Ich wandere auf einer Wolke von einem Gag zum andern
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Ich wandere auf einer Wolke von einem Gag zum andern
„ Ich wandere auf einer Wolke von einem Gag zum andern “ Dimitri Umso erstaunlicher mutet an, dass Sie «Porteur», Ihr erstes Bühnenstück, seit 1962 spielen. Ich veränderte das Stück immer wieder. Lange Spielzeiten haben bei uns Clowns Tradition. Der grossartige Grock spielte sein Leben lang die gleiche Nummer. Dimitri, als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Daheim hatten wir eine lange Treppe. Im Traum rannte ich sie oft herunter, hob ab und flog davon. Spielten Sie als Kind schon gern den Clown? Meine Mitmenschen zum Lachen zu bringen liebe ich seit je. Humor ist mein Leitmotiv und zugleich Motivation und Herausforderung: Was kann ich noch erfinden, um andere zum Lachen zu bringen? Dafür bin ich zu jedem Streich bereit. «Porteur» erinnert daran, dass das innere Kind kein Alter kennt. Sie sind der beste Beweis dafür, stehen mit 78 nach wie vor auf der Bühne. Ich bin nicht der Erste, der im Alter bemerkt: Die Seele altert nicht. Ich bin nicht religiös, aber mir gefällt 17 Jesus’ Aufforderung: «Bleibt wie die Kinder!» Für mich als Clown ist dies das tägliche Brot. Sei ein Clown, sei unschuldig, sei naiv – aber sei dir immer bewusst, was du tust. Nein. Ich träume immer wieder, ich ginge auf die Bühne und sage: Ich weiss nicht, was spielen. Sag mir, liebes Publikum, was ich improvisieren soll. Allerdings fehlte mir in der Realität bisher der Mut, die Idee umzusetzen. Fällt Ihnen das Pflegen des inneren Kindes leichter, weil Sie geschminkt auf der Bühne stehen? Durch die Schminke verschwinden die Alltagssorgen. Während meiner Karriere beobachtete ich immer wieder, dass die grössten Feinde eines Clowns schlechte Laune, Aggressivität und Boshaftigkeit sind. Diese Eigenschaften ruinieren die Ausstrahlung. Haben Sie Albträume? Immer wieder. Ganz schrecklich ist diese Geschichte: Ich bin auf Tournee und finde das Theater nicht. Als ich irgendwann doch ankomme, sitzt das Publikum bereits im Saal, aber auf der Bühne ist nichts vorbereitet. 2010 erlebten Sie in Ihrem Theater in Verscio einen wirklichen Albtraum. Während der Vorstellung fiel ich aus zwei Metern Höhe auf den Rücken. Beim Aufprall spürte ich sofort: Etwas ist nicht gut. Ist es auf der Bühne traumhaft schön? Ja. Bevor es aber so weit ist, muss ich das Publikum erobern. Reagiert es harmonisch und bin ich im Gleichgewicht, wird der Abend gut. Ich wandere wie auf einer Wolke von einem Gag zum anderen. Sie brachen sich den Lendenwirbel. Hatten Sie Angst, nie mehr auf die Bühne zurückkehren zu können? Mamma mia, dachte ich, hoffentlich bin ich nicht gelähmt. Das war kein neuer Gedanke. Ich habe mich schon oft gefragt, was wäre, wenn ich gelähmt wäre? Oder was täte ich, wenn ich blind würde? Begleitet Sie Ihr Beruf durch die Nacht? Ich träumte schon die fantastischen Nummern. Haben Sie eine dieser Ideen auf der Bühne umgesetzt? Fanden Sie Antworten? 