Schiffbrüche mit Bewusstsein. Droge, Zeichnung, Schrift bei Henri
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Schiffbrüche mit Bewusstsein. Droge, Zeichnung, Schrift bei Henri
Helmut Pfeiffer Schiffbrüche mit Bewusstsein. Droge, Zeichnung, Schrift bei Henri Michaux. I) Abgründiges Wissen In einem undatierten Eintrag seiner Cahiers aus dem Jahre 1970 berichtet E.M. Cioran von einer Diskussion mit Henri Michaux, einem, wie es heißt, jener nachmitternächtlichen Gespräche, die mit den Wahrheiten des Tages unvereinbar seien, die aber gleichwohl „quelque chose de sincère, de profond, et donc de naïf“ 1 hätten: Nous parlions de l’homme au passé, et cela tout naturellement. Et cependant Michaux est un ‘optimiste’. Ses propos sur la ‘mentalisation’ progressive de l’humanité, vision presque teilhardienne qui me laissa perplexe. Un homme aussi lucide se leurrer à tel point ! Mais il avait des accès de ‘scientificité’ […] Il croyait à la science. D’ailleurs, il était, il est, minutieux comme un savant […] C’est un observateur et non un visionnaire. Entre le document et l’hallucination. 2 Man kann die Intention, die Michaux’ Texten über seine Drogenerfahrungen zugrunde liegt, kaum treffender charakterisieren. Es geht stets um Wissen, selbst um unvertretbare Wahrheitsansprüche, und die Spezifik der einschlägigen Erfahrungen und die mit ihr ins Spiel gebrachten Aporien der Darstellbarkeit verlangen, dass das Wissensbegehren eine Vielfalt poetischer und diskursiver Register einsetzen muß, und dabei Felder des Wissens berührt, die von der Poesie und der Kunst über die Wissenschaft bis zur Religion sich erstrecken. Programmatisch trägt daher eines der späteren Bücher Michaux’ über seine Drogenexperimente den Titel Connaissance par les gouffres 3 und seinem ersten Kapitel ist das Epigraph vorangestellt: „Les drogues nous ennuient avec leur paradis. Qu’elles nous donnent plutôt un peu de savoir. Nous ne sommes pas un siècle de paradis. » 4 Die Polemik gegen die Baudelaireschen paradis 1 Cioran, Cahiers 1957-1972, Paris 1997, S. 812. Ebd. – Maliziös ergänzt Cioran im Blick auf die Drogenexperimente Michaux’: „Personne de moins insensé, de moins fou. Un halluciné dans un laboratoire. J’ai songé à propos de lui à ce méchant mot de Forain : ‘Un ermite qui connaît l’horaire des trains.’ / ‘At once terrifying and boring’, écrivait un critique anglais sur un des livres de M. sur la mescaline. » 3 Paris 1967. 4 Henri Michaux, Œuvres complètes, hg. von R. Bellour, t. I-III, Paris 1999-2004, hier t. III, S. 3. – Michaux’ Texte werden im f. mit Band- und Seitenzahl abgekürzt im Text zitiert. Gegenstand der folgenden Überlegungen sind die fünf (‚Drogen-’)Bücher: Misérable miracle (1956), L’Infini turbulent (1957), Paix dans les brisements (1959), Connaissance par les gouffres (1961), Les Grandes Epreuves de 2 2 artificiels – oder eine bestimmte Rezeption derselben 5 - ist offensichtlich, nicht um Evasion geht es Michaux, sondern um Wissen und Erkenntnis. Michaux’ erstes ‚Drogenbuch’ setzt bereits mit einer Forschungsperspektive ein: „Ceci est une exploration. Par les mots, les signes, les dessins. La Mescaline est l’explorée.“ (Misérable miracle, II, S. 619) 6 Im Vordergrund steht nicht der Rausch, sondern seine Beobachtung, und da angesichts der Verlaufsdynamik der Drogenerfahrung die Beobachtungsperspektive selbst dynamisiert wird, die Beobachtung der Beobachtung. In ihr finden die Bruchstellen des Geschehens ihren Ort: das Bezeichenbare verweist auf das Nichtbezeichenbare, der Sinn auf das Jenseits des Sinns, die Beobachtung auf die Fragilität ihrer Grenzen. II) Experimente im Imaginären Anfang August 1954 schreibt Henri Michaux an seinen Schriftstellerkollegen, den Direktor der Nouvelle Revue Française, Jean Paulhan: „Si tu m’en trouves (de la mesc) je suis ton homme. / Si tu le désires, ton compagnon de voyage et mon appartement la plage de l’envol. » (II, S. 1246) 7 l’esprit (1966). Einen guten Überblick über die Meskalinzeichnungen gibt der von Peter Weibel herausgegebene Grazer Ausstellungsband Michaux Meskalin, Graz 1998. 5 Man sollte nicht übersehen, wie stark die Baudelaireschen Beschreibungen in den Paradis artificiels – vom Eingangskapitel über den goût de l’infini über die Analyse veränderter Raum- und Zeiterfahrung bis zu der kategorische Diagnose: „le haschisch ne révèle à l’individu rien que l’individu lui-même“ (Œuvres complètes, t. 1, hg. von C. Pichois, Paris 1975, S. 440) – spätere Rauschgiftberichte konzeptuell vororientiert haben, vielleicht gerade weil sie wenig spezifische Einzelerfahrungen thematisieren. 6 Das Motiv kehrt noch in dem Kapitel Aliénations expérimentales der Grandes Epreuves de l’esprit wieder, wo es programmatisch heißt: „Lorsqu’on fait sur sa personne une expérience d’aliénation, il est capital qu’il en reste assez de présence vigile pour observer le mental maltraité qui, toujours en mouvement, cherche à continuer son travail, le faisant autrement, à la diable, vous menant sur des voies singulières. » (III, S. 402) 7 In seinem Rapport sur une expérience hält Paulhan lakonisch fest: „Je n’ai pas la moindre habitude des stupéfiants.“ Sein Resümee der Meskalinerfahrung ist auch überaus nüchtern: „Comment se fait-il que je n’éprouve pas un plus grand désir de recommencer une expérience, à tout prendre agréable et curieuse? Eh bien, c’est qu’il me semble d’abord qu’une nouvelle ne m’apprendra rien de nouveau. Déjà le second jour de mescaline ne faisait guère que répéter le premier […] le moins qu’il faille dire de la mescaline est qu’elle ne m’a pas un instant débarrassé de moi, mais a simplement donné plus de couleur ou de relief, en les isolant, à des pensées ou des vues que je formais déjà.“ (J.P., Œuvres complètes, t. 4, Paris 1969, S. 422/426) Paulhans Interesse könnte durch die Peyotl-Erfahrungen Antonins Artauds geweckt worden sein, der im Zuge seines Mexikoaufenthalts über die einschlägigen Kulte der Tarahumaras, vor allem in „La danse du Peyotl“, berichtet hatte, und sich darüber auch in zwei Briefen an Paulhan aus dem Jahre 1937 geäußert hatte. So hatte Artaud am 28.3.1937 Paulhan Nachricht von der „chose mystérieuse où ce qui apparaît n’est que le vêtement allusif si je peux dire d’autre chose d’infiniment plus important et d’absolument important en soi“ gegeben (A.A., Œuvres, hg. E. Grossman, Paris 2004, 3 Die Formulierung, mit den Motiven geheimbündlerischer Verschwörung und der literarischen Topik der Reise und des Flugs spielend, fasst einen späten Aufbruch ins Auge: Paulhan ist zu dem Zeitpunkt bereits knapp 70 Jahre alt, Michaux immerhin Mitte fünfzig. Als Schauplatz des Geschehens schlägt dieser seine Altbauwohnung in der rue Séguier im 6. Arrondissement vor – ein vertrautes, von Michaux 1968 widerstrebend aufgegebenes Ambiente. 8 Für Michaux hat das Experiment mit der Droge Meskalin – ihre chemische Formel findet sich kommentarlos auf der Rückseite des Titelblatts von Misérable miracle – durchaus den Charakter eines grundsätzlichen Experiments, in dem es keineswegs nur um die halluzinogene Veränderung des Bewusstseins geht, sondern um das Verhältnis der experimentell induzierten Grenzüberschreitungen zu den Grenzen der ästhetischen Medien, der Literatur und der Malerei/Zeichnung, die bei Michaux stets in ihrer Relation zu ‚Erfahrung’ als einer Grenzfläche des Bewussten und Nichtbewussten 9 begriffen ist. Die imaginäre ‚Reise’ (der Flug, die Seefahrt) der Droge tritt an die Stelle realer Reisen dessen, der immerhin einmal Seemann war 10 , und dessen frühe Texte die Räume des Orients (Un Barbare en Asie) und des südamerikanischen Westens (Ecuador) ausmessen, der gewissermaßen als verfehlter Reiseschriftsteller 11 debütiert und dessen frühe Zeichnungen unter anderem den Arbres des Tropiques gewidmet sind. Immerhin formuliert der den Peintures von 1939 vorangestellte kurze Text Qui il est bereits kategorisch: „Il est et se voudrait ailleurs, S. 765). Artauds zentraler Text „Le rite du Peyotl chez les Tarahumaras“, wo er auch über eigene Erfahrungen mit der Droge berichtet, stammt aus seiner Zeit in Rodez, im wesentlichen 1943 geschrieben, aber erst 1947 veröffentlicht (vgl. ebd. S. 1679-1692). Für die spätere Konzeptualisierung der Meskalinerfahrung, auch bei Michaux, namentlich was das Ichkonzept und die bereits bei Baudelaire ins Spiel gebrachte Vorstellung des Unendlichen angeht, ist dieser Text von essentieller Bedeutung. 8 Dem ‚Setting’ der Drogenerfahrung wird Michaux auch im weiteren größte Aufmerksamkeit zuwenden. Bereits in einem Brief vom 22. 7. 1957 hält er in einem Brief an eine einschlägig interessierte Pharmakologin im Blick auf die Eignung seiner Wohnung und ihrer Einrichtung fest: „Dans un hôtel particulier du XVIIIe siècle, un peu retirée, la pièce, d’un calme comme à la campagne, a vue sur les arbres d’un jardin. / Les mur couverts d’une boiserie peinte (couleur crème) et assez défraîchie, les meubles rares; ce living-room propre pour l’étude, a paru généralement l’endroit idéal pour ce genre d’aventures … comme pour le recueillement. J’ajoute : un peu sombre. Pas de meubles modernes. Rien de neuf. Le neuf, le métallique m’ont paru difficiles à supporter dans la mescaline. » (III, S. XXXVI) – Später wird sich Michaux dem Gegensatz von Landschaft und Droge (Berg und Meer als Befreiung von der Befangenheit in der Droge), schließlich auch mit einer kosmischen Steigerung und epiphanischen Einheitserfahrung von Ich und Welt im Zeichen der Droge auseinandersetzen – ich komme darauf zurück. 9 Vgl. dazu die Überlegungen in Les Grandes Epreuves de l’esprit: „Comme l’estomac ne se digère pas lui-même, comme il importe qu’il ne se digère pas, l’esprit est ainsi fait qu’il ne puisse se saisir luimême, saisir directement, constamment son mécanisme et son action, ayant autre chose à saisir. » (III, S. 314) 10 Vgl. die Selbstbeschreibung in Qui il est: „Né le 24 mai 1899. Belge, de Paris. Aime les fugues. Matelot à 21 ans. Atlantique Nord et Sud. Rapatrié malade. » (I, S. 705) 11 Vgl. die Präambel zu Ecuador. Un journal de voyage : « Un homme qui ne sait ni voyager ni tenir un journal a composé ce journal de voyage. » (I, S. 139) 4 essentiellement ailleurs, autre. » (I, S. 705) An einem anderen Ort sein zu wollen heißt für Michaux, ein anderer sein zu wollen. Topographie und Topik des Ich gehören zusammen. Die einleitenden Reflexionen in L’Infini turbulent beschreiben daher unter dem Stichwort der passages das Junktim von Orts- und Selbstverlust, welches die Droge bewirkt: „On a perdu sa demeure. On est devenu excentrique à soi. » (II, S. 808) Wenn aber der junge Michaux das Verhältnis von Literatur und Malerei/Zeichnung in seinem eigenen Werk noch als ein déplacement des activités créatrices (I, S. 705) begreift, als ein Moment in der Transformation des Selbst im Wechsel der ästhetischen Leitmedien, so wird die Spezifik der Drogenerfahrung zunächst gerade darin liegen, dass sie Text und Zeichnung gleichermaßen aufbietet, in einer Rivalität der ‚Übersetzung’, welche ihre medialen Grenzen ausspekuliert. Die Reputation der Droge Meskalin – ein ursprünglich aus dem Peyotekaktus (Anhalonium lewinii) gewonnenes Alkaloid, in Mexiko und dem amerikanischen Südwesten bei Indianerstämmen verbreitetes Rauschgift, das seit Beginn des 20. Jahrhunderts auch synthetisch hergestellt wird (die chemische Zusammensetzung klärte E. Späth 1919 auf) – war unter Künstlern und Intellektuellen seit dem Zweiten Weltkrieg in doppelter Hinsicht etabliert: einerseits wegen seiner hohen bewusstseinsverändernden, ‚halluzinogen’ Potenz, andererseits (in seiner synthetischen Form) wegen der gewissermaßen eleganten und risikoarmen Kalkulierbarkeit und Manipulierbarkeit seiner Wirkungen 12 . Michaux war 1953 durch seine Übersetzerin Sylvia Beach auf einschlägige Abhandlungen Havelock Ellis’ hingewiesen worden. Aldous Huxley, der 1953 in Kalifornien unter ärztlicher Aufsicht mit Meskalin experimentierte, konnte daher auch in seinen plakativen Doors of Perception feststellen: „Administered in suitable doses, it changes the quality of consciousness more profoundly and yet is less toxic than any other substance in the pharmacologist’s repertory.” Meskalin schien damit so etwas wie einen Königsweg zu eröffnen, in dem Selbstüberschreitung und Selbstentgrenzung, Selbststeigerung und Selbstverlust in ein systematisierbares, technisch induziertes und steuerbares Programm der Selbsterfahrung integrierbar sind. Michaux’ Fall ist allerdings anders gelagert als der anderer Autoren. Nicht zufällig geht seinen Texten jede programmatische Eindeutigkeit ab. Stehen Huxleys Experimente im Zeichen eines medizinischen Settings, das auch die Interpretation der Erfahrung durch die Vorgabe einschlägiger Parameter orientiert und das von Huxley in Richtung einer „sacramental vision of 12 Michaux spricht daher von den „doses convenables, c’est-à-dire minimes », mit denen es möglich sei, „aliénations expérimentales“ zu generieren. (III, S. 402) 5 reality“ 13 weitergeschrieben wird, in der Mystik und Ästhetik zusammenkommen, zeichnet sich wenig später die Drogenwelt William Burroughs’ durch eine resolut antibürgerliche Immanenz des Junkietums aus, so steht das Abenteuer oder Experiment, auf das Michaux sich einlässt und das er zugleich provoziert, im Zeichen nicht nur eines Spannungsverhältnisses von Erfahrung, Beobachtung und Medium, sondern von Anfang an auch von wechselnden Arrangements, welche die Handlungsrollen, das Setting, die Formen der Beobachtung und schließlich die Parameter der Interpretation betreffen. Initiator der Experimente ist wohl Paulhan, der auch die einschlägigen-technischen Informationen einholt und das Meskalin beschafft, sich aber schnell wieder zurückzieht, während Michaux’ Drogenexperimente an die zehn Jahre andauern sollten. Der erste tatsächliche Konsum fand allerdings wohl erst Ende 1954 oder Anfang 1955 statt, offenbar war Michaux skeptisch gegenüber der medizinischen Überwachung (vgl. II, S. XXXVI), der Ort des Geschehens wechselt dann des öfteren zwischen Stadtwohnungen und Landhäusern und das heißt auch, zwischen dem eigenen und dem fremden Ort, der Status der jeweils Anwesenden (vom einsamen Konsum über den Arzt und Freunde oder Bekannte, bis zur humoristischen Instanz des als Beobachter seines im Drogenrauschs befindlichen Herrn auftretenden Hunds, auch die Möglichkeiten telefonischer Kontaktaufnahme spielen eine bedeutsame Rolle) wechselt und bleibt häufig uneindeutig; Aufzeichnungen und Zeichnungen stehen – je nach Intensität der Drogenerfahrung in sehr unterschiedlicher zeitlich-räumlicher Nähe und Ferne zu dem Geschehen – ein Sachverhalt, der häufig ebenso in Andeutungen verbleibt wie der jeweilige Bezug auf die Einzelerfahrung. Die Beziehbarkeit von Text und Zeichnung bleibt häufig implizit wie die Textform zwischen knappen Notaten, literarischer Deskription und konzeptuellen Verdichtungen vielfältig. Das Verschwinden der Zeichnung aus den späteren Büchern führt gerade nicht zu deren diskursiver Homogenisierung, eher im Gegenteil, wozu vielleicht auch beiträgt, dass neben dem Meskalin immer wieder auch andere Drogen, vor allem Haschisch, Psilocybin und LSD, ins Spiel kommen. 