Berücksichtigung der biologischen Vielfalt in der raumbezogenen
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Berücksichtigung der biologischen Vielfalt in der raumbezogenen
NuL02-09_AK4 21.01.2009 17:50 Uhr Seite 36 Berücksichtigung der biologischen Vielfalt in der raumbezogenen Umweltplanung Ein Beitrag zur Methodendiskussion Von Torsten Lipp Zusammenfassung Summary Ausgehend von der Definition der biologischen Vielfalt in der internationalen Konvention über biologische Viefalt (CBD) wird dargestellt, welche Anforderungen an die Berücksichtigung der Biodiversität in der Planung zu stellen sind. Bislang hat sich in der deutschen Planungspraxis noch kein adäquates Herangehen an diese Thematik heraus gebildet. Anhand einiger Beispiele aus der Planungspraxis sowie Ansätzen aus der Landschaftsökologie werden grundsätzliche Möglichkeiten der Berücksichtigung der Biodiversität aufgezeigt. Beispielhafte neuere Ansätze, die in der Praxis bereits erprobt wurden, können die Grundlage für die Entwicklung fachlich fundierter Methoden zur Bewertung der biologischen Vielfalt in der Planung sein. Consideration of Biological Diversity in Spatial Environmental Planning – Contribution to the discussion of methods Based on the definition of Biological Diversity in the CBD (Convention of Biological Diversity) the study investigates which demands have to be made on the consideration of biodiversity in planning projects. So far there is no adequate approach to this topic in the German planning practice. The paper illustrates general possibilities how to consider biodiversity in planning, using several examples of practical planning and of landscape ecological approaches. Recent exemplary approaches, already practically tested, can serve as a base for the development of well-founded methods to evaluate biological diversity in planning projects. 1 Biologische Vielfalt in der Planung Die biologische Vielfalt ist in der raumbezogenen Umweltplanung von zunehmender Bedeutung. Seit der Formulierung der Konvention über die biologische Vielfalt (englisch: Convention on Biological Diversity, kurz CBD) in Rio im Jahr 1992 ist der Begriff und das zugrunde liegende Konzept in zahlreichen Richtlinien, Konventionen und Gesetzen eingeführt worden. Im deutschen Umweltrecht tauchte der Begriff erstmalig in der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes von 2002 (BNatSchG) auf. Dort heißt es im § 2 (Grundsätze) Nr. 8: „Zur Sicherung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts ist die biologische Vielfalt zu erhalten und zu entwickeln. Sie umfasst die Vielfalt an Lebensräumen und Lebensgemeinschaften, an Arten sowie die genetische Vielfalt innerhalb der Arten.“ Damit werden die drei Ebenen der biologischen Vielfalt benannt, wie sie auch in der CBD definiert sind. Im Entwurf zum Buch III (Naturschutz) des für 2009 angekündigten Umweltgesetzbuches (UGB), ist die biologische Vielfalt an exponierter Stelle im § 1 (Ziele) angesiedelt. Im Satz 2 wird der Begriff näher spezifiziert, allerdings wird dort die genetische Ebene nicht explizit genannt. Durch die Einführung der Richtlinie über die Strategische Umweltprüfung (SUP), hat der Begriff der biologischen Vielfalt auch für andere Planungen, etwa die Raumordnung und Bauleitplanung an Bedeutung gewonnen, da die SUP-Richtlinie die biologische Vielfalt ausdrücklich als Schutzgut benennt. 