Trinken Zuhören

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Trinken Zuhören
Zuhören
Trinken
Mobbing in der Arbeitswelt
Die Banalisierung des Leidens
Stress, psychischer Druck, Mobbing: In der heutigen Arbeitswelt Realität,
oft schwer zu erkennen und zu definieren. Und nie ist das Mobbing subtiler,
als wenn es sich gegen schwangere oder stillende Frauen richtet. Solches
Leiden ist bisher statistisch nicht erfasst, aber es gilt unter Fachleuten als
erwiesen. Die Gesetzeslage in der Schweiz hat sich gebessert, bleibt jedoch
kompliziert und ist den meisten betroffenen Frauen nicht bekannt. Ein
Überblick.
A n i t a Te s t a - M a d e r,
Marilena Fontaine
( A T M ) Gibt es ein für die Zeit der
Schwangerschaft charakteristisches Mobbing?
Definiert wird Mobbing als «eine Abfolge
von feindseligen und wiederholten Vorhaben und/oder Aktionen von Kollegen/
Kolleginnen oder Vorgesetzten über längere
Zeit hinweg, die sich gegen eine Person
richten, welche solchen Angriffen machtlos
und ohne Verteidigungsmöglichkeiten ausgesetzt ist. Das Ziel oder die Konsequenz
solcher Aktionen ist es oft, die Person von
ihrer Arbeitsstelle zu vertreiben.»1
Passieren also Handlungen und Druckversuche, damit beispielsweise eine
Schwangere ihre Stelle kündet und so das
Recht auf bestimmte Leistungen verliert?
Existieren Verhaltensweisen von Seiten
der Arbeitgeber oder von Kollegen, die sich
gegen eine Frau richten, nur weil sie
schwanger ist? Weil eine Schwangerschaft
in der Arbeitswelt noch immer als Hindernis gilt?
Erwerbstätige
Familienfrauen
Anita
Testa-Mader, Marilena Fontaine,
Psychologin, arbeitet in
Lehre und Forschung im
psychosozialen und arbeitspsychologischen Gebiet sowie in der Gleichstellungsthematik.
Juristin, Leiterin der
Beratungsstelle für die
Gleichstellung der Frau
des Kantons Tessin.
Das Thema erhält im Kontext der aktuellen Situation besondere Bedeutung: Immer mehr Frauen bleiben auch nach der
Geburt der Kinder erwerbstätig. Interessante Feststellung an diesem Kongress hier
im Tessin: Der Anteil erwerbstätiger Mütter ist im Tessin kleiner als in den übrigen
Sprachgebieten der Schweiz, insbesondere
als in der Deutschschweiz. Wie die italieni-
sche Soziologin Marina Piazza ausführt,
besteht heute die Gefahr, dass Arbeitgeber
stark zwischen möglichen Arbeitnehmerinnen unterscheiden: Einerseits wünschen
sich Arbeitgeber junge, qualifizierte, engagierte, flexible und kompetitive Frauen.
Andererseits fürchten sie, Frauen mit
Familienverantwortung einzustellen, deren
Vorstellung von Flexibilität sich selten mit
ihrer eigenen trifft.
Ein weiteres Element ist das notwendige Bewusstsein vom Einfluss der Arbeit
auf die Gesundheit: Er kann positiv, Ressource und Bereicherung sein, aber auch
äusserst negativ, mit Auswirkungen auf
das körperliche und seelische Wohlbefinden, etwa bei sehr schwerer, schädlicher
oder unbefriedigender Arbeit oder wenn
die Arbeitssituation von verschiedenen
Seiten Druck ausgesetzt ist. Die Konsequenzen werden umso gravierender, je
schwieriger die sozioökonomische Situation der Angestellten ist (z. B. geringe
Qualifikation, allein erziehende Mutter,
Migrantin). Wenn dies generell besonders auf Frauen mit Doppelbelastung
zutrifft, dann erst recht auf Frauen
während der Schwangerschaft, einer Zeit
der besonderen Verwundbarkeit und
Veränderungen.
