Blitzunfall – Energieübertragungsmechanismen und medizinische

Transcription

Blitzunfall – Energieübertragungsmechanismen und medizinische
MEDIZIN
ÜBERSICHTSARBEIT
Blitzunfall –
Energieübertragungsmechanismen
und medizinische Folgen
Fred Zack, Markus A. Rothschild, Rudolf Wegener
ZUSAMMENFASSUNG
SUMMARY
Einleitung: Ein Blitz kann den Menschen durch einen direkten Treffer, einen Kontakteffekt, einen Überschlagseffekt,
einen Blitzschritteffekt oder einen telefon- beziehungsweise leitervermittelten Effekt schädigen. Der Oberflächeneffekt ist keine eigenständige Energieübertragungsform,
sondern kann bei allen beschriebenen Mechanismen auftreten und ist dafür verantwortlich, dass viele Menschen
einen Blitzschlag überleben. Methoden: Auswertung selektiv recherchierter Literatur. Ergebnisse und Diskussion: Die
meisten durch Blitzschlag geschädigten Menschen überleben. Bei unmittelbar nach einem Blitzunfall Verstorbenen
stehen Kammerflimmern und Asystolie als Todesursachen
im Vordergrund. Bei Geschädigten, die eine Blitzeinwirkung zunächst überlebt haben, ist das Spektrum der möglichen Todesursachen größer. Neben akuten Myokardinfarkten, Schockzuständen nach Verbrennungen und sekundärem Nierenversagen sind hier vorwiegend schwere
Traumata zu nennen. Ein Blitzschlag kann beim Menschen
verschiedene Gesundheitsschäden hervorrufen. Am häufigsten sind Läsionen der Haut, des Herzens, des Nervensystems, des Hör- und/oder des Sehorgans. Die Behandlung der Blitzopfer erfolgt wegen der Komplexität der möglichen Schädigungen in der Regel interdisziplinär. Aufgrund
der relativ guten Erfolgsaussichten bei der Reanimation
Blitzgeschädigter hat bei einem Massenunglück die Notfallbehandlung von scheinbar leblosen Personen Priorität.
Dtsch Arztebl 2007; 104(51–52): A 3545–9
Lightning Strike – Mechanisms of Energy
Transfer, Cause of Death, Types of Injury
Introduction: Lightning can injure via a direct hit, a contact
effect, a side splash, a ground strike or a telephone/wiremediated strike. The flash-over phenomenon is not an independent energy transfer mechanism. It is observed in all
energy transfer modes described, and accounts for the
fact that many humans survive a lightning strike. Methods:
Selective literature review. Results and Discussion: The
majority of people hit by lightning strike survive. Lightning
victims can die immediately after the lightning strike or after a latency period. Death immediately following the event
is usually due to a lethal cardiac arrhythmia with ventricular fibrillation and subsequent or immediate asystole. If the
lightning strike is survived initially, ensuing myocardial infarction, shock following burns, secondary renal failure
and trauma-related cerebral haemorrhage may occur. A
lightning strike can cause numerous different lesions in
survivors. Injuries to skin, the heart, the nervous system,
ears and eyes are most commonly seen. The management
of lightning victims is usually interdisciplinary, due to the
complexity of potential injuries. Emergency management
of apparently lifeless persons should take priority in a
mass accident involving lightning, because of the relatively
good chances of success in cardiopulmonary resuscitation
of lightning victims.
Dtsch Arztebl 2007; 104(51–52): A 3545–9
Schlüsselwörter: Blitzunfall, Energieübertragung, Reanimation, Todesursache, notfallmedizinische Versorgung
Key words: lightning strike, energy transfer, resuscitation,
cause of death, emergency
B
Bonn im August 2006 sowie auf Fußballplätzen in
Gelsenkirchen im August 2006 und in Hamburg-Bahrenfeld im Juni 2007 – wird eine kurze Übersicht über
die verschiedenen Energieübertragungswege beim
Blitzunfall, über die Todesursachen sowie über häufig
beobachtete Schädigungen bei Menschen, die einen
Blitzunfall überlebt haben, auf der Basis einer selektiven Literaturauswertung gegeben.