36 Die Planwerke der Raumordnung und Bauleitplanung, also z.B. Regional- oder Flächennutzungspläne sind generell einer Umweltprüfung zu unterziehen, wobei die Landschaftsplanung wesentliche Beiträge für die SUP liefert. Die raumbezogene Umweltplanung hat bislang noch keine einheitliche Methode zum Umgang mit diesem „Schutzgut“ gefunden (JANSEN & KOCH 2006). Es wird vielmehr häufig darauf verwiesen, dass die Thematik im Kapitel „Arten und Lebensräume“ hinreichend behandelt wird (SCHMIDT 2004, s.u). Diese Haltung ist nicht tragfähig, wenn die Definition der biologischen Vielfalt ernst genommen wird. Biodiversität sollte nicht auf den Schutz von Arten und Lebensräumen reduziert werden, u.a. da dieser häufig im Widerspruch zum „Prozessschutz“ steht (vgl. KUHN 2007), der wiederum ausdrücklich Bestandteil des Konzeptes der biologischen Vielfalt ist. Im Folgenden sollen mögliche Herangehensweisen zur Berücksichtigung der Biodiversität in der Planung vorgestellt und diskutiert werden. Dazu wird zunächst kurz auf die Entstehung des Konzeptes der Biodiversität eingegangen, ehe der Umgang mit der Thematik anhand einiger Beispiele aus der Planungspraxis in Deutschland beschrieben wird. Danach werden Ansätze vorgestellt, die sich stärker auf Methoden der Landschaftsökologie stützen. Daraus leiten sich Anforderungen ab, die eine Herangehensweise erfüllen sollte, um Biodiversität in Planungsverfahren fundiert zu berücksichtigen. Dabei werden methodische Ansätze, Datengrundlagen, zeitliche und räumliche Bezugseinheiten sowie die Zielsetzung berücksichtigt. Abschließend werden kurz zwei viel versprechende methodische Ansätze vorgestellt, die eine Grundlage für die Einführung einer anerkannten Methodik darstellen könnten. 2 Das Konzept der biologischen Vielfalt 2.1 Entwicklung des Begriffs Die Entstehung des Begriffs der biologischen Vielfalt lässt sich vergleichsweise eindeutig zeitlich einordnen. 1974 tauchte das Begriffspaar „biotic diversity“ erstmalig im Wissenschaftsjournal „Science“ auf, im Jahr 1980 erschien der „Global 2000-Report“ in dem über „changes in Biological diversity“ berichtet wird, 1986 fand das „US National Forum on BioDiversity“ statt, ein Ereignis, dass oft als Geburtsstunde des Begriffs genannt wird (TÜRKAY 2003, HOBOHM 2000). Es folgte zwei Jahre später die Buchveröffentlichung „Biodiversity“ von Edward Wilson und schließlich 1992 auf dem „Earth summit“ von Rio de Janeiro die Verabschiedung der CBD, die innerhalb kurzer Zeit von 170 Staaten und der EU unterzeichnet wird. Dass die CBD entscheidend zur Verbreitung und Anwendung des Konzeptes der biologischen Vielfalt beigetragen hat, wird deutlich, wenn als Indikator die Verwendung des Begriffs in wissenschaftlichen Zeitschriften herangezogen wird (Abb. 1). Während das Schlagwort „Biodiversity“ in internationalen Bio- und Umweltwissenschaftlichen Zeitschriften zwischen 1980 und 1992 lediglich 45-mal genannt wird, ergibt die Anfrage im ISI Thompson Web of Science im Zeitraum zwischen 1993 und 2000 1028 Treffen und von 2001 bis 2008 sogar 2942 „Hits“. 2.2 Definitionen und Konzepte Die Definition der Biodiversität im Artikel 2 der CBD ist allgemein anerkannt. Auch wenn sich darin Inkonsistenzen feststellen lassen (BEIERKUHNLEIN 2003), soll sie hier zugrunde gelegt werden. Im Artikel 2 heißt es: „[Biodiversität ist] die Variabilität unter lebenden Organismen jeglicher Herkunft, darunter unter anderem Land-, Meeres- und sonstige aquatische Ökosysteme und die ökologischen Komplexe, zu denen sie gehö- Naturschutz und Landschaftsplanung 41, (2), 2009 NuL02-09_AK4 21.01.2009 17:50 Uhr Seite 37 Abb. 1: Zunahme der Nennung des Begriffs der „Biodiversity“ in bio- und umweltwissenschftlichen Fachzeitschriften – im Vergleich dazu geistes- und sozialwissenschaftlichen Zeitschriften. ren; dies umfasst die Vielfalt innerhalb der Arten und zwischen den Arten und die Vielfalt der Ökosysteme“. „Diversity“ sollte allerdings nicht, wie im deutschen Sprachraum mittlerweile üblich (vgl. „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“, BMU 2007) mit „Vielfalt“ übersetzt werden1, da eher die Mannigfaltigkeit bzw. Variabilität und nicht die reine Anzahl gemeint ist (BEIERKUHNLEIN 2003, JEDICKE 2001). Vielfalt alleine ist kein Gütesiegel. Bei der Auseinandersetzung mit Biodiversität ist die angesprochene Hierarchie zu beachten, also die drei Ebenen der Gene, Arten und Ökosysteme. „Ökosysteme“ werden in der CBD definiert als „ein dynamischer Komplex von