Holzklasse mitSpaßfaktor
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Holzklasse mitSpaßfaktor
Freitag, 23. Mai 2014 . KULTUR IN KARLSRUHE Ausgabe Nr. 118 – Seite 24 Holzklasse mit Spaßfaktor Bela B. mit Smokestack Lightnin’ im Substage Viele Typen treffen hier aufeinander, macht summa summarum „Männer“. Und so heißt auch die neue Komödie des Kammertheaters, „eine Revue über das starke Geschlecht und seine kleinen (und großen) Schwächen“, die am morgigen Samstag, 24. Mai, Premiere an der Spielstätte K2, Kreuzstraße 2, feiert. Foto: Kammertheater Am Ende unentschieden Pascal Ramberts „Clôture de l’amour“ am Staatstheater Die Trennung von Pascal und Audrey in Pascal Ramberts „Clôture de l’Amour“ („Ende einer Liebe“) erinnert an das Fußball-Relegationsduell zwischen Bielefeld und Darmstadt vor wenigen Tagen. Siegessicher dominiert die eine Partei (Bielefeld bzw. Pascal) den ersten Part: Eine Stunde lang redet er seine Partnerin, von der er sich heute trennen will, an die Wand, demontiert sie und ihre Beziehung mit allen Regeln der Rhetorik. Sie, die nun nichts mehr zu verlieren hat, spielt im zweiten Teil groß auf, bis am Ende er mit hängendem Kopf und zitterndem Körper da steht. Am Ende siegte Darmstadt in der Verlängerung – so weit kommt es hier jedoch nicht. Nach einem Wortgefecht steht es unentschieden. Pascal (der Autor selbst) und Audrey (Audrey Bonnet) stehen zum Schluss mit nackten Oberkörpern und blauem Federschmuck auf der schlichten Bühne – Siegeslorbeeren für beide? Gleiche Macht für zwei? Ein lächerliches Kostüm? Gefühlt hat Audrey am Ende die Nase vorn in diesem Krieg der Worte und der Liebe, doch eigentlich hat auch sie alles verloren. Sie die Beziehung – und er ihr Ansehen, wie sie ihm in ihrem eloquenten, teils schwindelig schnellen Monolog zu verstehen gibt. Seine Überlegenheit, ja Überheblichkeit, der ersten sechzig Minuten schmilzt vollständig dahin. „Clôture de l’Amour“ war eingebettet in die Europäischen Kulturtage mit dem Motto „Krieg und Frieden“ und beleuchtet den „Krieg“ innerhalb der Liebesbeziehung. Es ist auch ein Stück über Konflikte und Machtspielchen zwischen Mann und Frau. Pascals teils martialischer Monolog lässt unwohle Gefühle über Rollenbilder, sogar Angst vor der zu erwartenden „weiblichen“ Antwort aufkommen. Die pulverisiert Audrey zum Glück schnell. Das Noch-Paar steht sich in zehn Metern Abstand gegenüber. Die Bühne ist weiß, leer und hell durchleuchtet. Hier wird kein Wort überhört, keine Geste übersehen. Obwohl sich die Trennenden keine Sekunde berühren, visualisiert der jeweils schweigende Part körperlich und eindrücklich die Redewendung von den „verletzenden Worten“. Die Frage bleibt offen, ob man einem „echten“ Paar oder einer Theaterprobe zusieht – in der Mitte des Stücks platzt ein probender Kinderchor auf die Bühne, und Pascal meinte zuvor, würden den beiden hier Leute zusehen, dann könnten diese jetzt gehen. Niemand aber verließ den Raum, nur die Liebe, und das ziemlich schnell. Friedemann Dupelius Mit einem liebenswürdigen Stück Welttheater kehrt das Maskentheater „Familie Flöz“ heute ab 20.30 Uhr ins Tollhaus zurück. ISt Sie ist lang, die Liste der Rockschlaghungsweise „Tilt“ von Cozy Powell. Wo zeuger, die mehr sein wollten – und dasteht also Bela B. in diesem Koordinamit baden gingen. Im Gegensatz zu Säntensystem? Irgendwo dazwischen. Der gern oder Gitarristen kann der SchlagGraf hat den epischen Country von Lee zeuger qua natura seine Kunst nur im Hazlewood und Waylon