18 © Remy Steinegger, 5/11 Dimitri, 1935 geboren als Dimitri Jakob Müller, ist Clown. „ Sobald ich etwas gut beherrsche, verliert es seinen Reiz Pedro Lenz “ Pedro Lenz, als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Ich wollte mit einer Harley durch die USA fahren. Warum nicht? Unser Vater fand den Sport zu proletarisch, stattdessen schickte er uns in die Leichtathletik. Woher kam dieser Wunsch? Ich dachte, es gebe dort viele Tankstellen, und hatte Lust auf Hamburger. «Der Goalie bin ig» heisst Ihr 2010 erschienener Mundart-Roman. Träumen Sie auch in Berndeutsch? Nachts habe ich selten Stimmen im Ohr, sehe mehr Bilder. Hatten Sie noch andere Ziele? Mich faszinierte der holländische Fussballer Johan Cruyff. Ich wollte werden wie er. Verfolgte Sie der Goalie, dieser liebenswerte Geschichtenerzähler, manchmal bis ins Bett? Nein. Der Goalie sagt auch einmal, er könne nicht verstehen, warum Sie spielten Fussball? Nur im Park, nicht im Club. 53 sich die Menschen mit ihren Träumen befassen. Ihn verwirre das Leben am Tag schon genug. Es tut weh, wenn ein Buch fertig ist. Zurzeit bin ich aber mit dem Goalie auf Lesetour, schreibe eine Version für das Radio. Wir bleiben also noch etwas zusammen. Ist das auch Ihre Meinung? Ja. Wir Menschen sind so konzipiert, dass wir Geschichten träumen, um diese nachher ablegen zu können. Deswegen sollten wir auch nicht ewig auf ihnen herumreiten und sie analysieren. Mit Ihren Kolumnen in der «Woz – Die Wochenzeitung» wurden Sie bekannt. Der Goalie-Roman war anfänglich ebenfalls als Kurzgeschichte geplant. Ich bin nicht der Typ, der den Bogen einer Geschichte über längere Distanz halten kann. Bereitet Schreiben schlaflose Nächte? Mir nicht. Der Goalie hat sich mir förmlich aufgedrängt. Ich schreibe seit längerer Zeit an einem Roman auf Hochdeutsch. Immer, wenn ich nicht weiterwusste, schaute ich, wie ich es beim Goalie gelöst habe, blieb hängen und schrieb sofort zwei, drei neue Seiten. Es floss einfach. Trotzdem haben Sie nun einen Roman geschrieben. Weil ich jetzt langsam weiss, wie kurze Geschichten funktionieren. Die Gefahr besteht also, dass ich nur noch Kunsthandwerk produziere. Schreibstau kennen Sie nicht? Der dauert bei mir nie länger als zwei Minuten, danach fange ich mit einer neuen Geschichte an. Ich habe Angst vor dem leeren Blatt. Ein Zustand, dem ich keinen Platz zugestehen will. Meine Devise lautet: Es ist lehrreicher, schlecht zu schreiben als nichts. Sie erfüllten sich einen Traum, trotz Bedenken. Kann man so sagen. Und sowieso: Immer, wenn ich das Gefühl habe, ich beherrsche etwas gut, verliert es seinen Reiz. Das müssen Sie genauer erklären. Ich habe Maurer gelernt. Als ich es einigermassen konnte, hörte ich auf. Die meisten Menschen machen es so. Deswegen geht auch immer wieder Haben Sie am Ende eines Buches Mühe, die Figuren loszulassen? 54 © Elisabeth Real, 7/10 Pedro Lenz, 1965 geboren, ist Schriftsteller. „ Milena Moser Als ich fast unten war, spürte ich: Ich sterbe “ Milena Moser, als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Ich träumte regelmässig, dass ich flüchten musste. Zum Glück konnte ich fliegen. Woran schreiben Sie gerade? An einer richtig schönen Liebesgeschichte. Während ich sie schreibe, beginne ich wieder an die Liebe zu glauben. Wovor flüchteten Sie? Ich flüchtete aus dem Spital. Ich war ein Gstabi und lag in der Kindheit mehrmals wegen Knochenbrüchen im Krankenhaus. Das bereitete mir Albträume. Sie sagten einmal: «Männer kommen und gehen, die Kinder gehen eines Tages eigene Wege, aber geschrieben habe ich von früh an und werde es immer tun.» Dieser Satz stimmt nach wie vor. Nach der Trennung von meinem Mann wurde ich oft gefragt: Können Sie in schwierigen Zeiten schreiben? Schreiben