14 13 Ein wichtiger Aspekt dabei ist bei Huxley wie häufig die Dimension des Ichverlusts, vielleicht besser: der Auflösung der habituell verfestigten Strukturen des Ich. Dafür wird auch ein physiologisches Argument genannt: „The brain is provided with a number of enzyme systems which serve to co-ordinate its workings. Some of these enzymes regulate the supply of glucose to the brain cells. Mescalin inhibits the production of these enzymes and thus lowers the amount of glucose available to an organ that is in constant need of sugar.” Das Ergebnis wird in einem schönen Reduktionismus formuliert, der an manche Formeln späterer Hirnforschung erinnert: „When the brain runs out of sugar, the undernourished ego grows weak [...] In the final stage of egolessness there is an ‘obscure knowledge’ that All is in all […]” - Die religiöse Dimension der Droge wird später bei Timothy Leary und anderen in einer eigentümlichen Mischung von östlicher Weisheitstradition und westlicher Pedanterie systematisiert, vgl. z.B. The Psychedelic Experience. A manual based on the Tibetan Book of the Dead (1975). 14 Frühe Drogenerfahrungen hatte Michaux bereits in Ecuador (1928) thematisiert: „10 mai. / Un mot rond, et qui couvrait presque toute mon idée de l’Asie, et que ma jeunesse emplit d’une vraie 6 III) Übersetzungsmedien Misérable miracle (1956), Michaux’ erstes Buch über seine Rauschgifterfahrungen, dessen alliterativer und denigrierender Titel durchaus Ambivalenz und Distanz signalisiert, in dem neben dem Meskalin, welches die Beschreibung dominiert, auch die Haschischerfahrung, le chanvre indien, zur Sprache kommt, stellt im Nachhinein auch so etwas wie sein letztes Wort zu dem Thema dar. Die für die zweite Ausgabe von 1972 verfaßten Addenda benennen nämlich Gründe für den Abbruch der etwa zehnjährigen Experimente: „Pourquoi avoir cessé de prendre la Mescaline? / Pas fiable. Pas maniable comme on le voudrait. » (II, S. 784) Offenbar entspricht das Meskalin auch nach jahrelangem Gebrauch nicht seiner Reputation experimenteller Präzision und Verfügbarkeit, die Souveränität des Beobachters bleibt gefährdet. Der Untertitel von Misérable miracle benennt bereits jene Vielfalt der Aufzeichnungs- und Übersetzungsmedien, mit denen das Buch den Leser konfrontiert: „Avec quarante-huit dessins et documents manuscrits originaux“. 15 Das Buch bringt Schrift und Zeichnung, Fragment und ästhetische Form zusammen, zudem verweisen faksimilierte Manuskriptblätter auf eine Nähe zum Erleben, welche durch die spätere Durcharbeitung, durch Rhetorisierung, Literarisierung und Diskursivierung, verloren gehen muss. So will das Buch nicht nur doppelte Übersetzung der hantise : Opium. Je te connais maintenant … et tu n’es pas des miens. / Cette perfection sans surforce ne m’est rien. Plutôt l’éther, plus chrétien, arrache l’homme de soi. / L’opium reste dans mes veines. Il y met contentement, satisfaction. / Bien. Mais qu’ai-je à faire de cela ? Ça m’embarrasse. » (I, S. 193) – Im Postface zu Misérable miracle warnt Michaux nachdrücklich vor der Identifikation seines Schreibens mit Drogenliteratur. Das Experiment mit der Droge gehört in den Zusammenhang eines luziden Wissens- und Kunstwollens: „Aux amateurs de perspective unique, la tentation pourrait venir de juger dorénavant l’ensemble de mes écrits, comme l’œuvre d’un drogué. Je regrette. Je suis plutôt du type buveur d’eau. Jamais d’alcool. Pas d’excitants, et depuis des années pas de café, pas de tabac, pas de thé. De loin en loin du vin, et peu. Depuis toujours, et de tout ce qui se prend, peu. Prendre et s’abstenir. Surtout s’abstenir. La fatigue est ma drogue, si l’on veut savoir. / J’oubliais. J’ai dû, il y a vingt-cinq ans, ou plus, essayer sept ou huit fois l’éther, une fois le laudanum et deux fois l’affreux alcool. » (II, S. 767) Zur ‘Nüchternheit’ Michaux’ vgl. auch das amüsante Porträt, das Georges Perec nach einem Abendessen im Juli 1970 von Michaux gibt: „ HM est un être parfaitement microcéphale une tête d’épingle que la calvitie totale raccourcit encore – peu de bouche – un nez aquilin – un regard assez dur, noir, très mobile genre rapace […] Sa voix est neutre parfois un peu chevrotante. Il parle pour parler mais sans déplaisir (il paraît qu’il est d’ordinaire beaucoup plus taciturne) […] Il ne boit pas (ni whisky, ni vin, une tisane (menthe) après le dîner) il a refusé un de mes petits cigares en me demandant s’il était drogué (s’il l’avait été, il l’aurait accepté) » (III, S. XLIV). 15 So in der Gallimard-Ausgabe von 1972. 1956, in der Erstausgabe der Editions du Rocher, hatte es noch geheißen: „Avec 48 gravures hors texte de l’auteur.“ 7 Erfahrung, in der Schrift und in der Zeichnung, sondern zugleich Archiv medialer Spuren der Erfahrung sein. (Abb. 1 / 2) 16 Abb. 1: 16 II, S. 633 und 663. 8 Abb. 2: Allerdings ist der Text des Buches ausgesprochen diskret, was Ort, Zeitpunkt und Status seiner Dokumentationsmedien angeht. Die nachträgliche Reflexion sagt kaum etwas über Gleichzeitigkeit oder Nachzeitigkeit von Schrift und Zeichnung, das Buch druckt beide ab, ohne sie spezifischen Beschreibungen des ausgearbeiteten Textes zuzuordnen. In dem Maße, wie Manuskript und Zeichnung exemplifizieren, verlieren sie allerdings ihre Funktion der Bezeugung einer bestimmten Situation. Die Authentizität des individuell-kontingenten Moments wird in die Rekurrenz der Bilderserien und ihrer Vergleichbarkeiten hineingezogen. Die Spannung von Singularität und Typik, von Exemplifikation und Zeugenschaft bleibt auch im weiteren eine zentrale Crux der Drogenerfahrungstexte. Dass Michaux während des Drogenrausches 9 Aufzeichnungen machte, dass er dafür sorgfältige Vorkehrungen traf, geht aus einem – wiederum späteren – Bericht Jean Paulhans deutlich hervor: J’ai été frappé de la présence d’esprit de Michaux […] enfin de la rapidité avec laquelle, sitôt allongé, il prenait des notes et encore des notes, s’arrêtant à peine un instant pour amener le voile sur sa figure où l’en écartant au contraire […] Puis à Michaux qui écrivait toujours : « Mais est-ce que tu écris par devoir ? Est-ce que tu avais décidé d’écrire ? » La réponse a été, à peu près, qu’il n’attendait pas la moindre révélation de ce qu’il écrivait, mais – écrivant à grande vitesse – de la direction et de la forme des lignes et de leur dessin (qui se trouverait composer en quelque un nouvel alphabet). Je me suis dit : « En effet, il a toujours cherché de nouveaux alphabets. 17 Michaux, so scheint es, liefert eine idiosynkratische Variante der surrealistischen écriture automatique, in der es aber gerade nicht um die Unmittelbarkeit einer Verschriftlichung des Unbewussten geht, sondern um die Symptomatik oder den Aufschlusscharakter intermediärer medialer Konstellationen: der Zwischenraum von Schrift und Zeichnung als Geburtsort eines neuen Alphabets – eines Alphabets, welches der Wirklichkeit des Bewusstseins, und das heißt vor allem seiner Domänen des Vorbewussten, mächtig wäre. 18 In jeder Hinsicht ist Paulhans nachgelieferter Bericht ein erstaunliches Dokument: er beschreibt ein Drogenexperiment, in dem es scheinbar weniger auf die in der Immanenz des Bewusstseins ablaufenden Prozesse ankommt als auf die Möglichkeitsbedingungen ihrer Kommunikation und Archivierung. Michaux’ Aufzeichnungen wollen nicht einfach – mehr oder weniger defizitäre – Verschriftlichung eines intrapsychischen Geschehens mit den Ressourcen sozialer Codes sein, sondern sie zielen auf ein neues Aufzeichnungssystem, ein Alphabet, in dem sich Sprache und Zeichnung verbinden, und zwar auf der weißen Fläche ein und derselben Seite, nicht in jenem Alternieren von Schrift und Zeichnung, welches das schließlich veröffentlichte Buch vorführt. Dass die etablierte Sprache sowohl das unhintergehbare Medium einer Kommunikation der durch Drogen bewirkten Bewusstseinsveränderung als auch deren fatales Hindernis ist, macht jene Grundeinsicht aus, die Michaux’ Drogentexte von Anfang an begleitet und sie zugleich an 17 Paulhan, a.a.O., S. 422f. In dem späteren Bändchen Saisir (Paris 1979), das Zeichnungen und Kommentare verbindet, verwendet Michaux den Terminus signe graphique: „Qui n’a voulu saisir plus, saisir mieux, saisir autrement, et les êtres et les choses, pas avec des mots, ni avec des phonèmes, ni des onomatopées, mais avec des signes graphiques. » (III, S. 936) – In einer durchaus ludistischen, aber symptomatischen Form machen die beiden Alphabets betitelten Zeichnungen von Peintures et dessins den Anspruch eines universellen Alphabets geltend. Einerseits geht es darum, „quelque chose que même la mort ne pût desserrer“ zu bewahren, andererseits um „un alphabet qui eût pu servir dans l’autre monde, dans n’importe quel monde » (I, S. 930ff.). – Vgl. dazu auch E. Grossman, La Défiguration. Artaud – Beckett – Michaux, Paris 2004, v.a. S. 85f .: « Bien au-delà des jeux verbaux des surréalistes, Michaux tente d’inventer une écriture captant cette infime poussière de pensées en suspens que les expériences des toxiques lui permettent de revivre. Ce qu’écrivent en effet les 18 10 eine elementare Sprachskepsis seiner Poetik zurückbindet. Am explizitesten kommt diese Aporie in seinem letzten Drogenbuch Les Grandes Epreuves de l’esprit zur Sprache. Im Meskalinrausch funktioniert demzufolge das Bewusstsein sprachlos, die Bilder und ihre Verknüpfung folgen einer eigenen Logik, die nicht den semantischen Gehalten der Sprache, aber auch nicht der kommunikativen Logik von Syntax und Textkohärenz entspricht: Le langage paraissait une grande machine prétentieuse, maladroite qui ne faisait que tout fausser, qui d’ailleurs allait s’éloignant dans une grandissante distanciation, dans l’indifférence. (III, S. 325) Die Sprache ist jenes Medium, welches die Erfahrung der Droge in eine Semantik übersetzt, die sie ihres Charakters, das Ich zu treffen und zu betreffen, beraubt. Sie verwandelt Betroffenheit in Indifferenz, die Immanenz der Überwältigung in die Exteriorität sozialer Doxa. Sich der ‘Wahrheit’ des experimentell verwandelten Bewusstseins zu überlassen bedeutet daher : « lâcher les mots.“ Die Faszination der Droge liegt darin, dass sie die Herrschaft der Sprache über das intrapsychische Geschehen zerbricht, und damit der Selbstbeobachtung ein ansonsten verschüttetes Terrain ihrer selbst zugänglich werden läßt. Jede Rückkehr in das normale, pragmatische, angepasste Alltagsbewusstsein ereignet sich demgegenüber als eine „(c)hute dans la verbalisation“: Le vieux jumelage de la pensée et de la parole, il le voit à ses yeux à nouveau s’accomplir. La parole oblige la pensée à suivre son bonhomme de chemin. La procession des mots, la pensée doit la suivre, le vêtement des mots, y entrer, l’inscription des mots, s’y fixer, s’y penser, s’y modérer. (III, S. 324) Die Opposition ist deutlich : dem der Ordnung der Sprache unterworfenen Denken, das den Imperativen der sozialen Kommunikation gehorcht, stellt Michaux ein drogenexperimentell erhelltes Denken, le penser, gegenüber, das allerdings keineswegs identisch mit einer eindimensionalen Logik der Bilder ist, sondern vielmehr eine Vielzahl von mikroskopischen Vernetzungen und Verknüpfungen kennt, deren Reichtum die Sprache nur in der Anarchie akkumulativer Unordnung suggerieren kann: Microphénomène par excellence, le penser, ses multiples prises, ses multiples microopérations silencieuses de déboîtements, d’alignements, de parallélismes, de déplacements, de substitutions (avant d’aboutir à une macropensée, une pensée panoramique) échappent et doivent échapper. Elles ne peuvent se suivre qu’exceptionnellement sous le microscope d’une attention forcenée, lorsque l’esprit monstrueusement surexcité, par exemple sous l’effet de la mescaline à haute dose, son champ modifié, voit ses pensées comme des particules, apparaissant et disparaissant à des vitesses prodigieuses. (III, S. 315f.) 19 textes mescaliens, c’est précisément ce ‘véritable flux pensant’ qui surgit d’abord dans l’infraverbal […] » 19 Die Herausgeber der Gesamtausgabe verweisen hier durchaus zu Recht auf die Nähe dieser Beschreibungen zu der Opposition des Molekularen und des Molaren bei Deleuze und Guattari, vgl. z.B. Mille plateaux, Paris 1980, S. 260ff., vorher bereits die Freud-Kritik S. 39f.: „A peine a-t-il découvert le plus grand art de l’inconscient, cet art des multiplicités moléculaires, que Freud n’a 11 Die disseminative Mikrorhetorik, welcher le penser folgt, läuft alltäglich vor- und unbewusst ab, sie wird nur sichtbar in extremen Formen der Selbstbeobachtung, deren Paradigma des Meskalinexperiment ist. Die Konsequenzen, die Michaux bereits für Misérable miracle zieht, postulieren ein mediales Tripel, welches das Bewusstseinsgeschehen ‚übersetzt’ 20 , um es kommunizierbar zu machen : Gegenstand der exploration ist das Meskalin (bzw. seine bewusstseinsverändernden Wirkungen), ihre Medien sind das Wort, die Zeichen, die Zeichnungen. 