Jennings der Zusammenspiel mit anderen zur Entfal70er, als glitzernde Nudie-Anzüge mit tung bringen. Dazu im Kontrast steht, Strass-bestickten Hanfblättern en dass die natürliche Lautstärke seines vogue waren, gut studiert. Dazu gibt es Instruments den Drummer gegenüber ein paar Surfelemente, Garage Rock, seinen Mitspielern und dem Publikum Rockabilly und, man muss es leider sabesonders expogen, Schlager. Das niert (Fehler weralles ist nett und Schlagzeuger teilen den sofort beauch recht authenstraft), ihn sein Artisch ausgeführt. das Torwart-Schicksal beitsplatz hinter Indes fehlt der einer Mauer aus grandiose PopapHolz und Metall aber gleichzeitig von peal der Ärzte. Im Vergleich zu einem allen anderen räumlich isoliert. Das Los Song wie „Dinge von denen“ ist Belas des Schlagzeugers gleicht folglich dem Single „Immer so sein“ einfach, ähem, des Fußballtorwarts: Er ist ein EinzelB-Ware. kämpfer, der dazu verdammt ist, ein Die ganze Angelegenheit ließe sich also Teamspieler zu sein. Die Versuche, dieunsentimental in die Gescheiterte-Gelsem Dilemma zu entkommen, sind in der tungssüchtige-Schlagzeuger-Tonne der Rockgeschichte zahlreich, waren aber Pophistorie kloppen, wäre Bela B. nicht meist vergebens. Bela B., Schlagwerker der begnadete Entertainer, der er nun der Punk Band Die Ärzte, steht in seimal ist: Der Wahlhamburger trägt übernem Bemühen um Emanzipation von große Ringe am Finger, ein Hemd, desder Haupt-Band also keineswegs allein. sen 50 Zentimeter lange Fransen ausseJetzt spielte er mit seiner Begleit-Band hen wie Klavierseiten, darunter Plauze. Smokestack Lightnin’ im Substage. Trotzdem schafft er es auch im nicht Die Grundprobleme sind schnell skizmehr ganz jugendlichen Alter von 53 ziert: Entweder sind die Solowerke von Jahren immer noch, 14-Jährige Mädhauptberuflichen Stöckeschwingern am chen mit einer hochgezogenen AugenEnde zu jazzig, wie etwa Jack Irons (Red braue zum Kreischen zu bringen. Das Hot Chili Peppers, Pearl Jam, Spinnemuss dem passionierten Tollenträger rette) „Attention Dimension“. Einfach erst mal einer nachmachen. Ansonsten nur überambitioniert wie das legendär führt Bela B. mit der Ärzte-typischen schlechte Soloalbum von Peter Criss Mischung aus Arroganz und Selbstiro(Kiss). Total weich gespült wie alles von nie durchs Programm. Musikalisch also Phil Collins (Genesis). Oder schlicht alvielleicht nur Holzklasse, aber vom bern wie „Dance With The Devil“ bezieSpaßfaktor her erste Kajüte! mesc Die Freiheit des Irrenhauses Kant-Gymnasiasten spielen „Die Anstalt“ bei der Schultheaterwoche im Sandkorn Warum mussten die Krankenschwestern sterben? Sind die Täter wirklich verrückt? Und gibt es eine Formel zur Weltherrschaft? All das fragt sich das Publikum ebenso wie die sympathische Kriminalkommissarin Voß (Mai Bui) bei ihren Ermittlungen. Angelehnt an Motive aus Friedrich Dürrenmatts Stück „Die Physiker“ spielte die Theater-AG des Kant-Gymnasiums bei der Schultheaterwoche „Die Anstalt“, inszeniert von Stefan Burgemeister. Die Irrenanstalt steht unter der strengen Leitung von Dr. Mathilde von Zahnd, die durch die teuflisch gute Leistung von Jana Günther glänzt. Die Geisteskranken, welche die Schwestern erwürgt haben sollen, sind drei Physiker. „Und alles war totenstill“ Mit Brittens „War Requiem“ als Gedenkkonzert enden die Europäischen Kulturtage Der Pfingstsamstag des Jahfeierliche Einweihung der neures 1944 war in Karlsruhe ein en, mit den alten Mauern verklarer, sonniger Tag. Bereits bundenen Kathedrale