litzunfälle sind im Gegensatz zu anderen Hochspannungsunfällen durch eine extrem hohe
Stromstärke und eine sehr kurze Expositionsdauer
charakterisiert. Verletzungen resultieren dabei entweder aus der elektrischen Energie, der hohen Temperatur und/oder der explosiven Kraft der Druckwelle
(1, 2). Blitzunfälle mit Todesfolge ereignen sich relativ selten. Während vor 50 Jahren in Deutschland
noch etwa 50 bis 100 Menschen pro Jahr durch einen
Blitzschlag starben, ging die Zahl der tödlich Verunglückten seit dem stetig bis auf 3 bis 7 Sterbefälle pro
Jahr nach dem Millenium zurück (3). Aus gegebenen
Anlässen – unter anderem den Blitzunfällen mit zahlreichen Verletzten bei einer Flugschau in Hangelar bei
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Physikalische Parameter
Bei gewittriger Wetterlage können zwischen Wolken und Erdoberfläche Spannungen von mehr als
100 000 000 Volt auftreten. Die Blitzentladung dauert
etwa 0,02 sec und geht mit Stromstärken bis zu eini-
Institut für
Rechtsmedizin des
Universitätsklinikums
Rostock: Prof. Dr. med.
Wegener, Dr. med.
Zack
Institut für
Rechtsmedizin
des Klinikums der
Universität zu Köln:
Prof. Dr. med.
Rothschild
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MEDIZIN
GRAFIK 1
gen 100 000 Ampere einher. Die Luft erhitzt sich dabei im Blitzkanal bis auf etwa 25 000 bis 30 000 °C.
Hierbei dehnt sie sich explosionsartig aus, was die bekannten akustischen Effekte eines Gewitters hervorruft (4).
Energieübertragung beim Blitzschlag
Direkter Treffer
(„direct strike“) mit
Stromfluss durch
den Körper
GRAFIK 2
Kontakteffekt
(„contact voltage“)
mit Blitzschlag
in ein Objekt, das
vom Opfer berührt
wird (zum Beispiel
Golfschläger)
GRAFIK 3
Überschlagseffekt
(„side splash“) mit
„Durchschlagen“
des Luftwiderstandes bei
Blitzschlag in ein
nahe gelegenes
Objekt (zum
Beispiel Baum)
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In der Literatur werden 5 (beziehungsweise 6) Mechanismen der Energieübertragung auf den Menschen beschrieben (5, 6):
> Beim direkten Treffer („direct strike“, „direct hit“)
– dem Schädigungsweg mit dem größten Gefährdungspotenzial – passiert der Hauptanteil des
Stromes den Körper. Man findet häufig Blitzeintrittstellen am Kopf oder an den Schultern und
lochartige Stromdurchschläge an den Füßen beziehungsweise am Schuhwerk (Grafik 1).
> Ein Kontakteffekt („contact voltage“) liegt vor,
wenn der Blitz in ein Objekt einschlägt, das sich
in direktem Kontakt zum Blitzopfer befindet, beispielsweise ein Golfschläger. Der Stromweg verläuft über den Körper des Opfers, wenn dieser
den Weg des geringsten Widerstands darstellt (7)
(Grafik 2).
> Ein Überschlagseffekt („side splash“, „side flash“)
ist dann gegeben, wenn der Blitz primär in ein anderes Objekt, zum Beispiel einen Baum, einschlägt, und ein Teil der Energie auf eine in der
Nähe befindliche Person übertragen wird (8, 9)
(Grafik 3).
> Beim Blitzschritteffekt (Schrittspannungseffekt,
„ground strike“, „stride potential“, „step voltage“,
„grounding“, „ground current effect“) geht beziehungsweise läuft oder steht die Person mit gespreizten Beinen bis zu 200 m vom Blitzeinschlag
entfernt. Zwischen den Füßen entsteht eine Potenzialdifferenz, wobei der Strom über ein Bein
in den Körper ein- und über das andere wieder
austritt (2, 5) (Grafik 4).
> Beim telefon- beziehungsweise leitervermittelten
Blitzeffekt kann der Blitz entweder direkt eine
Telefonleitung treffen und die Elektrizität in der
Folge den Telefonapparat passieren, den Menschen erfassen und über unterschiedliche elektrische Leiter den Erdboden erreichen. Der Stromfluss in der Telefonleitung kann aber auch durch
einen Blitzeinschlag in ein Elektrokabel erzeugt
werden. Die zur Person fortgeleitete Energie ist
im Vergleich zum direkten Treffer geringer, jedoch insbesondere gegen das Ohr gerichtet (10).