Gemeinschaften aus Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen sowie deren nicht lebender Umwelt, die als funktionelle Einheit in Wechselwirkung stehen“ (Artikel 2 CBD). Dynamik und Prozesse spielen also innerhalb und zwischen den natürlichen Systemen eine wichtige Rolle (BEIERKUHNLEIN 2003) und sind als ein grundlegender Aspekt bei der Betrachtung der Biodiversität – auch in der Planung – zu berücksichtigen. Ein umfassendes und dennoch gut nachvollziehbares Konzept zur biologischen Vielfalt hat R.F. NOSS mit seinem hierarchischen Indikator Ansatz bereits 1990 vorgelegt (NOSS 1990, WALDHARDT & OTTE 2000). Er stützt sich dabei auf drei wesentliche Merkmale der Biodiversität, die auf allen drei Ebenen definiert und bestimmt werden können (Abb. 2). Bei den Merkmalen handelt es sich um Ü die Komposition, Ü die Struktur und Ü die Funktion. Die Komposition beschreibt die Individualität und Mannigfaltigkeit von Elementen, z.B. 1 In diesem Text werden die Begriffe „Biodiversität“ und „biologische Vielfalt“ synonym verwendet. Naturschutz und Landschaftsplanung 41, (2), 2009 Arten und Gene, innerhalb eines zu betrachtenden Raumes. Struktur bezieht sich dagegen auf die Anordnung oder die Konstruktion von Einheiten, die Verteilung von Elementen und ihre Beziehung untereinander. Funktion schließlich umfasst Prozesse aller Art; etwa demografische Entwicklungen, Stoffkreisläufe oder Störungen. Diese Merkmale sind hierarchisch ineinander verschachtelt und lassen sich auf den Betrachtungsebenen Landschaft, Ökosystem, Population und Genetik identifizieren. Dabei weist NOSS (1990) darauf hin, dass die übergeordnete Ebene für die nachfolgenden bestimmend ist. Er macht dies anschaulich, indem er das Bild von kleineren Systemkugeln entwirft (z.B. Gene, Arten), die in eine größere Systemkugel (z.B. Biosphäre, Ökosystem) eingeschlossen sind. Rollt nun die größere Kugel symbolisch den Berg hinunter, trifft dies zwangsläufig auch auf die eingeschlossenen Systeme zu. Damit wird verdeutlicht, dass sich Veränderungen in verschachtelten Systemen auf die nachgeordneten Ebenen auswirken. NOSS (1990) hat sein hierarchisches Konzept für das Monitoring der Biodiversität entwickelt und beispielhaft eine Reihe von Indikatoren für die unterschiedlichen Merkmale und Ebenen benannt, die im Rahmen von Monitoring Konzepten Anwendung finden können. Er bietet damit aber auch einen hilfreichen Rahmen für die Auseinandersetzung mit der biologischen Vielfalt in der raumbezogenen Umweltplanung. Insbesondere Komposition und Struktur sind Merkmale, die mit Hilfe von Daten, die i.d.R. für Planungsaufgaben verfügbar sind (z.B. Biotoptypenkartierungen), und modernen Auswertemethoden (z.B. Landschaftsstrukturmaße) relativ gut erfasst und bewertet werden können. Dass Konzept von NOSS (1990) wird daher den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt. 3 Die Auseinandersetzung mit der biologischen Vielfalt in Planungsverfahren in Deutschland In Deutschland ist der Begriff der biologischen Vielfalt vergleichsweise spät in das Bundesnaturschutzgesetz eingeführt wor- Abb. 2: Das hierarchische Konzept der Biodiversität nach NOSS (1990). 37 NuL02-09_AK4 21.01.2009 17:50 Uhr Seite 38 den. Es gibt daher bislang auch noch wenige Ansätze, dieses „Schutzgut“ im Rahmen von Planungsverfahren adäquat zu behandeln. „Schutzgüter“ ist eine Formulierung, die so nicht im BNatSchG vorkommt, wohl aber im UVPG. Dennoch hat sich dieser Begriff eingebürgert, obwohl „Naturgüter“ der Richtige wäre. Insbesondere die Bewertung bzw. die Festlegung von Zielszuständen gestaltet sich schwierig (DIERSSEN 2008). So kann z.B. das Ziel einer möglichst hohen Gesamt-Biodiversität mit einem Rückgang von gefährdeten Arten einhergehen (MAYER et al. 2002). Auch die Frage, ob eine hohe Biodiversität, die aber auf eine regelmäßige Nutzung angewiesen ist, bzw. erst in Folge intensiver menschlicher Tätigkeiten entstanden ist, Ziel des