«Perinatales Mobbing»
kommt vor
Eine Studie des Bundesamts für Gesundheit2 über den Zusammenhang zwischen
Mutterschaft, Berufstätigkeit und Gesund1
2
Seco. Mobbing. Decrizione e aspetti legali, Berna.
BAG. Schwangerschaft, Mutterschaft, Erwerbstätigkeit und Gesundheit. Bern 2004.
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VIP’s und OK
Was wäre ein Hebammenkongress ohne
Ehren-, Ex- und aktuelle
Präsidentin, ohne
Zentralsekretärin und
Geschäftsführerin!
Und ohne das OK gäbe
es ihn gar nicht.
heit unterstreicht, dass der Schutz der Mutterschaft nicht nur von juristischen und
Versicherungsaspekten abhängt, sondern
auch von der sozialen Akzeptanz der
Mutterschaft und der erwerbstätigen
Mütter, bzw. deren Schutz vor Stress und
Mobbing durch die Arbeitswelt. Die Studie
hat weder in der schweizerischen noch internationalen Forschungsliteratur Hinweise auf Mobbing in der Schwangerschaft
und nach der Geburt gefunden. Experten,
die im Rahmen der Studie interviewt
wurden, sagten jedoch aus, dass nach
ihrer Erfahrung solches Mobbing zwar
nicht häufig sei, aber vorkomme. Sie erwähnten Frauen, die dem Druck ihrer
Arbeitgeber nachgaben, aus dem Team
ausgeschlossen wurden, die ihre Stelle
kündeten, weil das Klima bei der Arbeit
Kolleginnen aus der Südschweiz
Kordula Dattrino
ist nicht Hebamme, aber Mutter
der Hebamme
Jenny Barelli und
ausserdem Fachfrau für Buchhaltung. Kordula ist ein Beispiel
für das Improvisationstalent und
die Vernetzung
der Kongressorganisatorinnen. Keine
der Hebammen wollte oder konnte
das Kassieramt für den Kongress übernehmen, also wurde Kordula angefragt und sie sagte zu. Das Amt war zeitaufwendig, vielfältig und hat Spass
gemacht, sagt sie. Und als ein Chauffeur
für den Taxidienst zwischen Lugano und
Cadro gesucht wurde, kam Kordulas
Mann zu Hilfe. Nun war das Organisationskomitee fest in Familienhand: Auch
Tochter Jenny gehörte dazu.
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unerträglich geworden war. Einige dieser
Fälle stehen im Zusammenhang mit dem
Widerstand des Arbeitgebers gegen gesetzliche Vorgaben wie das Recht, während der
Arbeit zu Stillen. Es wurde auch darauf
hingewiesen, dass es Kräfte raubend sei,
gegen solche Diskriminierungen juristisch
vorzugehen. Aus diesem Grunde reagierten viele Frauen nicht.
Wie schon eingangs erwähnt, ist das
Konzept des Mobbing zwar komplex zu definieren, aber dennoch relativ restriktiv in
seiner Anwendung. Der Ausdruck «perinatales Mobbing» wird jedoch in einem breiteren Sinn auf die Gesamtheit an sozialem
Druck und Arbeitsplatzstress im Zusammenhang mit Mutterschaft angewendet,
die das Wohlbefinden einer Frau beeinträchtigen. Werden Frauen ungeplant
schwanger, sind sie von diesem Druck in
noch höherem Masse betroffen als Frauen,
die ihr Kind geplant haben. Aber für alle
gilt, was der geburtshilfliche Chefarzt einer
Mailänder Klinik schreibt: «Die Ängste der
Mütter aus den genannten Gründen übertragen sich auf den Fötus oder auf das bereits geborene Kind. Zu jeder gestressten
Mutter gehört deshalb auch ein gestresstes
und angsterfülltes Kind.»
Was sagt das Gesetz?
(MF) Die Gesetzeslage zum Mutterschaftsschutz in der Schweiz ist noch
immer lückenhaft, nicht koordiniert und
schwer zu verstehen. Trotz neu erworbener Erwerbsausfallversicherung für erwerbstätige Mütter bleibt die Tatsache,
dass der Schutz der schwangeren und jungen Mutter in verschiedenen Gesetzestexten geregelt wird.