von Cozwei Trauungen hatten in der ventry fand am 25. Mai 1962 Evangelischen Stadtkirche am mit der Uraufführung des „War Marktplatz stattgefunden, eine Requiem“ von Benjamin Britdritte sollte folgen, als plötzten statt. lich Luftalarm gegeben wurde. Auch der Komponist wollte Der Organist Wilhelm Rumpf ein Zeichen der Erinnerung, schickte die Trauungsgäste der Mahnung und gleichzeitig weg, lief die Treppe zum Turm Versöhnung setzen. In seinem hinauf, um Ausschau zu halten „War Requiem“ verschränkt und sah im blendenden SonBritten die traditionellen Texte nenlicht zehn Flugzeuge heder Totenmesse mit neun Gerankommen. Er konnte von dichten des britischen Soldaferne das charakteristische ten Winfried Owen. Rauschen fallender Bomben Fast auf den Tag genau 70 hören, raste die Treppe wieder Jahre nach der Zerstörung der herunter und warf sich im HeiKarlsruher Stadtkirche, wird zungskeller auf den Boden. In dort nun zum Abschluss der einem Bericht an den OberkirEuropäischen Kulturtage Britchenrat beschreibt er, wie das tens „War Requiem“ aufgeSausen der Bomben „orkanarführt – als Gedenken, Mahnung tig“ anschwoll, wie mit einem und Aufruf zur Versöhnung. „infernalischen Crescendo“ Mit seinen vielen musikalieine weitere Bombe heranschen und textlichen Ebenen brauste. Dann: „Ein mächtiger erfordert das „War Requiem“, dumpfer Schlag – und alles war das zu den bedeutendsten und totenstill.“ eindrucksvollsten OratorienDie schwere Sprengbombe, kompositionen des 20. Jahrdie eigentlich den Güterbahn- DIE STADTKIRCHE vor der Zerstörung bei einem Bombenangriff hunderts zählt, einen großen Foto: Stadtkirche Aufführungsapparat mit zwei hof treffen sollte, hatte die lin- auf Karlsruhe im Jahr 1944. ke Dachseite der Stadtkirche Orchestern, zwei Chören, drei Vier Kriegsjahre zuvor hatte die Kadurchschlagen und war im Kirchenraum Solisten, Orgel. An der Stadtkirche thedrale von Coventry ein ähnliches zur Explosion gekommen: Emporen und stemmen das der Bachchor, der KinderBild geboten – sie war durch einen deutAußenmauern weggerissen, Säulen bis chor Cantus Juvenum und die erweiterte schen Bombenangriff fast völlig zerstört über die Hälfte abgesprengt, DachbalCamerata 2000 unter der Leitung von worden. Neben den Überresten des alten ken wie Streichhölzer geknickt, Kanzel, Kirchenmusikdirektor Christian-MarKirchenbaus legte Queen Elizabeth II. Altar und Orgelempore unter Schutt kus Raiser. Solisten sind: Lydia Zborelf Jahre nach Kriegsende den Grundverschwunden, die Orgel selbst komschil (Sopran), Bernhard Gärtner (Testein zur neuen St. Michael’s Cathedral. plett zerstört – einzig das vergoldete nor), Thomas Laske (Bass). BNN Sie ist, ähnlich wie Kaiser-Wilhelm-GeKruzifix an der Altarwand war wie Termin dächtniskirche in Berlin, als Mal der Erdurch ein Wunder unbeschädigt geblieSonntag, 25. Mai, 19.30 Uhr, an der innerung und Versöhnung konzipiert, ben und bot „in der Umgebung dieser Evangelischen Stadtkirche, Karten im und ehemals verfeindete Länder haben wahnsinnigen Zerstörung ein ergreifenMusikhaus Schlaile. zu ihrer Ausstattung beigetragen. Die des Bild“, heißt es weiter in dem Bericht. i Während der eine sich für Newton hält, glaubt der andere, er sei Einstein und der dritte namens Möbius meint, ihm erscheine König Salomo. Jeder ist auf seine Art verrückt und genial zugleich. Issac Newton erklärt den ersten Mord, den er begangen hat, folgendermaßen: „Sie liebte mich und ich liebte sie. Das Problem war nur durch eine Kordel zu lösen.