Integrationsjournal Mai 2010

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Integrationsjournal Mai 2010
INTEGRATIONSJOURNAL
Der Stadtschulrat für Wien informiert
Mai 2010
Das Coverfoto zeigt eine Schülerarbeit des Projektes „Mal-& Kunstwerkstatt in Förderklassen“
des SPZ 14, Hadersdorf – mehr Informationen dazu ab Seite 44
INTEGRATIONSJOURNAL
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INHALTSVERZEICHNIS
Aufwand und Effekt ............................................................................................................... 4
In eigener Sache ................................................................................................................... 5
Resilienz - Was Kinder in ihrer Entwicklung stärkt ................................................................ 6
Lernmotivation Hund ............................................................................................................12
Begabt und auffällig anders – was tun?................................................................................15
Soziale Dienste für Familien mit behinderten Kindern...........................................................18
Neuigkeiten aus dem Bereich „Inklusive Pädagogik“ ...........................................................20
Das Modell der „Wiener Mittelschule“ und die Integration von SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf – Erfahrungen einer Integrationslehrerin......................................23
Integration und die WienerMittelSchule:
Mehr als nur „alter Wein in neuen Schläuchen“ ....................................................................25
Copy! Paste! Save!
The SHAPES Project............................................................................................................29
Lernvielfalt in unserer integrativen Mehrstufenklasse ...........................................................37
„Wo Sprache fehlt, können/sollen Bilder sprechen!“ .............................................................44
Sozialarbeit geht in die Schule .............................................................................................46
Ein guter Start ......................................................................................................................53
Vernetzen, miteinander reden, Informationen austauschen … ...........................................61
Die Aufgaben der Schulärztin/des Schularztes in der Integrationsklasse..............................61
Triangel ................................................................................................................................63
Anreicherung der Bildung durch Bildung für alle … ..............................................................65
Afrika....................................................................................................................................70
Eindrücke vom Erfahrungsaustausch und Hospitationen an Wiener Integrationsschulen .....79
Leserbriefe ...........................................................................................................................89
Liebe Leserin! Lieber Leser! .................................................................................................91
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Aufwand und Effekt
Grundsätzlich besteht die Annahme und auch die
Hoffnung, dass durch das Setzen von aufwändigen
Maßnahmen auch deutlich feststellbare Änderungen
die Folge sind.
Annahmen, die sich nicht immer bewahrheiten und
auch im Bereich der Pädagogik scheint diese „wenn
– dann
Automatik“ nicht immer im erwarteten
Ausmaß einzutreten.
Als ein Beispiel aus dem Bereich der Organisation mag die mit dem nächsten Schuljahr
abgeschlossene Senkung der KlassenschülerInnenhöchstzahlen von 30 auf 25 (bzw. von 15
auf 13 in Allgemeinen Sonderschulen) dienen. Diese sehr grundlegende und kostenintensive
Lösung für alle Schulen war mit hohen Erwartungen verknüpft, so etwa, dass diese
Verminderung der GesamtschülerInnenzahl eine gute Grundlage bietet, deutlich individueller
auf einzelne Kinder, die es brauchen, eingehen zu können.
Zahlreiche Berichte von betroffenen Eltern und SchülerInnen, aber auch eigene
Wahrnehmungen aus Unterrichtsbeobachtungen zeigen, dass diese Erwartung nur sehr
beschränkt eingetroffen ist und im Gegenteil sich in vielen Fällen die Unterrichtssituation in
ein rigides Muster in Richtung Frontalunterricht und Vereinheitlichung (rück)entwickelt hat.
Ein anderes Beispiel bezieht sich auf die Umsetzung des zum Teil ungewöhnlich hohen
Aufwands im Bereich der LehrerInnenfortbildung in die Realität der „Tagesarbeit“.
Der Fokus richtet sich auf die jahrelang mit wirklich hohem finanziellem Aufwand
durchgeführte Fortbildungen, in denen VolksschullehrerInnen mit den Inhalten der Stützbzw. FörderlehrerInnenausbildung bekannt gemacht wurden.
Nach den vorliegenden Unterlagen sind es insgesamt mehr als 800 Kolleginnen und
Kollegen aus dem Volksschulbereich, die über diese zusätzlichen Qualifikationen verfügen.
Damit befinden sich an jeder Wiener Volksschule durchschnittlich 4 LehrerInnen mit dieser
speziellen Qualifikation, die zur besonderen Förderung von lernschwachen SchülerInnen
nicht nur befähigt, sondern auch einen Kompetenztransfer zu anderen, nicht in diesem
Bereich ausgebildeten KollegInnen des jeweiligen Standortes erwarten lassen müsste.
Auch in diesem Falle zeigt sich bedauerlicherweise, dass sich diese Erwartung nicht in dem
erhofften Ausmaß erfüllte bzw. erfüllt.
Langsam, aber doch stetig wächst die Zahl jener Kinder, die die Lehrplananforderungen der
Grundschule kaum oder nur teilweise erfüllen bzw. sogar einem sonderpädagogischen
Förderbedarf zugeordnet werden.
Ohne auf die vielfältigen Tatsachen für diese Entwicklung eingehen zu können, muss doch
festgehalten werden, dass unbestritten ein deutlich individualisierender Unterricht die
optimale Grundlage bieten müsste, um diesen Phänomenen gegenzusteuern.
Auch hier lässt bedauerlicherweise die Realität solche Entwicklungen als Gesamtbewegung
gegen den Trend nicht erkennen.
Als Hoffnungsschimmer bleibt, dass der erneute Anlauf zur Mobilisierung der Kräfte zur
besonderen Betreuung jener Kinder, die nicht im Mainstream liegen, diesmal im
Zusammenhang mit den Bildungsstandards gelingen könnte.
Möge diese sichtlich schwierige Übung in der Pädagogik zumindest diesmal gelingen,
hofft Ihr
Gerhard Tuschel
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In eigener Sache
Liebe Leserinnen, Autorinnen und Kolleginnen!
Liebe Leser, Autoren und Kollegen!
Meine Mutter ist 78 Jahre alt.
Sie und ich, wir beide lesen gerne, wir können uns ein Leben ohne Lesestoff nicht vorstellen.
Kaum habe ich ein Buch ausgelesen, bekommt sie es. Dann können wir darüber reden,
erzählen einander von den Passagen, die uns besonders gut gefallen haben. Staunen
darüber, wie unterschiedlich die Schreibstile der AutorInnen sind und wundern uns, woher
sie all die Ideen für ihre Bücher hernehmen.
Meine Mutter kann jedoch nicht mehr so „am Stück“ lesen wie ich. Dazwischen liest sie
gerne Zeitschriften. Ich versorge sie daher unter anderem auch mit dem Integrationsjournal.
Sie steckt derzeit mitten in der letzten Ausgabe.
„Ich bewundere alle LehrerInnen, die mit diesen Kindern arbeiten!“ – gemeint hat sie damit
die Arbeit mit schwerstbehinderten Kindern.
„Ich wusste gar nicht, dass …“, auch so fangen oft ihre Sätze an, wenn sie über einen
Beitrag aus dem Integrationsjournal spricht.
„Kannst du mir erklären, was …“, fragt sie mich, wenn sie einen neuen Begriff nicht kennt.
Nehmen Sie ein Exemplar des Integrationsjournals einmal mit nach Hause! Geben Sie es
beim nächsten Treffen an einen Ihrer Bekannten weiter!
Denn so wie meiner Mutter wird es vielen Nicht-LehrerInnen gehen, wenn sie die Beiträge
lesen. Sie werden erstaunt, vielleicht auch beeindruckt sein, Neues lernen, andere Einblicke
in die Unterrichtsarbeit bekommen – mit einem Wort: ein aktuelles Bild der LehrerInnen wird
vor ihrem geistigen Auge entstehen – ein LehrerInnenbild, das die Realität widerspiegelt.
Das Lesen nimmt so gut wie das Reisen die Einseitigkeit aus dem Kopfe.1 Durch das Lesen
des Integrationsjournals kann das besonders gut gelingen.
