Scharon und die Zitronenbäume
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Scharon und die Zitronenbäume
BERLINALE Scharon und die Zitronenbäume Jüdisches und Israelisches auf der Berlinale – eine Vorschau 07.02.2008- von Christian Buckard von Christian Buckard Der 60. Jahrestag der israelischen Staatsgründung – so war es zumindest wiederholt angekündigt worden – sollte auf der diesjährigen Berlinale filmisch gewürdigt werden. Daraus ist nun offenbar nichts geworden. Dafür darf sich der Zuschauer auf Fassbinder und ganze acht Filme anlässlich des 40. Jahrestags des Vietnam-Kongresses freuen. Immerhin sind zwei Spielfilme hochkarätiger israelischer Regisseure zu sehen. Das Panorama Special wird mit Lemon Tree, dem neuen Werk von Eran Riklis (Cup Final, Zohar, Die syrische Braut) eröffnet. Der Film erzählt die Geschichte der palästinensischen Witwe Salma (Hiam Abbass), die im Westjordanland, direkt an der Grenze zu Israel, einen Zitronenhain bewirtschaftet. Als der israelische Verteidigungsminister mit seiner Ehefrau Mira (Rona Lipaz-Michael) das angrenzende Grundstück bezieht, empfiehlt der Inlandsgeheimdienst Schabak, aus Sicherheitsgründen die Abholzung der Zitronenbäume. Riklis erzählt seine Geschichte mit viel Humor und Sinn für absurde Situationen. Und dank der Darsteller Abbass und Lipaz-Michael kann der Zuschauer der Geschichte folgen, ohne ein Wort Hebräisch, Arabisch oder Englisch zu verstehen. Lemon Tree ist ein Film, der von den Bildern lebt. Im Wettbewerb tritt Amos Kollek mit Restless an, einem israelischen Film, der zur willkommenen Abwechslung einmal nicht den Nahost-Konflikt zum Thema hat. Moshe Ivgy spielt den Israeli Moshe, der zwanzig Jahre zuvor Frau und Kind verlassen hat, um sein Glück in New York zu suchen. Nach dem Tod der Mutter reist Moshes Sohn Tzach (Ran Danker), ein Elitesoldat, nach Amerika, um erstmals den Vater zu treffen, der sich in der neuen Heimat mehr schlecht als recht durchs Leben schlägt. Amos Kollek hat mit seiner Familie selbst fünf Jahre in New York gelebt und ist erst 2004 wieder nach Jerusalem zurückgekehrt. Er hatte sich diese Entscheidung nicht leicht gemacht, und so ist Moshes Geschichte auch von den persönlichen Erfahrungen des Regisseurs geprägt. Ebenfalls im Rennen um einen Bären ist Elegy nach Philip Roths Roman Das sterbende Tier, unter Regie der Spanierin Isabel Coixet. Ben Kingsley verkörpert die Hauptfigur, einen älteren jüdischen Literaturprofessor, der einer wesentlich jüngeren Frau hoffnungslos © Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/2593 Seite (1/3) verfällt. Dror Morehs Dokumentarfilm Sharon wird im Panorama gezeigt. Das Porträt des ehemaligen Ministerpräsidenten, der seit seinem Schlaganfall im Januar 2006 bewusstlos in einer Klinik liegt, lief bereits im israelischen Fernsehen. Auf der Berlinale wird er in der „internationalen“ Version vorgestellt, in der u. a. auch Joschka Fischer zu Wort kommt. Morehs Film geht vor allem der Frage nach, wie aus dem „Falken“ Sharon, dem einst kompromisslosen Verfechter der Siedlungsprojekte, schließlich ein Realpolitiker und Mitstreiter der „Taube“ Shimon Peres wurde. Im Forum laufen zwei Dokumentarfilme junger israelischer Regisseure. Yoav Shamirs Flipping Out (Originaltitel Flip), der bereits auf dem Filmfestival Haifa gezeigt wurde, erzählt die Geschichte einer Gruppe junger Israelis, die nach dem Militärdienst nach Indien gereist und dort im Drogensumpf versackt sind. Eine sehr typische Geschichte: Nach offiziellen Berichten machen rund 90 Prozent der jungen Israelis während der „Großen Ferien“ in Asien Erfahrungen mit Drogen. Natalie Assoulines beim Filmfestival Jerusalem preisgekrönter Film Shahida – Brides of Allah porträtiert fünf in Selbstmordattentate verwickelte Palästinenserinnen, mit denen die Regisseurin im Sharon-Gefängnis von Tel Mond Interviews führte. Die 1972 geborene Natalie Assouline hat eine Neigung zu ausgefallenen Filmprojekten. So hat sie die letzte Aussprache mit ihrem katholischen Ex-Freund auf Zellu-loid gebannt, wofür sie auf dem DocAviv-Festival ausgezeichnet wurde. Plus tard, tu comprendras – Später wirst du einmal verstehen – heißt das neue Werk des israelischen Regisseurs Amos Gitai, der viele Jahre in Paris gelebt hat. Der im Berlinale Special gezeigte Film ist eine deutsch-französische Produktion und basiert auf einem Buch Jérôme Cléments. Der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller und Leiter des deutsch-französischen Kultursenders Arte begann nach dem Tod der Mutter, die jüdischen Wurzeln seiner Familie zu erforschen. Gitai hat den Stoff fiktional dramatisiert, mit der legendären, inzwischen 80 Jahre alten Jeanne Moreau in der Hauptrolle. Nicht wettbewerbsfähig, weil schon im Kino gezeigt, ist Maria Schraders Verfilmung von Zeruya Shalevs Roman Liebesleben. Das Innerlichkeitsdrama wird im Rahmen von German Cinema gezeigt, wo auch noch einmal Robert Thalheims viel beachteter Auschwitzfilm Am Ende kommen Touristen laufen wird. Im Rahmen der Francesco-Rosi-Hommage werden zwei Literaturverfilmungen des legendären Regisseurs wiederaufgeführt: Christus kam nur bis Eboli (1978/79), nach dem autobiografischen Roman von Carlo Levi und La tregua (1996/97) nach Primo Levis Schoa-Überlebensbericht Die Atempause. Als Wiederaufführungen sind auch Carl Theodor Dreyers Antisemitismus-Drama Die Gezeichneten (1921/22) und das jugoslawisch-deutsche Biopic W. R. – Mysterien des Orgasmus (1971) zu sehen. W. R. steht für © Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/2593 Seite (2/3) den in jeder Hinsicht unorthodoxen jüdischen Psychoanalytiker Wilhelm Reich (1897-1957). Und schließlich gibt es im modisch „Generation Kplus“ genannten Kinder- und Jugendprogramm ein Wiedersehen mit Toni Collette (Muriels Wedding, The Sixth Sense) in dem australischen Film Hey Hey, it’s Esther Blueburger von Cathy Randall. Danielle Catanzariri verkörpert Esther, die bei ihrer Bat-Mizwa-Party den Entschluss fasst, ihr behütetes Zuhause und die bedrückende Privatschule zu verlassen um als angeblich schwedische Austauschschülerin ein neues Leben zu beginnen. Nicht nur für unter 18-Jährige lohnt sich dieser Film, der schafft, was im deutschen Kino leider allzu selten gelingt: den schmalen Grad zwischen Komödie und Drama zu begehen, ohne in die Klamotte abzurutschen. Gute Aussichten also für eine kleine „jüdische“ Berlinale. © Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/2593 Seite (3/3)