Einige Gedanken zum Werk von Judith Albert
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Einige Gedanken zum Werk von Judith Albert
Einige Gedanken zum Werk von Judith Albert von Kathleen Bühler In Sarnen (Kanton Obwalden) geboren und in der Umgebung aufgewachsen kam Judith Albert nach einem zweijährigen Aufenthalt in Paris nach Zürich, wo sie erfolgreich die Ausbildung an der Schule für Gestaltung im Bereich Bildende Kunst absolvierte. Skulptur und Zeichnung werden ab 1994 von Videofilm und Fotografie als bevorzugte Medien abgelöst. Dennoch nutzt die Künstlerin, die heute nach einem längeren Aufenthalt in London (2011–2012) wieder in Zürich lebt, eine Vielzahl an Ausdrucksmöglichkeiten. Sie arbeitet mit Sprache, künstlerischer Intervention, Video, Fotografie und Performance. Seit 2006 realisiert sie zudem Kunst am Bau-Projekte in enger Zusammenarbeit mit Gery Hofer (Berufs- und Weiterbildungszentrum BWZ Sarnen 2006; Sporthalle Pfäffikon 2008–2010; Eglise de Sacré Cœur, Montreux 2008–2010; seit 2012 Neugestaltung des Chorraumes in der Kathedrale Solothurn). Dem schweizerischen Kunstpublikum ein Begriff wurde Judith Albert mit ihren kurzen und meditativen Videoarbeiten, in denen sie selbst als Performerin auftritt oder in denen sie konzentrierte und zugleich bewegte Stilleben realisiert. Diese an knappe Gedichte erinnernde, minutiös inszenierte und visuell sinnliche Kleinode kreisen um unspektakuläre Ereignisse, in deren Mittelpunkt ein poetischer Gedanke steht: eine schön gekleidete Frau an einem Sommertag, in deren Rücken sich langsam der Reissverschluss des Kleides öffnet (Am Wasser, 2004), eine Person in der Dämmerung, die Glühwürmchen sammelt (Handzahm, 2001) oder eine Frau, welche die Enden ihre Haarsträhnen an ihr Spiegelbild heftet (Haare, 2009). Als Liebhaberin von Malerei lässt sich die Künstlerin mitunter von berühmten Gemälden inspirieren, sei es von einem Stilleben (Peperoni, 2009) und Intérieur (Nu à l’échappe orange, 2009) von Félix Vallotton, oder von Jan Vermeers berühmter Küchenszene mit Milchmagd (Zwischen der Zeit, 2004). Beide Maler sind wie die Künstlerin auch geduldige Beobachter, präzise Komponisten und Meister der juwelenartigen Farben. Ihre Werke interessieren jedoch darüber hinaus als Tresore verdichteter Zeit. Über die Jahrhunderte hinweg haben sich diese als Bündelung von Reizen und Gedanken bewährt und bringen immer wieder ein neues Publikum zum Schwelgen. Neben ihren gedichtartigen Videofilmen beschäftigt sich die Künstlerin intensiv mit Sprache und dem alltäglichem Sprachgebrauch. Bereits in zwei künstlerischen Interventionen – eine im Kulturhotel Krone in Giswil im Kanton Obwalden und eine im Arte Hotel Bregaglia in Promontogno im Kanton Graubünden – bezeichnete sie unterschiedliche Gebrauchsgegenstände, Möbel und die Innenarchitektur mit den dort ortsüblichen Dialektbegriffen. Dem Gast wird augenblicklich die kulturelle Verortung seines Aufenthaltsortes bewusst und zugleich die in beiden Fällen von zunehmenden Vergessen bedrohten Dialekte als kulturelle Archive vor Augen geführt. In der Sprache werden wie in Museen auch Erfahrungen gespeichert. Und in Museen gelangen erst diejenigen Gegenstände in die Vitrine, welche ihren alltäglichen Nutzen verloren haben. Gewisse Worte erübrigen sich, weil ein Gegenstand und mit ihm die Bezeichnung aus dem alltäglichen Gebrauch verschwindet. Erst recht in regionalen Dialekten, welche von der zunehmenden Verstädterung und der übermächtigen Präsenz von Englisch bedrängt werden. Mit ihnen droht der Speicher an Erfahrungen und kulturellem Wissen zu verblassen. Worte sind jedoch nicht nur Erfahrungsspeicher, sondern können einem gewissen Aberglauben zufolge auch über Glück und Unglück entscheiden, wie Lotterien zeigen, bei denen man zusammengerollte Zettelchen kauft. Zusammen mit Barbara Gschwind bedruckte Judith Albert Hunderttausend Papierzettel mit 63 verschiedenen Texten in Cappricci del destino (2004). Die „Launen des Schicksals“ wurden an öffentlichen Plätzen in Genua verschenkt und beinhalteten einen kurzen Text, der die Losbesitzer aufforderte gewisse Dinge zu tun, die einen engen Bezug zum Ort hatten und zudem Alberts eigene Beobachtungen in der Stadt miteinbezogen. Wie in ihren Videofilmen und den beiden Sprachinterventionen kreist die Arbeit um die bewusste Wahrnehmung des Ortes und dessen, was er als Erlebnisspeicher beinhaltet. Als übergeordnetes Interesse schält sich die Befragung des Wesens der Zeit und seiner Beziehung zum menschlichen Bewusstsein aus den verschiedenen Werken von Judith Albert heraus. Anhand von Worten oder von zeitlich strukturierten Erlebnissen regt die Künstlerin eine spielerische Auseinandersetzung mit der vorgeführten oder angeregten Handlung an. Es sind Handlungen, die so unspektakulär und alltäglich sind, dass sie sich der bewussten Wahrnehmung normalerweise entziehen oder die im Verschwinden begriffen sind, weil sie historisch werden. Sowohl im Sprachspiel wie in den sorgfältig inszenierten Videos verdichtet sich Erfahrung, deren Wahrnehmung der Betrachter oder Teilnehmer wiederum im Fluss der Zeit vollzieht. Zeit tritt in den Werktiteln zutage und wird direkt in den Werken thematisiert: Im Video Von Zeit zu Zeit (2010) steht eine Sanduhr, in dem der Sand unablässig rieselt, neben einem etwas krumm gewachsenen gleich grossen Kaktus. Der Sand braucht die ganzen 30 Minuten, die das Video dauert, um von der einen Hälfte in die nächste zu gelangen und wechselt dabei die Farbe. Der Kaktus bleibt natürlich reglos. Zusammen evozieren sie die Frage, was denn der rieselnde Sand, der die Zeit für uns fassbar macht, im Vergleich zum über Jahre hinweg wachsenden Kaktus bedeuten kann? Seine knorrige Verwachsung manifestiert geradezu die Zeit, die sich nicht an unsere Kategorien hält, mal schnell, mal langsam vergeht und sich zu Unendlichkeit dehnt, sowie sie sich auch zum Moment zusammenzieht. Oder Zwischen der Zeit (2004), das sich auf die plätschernde Milch in Vermeers Gemälde bezieht, die in Ewigkeit eingefroren wurde, während die Milch in Alberts Video für immer, ohne das Gefäss je füllen zu können, weiterfliesst. Ebenso repräsentiert Pomeriggio (2002), die 60 Minuten dauernde Einstellung eines Fensters mit wehenden Gardinen an einem trägen Sommertag, nicht mehr und nicht weniger als das Verstreichen der Zeit. Und selbst in den zwei Buchprojekten Promenade (2007) und Voyage (2008) hallt das Verstreichen der Zeit als Echo in der Struktur der Werke wider. Es sind beide Male je eine Minute Videofilm, die zu 1500 Einzelbildern aufgeschlüsselt und zum Buch gebunden werden. Während das Medium normalerweise die Geschwindigkeit von 25 Bildern pro Sekunde vorschreibt, kann jeder Betrachter den Bilderstrom nun in seinem eigenen Zeitmass betrachten und sich sowohl in Raum wie auch in Zeit frei bewegen. Mit der systematischen und konzeptuell fundierten Behandlung von Zeit nähert sich Judith Albert der Beschäftigung mit Zeitlichkeit an sich, als existentielle Kategorie, die unsere Lebensdauer in Quantität und Qualität bemisst. Es erscheint daher sinnvoll, ihre Werke in die Tradition des memento mori einzureihen. Der philosophisch gefärbten Sicht auf die Kunst und das Leben, die im Bewusstsein der Endlichkeit unserer (Lebens-)Zeit, Demut verheisst. Diese Demut manifestiert sich in den Werken Alberts als Aufmerksamkeit, selbst bescheidenen Handlungen ihre Bedeutung im Hinblick auf die verstreichende Zeit zuzugestehen und in ihrem bewussten Erleben ein Bollwerk gegen die unaufhaltsam verrinnende Zeit zu finden. Some thoughts on the works of Judith Albert from Kathleen Bühler Judith Albert, born and raised in and around Sarnen, Central Switzerland, spent two years in Paris before completing her studies in fine arts at the Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zurich. In 1994, she shifted her focus from her preferred media of sculpture and drawing to video and photography. And to this day, she chooses to work in numerous modes of expression, including language, artistic interventions, video, photography and performance. Since 2006, she has been creating art in public spaces in close collaboration with Gery Hofer (employment and education centre “BWZ Sarnen“, 2006; sports centre “Sporthalle Pfäffikon”, 2008–2010; Eglise de Sacré Cœur, Montreux, 2008–2010; redesign of the choir in the Cathedral Solothurn, since 2012). After spending part of 2011 and 2012 in London, Judith Albert is again based in Zurich. What first captured a Swiss audience were Albert’s short, meditative video works that create highly focused yet mobile still lives, some featuring herself as the protagonist. The small, sensual, meticulously staged visual gems, reminiscent of short poems, describe unspectacular events that unfold around a lyrical core: a beautifully dressed woman on a summer’s day on whose back a zipper is slowly becoming undone (Am Wasser/Near water, 2004), a person at dusk gathering fireflies (Handzahm/Hand-tamed, 2001) or a woman sticking the ends of her hair onto her own mirror image (Haare/Hair, 2009). With a passion for painting, Albert draws inspiration from well-known works, be they Félix Vallotton’s still lives and interiors (for Peperoni/Chili and Nu à l’écharpe orange/Nude with orange scarf, 2009) or Jan Vermeer’s famous milkmaid in a kitchen scene (for Zwischen der Zeit/Between time, 2004). Both painters, like Albert herself, were patient observers, precise composers and masters of jewel-like colours. Their works are relevant here also as treasure troves of condensed time. For centuries, they have served as focal points for people’s stimuli and thoughts and managed to ever again fascinate new audiences. Beyond the poetry underlying Albert’s video films, language and its daily use have played a central role in her work. Two artistic interventions, one in the Kultur-Hotel Krone Giswil in the canton of Obwalden and one in the Arte Hotel Bregaglia in Promontogno, Graubünden, found her labelling various daily objects and pieces of furniture and interior architecture with their names in local dialect. Hotel guests gain an immediate sense of their local cultural coordinates and are in both places presented with an archive of a dialect that is threatened to gradually become extinct. Languages, like museums, store experiences. Only objects that have lost their use in contemporary life are placed into display cabinets – and similarly, certain words vanish from our language, as they describe objects that are no longer present. Regional dialects are a strong example, being threatened doubly by urbanisation and anglification. Their vanishing foreshadows a poorer and paler archive of experiences and cultural knowledge. Words, though, do not only archive experiences. They may, according to certain superstitions, equally rule over good and bad luck. Take for example lottery tickets that are sold as little cryptic rolls. Together with Barbara Gschwind, Judith Albert printed one hundred thousand such slips of paper reading 63 different texts, a work called Cappricci del destino (Quirks of fate, 2004). The rolled-up messages were given away on public squares in Genoa, with the texts asking their new owners to do certain things closely related to the place, while all the same integrating Albert’s own observations of the port town. Like her videos and her linguistic interventions, Cappricci