Und weil wir schon beim Lesen sind, darf ich Ihnen einen Buchtipp mit in die Ferien geben:
Das Labyrinth der Wörter von Marie-Sabine Roger, ich hab’s schon gelesen, meine Mutter ist
gerade dabei ☺
Auch Ihnen viel Spaß beim Lesen!
HObln Gerda Kargl
Referentin für Sonderpädagogische Fragen im Stadtschulrat für Wien
[email protected]
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Jean Paul, (1763 - 1825), eigentlich Johann Paul Friedrich Richter, deutscher Dichter, Publizist und Pädagoge
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Resilienz Was Kinder in ihrer Entwicklung stärkt
In unserer Arbeit begegnen uns immer wieder Kinder, die sehr schwierige
Lebensbedingungen haben, es aber trotzdem schaffen, psychisch gesund zu bleiben und
ihre Probleme zu meistern.
Als LehrerInnen fragen wir uns oft: Was haben diese Kinder, was andere in einer ähnlichen
Situation nicht haben?
Der Fachbegriff dafür heißt Resilienz.
Das Wort Resilienz kommt von „resilence“ und bedeutet Elastizität, Spannkraft – nach
Verformung die ursprüngliche Gestalt wieder annehmen können.
Resilienz bezeichnet die Fähigkeit eines Menschen, Krisen und schwierige
Lebenssituationen unbeschadet zu überstehen.
Ein Symbol dafür ist das Stehaufmännchen. Es ist in der Lage aus jeder beliebigen
Position seine aufrechte Haltung wieder einzunehmen.
Resilienz entsteht im „Trotzdem“.
Der Psychiater und Auschwitz - Überlebende Victor Frankl, Begründer der Logotherapie,
gab seinem Leben im größten Leiden einen Sinn durch die Vorstellung, wie er nach dem
Lager Lesungen über die Psychologie des Lagers halten würde – um Außenstehenden zu
vermitteln, was er durchlebt hatte. Diese Hoffnung ermöglichte ihm sich immer wieder für
Momente über das Leiden zu erheben.
Das Gegenstück zur Resilienz heißt Vulnerabilität und bedeutet Verwundbarkeit,
Verletzbarkeit oder Empfindlichkeit einer Person gegenüber belastenden Ereignissen.
Resiliente Kinder und Jugendliche haben eine Art psychische Widerstandskraft
gegenüber biologischen, psychologischen und sozialen Entwicklungsrisiken.
Sie können mit belastenden Situationen wie z. B. Misserfolgen, Notsituationen,
traumatischen Erfahrungen oder auch Diskriminierungen so umgehen, dass sie in ihrer
Integrität keinen Schaden nehmen und sich weiter gut entwickeln.
Ein gutes Beispiel aus der Jugendliteratur
ist Pippi Langstrumpf. Ihre Mutter starb
früh, der Vater kümmert sich nur sporadisch
um sie. Dennoch hat sie Zugang zu ihren
eigenen Stärken und verfügt über
zahlreiche Bewältigungsstrategien.
Resilienz bedeutet nicht Unverwundbarkeit,
bedeutet nicht: „was mich nicht umbringt,
macht mich hart.“
Resilienz ist mehr als Anpassung an widrige
Umstände, mehr als pures Durchstehen
oder Überleben. Stresserfahrungen können
Stärke in einem Menschen hervorrufen, die
er selbst nicht für möglich gehalten hätte.
Nach Walsh ist Resilienz die Fähigkeit „aus widrigsten Lebensumständen gestärkt und mit
größeren Ressourcen ausgestattet als zuvor herauszukommen.“
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Studien haben ergeben, dass viele problembelastete Jugendliche später als Erwachsene
wesentlich positivere Eigenschaften zeigten. Der größte Sprung geschah zwischen dem Alter
als junge Erwachsene und der Lebensmitte, als die frühere Instabilität der Untersuchten
abgelöst wurde durch feste Bindungen an eine neue Partnerschaft oder eine neue berufliche
Identität. Offensichtlich ist es falsch Menschen zu einem einzigen Zeitpunkt ihres Lebens zu
betrachten und von da aus auf ihre ganze Entwicklung zu schließen.
Begonnen hat die Resilienzforschung mit der „Kauai – Längsschnittstudie“, die von der
Entwicklungspsychologin Emmy Werner auf der Insel Kauai (Hawaii) durchgeführt wurde.
Im Rahmen dieser Studie wurde über einen Zeitraum von 40 Jahren die Entwicklung von
698 Kindern dokumentiert, die 1955 geboren wurden.
Das besondere Augenmerk lag dabei auf denjenigen Kindern, die unter schwierigen sozialen
Bedingungen aufgewachsen sind. Die Untersuchung zeigte, dass ein Drittel der Kinder trotz
der erschwerten Bedingungen zu lebenstüchtigen Erwachsenen heranwuchs, während die
anderen zwei Drittel Schul – oder Drogenprobleme hatten, aggressiv waren oder straffällig
wurden.
„Die Annahme, dass sich ein Kind aus einer Risikofamilie zwangsläufig zum Versager
entwickelt, wird durch die Resilienzforschung widerlegt.“
Resilient zu sein bedeutet also auch stark zu sein trotz schwerer Kindheit.
Das Resilienzkonzept geht auf den Medizinsoziologen Dr. Aaron Antonovsky zurück. Er
untersuchte Frauen, die während der Nazizeit in Konzentrationslagern interniert gewesen
waren. Er fand heraus, dass immerhin 29 Prozent der Frauen trotz des extremen Traumas,
dem sie ausgesetzt gewesen waren, psychisch gesund und in einem guten mentalen
Zustand waren.
Antonovsky begann danach zu forschen, warum Menschen gesund bleiben – er entwickelte
das Prinzip der Salutogenese.
Salutogenese bedeutet Entstehung von Gesundheit und steht damit im Gegensatz zum
Begriff der Pathogenese – der Entstehung von Krankheit.
Die Salutogenese (was hält / macht Menschen gesund?) bietet eine gute Ergänzung zur
Resilienzforschung. (was hält / macht Menschen stark?).
Woran erkennt man resiliente Menschen?
Die 7 Säulen der Resilienz
Sie bleiben optimistisch.
Sie akzeptieren die Krise und ihre Gefühle.
Sie suchen nach Lösungen ( Zielorientierung ).
Sie fühlen sich nicht als Opfer.
Sie übernehmen Verantwortung.
Sie lösen ihre Probleme nicht allein ( Netzwerke nutzen ).
Sie planen voraus ( Zukunftsorientierung ).
Resiliente Menschen wissen, dass es im Leben gute und schlechte Zeiten gibt und dass
negative Ereignisse genauso wie glückliche Zeiten begrenzt sind. Sie stellen die Gegenwart,
auch wenn sie schmerzhaft ist, in einen gesamten Lebenskontext und verlieren nicht die
Hoffnung, dass die Zukunft wieder besser wird. Krisen werden nicht als unüberwindbare
Probleme gesehen.
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Welche Voraussetzungen haben resiliente Kinder?
Resilienzfaktoren ( innere und äußere Schutzfaktoren )
ausgeglichenes Temperament, Impulskontrolle
Frustrationstoleranz
Talente nutzen können, Kreativität
Humor
Kommunikations, - und Problemlösungsfähigkeit
Intelligenz und schulische Kompetenz
Selbstvertrauen
guter Gesundheitszustand, Vitalität
genetische Faktoren
emotional sichere Bindung an eine Bezugsperson
soziale Unterstützung in und außerhalb der Familie
positive Rollenmodelle
Erleben von Sinn und Struktur im Leben
positives Klassenklima
Anerkennung von Gleichaltrigen, positive Peer - Kontakte
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Resilienzfördernde Faktoren können aber auch zu Risikofaktoren werden.
So kann z.B. überdurchschnittliche Intelligenz, ein überhöhtes (narzistisches) Selbstbild aber
auch eine Cliquenzugehörigkeit zu negativen psychischen Konsequenzen führen.
Es ist also die richtige Dosierung, die über Risiko oder Resilienz entscheidet.
Resilienz ist keine Eigenschaft, die Menschen zufällig haben oder nicht. Manche Menschen
sind insofern begünstigt, als sie vorhandene Ressourcen aus eigener Kraft ausschöpfen
können. Andere brauchen dabei Unterstützung.
