Hecht-Galinski wirft Zentralrat Unterdrückung

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Hecht-Galinski wirft Zentralrat Unterdrückung
46 10625 Palästina - Auf der Suche nach Frieden
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Hecht-Galinski wirft Zentralrat Unterdrückung von Kritik (Moderation: Friedbert Meurer)
Evelyn Hecht-Galinski hat den Zentralrat der Juden in Deutschland scharf kritisiert. Es sei für sie
unerträglich, dass sich der Zentralrat als "Sprachrohr der israelischen Regierung in Deutschland"
verstehe, sagte die Tochter des ehemaligen Zentralratspräsidenten Heinz Galinski. Jegliche Kritik an
der israelischen Politik werde als Antisemitismus verurteilt, „und dadurch ist ja schon fast jeder
mundtot gemacht worden.“
Friedbert Meurer: Die Kritik von Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul daran, dass
Israel in den letzten Kriegstagen Streubomben eingesetzt hat, erzürnt den Zentralrat der Juden in
Deutschland. Die Ministerin hat eine Untersuchung der UNO gefordert. Zentralratspräsidentin
Charlotte Knobloch wirft ihr jetzt vor, Zitat: "Diese Leute unterstützen die Antistimmung gegen Juden
in Deutschland."
Am Telefon begrüße ich jetzt Evelyn Hecht-Galinski. Sie ist die Tochter des früheren Präsidenten
des Zentralrats der Juden und Mitglied der Organisation Europäische Juden für einen gerechten
Frieden. Guten Morgen, Frau Hecht-Galinski!
Evelyn Hecht-Galinski: Guten Morgen, Herr Meurer!
Meurer: Der Zentralrat der Juden hat ja die Kritik von Ministerin Wieczorek-Zeul an dem Einsatz von
Streubomben scharf zurückgewiesen, weil sie einseitig sei. Sie wiederum kritisieren deswegen den
Zentralrat. Warum?
Hecht-Galinski: Weil es für mich besonders unerträglich ist und auch für viele meiner jüdischen
Mitstreiter, dass sich der Zentralrat zum wiederholten Male als Sprachrohr der israelischen
Regierung in Deutschland versteht, anstatt sich um die sozialen Belange der Gemeindemitglieder in
den jüdischen Gemeinden in Deutschland zu kümmern. Das ist die eigentliche Aufgabe. Ich möchte
nicht von einem Zentralrat vertreten werden, der nur die israelische Politik vertritt. Jetzt kommen
heute wieder in den Zeitungen die Antisemitismusvorwürfe von Frau Knobloch und Herrn Korn. Nicht
diejenigen, die Israels Politik kritisieren, fördern den Antisemitismus, sondern diejenigen, die
schweigen und damit zulassen, dass das Bild von hässlichen Israeli und inzwischen auch von
hässlichen Juden, was ja nicht gleich ist, weil Jude gleich Israeli, das muss einmal ganz scharf
getrennt werden, das wird leider vom Zentralrat alles kaputt gemacht.
Meurer: Nun wirft ja der Zentralrat der Ministerin Wieczorek-Zeul nicht vor, sagt er jedenfalls,
antisemitisch zu sein. Verstehen Sie den Zentralrat, auch dass er besonders empfindlich ist, wenn
Israel kritisiert wird?
Hecht-Galinski: Empfindlich schon, aber nicht abbügeln oder abbürsten jeglicher Kritik. Zum
Beispiel wurde Dr. Verleger, der Mitglied im Direktorium des Zentralrats war, nach seiner Kritik – der
hat ja auch nur gesagt die Vergehen im Libanon, in Gaza, gezielte Tötung, unverhältnismäßige
Bombardierung und dergleichen – gleich von seiner Gemeinde als Delegierter im Zentralrat
abgesetzt. Dann die Buchvorstellung von Rupert Neudeck, den man ja auch sehr oft im
Deutschlandfunk hört. Die wurde verhindert von der Frankfurter jüdischen Gemeinde. Die
evangelische Kirche hatte einen Raum zur Verfügung gestellt. Die mussten das absagen, weil die
Frankfurter Gemeinde unter Arno Lustiger und Herrn Graumann das verhindert hat, dass er dort sein
neues Buch vorstellen konnte, das sich ja mit diesem Thema beschäftigt. Und so geht es ja immer
schon. Jegliche Kritik wird als Antisemitismus verurteilt, und dadurch ist ja schon fast jeder mundtot
gemacht worden. Frau Wieczorek-Zeul wird ja von Frau Merkel auch schon als alleinige SPDStimme quasi hingestellt.
Meurer: Die Bundeskanzlerin hat gesagt, das sei ihre Privatmeinung gewesen.