del destino evoked a conscious perception of a place and the memories it stores. Albert’s works reveal an overriding interest in questioning the nature of time and its relation to human consciousness. Using words or temporally structured experiences, Albert entices a playful contemplation of performed or initiated acts. The acts themselves are so unspectacular or everyday that they would normally be lost to any conscious perception – or lost as they are already in the course of vanishing or becoming history. Both the linguistic games and the carefully staged video films condense experiences, which the spectator or participant again perceives within passing time. Time enters the works’ titles and time is their concrete topic. Von Zeit zu Zeit (From time to time, 2010) shows an hourglass with its sand trickling next to an oddly grown cactus of the same size. It takes the whole 30 minutes of the video for the sand to reach from one half to the other, whereby it changes colour. The cactus is of course immobile. Together they pose the question of what this trickling sand, which makes time graspable, might mean in comparison to the steadily growing cactus, whose gnarled deformations manifest the very time that escapes our categories, that rushes and slows down and stretches to infinity just as it can contract into a brief moment. Zwischen der Zeit (Between time, 2004) relates to the flowing milk in Vermeer’s painting, frozen in eternity. In Albert’s video, the milk keeps flowing forever without ever filling the jar. Pomeriggio (Afternoon, 2002), too, represents neither more nor less than the passage of time. It is a 60-minute shot of a window with floating curtains on a lethargic summer’s day. Even the two book projects Promenade (2007) and Voyage (2008) echo the passing of time in their structures. Each book consists of a video film the length of one minute cut into 1500 single images and bound into a book. While the medium normally dictates a speed of 25 images per second, here one can view the flood of images in one’s own time and move about freely in space, too. With her systematic and conceptually substantiated approach to the topic of time, Albert eventually addresses the topic of temporality per se, time as an existential category that measures our lifespan in both quantity and quality. It therefore makes sense to ascribe her works to the tradition of the memento mori, a philosophic view on art and life that speaks of humility in the face of our lifetime’s finite nature. In Judith Albert’s work, such humility manifests as attentiveness, as a willingness to attribute even small acts their significance and to find in conscious experience a stronghold against ever-fleeing time. Kathleen Bühler Kathleen Bühler studied art history, film studies and philosophy and received her PhD at the University of Zurich. Her dissertation is about the production of experimental film of Carolee Schneemann (Marburg 2009). Since 2008 she is curator and head of department for contemporary art at the Kunstmuseum Bern. © English translation Bigna Pfenninger Fokus – Videos von Judith Albert von Ulrich Loock Die Videos reproduzieren in kurzen und abgeschlossenen Stücken etwas vom Schauen mit zwei bewegten Augen und der Wahrnehmung mit fünf Sinnen. Mit photographischer Optik und Tonaufnahme bringt Judith Albert hervor, was im weltversunkenen Dasein nicht zu Bewusstsein kommt und was die technische Reproduktion zum Verschwinden bringt (Verdinglichung). Zu sehen sind technologisch erzeugte Bilder der Überwindung technologischen Weltverhältnisses – eine Frage des Fokus und der zeitlichen Begrenzung. Die fünf „Haikus“ haben Abläufen „zum Gegenstand“, die lange weitergehen ohne ein Ende aufgrund der Natur des Geschehens. Bei zwei früheren Stücken war das anders, „livingroom“ und „system 02“: Schlafen unter Wasser, eingehüllt in ein leuchtend gelbes Tuch; Atmen unter Wasser aus einem Luftballon – bis die Luft nicht mehr reicht. Das Video endet, sobald die Luft aufgebraucht ist. Von den fünf „Haikus“ ist das erste out of focus, ein Bild in bewegtem Grau mit einer dunkleren Stelle. Gegenständlich verstanden werden kann es erst, als ein Boot, erkennbar, in das Bild gleitet: nach einiger Zeit kontextuell erzeugter Umschlag eines schwach strukturierten, alles durchziehenden Flimmerns in verbindlich lesbare Darstellung – Ende (Erkennbarkeit im Rückblick). Im zweiten „Haiku“ funktioniert der Boden des Wasserglases als Optik mit lateralem Fokus: In konzentrischen, verschwimmenden Kreisen werden die Dinge der Umgebung, die Dinge ausserhalb des optischen Zentrums, verwandelt in psychedelische Farbschlieren, in die Blickmitte gezogen. Irgendwann Schluss durch Abblenden, Evokation des Schliessens der Irisblende in alten Filmen (und es geht weiter...). Der Anflug der schwarzen Vögel im dritten „Haiku“ setzt sich immer erneut, immer gleich fort, bis die Optik der Kamera langsam geschlossen wird. Die Dauer des ereignislosen Ereignisses (zu sehen) schärft zunehmend den Sinn für die Stimmen (was nicht zu sehen ist), asiatische Stimmen, welches ist die Verbindung zum Bild? Der langsame Schluss erzeugt einen Nachhall. Die ausgestreckten Arme, wie die Arme von jemandem, der durchs Dunkle geht, von jemandem, der nicht sieht, sind kaum bewegt im Bild (die Kamera bleibt auf die Arme der Person ausserhalb des Bildes fixiert, die sich durch die Landschaft bewegt). Sie ziehen einen Horizont ein in die vorbeigleitende Landschaft (das Wasserglas dagegen bildet einen Abgrund, einen Strudel wie den Malstrom), geben die Landschaft zu sehen im Randbereich des Blickes. Das Stück endet mit einem Versehen, einem Stolpern der Person mit der Kamera, das Stück endet abrupt und wie zufällig, als für den Bruchteil einer Sekunde der Körper der Person in den Blick kommt, von der zuvor unverändert die Arme zu sehen waren. Im fünften „Haiku“ gibt es ein Bild und ein Geräusch („Regen“). Von Anfang bis Ende wird die Blende der Kamera langsam und kontinuierlich geschlossen, das Bild zunehmend vom Geräusch getrennt, bis es, bevor es schwarz wird, aussieht wie das Flimmern der Pixel. Zu sehen ist mehr (etwas anderes), als was zu sehen ist, zu sehen und zu hören, zusammen zu sehen und zu hören, was nicht miteinander zu identifizieren ist, zu sehen in Ablenkung des Blickes, im Hereinströmen des Ausgeschlossenen, im Übergang von Erkennbarem und Unkenntlichem, im Nachhinein. Das „Modell für einen blauen Berg“ ist ein Bild für die Assimilation des Unverbundenen, die Herstellung einer Gleichheit von Subjekt und Objekt: Die rot gekleidete Person verhüllt sich mit einem blauen Tuch und wird zum Berg. Der Eintritt des Wunderbaren hat nichts Überraschendes an sich, es geht aus einer Handlung hervor, die so lapidar ist wie die Zeilenfolge eines Haiku. Publiziert in Obwaldner Künstlerhefte 2001/2 ISBN 3 – 908713 – 17 – X Von Irgendwo zu Nirgendwo Von Beate Engel „ Die einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie auch sein mag“, das ist die Definition, die Walter Benjamin der Aura gegeben hat. Judith Alberts Arbeiten beschwören diese Aura herauf, ihre Reminiszenzen von Kinderspielen oder heiligen Ritualen, fernen Sehnsuchstlandschaften oder privaten Innenräumen prickeln auf der Netzhaut wie erfrischende Regentropfen. In Ihren Fotoarbeiten, Videos und Videoperformances untersucht die Künstlerin Judith Albert die Grenzbereiche visueller und physischer Erfahrungen. Sie versetztsich in labile Schwebezustände und bewegt sich in über- oder unterirdischen Zonen, wie zum Beispiel in der Videoperformance LIVINGROOM. Hier macht die Künstlerin sich zum Schlafen auf einer bunten Decke bereit – unter Wasser, auf dem Boden eines Swimming- Pools. Auch in ihrer Videoserie der HAIKUS bleibt das Wasser ein faszinierender Spiegel für die fliessenden Übergangszonen zwischen Leben und Tod, Realität und Traum. So wie die HAIKUS, die japanischen Kurzgedichte, leben Judith Alberts Videosequenzen von Augen- Blicken, von minimalen Andeutungen, dem blitzartigen Erfassen von Erlebnissen. Die Kamera taucht ein in Naturdetails, die zu besonderen Augenblicken werden. Kaum etwas bewegt sich, eine schemenhafte Figur steht im Wasser, in einem fernen undefinierten Ort, ein Boot naht – und Schnitt. Ein Nicht-Ereignis, kondensiert zu einer malerischen Bilderfolge von banaler Schönheit, unfassbarer Flüchtigkeit und faszinierender Leere. Ein weiteres Video der Haiku- Reihe zeigt die ausgestreckten Arme der Künstlerin, die mit verbunden Augen durch eine Schweizer Berglandschft läuft, als könnte sie mit den Armen sehen. Das rhythmische Gehen wirkt wie ein Gleiten von irgendwo nach irgendwo, da es keinen Anfang und kein Ende hat. Eine Weitere Video-Wanderung führt durch die Wohnung der Künstlerin, doch der Blick der Kamera auf die Umgebung wird durch ein Wasserglas gefiltert, sodass ein Kaleidoskop aus bunten Schlieren entsteht. Es ist wie zu Kinderzeiten: alles kann auch ganz anders aussehen, auf den ersten, den zweiten, den dritten Blick. So wird das sprudelnde und versickernde Wasser eines übergelaufenen Abflusslochs in einem Keller in der Installation ÜBERFLUSS zu einer Ursuppe, in der Zauberwelten entstehen. Die Videoarbeit POMERIGGIO zeigt die Sicht auf ein geöffnetes Fenster, vor dem ein weisser Vorhang wie eine Membran im Wind bewegt. Vor der Geräuschkulisse des italienischen Strassenlebens bläht er sich auf und ergibt ein bewegtes Bild mit auf- und abflackernden Welten zwischen Licht und Schatten, Innen und Aussen. Nach einer Weile erscheint die rhythmische Auf- und Abbewegung wie ein meditatives Atmen, das sich auf den eigenen Körper überträgt und an die Folgende Zen-Geschichte erinnert: Zwei Mönche betrachten eine Fahne, die über derm Klostertor Im Wind flatterte. „Die Fahne bewegt sich“ sagte der eine. „Nein“, erwiderte der zweite, „ nicht die Fahne bewegt sich. Der Wind bewegt sie.“ In diesem Augenblick kam der sechste Patriarch vorbei: „Weder die Fahne bewegt sich“, sagte er, „noch der Wind. Eure Herzen bewegen sich!“ Judith Albert (échanges), Ausst.