Resilienz aber ist eine Fähigkeit, die jeder Mensch lernen kann. Sie ist beeinflussbar und
entwickelbar und wird in der Kindheit am leichtesten gelernt.
Was kann Kindern und Jugendlichen dabei helfen Resilienz zu entwickeln?
Wie können Kinder in ihrer Entwicklung gestärkt werden?
Resilienzförderung
Das Gefühl eigener Stärke entsteht vor allem aufgrund der erfolgreichen Überwindung von
Hindernissen. Erfolge verschaffen soziale Anerkennung und das Gefühl von „Ich hab’s
geschafft.“
Kindern und Jugendlichen sollte vermittelt werden: „Was mit dir richtig ist, ist stärker als das,
was mit dir verkehrt ist“.
Kernpunkte der Resilienz:
Suche dir einen Freund und sei anderen ein Freund!
Fühle dich für dein Verhalten verantwortlich!
Glaube an dich selbst!
Negative Erfahrungen sollen nicht verhindert, aber Kinder dürfen in Krisenzeiten nicht allein
gelassen werden.
Von großer Bedeutung ist eine stabile Bezugsperson, die auf die Bedürfnisse des Kindes
eingeht, von der es Unterstützung und Anerkennung bekommt und die dem Kind zeigt, wie
es Probleme konstruktiv lösen kann.
Die Schule kann dazu beitragen, dass SchülerInnen Resilienz entwickeln
können:
durch:
Verstehbarkeit
Sinnhaftigkeit
Machbarkeit und Handhabbarkeit
Wertschätzung
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Positive Peer – Kontakte
Verantwortungsübernahme
Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhaus
Kooperation mit außerschulischen Einrichtungen
Der Kindertherapeut Sam Goldstein verwendet den Begriff „Kompetenzinseln“ und bezieht
sich damit auf die Stärken, die jedes Kind hat:
„In unseren Kursen bitten wir Eltern, eine Liste mit den Stärken ihrer Kinder zu machen, und
dann überlegen wir, wie man auf diesen Inseln aufbauen kann.
Zum Beispiel hatten wir einen Jungen, der Probleme beim Lesen und in Folge dessen immer
mehr Angst vor der Schule hatte. Seine Eltern haben seine künstlerische Begabung als
Kompetenzinsel ausgemacht. Also hat dieser Junge mit der Unterstützung seines Lehrers
und des Direktors bunte Schilder gemalt, die im Eingangsbereich der Schule aufgestellt
wurden, z.B. „Willkommen“ oder „Besucher, bitte melden Sie sich im Büro an“. Das erste,
was er jeden Morgen gesehen hat, wenn er in die Schule kam, waren die Zeichen seiner
Stärke. Das hat ihm geholfen, selbstsicherer und weniger ängstlich zu werden. Wir sollten
weniger versuchen unsere Kinder zu „reparieren“ und mehr nach Möglichkeiten suchen ihre
Stärken auszubauen.“
Kinder verbringen viel Zeit ihrer Kindheit in der Schule. Die Schule ist neben der Familie das
wichtigste Lernfeld. Schule kann zu einem Schutzfaktor für die kindliche Entwicklung werden,
wenn sie solche Rahmenbedingungen schafft, dass sich Kinder als positiv handelnd und
wirkend erleben können.
Mitten im Winter habe ich erfahren,
dass es in mir
einen unbesiegbaren Sommer gibt.“
( A. Camus )
Marietta Horky
Psychagogin in der Lernwerkstatt Donaustadt
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Literatur:
Annie Greef
Resilienz
Widerstandsfähigkeit stärken, Leistung steigern
Praktische Materialien für die Grundschule
Robert Brooks / Sam Goldstein
Das Resilienz – Buch
Wie Eltern ihre Kinder fürs Leben stärken
Das Geheimnis der inneren Widerstandskraft
Günther Opp, Michael Fingerle ( Hrsg.)
Was Kinder stärkt
Erziehung zwischen Risiko und Resilienz
Fröhlich – Gildhoff, Rönnau – Böse
Resilienz
Reihe: UTB Profile
Marion Kipker
Kinder, die nicht aufgeben
Förderung der Resilienz in der pädagogischen Praxis
Wolfgang Jaede
Kinder für die Krise stärken
Selbstvertrauen und Resilienz fördern
Victor Frankl
… trotzdem ja zum Leben sagen
Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager
Internet-Tipp
http://oe1.orf.at/libero/132254.html
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Lernmotivation Hund
Tiergestützte Pädagogik und Tiergestützte Therapie im Pflichtschulbereich
Einführung
Ein erfolgreicher Stützpfeiler der pädagogischen Arbeit am Standort KMS 11,
Svetelskystraße 4 – 6 ist der Einsatz von Therapiehunden. In der Vergangenheit wurde viel
darüber diskutiert, ob die Bezeichnungen „Therapiehund“, „Tiergestützte Pädagogik“ und
„Tiergestützte Therapie“ treffend sind oder nicht. Ich möchte im Folgenden versuchen, diese
Frage aufzugreifen und zu klären, sowie einen Einblick in die Arbeit mit meiner
Therapiehündin Bella im Schulalltag zu geben!
Der Begriff der Therapie
Für den Begriff der Therapie lassen sich zwei Bedeutungen nachlesen:
[1] Behandlungen bei einer Krankheit
[2] Maßnahmen gegen unerwünschte Zustände
Mag für den Bereich der Medizin eher die Definition der Therapie als Behandlung bei
Krankheiten zutreffen, so ist es für den schulischen Bereich eine der Maßnahmen gegen
unerwünschte Zustände!
θεραπεια
− therapiea, welches
„Therapie“ entstammt dem griechischen
gleichbedeutend ist mit: „das Dienen, die Bedienung, die Dienstleistung“, „die Pflege“! Genau
das ist es, was fundiert ausgebildete Hunde im Schulalltag zu leisten imstande sind. Sie
unterstützen die Arbeit des Menschen!
Hunde wirken einerseits beruhigend und als Sicherheitssignal, andererseits funktioniert ihre
Kommunikation anders als die zwischenmenschliche Kommunikation. Diese Verschiebung
der Kommunikationsweise bewirkt, dass zwischen Hund und Mensch verletzungsfreier und
offener agiert wird, als im zwischenmenschlichen Kontakt. Hunde besitzen einen hohen
Aufforderungscharakter, was wir uns in unserer Arbeit sehr gut zunutze machen können.
Darüber hinaus verbessert sich bei Anwesenheit eines Hundes die Befindlichkeit aller
Beteiligten!
Tiergestützte Pädagogik und Tiergestützte Therapie
Den unterschiedlichen Zielsetzungen entsprechend, muss die Einsatztätigkeit im Rahmen
des Vormittagsunterrichts von den Absichten unterschieden werden, welche hinter
Einzelkontakten im Rahmen eines seit dem Schuljahr 2009/2010 genehmigten,
extradisziplinären Stundenkontingents stehen!
Steht am Vormittag die Tiergestützte Pädagogik (TGP) im Vordergrund, so geht es bei den
Einzelkontakten um tiergestützte pädagogisch-therapeutisch indizierte Maßnahmen und
somit um Tiergestützte Therapie (TGT).
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Tiergestützte Pädagogik baut auf den Erfahrungen der tiergestützten Therapie auf!
Unter Tiergestützter Therapie versteht man per Definitionen alle Maßnahmen, bei denen
durch den gezielten Einsatz eines Tieres positive Auswirkungen auf das Verhalten und
Erleben von Menschen erzielt werden sollen. Diese positiven Auswirkungen sind per se nicht
davon abhängig zu machen, wer den Hund führt, da sie durch das Tier an sich bewirkt
werden.
Tiergstützte Pädagogik (TGP)
Bella vom Retrieverzwinger ist ein
geprüfter
Therapiehund
der
Rettungshunde Niederösterreich
(www.therapiehunde.at).
Sie begleitet unsere Schülerinnen
und
Schüler
durch
ihren
Unterrichtsalltag!
Viele wissenschaftliche Studien
belegen mittlerweile, dass sich
der
Einsatz
eines
Therapiehundes in mehrfacher
Hinsicht
positiv
auf
das
Klassenklima
auswirkt.