Innerhalb von Gebäuden können Menschen nicht
nur beim Telefonieren über das Festnetz, sondern
auch während der Bedienung elektrischer Geräte
vom Blitz geschädigt werden (1) (Grafik 5).
> Von einem Übertragungsmechanismus, der bisher im Zusammenhang mit Blitzunfällen nicht erwähnt worden war, berichtet Cooper (5). Das Opfer, das auf einer erhöhten Plattform im Freien
gearbeitet habe, sei durch eine entgegengesetzt
gerichtete Entladung von der Erdoberfläche in
Richtung Wolke (Aufwärtsblitz, „weak upward
streamer“) tödlich verletzt worden. Wenn diese
Kasuistik bestätigt wird, sind derartige Aufwärtsblitze als sechster Energieübertragungsmechanismus zu klassifizieren.
Der Oberflächeneffekt („skin effect“, „flash-over
phenomenon“) kann offenbar bei allen beschriebenen
Mechanismen auftreten. Hierbei geht man davon aus,
dass der Hauptanteil des Blitzstroms in Form einer
Gleitentladung längs der Körperoberfläche abgeführt
wird. Als Ursache gilt der Spannungsabfall infolge
des Hautwiderstands bei kurzer Expositionszeit. Der
Skineffekt erklärt, weshalb Blitzeinwirkungen überlebt werden können (5, 8, 11).
Leichenschaubefunde
Der bekannteste morphologische Befund bei Blitzschlagopfern ist die dendritische Blitzfigur, die bei
20 bis 30 % der Fälle zu beobachten ist und mit zunehmender Leichenliegezeit abblasst beziehungsweise verschwindet (12, 13). Neben der Blitzfigur können
Verbrennungen der Haut, angesengte Haare, bevorzugt gruppiert angeordnete Zerreißungen der Bekleidung beziehungsweise Schmelzeffekte von körpernahen Metallteilen, wie zum Beispiel einer Kette oder
Gürtelschnalle, diagnoseführend sein.
Da nicht alle Blitzopfer äußerlich sichtbare Läsionen oder auffällige Befunde aufweisen, besteht bei der
ärztlichen Leichenschau prinzipiell die Gefahr, durch
Blitzschlag verursachte Sterbefälle zu übersehen (14).
Durch Wettersatelliten werden in Mitteleuropa alle
Gewitter registriert und können auf wenige Meter genau lokalisiert werden. Diese Aufzeichnungen können
zur Aufklärung von fraglichen Blitztodesfällen genutzt werden (15).
Zerrissene Bekleidung und mechanische Begleitverletzungen können bei der Leichenschau mitunter
den Anschein eines Tötungsdelikts erwecken. (13).
Blitzbedingte Todesursachen
Todesfälle können unmittelbar nach einer Blitzeinwirkung oder erst nach einem zeitlichen Intervall auftreten.
Bei den Soforttodesfällen stehen Herzrhythmusstörungen als Todesursache im Vordergrund (9, 16,
17). Karobath et al. (17) zeigten in Tierversuchen,
dass nach experimentellen Blitzentladungen neben
Formveränderungen der Kammerkomplexe und Erregungsrückbildungsstörungen vor allem Sinusbradykardie, Wenckebachsche Periodik, Extrasystolen,
Kammerflimmern und Asystolie vorkommen können.
In der Literatur wird auch eine zentrale Atemlähmung
mit sekundärem Kreislaufstillstand für einen sofortigen Eintritt des Todes verantwortlich gemacht (2, 18).
Weiterhin sind mechanische Zerreißungen innerer Organe als Todesursache beschrieben worden (17).
Bei den Unfallopfern, die eine Blitzeinwirkung
zunächst überlebt haben, ist das Spektrum der möglichen Todesursachen größer. Myokardinfarkte und -läsionen nach Blitzschlag werden relativ häufig beob⏐ Jg. 104⏐
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achtet. Weiterhin sterben Blitzopfer an den Folgen der
Verbrennungen, an Nierenversagen bei Crush-Syndrom – das heißt infolge Schädigung der distalen Tubulusteile der Nieren durch erhöhtes Hämoglobin,
Myoglobin und Eiweiß im Blut etwa nach Traumatisierung der Skelettmuskulatur – oder aufgrund eines
sekundären Traumas (16, 19–23).