-Kat. (mit Texten von Beate Engel und Jean-Paul Felley), Musée des Beaux-Arts, La Chaux-de-Fonds 2003. (ISBN : 3-7965-2043-X) Mit einemmal.... Zu den neuen Arbeiten von Judith Albert von Angelika Affentranger-Kirchrath „Indem es die Vergangenheit, ohne sie zu verändern, in die Gegenwart einfügt, so wie sie war, als sie Gegenwart war, bringt nämlich das Gedächtnis jene grosse Dimension der Zeit, in der sich das Leben verwirklicht, gerade zum Verschwinden“ Marcel Proust, Die wiedergefundenen Zeit Judith Albert ist eine Grenzgängerin und sucht die kaum merklichen Übergänge zwischen verschiedenen Zuständen und Befindlichkeiten. In ihren Bildern erhascht sie das Transitorische des Augenblicks, nicht um es zu bannen - sonst müsste sie es festmalen oder fotografieren - sie begleitet es im bewegten Bild des Video. Alltägliche Vorgehen verlieren dabei ihre Banalität und bekommen eine unerwartete Tiefendimension, Lyrisches nimmt eine dramatische Note an. Judith Albert nennt ihre kurzen Videoarbeiten Haiku und spielt damit auf die Verwandtschaft mit dem japanischen Kurzgedicht an. Diese Nähe ist unabweisbar. Auch Alberts Werke verdichten eine Erfahrung auf ihre Essenz, die sich aber jeder intellektuellen Begrifflichkeit entzieht, um uns als Atmosphäre ganzheitlich zu berühren. Atmende Körper Eine Frau räkelt sich in Odalisken-Pose, verführerisch nah scheint ihr plastischer Körper und doch wie entrückt im alabaster farbenen Inkarnat. Das jugendliche Gesicht wirkt entspannt. Die Wangen sind leicht gerötet, schläft sie oder wacht sie - wer weiss es ? Die Hüften von einem orangenen Tuch bedeckt, liegt sie auf einem dunkelroten Sofa. Dahinter breitet sich in einem allover eine türkis - weiss gestreifte Tapete aus. Erst bei längerem Hinsehen werden wir gewahr, dass sie atmet und vor allem dieses: dass ein Tintenfisch auf ihrem Leib liegt und seine Tentakel wie Arme um sie legt. Er atmet ebenfalls kaum merklich. Atmend verschmelzen die beiden Körper zur Einheit. Fast wirkt die Molluske wie ein nach aussen gestülptes Organ, das zum Körper der Frau gehört. Gleichzeitig hat das Weichtier etwas besitzergreifendes, es breitet sich aus, saugt sich fest. Mit diesem eindringlichen, sich leise auf und ab bewegenden Bild des Video „Nu à l’echarpe orange“ bezieht sich Judith Albert ganz direkt auf Félix Vallottons bekannte Aktdarstellung „Nu à’l’echarpe verte“ (1914, Musée des Beaux-Arts, La Chaux-de-Fonds). Nicht das Original hat ihre Antwort herausgefordert, es war eine Reproduktion in Postkartengrösse, die ihr in die Hände kam. Zuerst vollzieht sich der Dialog als Annäherung: das Videobild scheint das Vallottonwerk im realen Raum mit Modell und Requisiten nachzustellen. Allmählich werden die Unterschiede bewusst. Das Tuch hat sich von Vallottons Grün, das sich sanft ins Kolorit fügt, ins bissig unangepasste komplementäre Orange gewandelt. Zudem ist im Video der Tintenfisch dazugekommen, den die Künstlerin auch mit einem Seitenblick auf Hokusai aufnimmt. In den Holzschnitten des Japaners erscheint der Kopffüssler mit grossen ‚gefrässigen‘ Augen und einem verschlingenden Körper aus Armen. Dieses urtümliche Wesen lässt auch das heutige Bild in andere Zonen des Empfindens und Denkens kippen. Frau und Tier verschmelzen zu einem hybriden Wesen. Es ist nicht mehr die entlarvende Darstellung des Aktes, die mit satirischen Tönen unterlegte Geschlechterproblematik, die in Vallottons Werk omnipräsent anklingt. Die Molluske bannt den Blick des Betrachters und lenkt ihn ab von der Posierenden, von ihrer Schönheit, ihrem Dasein als Objekt der Begierde, wie sie der Maler um 1900 hervor gestrichen hat. Durch die Umarmung mit dem Quallenwesen nimmt der wohlgeformte Frauen- Körper etwas schauerlich Morbides an. Beide Ausdrucksmomente – das Schöne und das Abstossende - werden im Video enggeführt und erzeugen eine absurd rätselvolle Atmosphäre. Verschneite Körper Noch einmal wendet sich Judith Albert mit ihren neuen Arbeiten einem Gemälde von Félix Vallotton zu. Wieder lag es ihr in der allzeit verfügbaren Form einer Postkarte vor. Nun befragte sie das bekannte Stillleben „ Rote Pfefferschoten auf rundem, weisslackierten Tisch“ (1915, Kunstmuseum Solothurn) im Modus des Video. Wiederum wandelt sich und verwandelt sich das Bekannte in eine neue Seh-Erfahrung und eröffnet unerwartete Erlebens-Schichten. Vallottons Stillleben zeigt gestochen scharf runde und längliche Peperoni, die auf einem ebenfalls runden Tisch arrangiert wurden. Vor ihnen liegt ein Messer auf dessen metallener Spitze sich das Rot der Schote abzeichnet. Ein harmloser Spiegelreflex. Es bleibt nicht dabei. Das rot eingefärbte Messer bringt auch Assoziationen an Blut, Verletzung und Tod mitein– dies erst recht, wenn man bedenkt, dass das Bild 1915 entstand und womöglich feinsinnig das Zeitgeschehen reflektiert und interpretiert. Wiederum leistet Albert eine eindrückliche Übersetzungsarbeit in ihre Gegenwart und in ihr persönliches Erleben. Zuerst aber bleibt scheinbar alles beim Alten: auch Albert legt das knackige Gemüse auf einem runden Tisch aus. Man nimmt das Perperoni-Stillleben als ein ins Weiss aufgehelltes Vallotton-Bild wahr. Dann aber kommt Bewegung auf. Es fällt Schnee. Einige Flocken, die sich zunehmend verdichten, legen sich wie eine Decke über das Stillleben, formen die Körper nach und zeichnen am Schluss eine eigene weisse Landschaft. Die rot glühenden Farben der Pfefferschoten sind ins kühle stille Weiss übergangen. Das plastische, farbintensive Bild ist getilgt, ist Vergangenheit geworden, die nur noch in gewölbten Konturen abzulesen, zu erahnen ist. Bewegung und Stillstand Es ist der Alltag, der Judith Albert zu ihren Arbeiten anregt. Bezeichnenderweise waren es nicht die bekannten Museumswerke von Vallotton, die den Dialog auslösten, es genügten simple Postkarten, die auf dem Schreibtisch lagen. Wenn sie sich tradierter Kunst stellt, dann nicht in erster Linie wegen deren formal stilistischem Ausdruck, sondern wegen der einmaligen Atmosphäre der Werke, die über die Generationen hinweg wirksam bleibt. Wie bei Vallotton faszinierte sie auch bei Jan Vermeer, der sie zur eindringlichen Video-Arbeit „Zwischen der Zeit“ anregte, die Fähigkeit, alltägliche Szenen im Augenblick zu bannen. Sie hingegen verflüssigt die Zeit, stösst sie mit sanften Bewegungen an. Es müssen aber nicht unbedingt Kunstwerke sein, die ihr als Stimulans dienen -genauso gut können es verschrumpfelte Äpfel am Trottoirrand, ein Besuch im Haus von Freunden oder das morgendliche Frisieren sein. Die Videoarbeit „Haare“ zeigt eine junge Frau, die aus der Nähe ihr Spiegelbild betrachtet. Sie nimmt behutsam eine Strähne ihres langen Haares in die Hand, rollt es auf und klebt es am Spiegel mit einem Scotch fest, Strähne um Strähne, ja Haar um Haar werden so behandelt. Realität wird im Spielgelbild verdoppelt und weitet sich zum Raum der Illusion, beide Ebenen sind untrennbar geworden. Ähnlich wie das Molluskenwesen mit dem Frauenleib zur Einheit verschmilzt, werden hier Bild und Spiegelbild gleichsam zur Einheit verklebt. Die Begegnung mit dem Ich ist unausweilich, unauflöslich, sagt uns das letzte Bild des Video. Ohne jedes Pathos findet hier eine Neuformulierung des Narzissthemas statt - behutsam von einer Frau in Szene gesetzt. Sie wird nicht wie der Jüngling Opfer des eigenen Abbildes. Sie schafft sich ihr Spiegelbild, das Bild ihres Ich, selbst. ...war die Erinnerung da Wenig und viel geschieht in Judith Alberts Arbeiten: Eine Frau steht in einem Garten. Auf der einen Seite befindet sich ein hell erleuchtetes Haus, auf der andern ein Baum. Langsam dreht sich die weiss Gekleidete um sich selbst, nimmt die Rundung der Baumkrone auf. Einen Moment hält sie inne, eine Katze erscheint, begibt sich ins Bildinnere und verlässt dieses wieder. Ein Spuk, ein Traum? „Mit einemmal entsann ich mich, wo wir zu hause das salz haben“ endet ein Gedicht von Jan Skàcel, das dieser Arbeit den Titel gegeben hat. Nicht das Haus, nicht der Baum, nicht das Salz und nicht einmal die Frau sind hier die bestimmenden Grössen. Es ist dieses „Mit einemmal ...,“ das alles auslöst, das alles zum Schwingen bringt. Diesem beinahe mystischen Moment spürt sie mit ihren langsam bewegten Bildern nach, dem „Mit einemmal“, wo Erinnerung einsetzt, wo Vergangenheit in der Gegenwart sinnlich aufscheint und doch verklärt bleibt, wo zarte Übergänge von einem in den anderen Zustand stattfinden, physische und psychische Erfahrungen austauschbar werden. „Und mit einem Mal war die Erinnerung da. Der Geschmack war der jenes kleinen Stücks einer Madeleine, das mir am Sonntagmorgen in Combray (...), sobald ich ihr in ihrem Zimmer guten Morgen sagte, meine Tante Leonie anbot, nachdem sie sie in ihren schwarzen oder Lindenblütenttee getaucht hatte“ beginnt auch die viel zitierte Stelle in Marcel Prousts Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Der Genuss eines Biskuits wird hier zum Erlebnis, welches das Gedächtnis ankurbelt, so dass längst Vergangenes über Gerüche, Töne und Farben vergegenwärtigt wird. Hermetische Räume voll Atmosphäre werden herauf beschworen; Gedichte voller Rätsel, die niemand zu lösen weiss. Publiziert in Judith Albert, Künstlerheft TAMED LIGHT, 2009 Kunstmuseum Luzern Ingrid Textor Sie schaut und macht es sich zu eigen Zu den Videoarbeiten von Judith Albert Judith Albert hat eine ausgeprägte Affinität zu Gedichten. Zu Stimmungen, die in ihnen aufscheinen. Sie liebt körperhafte Wörter, Sprachbilder, Zwischentöne, die Doppelbödigkeit von Worten, ihr sonores Schwingen, das auch ihrer Stimme eigen ist. Sie schätzt die Gedichte der deutschen Schriftstellerin Sarah Kirsch, deren nüchtern-poetische Sprache als «Sarah Sound» in die Literatur eingegangen ist. Den Stoff, auf dem ihre lyrische Sprachfindung aufbaut, nennt die Dichterin «grünes Traumzeug»: Sie deutet damit an, dass ihre Gedichte von beobachteten Naturstimmungen inspiriert werden, die sich in Traumbilder wandeln. Oder umgekehrt: Imaginäres wird in reale Landschaftsbilder projiziert.1 Der Gestaltungsprozess, der den Videos von Judith Albert zugrunde liegt, ist der Entstehung eines Gedichts vergleichbar. Am Anfang steht ein Wort, ein Wortbild, ein erinnerter Traumsplitter. Ein Set von vagen Bildern verdichtet sich zu einem Titelwort, zu einem Konzept. Eine gezeichnete Skizze verdeutlicht die sorgfältige Inszenierung des vorgestellten Bildes. Während des Filmens wird das Geschaute fokussiert, die Dauer des Augenblicks fixiert, der Bildausschnitt begrenzt. Die behutsame Nachbearbeitung des Videobandes am Computer spart mit minimalen Manipulationen Stimmungsschwerpunkte aus und betont sie. Bild und authentischer Ton werden strukturiert und aufeinander abgestimmt. Ein klar umrissener Raum zum Schauen, zum Lauschen wird geöffnet. Unter dem Titel Haiku realisierte Judith Albert 1999 fünf kurze Video-Stücke. Die kristall-spröde Sprache der zeitlosen japanischen Haiku-Gedichte visualisiert in einem einzigen, dreizeiligen Vers die Aura von Naturmotiven im Wechsel der Jahreszeiten. Judith Albert hat das Videomaterial des Haiku-Zyklus’, der an drei Schauplätzen gefilmt wurde, auf je eineinhalb Minuten komprimiert. Südindien: Den Geist stimulierende meditative (Ashram-)Stille. Irritierendes Menschen- und Stimmengewirr. Das alle Farben intensivierende tropische Licht. Der Ozean. Innerschweiz: Die Landschaft. Ein Sommertag. Ein eisgrauer Regentag. Ein Interieur: Der farbenbelebte Raum spiegelt sich in einem dünnwandigen Wasserglas. In den fünf Haiku-Stücken werden Beobachtung und gleichzeitige individuelle Befindlichkeit in lyrische Bilder verdichtet: Haiku 1 (Fischer) Die zersplitterte Kontur einer dunklen Silhouette gleitet vor einen flirrenden Lichtschleier. Haiku 2 (Wasserglas) Das Kolorit von schleudernden Wasserfarben formt sich zum kreisrunden Aquarell. Haiku 3 (Krähen) Die Stille von schwingendem Schwarzweiss, gefüllt mit dem Hin und Her von sirrenden Stimmen. Haiku 4 (Hände) Pantomimisch bis in die Fingergelenke gestreckte Hände tasten durch sonnenbeschienenes Grün und formen sich im blendenden Licht zu Zugvögeln. Haiku 5 (Regen) Ein rauschendes Rieselfeld über Kletterpflanzen-Gemäuer verfliesst ins Schwarz. ORIENTIERUNG Wer aus der Luftperspektive auf Sarnen blickt, taucht ein in Grün und Blau. Die hügeligen Matten, durchsetzt von dunklen Waldstücken. Der Sarnersee, die Sarneraa, die sich als Ader durch die Landschaft zieht. Hier wurde Judith Albert 1969 geboren. Sie wuchs im benachbarten Alpnach auf. Im rustikalen Wohnzimmer (dessen Zeitlosigkeit die Künstlerin im Video Sonntag eine berührende Hommage widmete) gab es keinen Fernseher. Aber die phantasievolle Mutter erzählte jedem der vier Kinder vor dem Einschlafen ein eigenes (selbst erfundenes) Märchen. Das Lauschen und gleichzeitige Vorstellen von Bildern, die zwischen Wachen und Träumen ins Bewusstsein sickern und dort als Bestandteile einer zum Greifen nahen Wirklichkeit bleiben, ist auch für die Autorin, Übersetzerin und Dichterin Ilma Rakusa eine Quelle ihrer (Sprach-)Kreativität. «Warum nicht mit einer Erinnerung beginnen? Mit einer Erinnerung an das, was mein Verhältnis zur Literatur von Grund auf geprägt hat: an das Märchen. Wie heisst es doch: Im Anfang war das Wort. Ich wandle es ab. Am Anfang war das Märchen. Das Märchen am Abend, wenn ich zu Bett ging, das Märchen, wenn ich krank lag, das Märchen gelesen, das Märchen geträumt. Ich las nicht selber, nein, meine Mutter las mir vor, und oft so lange, bis ich darüber einschlief.»2 Judith Albert lebt seit vielen Jahren in Zürich. Aber regelmässig zieht sie eine Sehnsucht nach Sarnen. Die Verbundenheit mit der Landschaft ihrer Kindheit inspiriert viele ihrer (Video-)Ideen, ohne jede Sentimentalität. 