Ein
Therapiehund bringt den Kindern Vertrauen entgegen, hilft beim Abbau von Stress, etwa bei
Klassenarbeiten, beim Erlernen von Pflichten und Aufgaben, sowie bei der Entwicklung von
Zuverlässigkeit und Freundschaft. Durch die Interaktion mit dem Tier entwickeln die Kinder
Empathie, also die Fähigkeit, sich auf andere Lebewesen einzustellen. In vielfältiger Weise
können Therapiehunde in das Unterrichtsgeschehen eingebunden werden und sorgen so für
eine entspannte, lustvolle Lernatmosphäre!
Tiergestützte Therapie (TGT)
In Einzelkontakten wirkt Bella im
emotionalen Bereich beruhigend
bzw. als nicht wertende Zuhörerin
bei Lernsituationen.
Die Kinder lesen „ihrem Hund“
vor, lernen „mit ihr“ gemeinsam
Vokabeln oder stellen ihr selbst
kleine
„Denksportaufgaben“,
wodurch es ihnen möglich ist,
ihren Hund auch einmal als
„Schülerin“ zu erleben – somit ein
Stück weit die Rolle einer
Lehrerin oder eines Lehrers zu
übernehmen.
Die positive Wirkung des Hundes fällt mir beispielsweise bei einem sprachbeeinträchtigten
Mädchen auf, das im Unterrichtsgeschehen das Sprechen verweigert, in der Einzelsituation
mit dem Hund jedoch zunehmend an Stimmkraft und Selbstvertrauen gewinnt!
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Im Einzelkontakt wird es möglich, auf besondere Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler
näher einzugehen. Emotionale Settings können genauso gezielt bearbeitet werden, wie
Problemstellungen im motorischen oder taktilen Bereich. Die Kinder erfahren hier ein
besonderes Gefühl der Geborgenheit in einem geschützten Rahmen außerhalb des
Unterrichts. Als maximale Gruppengröße können drei Kinder angesehen werden, wobei hier
bereits ein großer Teil des „Sich-geborgen-Fühlens“ wieder verloren geht.
Es ist obligatorisch, dass ausschließlich die den Hund führende Person über Gruppengröße
und Ablauf einer solchen Einheit entscheiden kann!
Dipl. Päd. Sobl. Thomas Wagner
Sonderpädagoge
Besuchsschullehrer
Therapiehundeführer
Rettungshundeführer
Kontaktadressen:
www.therapiehunde.at
www.rettungshunde.at
Literaturhinweis:
www.wikipedia.at
http://de.wiktionary.org
www.turner-iet.ch
www.tierealstherapie.org
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Begabt und auffällig anders – was tun?
„Für Bastian F., nachweislich überdurchschnittlich begabt, zurzeit in einer dritten
Wiener VS-Klasse, muss ein neuer Schulplatz gefunden werden. Warum?
Bastian ist extrem zappelig und lebt als Einzelkind mit seiner allein erziehenden Mutter.
Er meistert die sozialen Anforderungen einer Großgruppe für einen ganzen Schultag
nur bedingt. Bastian hat es schwer in der Klasse, aber auch die Klasse hat es schwer
mit ihm. Seine Lehrerin ist verzweifelt, alle schulischen Ressourcen, wie z.B.
Beratungslehrerin wurden bereits zur Gänze ohne positive Nachhaltigkeit
ausgeschöpft.
Obwohl Bastian Routinearbeiten grundsätzlich verweigert, scheinbar nie zuhört, sich
ständig mit anderen Dingen beschäftigt, ist er trotzdem im Lernstoff den meisten seiner
Gruppe voraus. Die engagierte Lehrerin erkennt zwar sein Potenzial, aber sein
auffälliges Sozialverhalten steht im Vordergrund. Im Einzelkontakt oder in der
Kleingruppe ist Bastian engagiert und relativ unauffällig, jedoch ein ganzer Schultag ist
für alle Beteiligten schlicht und einfach zu viel. Die Klassenlehrerin hat in ihrer 25Kindergruppe noch viele andere Herausforderungen zu meistern…“
Was tun?
Begabte, sozial-emotional schwierige Kinder wie Bastian brauchen zumindest temporär eine
spezielle Betreuung und gleichzeitig intellektuelle Herausforderungen.
Durch die spezielle Betreuung im Tandem-Projekt wird gezielt auf diese besondere
Bedürfnislage reagiert.
Seit drei Jahren bereichert dieses Projekt die Schullandschaft in Wien. In vier öffentlichen
Grundschulen gibt es eine zusätzliche personelle und räumliche Ressource. Die vier
Tandemlehrerinnen zeichnen sich durch besonderes Engagement und entsprechende
Ausbildung auf den Gebieten der Begabungsförderung und der Verhaltensauffälligkeit aus.
Grundsätzlich können bis zu sieben Kinder in das Tandem-Projekt des jeweiligen Standortes
aufgenommen werden.
Das Projekt ermöglicht eine neue Form der integrativen Beschulung. Je nach Bedürfnislage
des Kindes und den schulischen Gegebenheiten kommt es zu einem Wechsel der sozialen
Settings. Jede Form ist möglich: Einzelarbeit, Kleingruppenarbeit, betreut in der Großgruppe,
unbetreut in der Großgruppe.
Ein ganz „normaler“ Tandem-Tag:
„Bastian kommt am Dienstagmorgen in seiner Stammklasse an. In der ersten Stunde ist
Sachunterricht, sein absolutes Lieblingsfach. Danach ist Sport und Bewegung. Beim
Völkerballspiel fällt es ihm schwer, die damit verbundenen Regeln zu akzeptieren.
Bastian geht aufgeregt in die große Pause und wird danach von der Tandem-Lehrerin
für eine Stunde aus der Großgruppe herausgenommen. Die Tandem-Lehrerin bearbeitet
in Absprache mit der Klassenlehrerin einerseits den Mathe-Lernstoff, gleichzeitig
bekommt das begabte Kind auch Enrichmentmaterialien zur Förderung. Die vierte und
die fünfte Stunde verbringt Bastian wieder in seiner Stammklasse, und die TandemLehrerin kommt in der fünften Stunde zur Großgruppe dazu. So ist es ihr möglich,
sowohl Bastian als auch die anderen Kinder der Gruppe zu unterstützen. Denn
erfahrungsgemäß werden gegen Ende des Schultages Bastians Durchhaltevermögen
und das der Großgruppe bisweilen auf die Probe gestellt…“
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Ziel ist es, das Kind so kurz wie möglich und so lange wie nötig während eines Schultages in
der Kleingruppe bzw. einzeln zu betreuen und zu fördern.
Im Moment (Stand Jänner 2010)
werden zwölf Buben im TandemProjekt betreut. Die Frage, warum
nur Burschen bis jetzt ins Projekt
aufgenommen wurden, drängt sich
auf. Die möglichen Antworten darauf
sind
vielfältig,
mehrheitlich
geschlechtsbedingt
erklärbar.
Mädchen sind tendenziell anders im
Ausdruck ihrer sozial-emotionalen
Bedürfnisse, neigen eher dazu sich
zurückzuziehen
oder
sich
zu
arrangieren,
reagieren
eher
Therapiehund Nelly an der VS Wichtelgasse
psychosomatisch als aggressiv – um
nur ein paar der vielfältigen Gründe zu
nennen. Der Anteil von Burschen in
Mosaik- und Förderklassen ist ebenfalls
erheblich höher als der von Mädchen.
Grundsätzlich ist das Tandem-Projekt
sowohl für Buben als auch für Mädchen
gedacht.
Die Tandem-Lehrerinnen werden bei
ihrer herausfordernden pädagogischen
Arbeit
durch
eine
monatliche
Supervision begleitet.
Das
Begabungsförderungszentrum
unterstützt sie bei pädagogischen
Fragen, stellt Material und Literatur zur
Verfügung und versucht gleichsam als Außenstelle mitzubetreuen. Die Tandem-Lehrerinnen
unterstehen
dienstrechtlich
der
Schulleitung
bzw.
dem/der
jeweiligen
Bezirksschulinspektor/in.