1) Zeichen: Michaux versteht darunter offenbar das ‚neue Alphabet’ der Schrift/Zeichnung-Mischform (er spricht hier auch von scription), die unmittelbar unter dem Eindruck der Droge niedergeschrieben/aufgezeichnet wurden. Sie sind allerdings nur selektiv präsentierte Spuren der veränderten Bewusstseinstätigkeit und verlangen vom Leser eine spezielle Lektürefähigkeit, der Flüchtigkeit der Aufzeichnung korrespondieren jedenfalls beträchtliche Intensität und Dauer von Entzifferungsbemühungen. (Abb. 3 / 4) 21 de cesse de revenir aux unités molaires, et retrouver ses thèmes familiers, le père, le pénis […] » Deleuze schickt Michaux im übrigen 1968 Différence et répétition und Logique du sens mit einer Widmung, die auf die Grandes Epreuves Bezug nimmt : « vous avez su dire sur la schizophrénie plus et tellement mieux que tout ce qu’on a jamais dit, et vous, en quelques pages : les grandes épreuves de l’esprit, 153-162. » (vgl. III, S. XXXIX) 20 Vgl. dazu die lakonische Bemerkung aus Saisir: „Saisir: traduire. Et tout est traduction à tout niveau, en toute direction. » (III, S. 979) 21 II, S. 666f.. Vgl. auch den Kommentar II, S. 619 : « Dans la seule scription des trente-deux pages reproduites ici sur les cent cinquante écrites en pleine perturbation intérieure, ceux qui savent lire une écriture apprendront déjà plus que par n’importe quelle description. » 12 Abb. 3: 13 Abb. 4: Was Paulhan als Indiz unerhörter Geistesgegenwart unter den Bedingungen der Droge erscheint, zeigt sich in den Beispielen, die Michaux abdruckt, als Modus einer Übergänglichkeit von Schrift und Zeichnung (oder Linie), wo die – ohnehin erschwerte – Lesbarkeit einzelner Wörter oder Syntagmen in die offene Bewegung der rhythmisierten Linie übergeht, welche zur Zeichenbewegung wird, aber gegenstandslos bleibt. Diese Bewegung kann reversibel sein oder 14 aber von Anfang an einer gegenläufigen Orientierung folgen. In jedem Fall: sie ist die intermediäre Spur eines inneren Geschehens. 22 2) Zeichnung: Sie gehört der Nachträglichkeit an, ihre Ausarbeitung folgt einer medialen Eigenlogik, in der es allenfalls darum gehen kann, bestimmte Merkmale der Erfahrung durch zeichnerische Mittel konstruktiv zu simulieren. In dem Kommentar zu den Zeichnungen von Paix dans les brisements hat Michaux selbst den Hiat zwischen der Erfahrung und ihrer Darstellung in der Zeichnung betont: „Les présents dessins – dois-je le dire – sont des reconstitutions. Une main deux cents fois plus agile que la main humaine, ne suffirait pas à la tâche de suivre la course accélérée du spectacle intarissable. » (II, S. 1000) So exemplifizieren die Zeichnungen Qualitäten, welche die Sprache in abstrakten Begriffen benennt, aber nicht darstellt. 23 Immerhin insistiert Michaux auf einem gewissen ‚Resonanzcharakter’ der Zeichnungen, die, wie es in Misérable miracle heißt, „aussitôt après la troisième expérience“ in Angriff genommen wurden. Ihr zeitlicher Abstand ist daher minimal, sie integrieren sich gewissermaßen in die Intervalle der Drogenexperimente. Anders als in Paix dans les brisements, wo Michaux über die Signification des dessins meditiert 24 , bleiben in Misérable miracle Zeichen wie Zeichnungen unkommentiert, und das heißt, sie werden weder bestimmten Erfahrungen noch Momenten von Erfahrungen zugeordnet, die in den Drogenbeschreibungen zur Sprache kommen. 25 So stehen die Zeichnungen in einer erratischen Sukzession, als mediale Wiederholungen und Variationen abstrakter Qualitäten der Erfahrung. Der Betrachter kann sie schwerlich spezifischen images oder visions zuordnen, von denen im Text die Rede ist, denn sie illustrieren kaum deren optisch-imaginäre Konkretheit. Überdies steht ihre Appellqualität, die aus der diskreten Ordnung der Seiten resultiert und die die freischwebende Aufmerksamkeit des Betrachters mobilisiert und zugleich fesselt, im Gegensatz zu der exzessiv gesteigerten Geschwindigkeit der Bilder des Drogenbewusstseins, deren unverfügbares Auftauchen und Verschwinden keine Stillstellung im Aufmerksamkeitsfokus des Bewusstseins zulassen. Die Kommensurabilität der ‚experimentell’ generierten Bildern des 22 Vgl. dazu auch die Bemerkung aus Saisir: „La ligne n’est pas un abrégé de volume ou de surface, mais un abrégé de cent gestes et attitudes et impressions et émotions. » (III, S. 960) 23 Vgl. etwa II, S. 996: „[...] il y avait augmentation, il y avait poussée, il y avait intensité, il y avait énormité, il y avait paroxysme, il y avait dislocation, il y avait surstimulation […] » 24 Vgl. etwa II, S. 999: „Mes dessins expriment l’épiphénomène se produisant irrégulièrement au passage de telle ou telle réflexion. » - Allerdings bleibt ein Parallelismus von Wort und Bild gewahrt, den Michaux auf den schönen Begriff der laisse de réflexion bringt : « Ce sont – images ou mots – les dépôts instantanés, occasionnels, (fugitifs, mais indéplaçables sur le moment, fixes et comme invisiblement fléchés sur place), provoqués par les évocations involontaires et qui toujours surprennent, et que j’appellerais bien des ‘laisses de réflexion’. » (II, S. 999) 15 Drogenbewusstseins und der ästhetischen Betrachtung einer Serie von stilistisch homogenen Zeichnungen ist nicht nur nicht markiert, sondern prinzipiell in Frage gestellt. Daran vermag auch die Versicherung des Autors, es gebe so etwas wie eine somatische oder physiologische Kontinuität zwischen Bewusstseinsimmanenz und Zeichnungsmedialität, grundsätzlich nichts zu ändern: „[...] ils (sc. les dessins) ont été faits d’un mouvement vibratoire, qui reste en soi des jours et des jours, autant dire automatique et aveugle mais qui précisément ainsi reproduit les visions subies, repasse par elles.“ (II, S. 619) Immerhin wird so die Aufmerksamkeit des Betrachters einschlägig orientiert: ihm wird zugemutet, die Linien und Verdichtungen der Zeichnung auf die Spur ihres Entstehens hin abzulesen, den monochromen Minimalismus der Striche auf jene innere Vibration zu beziehen, die gewissermaßen den nachhallenden Resonanzraum der Drogenekstase charakterisiert. 3) Wort: Am Ende der 5. expérience des Infini turbulent, die einen durch die Droge ausgelösten erotischen Rauschzustand thematisiert, stellt sich die Frage der Rückkehr, des Übergangs in das Alltagsbewusstsein. In der temporalen Struktur der Drogenerfahrung ist diese Transitzone ohnehin die immer wieder thematisierte Schwellensituation: die einzige Phase, wo Erfahrung und Beobachtung balancierbar sind, die aber zugleich nicht experimentell steuerbar ist, sondern kontingent sich manifestiert und heterogen besetzt wird. In Michaux’ expérience kulminiert die Verlaufsfigur des Rausches, nachdem sie alle Phasen erotischer Entgrenzung durchlaufen hat, in einer Art Inversion der Realitätsprädikate. Die Intensität des Meskalin-Denkens lässt es zur höchsten Wirklichkeit werden: De la pensée à ce point d’intensité, c’est cent fois plus réel que la réalité. C’en est l’essence et le pouvoir à jamais inoubliable, ‘consacré’. (II, S. 875) Zweifellos betreibt Michaux’ Sprache eine Mimikry, welche die Drogenerfahrung der religiösen (mystischen, ekstatischen, meditativen) Erfahrung annähert. Die „Lebenswelt als unbefragter Boden der natürlichen Weltanschauung“ (Schütz/Luckmann) ist nicht mehr die paramount reality, sondern das Reich ihrer permanenten Verfehlung, 26 Geltungssphäre pragmatischer Ansprüche als konventionellem Substitut von ‚Natur’, Ort der Restabilisierung des sozial akzeptablen Ich. Mit dieser emphatischen Inversion der Realitätsattribute aber ist die Immanenz der Welt der Droge bereits verlassen. Die rhetorisch-literarische Konsekration der Droge ist unweigerlich 25 Paix dans les brisements liefert hingegen keine Erfahrungsbeschreibungen ; vielmehr ist den Zeichnungen komplementär des große Gedicht zugeordnet, das dem Band seinen Titel gibt. 26 Oder wie Michaux die Rückkehr auch beschreibt: „Maintenant revient le pragmatique, l’utile, l’adapté, l’harmonieux, revient l’ego, ses bornes, son autorité, son annexionisme, son goût des propriétés, des prises, son plaisir de s’imposer, de faire tenir ensemble, de forcer coûte que coûte. Et cela paraît naturel ! » (III, S. 325) 16 retrospektiv, eine Gestalt der Memoria, die ihren Gegenstand sentimentalisch beschwört, um seine Macht und seinen Wahrheitsanspruch nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Michaux, der Protagonist des Experiments, vollzieht und beschreibt die typischen Gesten der Rückkehr in das wache Bewusstsein der Lebenswelt: er öffnet das Fenster, das ungewohnte Tageslicht und die frische Luft signalisieren das Ende ekstatischer Immanenz, sie „dissipent la vision et presque la présence.“ Was bleibt, ist eine Schwellensituation, deren Uneindeutigkeit es unmöglich macht, die Rückkehr als momenthaften Sprung oder als linearen Prozeß zu begreifen. Der Rückkehrer ist orientierungslos, weil sich ihm palimpsestartig das eben Noch und das gerade Jetzt überlagern. Die Droge hat den Charakter einer verdeckten Präsenz, identitätslos aber wirksam: „Quelque chose traîne encore en moi, mais indéterminé.“ (II, S. 876) Das zeigt sich etwa im Misslingen eines spielerischen Umgangs mit dem eigenen Körper und seiner gestalthaften Einheit: die Anwandlung, die eigene Hand wegzuschleudern, schlägt um in die Angst, den eigenen Körper, dessen Schema ins Bewusstsein zurückgekehrt ist, zu zerstückeln. Die Unmöglichkeit des Spiels mit dem eigenen Körperschema als Zeichen der abwesend anwesenden Droge wird zum Impuls, durch die Zeichnung dieser Situation Ausdruck zu verleihen: „Essayons le dessin. / Dessin au crayon rouge.“ Neben dem Wort beansprucht wieder die Zeichnung ihren Platz im Archiv der Droge. 27 Das Wort allerdings, das bezeichnen will, ist begleitet vom Bewusstsein der Angemessenheit oder Unangemessenheit seiner Benennung oder Bezeichnung. 28 Die Zeichnung lebt demgegenüber in einer Ambivalenz ihrer Bezugnahme: sie kann den Gegenstand (z.B. den Inhalt der Visionen) mimetisch darstellen, sie kann aber auch Eigenschaften der Drogenerfahrung ausdrücken oder exemplifizieren. Michaux verspürt angesichts der Unangemessenheit des Wortes den Drang zu zeichnen 29 – aber wie verhält sich die Zeichnung zu der Schwellensituation, in der sie stattfindet, und damit zu der ineins verabschiedeten und beharrenden Wirklichkeit der Droge? Die Zeichnung, die entsteht, hat Ereignischarakter: das Produkt ist weder mit der Welt der Droge noch mit der des Alltags zu verrechnen. Die Hand 27 Vgl. auch die Notizen zum Verhältnis von Zeichnung und Zeitlichkeit der Droge: „La mescaline a sur moi, dessinateur, l’action suivante: Pendant: dessins aux traits trop désordonnés et fatigants à tracer, vite abandonnés. A la fin, ou aussitôt après : dessins ou apparaissent de nombreuses droites parallèles, montrant la tendance à répéter des traits identiques. » (II, S. 913) 28 Vgl. dazu vor allem die ausführlichen Erörterungen im 2. Kapitel der Grandes Epreuves de l’esprit, die immer wieder eine Bewegung beschreiben, welche zunehmend als Entfernung und Verfehlung wahrnehmbar wird : « […] je reprends l’écriture et reviennent les mots, régulièrement comme, sortant d’un robinet, un goutte à goutte d’eau qui serait un peu lente à tomber, et tout le temps qu’arrivent les mots, voyant bien que ce qui atterrit sur la feuille n’est pas, ne peut pas être conforme à mon dessein, je lutte pour rectifier […] Posément je poursuis, émettant des mots imparfaits qui ne conviennent que peu, que très peu, ou pas du tout […] » (III, S. 330) 29 Emergences-résurgences von 1972 macht bereits im Epigraph die Opposition von Zeichnung/Malerei und Wort, Zeichnung und Habitus deutlich: „Né, élevé, instruit dans un milieu et une culture uniquement du ‚verbal’ / je peins pour me déconditionner. » (III, S. 543.) 17 zeichnet, es taucht die Form eines Gesichts auf. 30 Ist es das eigene Gesicht? Michaux, der im Zeichnen seinen Körper wiederfindet, erfährt die Bewegung des Zeichnens als ein ‚Auftauchen’ (aus der plongée der Droge), das aber im Zeichen einer unheimlichen Doppelung des Eigenen und des Fremden bleibt: „Je fais nageur, comme un nageur après une plongée fait surface. Mais je n’y suis pas à l’aise, ni installé. » (II, S. 876f.) Die intermediäre Position zwischen Droge und Alltag produziert eine Zeichnung, die das Gesicht als Ruine erscheinen lässt, gewissermaßen die satanisch-dysphorische Kehrseite der euphorischekstatischen darstellt. Die wiederangeeignete Hand zeichnet ein Gesicht als Allegorie der Zerstörung: Horrible dessin d’un visage, dont je vois alors les ravages subis et encore à subir et tout ce qui est vulnérable dans la face veut exprimer le désordre, la désarticulation, la désagrégation que je sens surtout ailleurs. (II, S. 877) Michaux hat diese Zeichnung eines verwüsteten Gesichts, das weder eigenes noch fremdes ist, nicht reproduzieren lassen. 