Hecht-Galinski: Wo sind wir denn? Was heißt denn Privatmeinung? Frau Bundesministerin
Wieczorek-Zeul, die uns jetzt im Moment in Stockholm auf dieser so genannten Geberkonferenz
vertritt, was auch schon ein Hohn ist. Israel zerstört 80 Prozent der Infrastruktur im Libanon, und wir
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dürfen wieder aufbauen, großzügigerweise oder vielleicht jetzt Soldaten hinschicken. Wir sollten
Soldaten hinschicken für den Wiederaufbau, aber nicht um die Arbeit für Israel dort zu verrichten und
die Grenzen zu schützen, damit die nicht wieder einen Krieg anfangen. Das sind alles Sachen, die
für mich den Antisemitismus wirklich fördern. Ich kriege so viele Zuschriften von sehr, sehr
engagierten Deutschen, die absolut nicht in der rechten Ecke sind, die sich aber schon gar nicht
trauen, den Mund aufzumachen. Die sagen immer, sie können das mit ihrem Namen, aber wenn wir
das sagen, sind wir sofort Antisemiten. So weit ist es in Deutschland leider schon gekommen.
Meurer: Der Zentralrat der Juden, Frau Hecht-Galinski, verteidigt sich damit, dass er sagt, schaut
euch die Stimmung an, die es im Moment in Deutschland gibt, die ist heftig antiisraelisch, da müssen
wir gegensteuern. Ist das so falsch?
Hecht-Galinski: Die Stimmung ist antiisraelisch, weil Israel Sachen, eine Politik betreibt, die durch
nichts mehr zu rechtfertigen ist. Jeden Tag ist in Gaza eine Tötung. Acht demokratisch gewählte
Hamas-Minister, egal ob mir das jetzt passt oder nicht passt, sind verhaftet worden, sitzen ohne
Gerichtsbeschluss. Im Westjordanland wird jede Nacht getötet. Diese aggressive Siedlungspolitik,
diese ganze Verunglimpfung der Palästinenser, diese ganze Politik, die schafft Antisemitismus, aber
sicherlich nicht eine berechtigte Kritik.
Meurer: Was würden Sie vom Zentralrat der Juden in dieser Situation jetzt erwarten?
Hecht-Galinski: Ich würde verlangen und für gut befinden, wenn einmal die Sachen angeprangert
werden, die Israel falsch macht. Das heißt, wie ich gerade sagte, den Mauerbau, die Siedlungen.
Was heißt denn hier diese verschleppten Soldaten? Erst mal weiß man bis heute nicht, wo diese
Soldaten sich wirklich befanden, auf welchem Boden. Zweitens Mal war das nur eine vorgeschobene
Sache. Sie haben ja heute über die Demonstration in Tel Aviv berichtet. Da verlangen jetzt die
Bürger auf einmal, dass man sich um die Soldaten kümmert. Auf einmal soll angeblich verhandelt
werden über einen Gefangenenaustausch. Das wurde ja vorher immer abgelehnt. Der Zentralrat hat
sich hier nicht als Sprachrohr wie gesagt der israelischen Regierung und Propagandamaschinerie zu
verstehen. Das sehe ich nicht so, weil wir sind deutsche Juden und wir sind hier keine Israelis. Ich
möchte das noch einmal betonen. Ich möchte nicht in diesen Topf geworfen werden. Israel ist für
mich ein Ausland, auch wenn ich der jüdischen Religion angehöre, ist Israel nicht mein Bürgerland,
und ich möchte nicht vom Zentralrat vertreten werden, indem ich die israelische Politik immer erklärt
bekomme.
Meurer: Frau Hecht-Galinski, viele haben ja noch Ihren Vater Heinz Galinski in guter Erinnerung, ein
streitbarer Kämpfer. Was würde Ihr Vater heute sagen, wenn er Ihre Kritik mitbekäme?
Hecht-Galinski: Wir würden sicherlich auch einen kritischen Dialog führen, aber ich bin so offen
erzogen worden und habe eben nicht diese Erziehung genossen, dass ich solche Kritik immer als
Antisemitismus abtun würde. Das würde mein Vater sicherlich auch nicht tun, auch wenn er vielleicht
eine andere Meinung mit Israel hätte als ich.
Meurer: Das war Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des früheren Präsidenten und Mitglied der
Organisation Europäische Juden für einen gerechten Frieden. Frau Hecht-Galinski, besten Dank und
auf Wiederhören.
Hecht-Galinski: Auf Wiederhören. Vielen Dank.
Weitere Infos: DLF
Freitag, 1. September 2006
FAZ - 28.11.06 - Seite 40 - Anzeigen
IN MEMORIAM
Heinz Galinski, geboren 28.11.1912, gestorben 19.7.1992; s. A. „Ich habe Auschwitz nicht überlebt, um zu neuem Unrecht zu schweigen.“
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