Mag. Renate Deininger – VS Deckergasse, Natascha Zillner – GVS Spielmanngasse,
Sandra Fiedler – VS Wichtelgasse, Mag. Katharina Rozsa – OVS Märzstraße beschulen und
begaben „ihre Buben“ unterschiedlich. An jedem Standort liegen besondere Gegebenheiten
vor. Auch die Zusammenarbeit mit den Tandem-Klassenlehrerinnen gestaltet sich vielfältig.
So ergibt sich an jedem Standort eine individualisierte pädagogische Umsetzung.
Zu den Aufgaben der Tandemlehrerinnen gehört die aktive Vernetzung mit Einrichtungen wie
z.B. Schulpsychologie, Jugendamt, AKH, Therapeuten/innen, etc. falls notwendig. Die
Erfahrung zeigt, dass auch hier extrem unterschiedliche Bedürfnisse vorhanden sind.
Natürlich braucht nicht jedes Tandem-Kind eine begleitende Therapie, die Mehrzahl wird
jedoch psychologisch betreut. Auf jeden Fall ist eine intensive, beständige
Elternkommunikation Teil der Arbeit.
Die Tandemlehrerinnen fassen in einem „Log-Buch“ die soziale und kognitive Entwicklung
jedes Kindes schriftlich zusammen. Diese Zusammenfassung mündet in eine ausführliche
Jahresdokumentation.
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Im Moment endet das Projekt nach der vierten Schulstufe. Da es, wie auch hier die
Erfahrung zeigt, bei einigen Kindern notwendig wäre, eine spezielle Betreuung in der
Sekundarstufe weiterzuführen, bleibt von Seiten der direkt und indirekt Betroffenen der
Wunsch offen, das Tandem-Projekt in unserem Schulsystem fortführend umzusetzen. Die
Begleitung und Betreuung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen braucht viele helfende
Hände und Köpfe.
An dieser Stelle soll allen Lehrerinnen und Lehrern gedankt werden, die letztendlich das
Projekt mittragen und diesen besonderen Kindern mit ihrer ebenfalls besonderen
pädagogischen Haltung entgegenkommen.
Falls Sie an dem Projekt interessiert sind,
so wenden Sie sich bitte an das Begabungsförderungszentrum:
[email protected]
www.wien.gv.at/bildung/stadtschulrat/beratung/begabungsfoerderung.html
Brigitte Palmstorfer MSc
Schritte zur Aufnahme in das Tandem-Projekt:
Eltern
Schule
BSI 2
Andere
BFZ
Aufnahmeportfolio:
Antrag der Eltern, Daten und Gutachten, Schulische Maßnahmen, …
KOMMISSION
Schulpsychologie + bfz 3 + BSI
entscheidet
Verbleib an
der Schule
2
3
Spezielle
Begabungsförderung im
Tandem-Projekt
Wechsel der
Schule
BSI = BezirksschulinspektorIn
bzi = Begabungsförderungszentrum
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Soziale Dienste für Familien mit behinderten
Kindern
Situation bis 1.1.2010:
Für die Unterbringung behinderter Kinder bis zum vollendeten 15. Lebensjahr war die MAG
ELF4 zuständig, ab dem 15. Lebensjahr der FSW5.
Voraussetzung für eine Unterbringung eines behinderten Kindes war eine Gefährdung des
Kindeswohls und daher eine Jugendwohlfahrtsmaßnahme, d. h. die Obsorge für das Kind
ging immer an die MAG ELF über.
Neu ab 1.1.2010:
Die Mag ELF ist für die Unterbringung aller behinderten Minderjährigen bis zum vollendeten
18. Lebensjahr zuständig.
Die Unterbringung kann auch im Rahmen des Sozialen Dienstes erfolgen, d. h. die Obsorge
bleibt bei den Eltern!
Angebote im Sozialen Dienst:
Familienhilfe für Kinder mit Behinderung
Träger: Caritas
Familienhilfe
ist
ein
freiwilliges
Unterstützungsangebot
zur
Entlastung
der
Hauptbetreuungsperson von geistig oder/und körperlich behinderten Kindern. Gewährleistet
wird eine familiennahe, zeitlich begrenzte Betreuung der behinderten Kinder und
Jugendlichen im Alter zwischen 0 und 15 Jahren in ihrer vertrauten Umgebung.
Die Betreuungspersonen sollen die Möglichkeit haben, aus der Belastungssituation
kurzzeitig auszusteigen.
Familienhilfe kann auch zur regelmäßigen Entlastung (ein Halbtag pro Woche) gewährt
werden. Das soll der Familie
einen fixen Zeitrahmen pro Woche als Entlastung
ermöglichen. Familienhilfe dient auch als Überbrückung von Betreuungslücken, z.B. bei
Erkrankungen von Kindern, Ausfall der Betreuungspersonen, Krankenhausaufenthalt der
Eltern, usw.
Das Höchststundenkontingent beträgt pro Familie vier bis sechs Stunden pro Woche,
befristet auf drei Monate.
Kurzzeitunterbringung
Die Eltern behinderter Kinder haben die Möglichkeit, ihre Kinder einige Tage, bis zu vier
Wochen im Jahr, in bestehenden Behinderteneinrichtungen (Caritas – Am Himmel, ClaraFey-Kinderdorf, St. Benedikt, …) unterzubringen.
Dieses Angebot dient der Entlastung der Eltern behinderter Kinder.
Wichtig ist: die Obsorge bleibt bei den Eltern.
4
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MAG ELF – Amt für Jugend und Familie, http://www.wien.gv.at/menschen/magelf/
FSW – Fonds Soziales Wien, http://www.fsw.at/
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Teilstationäre Unterbringung
Die Unterbringung erfolgt von Montag bis Freitag, an den Wochenenden und während der
Urlaubszeit werden die Kinder von den Eltern betreut.
Wichtig: auch hier verbleibt die Obsorge bei den Eltern.
Die Eltern zahlen einen Teil der Kosten (nach Einkommenssituation, analog der „Vollen
Erziehung“).
Um den Sozialen Dienst in Anspruch nehmen zu können, ist es erforderlich einen
Beratungstermin im Kompetenzzentrum für Integrationsfragen der MAG ELF zu vereinbaren.
Ansprechperson: Ingrid Pollmann
Tel: 4000/90 887
oder [email protected]
19
INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Neuigkeiten aus dem Bereich
„Inklusive Pädagogik“
Vom 24. – 27. Februar 2010 fand in Innsbruck die 24. InklusionsforscherInnentagung des
deutschen Sprachraums statt.
Abb. 1: „Hausherr“ Prof. Dr. Volker Schönwiese
Abb. 2: TagungsteilnehmerInnen
Im Mittelpunkt stand die UN-Konvention
über die Rechte behinderter Menschen,
die am 26. Oktober 2008 für Österreich
in Kraft trat. Bei der Tagung wurde ein
besonderes
Augenmerk
auf
Forschungsbeiträge gelegt, bei denen
Menschen mit Lernschwierigkeiten und
Beeinträchtigungen an den Projekten
als ForscherInnen beteiligt waren.
Abb. 3: Barrieren – Auf- oder Abbau?!
20
INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Des Weiteren wurde von den VeranstalterInnen darauf geachtet, dass es zu einem
ausgewogenen Verhältnis zwischen Arbeitskreisen in akademischer und in leichter Sprache
kam.
Abb. 4:
Prof. Dr. Georg Feuser;
„Inklusionsgerede und UNKonvention – neue Mythen des
Vergessens einer selbst
induzierten
Integrationsproblematik“
Abb. 5:
Andreas Paukner, Peter Pigler, Wolfgang
Orehounig; „Empowerment – miteinander
und voneinander Lernen in Ausbildung
und Schulentwicklung“
Neben den zahlreichen Arbeitskreisen fand am 25. Februar eine öffentliche
Podiumsdiskussion zur Thematik „Bildung in Österreich und die UN-Konvention“ statt.