31 L’Infini turbulent ist ein Buch der Drogenexperimente, aber ohne Zeichnungen oder ‚Manuskripte’. Die Zeichnung wird nicht reproduziert, sondern besprochen. Immerhin thematisiert Michaux die Reaktion anonymer Betrachter, und sie dokumentiert nicht ästhetische Distanz, sondern distanzlose Betroffenheit. 32 Für ihren Autor ist die Zeichnung demgegenüber „prise de conscience malheureuse“. Der Zeichner Michaux wird zu einer Figur des unglücklichen Bewusstseins, dessen Grund ihm allerdings entzogen bleibt. Die Zeichnung stellt weder das Bewusstsein der Droge, das stets als gesteigertes, wenn auch der Alltagslogik entzogenes thematisiert wird, dar, noch drückt sie die ekstatische Intensität der expérience aus. So bleibt ihm der Grund des unglücklichen Bewusstseins entzogen, die Zeichnung wird zur Manifestation des Satanischen, l’avanture et la drôle d’épreuve du satanique (II, S. 877f.) 33 Die dem 30 Vgl. dazu auch Emergences-résurgences, zum explorativen Charakter der Zeichnung und zur privilegierten Rolle des Kopfes: a) « Comme moi la ligne cherche sans savoir ce qu’elle cherche, refuse les immédiates trouvailles, les solutions qui s’offrent, les tentations premières. » (III, S. 545) b) « En attendant, viennent quelques personnages et des têtes, irrégulières, inachevées surtout. Tiens ! Pourquoi pas des plantes, des animaux ? / Dans tous les inachèvements, je trouve des têtes. » (III, S. 552) 31 Eine Theorie des Porträts zwischen Selbst- und Fremddarstellung liefert die Einleitung zu Peintures et dessins, vgl. insbesondere I, S. 863: „Un portrait est un compromis entre les lignes de forces de la tête du dessinateur et la tête du dessiné. » 32 Vgl. II, S. 877 : « Tête que certains regarderont plus tard avec une extrême gêne. Tête plus défaite que pathétique, tête de hors-la-loi, d’homme brisé, prêt à tout […] » 33 Später analysiert Michaux eine Rekurrenz dieses Phänomens: „Il vient, dès que je suis en difficulté, le visage répulsif que j’ai déjà bien vu trente ou quarante fois, dont je détourne aussitôt, me précipitant pour me jeter de l’eau sur les mains et le front, tête horrible, grimaçante, qui suit avec exaltation mes pensées d’homme traqué. Ce n’est pas Dieu, c’est le démon qui voit l’homme, qui est la conscience de l’homme […] Les grimaces du démon, c’est un fait expérimental. Dans 18 unglücklichen Bewusstsein entspringende Zeichnung führt in die Erfahrung der Droge gerade wieder jenen Dualismus ein, als dessen Aufhebung sie gefeiert worden war, und dessen Medium das Wort und seine diskursive Resonanz ist. Die poussée d’Infini (II, S. 813) der Droge ist in der Schwellensituation der Aufzeichnung nur das Moment eines Einheitsphantasmas, in dem die welthaften Dualismus suspendiert sind, um als phantasmatisch besezte, sprachlich artikulierte Dualismen wiederzukehren. Letztlich ist es die auf der Schwelle der Rückkehr ins Alltagsbewusstsein unhintergehbare, unvermeidbare, obsessive Wiederkehr dualistischer Spaltungen, als deren Initialemblem die Zeichnung des luziferischen Gesichts erscheint, welche schließlich die Distanzierung der Drogenexperimente insgesamt einleiten wird: C’est en voyant la laideur veule de mes dessins de possédé que je commençai à me désengluer sérieusement et à me détacher. (II, S. 877) 34 Der Text von Misérable miracle und L’Infini turbulent lässt kaum mehr die intermediale scription zwischen Schrift und Zeichnung erahnen. Seine diskursive Heterogenität ist zwar Symptom einer Bezeichnungsnot, aber zugleich Ausweis einer Sprachvirtuosität, welche den Verweis auf konkurrierende Medien tilgt. Das ‚Manuskript’, „lequel traduisit directement et à la fois le sujet, les rythmes, les formes, les chaos ainsi que les défenses intérieures et leurs déchirures » (II, S. 619) ist eine zwar multiple, aber zugleich unlesbare Übersetzung, ungeeignet für soziale, auch ästhetische Kommunikation. Das Manuskript der scription übersetzt ‚alles’, die Wirklichkeit der Drogenerfahrung als spezifischer Rhythmus und eigene Form, als Vielfalt der Bilder und Wirklichwerden des Wortes, die Widerstände des Subjekts wie den Kollaps der Abwehrmechanismen, aber diese Vielfalt ist nicht lesbar, der texte primordial ist „plus sensible que lisible“. Die Zerreißung des Sprachkörpers 35 hinterlässt ein stummes, allenfalls symptomatisches Dokument. Der publizierte Text ist die Übersetzung einer Übersetzung. „Tout a dû être récrit. » Die Sprache der Neuschrift aber respektiert die Normen der Kommunikation, sie steht auf der Seite der Imperative der Zirkulation. Nicht die Sprache wird zerrissen, vielmehr wird durch mon état normal et même en rêve, je n’avais de ma vie vu pareil insoutenable visage luciférien. » (II, S. 919) 34 Die erste Phase der ‚Dekontamination’ wird eingeleitet durch die Erfahrung des Meeres: „C’est plus de deux mois plus tard qu’étant allé à la mer un soir vif d’automne je dus faire face au vent piquant et à la mer susciteuse d’énergie, avec autre chose que cette atmosphère trouble que je traînais en moi. » (II, S. 878) 35 Michaux beschreibt sie folgendermaßen: „Lancées vivement, en saccades, dans et en travers de la page, les phrases interrompues, aux syllabes volantes, effilochées, tiraillées, fonçaient, tombaient, mouraient. Leurs loques revivaient, repartaient, filaient, éclataient à nouveau. Leurs lettres s’achevaient en fumées puis disparaissaient en zigzags. » (II, S. 619) 19 unerwartete Relationierungen und Übergänge die Ordnung der Diskurse irritiert, um durch die raue Textoberfläche die widerständige Differenz seines Gegenstands anzuziegen. 36 Michaux spricht selbst von der ‚Mauer’ der Typographie. Das Buch hat den mur de la typographie übersprungen, zurück bleibt die unsichtbar-sprachlose Identität einer singulären Erfahrung wie die ihrer körperlichen Spur. Der gedruckte Text situiert sich zwischen den Extremen gelehrter Rubrizierung und poetischer Sprachintensität, die Erfahrungsprotokolle, die er präsentiert, sind immer schon in einer Sphäre der Nachträglichkeit plaziert. So produziert das Bucher fortwährend Simulakren einer Erfahrung, die er nicht einzuholen vermag. Deren Negativität denunziert Michaux im Bild der Mauer der Typographie, welche gerade keine teichoskopische Partizipation erlaubt. IV) Meskalinstil und ‚expérience de la folie’ Mit Meskalin zu experimentieren heißt nicht: im Bewusstsein eine Erfahrung des Poetischen zu produzieren. 37 Die Droge hat ihren eigenen Stil, aber vielfältige Funktionen. Michaux interessiert sich durchaus auch für den ursprünglichen Einsatz der Droge in den religiösen Ritualen der amerikanischen Indianer. Er greift damit die Beschreibungen Artauds auf, der seine Erfahrungen bei den Tarahumaras als ein Initiationsrituals begriffen hat: „[...] les Prêtres du Peyotl m’ont fait assister au Mythe même du Mystère, plonger dans les arcanes mythiques originels, entrer par eux dans le Mystère des Mystères, voir la figure des opérations par lesquelles L’HOMME PÈRE, NI HOMME NI FEMME a tout créé. » 38 Was aber bei Artaud Teilhabe an einer ursprünglichen Wahrheit meint, die unter den Bedingungen der okzidentalen Kultur verschüttet wurde, hat sich bei Michaux auf ein kulturhistorisches und -typologisches Interesse zusammengezogen. 39 36 Vgl. dazu C. Mouchard, „La ‚pensée expérimentale’ de Michaux », in : R. Dadoun, hg., Ruptures sur Henri Michaux, Paris 1976, S. 195f. : « Les ouvrages de Michaux sur la drogue comportent une juxtaposition de types de discours. Descriptions cliniques, généralisations théoriques, récits d’une entreprise unique et singulière, évocations ‘poétiques’ […] l’effet qu’elles (= les pages) font naître (une rapide enquête sur quelques lecteurs le confirmerait) peut se définir comme un malaise né de la nécessité et de l’impossibilité de les référer à une quelconque catégorie discursive. » 37 Michaux hält immer wieder ausdrücklich den ‚abstrakten’ Charakter der Meskalinbilder, ihre Ferne zu aller sinnlichen Fülle, und damit ihre mangelnde Poetizität, fest : « Aussi est-elle (i.e. ‘la Mesc’) l’ennemie de la poésie, de la méditation, et surtout du mystère. » (II, S. 674) 38 Artaud, Œuvres, a.a.O., S. 1680. 39 Am ausgeprägtesten vielleicht in dem Kapitel Le Problème d’Eros dans les drogues hallucinogènes am Ende von L’Infini turbulent. Dort wird die religiöse Dimension der Peyotlpflanze unterstrichen: „Elle réunit en effet dans son action les composantes de l’action religieuse: l’impression profonde d’être à tout mystérieusement relié, l’impression profonde d’au-delà, d’à-jamais, l’impression 20 Zwischen der Partizipation am kollektiv-religiösen Peyotlritual, welches Artaud beschwört, und dem individuellen Experiment mit Meskalin, welches Michaux praktiziert, liegen allerdings gravierende Unterschiede: anders als das in Scheiben geschnittene und gekaute Peyotl, das in ungefähren Mengen konsumiert wird und auch andere Substanzen erhält, erlaubt das labortechnisch erzeugte und chemisch reine Alkaloid eine genaue Dosierung. Der Peyotladept wird in ein von Priestern verwaltetes Geheimwissen initiiert, der Meskalinadept experimentiert mit den Strukturen der Autopoiesis seines Bewusstseins. Meskalin erlaubt Versuchsanordnungen der Bewusstseinsveränderung, experimentell werden exakt quantifizierte Mengen des Rauschgifts mit der Erlebnisseite grenzwertiger Bewusstseinszustände korreliert. Meskalinkonsum meint daher Selbsttechnik in einem durchaus modernen Sinn und gerade nicht den rituellen Traditionalismus des Peyotl. Der Kontext von Michaux’ Experimenten unterstreicht diesen Zusammenhang. Sie finden unter medizinischer Begleitung und Beobachtung statt, der baskische Neurologe und Psychiater Julian de Ajuriaguerra, der den Surrealisten nahe stand und später Lehrstühle in Genf und am Collège de France inne hatte, hat vermutlich Paulhan und Michaux mit dem Meskalin versorgt und Dosierungsanleitungen mitgegeben. Michaux lässt ihn in Misérable miracle als le médecin auftreten, er wird auch später ein freundschaftliches Verhältnis zu ihm pflegen, Ajuriaguerra ermöglicht ihm Zugang zu seinen Psychiatriepatienten und unterstürtzt damit Michaux’ Interesse an psychischen Grenzzuständen mit Beobachtungsmöglichkeiten. So tritt an die Stelle des religiösen Rituals ein experimentelles Setting, das bei allem Widerstand Michaux’ gegen externe Einflussnahme und Instrumentalisierung zumindest erwartbare Verlaufsund Intensitätskurven zu programmieren erlaubt. Das Unkalkulierbare wird kalkulierbar gemacht. 40 Der erste Bericht setzt daher mit einer einschlägigen Randbemerkung ein, die den Charakter der Versuchsanordnung unterstreicht: Dans une chambre obscure après ingestion des ¾ d’une profonde de vivre une vie extra-corporelle, et hors du temps, de participer à l’Absolu, au perpétuel. » (II, S. 935) Mit der technisch-industriellen Produktion läuft die religiöse Dimension der Droge dann allerdings ins Leere: „Devenu mescaline, le peyotl, son culte abandonné, mais toujours cependant le plus pur des divinogènes, ne se montrait plus si volontiers divin. » (II, S. 937) – Eine Art Phänomenologie von Erlebniswelten, welche kategorisch den monde normal ausschließen, skizziert Michaux in dem Kapitel Les Quatre Mondes am Ende der Grandes Epreuves de l’esprit: sie reichen vom érotisme exalté über den Heroismus und den amour exalté bis zur contemplation exaltée. Beschrieben werden sie immanent, nach ihrem Erlebnisstil, ohne Rücksicht auf ihre Genese. 40 Darauf hat bereits Maurice Blanchot in seinem frühen Artikel L’Infini et l’infini (1958) hingewiesen: „La mescaline est réputée pour sa pureté, l’exactitude avec laquelle elle répond à ses dosages […] En ce sens, elle serait exceptionnellement privée d’infini, mettant fin à elle-même d’une manière si précise et si calculée, - presque abstraite, - qu’ici déjà elle dépasserait la façon humaine qui est incertaine et indécise ; infinie, étant excessivement finie. » (Zit. nach Henri Michaux. Les cahiers de l’Herne, Paris 1966, S. 73-87, hier S. 80). 21 ampoule de 0,1g de Mescaline (II, S. 622). Konsequenterweise folgt daher auf das Kapitel Avec la Mescaline, das eine Serie von drei Experimenten beschreibt und durch nichtzugeordnete Zeichnungen ergänzt, ein Kapitel mit dem Titel Caractères de la mescaline, das den style mescaline beschreibt. Kern dieser Typisierung, welche die Vielfalt der Phänomene in die Prägnanz einer deskriptiven Begrifflichkeit bündeln will, ist der abstrakte, unsinnliche und unkörperliche Charakter der imaginären Visualität des Meskalinrausches: Elle (la Mesc.) fait des images si exactement dépouillées de la bonne fourrure de la sensation, et si uniquement visuelles qu’elles sont le marchepied du mental pur, de l’abstrait et de la démonstration. (II , S. 674) Zu diesem Stil der Bilder gehören auch spezifische Verknüpfungsregeln : weil die Meskalinwelt durch elementare, aber dynmaisierte Verfahren wie Aufzählung, Wiederholung, Symmetrie und Opposition ihre Serien erzeugt, spricht Michaux auch von einem trouble de la composition. 41 Termini wie Stil und Komposition legen es nahe, Michaux’ Beschreibung der Wirkungen des Meskalins auf das Bewusstsein in Analogie zur Beschreibung einer Textsorte oder Kunstgattung zu lesen: Strukturelemente, Verlaufsfiguren, Verknüpfungsregeln, etc. konstituieren ein stilistischkompositorisches Ensemble. 