kann auch Flucht sein. Schreibe ich einen Roman, erschaffe ich meine eigene Welt. 81 Können Sie? Ich kann immer schreiben. Je schlechter es mir geht, desto mehr brauche ich es sogar. Auf das Schreiben ist Verlass. Welche Bedeutung haben Wörter? Ich hatte einmal einen Traum: Mit meinem Sohn Lino stand ich im Regen. Wir versuchten Tropfen einzufangen. Immer, wenn wir einen erwischten, erschien ein Wort in der Luft und löste ein Glücksgefühl aus. Bereitet das Schreiben schlaflose Nächte? Hin und wieder gehe ich zu spät ins Bett, weil ich nicht damit aufhören kann. Woher kam dieses Gefühl? Vielleicht stimmte mich allein die Tatsache glücklich, dass es Wörter gibt. Ist Schreiben dem Träumen ähnlich? Ja. Beim Schreiben gibt es Momente, wo alles wegfällt und ich nicht mehr spüre, dass ich schreibe. Das fühlt sich an, als wäre ich Teil der Geschichte. Haben Sie Lieblingswörter? «Augenblick» finde ich seit Jahren ein schönes Wort. Und ich mag «nichts». Warum gerade «nichts»? In der deutschen Sprache kommt es selten vor, dass ein Wort seiner Bedeutung gemäss klingt. «Nichts» tönt scharf, und gleichzeitig ist es leer. Besuchen Ihre Romanfiguren Sie nachts? Nein. Aber es kommt vor, dass ich auf der Strasse eine Frau sehe und denke, die trägt den gleichen Mantel wie meine Romanfigur. Oder ich habe das Gefühl, der Mann vor mir ist der Typ aus meinem Buch. Haben Sie Angst, dass Ihnen die Wörter ausgehen könnten? Das ist kein Albtraum, sondern Realität. Manchmal geht nichts mehr in meinem Kopf, und ich denke: Alles, was ich schreibe, ist Quatsch. Sind Ihre Bücher Ihre Heimat? Nicht die fertigen Romane, aber der Akt des Schreibens und mein Schreibtisch sind Heimat. Was machen Sie an solchen Tagen? 82 © Elisabeth Real, 12/12 Milena Moser, 1963 geboren, ist Schriftstellerin. „ Die totale Stille unter Wasser ist das Schönste, was es gibt “ Boris Blank Boris Blank, als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Ich sprang in die Luft und schwebte davon. Während ich wunderbare Landschaften überflog, sah ich immer wieder Menschen, die fragten: Was macht der da oben? Wie kommt er wieder runter? Fliegen Sie immer noch? Ja, ich kann immer noch über Bäume und Häuser springen. Wann kam die Musik in Ihr Leben? Als Teenager bekam ich eine Gitarre geschenkt. Obwohl ich nicht Noten 125 lesen konnte. Irgendwann waren alle Saiten gerissen, und ich baute im Klangkörper ein Mikrofon ein und benutzte die Gitarre als Trommel. Ich hatte von klein auf ein gutes Rhythmusgefühl. Nahmen Sie auch andere Geräusche auf ? Ja, den Knall von Schneebällen gegen ein Garagentor zum Beispiel. Oder ich bohrte Löcher in Holz und spielte das Geräusch verlangsamt ab. Je nachdem, wie schnell ich den Aufnahme- und Wiedergabeknopf des zweiten Aufnahmegerätes drückte, entstanden unterschiedlich lange Echos. dereinst mit meiner Musik nicht nur in Winterthur und Zürich bekannt sein würde, sondern weltweit. Jahre später wurde der Traum Wirklichkeit. Ja, wie durch ein Wunder. Woher kommt diese Affinität für Klangbilder? Ich sehe nur mit einem Auge. Vielleicht kompensiere ich mit den Tönen das Verlangen nach der fehlenden Dimension. Gab es Reaktionen auf Ihre Geräuschkulissen? In der Schule schaffte ich es kaum, ruhig zu sitzen, trommelte ständig mit den Fingern auf das Pult. Eines Tages sagte der Deutschlehrer: «Jetzt reichts, du schreibst bis morgen zwei Seiten zum