Zum Beispiel im Arbeitsgesetz: Schwangere Frauen dürfen nicht mehr als neun
Stunden täglich arbeiten; sie haben An-
recht auf 80 Prozent des Lohns, wenn sie
bestimmte gefährliche oder schädliche Arbeiten nicht mehr ausführen können und
man ihnen keinen anderen Arbeitsplatz
anbieten kann; sie dürfen in den acht
Wochen vor und nach der Geburt keine
Nachtarbeit verrichten, ausserdem ist der
Zeitaufwand für das Stillen während der
Arbeitszeit reglementiert.
Das Obligationenrecht verbietet, dass
einer Frau während der Schwangerschaft
und bis 16 Wochen nach der Geburt gekündigt wird.
Das Gleichstellungsgesetz untersagt Diskriminierungen, die im Zusammenhang
mit einer Schwangerschaft stehen.
Konkrete Situation
Teilt eine Arbeitnehmerin mit, dass sie
schwanger ist, so bedeutet dies für den
Arbeitgeber, dass die Frau einen Schwangerschaftsurlaub beziehen wird, dass sie
frühzeitig die Arbeit verlässt, um ihr Kind
aus der Krippe zu holen, dass sie bei Kinderkrankheiten Freitage bezieht – kurz, die
Frau steht als Arbeitskraft nicht mehr
uneingeschränkt zur Verfügung. Die Möglichkeit, dass der Arbeitgeber jetzt Druck
aufbaut, um sie zur Kündigung zu bewegen, scheint daher nicht so abwegig. Solche «Manöver» sind jedoch ungesetzlich.
Leichtere Belästigungen
Dabei gibt es eine Art von Druckversuchen, die ich als «weniger schlimm» bezeichnen würde, beispielsweise «einen
Lätsch machen», wütend werden, statt
einem Gruss zu fragen: «Und, was gedenken Sie jetzt zu tun?» oder «Kündigen Sie
jetzt oder nicht?» Viele der Frauen, die
einem solchem Klimawechsel ausgesetzt
werden, haben über Jahre hinweg ohne
jegliche Probleme ihre Arbeit verrichtet
und fühlen sich entsprechend beunruhigt.
Was können sie in dieser Situation tun?
Solange die Belästigungen nicht schwerer
wiegen, sollte die Frau betonen, dass sie
den Arbeitsplatz behalten will, auch wenn
sie eine Kündigung erwägt. Diese kann sie
immer noch nach der Geburt einreichen.
In keinem Fall darf die Schwangere zu
einer Kündigung gezwungen werden.
Schwerwiegende
Druckversuche
In manchen Fällen werden die Druckversuche schwerwiegend. Etwa, wenn der
Arbeitgeber die Frau an einen Arbeitsplatz
versetzt ohne ihr Arbeit zuzuweisen, und
ihr dabei verbietet, den Ort zu verlassen
oder sich sonstwie zu beschäftigen.
In solchen Fällen kann die Angestellte
mit sofortiger Wirkung vom Arbeitsvertrag
zurücktreten und verlangen, dass ihr der
Lohn während der ganzen Zeitspanne des
Mutterschutzes ausbezahlt wird. Ein solcher Fall ereignete sich 1993 im Kanton
Genf, dabei bekam die Frau vor Gericht
Recht, ebenso in einem weiteren Fall von
1994, in dem eine Frau von Seiten der
Arbeitgeberin ungerechtfertigten Forderungen ausgesetzt war. Es kann auch vorkommen, dass ein Arbeitgeber einer
schwangeren Frau körperlich sehr anstrengende Arbeit zuweist, um sie zu einer
Kündigung zu bewegen. Dieses Vorgehen
wiegt ausserordentlich schwer, weil es die
Gesundheit von Mutter und ungeborenem
Kind aufs Spiel setzt und zudem gegen
Arbeitsgesetz und Obligationenrecht verstösst. In einem solchen Fall kann die
schwangere Frau die Arbeit verweigern
und mit Hilfe einer Gewerkschaft oder Beratungsstelle das kantonale Arbeitsinspektorat einschalten. Dieses kann den Arbeitgeber dazu verpflichten, der Frau eine andere Arbeit zuzuweisen, oder, wenn dies
nicht möglich ist, ihr den ihr zustehenden
Lohn auszuzahlen.
