde Geschlechtsverkehr“, also Prostitution. Passt. Nicht nur EMMA-Leser Elmar Patzig findet: Ein Fall für den Werberat. mega out ame of Thrones“ ist für mich ein weiteres und extremes Beispiel dafür, wie Machtverhältnisse zwischen Mann und Frau in „stereotyper“ Weise vermittelt werden. In diesem Fall unter dem Deckmantel der Phantasie/Saga – oder schlicht mittelalterlicher Gesellschaftsordnung – der wir (meiner Ansicht nach zum Glück) nicht mehr ausgesetzt sind. SARAH-KIM WELLER, STUTTGART G as wundert mich nun schon, bei euch von Feminismus in „Game of Thrones“ zu lesen – die Gesamtgesellschaft dieser Fantasywelt ist doch eher als frauenfeindlich zu bezeichnen, trotz weniger Ausnahmen wie Brienne oder Arya. JANINA DILLIG D ch habe nur ein paar Folgen der TV-Serie gesehen, aber gerne die Buchreihe gelesen. Sie enthält tatsächlich einige großartige weibliche Charaktere, (Brienne, Dany und insbesondere Arya: absolut großartig!) Die Bücher spiegeln aber auch ein ziemlich gruseliges Frauenbild. So wird Vergewaltigung als völlig harmlose Sache dargestellt, die Frauen eigentlich kaum etwas ausmacht. Und überhaupt scheinen Frauen in „Game of Thrones“ alle total darauf zu stehen, Schmerzen zu haben. LISA SCHARNBACHER, 21, TÜBINGEN I ch schreibe gerade eine Dissertation über Gender im Fantasy-Roman und muss der Aussage, dass Frauen in „Herr der Ringe“ „stumme namenlose Requisiten“ seien, widersprechen. Regisseur Jackson erfindet sogar Frauenfiguren, wie jüngst die Elbenkriegerin Tauriel im „Hobbit“. Kompliment für den „Game of Thrones“-Artikel. Dracarys! ISABEL BUSCH, 30, BONN So wirbt der freie Radiosender BOB in Hessen ([email protected]). Wir würden sagen: Flop, bzw. Flobb auf hessisch. Einfach nur gestrig. mega in I Auch mal schön: Samsung setzt auf weibliche Rolemodels und ihren Nachwuchs. 110_112_LBriefe 09.04.14 18:46 Seite 112 Briefe Die EMMAs in eigener Sache allo, gerne möchte ich mich eurer Solidaritätsbekundung anschließen. Ich bin eine, die Anfang der 80iger Jahre im EMMA-Team und zwar in der Verwaltung/Finanzen mitgearbeitet hat. Mit Alice als Chefin und Herausgeberin habe ich gerne gearbeitet und ihre Fachkompetenz und Präsenz im Team sehr geschätzt. Aufgehört habe ich, weil es mich damals verlockte, noch einmal in die Selbstständigkeit zu gehen und ein Frauenbildungshaus aufzubauen. Doch habe ich die Jahre in der EMMA in bester Erinnerung. Mit schwesterlichen Grüßen, HEIDE STOLL H Alice Schwarzer hatte Anfang des Jahres Steuerprobleme – das ist ihre Privatsache. Wie jedoch die Medien damit umgegangen sind – das ist ein Politikum. Wir haben uns zu diesem Politikum in der letzten Ausgabe verhalten – und sehr, sehr viel Zustimmung bekommen. Hier eine Auswahl. Es gab 2013 etwa 26 000 Selbstanzeigen für Steuerhinterziehung. Aber es gibt nur wenige, die für Blome von „öffentlichem Interesse“ sind. Das eigentliche „Interesse“ sind doch Schlagzeilen und Umsatzzahlen der Medien (wie Spiegel). GRIT ZILLA ie vielen Angriffe gegen Alice Schwarzer sind nicht neu. Diese Reaktion gibt es ja schon seit