2002 realisierte sie in einem Waldstück in Alpnach, wo sie als Kind oft gespielt hatte, die Audio-Installation Einheimisch: Die Spaziergänger wurden überrascht durch eine exotische Vogelstimme, die so gar nicht zum Gesang der heimischen Arten passte. Nach ein paar Schritten war der Spuk vorbei. In seiner Autobiographie (die schwedische Originalausgabe trägt den Titel «Laterna Magica») evoziert der Regisseur Ingmar Bergman Assoziationen an die Umgebung seiner Kindheit: «Ich kann die Landschaft meiner Kindheit noch immer durchstreifen und Licht, Düfte, Menschen, Räume, Augenblicke, Gesten, Tonfälle und Gegenstände wiederaufleben lassen. Es sind selten Episoden, über die sich etwas erzählen liesse, vielmehr kurze oder lange, wie absichtslos gedrehte Filme ohne Pointen.»3 Nach einer Berufslehre als Papeteristin, die ihr nahegelegt wurde, weil sie als Jugendliche Papier und Farben liebte, studierte Judith Albert von 1992 bis 1997 an den Schulen für Gestaltung und Kunst in Luzern und Zürich Bildende Kunst. Der aufbauenden Technik des Malens auf Leinwand zog sie das Zeichnen und vor allem das Trägermaterial des Videobandes vor. Die Möglichkeit, sofort und unbehindert auf dem kleinen seitlichen Bildschirm der Kamera das Geschaute zu beobachten, zu kontrollieren, zu fixieren. Dinge selbst auszuprobieren. Es gab (und gibt) keine vorgespurten ästhetischen Regeln. Vom ersten Augenblick an liebte sie die Videokamera, die ihr «wie angegossen» in der Hand lag und mit der sie autodidaktisch zu experimentieren begann. Sie wusste sehr bald sehr genau, was sie wollte: die künstlerische Freiheit nutzen und die Welt aus einem anderen Blickwinkel, aus ihrer eigenen Perspektive filmen. Die Diplomarbeit schrieb sie in Gedichtform und ergänzte sie visuell durch zwei konzeptuelle Installationen und fotografische Arbeiten. Transparente, mit Wasser gefüllte Ballons, dem Prozess des Verdunstens ausgeliefert. Ein weisses Objekt, das sich aus seinem temporären Schaum-Dasein herausatmet. Ein Videostill und eine Fotografie halten, schwarzweiss, zwei fragmentierte Selbstporträts fest. Ihr Gesicht unter dem Wasserspiegel, die weisse Stirn umkränzt von dunklen Haaren. Ihr Unterarm, bis zu den Fingergelenken von einem wassergetränkten Pelzstück umschlossen, wird zum greifbaren Meergetier. HISTOIRES D‘EAUX Das Element Wasser, das in den Arbeiten von Judith Albert von Anfang an auftaucht, ist als Metapher in der Kunst, in der Literatur und im Film eine eigene Wirklichkeit. Da Judith Albert schon früh einen fotografischen Blick hatte, seien zwei Beispiele aus der Film-Avantgarde erwähnt, die den fliessenden Übergang des realen Wasser-Schauplatzes zum Imaginären zeigen. Unter dem Eindruck des Gedichts L‘Etoile de Mer, das der Dichter Robert Desnos im Pariser Surrealisten-Kreis vorgetragen hatte, drehte der experimentierfreudige Fotograf Man Ray 1928 einen gleichnamigen kurzen Stummfilm. Er übersetzte seine Wahrnehmung der assoziativen Gedichtverse in fotopoetische Bilder. Das schöne Gesicht einer Frau im Spiegel, der plötzlich zersplittert. Die unscharfe Silhouette eines Mannes, der die Frau begehrt. Der fünfarmige stachlige Seestern wird als erotisches Motiv der angedeuteten Liebesgeschichte eingesetzt. Er tastet in häkelnden Bewegungen nach seinem Ursprungselement, das als glitzernde Projektionsfläche, alternierend mit Aufnahmen eines strömenden Flusses, eingeblendet wird.4 Im Hinblick auf den Filmzyklus Magick Lantern drehte der eigenwillige 26-jährige amerikanische (Kult-) Regisseur Kenneth Anger in den Wasserspiel-Gärten der Villa d‘Este in Tivoli 1953 den experimentellen Kurzfilm Eaux d‘Artifice. Eine märchenhafte Figur (schlaf-)wandelt zwischen perlenden Springbrunnen, sprühenden Fontänen, glitzernden Wasserflächen, denen sie sich nach und nach anverwandelt. Die traumhafte Szenerie wurde nachträglich in monochromes Blau eingefärbt. Kenneth Anger hatte als Kind im mystischen Film Ein Sommernachtstraum von Max Reinhardt ein Feenkind gespielt. Diese Erfahrung prägte sein Denken in (Film-)Bildern grundlegend. 1994, in einer Zeit, als andere junge Video-Künstler in aufwendigen computertechnisierten Video-Sound-Installationen schwelgten und Künstlerinnen im Girly-Ich delirierten, konzentrierte sich die damals 25-jährige Judith Albert auf ein unscheinbares Wasser-Motiv. Bei einem Gang durch Sarnen fällt ihr Blick auf einen vergitterten Abfluss, der überfliesst. Der Widerschein des blauen Vorhangs am benachbarten Fenster färbt das bewegte Wasser. Überfluss Ein bläuliches Rinnsal baut sich gurgelnd auf, verdichtet sich in seetiefes magisches Blau, changiert zu hellem Flechten- und dunklem Algengrün, zieht sich in metallisches Blau zurück. Für den Moment eines Augenblicks formt sich das Wasserspiel zum Oval eines Handspiegels. Diese frühe Videoarbeit zeigt ihre Begabung, eine intuitive Beobachtung einzufangen und in eine zeitliche und räumliche Begrenzung zu bringen. Ihre Fähigkeit, einen Augenblick zu etwas Dauerhaftem zu formen. Ihre Flexibilität, aufscheinende Schönheit zu sehen, zu formulieren, zu betonen. Das Video wurde 2003 durch Überfluss II ergänzt, die zeitliche Begrenzung aufgehoben: Die Kamera fixiert den offenen Mund der Künstlerin, in den ein endloser Wasserstrahl strömt. 1998 filmte sich Judith Albert unter Wasser. In einem Hallenbad. Livingroom In Lavendelblau und Gelb gekleidet, gleitet sie marionettenhaft auf den Poolgrund und richtet sich einen weichgepolsterten Platz ein. Die dunklen Puzzles der Häkeldecke buckeln sich im pulsierenden Wasser zum Schildkrötenpanzer. Ein narzissengelbes Tuch bewegt sich mit den choreographischen Gesten der Traumraum-Bewohnerin und mit dem Rhythmus ihres Atmens. Auftauchen, Luftholen, Abtauchen. Ruhepausen. Ins gelbe Tuch gehüllt träumerisch daliegen und mit der Zeigefingerspitze an die spiegelnde Wasserdecke stossen. Im Video System 02 porträtiert sich die Künstlerin ebenfalls unter Wasser. Sie atmet, mit hypnotisierendem Blick auf den Betrachter, in einen bazookafarbenen Ballon. Livingroom erreichte ein grosses Publikum. Es wurde in der Ausstellung Freie Sicht aufs Mittelmeer im Kunsthaus Zürich gezeigt. Seither sind die Videoarbeiten von Judith Albert regelmässig in thematischen internationalen Museumsausstellungen und in Galerien präsent. MAGISCHE SCHAUPLÄTZE: MALOJA. GENUA. HAIKU. SARNEN. Judith Albert hat einen klaren Blick und einen sicheren Sinn für Stimmungen in Landschaftsräumen. In ihren (Selbst-)Inszenierungen setzt sie die Schönheit natürlicher Formen und Farben in Beziehung zu sich selbst. Spielerisch eignet sie sich die Umgebung an, verwandelt sich ihr an. Oder umgekehrt: Sie findet in magischen (Natur-)Momenten ihre inneren, vorgestellten Bilder wieder. Das geschieht nicht spontan. Das präzise Konzept verlangt Distanz. Sie lässt sich von der (fixierten) Kamera filmen, als ob sie auf sich selbst hinabblickte, sich beim Spielen zusähe. Wie eine Schauspielerin, der eine Rolle sehr nahe ist, zu der sie aber die nötige Distanz bewahren muss, um glaubwürdig zu sein. Wie das lyrische Ich in einem Gedicht, das sich vom dichtenden Ich nuancenreich unterscheidet. (Sich) Filmen ist für Judith Albert eine andere Art zu sein. In den Jahren 2000 bis 2004 war Judith Albert in der Welt unterwegs. Und kehrte nach Sarnen zurück. Im Sommer 2000 lebte und arbeitete sie als Stipendiatin von Visarte in Maloja. Hier malte Giovanni Segantini von 1894 bis 1899 das Verschmelzen von Licht, Luft, Farben und Stimmungen der Engadiner Seen-Landschaft. Ein vollkommener Tag. Die Heuernte ist in glänzende weisse Plastikfolie gehüllt, die der starke Wind in launenhaften Stössen in den strahlenden Himmel bauscht. Das feste Grau des majestätischen Berges. Wie aus dem Nichts erscheint die Künstlerin auf der Landschaftsbühne. Modell für einen blauen Berg In Schwarz und Orange gekleidet, betritt sie eine Szenerie aus reinstem Blau und Weiss. Akrobatisch schreitet sie über die wogenden rauschenden Schaumwellen. Hüllt sich in ein mondrianblaues Tuch und fügt sich als kolorierte Skulptur in die Schönheit der Bergwelt. 2002 wohnte Judith Albert in Genua, im Atelier der Stadt Zürich. Sie liebte die Atmosphäre der Stadt auf den ersten Blick. Der Alte Hafen. Der Hauch von Orient. Der Himmel. Das Meer. Seine Bewohner. Ihr Zimmer schaute auf eine Altstadtgasse und ein winziges Stück Meer. Durch das offene Fenster dringen geschäftige Geräusche, (Gerüche?), sonore Stimmen, der Anfang eines Liedes. Eine leichte Meeresbrise schwingt den Vorhang (ein «antikes» Bettlaken) sanft vor und zurück. Die belebte Schönheit des italienischen Alltags. Die Kamera fixiert den bewegten Stoff. Pomeriggio Das Nachmittagslicht malt eine bebende, helle Fläche auf den elfenbeinfarbenen Grund. Das rhythmische Schweben des Tuches hüllt den Bildraum (und den Körper des Betrachters) in eine Atmosphäre von meditativer Feierlichkeit. Das Verschmelzen von mediterranem Licht mit den Farben des Meeres inspirierte Judith Albert zu einer Serie von surrealen artifiziellen Farbfotografien. Lupennah fokussierte sie im Atelier das Spiel ihrer Hände im wassergefüllten Aquariumsglas. Die wassertropfen-beperlte Epidermis des Handrückens mutiert zur genoppten Oberfläche eines rosaroten Seesterns. Der Daumen wird zum orangen glitschigen Meergetier, das über den Wasserspiegel äugt. Die (abergläubische) Unbeschwertheit des Genueser Alltags verführte sie zu den Capricci del destino: Zusammen mit der Künstlerin Barbara Gschwind bedruckte sie Hunderte von Zettelchen mit poetischen, wortspielerischen Sprachbildern. Als zusammengerollte bonbonfarbene Glücks-Lose zirkulierten sie unter den Einheimischen, die beim Lesen der Botschaften mit neuen Aspekten ihres Genua-Bildes überrascht wurden. Das Glücks- und Schicksals-Los holte auch Judith Albert ein. Glücks-Los: Sie gewinnt eine Reise nach Malaga. Aus dem Flugzeugfenster filmt sie die grüne Ausdehnung der Erdfläche, durchsetzt von blauen Adern und gestaltet das Beobachtete zum Video Kein Wasser, kein Mond (2004). Schicksals-Los: Mister Sarnen aus Haiku, einem (touristischen Traumziel-)Ort auf Hawaii, ruft in Sarnen an. Er wolle endlich den Herkunftsort seines Namens kennenlernen. Ein Orts- und Wohnungstausch wird vereinbart. 