Naturschutzes sein sollte, lässt sich nicht pauschal beantworten, sondern muss im jeweiligen regionalen Kontext entschieden werden. Einige grundsätzliche Überlegungen zum Umgang mit Biodiversität in Planungsverfahren stellt SCHMIDT (2004) im Rahmen eines Forschungsvorhabens zur Umweltprüfung für Regionalpläne an. Dabei empfiehlt sie u.a. die Ebene der genetischen Vielfalt außer Acht zu lassen, da diese in der Regionalplanung per se nicht erfassbar sind. Diese Überlegung geht mit dem Ansatz von NOSS (1990) konform, der eine hierarchische Vorgehensweise empfiehlt und die ökosystemare Ebene als die Entscheidende ansieht. Weiterhin regt SCHMIDT (2004) an, bei der Erfassung und Bewertung der biologischen Vielfalt Parameter der Arten und Lebensgemeinschaften zu betrachten also die Artenvielfalt und/oder die Biotopvielfalt. Als weitere Empfehlung gibt sie den Hinweis, biologische Vielfalt als Teilaspekt des Schutzgutes Arten und Biotope aufzufassen. Sie begründet dies damit, dass das Kriterium Vielfalt als Bewertungskriterium nicht ausreicht, da in einigen Lebensräumen per se eine geringe Artenvielfalt herrscht, diese aber trotzdem (oder gerade) selten und schützenswert sind. Mit dieser Empfehlung wird das Konzept der biologischen Vielfalt auf die Artenvielfalt als Messgröße reduziert. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Artenvielfalt nur einen Teilaspekt der biologischen Vielfalt darstellt (WALDHARDT & OTTE 2000), der bis zu einem gewissen Grad der Mannigfaltigkeit der Ökosysteme untergeordnet ist. Die Vielfalt der Arten ist nur ein Parameter, der zur Beurteilung der Biodiversität in der Planung herangezogen werden sollte. Grundsätzlich erscheint eine Kombination von Aspekten der Lebensraum- oder Biotopvielfalt mit solchen der Artenvielfalt als ein Ansatz, der sowohl wissenschaftlich fundiert als auch praktisch anwendbar ist. So gibt es mindestens zwei Vorhaben aus der planerischen Praxis, in denen eine solche Kombination Anwendung findet. Zum einen berichten JANSEN & KOCH (2006) von einem methodischen Ansatz im Rahmen der Umweltprüfung für den Flächennutzungsplan der Stadt Ostfildern, bei dem Informationen aus der Biotoptypenkartierung mit den Ansprüchen von faunistischen Zielarten kombiniert wurden. Dabei konnte auf das in langjährigen 38 Forschungen entwickelte Zielartenkonzept Baden-Württemberg (JOOß et al. 2006, 2007) zurückgegriffen werden, das eine besondere Verantwortung der Gemeinden für bestimmte Tierarten formuliert. Ein anderer Ansatz stammt aus der Stadt Leipzig, die sich bei der Aufstellung ihres Landschaftsplans auf ein Gutachten zur Berücksichtigung der Biodiversität gestützt hat (agl 2005). Dabei wurden ebenfalls Daten der Biotoptypenkartierung mit faunistischen Informationen verschnitten. In diesem Fall wurden die Daten der Brutvögelkartierung genutzt, die flächendeckend für das Stadtgebiet vorliegt. Vögel sind als Indikator- bzw. Leitarten zur Bewertung im Naturschutz weit verbreitet und fachlich anerkannt (FLADE 2000). Da die Daten der Brutvögel den Quadranten der TK 25 zugeordnet sind, wurde auch die Biotoptypenkartierung mit diesem Raumbezug aufbereitet. Während die Auswertung bezogen auf alle vorkommenden Vogelarten plausibel erscheint, d.h. hohe Biotopvielfalt als Voraussetzung für eine große Anzahl von Brutvögeln zu erkennen ist, lassen sich bei der Auswertung in Bezug auf spezialisierte Vogelarten keine Zusammenhänge mehr ausmachen (agl 2005). Dieses Verfahren, das sich ebenfalls an verschiedenen Forschungsergebnissen orientiert, erscheint daher (noch) nicht für die Praxis ausgereift. Andere Verfahren weisen allerdings ebenfalls Mängel auf, eine allgemein anerkannte Methode liegt bislang nicht vor. 4 Ansätze zur Bewertung der biologischen Vielfalt auf Grundlage landschaftsökologischer Forschung In der landschaftsökologischen Forschung wird die Biodiversität überwiegend auf die Artenvielfalt reduziert (JEDICKE 2001, WALDHARD & OTTE 2000), wobei landschaftliche Faktoren als Voraussetzung für die Lebensbedingungen der Arten berücksichtigt werden. Zunehmend werden dabei Modellierungsansätze verwendet (DIERSSEN 2008), die u.a. in Habitateignungs- und Metapopulationsmodelle differenziert werden können (DIEMBECK et al. 2008, HÄNEL 2007, GONTIER et al. 2006). Während die Habitateignungsmodelle vornehmlich Informationen über Größe, Lage und Ausstattung der potenziellen Habitate berücksichtigen, werden für die Ausbreitungsmodelle auch Informationen über das Ausbreitungsverhalten (dispersal) der Art berücksichtigt. Für beide Formen der Modellierung sind populationsbiologische Untersuchungen erforderlich, da das Vorkommen bzw. nicht Vorkommen (presence/absence) der Individuen eine wichtige Eingangsgröße darstellt. Hierfür sind in der Regel aufwändige Freilanduntersuchungen oder qualitativ hochwertige, möglichst aktuelle Verbreitungsdaten erforderlich. Die computergestützten Modelle sind heute in der Landschaftsökologie „state of the art“. Für die Anwendung in der Planung ist allerdings eine Kopplung bzw. Integration in ein GIS erforderlich, um einen Raumbezug herzustellen und weitere planungsrelevante Daten überlagern oder verschneiden zu kön- nen. Da nicht für alle relevanten Arten entsprechende Modellierungen vorgenommen werden können (KAULE et al. 1999), müssen geeignete Zielarten ausgewählt werden. Die Wahl der „richtigen“, also für die Fragestellung am besten geeigneten Arten ist dabei entscheidend für die Ergebnisse. Neben den artbezogenen Eingangsdaten sind auch standörtliche Informationen etwa zum Boden oder zur Landbedeckung für die Modellierung erforderlich. Solche Informationen liegen in Form von Karten und zunehmend auch digital aufbereitet vor. Allerdings sind die zugrunde liegenden Kartierungen nicht immer aktuell (z.B. Bodenschätzungsdaten) oder nicht detailliert genug (z.B. CORINE Landcoverdaten). Daraus resultiert das Problem, mit unterschiedlich exakten Daten arbeiten zu müssen; dadurch wird die Genauigkeit bzw. die Validität der Ergebnisse negativ beeinflusst. Die Durchführung von Kartierungen zur exakten Bestimmung der Gegebenheiten wird in der Praxis aufgrund der hohen Kosten allerdings nur selten in Auftrag gegeben. Die beschriebenen Modellierungsansätze wurden z.B. erfolgreich zur Auswahl von Schutzgebieten eingesetzt (FERRIER et al. 2002). In der raumbezogenen Umweltplanung, die auch innerhalb der „Normallandschaft“ Räume aufzeigen soll, in denen eine hohe Biodiversität erhalten bzw. entwickelt werden kann, ist die Anwendung dieser Methoden noch kaum verbreitet. In einer Untersuchung von 38 europäischen Umweltverträglichkeitsuntersuchungen zeigen GONTIER et al. 2006, dass es noch große Lücken zwischen den Erkenntnissen der Forschung und den Anwendungen in der Praxis gibt. Insbesondere in Skandinavien gibt es aber Bemühungen, die forschungsorientierte Landschaftsökologie enger mit der anwendungsbezogenen Planung zu verknüpfen. So entwickelten z.B. MÖRTBERG et al. 2007 ein GIS-gestütztes Werkzeug zur Beurteilung der Auswirkung von Infrastrukturprojekten, das auf Habitatmodellen für ausgewählte Arten beruht. LÖFVENHAFT et al. (2004) kombinieren Biotopmuster und die Verteilung von Amphibienpopulationen als Grundlage für die Bewertung der Biodiversität in der städtischen Landschaftsplanung. PEDERSEN et al. (2004) schließlich präsentieren ein GIS-gestütztes Managementsystem zur Erhaltung der Biodiversität in Oslo. Diese Beispiele zeigen, dass der Einsatz landschaftsökologischer Ansätze in der Planung zielführend sein kann. 5 Anforderungen an Verfahren zur Berücksichtigung der biologischen Vielfalt in der Planung 5.1 Anforderungen Aufbauend auf die vorhergehenden Ausführungen sollen im Folgenden Anforderungen an Methoden formuliert werden, die geeignet sind, biologische Vielfalt in der raumbezogen Umweltplanung zu berücksichtigen. Solche Verfahren sollten mindestens