über 30 Jahren; auch die Masche, Frauen gegeneinander auszuspielen oder dazu zu benutzen, ist alt. Da könnte ich auch Beispiele aus 40 Jahren SPD beisteuern. GODULA HEPPER, CELLE D uper geschrieben von den EMMAs – und vor allem: ambivalenzfähig! Wer Frauen niedermachen muss, um sich stark zu fühlen, meint jetzt bei Alice die Berechtigung dazu gefunden zu haben, weil er oder sie weder nachdenkt, noch differenziert. Aber eben: Wenn Hähne krähen und Hühner gackern müssen, finden sie jeden Miststock passend. VRONI BAMERT, FRIBOURG/WINTERTHUR S iebe EMMAs, ich danke euch für eure Hausmitteilung! Und möchte am liebsten von Herzen unterschreiben. Kraft, Mut und Humor für euch alle. Ich verdanke Alice und eurer Arbeit so viel! UTE WEIGT, LESERIN SEIT URZEITEN, BERLIN L iebe EMMAs! Das nenne ich Haltung: fair, aufrecht und ehrlich. Eure Erlebnisse aus nächster Nähe decken sich mit meinen Eindrücken aus der Ferne. Danke! SILKE HILLEBRECHT L iebe EMMAs, ich finde euer Statement in der letzten EMMA-Ausgabe einfach toll. Die notwendigen Differenzierungen sind in den Medien nämlich viel zu kurz gekommen. RUTH STUTZENBERGER o viel Geld im Spiel ist, gibt es viele Feiniebe Alice, hättest du doch das Geld de. Im Prostitutionsgeschäft in Deutschgenommen und dir auf einer Südseeinsel land werden gemäß Bundeszentrale für politiein schönes Leben gemacht. Und Danke, sche Bildung 14,5 Milliarden Euro umgesetzt. dass du‘s nicht getan hast! Mehr als 90 Prozent des Gewinns fließt in die IRINA BAUMGARTNER Taschen von Männern. Ich persönlich halte es nicht für Zufall, dass gerade jetzt, da Alice allo Mädels, ich freue mich sehr über Schwarzer und EMMA, die Kampagne „Prostiden Brief an EMMA-LeserInnen von tution abschaffen“ gestartet haben (und auch euch und würde gerne unterschreiben. Wir noch sehr viel Unterstützung erfahren) ihre sind alle Menschen und machen gelegentlich Steuerhinterziehung und ihre finanzielle SituaFehler! Wie sagen meine amerikanischen tion Thema werden. Ich finde es nicht gut, dass Kollegen: She is a good Alice Schwarzer Geld am Fiskus vorbei in die person – but made one Schweiz geschafft hat, aber sie ist in Gesellbad choice! INGRID schaft von rund 30 000 Selbstanzeigern der BOEHM, SCHOPP (BEI letzten zwei Jahre, von denen wir keine Namen KAISERSLAUTERN) kennen. BARBARA ROTH L L H W ines ist klar: Wären Alice oder Margot Kässmann männlichen Geschlechts, wären wohl beide Fälle nicht mit so viel Genuss von überwiegend männlichen Füßen (und leider auch etlichen weiblichen) breit getreten worden. Wie viel Neid hinter solchen Hetzkampagnen steckt, ist unfassbar. Ohne Alice stünde ich nicht da, wo ich heute stehe: Sie hat mich viel gelehrt: u.a. zu hinterfragen, mutig zu mir zu stehen, unbequem zu sein. Lasst Euch nicht beirren! MONICA WEISPFENNIG-BUCHFELD, 65, GUMMERSBACH E iebe Alice Schwarzer, wenn ich mir den „Shitstorm“ gegen Sie im Internet durchlese, wird mir angst und bange! An der Wortwahl, dem Stil und den Inhalten erkennt man deutlich, wieviel „Macho“-Ressentiments sich gegen Sie aufgestaut