21
INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Abb. 6: Podiumsdiskussion
alle Fotos: Rainer Grubich
Am Podium diskutierten (von links nach rechts):
Michaela König
a
Mag. Marianne Schulze
Dr. Anton Dobart
Prof. Dr. Ewald Feyerer
in
Prof.in Dr. Irmtraud Schnell
in
Dr. Marianne Hirschberg
Selbstvertreterin
Vorsitzende des österreichischen
Monitoringausschusses zur Einhaltung der in der
Konvention beschriebenen Menschenrechte
Sektionschef im Ministerium für Unterricht, Kunst und Kultur
Professor an der Pädagogischen Hochschule Oberösterreich
Professorin an der Goethe-Universität Frankfurt
wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Instituts für
Menschenrechte
Bei der Diskussion wurde ein Forderungspapier der „Initiative Inklusion Österreich“ – einer
Plattform von LehrerInnen, WissenschafterInnen, ElternvertreterInnen und Betroffenen –
vorgestellt.
In diesem wird u. a. Folgendes gefordert:
Fortführung der gesetzlichen Verankerung des Rechts auf gemeinsamen Unterricht
behinderter und nicht behinderter Jugendlicher von der 9. bis zur 12. bzw. 13. Schulstufe
Flächendeckender Ausbau von Ganztagsschulen, denn jedes Kind muss auch
gesetzlichen Anspruch auf Nachmittagsbetreuung haben
Anpassung der Curricula aller Lehramtsstudiengänge an die Anforderungen inklusiver
Bildung
Weiterentwicklung der Sonderschulen in allgemeine, inklusive Schulen und somit die
Abschaffung der Sonderschulen
Das Forderungspapier wurde an Dr. Anton Dobart mit der Bitte um Weiterleitung an
Bundesministerin Dr.in Claudia Schmied übergeben.
Sollten Sie Interesse an dem Forderungspapier haben, so bitte wir um Kontaktaufnahme
über unten stehende E-Mail-Adresse.
Mag. Rainer Grubich
Lehrer im Bereich des SSR für Wien, Mitarbeiter der PH-Wien (Bereich Fortbildung)
Mitbegründer der Plattform „Initiative Inklusion Österreich“
Kontakt: [email protected]
22
INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Das Modell der „Wiener Mittelschule“ und die
Integration von SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf – Erfahrungen
einer Integrationslehrerin
Seit Beginn des Schuljahres 2009/2010 arbeite ich als Integrationslehrerin in einer „Wiener
Mittelschule“ im 16. Bezirk. Ich unterrichte in einer Integrationsklasse der fünften Schulstufe,
die sich aus 21 Schüler/innen, davon fünf Integrationskindern, zusammensetzt.
Der Schulversuch „Wiener Mittelschule“ ist seit dem heurigen Schuljahr in meiner Schule
angelaufen. Im Folgenden möchte ich einige Besonderheiten des neuen Modells erläutern
und aufzeigen, wie Integrationskinder von dieser Schulform profitieren.
Die Schule, an der ich tätig bin, ist eine Ganztagsschule mit verschränkter Unterrichtszeit,
das bedeutet, dass sich Lernzeit und Freizeit abwechseln. Die Schüler/innen sind von
Unterrichtsbeginn bis Unterrichtsende am Nachmittag in der Schule und erhalten dort auch
ihr Mittagessen. In der Freizeit werden den Kindern einige Kurse angeboten. Unser
Freizeitangebot umfasst Aktivitäten, die entweder in unseren schuleigenen Einrichtungen,
wie Freizeiträumen, Computerräumen, Bibliothek, Turnsälen, oder außerhalb der Schule, im
Schwimmbad, im Bowlingcenter, in der Sporthalle stattfinden.
In meiner Klasse werden Schüler/innen mit und ohne sonderpädagogischem Förderbedarf,
gemeinsam unterrichtet. Hierbei ist es wichtig, Themen in unterschiedlichen Ausmaßen und
Schwierigkeitsgraden vorzubereiten und zu behandeln. Die Lernziele können dabei ebenso
variieren. Jeder Lernende soll von seinem derzeitigen Leistungsstand abgeholt werden,
sodass er sich im Unterricht auch einbringen kann. Gerade für Integrationsschüler/innen ist
es wichtig ein Teil der Klassengemeinschaft zu sein und, wenn möglich, ins
Unterrichtsgeschehen miteinbezogen zu werden. Durch das Arbeiten an gleichen Themen,
oftmals zwar für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf in vereinfachter Form,
gelingt dies in meiner Klasse recht gut. Alle Kinder können ihr Wissen einbringen und
ebenso erweitern.
In den Gegenständen Deutsch, Mathematik und Englisch ist der Unterricht in Kernkurs und
Leistungskurs gegliedert.
Im Kernkurs werden die Kernelemente der
Lerninhalte des Lehrplans unterrichtet. Die
Teilnahme an diesem Kurs ist für alle
Schüler der Klasse verpflichtend.
Dies gilt ebenso für den Leistungskurs,
wobei sich dieser in Trainingskurse und
Erweiterungskurse gliedert.
Trainingskurse dienen dazu, den
bereits gelernten Kernstoff zu
trainieren und zu festigen.
Erweiterungskurse sollen den
Schülern Wissen, das über den
Unterrichtsstoff des Kernkurses
hinausgeht, vermitteln.
23
INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Welchen Kurs welche/r Schüler/in zu besuchen hat, wird vom unterrichtenden
Fachlehrer/innenteam bestimmt. Dieses Team beobachtet die Leistungen des einzelnen
Kindes und entscheidet, ob es mehr Lerninhalte verstärkt wiederholen sollte oder, ob es
bereits in der Lage ist, sein Wissen zu erweitern.
Integrationsschüler/innen beispielsweise müssen nicht immer Trainingskurse besuchen,
denn wenn sie zeigen, dass sie einen Abschnitt des Kernstoffes bereits beherrschen, so
können sie in den Erweiterungskurs wechseln. Die Kinder werden durch diese Kurse in
Kleingruppen von dort abgeholt, wo sie gerade stehen und bestmöglich gefördert.
Einmal wöchentlich ist die so genannte „Lerncoaching-Stunde“ im Stundenplan verankert. In
dieser Stunde bekommen die Schüler/innen die Gelegenheit, sich selbst und ihr Lernen zu
organisieren und passende Lerntechniken zu erlernen. Sie sollen sich auf die Arbeitswoche
vorbereiten und bei schulischen Problemen einen Lerncoach zu Rate ziehen. Es ist mir ein
Anliegen den Schüler/innen eigenverantwortliches Arbeiten und Handeln näher zu bringen.
Folgende Themen werden zum Beispiel in dieser Stunde durchgenommen:
Verhalten während des Unterrichts
Gestaltung des Arbeitsplatzes
Vorbereitung auf den Schultag
Kalenderarbeit
Zusammenarbeit mit dem Lernhelfer, …
Integrationskinder profitieren von dieser Stunde ebenso wie ihre Mitschüler/innen. Sie sollen
erkennen, dass sie selbst für ihr Lernen mitverantwortlich sind und durch kleinere
Änderungen ihres Verhaltens oder ihrer Lernumgebung beispielsweise eine Verbesserung
beim Lernen bewirken können.
In meiner Klasse unterrichten Lehrer/innen aus unterschiedlichen Schularten. Zum einen
werden fachgeprüfte Lehrer/innen aus dem Hauptschulbereich eingesetzt, um den
Schüler/innen bestmöglich Wissen zu vermitteln. Zum anderen unterrichtet ein Pädagoge
aus der Allgemeinbildenden höheren Schule die Kinder, um ihr Wissen über den Kernstoff
hinaus zu erweitern. Weiters begleitet ein Volksschullehrer als Nahtstellenpädagoge den
Unterricht, um den Schüler/innen den Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe 1
zu erleichtern. Ich bin als Sonderpädagogin in meiner Klasse tätig und betreue besonders
die Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. Das Team, mit dem ich
zusammenarbeite, setzt sich aus relativ wenigen Lehrer/innen zusammen. Dies macht es
den Schüler/innen einfacher, sich auf die Lehrer und deren Unterricht einzustellen.
Damit all dies gelingt, kommt es vor allem auf gute Unterrichtsvorbereitung an. Mein
Lehrer/innenteam und ich besprechen unsere Lehrvorhaben in einer einmal pro Woche
stattfindenden Teamsitzung, die im Stundenplan verankert ist. Planung von Unterricht und
Erziehung ist meiner Meinung nach besonders in einer Integrationsklasse von Bedeutung.