42 Der Meskalinrausch bildet so etwas wie eine identifizierbare Gattung des Bewusstseins, deren Besonderheit sich gerade in ihrer Kommunikationsresistenz zeigt. Der Text, der Strukturmerkmale benennt, ist keine Mimesis des Bewusstseinsgeschehens. Anders gesagt: die Erfahrung des Meskalin zeigt die unaufhebbare Differenz von Bewusstsein und Kommunikation, es rettet das Bewusstsein vor dem Zugriff sozialen Sinns. Allerdings immunisiert es das experimentell gesteigerte Bewusstsein nicht gegen die Banalisierung der Wiederholung. 43 Immerhin heißt es auch in den Grandes Epreuves de l’esprit noch ganz kategorisch: „La drogue [...] est plus révélatrice que créatrice.“ (III, S. 327) Sie macht die Abläufe des Bewusstseins beobachtbar, sie schafft keine neuen Wirklichkeiten. Die experimentelle Ordnung regulierter Deregulierung, die das Meskalin durch Technizität umhegt, ist störungsanfällig, gerade denn, wenn der Konsument selbst der rationalisierten Veranstaltung skeptisch gegenübersteht. So kann es kaum ausbleiben, dass ein erreur der 41 II, S. 674. Vgl. ebd. : « Liée au verbal, elle rédige par énumération. Liée à l’espace et à la figuration, elle dessine par répétition. Et par symétrie (symétrie sur symétrie). » 42 Es ist deshalb nur konsequent, wenn Michaux ein Kapitel über den chanvre indien anschließt, um einen Stilvergleich der Haschisch- und der Meskalinerfahrung zu unternehmen. - Später, in Connaissance par les gouffres, liefert Michaux noch eine Beschreibung der Psilocybindroge, die er 1958 im Hôpital Sainte-Anne auf Vorschlag der Professoren Roger Heim und Jean Delay unternommen hatte. Roger Heim veröffentlicht im gleichen Jahr zusammen mit R. Gordon Wasson ein einschlägiges Buch: Les Champignons hallucinogènes du Mexique 43 Vgl. III, S. 384 : « Comme il existe une certaine banalité du monde visionnaire, dans laquelle le génie comme le pauvre homme sont pareillement entraînés, il se rencontre dans le monde sensationnaire une certaine banalité dans l’extraordinaire. » 22 Dosierung den typischen Meskalinstil an eine kritische Grenze treibt. Das Beispiel charakterisiert Michaux’ Ambivalenz zwischen experimenteller Ordnung und anarchischer Deregulierung. Er greift nach mehrmonatiger Pause wieder zur Droge und konsumiert versehentlich (man möchte eine ‚Fehlleistung’ vermuten) die sechsfache Menge: „Six mois plus tard je prends six ampoules, soit 0,6g le misérable devient l’effroyable miracle.“ (II, S. 722) So schlägt die souveräne Inszenierung, welche unterschwellige Bewusstseinsprozesse beobachtbar werden lässt, in den lebensgefährlichen Terror der (e)xpérience de la folie um, welche die Instanz des Beobachters selbst auslöscht. 44 Was Michaux in unsicherer und opaker Nachträglichkeit beschreiben wird, zielt auf eine paradoxe Konstellation von Unverfügbarkeit und fundamentalem Selbstaufschluß. Der Umschlag von der Souveränität des Beobachtens zur Atopie massiver Desorientierung manifestiert sich gleich eingangs darin, dass die Bilder der vision intérieure, deren gesteigerte Prägnanz und Geschwindigkeit den Meskalinadepten zu entzücken pflegt, nach einem Paroxysmus der Dynamisierung abrupt abbrechen und damit die Kontinuität der Beobachtung löschen: „Je ne vis plus rien.“ (II, S. 723) Nun gehört es zwar durchaus zum style mescaline, dass die Beobachtbarkeit des inneren Geschehens an kritische Grenzen gerät, beispielsweise durch massive Entdifferenzierung (etwa in der wiederholt beobachteten Überschwemmung des Bewusstseins durch ein konturloses Weiß) oder durch die exzessive Geschwindigkeit der Bilderfolge in aleatorisch wirkenden Sequenzen. Aber die an ihre Grenzen gespielte Beobachterposition funktioniert weiter. Phänomenologisch gesprochen: durch die Aufhebung der Thema-/Horizontstruktur in ozeanischer Entdifferenzierung und durch die Tempoüberforderung der Struktur von Protention und Retention wird die Operationsstruktur ‚Sinn’ durchaus an eine kritische Grenze manövriert, nicht aber die Selbstbeobachtung des Bewusstseins gelöscht. Nun aber, in der Überdosis, kollabiert die Instanz der Beobachtung: „J’étais perdu.“ 45 Die Textversion der expérience de la folie signalisiert dies durch die Entkopplung von Erlebnis- und Textordnung. Die Nachträglichkeit des Aufschreibens folgt einer Ordnung, welche die Zeitsequenz des Drogengeschehens zugunsten der Interpunktionen des Schreckens aufgibt. Der Selbstverlust drängt sich vor, obwohl er erst spät eingetreten ist. So ermahnt sich der Erzähler: 44 Eine Interpretation dieser Erfahrung als eines „psychotischen Grenzzustandes“ liefert R. Travniček, Jenseits von Logos und Phantasma. Henri Michaux’ Ästhetik der Subversin des Symbolischen und des Imaginären, Frankfurt am Main u.a. 1977, S. 162ff. 45 Michaux beschreibt diese in actu nicht beobachtbare Situation gern mit den eingespielten Versatzstücken einer militärischen Topik: „L’état-major saisi au collet perd de vue ses troupes. Plus indéfendable qu’un bouchon tressautant dans une eau agitée, plus vulnérable qu’un garçonnet avançant contre une colonne de tanks qui débouchent sur la route. » (II, S. 723) Zweifellos ein Mittel, die Uneigentlichkeit der Beschreibung zu forcieren. 23 „N’allons pas si vite. Le supplice doit durer des heures [...] Je ne sais pas aborder la grande épreuve de l’esprit. » (II, S. 723f.) 46 Geschehensordnung und Erzählordnung sind nicht kongruent zu machen. So greift Michaux auf alltägliche, später mythische Erzählfiguren zurück, um dem sprachlosen Bewusstseinsgeschehen eine Struktur der Mitteilbarkeit zu geben. So präsentiert sich das, was später in eine descente aux enfers umschlägt, zunächst als ein geradezu harmloses touristisches Unternehmen: „Innocent, en touriste“ (II, S. 724) geht das Ich auf die große Fahrt. Auch die ersten Veränderungen finden noch unter den Bedingungen der Alltagserfahrung statt: Michaux beobachtet zunächst kleinere innere Bewegungen, die er als ‚Ausfransungen’ (effilochage) 47 wahrnimmt, er registriert eine veränderte Körperwahrnehmung, das Interieur als Schauplatz beginnt sich zu verwandeln. Aber man hat es hier durchaus noch mit einem Beobachtungssubjekt zu tun, das alle Veränderungen des Selbst und der Welt auf die Überschreitung des alltäglichen Habitus zurückzubeziehen vermag. Die Verben der Wahrnehmung, der Beobachtung und der Dokumentation bleiben sorgsam differenziert: „J’assiste“, „Je note“, etc., der Beobachter beobachtet seine eigenes Tun zwischen Beobachtung und Aufzeichnung. Diese Situation bleibt auch dann noch intakt, als die halluzinatorische 48 Intensität der inneren Bilder in ihrer zunehmenden Abstraktheit die Aufmerksamkeit von der Außenwelt und dem eigenen Körper abzieht. Michaux sieht und notiert eine Vielzahl von Linien, und er weiß (oder glaubt zu wissen), dass sie einem meskalinspezifischen Stil der Veränderung und Verwandlung gehorchen. Noch ist die vertraute Typik der Horizont, vor dem das Ereignis thematisch ist. Danach allerdings zerreißt die Einheit von Thema und Horizont. Eine Spaltung (oder ‚Bifurkation’) tritt ein, in dem Sinne, dass das innere Geschehen und die Pragmatik der Kommunikation nicht mehr vermittelbar sind. Einerseits steigert sich die Dynamik imaginärer Bewegungen, die amplitude des sinuosités, zu einem spectacle formidable. Andererseits soll das Außerordentliche Eingang in soziale Kommunikation finden: Michaux verspürt den Drang, einem Freund telefonische Mitteilung zu machen. Beides zusammen geht nicht, das Telefonat findet nicht statt, um die Sequenzen und Dynamiken des inneren Geschehens nicht zu 46 Das Ungenügen der sprachlichen ‚Übersetzung’ wird von Michaux immer wieder durch das Pathos unabschließbarer réécriture unterstrichen, vgl. etwa III, S. 26: „Non pas deux fois, non pas trois, mais huit, neuf fois, j’ai dû reprendre le présent écrit, tant il était, tant il restait inexplicablement informe, relâché, détendu, ‘défait’, privé de ce que je peux avoir de spontané, de réagissant, d’’à moi’. » 47 Man sollte wohl an dieser Stelle die Suggestion einer Auflösung von ‚Textur’ nicht überhören. 48 Ich gebrauche den Begriff hier, obwohl Michaux verschiedentlich seine Unangemessenheit hervorhebt: „Ceux qui parlent d’hallucination ou de pseudo-hallucination visuelle, par ces seuls mots déjà sont et vont à côté. » (III, S. 356) 24 unterbrechen. Die Beobachtung selbst thematisiert ihre Nichtkommunizierbarkeit. So verwandelt sich der Impuls, zu telefonieren, in den Gedanken (pensée) der Kommunikation, dessen erhabene Bedeutung gerade darin zu liegen scheint, dass die Singularität des Verzichts das Eingedenken eines grundsätzlichen Abschieds von der Welt der Kommunikation signalisiert. 49 Der Gedanke, das entpragmatisierte Noema des Kommunikationsbegehrens, verharrt als arretiertes Memento, wie das Echo in einer stillen Kirche, als reine Gegenwart, „onde de présence“. (II, S. 733) Michaux rekapituliert im folgenden eine Reihe von Facetten des Meskalingeschehens, und dabei wird schnell eine Tendenz phantasmatischer Besetzung offenkundig. Anders gesagt: die Atopie der Ekstase wird durch die Topik eines psychischen Substrats überlagert. Zunächst oszilliert der semiotische Status der inneren Bilder: die Linien, die dem Bewusstsein erscheinen, schlagen von der Sprachferne sinuskurvenförmiger Schwingungen um in die Suggestion von Buchstaben als den ‚Elementarteilchen’ der Schrift: „De grands ‚Z’“ als „zébrures“, „S brisés“, „O incomplets“. Die semiotischen Kippfiguren sind in eine übergreifende Bewegung der Entsinnlichung und Abstraktion eingebettet, welche für die Meskalinerfahrung typisch ist. Die mitlaufende Körperfahrung löst sich auf, das Ich ist „(a)nesthésié au monde jouisseur de mon corps“ (II, S. 733). Das Ich selbst hat seinen Status einer raumzeitlichen Origo der Erfahrung verloren: es wird zum Zeitstrahl, trajet dans le temps, aufgelöst in eine ort- und ziellose Bewegung. 50 Der Leser bewegt sich damit immer noch in der Typik dessen, was Michaux in der Serie seiner expériences variiert. Wie aber realisiert sich das, was im Nachhinein als Höllenfahrt apostrophiert wird? Vielleicht kann man sagen: im Wechselspiel von grotesken Bildern des Schreckens und Bilderlosigkeit. Einerseits verwandelt sich die Dynamik der Linien in die bildhafte Gestalt riesiger grotesker Gesichter 51 , deren Gelächter ein zum Kopfwesen geschrumpftes Ich gegenüber steht, das verzweifelt versucht, den eigenen Kopf, „seule zone vivante de mon être, tout ce qui me reste, 49 Vgl. II, S. 724 : « cette pensée […] prend aussi une extrême importance, comme le dernier voyageur aperçu sur le quai de la ville natale que vous quittez, dans le train qui démarre, imperturbable, inarrêtable. » In einer späteren Anmerkung (II, S. 733) ist auch von einem „spectacle d’extrême majesté“ die Rede. 50 Die unheilbare Nachträglichkeit dieser metaphorischen Übersetzungen wird immer wieder deutlich: jene fast mechanisch-unbewußte Anwandlung des Aufschreibens, die das Übermaß des Geschehens bannen will („Trop! Trop! Vous m’en donnez trop!“) dokumentiert für die Retrospektive eine Bedeutsamkeit, die dem Ich zugleich fremd ist, « que je ne reconnais pas“. 51 In Ihrer Verzerrung wird die Isotopie von Reise/Flug/Seefahrt fortgeschrieben. Die grotesken Gesichter sehen aus wie „ces têtes d’aviateurs soumis à une trop forte pression qui leur malaxe les joues, le front comme on ferait avec du caoutchouc.“ Zugleich erscheinen sie in ihrem grotesken 25 patrie qui rétrécit de plus en plus“ (II, S. 734), am Leben zu erhalten. 52 Dieses Vernichtungsphantasma lebt aus der (Re-)Produktion eines kulturellen Bildrepertoires. Sein Verlöschen ist demgegenüber nur durch eine nachträgliche Metaphorik zu bezeichnen: „JE COULAI. / Ce fut une plongée instantanée.“ (II, S. 735) Nachträglich ist gleichfalls die elegischsatirische Doppelung der Darstellung. Ein inkantatorisch wiederholtes me renversaient beschwört den Bilderverlust, jene ‚Überschwemmung’ des Ich, welche die Nachträglichkeit der Absturzmetaphorik provoziert. Das Ich ist ausgelöscht, „homme-cible qui n’arrive plus à rentrer dans ses bureaux » (II, S. 735), wie Michaux spöttisch ergänzt. Es handelt sich hier insofern um den entscheidenden Augenblick, als Michaux ihn als eine Löschung der konstitutiven IchSpaltung rekonstruiert, und damit als Aufhebung jeder noch so minimalen Distanz, durch die das Ich sich zu sich selbst als Beobachter zu verhalten vermag. Michaux’ Thema ist hier nicht die sein Frühwerk durchziehende Thematik des pluralen Ich mit seiner durch Habitus und kulturelle Identifikationen bestimmten Heterogenität, von der es sich in permanenter Selbstabsetzung zu distanzieren unternimmt, sondern jene minimale Selbstspaltung, die allererst die Distanz der Beobachtung, ja das Pathos der Zeugenschaft ermöglicht. 53 In der ‚Koinzidenz’ der Gabe hört der observateur-voyeur auf zu existieren. Was geschieht, kann nicht mehr beobachtet werden, das Wissensbegehren läuft ins Leere: „Je ne saurai jamais.