haben. Ich fühle mich zurückgeworfen ins finstere Mittelalter. Denn es ist ja völlig klar, dass es nicht um die Steuersache geht. Ich möchte Ihnen Mut und Kraft zusprechen, diese öffentliche und unzulässige Demütigung unbeschadet, ja sogar gestärkt zu überstehen. Natürlich ist es kein Zufall, dass gerade zu diesem Zeitpunkt das Spießrutenlaufen beginnt. Glauben Sie mir bitte: Durch diesen Medienrummel haben sie weitaus mehr SympathisantInnen gewonnen als Gegner. SUSANNE KOSLOWSKI, HAMBURG L Alice, bitte bleib am Ball. Wir Frauen brauchen Dich! BÄRBEL ROCKSTROH, MÜNSTERTAL 113_Shop 09.04.14 18:47 Seite 113 Shop www.emma.de ION PROSTITUT FRAUEN F U A K t h e G ht! gar nic a.de www.emm Die Biografie: vom ersten Tag Alice bis zum ersten Tag EMMA. Alice Schwarzer, wie sie bisher niemand kannte. KiWi, nur 20 € ETWAS Tun! JETzT LESEn! Kann ich denn gar nichts Es ist das Buch zur Kam- tun? Doch, du kannst! pagne. Es liefert Fakten, Fang schon mal mit dem Argumente und die Stimme Aufkleber an. Allerorten. der Prostituierten selbst. 50 für 10 €, 100 für 15 €. Sowie die Wahrheit über die 10 cm ∅, wetterfest. Bei „Hurenprojekte“. Ein Buch, Bestellungen ab 500 Auf- das die Augen öffnet. Ein klebern: [email protected] EMMA/KiWi-TB für 9.99 € In dem Essay geht es von dem Konflikt zwischen sex & gender, über die Sexualpolitik bis hin zum Mensch Mann. KiWi, Sonderpreis 10 € Der aktuell wieder heiß diskutierte Klassiker von 1975 über Sexualität und Macht (erschienen in neun Sprachen). Aktualisiert. Fischer, 9.95 € Texte aus EMMA über Islamismus & Integration, von Musliminnen, Konvertitinnen und Journalistinnen. KiWi/EMMA-Buch, 9.95 € „Wir sind die beiden meistbeschimpften Frauen in Deutschland“, sagte Romy 1976 zu Alice. Die Biografie. Mit aktuellem Vorwort. KiWi, 8.99 € MUS Ein Filmporträt von Alice Schwarzer von 1973: Simone de Beauvoir aus größter Nähe. Dt. & frz. Version, 45 Min + Booklet mit Fotos. EMMA-DVD 10 € Ein Lesebuch mit Bildern. Texte von Beauvoir, ausgewählt und kommentiert von Schwarzer. Mit einem einleitenden Essay. Hardcover. Rowohlt 10 € Bücher von Alice Schwarzer O Prostitution, Hg., TB O Es reicht! Gegen Sexismus im Beruf O Lebenslauf, HC O Die große Verschleierung, Hg., TB O Die Antwort, HC O Der große Unterschied, HC O Der kleine Unterschied, TB O Romy Schneider, TB O Marion Dönhoff, TB O Beauvoir-Interviews, TB O Beauvoir-Lesebuch, HC O 30 Jahre EMMA, HC O Die Gotteskrieger, Hg., TB O Alice im Männerland, HC O Beauvoir, Filmportrait v. Schwarzer, DVD 9.99 € 8.99 € 20 € 9.95 € 10 € 10 € 9.95 € 8.99 € 9.99 € 7.95 € 10 € 19.80 € 9.95 € 10 € 10 € Die einzige Biografie, für die Dönhoff selber Auskunft erteilte. Die Unnahbare aus größter Nähe. Neuauflage mit aktuellem Vorwort. KiWi, 9.99 € Die wichtigsten AutorInnen und Beiträge zur sexuellen Belästigung, Hg. A. Schwarzer. Vom #aufschrei bis zu den 80ern. KiWi/EMMA-Buch, 8.99 € Frauenfeindliche Plakate? Dümmliche Schaufensterdeko? Dreiste Bordell-Werbung? Kein Problem: Jetzt gibt es den SEXISMUS!-Aufkleber. ∅ 10 cm, wetterfest! 