berücksichtigen, dass Naturschutz und Landschaftsplanung 41, (2), 2009 NuL02-09_AK4 21.01.2009 17:50 Uhr Seite 39 Ü biologische Vielfalt sich anhand der Krite- rien Struktur, Komposition und Funktion auf unterschiedlichen Ebenen charakterisieren lässt; Ü die wesentlichen Indikatoren, mit denen sich Biodiversität in der Planung bestimmen lässt, die Lebensräume, Tier- und Pflanzenarten sowie der Prozesse, die zwischen diesen Komponenten ablaufen sind. Wenn entsprechende Informationen verfügbar sind oder besondere Umstände vorliegen, sollten auch genetische Aspekte einbezogen werden; Ü biologische Vielfalt nicht per se immer und überall gleich sein kann – dem entsprechend ist eine räumliche und zeitliche Bezugseinheit zu definieren bzw. eine Regionalisierung notwendig; Ü biologische Vielfalt auch eine zeitliche Komponente hat, d.h. auch historische Zustände und künftige Entwicklungen Eingang in eine Betrachtung finden sollten. Struktur, Komposition und Funktion lassen sich für die Lebensräume und für ausgewählte Zielarten bestimmen. In Bezug auf die Struktur sind die zu bewertenden Elemente auszuwählen. Dabei spielen wertgebende Eigenschaften wie Naturnähe, Seltenheit oder Gefährdung eine Rolle. Die Komposition wird anhand von Landschaftsmaßzahlen, wie Größe, Konvektivität oder Dichte bestimmt. Funktion kann aufgrund der Naturnähe bewertet werden, unter der Prämisse, dass dann der Ablauf weitgehend natürlicher Prozesse möglich ist (vgl. WULF 2001). Als Indikator können Biotoptypen herangezogen werden, die keiner oder nur extensiver menschlichen Nutzung unterliegen, z.B. Naturwaldreservate, Feuchtwiesen oder Moore, oder es können die Anteile von Kernzonen ausgewiesener Schutzgebiete in die Bewertung einfließen. Die Auswahl der Kriterien, die für die Bewertung der Biodiversität herangezogen werden, hängt von der Betrachtungsebene sowie insbesondere von den verfügbaren Datengrundlagen ab. Da Biodiversität ein hoch aggregierter Bewertungsgegenstand ist, erscheint eine regionale Betrachtungsebene angezeigt, die einerseits relativ detailreiche Aussagen zulässt, andererseits aber auch den Faktor Raum (und Repräsentativität) angemessen berücksichtigt. Mindestens erforderliche Datengrundlage sind flächendeckende Biotoptypenkartierungen, wie sie in den meisten Bundesländern – allerdings nicht immer aktuell – verfügbar sind. Ergänzt werden diese durch selektive Biotopkartierungen gesetzlich geschützter Biotope, Informationen zu den Schutzgebieten im Untersuchungsgebiet und zu ausgewählten Tier- und Pflanzenarten. Dabei ist nicht nur das Vorkommen besonders seltener oder gefährdeter Biotoptypen als Bewertungskriterium heranzuziehen, sondern auch die Bedeutung von Biotopkomplexen als Lebensraum für Tier- und Pflanzenarten. 5.2 Kriterien Genetische Aspekte können in der Planung sicher nur eine Nebenrolle spielen. Wenn entsprechende Umstände vorliegen bzw. notwendige Daten vorhanden sind, sollte diese Naturschutz und Landschaftsplanung 41, (2), 2009 auch in die Bewertung einbezogen werden. Als Beispiel sei das massenhafte Vorkommen von Neophyten genannt, das den regionalen Genpool beeinträchtigt, oder als positives Beispiel ein historischer Waldstandort, der Indiz dafür sein kann, dass hier eine jahrhundertlange Reinheit der genetischen Ausstattung besteht. Insbesondere in solchen Fällen, ist bei der Umsetzung von Maßnahmen die Verwendung von autochthonem Pflanz- und Saatmaterial erforderlich. Auch die Schaffung von Verbundmöglichkeiten für Arten, die letztendlich auch als Genaustausch fungieren, dient der biologischen Vielfalt. Eine Regionalisierung ist für die Bewertung der Biodiversität notwendig, da unterschiedliche Landschaften bereits aufgrund der naturräumlichen Verhältnisse, der historischen oder rezenten Nutzung und anderer Einflussfaktoren unterschiedliche Biodiversitätswerte erzielen. Eine agrarisch geprägte ländliche Region wird sich unter dem Aspekt der