2003 war Mister Sarnen in Sarnen und Judith Albert in Haiku, Hawaii. Am Strand. Hawaii Im schwarzen Kleid betritt sie die von dunklen Bäumen gesäumte Inselkulisse. Setzt sich in den Sand, pulvrigweiss wie die Mondoberfläche. Zum Sound der Wellen, die anrollen und sich langsam in sich selbst zurückziehen, umhüllt sie sich von den Hand- bis zu den Fussgelenken sorgsam mit exotischen Blütengirlanden. Verwandelt sich in eine hawaiianische Blumeninsel in der knochenweissen Sandlandschaft. 2004 liess sich Judith Albert beim Dialog mit ihrem Spiegelbild vom Kameraauge (und vom Betrachter) über die Schulter blicken. Eine Gartenlauben-Idylle an einer Uferböschung der Sarneraa. Ein paradiesischer Tag. Am Wasser Beleuchtet vom Sonnenlicht, umkränzt vom Blattwerk der Bäume, sitzt sie in einem farbschimmernden Kleid, gebändert wie Libellenflügel, auf den Steinfliesen. Der Spiegel wirft ein Echo des prächtig inszenierten Körperbildes zurück. Seine makellose Glätte verfliesst mit dem strömenden Flusswasser. Ein kristallklarer Sommertagtraum. Ein ewiger Augenblick im Strom der Zeit. Die Videobilder von Judith Albert leben auf den ersten Blick von der schönen (Farb-)Oberfläche. Beim genauen Betrachten kristallisiert sich heraus, was diese Bilder von innen her bewegt. Sie visualisieren die fliessenden Übergänge von Aussenwelt zu Innenwelt. Von Realität zu Imagination. Von Bewegung zu Erstarrung. Von Natur zu Kunst. Momente visueller Wirklichkeit werden an der Schwelle zur Dämmerung, zur Nacht eingefangen. Der reale (Landschafts-)Raum wird mit träumerischer Vision gefüllt. Eine filmische Bewegung von Bildern, die individuelle Assoziationen und Geschichten der Betrachter in Gang setzt. Judith Albert filmt die lichtgesprenkelte Oberfläche eines Bergsees in der Mittagssonne. Mit geschlossener Blende. Heimlich zur Nacht Der Tag wird zur Nacht. Die glitzernde Wasserfläche verwandelt sich in einen sternenbestreuten Nachthimmel. Eine Dünenlandschaft in Südfrankreich. Die vage Zeit zwischen Abenddämmerung und Nacht, die im Französischen als «l‘heure bleue» bezeichnet wird. Judith Albert streut kleine Lämpchen in den losen Sand. In der Nachbearbeitung des Videos werden Anfang und Schluss der märchenhaften Szene vertauscht. Handzahm Als silhouettenhafte, dunkle Traumgestalt gleitet sie in die Dämmerung, die von einer flimmernden, funkelnden Lichterkette erleuchtet wird. Wie von einem magischen Zauberfaden gelenkt, gleiten ihr die Leuchtkörperchen in die Hand. Feenhafte Gesten. Sirrende Zikadenstimmen. Seit 1994 hat Judith Albert aus 122 Stunden Filmmaterial rund dreissig Videoarbeiten gestaltet. Die Ruhe und die Sorgfalt, mit der die Künstlerin eine Intuition gedanklich formuliert, sie in (magische) Bilder inszeniert und in eine stringente Form bringt, verleiht diesen malerischen Videobildern jene besondere Form von Schönheit und Zeitlosigkeit, die einem gut gebauten Gedicht eigen ist. Zwischen der Zeit Als Vermeer-Modell (narzissengelbes Shirt, samtblauer Rock) steht sie im holländischen (rustikalen) Interieur. Sie giesst aus einem irdenen Krug Milch in eine tiefe Schale. Endlos strömt der weisse Strahl durch das zeitlose Bild. 1 2 3 4 Vgl. Peter von Matt: Sarah Kirschs bukolische Sendung, in: Die verdächtige Pracht. Über Dichter und Gedichte, München 1998, S. 277f. Ilma Rakusa: Farbband und Randfigur. Vorlesungen zur Poetik, Graz/Wien 1994, S. 5. Ingmar Bergman: Mein Leben, Reinbek bei Hamburg 1992, S. 21. Vgl. Man Ray: Selbstporträt, München 1983, S. 263f. Ingrid Textor The Appropriating Gaze On Judith Albert’s video works Judith Albert has an outspoken affinity for poetry, for the moods it evokes. She adores bodily language, metaphors, nuances, ambiguities, the sonorous rhythms of visual speech that are characteristic of her own diction. She is an admirer of the German writer Sarah Kirsch, whose sober way with lyrical language has become known to cognoscenti as the “Sarah Sound”. The poet herself calls the material out of which she produces her lyrical inventions her “green dreamstuff ”, by which she means that her poems were inspired by observing nature in its various phases, and transforming these into oneiric images. Or to put it another way, Kirsch projects her phantasies into images of the actual landscape before her.1 The creation of one of Albert’s videos resembles the birth of a poem. In the beginning is the word, a word-picture, a remembered fragment of a dream. A set of vague images thickens into a title-word, a concept. A sketch makes clear the careful staging of the image presented. The object under observation sharpens in focus as the filming proceeds, the duration of the gaze is fixed and the field of the image to be shown is delimited. The video-tape is meticulously post-processed on a computer, a process which isolates and emphasises key emotional moments by means of tiny manipulations. The look and authentic sound are structured and harmonised. A space for viewing and listening is made accessible, with sharp outlines. In 1999 Albert made five short videos with the collective title Haiku. With its crystalline brittleness, the timeless Japanese poetic form renders visual the aura of natural themes across the change of seasons, all in one single tercet. Albert compressed the material of her Haiku cycle, filmed on three different locations, into one-and-a-half minutes per video. Southern India: the meditative, spiritually stimulating silence (of an ashram). Confusing play of people and voices. The tropical light, which intensifies all colours. The ocean. Central Switzerland: the landscape. A summer’s day. An icy grey day of rain. An interior: the cheerful colours of the room are reflected in a fragile water glass. The five Haiku pieces combine observation and simultaneous individual sensitivity into lyrical images: Haiku 1 (Fischer [Fisherman]) The splintered contour of a dark silhouette glides in front of a shimmering veil of light. Haiku 2 (Wasserglas [Water glass]) The palette of dancing watercolours comes together to create a circular aquarelle. Haiku 3 (Krähen [Crows]) The silence of undulating black and white, filled with the back and forth of sibilant voices. Haiku 4 (Hände [Hands]) As in a pantomime, hands outstretched with rigid fingers feel their way through sunshine-dappled grass and become migratory birds in the blinding light. Haiku 5 (Regen [Rain]) A roaring field of drizzle above walls beset by climbing plants dissolves into black. ORIENTATION Sarnen from the air is a sea of green and blue: the hilly meadows shot through with shadowy copses. The Lake of Sarnen, whose outlet, known as the Sarneraa, traverses the countryside like an artery. It was here that Judith Albert was born, in 1969. She grew up in the neighbouring village of Alpnach. There was no television in the country living room (the artist has paid moving homage to the timelessness of this place in her video Sonntag [Sunday]). Instead, Albert’s mother would tell each of her four children a different original fairy tale at night before they went to sleep. Listening as one drifts between waking and dreaming states and allowing images to trickle into one’s consciousness, there to become the elements of a palpable reality – this is also a source of (linguistic) creativity for Ilma Rakusa, the author, translator and poet. “Why not begin with a memory? With a memory of the profoundest influence on my relationship to literature: the fairy tale. How does it go again: in the beginning was the word. I will change it to: in the beginning was the fairy tale. A fairy tale of an evening when I was going to bed, a fairy tale when I was ill, a fairy tale read aloud, a fairy tale in my dreams. I did not read to myself, no, my mother read to me, often until I fell asleep.”2 Although Albert has lived in Zurich for many years, she is regularly beset by a longing to return to Sarnen. Many of the ideas for her video works were inspired by her attachment to the local landscape, without, however, becoming sentimental. In 2002 she created the audio-installation Einheimisch [Native] in a forest in Alpnach where she had played as a child. Out on a stroll, her characters are surprised to hear an exotic bird, completely out of place among the local varieties. The song lasts only briefly, and then fades away as the wanderers pass. The director Ingmar Bergman has spoken of his own early surroundings (in his autobiography with the Swedish title Laterna Magica): “I can still traverse the landscape of my childhood, still evoke its light, its scent, its people, spaces, moments, gestures, modes and objects. These are seldom episodes out of which one could build a narrative, rather they might supply the material for aimless films, whether short or long, as it were without any particular intention.”3 Following her training as a stationer, which she was urged to pursue on account of her youthful love of paper and paint, Albert went on to study Visual Arts at the Lucerne and Zurich Schools of Art and Design from 1992 until 1997. She preferred the immediacy of drawing to the gradual process of applying paint to a canvas, and was particularly drawn to the medium of video, with its power to observe, control and preserve objects captured in the camera’s little side-screen, and to do so immediately and unimpeded. It made it possible to experiment. There were no received aesthetic precepts, a situation that continues to this day. It was love at first sight, with this video-camera that fitted into her hand “as if it had been made for it”, and she began to try things out, her own teacher. She soon knew exactly what she wanted: to make use of her artistic freedom by filming the world from a different angle, from her own perspective. She submitted her thesis in the form of poetry, supplemented by photographic works as well as by two conceptual installations: transparent, water-filled balloons, subjected to a process of evaporation; and a white object, breathing its way out of its temporary foamy existence. In a video-still and one photograph, two fragmented self-portraits are preserved in black and white: her face under water, her white brow wreathed with dark hair. Her underarm, wrapped in water-logged fur up to the finger-joints, takes on the vivid shape of a sea-creature. HISTOIRES D‘EAUX Water, an element which has appeared in Albert’s works from the very beginning, enjoys its own metaphorical reality in art, literature and film. Albert exhibited early on a photographer’s eye, and thus two examples from the history of avant-garde cinema may demonstrate the way that water can flow over from its actual environment into the world of the imaginary. Man Ray, a photographer always keen to experiment, made his short silent film L‘Etoile de Mer in 1928, inspired by the poem of the same name presented by Robert Desnos to the Parisian Surrealists. The film uses photo-poetic images to convey Ray’s perception of Desnos’ associative verses: a woman’s beautiful face in the mirror, suddenly bursting into fragments. A man’s blurry silhouette, filled with desire for the woman. A five-armed prickly starfish is used as an erotic motif for the love story sketched out here. In a series of zigzagging movements, it feels its way towards its original element, which is faded into the scene as a glittering surface for projections, alternating with views of a river in torrent.4 Later, in 1953, as part of his Magick Lantern cycle, the maverick U.S. director Kenneth Anger, who was to go on to become a cult icon, made his experimental short