50 Aufkleber 8 €, 100 nur 12 €. Bücher von EMMA-AutorInnen Bestellung über www.emma.de/shop O B. Flitner/A. Schwarzer: Burma O Bettina Flitner: Boatpeople O B. Flitner: Frauen mit Visionen 34.95 € EMMA, Shop, Bayenturm, 50678 Köln, Fax 0221/60 60 60-29, T -14 19.80 € So wird bestellt: 1. Coupon ausschneiden oder kopieren. 2. Gewünschtes ankreu- 22 € IBAN: DE56 3701 0050 0500 0505 04 überweisen (Verwendungszweck: Name & Die Jahrespakete O EMMA-Jahrespaket 2013 (6 Hefte) O EMMA-Jahrespaket 2012 (3 Hefte) zen. 3. Bar zahlen oder vorab auf EMMA-Konto Postbank Köln, BIC: PBNKDEFF, 20 € 10 € Stichwort Shop). Der Versand innerhalb Deutschlands ist gratis (ins EU-Ausland 5 €, weiteres Ausland 10 €). Die Hörbücher O Lebenslauf (6 CDs) O Romy Schneider (3 CDs) 24.95 € O Ich habe den Betrag überwiesen am: 9.99 € Vorname, Name (deutlich schreiben) Aufkleber O Prostitution, 50 Stk. O Prostitution, 100 Stk. O Sexismus, 50 Stk. O Sexismus, 100 Stk. O Ich lege Bargeld bei (nur Euro). 10 € 15 € Straße, Nummer Telefon, Geburtsdatum PLZ, Ort Datum, Unterschrift 8€ 12 € 114_Presse 09.04.14 18:48 Seite 114 Die lieben KollegInnen Mal wieder viel Dämliches von den Damen – und dafür was Kluges von einem Herrn. So ist das Leben, Schwestern. Alice Schwarzer, du hast recht. Verbieten wir die Prostitution. Diese Frauen führen kein Leben, in ein paar Monaten altern sie um Jahre. Magazin des Zürcher Tages-Anzeiger, Noémi Kiss „Prostitution war lange kein Thema, wird es aber wieder“, sagt Yvette Karo, von (der Beratungsstelle) Wendepunkt Elmshorn. Kampagnen wie der Appell gegen Prostitution der Zeitschrift EMMA sorgen dafür. In einer Petition wird die Bundesregierung aufgefordert, das Prostitutionsgesetz zu ändern, um Freier ächten und bestrafen zu können. Auch präventive Maßnahmen und Aufklärungsarbeit sollen gefördert und den Frauen der Ausstieg aus der Prostitution erleichtert werden. Die Chancen, dass sich etwas ändert, stehen nicht schlecht. Hamburger Abendblatt, Anne Dewitz Die Sperrbezirksverordnung ist eine von mehreren Maßnahmen „zur Eindämmung der Prostitution“, die das saarländische Kabinett kürzlich beschlossen hat. In der Landeshauptstadt wird die Straßenprostitution nur noch nachts erlaubt sein und nur noch auf bestimmten Straßenabschnitten. Die SPD-Oberbürgermeisterin Charlotte Britz unterstützt die neue Regelung. In ihren Augen ist die Straßenprostitution „brutal und entwürdigend“. Deswegen hat sie auch vergangenes Jahr den Appell von Alice Schwarzer gegen Prostitution unterschrieben – so wie die Ministerpräsidentin des Saarlandes, Annegret KrampKarrenbauer von der CDU. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Sonja Süß Vor dem Hamburger Landgericht klagt die Porsche AG seit November des vergangenen Jahres gegen eine Begleitagentur, und zwar wegen ihres Namens. Bundesweit vermittelt 114 EMMA Mai/Juni 2014 sie Frauen für romantische und erotische Stunden – unter dem gleichen Namen, den auch der Geländewagen des Automobilkonzerns trägt: Cayenne. Porsche sieht darin seine Markenrechte beschädigt und fürchtet um seinen guten