Biodiversität nicht mit einem verdichteten städtischen Raum vergleichen lassen. Für die räumliche Planung sollten Ziele auf der regionalen Ebene bezogen auf naturräumliche Einheiten festgelegt werden. Diese können dann für den jeweils zu betrachteten Untersuchungsraum, z.B. Landkreise, Planungsregionen oder Gemeinden als Maßstab herangezogen werden. Der Faktor Zeit ist sowohl unter historischen Aspekten (welches Potenzial an Biodiversität gibt/gab es im betrachteten Raumausschnitt), als auch unter dem Aspekt der zukünftigen Entwicklung (welche Optionen bieten sich zur Entwicklung der biologischen Vielfalt) von Bedeutung. Dementsprechend sollten Prognosen über die zukünftigen Zustände in die Bewertung einbezogen werden, da ein Raum mit hoher Biodiversität, die absehbar keinen Bestand haben wird, anders zu beurteilen ist, als eine Gegend, der langfristig positive Entwicklungen mit Bezug auf die Biodiversität prognostiziert wird. Dabei müssen stärker als bislang in der Planung üblich, übergeordnete Einflüsse, insbesondere die Auswirkungen des Klimawandels einbezogen werden (HEILAND et al. 2008, JESSEL 2008, IBISCH & KREFT 2008). Durch die Klimaänderungen kommt es z.B. zu Arealverschiebungen von Arten, so dass sich die Artenzusammensetzung langfristig ändern wird. Es wird aber auch zum Aussterben von Arten kommen, wenn diese sich nicht schnell genug an die veränderten Bedingungen anpassen können. Diesbezüglich müssen planerische Entscheidungen getroffen werden: Welchen Arten, die zu einer hohen Biodiversität beitragen, wollen und können wir helfen, sich an die veränderten Bedingungen anzupassen, z.B. durch die Schaffung von Verbundsystemen, die die Ausbreitung erleichtern oder durch das Management von Habitate, z.B. die Steuerung der Wasserstandes. Insbesondere bei der Berücksichtigung historischer Aspekte und zukünftiger Entwicklungen wird es in der Regel nicht möglich sein, alle Kriterien vollständig zu berücksichtigen, da die Daten z.B. zum früheren Vorkommen bestimmter Arten fehlen. Für die Beurteilung zukünftiger Entwicklungen sind Methoden der Landschaftsökologie, insbesondere der Modellierung geeignet. Diese liefern statistisch abgesicherte Prognosen zum möglichen Vorkommen von Arten und werden z.B. auch für den Einsatz zur Maßnahmenplanung nach der Wasserrahmenrichtlinie empfohlen (DIEMBECK et al. 2008). Dort dienen sie u.a. „zur Abschätzung der Erfolgswahrscheinlichkeit der Ausbreitung und Besiedlung“, sie „simulieren das Vorkommen von Arten in bestimmten Habitaten“ und „die Überlebenswahrscheinlichkeiten von Populationen“ (DIEMBECK et al. 2008). RUDNER et al. (2004) betonen, dass der entscheidende Vorteil der Modellierungsansätze – und der Grund, warum diese auch in der Planung Anwendung finden sollten – in der Quantifizierung der Arten-Umwelt-Beziehung liegt, die eine Prognose der Vorkommenswahrscheinlichkeit erlaubt. 5.3 Zielentwicklung Zur Festlegung von Zielen zur Optimierung der Biodiversität können einige der Zielvorgaben herangezogen werden, die in der Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt (BMU 2007) vorgegeben sind: Ü Bis zum Jahr 2010 ist der Anteil der vom Aussterben bedrohten und stark gefährdeten Arten verringert. Ü Auf 2 % der Fläche Deutschlands entwickelt sich bis 2020 Wildnis. Ü Bis 2015 nimmt der Flächenanteil naturschutzfachlich wertvoller Agrarbiotope (hochwertiges Grünland, Streuobstwiesen) um mindestens 10 % gegenüber 2005 zu. Ü Im Jahr 2010 beträgt in agrarisch genutzten Gebieten der Anteil naturnaher Landschaftselemente (z.B. Hecken, Raine, Feldgehölze, Kleingewässer) mindestens 5 %. Ü Der derzeitige Anteil der unzerschnittenen verkehrsarmen Räume > 100 km2 bleibt erhalten. Diese Ziele beinhalten quantitative Vorgaben zur Struktur (Artenvielfalt, Agrarbiotope, Landschaftselemente), zur Komposition (unzerschnittene Räume) und – indirekt – zu Prozessen (Wildnis). Damit treffen sie Aussagen zu den wesentlichen Aspekten von Biodiversität, wie sie hier dargelegt wurden. Diese bundesweiten Ziele bzw. Leitbilder müssen im Rahmen der Landschaftsplanung weiter regionalisiert und konkretisiert werden, damit sie auf der Umsetzungsebene Akzeptanz erfahren und realisiert werden (MARSCHALL et al. 2008). Um eine fundierte Konkretisierung vornehmen zu können, sind die beschriebenen Anforderungen zu Grunde zu legen. 