Ausbleibende Beförderung
Weitere direkte oder indirekte Diskriminierungen wie Karrierebehinderungen,
zurückgestellte Beförderungen oder ausbleibende Neuaufträge können ebenfalls
gegen eine schwangere Mitarbeiterin gerichtet sein. Solche Handlungen verletzen
das Gleichstellungsgesetz.
Ein Beispiel soll dies illustrieren: Einer
stellvertretenden Gerichtsschreiberin am
Kantonsgericht Waadt war die Stelle der
ersten stellvertretenden Gerichtsschreiberin angeboten worden. Das Angebot wurde wieder zurückgezogen, als die Frau
schwanger war. Eine Frauenorganisation
reichte daraufhin wegen Verletzung des
Gleichstellungsgesetzes Klage ein, und die
betroffene Juristin bekam 2003 teilweise
Recht. Solche diskriminierenden Situationen sind in öffentlichen Verwaltungen und
insbesondere im Gerichtswesen relativ
häufig.
Verschweigen ist meist ok
Eine diskriminierende Behandlung im
Zusammenhang mit einer Schwangerschaft ist schon bei der Anstellung möglich.
Im Allgemeinen muss eine Arbeitnehmerin
nicht aufdecken, dass sie schwanger ist, es
sei denn, ihr Zustand hätte Auswirkungen
auf die erwarteten Arbeitsleistungen (Beispiel: Tänzerin oder Mannequin), oder die
Schwangerschaft würde bei der Arbeit
bestimmten Gefahren ausgesetzt (radioaktive Strahlung, toxische Stoffe, körperliche
Schwerarbeit). Fragen des Arbeitgebers
wie «Sind Sie schwanger?» oder «Planen
Sie Kinder?» sind daher meist ungesetzlich
und müssen nicht wahrheitsgetreu beantwortet werden.
Generell lässt sich sagen, dass das Gesetz heutzutage schwangeren, stillenden
und Familien betreuenden Frauen einen
besseren Schutz bietet. Problematisch ist,
dass viele betroffene Frauen und auch
viele Arbeitgeber die Rechtslage nicht kennen.
Leiden ist nicht banal
(ATM) Was können Hebammen in dieser
Situation tun? Der Titel dieses Vortrags –
«Die Banalisierung des Leidens» –
kann die Suche nach Antworten erleichtern.
Wir haben gesehen, dass unterschiedliche Belästigungsformen vorkommen: Gegen einige lässt sich gerichtlich vorgehen,
andere sind subtiler, schwieriger zu identifizieren und zu benennen und richten sich
oft nicht nur gegen schwangere Frauen.
Jede Frau reagiert anders auf solche
Situationen. Wie, hängt von ihrem Charak-
Kolleginnen aus der Südschweiz
Rachele Snidro
arbeitet seit ihrer
Diplomierung an
der Hebammenschule Chur 2003
am Regionalspital Bellinzona. An
ihrem Arbeitsort
gehören Schwangerschaftskontrollen, Geburtsbetreuung und Wochenbettbetreuung zum Arbeitsgebiet der
Hebammen, und Rachele gefällt diese
ganzheitlich organisierte Begleitung
der Mütter.
Im Juni 2005 hat Rachele mit der
Ausbildung zur Still- und Laktationsberaterin IBCLC begonnen. Sie wird
eine scheidende IBCLC Kollegin ersetzen und sicherstellen, dass das Spital
Bellinzona auch in Zukunft die UnicefKriterien als stillfreundliches Spital
erfüllt.