film Eaux d‘Artifice among the ornamental fountains in the gardens of the Villa d‘Este in Tivoli. A fairy-tale figure (sleep)walks through the shimmering play of fountain jets, the glittering surfaces of basins, itself gradually becoming one with them. The dream-like backdrops were tinted in monochrome blue on the celluloid. When young, Anger had played a child in Max Reinhardt’s mystical filming of A Midsummer Night’s Dream, an experience that was to lay the groundwork for his visual imagination, particularly as a film-maker. For her part, in 1994, while her young colleagues were wallowing in elaborate computerised video-sound-installations and female artists in general were celebrating their “girly” selves, Albert, then 25 years old, had found herself an unlikely topos: water. Out for a walk in Sarnen, she happened to notice an overflowing gully, its outlet barred. The reflection of a blue curtain hung in a nearby window coloured the moving water. Überfluss [Overflow] A bluish trickle gurgles as it grows, deepens to a magic bottom-of-the ocean blue, transforms itself to sport bright lichen and dark seaweed green, returns again to metal-blue. A moment long, the length of time it takes to glimpse, the play of water forms itself into the oval of a handheld mirror. In this early video work, Albert demonstrates her gift for capturing what she has observed as if by intuition, and marshalling it within the limits of both time and space: her ability to mould a moment into something lasting. Her versatile detection of emerging beauty, her way with its formulation and pointed expression. The video was supplemented in 2003 by Überfluss II [Overflow II], which also raises the temporal barrier: the camera fixes on the artist’s open mouth as it receives an endless stream of water. In 1998 Albert filmed herself under water. In an indoor swimming pool. Livingroom Clad in lavender blue and yellow, she glides like a marionette along the bottom of the pool until she finds a comfortable place among the cushions. The dark puzzles of the crocheted throw form a series of bulges in the pulsing water, like a turtle’s shell. A cloth the yellow of narcissus billows in a choreography set by the inhabitant of this dream-space, in time to the rhythm of her breath. Surface for air, re-submerge. Take a break. Lie there swaddled and dreaming in the yellow fabric, plunging the tip of an index finger into the water’s reflective meniscus. In her video System 02, the artist produces another submarine self-portrait. Her gaze fixed hypnotically on the viewer, she breathes into a balloon the colour of bubblegum. Livingroom enjoyed a wide reception. It was shown as part of the exhibit Freie Sicht aufs Mittelmeer [A clear view of the Mediterranean] at the Zurich Kunsthaus. Since then Albert’s video works have been regular features at thematic international museum shows and at galleries. MAGICAL LOCATIONS: MALOJA. GENOA. HAIKU. SARNEN. Albert has a clear gaze and a sure nose for the moods of landscape spaces. Her installations, which effectively stage her own identity, establish a relationship between herself and the beauty of natural shapes and colours. She appropriates her environment playfully; playfully she transforms herself in its image. Or rather, she discovers her own private images within these magical (natural) moments. None of this happens by accident. Her meticulous conception requires distance: she appears before her (fixed) camera and films herself as if gazing down from above, observing herself at play. As if she were an actress playing an extremely familiar role while having to maintain the distance necessary to remain credible. As if hers were the first-person voice of a poem, subtly distinct from the poet’s “I”. For Albert, filming (herself) is another way of being. Albert spent the period between 2000 and 2004 flying around the globe – before returning to Sarnen. She spent the summer of 2000 living and working as a Visarte fellow in Maloja, where Giovanni Segantini painted the amalgam of light, air, colour and mood that was the Engadine lake country between 1894 and 1899. A perfect day. The fruits of the haymakers’ toil have been wrapped in glistening white plastic, which a brisk wind is billowing up to a radiant heaven in a series of moody gusts. The solid grey of the mountain‘s majesty. The artist appears as if out of nowhere on this stage that is the landscape. Modell für einen blauen Berg [Model for a blue mountain] She steps onto the scene, a figure dressed in black and orange against its pristine blue and white. She strides like an acrobat across the surging, sighing waves of foam. Shrouded in a Mondrian-like blue, she adds herself, a coloured sculpture, to the beauty of the alpine world. Albert spent 2002 living in an atelier in Genoa, a stay sponsored by the city of Zurich. She fell in love with the city’s atmosphere at first sight: its Old Harbour, its hint of the orient, its sky, its sea, its people. Her room looked out upon the old town streets and a tiny strip of the Mediterranean. Through her open window penetrate the sounds (and smells?) of the working world, sonorous voices, the beginning of a song. A mild sea breeze gently raises the curtain (an “ancient” bed-sheet) and just as gently drops it back in place. The lively beauty of an ordinary Italian day. The camera fastens on the restless cloth. Pomeriggio The afternoon light daubs a bright tremulous patch upon the ivory-coloured ground. The rhythmic swaying of the cloth enfolds the picture’s field (and the viewer‘s body) in an atmosphere of meditative ceremony (ill. p. 14). The melding of Mediterranean light with the colours of the ocean inspired Albert to produce a series of surreally artificial colour photographs. In her studio, she would focus intensely on the play of her hands in an aquarium full of water. The skin on the back of her hands, flecked with tiny water-drops, would mutate into the nubbly exoskeleton of a pink starfish, her thumb into a slippery orange sea creature spying its way across the surface of the water (ill. p. 16). Everyday life in Genoa, its easygoing style tempered with superstition, seduced Albert into her Capricci del destino: together with the artist Barbara Gschwind she printed hundreds of little pamphlets filled with playful concrete verse on colourful paper, rolled them into tiny lottery scrolls, and circulated them among the locals, who were thus treated to surprising new perspectives on their own image of the city. Albert has herself been known to join in the lottery – and win. Such things as a trip to Malaga. She filmed the blue-veined, green extent of the earth from her airplane window, and produced her 2004 video Kein Wasser, kein Mond [No water, no moon]. And then there was Mister Sarnen from Haiku, a tourists’ Mecca in Hawaii, who called her in Sarnen to find out the provenance of his name. The two agreed to an apartment exchange, and so it was that in 2003, Mister Sarnen was in Sarnen and Judith Albert was in Haiku, Hawaii. On the beach. Hawaii In her black dress, she enters the island scene strewn with dark trees. Sits down in the sand, powdery and white like the bright side of the moon. To the sound of the waves rolling up and slowly receding upon themselves she carefully wraps herself from wrist to ankle in exotic floral garlands. Transforms herself into a Hawaiian floral isle in the white-as-bone sandscape. In 2004 Albert allowed the camera (and her viewer) to spy on her dialogue with her own reflection in the mirror. A bucolic idyll by the banks of the Sarneraa. A day in Paradise. Am Wasser [By the water] Illuminated by the sunlight and wreathed in the foliage of the trees, she sits in her shimmering coloured dress, striated like the wings of a dragonfly, on the flagstones. The mirror echoes her body’s splendid staging. Its impeccable smoothness flows together with the streaming water of the river. A crystal-clear summer daydream. An eternal moment in the stream of time. Judith Albert’s video images come immediately alive with the beauty of their (coloured) surfaces. Upon closer inspection they reveal what animates them: they make visible the flowing transition from outer world to inner, from reality to imagination. From motion to rigidity. From nature to art. Moments of visual reality are captured as they are about to fade into twilight, and thence into night. The real space (of the landscape) is filled with a dream-like vision. A cinematic flood of images that elicit the viewer’s private history and associations. Albert films the light-dappled surface of an alpine lake in the midday sun. Through a filter. Heimlich zur Nacht [Secretly to night] Day becomes night. The glittering surface of the water becomes a star-strewn night sky. A landscape with dunes in Southern France. The time: somewhere between twilight and night, what the French call “l‘heure bleue”. Albert sprinkles the loose sand with tiny lanterns. Beginning and end of the fairy tale-like scene are interchanged in post-production. Handzahm [Eating out of your hand] A dark silhouette, she glides through the scene like a figure in a dream. The twilight is made bright with a flickering, sparkling chain of candles. As if led by a magical thread, the lamps drift from her hand. Fairy-like gestures. The buzzing of the cicadas’ voices . Since 1994, Judith Albert has produced some thirty video works from 122 hours of film footage. Her calm and her precision as an artist who transforms intuition into intellectual thought, (magical) images and stringent form give her videos the specific beauty and timelessness typical of a well-made poem. Zwischen der Zeit [Twilight] She stands, a Vermeer model (narcissus-yellow shirt, velvet-blue skirt), in a Dutch (country) interior. She is pouring milk from an earthenware jug into a deep bowl. The white stream descends endlessly through the timeless scene. 1 Peter von Matt, Sarah Kirschs bukolische Sendung, Die verdächtige Pracht. Über Dichter und Gedichte, Munich 1998, pp. 277–8. 2 Ilma Rakusa, Farbband und Randfigur. Vorlesungen zur Poetik, Graz & Vienna 1994, p. 5. 3 Cf. Ingmar Bergman, The Magic Lantern: An Autobiography, trans. Joan Tate, Viking 1988. 