“ Gespielt wird der aristokratische Wissenschaftler von Improvisationstalent Joshua Mayer. Im Verlauf der Handlung sterben drei Krankenschwestern, da diese drohten hinter die Geheimnisse der Insassen zu kommen. Die Leichen werden von der russischen Reinigungskraft Olga (Maria Bär) aufgefunden. In eifrigen Wortge- fechten erläutern die drei Wissenschaftler, welche Verantwortung die Forschung mit sich bringt. Während sich herausstellt, dass Einstein und Newton eigentlich Agenten von verschiedenen Regierungen sind, wird klar, dass das Manuskript von Möbius die Formel zur Weltherrschaft enthält. Der ist überzeugt: „Nur im Irrenhaus dürfen wir noch denken. In der Freiheit sind unsere Gedanken Sprengstoff.“ Am Ende des erfrischend umgesetzten Stücks fielen nicht die Vorhänge, sondern die Wände. Doch selbst winzige Pannen brachten die 22 Schüler nicht aus dem Konzept. Sie boten eine Performance auf hohem Niveau und sorgten bis in die letzte Reihe für Begeisterung. Elisa Walker Willemsen liest im Konzerthaus Roger Willemsen führt sein Publikum bei einer Lesung im Konzerthaus am Montag, 26. Mai, 20 Uhr, in den Deutschen Bundestag: „Das Hohe Haus“ ist ein Augenzeugenbericht, der unbefangen beobachtet, tagebuchartig erzählt und protokolliert. Ein Jahr lang besuchte Willemsen den Bundestag. Die Ergebnisse präsentiert er mit der Schauspielerin Annette Schiedeck und dem Moderator Jens-Uwe Krause. BNN ROGER WILLEMSEN berichtet am Montag vom Deutschen Bundestag. Foto: pr Alles kann ihn entzücken Der Kantor Joseph Malovany sang in der Synagoge Ein besonderes Anliegen ist Kantor Joseph Malovany die Wiederbelebung der musikalischen Kultur der jüdischen Gemeinden, die Wiederentdeckung eines reichen Erbes, das durch die nationalsozialistische Herrschaft in Europa fast ausgelöscht wurde. Immer wieder kommt er bei seinem Konzert im Gemeindesaal der Karlsruher Synagoge darauf zurück, erwähnt auch sein Engagement am Institut für traditionelle jüdische Liturgie in Leipzig. Bei einem Blick auf dessen Homepage stellt sich heraus, dass er nicht weniger als dessen Mentor und Rektor ist. Der Kontakt zum Publikum ist ihm wichtig, immer wieder spricht er kurz über die Kompositionen, die er, aufmerksam begleitet von Doron Burstein, singt. Vielsprachig geht es dabei zu, Malovany selbst lebt seit vielen Jahrzehnten in New York, er spricht Deutsch und singt Hebräisch und Jiddisch, auch mit dem russischsprachigen Publikum sucht er den Austausch. In der liturgischen jüdischen Musik verschmelzen in den Jahrzehnten um 1900 religiöse Traditionen und Tonfälle der zeitgenössischen Musikdramen – das liegt nahe, denn hier wie dort geht es immer ums Ganze, um existenzielle Fragen. Beispiele für diesen expressiven Stil sind etwa „Im eshkachech yerushalayim“ (Wenn ich dich je vergesse, Jerusalem) von Chayim Kirsch oder „Ma Gadlu“, der 92. Psalm, von Zavel Zilbertz, die Joseph Malovany mit Hingabe und sehr ausdrucksstark gestaltet. Seine Gesangstechnik ist vorbildlich, er interpretiert den Sinn jedes Wortes, seine dynamische Palette und die Klangfarben, die er wohldosiert einsetzt, sind bewundernswert. Wenn man liest, dass er seit 1973 Kantor an der Fifth Avenue Synagogue in New York ist, dann staunt man auch über die gute Verfassung seiner Stimme. Alles kann ihn entzücken, die leichten, fröhlichen Tonfälle mitten im Schabbatlied von Mordechai Yardeini, das jiddische „Moishele main Fraint“ von Mordechai Gebirtig, das er, wie viele andere Stücke auch, selbst arrangiert hatl. Birgitta Schmid