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Zwischen den
Referaten Gitarrenklänge, Schmökern
bei den Ausstellern, Brüten über
der guten Formulierung und zuletzt
der Stempel in den
Bildungspass.
ter, ihren eigenen und den Ressourcen ihres familiären und sozialen
Umfelds ab. Genau hier liegt der
Unterstützungsansatz von Berufsleuten, welche die Frau während ihrer
Schwangerschaft begleiten: Sie müssen in erster Linie das Leiden
der Frau Ent-Banalisieren, den Vorkommnissen einen Namen und einen Inhalt geben, die Reaktionen
darauf benennen. Es geht darum, zu
verstehen und zu erklären, weshalb
der Frau dies alles geschieht, und
dass sie nicht allein betroffen ist. Es
geht darum, der Frau Informationen
zu geben, über ihre Rechte, wie und
wann sie intervenieren kann, an wen
sie sich wenden kann, und darum,
die Frau bei den nächsten Schritten
zu unterstützen.
Hebammen geben Halt
Heisst dies nun, dass die Hebammen zusätzlich Psychologinnen, Soziologinnen, Juristinnen und Sozialarbeiterinnen sein müssen? Dies ist
selbstverständlich weder möglich
noch wünschbar – die Mobbingsituationen in der Arbeitswelt sind viel
zu komplex, schwer greifbar und
unsicher. Aber es bedeutet, dass
Hebammen zur Antenne und zur
Verankerung werden können, inmitten eines Netzes von Dienstleistungen und Dienstleistenden, das wahrscheinlich noch zu einem grossen
Teil aufgebaut werden muss.
䉴
Referat von Anita Testa-Mader und Marilena Fontaine, «Banalizzazione della sofferenza nel mondo del lavoro – mobbing»,
gehalten am Hebammenkongress in
Cadro, Lugano, 20. Mai 2005. Übersetzung
und redaktionelle Bearbeitung: Gerlinde
Michel
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Frauenhaus in Lugano
Aus dem Teufelskreis aus
Geschlagene Frauen geraten in einen Teufelskreis von Gewalt und zunehmender Abhängigkeit, aus dem sie nur schwer entrinnen können Oft rettet
sie nur die Flucht aus ihrem Zuhause vor dem gewalttätigen Partner.
Frauenhäuser wie die «Casa delle Donne» in Lugano bieten Frauen
vorübergehend Schutz und professionelle Unterstützung für das Leben
nachher.
Sonny Buletti
Aufenthalt bleibt geheim
Die Frauen suchen die «Casa delle
ALLES begann 1985 mit einer Beratungsstelle für Frauen bzw. Paare in Paar- und Donne» entweder aus eigener Initiative auf
Familienkrisen oder mit finanziellen Pro- oder Anraten von Freunden oder Berablemen. Die Trägerschaft übernahm ein pri- tungsstellen auf. In jedem Fall muss sich die
vater Verein, der zu 75% vom Kanton sub- Frau selbst entscheiden, ob sie ins Frauenventioniert wird. Die Beratungsstelle ist haus eintreten will oder nicht. In einem
kein Therapiezentrum, weil die Mitarbeite- ersten Beratungsgespräch erklären wir ihr
rinnen nicht über entsprechende
die Strukturen der Casa und
Ausbildungen verfügen. Deshalb
sorgen für ihre unmittelbaren Bewerden externe Fachleute beigedürfnisse wie Schutz, Sicherheit,
zogen.
Essen und ein Bett. Wenn nötig,
Weil sich die Fälle von häusliwird sie zuerst medizinisch vercher Gewalt zu häufen begansorgt. Ausser die Frau wünscht
nen, wurde 1989 ein Frauenhaus
es anders, wird ihr Aufenthalt
eröffnet. Dabei handelt es sich
geheim gehalten.
um eine geschützte Wohnung mit
In den folgenden Tagen
Sonny Buletti, Pritotal sieben Betten in drei Schlaf- marlehrerin und Päda- machen uns ein Bild von ihrer
zimmern und mit einem gemein- gogin, Präsidentin und Situation und ihren Bedürfnissamen Aufenthaltsraum. Hier Beraterin beim Verein sen. Wir versuchen herauszufindelle Donne»,
finden von Gewalt bedrohte «Consultorio
den, welche Interventionen Prioseit 1989 VerantwortliFrauen und ihre Kinder während che der «Casa delle Don- rität haben, wie sich die Frau in
maximal drei Monaten Aufnah- ne» in Lugano.
die Strukturen der Casa einfügt
me. Die Frauen kümmern sich
und wie sie mit ihren Kindern
gemeinsam um den Haushalt und die Mahl- und den übrigen Bewohnerinnen umgeht.