“ (II, S. 736) Das Imaginäre der Heimkehr, welches der Text bemüht, ist ein kulturelles, der Nachträglichkeit entspringendes Substitut. Wenn die Beschreibung der Höllenfahrt nicht mehr durch Beobachtung vermittelt ist, dann ist sie nachträgliche, aus dem kulturellen Imaginären gespeiste Fiktion. Im Versuch, die Grenzsituation der Überdosis zu beschreiben, erfährt sich Michaux als ‚Fälscher’ (faussaire). Er verfälscht die Singularität des Ereignisses durch die Facilität der kulturellen Schemata. Das être propre, dessen Lachen wie Schiffe eigener Art, « les seuls navires que portent, et non sur elles, mais en elles, ces vagues démesurées. » (II, S. 734) 52 Immer noch verhält sich Michaux zu dem Geschehen: er denkt über Gegenmaßnahmen (Zucker) nach, er beurteilt die erscheinenden Gestalten. In der Übergänglichkeit seiner Reaktionen kommt dem Verbum noter und seinen substantivischen Ableitungen eine Funktion medialer Unbestimmtheit zu. Wenn Michaux schreibt, „ma notation me tient encore à distance de la conscience du fait“ (II, S. 735), dann bleibt zunächst offen, ob das Bewusstsein oder die Schrift gemeint ist. Immerhin wird an der Stelle deutlich, dass Michaux auch mit Stift und Papier hantiert: „Je m’arrête, pose le crayon, écarte le papier et vais entreprendre autre chose.“ (II, S. 735) 53 In einer längeren Anmerkung skizziert Michaux eine eigenwillige Konzeptualität dieser Struktur: Nähe zu sich selbst verlangt zugleich eine marge de sécurité. Diese wird durch die Gabe getilgt – als einer Selbstaufgabe an das eigene Selbst. Eine solche Figur der Gabe als Selbstaufgabe hat ihre Parallelen in der Erfahrung Gottes und der Liebe. Die Löschung minimaler Distanz wird – nachträglich – als paradoxe Einheit von Heimkehr und Vernichtung erlebt: „[...] je venais [...] de me rendre, de me donner à moi, de me revenir comme à ma vraie vérité-patrie-union, à moi mon prénom, cela dans le pire moment de mon existence. » (II, S. 736) 26 Präsenz er ergreifen möchte, ist unerkennbar. Das wird gerade dort deutlich, wo Michaux residuale Beobachtungen macht (oder zu machen glaubt), die nicht immer schon in der Nachträglichkeit der kulturellen Topik eingefangen sind. Das Defilee der centaines de lignes de forces, von denen es heißt, sie peignaient mon être, sind nur momenthaftes, substanzloses Auftauchen und Verlöschen. Michaux greift zu dem nachträglichen Bild des Rechens, „un nouveau rang de lignes en râteau était ratissé“. Die entfesselte Geschwindigkeit der Linien ist aber nicht nur ‚Zeichnung’, sondern eine incessante, inhumaine vitesse, die als Angriff auf die essence de ma personne erscheint. Damit aber wird die gelöschte Differenz der Beobachtung wieder mobilisiert: der verschwundene Beobachter kehrt als Produzent phantasmatischer Bilder wieder: die Wirkung der Droge erscheint als mechanische Gewalt der Vernichtung, das Ich als Insekt, das den Angriffen einer Vernichtungsmaschinerie ausgeliefert ist. 54 Solche Phantasmen der Zermalmung reaktivieren das Ich nicht als distanziert-substanzlosen Beobachter, sondern als Nukleus der Selbstbehauptung, als psychische Identität, die unablässig Bilder ihrer selbst produziert. Der Rausch wird daher zum Agon: „Intense au-delà de l’intense, ce combat, moi actif, comme jamais, me dépassant miraculeusement, mais dépassé hors de toute proportion par le phénomène disloquant. » (II, S. 737) Das ‚Endspiel’ von Auslöschung und Selbstbehauptung geschieht in der Form eines ‚nackten’ Schreckens 55 , einer abstrakten Selbstbehauptung der pensée 56 , die sich auf dem Schauplatz eines allegorischen Theaters verteidigt: „Les pensées luttaient furieusement, désespérément contre leur désintégration.“ (II, S. 738) 54 Vgl. II, S. 737 : « Puis, non dans de l’humain, mais dans une sorte de frénétique agitateur mécanique, dans un malaxeur-broyeur-émietteur, traité comme métal dans une usine, comme eau dans une turbine […] » - « Comme une fauvette dans le sillage tourbillont des hélices d’un quadrimoteur, comme une fourmi plaquée sous les eaux écrasantes d’une vanne d’écoulement […] » 55 Vgl. II, S. 737 : « C’était atroce, parce que je résistais. » 56 Für die Qualität des Schreckens ist wesentlich, dass der Ausweg in die Emotion versperrt bleibt: „De l’émotion? Je ne pouvais même pas reculer dans l’émotion. » (II, S. 737f.) Die Emotion als psychophysische Erregung und Erregungsabfuhr bleibt aus. Die zerbrechliche Linie des Ich ist körper- und gefühllos, reine Abstraktion. Michaux spricht daher auch von dem Zusammenprall von Metaphysik und Mechanik: „La métaphysique, saisie par la mécanique.“ (II, S. 738) Man muß allerdings auch hier sehen, dass der Schrecken nicht während des Geschehens, sondern als Figur der Nachträglichkeit sich ereignet: „Terrible, au-delà du terrible! Cependant je n’éprouvais pas de terreur [...] Je ne pouvais me permettre la terreur. Je n’avais pas assez de répit pour cela. » (II, S. 739) Das ist eine klassisch traumatische Situation, sie entspricht jenem nachgeholten Schrecken der traumatischen Verletzung, den Freud in Jenseits des Lustprinzips beschreibt. So wird das überdosierte Meskalin zur künstlichen Maschine des Traumas. Selbsterfahrung wird zur Selbsttraumatisierung – aber eines Traumas, das sich selbst löscht. Die freudsche Analogie zum Krieg und dem nachgeholten Schrecken der Kombattanten findet sich auch bei Michaux: „Le combattant au feu a autre chose à faire.“ 27 Über diesen Punkt kommt die expérience de la folie nicht hinaus. Ihre Rekonstitution changiert zwischen den Polen der Auslöschung von Beobachtung und der phantasmatischen Produktion eines allegorischen Theaters der Selbstbehauptung. Letzteres beherrscht auch die ins latent Komische kippende Nachgeschichte. In ihr kehrt ein weltkluges, listiges Ich wieder, das in Alternativen zu denken vermag: statt die ‚eigenen’ Gedanken, „ce que j’avais de meilleur, de plus intime, de plus henri michaux, si je puis dire“ (II, S. 740), dem Terror der Vernichtung auszusetzen, wäre es besser, „des idées sottes et sans importance“ (II, S. 739) stellvertretend zu opfern. Solche Strategien einer metis des Davongekommenen gehen allerdings zunächst ins Leere. Die Selbstwahrnehmung im Spiegel, Emblem der Selbstbeobachtung, konfrontiert den Beobachter mit der Fortdauer der folie: im Schein der Lampe erblickt Michaux la tête d’un fou, eine tête d’énergumène, die face terrible d’un fou – ein mörderisch entstelltes Antlitz, das er zunächst nicht als das Eigene erkennt, das Ich der Selbstbehauptung im abenteuerlichen Modus des Verbrechers. Dieses im Spiegel erblickte Gesicht erweist sich als das Subjekt der das Bewusstsein besetzenden Velleitäten. Unablässig überschwemmen Bilder verbrecherischer actes saugrenus, denen er sich nicht entziehen kann, Michaux’ Bewusstsein im Nachhall der Droge. Aber mit dem Souveränitätsgewinn, der sich in der wiedergewonnenen Ausdifferenzierung von Beobachtung und Handeln manifestiert, wird die Gestalt des abenteuerlichen Verbrechers zu einer komischen Figur, zwischen dem hôpital psychiatrique, dessen Notwendigkeit sich angesichts der mörderischen Phantasien zuweilen aufdrängt, und den ruses de fou, der als virtuoser tricheur seine Umgebung in die Irre führen will. Es ist ein fremdes, entfremdetes Ich, das Michaux in den folgenden Tagen beobachtet, eine von einer colère démentielle umgetriebene, mörderische actes impérieux phantasierende Figur. Sie lebt in einer Art imaginärer essenciation der Feindschaft, deren Fundament allerdings eine totale Indifferenz ist: „C’était cette complète indifférence qui en était le caractère et qui me frappait tellement, étant un homme à sympathies et à antipathies. » (II, S. 755) Aber die Suspension des lebensweltlichen Habitus wirkt nach, der Beobachter registriert nicht mehr die gesteigerte Aktivität des Bewusstseins, sondern seine Erstarrung im abstrakten Antagonismus, erstarrte Permanenz des phantasmatischen Schemas . V) Zerstreute Schrift Das 4. Kapitel der Grandes Epreuves de l’esprit, Les Présences qui ne devraient pas être là, ist der einzige Text in Michaux’ Drogenbüchern, der eine markierte Außenperspektive auf das Geschehen 28 einnimmt. Subjekt des Experiments ist nicht ein Ich, das mit dem Autor identisch ist, und dessen perte du moi beobachtet würde, sondern eine distanziert beobachtete und auf die Initiale N. reduzierte Figur. Man könnte mutmaßen: mit der minimalen Verschiebung im Alphabet – von M. zu N. – und der damit einhergehenden Fiktionalisierung wird eine (romanhafte) Textszene möglich, in der neben der Bewusstseinsveränderung zugleich die (situativen) Bedingungen des Experiments wie ihre (mediale) Transposition thematisierbar werden. Die Ausgangssituation ist die klassische des Drogenkonsumenten: „N. dans sa chambre, étendu sur le divan.“ (III, S. 362) Der ‚passive’ Held versucht zu lesen – auch das ein stereotypes Element des Settings, wobei das Lesen meist intransitiv bleibt: es wird gelesen, aber es bleibt offen, was gelesen wird. N. liest, aber seine Aufmerksamkeit wird von obtrusiven ‚Präsenzen’ okkupiert. Das zerstreute Lesen wird zum unterbrochenen Lesen, weil die vertraute Umgebung zur unvertrauten wird: wiederholt springt die Szenerie von der Pariser Wohnung zu Räumen der Erinnerung oder der Imagination. Die Ereignisse des Bewusstseins lösen sich von der raumzeitlichen Situation, aber auch vom Gegenstand der Lektüre. Der Eintritt der Wirkung der Droge markiert den Moment der Notwendigkeit der Aufzeichnung: „Lire ne suffit pas. Il va écrire. Plus personnel. D’ailleurs, des choses à noter. » (III, S. 363) Aber die Umsetzung dieses schlichten Vorsatzes misslingt. Das Aufgeschriebene zerfällt, kippt aus der Ordnung der Sprache heraus: Cependant, une fois écrites, ces mots – qu’est-ce qu’ils ont donc? – comme du bois sans intervention de feu serait devenu cendre, les mots, sans qu’il ait rien fait de spécial ont cessé d’être de l’ordre du langage. (III, S. 363) Michaux beschreibt den Übergang von der geordneten Schrift zur Unordnung der Linie, von der Intentionalität des Bezeichnens zur Symptomatik des Ausdrucks. 57 Sein Protagonist ‚notiert’, er schreibt Worte, er will die Bezeichnung des Erlebten, aber die Worte, die er zu Papier gebracht hat, entziehen sich ihm. Die Zeit entfremdet die Intentionalität der Bedeutungen. Einmal aus der unmittelbaren zeitlichen Nähe der Aufzeichnung herausgetreten, werden die Schriftzeichen zur Wüste bedeutungsleerer Linien, „tout devient étendue, étendue immense, désertique, vibrante, sableuse dirait-on.“ (III, S. 363) Michaux lässt offen, wo der Verlust der Bedeutungsintention sich vollzieht, ob in der Geste des Schreibens oder im Versuch des (wiedererkennenden) Lesens. Was die sogenannten Drogenmanuskripte im Übergang von Worten in Linien anschaulich werden lassen, wird nun in der medial unbestimmten, in seiner Richtung aber eindeutigen Form eines regressiven Übergangs von Kultur in Natur reformuliert: „Il ne peut plus écrire sans qu’un grand 57 Letzteres legt eine Bemerkung über die Linie in Saisir nahe: „La ligne n’est pas un abrégé de volume ou de surface, mais un abrégé de cent gestes et attitudes et impressions et émotions. » 29 spectacle de la nature ne se présente à la place, ne s’impose, s’étalant, se substituant à la page.“ (III, S. 363) Die Intentionalität der Aufzeichnung realisiert sich in einer selbst schon problematischen Schriftlichkeit, welche ihrerseits in der Diskontinuität des Drogenbewusstseins ihre prekäre Identität verliert. So vollzieht sich in der Aufzeichnung nicht die Transposition eines individuellen Erlebnissinns, sondern die Verwandlung des Sinns in Nichtsinn: Et à mesure, le sens, progressivement, rapidement, le sens comme un son qui aurait été émis, à la vie courte, vite diminuante, vouée à disparaître, le sens s’éteint. (III, S. 364) Michaux’ Beschreibung führt zu der Konsequenz, dass der Sinn, der sowohl die Kontinuität des Bewusstseins wie der Kommunikation sichert, sich in der experimentellen Situation der Droge gerade im Hin und Her zwischen der Immanenz des Bewusstseins und der Exteriorität der Schrift verliert. Die Synchronie der beiden Systeme, ihre kontinuierliche Interpenetration ist suspendiert, weil die Zeitordnungen des Drogenbewusstseins und der Kommunikation nicht mehr zur Deckung kommen. Keine écriture automatique vermag als Relais der Übersetzung zu funktionieren. Michaux’ nachträgliche Version des Geschehens in der Kohärenz einer Geschichte unterstreicht noch einmal zwei Aspekte, welche die expérience der Droge durchgängig charakterisieren. 1) Zeitschere. Gegenüber der dynamischen Beschleunigung des inneren Geschehens erscheint die Schrift notgedrungen ein Medium der Verspätung. Ihre Nachträglichkeit ist der Aufschub, in dem sich das Aufgeschobene verloren hat: „Un écart apparaît entre ce qu’il se met à écrire et ce qu’il a dans la tête ... un écart dans le temps […] il voit l’écriture se traîner presque comiquement en retard » (III, S. 364). Eine Konsequenz der Zeitschere von Bewusstsein und Schrift ist die Spurlosigkeit des Verschwindens. Selbst die sensation extrêmement forte [...] retentissante ist im nächsten Augenblick, dem der Aufzeichnung, bereits verschwunden. Weil das experimentell veränderte Bewusstsein die Horizontstruktur des Bewusstseins, die Sinndimension zeitlicher Protention und Retention, außer Kraft setzt, fallen seine Erlebnisse aus den Systemen des Zuund Rückgriffs heraus. Der Hiat von Bewusstsein und Schrift lässt jedes Konzept der Spur (wie auch das Linie als Symptom) problematisch werden. 