In einigen Fällen können bei der Obduktion der
Blitzopfer keine todesursächlichen Befunde erhoben
werden. Herzrhythmusstörungen beispielsweise sind
durch morphologische Untersuchungen nicht feststellbar. In solchen Fällen können thermische Läsionen an der Kleidung oder an mitgeführten Gegenständen zum Nachweis eines blitzbedingten Todes führen
(1, 24).
Medizinische Folgen eines Blitzunfalls
In die Behandlung der Folgen eines Blitzschlags können viele klinische Fachrichtungen involviert sein.
Die Hypothese, dass nach einem überlebten Blitzunfall die völlige Wiederherstellung der Gesundheit
erfolgt (25), ist durch zahlreiche Kasuistiken widerlegt worden.
Während einerseits Muehlberger et al. (e1) aufzeigen, dass 12 durch Blitzschlag geschädigte Patienten
nach durchschnittlich 6,7 Jahren keine Spätfolgen
mehr aufwiesen, gibt es auf der anderen Seite jährlich
eine Weltkonferenz der Blitzschlagüberlebenden in
den USA, auf der Opfer unter anderem über Denkstörungen, Parästhesien und Muskelatrophien berichten, die noch viele Jahre nach dem Unfall anhalten
(e2).
Nachfolgend werden die häufigsten medizinischen
Blitzfolgen kurz dargestellt, ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Haut
Durch die direkte Einwirkung des Stroms, Überhitzung der Luft, körpernahe metallische Objekte sowie
in Brand geratene Bekleidung können Verbrennungen
und Verbrühungen aller Schweregrade verursacht
werden. Am häufigsten treten Hautverbrennungen
ersten und zweiten Grades auf (11, e3). Das Ausmaß
der betroffenen Körperoberfläche kann je nach Fallkonstellation erheblich variieren (e4). Hautareale mit
Kontakt zu anliegenden Metallobjekten haben häufig
Verbrennungen dritten Grades. Durch hohe Temperaturen an der Stromübertrittsstelle kann es zur Verdampfung des Metalls kommen (Metallisation, Evaporation).
Eine typische Hautveränderung nach Blitzschlag
ist die farnkrautartig aussehende Lichtenbergsche
Blitzfigur, die nach mehreren Stunden bis Tagen verblasst oder ganz verschwindet (1, 11). Bemerkenswert
ist, dass Blitzfiguren nicht nur auf der Haut Blitzgeschädigter, sondern auch an deren Schuhwerk (e5)
oder auf der Erde (23) zu finden sind.
Neben der Haut können auch ihre Anhangsgebilde,
insbesondere die Haare, durch die Blitzenergie thermisch geschädigt werden.
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GRAFIK 4
Blitzschritteffekt („ground strike“) mit abgenommener Schrittspannung bei Blitzschlag in den Boden nahe des Menschen
Herz
Bei zahlreichen Blitzunfällen findet man Schädigungen des Herzens. Als Blitzeffekte werden unter anderem verschiedenste Störungen der Erregungsbildung
und/oder -leitung, pektanginöse Beschwerden, akute
Myokardinfarkte, Perikardergüsse und auffällige
Herzgeräusche beschrieben. Sowohl das Kammerflimmern als auch die Asystolie stehen bei den lebensbedrohlichen Folgezuständen nach Blitzschlag im
Vordergrund.
Die meisten Herzschrittmacher verlieren nach Blitzeinwirkung ihre Funktionstüchtigkeit (e6).
Bei jedem Blitzopfer ist ein EKG aufzuzeichnen
und bei Zustand nach Reanimation oder fortbestehender kardialer Symptomatik darüber hinaus eine kardiale Langzeitüberwachung anzuschließen (22).
Nieren
Während direkte blitzbedingte Nierenschädigungen
selten sind, zählt das sekundäre Nierenversagen zu
den häufiger beobachteten Komplikationen. Letzteres
kann zeitverzögert nach etwa 3 bis 8 Tagen auftreten.
Den meisten Fällen liegt eine Myoglobinurie zugrunde, die aus Nekrosen der Skelettmuskulatur oder einem Trauma resultieren kann (Crush-Syndrom). In
schweren Fällen kann eine Hyperkaliämie mit nachfolgendem Herzstillstand auftreten (22).