zeiten. Sie bezahlen eine Tagesgebühr, die In Gesprächen bekommt sie Gelegenheit,
teilweise über das Opferhilfegesetz vergütet ihre Gefühle von Angst und Wut zu äuswird. Die Betreuerinnen sind nicht rund um sern. Wir evaluieren, ob es wegen ihrem
die Uhr anwesend, aber haben einen 24- gewalttätigen Partner für sie zu gefährlich
Stunden-Pikettdienst organisiert.
ist, arbeiten zu gehen, und ob die Kinder
Und immer gibt es etwas
zu organisieren...
brechen
weiterhin ihre bisherige Schule besuchen
können oder in der Nähe eingeschult werden müssen.
Ein Netz von Fachpersonen wie Ärzte,
Polizei, Sozialarbeiter, Anwälte, Psychologen etc. wird je nach Situation und Bedürfnissen der Frau aktiviert. Dabei kann es um
Fragen gehen wie Trennung und Scheidung
oder das Sorgerecht für die Kinder. Auch
kümmern wir uns um die Bedürfnisse der
Kinder, die bei uns wohnen.
Am Anfang war die Liebe
Betroffen von häuslicher Gewalt sind
Frauen aus allen sozialen Schichten,
Schweizerinnen wie Ausländerinnen. Eine
unserer schwierigsten Aufgaben ist es, sowohl den geschlagenen Frauen selbst wie
den Leuten aus ihrem Arbeitsumfeld klar zu
machen, dass kein Verhalten der Frau und
keine Art von «Provokation» ihrem Partner
das Recht auf Gewalt gibt. Gerade Frauen
haben die Tendenz, die gewalttätigen Reaktionen ihres Partners zu rechtfertigen. Denn
meistens gründen solche Eskalationen in
der Geschichte einer grossen Liebe.
Früh destruktive Zeichen
Hört man solchen Leidensgeschichten zu,
zeigt sich, dass trotz der grossen Liebe frühe
destruktive Zeichen zu erkennen waren: Er
erniedrigte seine Frau oder Freundin vor
ihren Freunden, er warf ihr Unfähigkeit vor
und nannte sie eine Schlampe oder Schlimmeres. Und immer schlossen die Frauen
davor die Augen, übersahen diese ersten
Zeichen und fanden Entschuldigungen für
sein Benehmen. Im Nachhinein geben die
meisten Frauen zu, dass sie erste Zweifel
über ihren Partner beschlichen, noch bevor
sie mit ihm zusammenzogen. Aber sie alle
glaubten an die Macht der Liebe, die Dinge
noch zum Guten zu wenden.
und die zunehmende Isolation der ganzen
Familie.
Die Schläge beginnen
Oft wird eine Nichtigkeit zum Tropfen,
der das Fass zum Überlaufen bringt. Sie
führt der Frau überdeutlich vor Augen, dass
sie die Gewalt ihres Mannes nicht verdient.
Frauen haben erzählt, dass ein Telefon-
Das gemeinsame Leben verschlimmert
die Situation. Die Frau wird immer tiefer
davon überzeugt, dass die wachsenden
Spannungen ihre Schuld sind. Sie verliert
mehr und mehr ihre Selbstachtung, und sie
kann immer weniger auf die unvorhersehbaren Reaktionen ihres Partners reagieren.
Sie unterdrückt die Wut, die sie angesichts
seiner ungerechtfertigten Anwürfe empfindet.
Wenn dann die ersten Schläge fallen,
erschrecken beide. Der Mann befürchtet,
seine Frau jetzt zu verlieren, er weint und
bittet sie um Verzeihung, bringt Geschenke
nach Hause, schwört, es werde nie mehr
passieren. Sie verzeiht ihm und glaubt an
seine Beteuerungen. Das Paar wird zu Komplizen, beide negieren, dass etwas in ihrer
Beziehung völlig falsch läuft. Beide sind
überzeugt: wenn sie diesen Tiefpunkt überwinden, dann wird sich alles zum Besseren
wenden. Oft entscheidet sich ein Paar genau
in einer solchen Situation zu einem ersten
oder weiteren Kind. Das Kind soll die Beziehung wieder festigen.