Thema ‹Klopfzeichen – Verständigungsmittel der Primitiven›.» Gibt es das perfekte Lied? Andere Musiker haben das vielleicht komponiert, ich nicht. Welche anderen meinen Sie? «Billy Jean» von Michael Jackson, «Sexmachine» von James Brown. War das ein Dämpfer für Sie, weil der Lehrer Ihr Talent nicht erkannte? Nein, ich war glücklich. Endlich reagierte einer auf meine Töne. Und im Aufsatz schrieb ich, der Lehrer müsse auch ein Primitiver sein, da er meine Klopfzeichen verstanden habe. Träumten Sie von einer Karriere als Musiker? Irgendwann war ich sogar so grössenwahnsinnig und glaubte, dass ich 126 Begleitet Sie Ihre Musik durch die Nacht? Unter Druck, etwa während der Produktion einer Yello-CD, erwache ich manchmal in der Nacht und denke: Das ist die Melodie! Meist bleibe ich dann noch etwas wach liegen und gehe den Tönen nach. Im Bett ist es ruhiger als im Studio. Dort sehe ich manchmal vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr. Haben Sie Albträume? Nein. Live auftreten, las ich, sei ein Albtraum für Sie. Ich stehe nicht gerne im Rampenlicht, habe extrem Lampenfieber. Darin unterscheiden sich Dieter Meier © Andrea Rist, 12/11 Boris Blank, 1952 geboren, ist der Soundtüftler von Yello und gilt als einer der Väter der Elektromusik. „ Kurt Maloo Ich schrieb den Song wie in einem Traum “ Kurt Maloo, als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Ich hatte einen wunderschönen Traum von einem Bären. Am nächsten Abend ging ich extra früh ins Bett, weil ich die Fortsetzung träumen wollte. Anfang der 1980er-Jahre lernten Sie Felix Haug an einem Improvisations-Workshop kennen. Felix und ich jammten zusammen und beschlossen, gemeinsam Musik zu machen. Hat es geklappt? Ja. Es war faszinierend. Sie gründeten die Popband Double und schrieben 1985 mit «The Captain of Her Heart» die erfolgreichste Schweizer Popsingle aller Zeiten. Felix komponierte die Melodie, ich schrieb den Text. Wir waren uns nicht bewusst, dass es ein Welthit werden würde. Damals tummelten sich vor allem Tanznummern in den Wie kam die Musik in Ihr Leben? Mit elf fing ich an, Gitarre zu spielen. Seither legte ich das Instrument nie mehr weg. Musik ist eines der wenigen Dinge, die ich im Leben durchgezogen habe. 153 Hitparaden. Der «Captain» ist aber eine Ballade. Was fühlten Sie, während Sie den Song schrieben? Ich kam mir vor wie in einem Traum, wie in Trance. Den Schlüsselmoment des Abschiedsnehmens, den ich im Lied beschreibe, habe ich selbst nie so erlebt. Es war, als würde der Text an mich herangetragen. Double gab nie Konzerte. Felix wollte das nicht. Warum nicht? Felix war ein Perfektionist. Er glaubte, wir würden es nicht schaffen, unsere Musik live so perfekt wie auf Platte zu spielen. Was ist der Treibstoff Ihres Lebens? Eine Mischung aus seelischer Unruhe und Langeweile. Langeweile ist Voraussetzung, um Neues zu realisieren. Wenn alles Schlag auf Schlag geht, komme ich nicht dazu, kreativ zu sein. Langeweile wirkt reinigend. Ihr «Captain»-Lied war in über 50 Ländern in der Hitparade. Sie waren ständig auf Reisen. Ein Albtraum für jemanden, der Langeweile braucht, um kreativ zu sein? 154 Wir sind ein Jahr lang dem Song hinterhergereist. Damals gab es noch keine digitalen Jukeboxes wie iTunes, über die Musik weltweit veröffentlicht werden konnte. Aber es gibt Schlimmeres, als einem Hit hinterherzureisen. Wie wichtig sind