2) Szenen der Theatralisierung. Mit der Schrift geht noch einmal eine imaginäre Spaltung einher, wie sie strukturell analog bereits in der expérience de la folie zu sehen war. Die Unangemessenheit des Aufzeichnens provoziert ein inneres Theater der Kritik, ja des Verlachens. Die Schrift beschreibt nicht das innere Geschehen, sondern aktiviert das Phantasma. Das Ich, das sich in der Intention des Schreibens wieder zum Subjekt (III, S. 960) Es ist allerdings zweifelhaft, ob Michaux angesichts der ‚Abstraktheit’ der 30 macht, ruft imaginäre Zeugen auf den Plan, die als Instanzen der Denunziation des Geschriebenen auftreten, „une insistante présence qui ne laisse pas un mot sans s’en mêler, qui souverainement, sans qu’il n’y puisse rien, écarte les mots, comme battants de porte pour s’y introduire et introduire ses réflexions, ses réflexions de témoin, de témoin qui se mêle de tout » (III, S. 365). Ein multiple murmure stellt sich ein, Stimmen, welche « ne tolèrent pas, et discutent, et se désolidarisent, et rient, et rient, et rient, et sursautent, et sabotent, et sabotent, petitement, multiplement, continuellement, incroyablement. » (III, S. 365) Es sieht so aus, als würde der Versuch der Kommunikation des Nichtkommunizierbaren im Bewusstsein selbst theatralisch inszeniert, in einem Arsenal von Figuren des Kommentars, der Intervention, der Zensur und des Verlachens, welche als phantasmatische Figuren die Beobachtung auszulöschen suchen. Das Bewusstsein, das Sinn kommunizieren will, produziert selbst den Sinn, der die Intentionalität des gemeinten Sinns, durchstreicht. In der quasiromanhaften Inszenierung des Kapitels sind Episoden der Negativität nicht selten. Sie betreffen insbesondere das Arsenal von Verhaltensweisen und Handlungsabsichten, mit denen sich N. in der Welt bewegt, und gewinnen hier eine ausgeprägt komische Dimension. Das Handeln im Meskalinrausch wird zum Defilee bizarrer Rollen und Maskeraden. Dazu gehören notorische Selbstmordanwandlungen (in der theatralischen Form eines se jeter par la fenêtre), gegen die er sich durch Zerstreuungsmanöver zu wappnen sucht, aber auch die halluzinatorische Verwandlung der vertrauten Großstadtstraßen, die ihm als eine farce [...] grosse, multiple, énorme erscheint, dazu gehören die kursorischen Lektüren, die den Leser umstandslos vom Sizilien des Archimedes in die Welt nepalesischer Klöster versetzen, komische Missgriffe bei der Essenszubereitung fehlen ebenso wenig wie in ihrer Erscheinung verwandelte vertraute Besucher, die deshalb als comédiens erscheinen. Kulminierend im Szenario einer entfremdenden Selbstwahrnehmung, die den eigenen nackten Körper mit einem mouvement scandalisé betrachtet, und sich schließlich als einen parodistischen Heiligen wahrnimmt, welcher der Welt einen (m)essage absolu zu verkünden habe. VI) Glück am Berg Die Erfahrung der Droge ist nicht kommunizierbar, auch dann nicht, wenn der Beobachter um Nähe oder gar Unmittelbarkeit der Übersetzung bemüht ist. Der Aufschub der Kommunikation einer veränderten Logik des Bewusstseins kulminiert vielmehr in der Produktion eines inneren Drogenerfahrung, ihrer Emotions- und Körperlosigkeit, diesen Satz verallgemeinert hätte. 31 Theaters, welches die Intentionalität der Übersetzung und Archivierung einem Sog der Negativität aussetzt, der sich in Phantasmen der Durchstreichung und des Verlachens konkretisiert. Noch massiver zeigt sich die soziale Nichtigkeit der Droge in allen Kontexten des Handelns: die Parodie sozialer Rollen spielt Komödien des Misslingens durch. Aber die Grandes Epreuves (wie auch die früheren Texte) zielen insgesamt nicht auf kritische Distanz. Die Quatre mondes, die sie am Ende skizzieren, modellieren durchaus Formen gelingender Selbstüberschreitung, sei es in der Askese, dem rausch oder der Kontemplation. Was hier in einem Stufenmodell postuliert ist, wird in dem 5. Kapitel des Buch mit dem Titel Le Dépouillement par l’espace exemplifiziert. Michaux kann dies allerdings nur tun, indem er sowohl das Setting des Experiments wie die Perspektive seiner Darstellung massiv verändert. Je mehr damit die Unmittelbarkeit des Erlebens distanziert wird, desto stärker drängen sich kulturellen Topiken in den Vordergrund, welch die kontingente Individualität typisierend überschreiben. Das Kapitel erzählt von einer Exkursion ins Gebirge 58 , die Droge, die konsumiert wird, ist nicht Meskalin, sondern das ‚schwächere’ Haschisch, und die Erzählinstanz nimmt jene unbestimmte, aber souveräne Distanz ein, welche seine Sphäre gegen das erzählte Geschehen abdichtet. 59 Nicht mehr die Intimität des Interieurs ist der Ort des Experiments 60 , sondern eine Szenerie erhabener Landschaft. Bereits vorher hatte Michaux die Erfahrung der Berge als eine Art Gegengift gegen die Wirkung des Meskalin eingesetzt. 61 In der neuen Situation aber geht es nicht um Antagonismus, sondern um Steigerung, um Intensitätsgewinn. Mit der Bergfahrt realisiert Michaux ein langgehegtes Vorhaben: 58 Der Ort selbst bleibt unbestimmt, nur Lausanne, „au-delà, sur la gauche“ (III, S. 380) wird erwähnt. Dieser Unbestimmtheit korrespondiert die Topik der Gebirgslandschaft, die wie geschaffen ist ür einen kontemplativen Typus der Erfahrung: „Combien justifiée, je le voyais à présent, est la recherche des horizons immenses et partant des lieux dominants, le séjour dans l’Himalaya, ou dans d’autres montagnes, considéré comme aide précieux, unique pour des contemplatifs pourtant bien au-dessus, semble-t-il, des contingences. » (III, S. 379) 59 Am Ende konstatiert der Erzähler in einer präsentischen Wendung selbst den Hiat, der zwischen seiner Erzählung und der Erfahrung, von der erzählt wird, liegt: „LOIN, loin maintenant est l’Un, le sans-problèmes, loin l’état souverain de simplicité.“ (III, S. 381) Die „nouvelle dissidence de moi d’avec moi“, von der berichtet wird, weicht der ordinaire réalité und ihren „fatales inappropriations de la conduite“. 60 Michaux kritisiert diesen zunächst selbstverständlichen Raumbezug der Drogenerfahrung jetzt auch ausdrücklich: „Comme j’avais eu tort autrefois de chercher un dépassement en des lieux fermés, étroits, face à des objets, à des personnes, à des images du monde limité […] » (III, S. 378) 61 Vgl. namentlich Misérable Miracle (II, S. 761f.): „[...] la seule chose qui me mena à contresens de la Mescaline, ce fut l’altitude. Pas très haute, à 1150 mètres au col de la S, où je passai quelques jours. » Das Gebirge funktioniert als (v)éritable antidrogue: „La montagne suscite une sorte de courage élémentaire […] Elle forme non l’homme des tripes, mais l’homme du couple ‘poumoncœur’, l’homme du courage et de l’élan […] On est invité à redevenir bon pilote de soi-même. » 32 Depuis longtemps je m’étais proposé d’aller un jour, à bonne altitude, contempler sous c.i. un horizon de montagne. (III, S. 374) Kontemplation einer Berglandschaft unter Cannabiseinfluss – ein präzise markiertes, kühl geplantes Vorhaben, dessen Realisierung allerdings zunächst enttäuschend, nämlich ohne erkennbare Wirkung, verläuft. 62 Die Situation ändert sich erst, als der Rahmen des Programms zufällig aufgebrochen wird. Eines Abends tritt der Experimentator der Kontemplation zu spät in seine Rolle ein, die Nacht hat die Berge bereits unsichtbar gemacht, der Betrachter der Landschaft hat nichts mehr zu betrachten, „sans rien avoir à contempler devant moi“. Nun allerdings erfolgt ein unverhoffter Umschlag: „je demeurais anéanti.“ Dem Verschwinden der Wahrnehmungslandschaft korrespondiert eine Vernichtung des Ich, die Steigerungsspirale, die sich nicht ins Werk setzen ließ, öffnet sich unverhofft. Der Text inszeniert nun die andere Seite des Selbstverlusts, dessen traumatische Qualität die expérience de la folie illustriert hatte. Sie ist euphorisch, weil sie ohne phantasmatische Besetzung bleibt. Ihr Kern ist die Erfahrung einer Einheit des Raums, in dem es keine Grenzen von Subjekt und Objekt mehr gibt: Enfin, avant de rentrer je lève la tête. Un ciel noir s’étendait partout avec beaucoup d’étoiles. Je m’y abîmai. Ce fut extraordinaire. Instantanément dépouillé de tout comme d’un pardessus, j’étais en espace. J’y étais projeté, j’y étais précipité, j’y coulais. (III, S. 374f.) Die Situation vor dem nächtlichen Sternenhimmel ist von geradezu unüberbietbarer epistemischer Klassizität : der Mensch als contemplator coeli. Aber diese Konstellation wird sofort durch eine unruhige Bewegungsmetaphorik irritiert: statt auf seinem zentrierten kosmischen Betrachterstandort zu verharren, wird das Ich nun in eine abgründige Bewegung hineingezogen, die es aller Autonomie beraubt. Während sich der Raum ins Unendliche weitet – bezeichnenderweise hat die Ordnung der Gestirne im weiteren Verlauf keine tragende Funktion mehr – verliert das Ich alle seine Attribute, ist es „dépouillé de possessions et d’attributs [...] délogé de toute localisation“ (III, S. 375). Und während der Erzähler, der nur den Eintritt in den Prozeß des dépouillement präsentisch hervorhebt, in die autoritative Pose des Ontologen wechselt, tritt der Protagonist aus der Rolle des Betrachters des Allgemeinen in die eines Zeugen des Singulären: Der Situation angemessen sei gerade nicht der kanonische Affekt der Bewunderung (admiration), sondern ein registre tout différent. So verwandelt sich der admirative Betrachter in einen témoin qui, naufragé, utilise encore ses sens (III, S. 376). Der Betrachter kann nicht mehr Contemplator, sondern nur noch Zeuge sein, weil er einem Geschehen beiwohnt, das als Ereignis unverfügbar ist (gerade nicht der experimentellen Wiederholbarkeit unterliegt), und er erleidet als Zeuge insofern Schiffbruch, als das Ereignis ihn seiner substantiellen Attribute wie seiner raumzeitlichen Lokalisiertheit beraubt. Die Atopie eines dépouillement (also einer Entblößung, Abstreifung oder 62 Vgl. III, S. 374 : « Je ne ressens aucun changement. Les montagnes devant moi gardent la même apparence. Trop de santé en moi peut-être revenue. » 33 Häutung) 63 ist Michaux’ Variante der alten philosophischen Fiktion des Himmelsbetrachters. Diesen dépouillement zu erzählen, allerdings, heißt, ihn zu verraten: der Erzähler schreibt ihn ein in Bezüge, die immer schon jenseits der Singularität des zu Bezeugenden liegen. Der Selbstverlust, die perte de moi, wird durchaus euphorisch erlebt. Motiviert wird diese Euphorie im Nachhinein in einer paradoxen Überkreuzung von Kontemplation und Aufnahme konkretisieren: „Contemplation. Face à face et pas seulement face à face […] Contemplation, c’est être reçu. » (III, S. 377) Es ist diese paradoxe Einheit von Distanz und Nähe, Position und Bewegung, Armut und Reichtum 64 , Überschuss und Leere, Anschauung und Geste, welche eine spezifische Situation konstituiert, in der die Vernichtung des Ich als Steigerung seiner Beobachtungsfähigkeit erscheint: Le voyageur était émerveillé. Le participant était brossé. Cependant l’observateur incorruptible assistait. Telles étaient les trois faces de celui qui pourtant ne se sentait plus personne. (III, S. 377) Es ist eine (m)ystérieuse interpénétration von (entblößtem) Ich und (entgrenztem) Raum, welche der Erzähler rekonstruiert und in philosophisch-theologische Termini übersetzt. Ihr entscheidendes Moment liegt offenbar darin, dass sie sich dem experimentellen Setting der Droge entzieht, weil sie die paradoxe Gabe einer Beraubung darstellt. Michaux’ Rekonstruktion der Erfahrung ist deshalb alles andere als der Bericht über ein Drogenexperiment. Vielmehr ist sie eine philosophische Fiktion, die mit metaphysischen und religiösen Versatzstücken operiert. Michaux’ schreckt daher auch nicht davor zurück, die extase d’espace mit starken theologischen Begriffen zu besetzen: Celui qui ne sait pas à quoi il doit croire venait de recevoir – je ne sais pas d’autre mot – quelque chose comme un sacrement, le sacrement spatial. (III, S. 378) Und er ist sich durchaus darüber im klaren, dass er damit dem Erleben, das er bezeugt, zugleich den Charakter eines Zeichens zuweist, „espace devenu signe et hymne“. Die Immanenz des kontingenten Ereignisses wird damit selbst noch einmal überschritten, gewissermaßen reritualisiert. Michaux wird Gründe gehabt haben, diese Dimension nicht weiter zu verfolgen – aber bereits die Andeutung des Zeichencharakters lässt erkennen, wie fragil in der nachträglichen Überschreibung die Grenze zwischen postulierter Substanzlöschung und diskursiv transportierter Resubstantialisierung ist. 63 Man wird Michaux’ Begriffsgebrauch nicht zu viel zumuten, wenn man Ciorans einschlägige Bestimmung zitiert: „Le dépouillement est un autre mot pour l’absolu.“ (Cahiers, a.a.O., S. 59) 64 Vgl. III, S. 378 : « me laissant à la fois parfaitement indigent et comblé. » 34 Michaux’ dépouillement-Kapitel hat manche Bewunderer gefunden. 65 Aber die Bewunderung gilt zuvörderst dem narrativen und diskursiven Raffinement, nicht der Authentizität der Zeugenschaft. Zweifellos ist es ein Text, der weniger der Droge und ihrer Wirkung als der kulturellen Bedeutsamkeit des Geschehens sich widmet. Er transponiert die Euphorie des Ereignisses in eine fast hymnische Nachträglichkeit des Schreibens. Aufschlussreich ist dabei vor allem die Lösung des Dilemmas, das sich aus dem Postulat des dépouillement (als einer Löschung kultureller Einschreibungen) und seinen nachträglichen diskursiven Rahmungen ergibt. Gelöscht werden ja nicht nur die Eigenschaften des Ich, sondern zugleich die Ordnungen des Raums, als erhabene Landschaft, als Sternenhimmel, als Kosmos, etc. Die Einheit des Unendlichen realisiert sich in der paradoxen interpénétration dessen, was selbst keine distinkten Qualitäten mehr besitzt. Selbst wenn das Bewusstsein imstande wäre, dieses Geschehen zu speichern 66 – es gäbe keine Sprache, es zu kommunizieren. Michaux verzichtet deshalb, im Gegensatz zu seinen früheren Bemühungen, ganz darauf, der Erfahrung durch mehr oder weniger unmittelbare Aufzeichnungsmodi und –medien nahe zu bleiben. Vielmehr entspricht nun dem dépouillement eine Plethora kultureller Diskursivität, welche sich in der Nachträglichkeit eines souveränen Erzählens ausbreitet. Michaux’ Text revitalisiert Erzähl- und Diskursschablonen nicht aus Naivität, sondern aus der Unhintergehbarkeit der Nachträglichkeit heraus, und öffnet durch sie den Raum eines überkommenen ontologisch-epistemologischen Repertoires. In einer gewissen Vereinfachung kann man die folgenden prominenten Parameter identifizieren: die Ästhetik des Erhabenen, die Ethik der Gabe, die Epistemologie der Kontemplation, die Theologie der Offenbarung und des Sakraments, die Mystik der Aura. Keiner dieser Parameter holt ein, worauf die Nachträglichkeit des Erzählens sich bezieht, alle bedürfen der Defiguration, um ihre Uneigentlichkeit zu bezeichnen. Aber alle markieren zugleich jenen Raum kultureller Diskursivität, ohne den das, was bezeugt werden soll, nicht als Schema der Erfahrung kommunizierbar wäre – es bliebe die Enklave einer somatisch-psychischen Krise. 