Da Schüler/innen mit sonderpädagogischem Förderbedarf bestmöglich in den Unterricht
integriert werden sollen, müssen meine Kolleginnen/Kollegen und ich im ständigen
Austausch über die Gestaltung des Unterrichts sein.
Abschließend möchte ich noch anmerken, dass meiner Meinung nach dieser Schulversuch
den Vorteil hat, dass Integrationskinder durch die genannten Neuerungen bestmöglich
gefördert werden können.
Autorin: Dipl. Päd. Barbara Haider
WMS Roterdstraße 1
1160 Wien
24
INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Integration und die WienerMittelSchule:
Mehr als nur „alter Wein in neuen Schläuchen“
Dieser Beitrag befasst sich mit den positiven Wechselwirkungen von Sonderschulintegration
und dem Konzept der WienerMittelSchule, kurz WMS. Neben der Darstellung persönlicher
Lehrerfahrungen werden auch derzeit offene Punkte und Desiderate andiskutiert.
Den ersten direkten Kontakt mit der „WienerMittelSchule“ hatte ich vor ungefähr einem Jahr,
als im Frühjahr 2009 bei einer Konferenz an unserem Schulstandort für den neuen
Schulversuch abgestimmt wurde. Das Thema WMS und die Möglichkeiten zur Umsetzung
waren im weiteren Verlauf des Schuljahres allgegenwärtig. So wurden zu schulinternen
Fortbildungen KollegInnen aus anderen Schulen eingeladen, um Modelle zur alternativen
Leistungsbeurteilung in der Sekundarstufe zu präsentieren, die sie ausgearbeitet hatten und
im Schulalltag praktizierten. Andere wiederum konnten Erkenntnisse vorstellen, die sie bei
ihrer Arbeit mit Kurssystemen, wie diese ebenfalls in der WMS verankert werden sollen,
gewonnen hatten.
Als Sonderschullehrer an einem (damals noch) KMS6-Standort wurde mir rasch bewusst,
welch wichtigen Schritt die WMS für die Sonderschulintegration7 darstellt. Denn wie von
Anfang an ersichtlich war, beziehen sich viele Neuerungen, die die WMS mit sich bringt,
direkt auf die Konzepte der Sonderpädagogik sowie auf die Grundsätze der
Sonderschulintegration, beziehungsweise nutzen sie die dort seit mehreren Jahren
praktizierten Ansätze. Aus dieser Perspektive lässt sich die Sonderpädagogik als der Bereich
betrachten, in dem in den vergangenen Jahren wesentliche Pionierarbeit geleistet wurde, die
sich nun im größeren Kontext – nämlich dem der Didaktik in der WMS – durchsetzt.
So sind beispielsweise im Schulversuch Grundgedanken wie „Förderung statt Selektion“ und
„Individualisierung und Differenzierung“8 sowie ein Ausbau pädagogischer Hilfs- und
Stützsysteme zur Förderung der Integration innerhalb der WMS für alle beteiligten
LehrerInnen verbindlich.9 Dass alle SchülerInnen das richtige Maß an Förderung benötigen,
um einen von ihnen selbst gesteuerten Lernweg einzuschlagen, ist dabei für mich eine
dringend gewordene Zusage und ein Bekenntnis zur bestmöglichen Förderung der/des
Einzelnen.
Wie von Ewald Feyerer in einem 2009 erschienenen Beitrag beschrieben, wird hier dem
Grundgedanken der WMS aus Sicht der Sonderpädagogik schon vorgegriffen:
Im Konzept der Inklusion ist nicht mehr die Integration der Minorität in die Majorität
das Ziel, sondern eine Schule für alle. In einer Pädagogik der Vielfalt werden Kinder
als individuell verschieden und als prinzipiell zuwendungs- und förderbedürftig
gesehen.
Feyerer 2009: S. 24110
6
KMS – Kooperative Mittelschule
Ich verwende in diesem Beitrag die Bezeichnung „Sonderschulintegration“, da zurzeit mit dem Terminus „Integration“ eher der
Bereich der professionellen Eingliederung von Kindern bezeichnet wird, die mit einer anderen Erstsprache als Deutsch in die
Schulen kommen.
8
Dies zählt zu den Hauptsäulen der sonderpädagogischen Förderung. Individualisierung hat als Grundlage das Wissen
darüber, dass jede/r SchülerIn und das Lernen an sich eine persönliche Eigenaktivität besitzt. Für den Unterricht bedeutet
Individualisierung somit methodische (Bildkarten, Teilschritte…), personelle, strukturelle (Tages, Wochen- und Monatspläne,
transparente Gestaltung des Lerninhaltes) und materielle Hilfestellung (Lernkarteien, EDV…). Differenzierung findet
SchülerInnenzentriert statt, d. h., dass beispielsweise bei der Planung des Unterrichts unterschiedliche Lerntypen in der
Methodenauswahl berücksichtigt werden oder dass eine individuelle Herausarbeitung von Lernzielen erfolgt.
9
Vgl. auch den aktuellen Flyer des Stadtschulrats für Wien zum Thema:
http://www.stadtschulrat.at/files/content_mittelschuledl_1/WienerMittelschule.pdf
10
Feyerer, Ewald: Ist Integration „normal“ geworden? In: Erziehung und Unterricht. Österreichische Pädagogische Zeitschrift, 3–
4/2009 (159), S.241–254.
7
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Genau dieser Zugang ist es, in dem nach meiner Auffassung das einzigartige Potenzial des
Schulversuchs WienerMittelSchule liegt. Dadurch bietet die WMS nämlich nicht nur
IntegrationsschülerInnen mehr Chancen, sondern zugleich allen SchülerInnen.
Damit eng verknüpft ist die Ausrichtung
(Spezialisierungen) des Lehrberufes.
auf
neue
berufliche
Anforderungen
Ein Beispiel aus dem neuen Schulalltag
Gestern war im Kursunterricht gute Stimmung. Zwei
SchülerInnen waren zu Beginn zwar etwas verblüfft, als ich
die erste Gruppeneinteilung für die erste Kursstunde der
Klasse getroffen habe: Michael11, ein Integrationskind mit
Sonderpädagogischen
Förderbedarf12
und
Lehrplanabstufung in Mathematik und Deutsch, und
Tamara, die Schülerin mit den besten Noten, sollten
gemeinsam in einer Mathematikkursstunde arbeiten.
Eigentlich ist dies kein wirklich neuer Ansatz, denn es
entspricht
seit
langem
dem
Alltag
der
Hauptschulintegration, dass Integrationskinder und Kinder
ohne SPF generell gemeinsam und nur bei Bedarf in
Einführungssequenzen getrennt oder einzeln beschult
werden. Meine Wahl nun war für die Kinder in der
1. Klasse (Sekundarstufe I) etwas Ungewohntes.
Das Kurssystem der WienerMittelSchule ist mittels Kleingruppen organisiert, in denen die
SchülerInnen individuell betreut werden können13 und dennoch alle Themen nacheinander
durchlaufen.
Thema dieses Kurses (Basiskurs14) war „der Kreis“. Während mein Mathematikkollege an
der Tafel die Grundbegriffe der Geometrie erörterte und die Nahtstellenlehrerin als Einstieg
den Wissensstand der SchülerInnen (Kreis, Geometrie, verschiedene Werkzeuge, z. B.
Geodreiecke, Zirkel usw.) ermittelte, konnte ich die für den nächsten Schritt eingeplanten
Werkzeuge für die anwesenden sechs SchülerInnen vorbereiten, um den praktischen
Umgang mit ihnen einüben zu können.
Eine Kursgruppe in den so genannten
Trägerfächern Deutsch, Mathematik und Englisch
besteht aus sechs bis acht SchülerInnen. Diese
Gruppen
wechseln
wöchentlich
nach
Themenschwerpunkten, in diesem Fall „Geometrie
– der Kreis“, „Multiplikation – Zahlenbereiche“ und
„Addition und Subtraktion – Zahlenbereiche“. Alle
drei Kurse sind Basiskurse, die alle SchülerInnen
absolvieren sollen, bevor sie in speziellen
Erweiterungskursen vertiefend mit Themenwissen
konfrontiert werden. Das bedeutet für die
Integration und die Kursgruppenorganisation, die
11
Namen vom Autor geändert.