4 Man Ray, Selbstporträt, Munich 1983, pp. 263–4. Regine Helbling ALLTÄGLICHES UND BESONDERES Einige Elemente in Judith Alberts Bildsprache Welche Farbe hat Vermeer? Dunkelgrün oder eher hellgrün – ein «verde molto chiaro»? Giotto ist eindeutig schwarz, Henri Matisse rosa, und Bruce Nauman pendelt sich zwischen beige und einem schmutzigen Weiss ein. In Judith Alberts Videoarbeit Gloria geht es um Farben Die Künstlerin lernte in Genua eine Frau – eben Gloria – kennen, die von sich sagt, dass sie zu jedem Namen eine Farbe sehe, eine ganz bestimmte und immer die gleiche. Diese Eigenheit hat Judith Albert zum Inhalt ihres Videos gemacht. Gloria rollt verschieden farbige Zettelchen, kleine Lose, auseinander, und es erscheinen die Namen von berühmten Künstlerinnen und Künstlern. Sie spricht jeden Namen aus und nennt dazu eine Farbe. Ein Spiel zwischen Betrachter und der Stimme beginnt: Man gibt den Namen in Gedanken selber Farben und vergleicht sie mit denen von Gloria. Sieht man Arnold Böcklin auch als «marrone»? Durchaus. Doch ist Caspar David Friedrich wirklich gelb? Assoziiert Gloria – wie man selbst – die Farben mit der zum Namen gehörenden Kunst oder allein mit seinem Klang? Eher letzteres; sie kennt die meisten Künstler nicht. Farbe und Handlung Die Farbe ist ein bestimmendes Element in Judith Alberts Arbeit. Es zieht sich durch eine ganze Reihe von Videos, ist aber nirgends so explizit das Thema wie in Gloria. Hier bestimmt die Farbe die Handlung – weniger durch die bunten Lose im Bild, als über die Tonspur. Die Stimme erzeugt die Vorstellung von ihr. Ton und Bild stehen mindestens gleichwertig nebeneinander, während in den anderen Videos oft nur Umgebungsgeräusche die visuelle Ebene ergänzen. Am Wasser: Eine Frau – Judith Albert selber – sitzt in einem Garten auf dem Boden. Sie ist eingerahmt von grünem Laub, neben ihr liegen einige Pfirsiche. Kaum sieht man, dass ein Spiegel vor ihr steht. Es ist sonnig, die Grün- und Orangetöne flimmern und im Zentrum blickt man auf den Rücken der Frau in gelb-orange-türkis gestreiftem Kleid. Das Bild scheint still zu stehen; ausser der Bewegung der Blätter ist kaum eine Veränderung wahrzunehmen. Doch plötzlich erkennt man, dass nackter Rücken sichtbar geworden ist. Der Reissverschluss des Kleids öffnet sich langsam wie von selbst. Ein kleiner, unscheinbarer Vorgang. Es ist ein langsam sich veränderndes Stillleben, eine Szene, wie man sie aus der Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts zu kennen glaubt – mit ihrer ganzen erotischen Aufladung. Manets Déjeuner sur l’herbe taucht vielleicht vor dem inneren Auge auf. Eine ähnliche Lichtung mit Wasser, im Vordergrund die nackte Frau, daneben der Korb mit Früchten. Die Frau im Hintergrund könnte man durch das Spiegelbild, das quasi im Wasser steht, ersetzt sehen, und der sich öffnende Reissverschluss impliziert den Gedanken von Nacktheit. Die Männerfiguren fehlen, die Szene ist intimer; was bleibt, ist das dominierende Grün, die sommerliche Stimmung. Das Bild ruht in sich – fast. Eine wesentliche Aufgabe des Mediums Video, des Films, ist es den Ablauf von Handlung festzuhalten. Hier nähert sich die Langsamkeit dem Stillstand des gemalten Bildes an. Und doch öffnet sich der Reissverschluss immer wieder. Hawaii: Noch einmal spielen Farbe und Handlung zusammen eine Rolle. Ein Stück Strand, der Blick ist nicht auf das Meer gerichtet, das man nur im Hintergrund hört, sondern auf ein dunkles Wäldchen kahler Bäume. Aus ihm erscheint Judith Albert mit zwei Plastiktüten und setzt sich in den Sand. Sie beginnt Ketten aus Seiden-Blumen auszupacken und sich damit zu bedecken, bis sie kaum mehr zu sehen ist. Dafür ist da vielleicht ein Grab mit Blumen – nicht mit echten, vergänglichen, wie man sie bei Reisen nach Hawaii bereits am Flughafen geschenkt bekommt, sondern mit künstlichen Blumenketten. Assoziationen stellen sich ein – mit katholischen Ritualen oder gar mit der hinduistischen Witwenverbrennung «Sathi». Hier wird Geschichte erzählt und symbolisch aufgeladen. Es ist nicht die kleine, verzauberte Alltäglichkeit von Am Wasser und auch nicht das eher spröde Zuordnen von Farben und Namen – die Handlung ist bedeutungsschwanger. Obwohl im Grunde einfach und unspektakulär erhält sie – nicht zuletzt wieder durch die Farben – grosses Gewicht. Nur die Blumen sind von starken Rot- und Gelbtönen in einer schwarz-weissen Umgebung. Die Bäume und das Kleid der Künstlerin sind schwarz, der Sand und die Tüten, die irgendwann vom Wind davongetragen werden, sind weiss. Handlung und Konzept Judith Albert ist meistens die einzige Person in ihren Videos – gefilmt von einer fest installierten Kamera. Sie ist gleichzeitig Subjekt und Objekt, handelnde Person und Abbild. In einer ihrer neusten Arbeiten – Elixier – tritt sie mit einem Gegenüber auf. Sie führt ein Glas an den Mund, und eine durchsichtige Flüssigkeit entleert sich aus ihr – eben das Elixier. Sie reicht das nun volle Glas einer anonymen Hand. (Soweit beschreibt Judith Albert den Inhalt des Videos; es ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Es kann sein, dass es sich in nächster Zeit weiter entwickelt und am Ende ganz anders aussieht.) Die Künstlerin gibt sich in Elixier eine Rolle, die durch ihre Handlung einer anderen Person gegenüber definiert ist. Sie wird zur Magierin, deren Körperflüssigkeit vielleicht Heilung verspricht, vielleicht Kräfte verleiht, vielleicht glücklich macht. Handlung wird – stärker noch als in Hawaii – mit neuer Bedeutung aufgeladen. Dagegen die Via XX settembre, eine Strasse in Genua, an der Judith Alberts Lieblingsbettler immer sitzt. Lieblingsbettler deshalb, weil er eine so schöne grüne Schachtel in der Hand hält – die Farbe scheint auch hier wieder kurz auf. Judith Albert filmte ihn aus gebührendem Abstand, ohne dass er es bemerkt hat. Sie wahrt seine Anonymität, indem sie den Kopf nicht ins Bild bringt; so sieht man den schwarz gekleideten Körper auf dem Boden sitzen, lange Zeit regungslos, nur die Schachtel mit der Hand schüttelnd oder sich an den Füssen kratzend. Einmal steht der Mann auf und geht weg, lässt seine Schachtel mit dem Geld stehen, kommt nach einer Weile wieder zurück. Dicht an diesem ruhenden Pol im Strassengewimmel gehen Leute vorbei, berühren ihn manchmal fast. Die einen sind allein und in Eile, die anderen schlendern zu zweit, an einem Eis schleckend. Kaum jemand scheint den Bettler zu bemerken, kaum jemand wirft eine Münze in die schöne Schachtel. Die kleine, alltägliche Szene interessiert Judith Albert, das Bild einer Strasse, die durch den Bettler Bedeutung erhält. Eine Handlung im Sinn einer erzählten Geschichte ist verschwunden, es ist eine zeitlose Situation, wie Judith Albert sie angetroffen hat; für einmal nicht eine, die sie stellt. Und es ist eine der wenigen Arbeiten, in der sie nicht selber auftritt. Sie nimmt sich ganz aus dem Bild und aus der Handlung, wird von der Hauptperson nicht einmal wahrgenommen. Beinahe dokumentarischen Charakter erhalten die Aufnahmen von Alltagsszenen, in denen sich Judith Albert bewegt – in Sarnen, Zürich oder Genua, in der Natur oder in der Stadt, auf Strassen oder in Wohnungen, tagsüber oder nachts. Mit Verwandten und Bekannten oder zwischen fremden Menschen. Sie stellt die Kamera auf und filmt ungefähr eine Minute lang das Leben, das sich zufällig abspielt. Die Konstanten dieser Arbeit sind ihre Arme und Hände, die sie vor die Kamera hält – in der Ausstellung werden je eine Szene mit der Rechten und der Linken nebeneinander projiziert. Sie hängen ruhig von oben ins Bild, während der Hintergrund in Bewegung ist. Judith Albert ist präsent ohne ganz im Bild zu sein, eine untätige Präsenz, die ihr scheinbar ermöglicht, an zwei Orten gleichzeitig zu sein. Gleichzeitig ist auch der Titel, und der Untertitel könnte in etwa lauten: «Orte, an denen ich glücklich war». Es ist eine Arbeit, die möglicherweise viele Betrachter ansprechen wird; sie fühlen sich heimisch durch Orte, die sie wieder erkennen und an denen sie sich selber gerne bewegen, durch Menschen, die ihnen bekannt sind, und vielleicht tauchen sie selber oder ihre Kinder für eine kurze Zeit im Bild auf. Das Konzept der Via XX settembre wird auf die eigene Umgebung, den eigenen Alltag übertragen. Konzept und Poesie Judith Alberts Videoarbeiten haben eine unverwechselbare Handschrift, man erkennt ihre Form- oder Filmsprache, auch wenn sie als Person nicht selber im Bild ist. Und doch gibt es verschiedene Intentionen, feine Unterschiede in der Haltung, im Konzept. Versuchen wir einige Elemente, die in den Videos von Judith Albert eine Rolle spielen, zu benennen: Da gibt es Handlungen, kleine Geschichten, die erzählt werden, der Ablauf eines Geschehens mit einem Anfang und einem Ende. Häufig sind sie symbolisch aufgeladen. Der Reissverschluss, der sich langsam öffnet und einen nackten Rücken offenbart, die Künstlerin, die sich selber zu Grabe legt und mit Blumen bedeckt oder ihren Körpersaft einem Gegenüber als Heilmittel anbietet. Daneben gibt es Alltagssituationen, die wie zufällig gefilmt werden, eine Zeitspanne, die an irgendeinem Tag an irgendeinem Ort herausgegriffen wird. Via XX settembre und Gleichzeitig stehen dafür; der Betrachter findet sich unversehens vor einer Szene, kann verharren oder weitergehen. Allerdings sind die Ausschnitte von Judith Albert sorgfältig arrangiert und mit Bedacht hintereinander geschnitten. Sie lenkt den Blick auf den anonymen Bettler oder bringt sich selber durch die Überlagerung von Orten mit ihren Händen wieder ins Bild – als ruhenden Pol, allgegenwärtig und überall präsent. Darüber hinaus wird der Alltag durch die verlangsamten Bewegungen leicht verfremdet. Das Moment der Unmittelbarkeit wird zurückgenommen. Gerade das scheinbar Zufällige, das Unscheinbare, Unspektakuläre, Alltägliche interessiert Judith Albert in ihren Arbeiten, ist Teil ihres Konzepts. Auch dem noch so selbstverständlich wirkenden Ablauf liegt eine Idee und ein Hinarbeiten auf höchste Präzision zu Grunde. Besonders offensichtlich ist der konzeptuelle Ansatz in Gloria: Die eigentliche Geschichte findet in der Vorstellung statt – einerseits in der von Gloria, andererseits im eigenen Kopf. Es ist vielleicht die Arbeit, in der die Visualisierung eines Gedankens am ausgeprägtesten ist. Es ist aber Bestandteil aller Arbeiten, dass die Vorstellung des Betrachters angeregt und Assoziationen freigesetzt werden. Was ist das für ein Elixier, was bedeuten die Blumen oder Hände, und welche Rolle nimmt die Protagonistin ein? Und es gibt ein weiteres Element in Judith Alberts Videoarbeiten, das man «poetisch» nennen könnte. Oft steht eine Stimmung im Vordergrund, die einen die konzeptuelle Anlage für einen Moment vergessen lässt – oder vielleicht besser: Die präzise Ausarbeitung wird nicht als das wahrgenommen; es werden Gefühle wachgerufen. Die in sich ruhende Frau am Wasser vermittelt Ruhe und Beschaulichkeit mit etwas Erotik. Die Farben sind wichtig: das Grün des Sommers oder die Buntheit der Blumen in einer farblosen Umgebung. In ihren Haikus hat sich Judith Albert explizit auf die japanische Gedichtform bezogen, ihre Liebe zur Lyrik bleibt auch in ihren neusten Arbeiten sichtbar. Judith Alberts Videos sind zum jetzigen Zeitpunkt noch im Fluss (vielleicht überhaupt ein passender Begriff für ihr Werk) – immer wieder werden neue Aufnahmen gemacht und das gefilmte Material neu geschnitten, Ausschnitte verändert. Einige der Arbeiten werden in der Ausstellung so oder ähnlich aussehen wie hier beschrieben, andere vielleicht ganz anders. Die Bildsprache der Künstlerin, die vom Blick auf Details lebt, wird ihnen aber eigen sein. Man könnte auch von einer Bescheidenheit, der alles Laute und Aufgeblasene widersteht, sprechen. Judith Albert liebt zwar, wie sie sagt, das Pathetische und setzt doch alles daran um es in ihren Arbeiten zu vermeiden. Umso wichtiger ist die Präzision, mit der sie die kleinen Geschichten erzählt, die Genauigkeit und Treffsicherheit, die jedes Konzept verlangt. Und jede Poesie. Regine Helbling EVERYDAY AND EXTRAORDINARY Some elements of Judith Albert’s visual vocabulary What colour is Vermeer – is he dark green, or is he light green, “verde molto chiaro”? Giotto is obviously black, Henri Matisse is pink, and Bruce Nauman oscillates between beige and off-white. Judith Albert’s video Gloria is all about colours. While in Genoa, the artist met a woman – the eponymous Gloria – who claimed to see a different colour for every name, a constant and very distinct association. Albert uses this