Neurologische Effekte
Im Vordergrund stehen Bewusstseinsstörungen, die
zwischen Desorientiertheit mit retrograder Amnesie
und Bewusstlosigkeit variieren können. Derartige Bewusstseinsstörungen sind entweder zerebral oder kardial bedingt (e7).
Die neurologischen Ausfälle betreffen sowohl die
Hirnnerven als auch das übrige periphere Nervensystem. Schädigungen der Hirnnerven können sich zum
Beispiel in optischen und/oder akustischen Störungen, Paresen der mimischen Muskulatur, Aphonien
und/oder Schluckstörungen äußern. Bei der Beteiligung des peripheren Nervensystems werden neben
motorischen, sensorischen und vegetativen auch reflektorische Störungen beschrieben, wobei die Beschwerden in den meisten Fällen innerhalb der ersten
Stunden nach dem Blitzunfall nachlassen. Es werden
aber auch Kasuistiken berichtet, bei denen die Sym-
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GRAFIK 5
Telefon-/leitervermittelter Unfall („telephone-/wire mediated lightning
injury“) mit Blitzschlag in einen Leiter und Energiefortleitung bis zum
Opfer (Grafiken 1–5 aus: Zack F, Schniers E, Wegener R: Blitzunfall –
Vorschlag einer Klassifizierung der verschiedenen Energieübertragungen auf den Menschen. Rechtsmedizin 2004; 14: 396–401; Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Springer Medizin Verlages,
Heidelberg)
ptomatik erst nach Tagen oder Wochen auftritt (e8).
Motorische Störungen können sich in Paresen und
Paralysen, sensorische in Par-, Hyp- und Anästhesien
sowie Schmerzen äußern, dabei wird als dominierende Schmerzqualität ein Brennen genannt. Als vegetative Störungen können Zyanose, Hyperhidrose,
Hypertension, Harnblasenatonie und/oder Fehlfunktion der Darmmotilität auftreten. Bei den reflektorischen Störungen werden Hyper-, Hypo- und Areflexie
beschrieben (18).
Psychische Effekte
Bei Kindern werden Stimmungsschwankungen, Erregungszustände, Vergesslichkeit, Konzentrationsverlust und Depressionszustände genannt, die von Phasen emotionaler Labilität und Todesangst unterbrochen werden können (e9). Auch bei Erwachsenen können Depressionen auftreten, die mitunter über Monate
persistieren. Hysterisches Verhalten wird als Ausdruck extremer Ängste und Emotionen sowohl bei
Leichtverletzten als auch bei Zeugen eines Blitzunfalls beobachtet (8). Als weitere mögliche psychische
Folgen werden Ermüdung, kognitive Störungen, Fotophobien und posttraumatische Belastungsstörungen
beschrieben (e10).
Sehorgan
Die häufigste blitzbedingte intraokuläre Läsion ist
die sogenannte Cataracta electrica. Derartige Katarakte entwickeln sich im Allgemeinen 2 bis 4 Monate
nach dem Unfallereignis, können jedoch auch sofort
oder erst mit einer Verzögerung von vielen Jahren auftreten (11, e11). Seltener werden Läsionen der Retina
– unter anderem chorioretinale Atrophie, Papillenödem, Hämorrhagie, Ablatio retinae, Makulaödem
und lochartige Makulaläsion – und der übrigen Bestandteile des Sehorgans berichtet (11). Mitunter kann
es zu einer vorübergehenden oder dauerhaften Erblindung kommen (e12, e13).
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Hörorgan
In mehr als der Hälfte aller Blitzunfälle treten Läsionen des Hör- und/oder Gleichgewichtsorgans auf
(11). Die otologischen Verletzungen sind dabei auf
Barotraumen, Verbrennungen oder vasomotorische
Effekte zurückzuführen (e13). Am häufigsten werden
Trommelfellrupturen mit nachfolgenden Komplikationen wie zum Beispiel Schwerhörigkeit beschrieben
(7, 11, 23).
Telefonvermittelte Blitzunfälle verursachen typischerweise Verbrennungen des äußeren Gehörganges,
Perforationen des Trommelfells, persistierenden Tinnitus, bilaterale Taubheit, Vertigo und/oder Nystagmus (e14).