Die Gewaltspirale hat sich zu drehen begonnen. Die Frau erkennt mit der Zeit die
Anzeichen von ansteigender Spannung
und drohender Gewalt und setzt ihre Abwehrmechanismen in Gang. Er spürt, dass
sich die Partnerin vor ihm zurückzieht und
intensiviert Kontrolle und Aggression. Er
will vollständige Kontrolle über seine Frau
und seine Kinder und um alles verhindern,
dass sie ihn verlässt. Deshalb verunmöglicht er Kontakte mit Familie und Freunden und verbietet ihr nicht selten, einer Erwerbsarbeit nachzugehen. Folge sind der
Verlust ihrer finanziellen Unabhängigkeit
Das Fass läuft über
Kolleginnen aus der Südschweiz
Iris D’Angiolillo-Jucker
stammt aus der
Deutschweiz und
lebt seit 1989 in
Mendrisio. Die
Hebammenausbildung schloss
sie 1983 in Bern
ab. Im Tessin
arbeitet sie freiberuflich und ist
eine der wenigen Hausgeburtshebammen im Kanton. Pro Jahr betreut sie,
immer zusammen mit einer zweiten
Hebamme, rund 15 Hausgeburten,
auch von Erstgebärenden und im
ganzen Kantonsgebiet. Iris ist daher
viel zwischen Airolo und Chiasso unterwegs und macht ihre «Arbeit von Herzen gern». Sicherheit ist ihr sehr wichtig. Eine Hausgeburt zuhinterst im
Onsernonetal, wo das nächste Spital
weit weg liegt, würde sie nur mit einer
Mehrgebärenden machen, die sie gut
kennt. Mit anderen freischaffenden
Hebammen teilt sich Iris in ein gemeinsames Mobiltelefon, das von Hand zu
Hand wandert und eine Anlaufsstelle
für Hebammendienstleistungen im
Kanton sicherstellt. Die häufigen Treffen mit ihren Kolleginnen sind für Iris
ein wichtiger und positiver Teil ihrer
Arbeit.
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Heiterkeit ist Leben!
(Marie von Ebner-Eschenbach)
Das Kongressthema war bedrückend und
rüttelte auf. Die
Begegnungen in
den Pausen holten Lachen und
Lächeln zurück
auf die Gesichter
anruf einer Freundin zur unpassenden Zeit
zu diesem Tropfen wurde, oder die eine Minute, die sie einmal zu spät nach Hause
kam, oder das Kind, das auf seine Höschen
erbrach und sie verschmutzte. Endlich realisiert sie, dass sie nicht an allem schuld ist,
was der Partner ihr vorwirft.
Wenn die Frauen zu uns kommen, sind
sie keinesfalls überzeugt, richtig zu handeln. Sie haben jedes Selbstvertrauen verloren, können der Zukunft nicht entgegenblicken und zweifeln daran, allein mit ihren
Kolleginnen aus der Südschweiz
Cinzia Biella-Zanelli
hat ihre Ausbildung zur Hebamme 1991 in
Genf abgeschlossen. Bis 2004 arbeitete sie zu je
50 Prozent am Regionalspital und
in der Hebammenpraxis «Studio-levatrice» in
Bellinzona. In dieser Zeit nahm sie
während vier Jahren das Ressort Spitalhebammen im Zentralvorstand wahr
und beteiligte sich an der Ausarbeitung
der Qualitätsstandards. Kein Ausruhen
für Cinzia: Kaum übergab sie im Jahr
2000 das ZV-Mandat an eine Tessiner
Kollegin, wurde sie Präsidentin der Sektion Ticino und war später massgeblich
an der Vorbereitung und Durchführung
des Kongresses 05 in Cadro beteiligt.
Cinzia begleitet als Hebamme besonders gerne Mütter und Familien in
schwierigen Situationen wie postpartalen Depressionen, sozialen Problemen
oder nach Migration. Nach langen
arbeitsreichen Jahren freut sie sich darauf, in nächster Zeit beruflich zurück zu
stecken und sich vor allem ihrer
(anwachsenden) Familie zu widmen.