Ruf – auch, weil sich der Konzern einer Aktion von Alice Schwarzer zur Abschaffung der Prostitution anschließen wolle. Süddeutsche Zeitung, Ines Alwardt „Die sexuelle Revolution, die große Liberalisierung schuf überhaupt erst die Bedingungen dafür, dass plötzlich alles möglich war, was vorher nicht ging. Wenn man so will, haben wir es nach der Studentenrevolte mit einem ungezügelten Markt zu tun, auf dem sich jeder mit jeglicher Neigung tummeln konnte“, sagt der Sexualwissenschaftler Gunter Schmidt. „Die Anfänge waren gewissermaßen neoliberal. Erst später haben wir gemerkt, dass auch ein solcher Markt Regeln braucht.“ Das Verdienst dafür gebührt der Frauenbewegung, in Deutschland nicht zuletzt Alice Schwarzer. Ihre Zeitschrift EMMA machte zum Thema, dass kleine Mädchen in großer Zahl von ihren Vätern, Stiefvätern oder Onkeln zu sexuellen Handlungen genötigt wurden. Die Missbrauchsdebatte begann. Stern, Hans-Hermann Klare Frage: Warum haben Sie damals so eisern zu den Vorwürfen geschwiegen? Rainer Brüderle: Ich bin heute noch überzeugt, dass ich die politische Debatte anders nicht überstanden hätte. Da kommen Sie mit der Wahrheit nicht weiter, wenn Frauenrechtlerinnen wie Alice Schwarzer im Kampfmodus sind. Interview mit Rainer Brüderle, FDP, im Handelsblatt Anm.d.Red.: Alice Schwarzer hat sich noch nie zu Herrn Brüderle persönlich geäußert. Wo bleibt die Fairness, wenn permanent die Frauenquote für Führungspositionen eingefordert wird, das Geschrei bei der Gleichberechtigung jeglicher unangenehmer Aufgabenerfüllung jedoch vollständig ausbleibt? Als Alice Schwarzer vor vielen Jahren diesen Geschlechter-Irrsinn begann und den Frauen permanent einredete, was sie doch für bemitleidenswerte Opfer seien, die sich unbedingt gegen die verachtenswerte Männerbrut zu wehren haben, so war das schon damals eine peinliche Angelegenheit. Wirtschaftswoche, Susanne Kablitz Wer sich heute darüber aufregt, dass in Deutschland nur Alice Schwarzer aus der Zeit übrig blieb, sollte fragen, was mit den anderen passiert ist. Alice Schwarzer ist ein feministischer Haudegen, durchsetzungsstark, eigensinnig. Deswegen wurde sie so prominent. Beim „Survival of the fittest“ blieb sie als Einzige übrig. FAZ, Katrin Rönicke Die ZK-Feministin. Wenn es Alice Schwarzer nicht schon gäbe, sagen böse Zungen, hätte man sie erfinden müssen, um den Feminismus in Verruf zu bringen. Mit ihren Stoppschildern markiert sie das politische Gelände, ex cathedra und kraft selbstverständlicher Deutungshoheit. Sie verabscheut das Kopftuch und steckt die einheimischen Frauen gleichzeitig in Soldatenmontur, als sei das der Gipfel der Gleichberechtigung. Richtig unbeliebt gemacht hat sie sich zuletzt bei den Huren, denen sie vorschreiben wollte, wie sie zu leben und sich zu fühlen haben. Gäbe es ein ZK des Feminismus, würde sie den Vorsitz beanspruchen. So bleibt es bei der selbst ernannten Päpstin. Der Freitag, Ulrike Baureithel Feministin sein, das wollen junge Frauen heute garantiert nicht. Feminismus ist in etwa so angesagt wie Markus Lanz oder