Die otologischen Schäden waren bei nahezu allen
Blitzopfern mit weiteren Läsionen, zum Beispiel
Hautverbrennungen, kombiniert (11).
Traumatologische Effekte
Sowohl durch die direkte Einwirkung des Blitzes als
auch durch Sekundäreffekte, beispielsweise Wegschleudern des Opfers gegen einen Gegenstand oder
Sturz, können traumatologische Schäden verursacht
werden. Neben dem Myokard ist auch die Skelettmuskulatur anfällig für elektrizitätsbedingte Läsionen
(e15). Weil ausgedehnte Nekrosen der Skelettmuskulatur ohne Hautschädigungen auftreten können, werden sie bei der Erstuntersuchung eines Blitzopfers oft
übersehen und erst durch eine deutliche Freisetzung
von Myoglobin diagnostiziert (21, e4). Des Weiteren
sind blitzbedingte Muskelkontraktionen mitunter so
stark, dass sie zu Knochenfrakturen führen können.
Bei Blitzeinwirkung auf den Kopf werden tiefreichende thermische Nekrosen, Schädelfrakuren, epidurale,
subdurale, subarachnoidale und/oder intrazerebrale
Blutungen beschrieben (23). Die blitzbedingte Druckwelle kann zu Rupturen innerer Organe, zum Beispiel
der Harnblase, oder zu Gefäßrupturen, beispielsweise
der Aorta, führen (e16, e17).
Gynäkologische und geburtshilfliche Effekte
Nach Blitzeinwirkung sollen Störungen des Menstruationszyklus auf hypothalamischer Ebene beobachtet worden sein (e18). Laut mehreren Fallberichten
ist die Leibesfrucht der Schwangeren stärker durch einen Blitzunfall gefährdet als die Schwangere selbst.
In den vorliegenden 8 Kasuistiken überlebten alle
Frauen, hingegen starben 4 Kinder an den Folgen der
Blitzunfälle (e19–e21).
Besonderheiten bei der Reanimation
nach Blitzschlag
Vom Blitz getroffene Menschen mit Herz- und Atemstillstand sind grundsätzlich reanimierbar. Auch weite, reaktionslose Pupillen dürfen keinesfalls als Todeszeichen interpretiert werden (e6). Durch unverzügliche und unter Umständen lange fortgesetzte Reanimationsmaßnahmen können die Patienten gegebenenfalls ohne bleibende Schäden überleben, auch
wenn zwischen dem Blitzschlag und dem Beginn der
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Erstmaßnahmen mitunter ein längeres Intervall bestanden hat (e22, e23).
Die Reanimation Blitzgeschädigter ist Erfolg versprechender als bei Opfern mit Kreislaufstillstand anderer Genese (1). Als ursächlich vermuten Karobath
et al. (17) in Anlehnung an ihre tierexperimentellen
Studien ein häufiges Vorliegen von bradykarden
Rhythmusstörungen nach Blitzeinwirkung, die für eine gewisse Zeit eine Minimalzirkulation aufrechterhalten können. Dagegen nimmt Taussig (e12) an, dass
zwar der Kreislauf im Moment des Blitzschlages zum
Erliegen kommt, die anschließende zelluläre Degeneration jedoch relativ langsam fortschreitet.
Die Tatsache, dass die Reanimation Blitzgeschädigter mit relativ guten Erfolgsaussichten einhergeht,
ist von besonderer klinischer und rechtlicher Relevanz. Während bei einem andersartigen Massenunglück den Verletzten mit erkennbaren Lebenszeichen
die erste Aufmerksamkeit gilt, sollten sich die ersten
Hilfsmaßnahmen bei einer Gruppe von Blitzgeschädigten auf die scheinbar leblosen Opfer mit Kreislaufstillstand konzentrieren (1, e12, e24).
Interessenkonflikt
Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien
des International Committee of Medical Journal Editors besteht.
Manuskriptdaten
eingereicht: 16. 3. 2007; revidierte Fassung angenommen: 30. 8. 2007
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Anschrift für die Verfasser
Dr. med. Fred Zack
Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums Rostock
St.-Georg-Straße 108
18055 Rostock
E-Mail: [email protected]
@
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www.aerzteblatt.de/english
Mit „e“ gekennzeichnete Literatur:
www.aerzteblatt.de/lit5107
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