Träume? Als Kind sah ich mich im Traum an einem Pool sitzen und denken: «Ich habe es geschafft.» Ich wusste aber nie, was die Geschichte bedeuten könnte. Als ich mit Felix 1986 am Pool des Roosevelt Hotels in Hollywood sass, war es wie ein Déjà-vu. Mir wurde klar: Ich habe es geschafft. Es kann nur noch bergab gehen. Kurz darauf rief Ihre Plattenfirma an und fragte, wo das zweite Album sei. Wir kamen unter Zugzwang. Im Nachhinein kann ich zugeben: Man hört das der zweiten Platte an. Wir hätten uns mehr Zeit lassen sollen bei den Aufnahmen. 1989 löste sich Double auf. Heute leben Sie in Hamburg. Was bedeutet Ihnen Heimat? Heimat sind Menschen, die ich gerne habe. © Lea Meienberg, 7/13 Kurt Maloo, 1953 geboren, ist Musiker und Sänger. „ Rachel Harnisch Ich spürte als Kind, dass mir die Bühne liegt “ Rachel Harnisch, als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Ich wuchs behütet im Wallis auf – ein Traum. Hinter den Bergen bekam ich wenig mit von der grossen Welt. Was wollten Sie einmal werden? Schauspielerin. In der Primarschule spielte ich zum ersten Mal Theater und merkte: Das liegt mir. Der Musikdirektor meinte damals, ich müsste unbedingt Gesangsunterricht nehmen. Was ich dann auch tat. War Ihnen vorher nicht bewusst, dass Sie eine grosse Stimme haben? Gesagt wurde es mir immer wieder. Ich hatte aber nicht genug Selbstvertrauen, um an eine Karriere als Sängerin zu denken. Wann wussten Sie, dass dies Ihr Weg ist? Mit 22. Wir probten an der Hochschule für Musik in Freiburg im Breisgau Mit Singen fingen Sie relativ spät an: Sie wurden mit 17 bei einem Chor-Vorsingen in Brig entdeckt. 173 am «Marienleben» von Paul Hindemith. Da wusste ich: Ich bin am richtigen Ort. Warum? Es stellte sich einfach plötzlich dieses Gefühl ein, angekommen zu sein, wo ich hingehöre. Lassen Sie sich bei der Realisation von Lebensträumen gerne Zeit? Ja, ich muss von einer Sache wirklich überzeugt sein, bis ich sie anpacke. Im Dezember wurden Sie Mutter. Wie veränderte Ihre Tochter Ihr Leben? Alma hat es perfekt gemacht. Ich wusste, dass mir neben dem Singen noch etwas zum Glück fehlt. Gelingt mir heute ein Auftritt nicht, denke ich, zu Hause warten ein toller Mann und ein wunderbares Kind. Das relativiert vieles. Sie sagten einmal: «Stabilität und Ruhe hebe ich mir für später auf.» Ist jetzt als Mutter die Zeit dafür gekommen? Mein Beruf bringt ein unruhiges Leben mit sich. Seelische Stabilität hat aber nicht nur mit weniger Ortswechseln zu tun. Bin ich innerlich gefestigt, kann ich heute dort und 174 morgen hier sein und mich trotzdem sicher fühlen. Erlebten Sie auf der Bühne schon einen Albtraum? Im deutschen Essen versagte mir vor sieben Jahren während einer «Rosenkavalier»-Vorstellung die Stimme. Ich hatte mir eine Kehlkopfentzündung eingefangen. Die Vorstellung musste unterbrochen werden. Nur unterbrochen? Ja. Nach einer halben Stunde spielte ich mimisch zu Ende, während eine Kollegin am Bühnenrand meine Stimme übernahm. Wie reagierte das Publikum? Das Publikum liebt solche Improvisationen. Ich glaube, ich hatte noch nie so viel Applaus wie an diesem Abend. Was brauchen Sie neben der Familie und der Musik zum Leben? Hin und wieder eine Stunde Ruhe für mich, ein gutes Buch, Kunst, schöne Architektur und ein Glas Walliser Wein. Trinken Sie vor einem Auftritt Wein? © Lea Meienberg, 4/14 Rachel Harnisch, geboren 1973, ist Sopranistin.