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Kindern zurecht zu kommen. Sie geraten
von allen Seiten unter Druck. Eltern, Freunde, der Pfarrer – alle versuchen sie davon zu
überzeugen, dem Ehemann doch noch eine
Chance zu geben. Oft vermag nur eine der
anderen Frauen in der Casa sie davon abzuhalten, gleich wieder nach Hause zurückzukehren.
Strategien des Verlassenen
Das Zeitalter der Mobiltelefone macht
alles noch viel schwieriger. Pausenlos rufen
Partner oder seine Freunde an. Nach einer
Weile können wir die Frau meistens davon
überzeugen, das Klingelzeichen abzustellen. Man darf nicht vergessen, dass sich der
Partner bis zu diesem Moment nie eingestanden hat, gewalttätig zu sein. Im Gegenteil, er ist davon überzeugt, dass er das Opfer ist. Schliesslich wurde er ja von der Frau
verlassen. Daher ist ihm jedes Mittel recht,
von Tränen bis zu Drohungen, sie zur Rückkehr zu bewegen. Gibt die Frau nach, dann
beginnt die Gewalt von vorne, nur noch
grausamer und mit noch härterer Kontrolle,
denn er weiss jetzt, dass sie fliehen kann.
Die grosse Wut
Bleibt die Frau in der «Casa», wird sie
nach wenigen Tagen die Wut einholen, die
Wut darüber, wie dumm sie war und wie
viel sie eingesteckt hat. In dieser Zeit ist eine enge Begleitung sehr wichtig. Denn die
Frauen insistieren auf einer Scheidung, und
zwar subito. Später bereuen sie ihre Schritte,
ziehen ihre Anklagen zurück, was sie später
wiederum bereuen. Das Risiko, unglaubwürdig zu werden, ist deshalb hoch.
Die Hälfte schafft es nicht
Ungefähr die Hälfte der Frauen schafft
es, ihre Partnerschaft zu beenden und
zusammen mit den Kindern einen neuen
Lebensabschnitt zu beginnen. Für die
übrigen wird es schwieriger. Oft sind es
äussere Gründe, die sie dazu bringen, zu
ihrem Partner zurück zu gehen: eine gefährdete Aufenthaltsbewilligung, eine religiöse Überzeugung, die keine Scheidung
erlaubt, die wirtschaftliche Situation, die
allein erziehende Frauen mit Kindern
benachteiligt. Einige hoffen, der Partner
habe die Lektion gelernt und werde seine
Hände nicht mehr gegen sie erheben. Wieder andere ertragen den Gedanken an ein
Leben ohne Partner nicht und stürzen sich
in eine neue, oft noch destruktivere Beziehung.
Ausbruch aus dem
Teufelskreis
In meiner Erfahrung äussert sich das
Leiden geschlagener Frauen zuerst oft in indirekten körperlichen Symptomen: ständige
Müdigkeit, Migräne, Magenschmerzen, Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Konzentrationsmangel. Später treten psychische
Symptome wie Angst, tiefe Unsicherheit,
Selbstentfremdung und Depressionen dazu.
Mit der Zeit steigert sich ihr Leiden zu panischer Angst vor ihrem Partner, ein Zustand,
aus dem sie keinen Ausweg sieht.
Erst wenn die Frau ihr Zuhause verlässt
und Hilfe aufsucht, wenn sie die Gefühle von
Scham, Angst und Wut hochkommen lassen
kann, wenn sie sich beschützt und endlich
wieder respektiert fühlt, erst dann gelingt es
ihr, aus dem Teufelskreis ausbrechen. Jetzt
sieht sie den Partner in seiner tatsächlichen
Dimension und lernt die Reaktionsmechanismen verstehen. Sie erfährt, dass sie nicht
die einzige ist, der so etwas passiert und
versucht allmählich, ihr Leben wieder in die
eigenen Hände zu nehmen.
䉴
Referat von Sonny Buletti, «Quando si può parlare di violenza e di sofferenza?», gehalten am
Hebammenkongress in Cadro, Lugano, 20. Mai
2005. Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Gerlinde Michel