65 Vgl. C. Lefort, „...Sur une colline absente“, in : Cahiers de l’Herne. Henri Michaux, Paris 1966, S. 315-334, hier S. 333f. : in dem « beau Texte [...] tout se tient dans la lumière du JE désirant […] la captation de voyant par le visible, et la pensée qui ne cesse de veiller dans le temps incertain du ravissement […] et tout se tient par l’écrit, lequel ne produit rien d’autre que la trace de la différence, effacée, rétablie, l’échange du visible et de l’invisible, le pari impossible contre la chute du désir. » Oder J. Starobinsky (sic !), « Témoignage, combat et rituel », in :Cahiers de l’Herne. Henri Michaux, Paris 1966, S. 413-419, hier S. 417 über den „admirable texte“ und seine Instanz des observateur incorruptible: „Tous les feux d’artifice, tous les désastres, toutes les dérives, il les vit avec le souci de les percevoir, d’en prendre consignation […] L’écriture, la peinture deviennent ainsi chez Michaux des expériences secondes, mais sans lesquelles l’expérience première serait demeurée improductive […] » 66 Freud hat bekanntlich in Jenseits des Lustprinzips zu bedenken gegeben, „dass Bewusstwerden und Hinterlassung einer Gedächtnisspur für dasselbe System miteinander unverträglich sind.“ (S. Freud, Psychologie des Unbewussten. Studienausgabe Bd. III, Frankfurt/Main 1975, S. 235). 35 Die Raumekstase im Gebirge bleibt kontingent und unverfügbar, nur als vergangene kann sie erzählt werden. Apodiktisch statuiert der Erzähler:„La conscience dualisante est revenue, qui est la pluralisante, qui est la plurilocalisante. » (III, S. 380) Das zurückgekehrte Bewusstsein der Vielheit, der Dissoziation von Ich und Welt, ist genau der Ort, aus dem heraus Michaux schreibt. Die conscience plurilocalisante lebt aus der pluralen Topik eines kulturellen Repertoires. Ausdrücklich warnt Michaux am Ende davor, aus der singulären révélation die Prätention des Wissens, also den Monismus der dogmes ableiten zu wollen. Den primären Monismus des dépouillement rettet nicht der sekundäre Monismus autoritären Wissens (des système), sondern allenfalls die zerstreute Vielfalt zitierter und deformierter Topik. Der coup de foudre du dépouillement Soll, so Michaux, nicht durch applications dirigées verfälscht werden. Was aber bleibt dann anderes als der Bezug auf jene „expériences d’exception, lesquelles servirent de modèle“? In ihnen sind jene Grenzsituationen zur Typik geronnen, welche die individuelle Realität eines dépouillement des Ich unweigerlich nachträglich rahmt. VII) Medienkitsch und ästhetische Form Der eigentliche Titel von L’Infini turbulent wäre, so formuliert Michaux einmal, extrêmement (II, S. 930). Nicht ein Ding, keine Handlung, sondern eine Modalität. Deren spezifische Qualität des Extremen und Exzessiven verhält sich polemisch zum Modus des modérément, a fortiori zu jeder Philosophie des Maßes. Die Modalität des extrêmement enthält demzufolge sechs Spezifikationen: a) Ungreifbarkeit (insaisissable); b) Überschüssigkeit (surabondant); c) Desorientierung (déroutant); d) Intensität (intensifiant); e) Schrecken (terrifiant); f) Beschleunigung (accélérant). Dieser Katalog wird zwar expliziert, aber im Schreiben selbst nicht eingelöst. Das Experiment mit der Droge Meskalin führt zur Ekstase, zur transe extatique. Ihre wesentlichen Merkmale sind Einheit und Unendlichkeit: „C’est dans l’âme une unité exceptionnelle au point de paraître miraculeuse, où, sans la plus petite, la plus infime exception, tout va dans le même sens. » (II, S. 938) Einheit allerdings nur in der Paradoxie der Entgrenzung. Die Ekstase der Seele, l’ardeur et le sentiment d’expansion, meint die Erzeugung von Einheit als Aufhebung all dessen, was Ich oder Person meint. Die Färbung der Meskalinekstase als eines élan d’amour oder élan héroïque (aber eben nicht eines élan de haine) bewirkt eine impersonnalisation (II, S. 941). Ihre Einheit ist die eines Stils, einer Merkmalbündels, aber nicht einer Substanz, heiße sie Ich oder Welt. Man könnte daher von einer ästhetischen Einheit sprechen, der Einheit eines Vorstellungsgeschehens, das 36 sich nicht über seine Gegenstände, sondern über die Erscheinungs- und Verknüpfungsmodalitäten definiert. Fast beiläufig kommt Michaux im Kontext der Erörterungen des Verhältnisses von Haschisch und Eros auf die Dimension des support zu sprechen. Gemeint sind mediale Rahmungen, die den Haschischphantasien Halt und Orientierung verleihen. Dabei gilt: „Le plus mince, le plus atténué des supports est le meilleur. (II, S. 947) Es gilt, die Freiheit der dynamischen Ekstase zu sichern. Nicht das authentische Kunstwerk, sondern „la plus pauvre image“, das Bild als Schema, als Klischee, entspricht dieser Vorgabe. Daraus erhellt die Beliebigkeit und Zufälligkeit der Lektüren, Bildbetrachtungen und Musikbegleitungen. Am Schema gewinnt das Imaginäre der Ekstase Konsistenz, ohne sich in der Dichte und Konsistenz des support zu verlieren. Die irréelle réalité der Meskalinekstase lebt geradezu von den „milliers et (...) milliers de ‚reproductions’ de toutes sortes, et de tous pays à lui accessibles“ (II, S. 947). So wird das imaginäre Museum zum Medium des merveilleux de la vraie étrangeté. Der Stil des Meskalinrausches korrespondiert der homogenisierenden, entauratisierenden Wirklichkeit des Kunstwerks im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit – eine Reproduzierbarkeit, die auch noch die Abbildungen der Welt in sich aufsaugt. Es ist daher durchaus bezeichnend, dass Michaux während des Drogenkonsums immer wieder Kunstbücher, illustrierte Zeitschriften oder ähnliches durchblättert, historische und kulturgeschichtliche Text anliest oder beiläufig Schallplatten hört: „Je mets un disque“ (II, S. 928), „Je mets la radio afin d’entendre de la musique“ (II, S. 958), „Je parcours un volume récent, exposé des arts de l’Asie du Sud-Est“ (II, S. 900), „Une lecture assez facile, cette fois“ (III, S. 369), usw. Diese Situation des zerstreuten Medienkonsums gehört zur Topik des Drogenexperiments, bildet ein standardisiertes Element seines Arrangements. Die Bilderwelt der Droge, von denen in den expériences de Rede ist, ist an die Medien der technischen Reproduktion der Kunst gekoppelt, auch wenn ihr Beobachtung im Vollzug dafür blind ist. Michaux hat sich durchaus die Frage gestellt, welche Bedeutung die im Imaginären prozessierte Medialität für den ‚Stil’ der Ekstase besitzt. Zwar dominiert die wie auch immer artikulierte Logik der Bilder. Aber es gibt Alternativen. Dazu gehört namentlich das mot évocateur (II, S. 891). Anders als das Vorstellungsbild, das dem nächsten Bild Platz macht, kommt mit dem Wort eine ‚Traumlogik’ ins Spiel, welche die semiotische Differenz von Zeichen und Bezeichnetem (bzw. Wort und Ding) kollabieren lässt. Das Wort tourbillon erzeugt einen tourbillon, gegen den es keine Abwehr gibt: tourbillon essentiel, tourbillon métaphysique. Das Wort, das zum Ding wird, lässt jene Distanz zusammenbrechen, die in der Sequentialität der Bilder noch gewahrt bleiben kann. Das konventionelle sprachliche Zeichen hat eine unmittelbare Wucht, die dem ikonischen abgeht. Der 37 Ebenenkollaps von Wort und Ding führt zu jenem Distanzverlust, der ein bedrohliches Moment der Meskalinerfahrung ausmacht: „Le danger de la mescaline est la foi, la foi insensée, immédiate, totale qu’elle donne.“ (II, S. 893) Immerhin bleibt in der Gefahr noch eine Möglichkeit der Rettung, die sich einer ruse verdankt, welche dem Habitus des Konsums entspringt: Michaux betrachtet Photos, um sich von den Abgründen semiotischer Brüche zu befreien. Das gelingt aber offenbar nur dann, wenn der verhexende Glaube nicht allzu fest an das Wort gebunden ist. Wo dieses seine Macht ausspielt, macht sich eine vernichtende Gewalt breit: „La foi par le mot [...] est toujours plus totale, plus résistante à la critique, plus cachée et profonde que la foi par des images peintes ou photographiées. Plus vaste aussi. La foi par le mot, on ne peut circonscrire tous ses ravages, invisibles, irrejetables, les ravages de l’assentiment intérieur. » (II, S. 893) Selbstbeobachtung ist natürlich ein gängiges Phänomen des Alltags. Michaux spricht vom observateur n° 1. Im Meskalinrausch tritt allerdings häufig eine diabolisch-dämonische Beobachterfigur auf, der observateur ou surveillant n° 2 (vgl. II, S. 908). Dessen visage haineux, visage repoussant, visage luciférien bildet gewissermaßen die Kehrseite der euphorischen Figuren der Einheit der Ekstase. Damit aber tritt in deren Innern der scheinbar gebannte Dualismus wieder auf, der Beobachter wird zum Beobachteten, zum Verfolgten. 67 Immer wieder schlägt die Euphorie der Bewusstseinstransparenz in die Farce des Verlachens um. Es gibt so etwas wie die Kippfigur von Selbstverlust und Selbstentzug, von imaginärer Lust und phantasmatischem Schrecken. Michaux rekurriert in seinen Beschreibungen recht umstandslos auf christliche Topoi, namentlich den Gegensatz des Heiligen und des Luziferischen, um die Struktur dieses dédoublement zu erläutern. Manifestiert sich in der Identifikation mit den euphorischen Rauschbildern ein transgressives Heiliges, so wird in der diabolischen Kehrseite des „observateur féroce, agissant avec perversité“ (II, S. 918) das Rezidiv eines quasi-archaischen Dualismus sichtbar. 68 Die Droge bringt damit (wie das Heilige) einen Dualismus zu Bewusstsein, dem Michaux durchaus einen anthropologischen Indexcharakter zuweist, ein « idéal de perversité qu’à son insu tout homme porte en lui“ (II, S. 922) Anders als Artaud hat Michaux allerdings immer darauf bestanden, das kulturdiagnostische Potential der Droge außerhalb ihrer traditionellen rituellen Einbettung, im 67 Vgl. II, S. 909 : « Les situations vont changer, mais quelles que soient mes réflexions, le personnage me coiffera. Il sera par-dessus. Je regarde une image quand lui regarde la situation […] Quoi qu’il arrive, cela semble toujours le fait de quelqu’un qui me connaît et fait une farce adaptée à moi, une farce pour me déséquilibrer. » Den Beobachter, der dieses beobachtet, hat Michaux nicht mehr eigens nummeriert, er wäre der observateur n° 3. 68 Vgl. II, S. 922 : »Des milliers de saints se sont accusés d’être les plus indignes, les plus mauvais, les plus hypocrites des hommes […] Incorruptible à la vertu, leur double démoniaque, excédé de ‘leur sainteté’ et qui en observait l’envers et le terrain les avait instruits. » 38 Vollzug der Bewusstseinsimmanenz, zu beobachten. Daraus aber resultieren erschwerte Übersetzungsbedingungen. Die Droge wirft für Michaux, systemtheoretisch gesprochen, grundsätzliche Probleme der Autonomie und Interpenetration von psychischem System (Bewusstseins’strom’) und Sprache oder Schrift (Kommunikation) auf. Der Drogenkonsument ist „dans l’ineffable“ (III, S. 144). Man könnte sagen: die Droge macht das Verhältnis durch die Erschwerung der Übersetzbarkeit unvermeidlich thematisch. Darin liegt auch der grundsätzliche Unterschied zu den Sinnwelten des Religiösen und anderen sozial konstruierten Subsinnwelten und Sinnenklaven: die Droge ist zuallererst ein Experiment mit den Strukturen des Bewusstseins, orientiert auf die Exploration von Elementen und Verläufen, die an der Grenze von Sinn stattfinden und mit der Grenze von Sinn operieren. Die Verlaufsfiguren der drogeninduzierten Bewusstseinsveränderung stehen quer zu den Ordnungen sprachlicher Kommunikation. Man kann diesen Sachverhalt sprachlich benennen, aber die Spezifik der Drogenerfahrung nicht sprachlich abbilden. Man kann vielleicht sagen, dass die historische Konjunktur von Phänomenologie und Hermeneutik einen – für seine epistemologische Funktion durchaus unbewussten – Versuch darstellte, das Problem der Kopplung von Bewusstsein und Kommunikation zu entschärfen, insofern beide mit einem homologen Begriff des Sinns zu operieren schienen. Thema und Horizont konstituierten die fraglose strukturelle Affinität von Bewusstseinsstrom und Textbedeutung. Die Droge sprengt diese Nähe. Damit aber untergräbt sie die Identität des Ich, insofern dieses, wie Michaux unterstreicht, nicht ohne das Gegenüber des Anderen sein kann. Stellvertretend zeigt sich das am Verlust der Identität des Körpers im Drogenrausch: „Dans l’ivresse mescalinienne, on ne sent plus le corps de l’autre. C’est qu’on a (sans le savoir même) perdu exagérément la conscience du sien, de sa propre situation dans son corps (ce qu’on ne perd jamais dans la vie normale quoiqu’on le pense parfois). » (II, S. 863) Nur so kann sich jenes infini der Droge, das im Bewusstsein die Einheit eines Stils ausprägt, der die habituellen Grenzen von Ich und Welt ignoriert, bilden. Dessen Insistenz in der Selbstbeobachtung des Bewusstseins aber eröffnet erst den Antrieb für jene Ansprüche der Kommunikation, die der ästhetischen Form bedürfen, ohne doch in ihr aufzugehen.