6 Diskussion Für die Berücksichtigung der Biodiversität in der raumbezogenen Umweltplanung lassen sich vielfältige Anforderungen ableiten. Denen stehen Methoden gegenüber, die für eine sachgerechte Bearbeitung der biologischen Vielfalt zugrunde gelegt und weiter entwickelt werden können bzw. müssen. Zwei aktuelle Ansätze, die einerseits die Er- 39 NuL02-09_AK4 21.01.2009 17:50 Uhr Seite 40 reichung dieser Ziele durch Planung unterstützen und dabei jeweils die Aspekte des Anforderungsprofils berücksichtigen, sollen abschließend kurz vorgestellt werden: Ü Ermittlung der regionalen Mindestdichten, Ü Zielartensystem Baden-Württemberg. Während MÜLLER et al. (2008), die regionalisierte Zielwerte für Mindestdichten an Kleinstrukturen für Planungsregionen in Mecklenburg-Vorpommern bestimmen, weisen JOOß et al. (2006) eine „besondere Schutzverantwortung“ für Gemeinden in Bezug auf schützenswerte Arten in BadenWürttemberg aus. Ausgehend von der Ausstattung der naturräumlichen Einheiten mit Kleinstrukturen bestimmen MÜLLER et al. (2008) „Soll-Werte“, denen „Ist-Werte“ auf Gemeindebasis gegenübergestellt werden. Die so ermittelten Defizite in der Ausstattung mit bedeutsamen Kleinstrukturen sind künftig durch die Anlage von Hecken oder anderen Elementen auszugleichen. JOOß et al. (2006) definieren für die Gemeinden in Baden-Württemberg eine besondere Verantwortung für Arten aus dem landesweiten Zielartenkatalog, in dem sie die Anteile an geeigneten Habitaten berechnen. Neben dem Indikator „Flächengröße“ werden auch potenzielle Verbundräume ausgemacht, die für ein langfristiges Überleben der Arten von Bedeutung sind. Gemeinsam ist den beiden Methoden, dass sie einen hierarchischen Ansatz verfolgen, als Bezugsräume naturräumliche Einheiten verwenden, quantitative Ziele festlegen und moderne Methoden der Landschaftsökologie, wie Landschaftsstrukturmaße und Habitatmodelle, verwenden. Damit liegen zwei fundierte und erprobte Methoden vor, die aufzeigen, wie die Anforderungen an die Berücksichtigung der Biodiversität in der Planung praktisch umgesetzt werden können. Diese Ansätze können daher Grundlage für weitere Überlegungen und Anwendungen zur Berücksichtigung der Biodiversität in Planungsverfahren sein. Ob daraus eine konsistente und übertragbare Methode zur Berücksichtigung der Biodiversität entwickelt werden kann, bleibt abzuwarten, denn die Erfahrungen aus anderen Untersuchungen zeigen, das „Standardmethoden“ bislang kaum etabliert sind (PLACHTER et al. 2002, GRUEHN 2005). Aufgrund der heterogenen Datenlage, unterschiedlicher Planungseinheiten und Verfahrensweisen gestaltet sich der Versuch, einheitliche Bewertungsmethoden zu etablieren, in Deutschland generell schwierig. Mit den hier vorgestellten Anforderungen und den diskutierten Beispielen liegt aber ein Rahmenkonzept vor, dass in der Praxis der raumbezogenen Umweltplanung hilfreich sein kann, um das „Schutzgut“ Biodiversität fachgerecht zu behandeln. Literatur Agl (Hrsg., 2005): Integration des Schutzguts „Biodiversität“ in die Landschaftsplanung der Stadt Leipzig. Unveröff. Gutachten. BEIERKUHNLEIN, C. (2003): Der Begriff Biodiversität. Nova Acta Leopoldina NF 87, (328), 51-71. 40 Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU, Hrsg., 2007): Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt. Berlin/Bonn. DIEMBECK, D., LORENZEN, D., RECK, H., TREPEL, M., WINDHORST, W. (2008): Anforderungen an Habitatmodelle als Planungshilfe für die Wasserrahmenrichtlinie. 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