Wanderschuhe. Die Alleinschuld daran wird gerne und oft Alice Schwarzer zugeschoben, doch damit macht man es sich zu einfach: Feministinnen waren noch nie angesehene Mitglieder der Gesellschaft. Vorwärts, Julia Korbik Mit dem Feminismus ist es ja immer so eine Sache: Moderne Frauen verdanken ihm Emanzipation, Gleichberechtigung und den Minirock. Trotzdem haftet der von Hedwig Dohm, Simone de Beauvoir und Alice Schwarzer geprägten Bewegung häufig ein negatives Image an – und das nicht nur bei Männern. Berliner Morgenpost, Antje Hildebrandt Was haben der Feminismus nach Alice Schwarzer und die Bundeswehr gemeinsam? Mal abgesehen davon, dass bei beiden kaum noch jemand mitmachen will, haben sowohl Schwarzer als auch die Truppe ein akutes Problem mit ihrem Frauenbild. Rheinische Post, Dagmar Rosenfeld (Ehefrau von FDP-Lindner) 1978 war Alice Schwarzer die erste Feministin, die sich als „bekennende Pazifistin“ uneingeschränkt für Frauen in der Bundeswehr aussprach. Denn Frauen dürften nicht aufgrund ihrer Natur aus gesellschaftlichen Bereichen ausgeschlossen werden; sie müssten zumindest freiwillig Nein zum Dienst am Vaterland sagen dürfen. Nach 23 Jahren wurde ihr Argument vom Europäischen Gerichtshof bestätigt. EMMA feiert es als grandiosen Sieg, dass das letzte Berufsverbot für Frauen gefallen sei. „Endlich“ werde „auch in Deutschland Frauen der Dienst an der Waffe erlaubt“. konkret, Kendra Briken 115_Vorschau 09.04.14 18:49 Seite 115 Die EMMA 26.6.2014 Gesundheit Wir wissen es schon länger: Frauen sind anders krank bzw. gesund als Männer. Die Gründe. Die Rosa/Hellblau-Falle Eine Mutter und ein Vater von drei Kindern warnen. Pazifistinnen im 1. Weltkrieg Es waren fast ausschließlich Frauen(rechtlerinnen) für den Frieden. Schurkenstaat Saudi-Arabien Warum marschiert der Westen da eigentlich nicht ein? Graphic Novels Frauen erzählen das Leben in Bildern. Moreau & Faithfull Eine Begegnung der anderen Art. Die Pferdefrau Bei Petra Teegen kriegen sie alle ein Gnadenbrot. Der Unterstrich und das Sternchen: Linguistin Luise Pusch sagt endlich, warum das alles Quatsch ist! Marianne Faithfull und Jeanne Moreau im traulichen Gespräch. 116_EMMA_Jahrespaket_2013 14.02.14 17:00 Seite 116 696 Seiten EMMA. Ein ganz besonders bewegtes Jahr! Wer ein Heft oder gar alle verpasst hat: EMMA 2013 – JETZT BESTELLEN! Sechs EMMA-Ausgaben, das komplette Jahr 2013. Für nur 20 Euro (statt 45). Versand kostenlos. Fakten. Ideen. Meinungen. Ein Jahr Denken, Fühlen, Handeln – und EMMAs Blick auf die Welt. Ein Jahr EMMA für nur 20 EURO An: EMMA, Bayenturm, 50678 Köln, Fax 0221/ 60 60 60-29, [email protected] oder auf www.emma.de Ja, ich bestelle den EMMA-Jahrgang 2013 für nur 20 € gesamt (6 Hefte). Versand gratis (ins EU-Ausland 5 €, Schweiz 10 €). O Ich lege einen Scheck bei (nur Inland). O Ich habe den Betrag am ..................... auf das EMMA-Konto Postbank Köln, IBAN: DE56 3701 0050 0500 0505 04, BIC: PBNKDEFF überwiesen. O Ich lege Bargeld bei. Name, Vorname Telefon, E-Mail Straße, Hausnummer PLZ/Ort Datum, Unterschrift