peculiarity as the central motif of her video: Gloria unrolls a series of little scrolls, lottery tickets in a variety of colours, to reveal the names of famous artists. She reads each name aloud and notes the colour she associates with it. Watching, you begin to play a game with Gloria’s voice: will she choose the same colour for a given name as has just occurred to you? Do you also associate the colour “maroon” with Arnold Böcklin? You do. But what about Caspar David Friedrich – is he really yellow? Does Gloria link a colour with the art produced by the famous name (the way you do), or is it simply the sound of the vocable that evokes the chromatic association? In fact, it is probably the latter, since she is unfamiliar with most of the artists. Colour and narrative Colour plays a decisive role in Albert’s work. It is present in a whole series of her videos, nowhere more explicitly, however, than in Gloria, where it determines the work’s very plot, albeit less by way of the colourful scrolls themselves than through the soundtrack. The video’s voice-over evokes colour in the mind of its viewer. Sound and image are at very least equals here, as opposed to the way ambient noises often merely supplement the visuals in other of her works. Am Wasser [By the water]: a garden. A woman – Albert herself – sits in the grass. She is surrounded by verdant foliage; on the ground next to her lie a few peaches. The viewer can just make out the mirror that stands before her. It is sunny, shades of green and orange dapple the scene, and in its midst are the yellow, orange and turquoise stripes of the woman’s gown. The image seems to be stationary. But for the stirring of the leaves, hardly any change can be perceived. And then suddenly the viewer becomes aware of the woman’s naked back. The zipper on her dress opens slowly, as if by itself. A discreet, minor procedure. This is a still life that gradually develops, a scene uncannily familiar to specialists in 19th-century art, with all of its erotic charge. Perhaps one recalls Manet’s Déjeuner sur l’herbe, set in a similar glade by the water, also featuring a naked woman next to a basket of fruit. The woman in the background could be replaced by her reflection, which seems to be standing in the water, and the slowly opening zipper suggests the idea of nakedness. Manet’s male figures are missing; this is a more intimate scene, in which what is left is the dominant colour green, and the mood of summer. The image is at peace with itself – almost. One of the key functions of the medium of video, indeed of film, is to preserve for posterity a narrative process. In this case, the video’s slowness approaches the inertia of a painting – and yet the zipper keeps opening. Hawaii: Here too, colour and narrative function together. A strip of beach, although our gaze is not directed towards the water, which can be heard in the background, but rather at a dark stand of barren trees, from which Albert appears with two plastic bags. She sits down in the sand. She begins to unpack chains of silk flowers and to adorn herself with them, until she is virtually buried beneath them. Has she created a flower-bedecked tomb? Not with real, perishable flowers, of course, such as one receives at the airport when one travels to Hawaii, but rather with artificial garlands. Associations arise, with Catholic rituals or even the Hindu rite of “sathi”, bridal sacrifice. A narrative is unfolded and simultaneously freighted with symbolic significance. This is not the same small, magical everyday world as seen in Am Wasser, nor does it resemble Gloria’s drier classification of colours and names. This is a narrative pregnant with meaning. And, although essentially simple and unspectacular, it takes on added import, once again through its use of colour. The flowers stand out, with their vivid reds and yellows, against their black-and-white surroundings. Both the trees and the artist’s dress are black; the sand and the bags, which at one point are carried off by the wind, are white. Narrative and concept Albert is typically the sole figure in her videos, which she films with a fixed camera. She is at once subject and object, agent and image. In one of her most recent works, Elixier [Elixir], she appears with another figure. She raises a glass to her mouth and empties a transparent liquid into it – the elixir of the title. She passes the glass, now full, to a disembodied hand. (This constitutes Albert’s own description of her work-in-progress. The video may well develop further, and look quite different when completed.) In Elixier, the role of the artist is defined by her actions in relation to another person. She becomes a sorceress whose bodily fluids could possibly have healing powers, the ability to strengthen their recipient, or to produce happiness. Here, to an extent greater even than in Hawaii, the narrative is laden with significance. Not so in Via XX settembre, named for the street in Genoa where Albert‘s favourite beggar customarily sits. He is her favourite because he holds such a beautiful green box in his hand – a colour that makes a cameo appearance here too. Albert films him from a respectful distance, without his becoming aware that he is being recorded. She preserves his anonymity by keeping his head out of the picture, and so the viewer sees a blackclad body seated on the ground, motionless save for those moments when it is shaking the box or scratching its feet. Once the man rises and walks away, leaving his box with the money in it; after a while he returns. A swirling press of people passes by this one fixed element in the street, occasionally almost brushing against him. Some of them are alone and in a hurry, others stroll by in pairs, licking ice-cream cones. Hardly anyone seems to notice the beggar, hardly anyone tosses a coin into his pretty box. Albert finds the little everyday scene interesting, a street lent significance by the presence of a beggar. Plot in the sense of a narrated account has vanished, leaving in its stead the timeless situation encountered by Albert. For once she has not created the scene, but rather simply filmed it as she has found it. Furthermore, this is one of the few pieces in which she does not herself play a part. She removes herself entirely from the picture and the narrative; she is not even perceived by her protagonist. The images of the everyday situations through which Albert moves, whether in Sarnen, Zurich or Genoa, in the wilds or in a city, on a street or in an apartment, by day or by night, all take on something of the documentary . Whether with relatives and friends or among strangers, she sets up her camera and films for about a minute, recording life as it happens to be lived during that period. The constants in her work are provided by her own arms and hands, which she displays before her camera. The exhibition features parallel projections of scenes filmed first with the right hand, and then with the left. Her hands enter the frame from above, still against the movement behind them. Albert is present without actually being in the picture, a passive presence that apparently enables her to be in two places at once (by means of her two hands). Gleichzeitig [Simultaneous] is also the title of the piece, to which one could add as a subtitle something like “Places where I have been happy”. This is a piece with the potential to appeal to a wide range of viewers, people whose sense of belonging comes from familiar places in which they feel at ease, as well as from familiar people; and perhaps just such people appear briefly in the video themselves (or perhaps it is their children who make an appearance). The concept of Via XX settembre is transferred to local territory, to an everyday life much closer to home. Concept and poetry Albert’s videos bear a distinctive signature. Their formal and cinematic language marks them unmistakably as her work, even when she does not herself appear. And yet each individual piece has its own set of intentions; each is subtly distinct in attitude and concept. A tentative, non-exhaustive list of the elements central to Albert’s videos might include narratives, mini-accounts of an incident with a beginning and an end, often laden with symbolic significance. The zipper that slowly opens to reveal a naked back; the artist who buries herself in flowers, or offers up her bodily fluids as a potion. And then there are everyday situations, filmed as it were haphazardly, periods of time plucked out of any particular day in any particular place. Via XX settembre and Gleichzeitig are such works, in which the viewer is thrust suddenly into a scene and can choose either to remain there, or to carry on past it. Of course, Albert has painstakingly arranged these sequences, and spliced them together with care. It is she who directs our attention to the anonymous beggar, who returns herself to the frame by laying her own hands over the locations in her viewfinder. She is the calm and omnipresent centre of each picture. What is more, the slowness of the movements depicted works to slightly alienate the scene from its otherwise quotidian familiarity. The moment is no longer unmediated. Albert’s work focuses precisely on what seems coincidental, trivial, unspectacular, everyday; these are elements in her very conception. No matter how much she seems to take a given shot for granted, there is an idea behind it, and it has been worked up with the greatest care. This conceptual approach is particularly evident in Gloria, in which the real story unfolds in the imagination: that of Gloria on the one hand, and that of the viewer on the other. This is perhaps the work that makes clearest how Albert manages to visualise the intellectual process. At the same time, all of her pieces depend upon their viewer‘s stimulation and free flow of associations. What kind of an elixir is that? What do the flowers mean, or the hands, and what is the protagonist’s role here? Furthermore, there is also an element in Albert’s videos that could be termed “poetic”. They often foreground a mood, one that allows the viewer to forget for a moment the conceptual framework. Or rather, they are not received as meticulously constructed works of art; instead, they evoke a series of feelings. The woman peacefully sitting in the water conveys a sense of calm, of tranquillity and a certain eroticism. The colours are crucial: the green of summer, the riot of flowers in a colourless environment. In her Haikus the artist makes clear her affinity for the Japanese verse form, and her love of poetry remains palpable in her most recent work as well. Judith Albert’s videos are still in progress. She is constantly filming new scenes and re-arranging the material, alternating cuts. Some of the pieces exhibited will more or less resemble the above descriptions; others may well be quite different. Her visual vocabulary, however, which thrives on her attention to detail, remains immanent to all of them. One might also speak of her modesty in the face of a world filled with noise and hype. For while Albert claims to adore melodrama, she does her utmost to avoid it in her art. All the more important, then, is the precision with which she tells her little stories, the meticulous focus demanded by every concept. And by every lyrical moment.