Im Folgenden mit SPF abgekürzt.
13
Praktische Anwendung des Prinzips von Individualisierung und Differenzierung.
14
Die WMS-Kurse sind durch Basis- und Erweiterungskurse organisiert, wobei jede/r SchülerIn sowohl Basis- als auch
Erweiterungskurs durchläuft.
12
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
jeder/jedem SchülerIn die Teilnahme an speziellen Kursen ermöglicht, eine Durchmischung,
die positive Effekte auf das Lernen des Einzelnen hat.
Die einzelnen Lerntypen und Lerntechniken werden durch die beratende Tätigkeit eines
Lerncoaches15 unterstützt, und es wird versucht, den Unterricht entsprechend zu gestalten,
damit die individuellen Gegebenheiten berücksichtigt werden können. Um dies zu erreichen,
ist eine konsequente Planungsschiene aller Beteiligten erforderlich.
Wie schaut nun eine Teamzusammensetzung innerhalb der WMS aus?
Teamzusammensetzung
Aufgrund der individuelleren Anforderungen (z. B. lernförderliches Klima, individuelles
Fördern, klare Leistungserwartungen und Rückmeldungen16) innerhalb des Schulversuches
war es notwendig, ein „SpezialistInnen-Team”17 zu installieren, das sich einzelner Bereiche
im Schulversuch professionell widmet und das verschiedenen Aufgabenbereichen
zugeordnet werden kann18.
Eine erste Neuerung im WMS-Team ist der Bereich Nahtstelle 10Plus. Dieser Bereich
widmet sich dem oftmals schwierigen Umstieg von der Primarstufe in die Sekundarstufe I.
Mithilfe engerer Kooperationen der einzelnen Schulen (also VS und WMS) soll dies erreicht
werden. Geleitet wird dieser Prozess sowohl für Eltern als auch für SchülerInnen durch sog.
NahtstellenpädagogInnen aus der Primarstufe und der Sekundarstufe I. Diese arbeiten in
einem „Feedbackprozess“ zusammen, um eine stetige Verbesserung des Überganges zu
ermöglichen.
Der Nahtstellenpädagoge/die NahtstellenpädagogIn bringt wesentliche didaktische
Kenntnisse aus der Primarstufe in die Sekundarstufe I ein und stützt gleichermaßen die
Individualisierungs- und Differenzierungsanforderungen der WMS.
Die Vorteile dieser Teamzusammensetzung liegen auf der Hand: Eltern und SchülerInnen
werden individuell auf den Umstieg vorbereitet und bei jedem Schritt bestmöglich betreut,
und der Austausch mit den zuständigen LehrerInnen findet auf Augenhöhe statt, da alle
Beteiligten von einem gemeinsamen Wissensstand profitieren.
Weitere Spezialistinnen/Spezialisten, die bereits im Zuge der Umstrukturierung auf die WMS
etabliert wurden, sind der oben bereits erwähnte Lerncoach sowie ein/eine
SchulpsychologIn. An einzelnen Standorten werden zudem auch Jugend- und
SozialarbeiterInnen eingesetzt, um eine persönliche Rund-um-Betreuung anbieten zu
können.
15
Der Lerncoach in der WMS hat eine eigene spezielle Ausbildung der PH, fungiert selbst aber nicht als Lehrer. Er kann
beispielsweise Lerntypentests durchführen, kümmert sich um die Vermittlung von Lernkonzepten in speziellen Einheiten im
Ausmaß einer Wochenstunde und ist auch der Ansprechpartner für Themen rund um das soziale Lernen.
16
Lernförderliches Klima: Bezeichnet eine Unterrichtsatmosphäre mit humaner Qualität der Beziehungen. (z. B.: gegenseitiger
Respekt, verlässlich eingehaltene Regeln, keine Diskriminierung, Platz für Humor und Begeisterung …)
Individuelles Fördern: Jede/r SchülerIn soll eine Chance erhalten, Potenziale optimal entwickeln zu können.
Klare Leistungserwartungen und Rückmeldungen: Je transparenter und klarer eine Leistungserwartung (Lernziele) angeboten
wird, desto besser kann sich der/die SchülerIn orientieren.
Vgl. im Einzelnen dazu Meyer, Hilbert: Was ist guter Unterricht? Zehn empirisch abgesicherte Kriterien. Berlin 2004.
17
Das Fachlehrerprinzip an weiterführenden Schulen hat zur Folge, dass LehrerInnen in vielen Klassen unterrichten müssen,
sodass sie die einzelnen SchülerInnen kaum noch kennen. Dies hat Auswirkungen auf LehrerInnen und SchülerInnen.
LehrerInnen haben „ein geringeres Gefühl ihrer eigenen Wirksamkeit, können sich nur begrenzt an den Vorkenntnissen der
SchülerInnen orientieren. Dies vermittelt den SchülerInnen den Eindruck, dass sich LehrerInnen um ihre Person, ihr Können
und ihre Bedürfnisse nicht angemessen kümmern.“ Siehe Wellenreuther, Martin: Lehren und Lernen – aber wie? Empirischexperimentelle Forschung zum Lehren und Lernen im Unterricht. Hochgehren 2004, S. 256.
18
Vgl. Corazza, Rupert: „Die WienerMittelSchule – im Kontext zwischen Perspektiven und Historie“. In: Erziehung und
Unterricht. Österreichische Pädagogische Zeitschrift, Nr. 7–8, 2009 (159), S.774–786.
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Ein positiver Effekt dieser neuen Teamzusammensetzung ist, dass fast alle Stunden
assistiert geführt werden können, was dem Konzept des Team Teaching entspricht. Gerade
hinsichtlich der Förderplanung sind so gezieltere Beobachtungen möglich.
Gute sechs Monate Integration und WMS: Die Anfänge sind gemacht!
Eine erste Zwischenbilanz nach dem ersten Schulhalbjahr in einer WMS fällt demnach also
sehr positiv aus: Das Team, das sehr kurzfristig zusammengestellt wurde, konnte trotz der
kurzen praktischen Vorlaufzeit zahlreiche Erfolge erzielen, der Unterricht mit dem
Kurssystem entwickelt sich gut und hat förderliche Effekte auf Lehrende und Lernende
gleichermaßen.
Trotz dieser insgesamt sehr positiven Entwicklungen im Zuge des Schulversuchs
WienerMittelSchule werden immer wieder auch kritische Stimmen laut. So ist zum einen der
Vorwurf zu hören, die WMS schmücke sich bei der Präsentation ihrer Ansätze mit fremden
Federn, da sie sich bewährte Konzepte z. B. aus dem Bereich der Sonderschulintegration zu
eigen mache und als innovativ „vermarkte“. Dies sollte der WMS jedoch nach meiner
Auffassung nicht angekreidet, sondern vielmehr als wertvolles Verdienst betrachtet werden.
Im gleichen Zusammenhang werden jedoch von KollegInnen Befürchtungen geäußert, die
die Errungenschaften der Sonderschulpädagogik in Gefahr sehen: Denn sollte der
Schulversuch scheitern (wenngleich nach aktuellem Ermessen kein Anlass besteht, dessen
langfristigen Erfolg in Zweifel zu ziehen!), würden damit auch die Konzepte der
Sonderschulpädagogik in Misskredit gebracht oder in Abrede gestellt – ein keinesfalls
zulässiger Umkehrschluss.
Daneben wäre wünschenswert, dass in der Marketingstrategie für die WMS neben der
Hervorhebung der gezielten Förderung von „Spitzenleistungen“19 auch die Stärken der
Integration von Kindern mit SPF eine prominentere Platzierung finden. Aus eigener
Erfahrung wird ersichtlich, dass die deutlichere Hervorhebung der Vorteile für begabte Kinder
zu einer Hemmschwelle für Eltern von Kindern mit SPF wird, da sie sich nicht sicher sind, ob
ihr Kind an einer WMS entsprechend richtig aufgehoben wäre.
Auch für den praktischen Lehrbetrieb ist aus eigener Erfahrung ein Manko zu verzeichnen,
denn es zeigt sich nach einem guten halben Jahr Schulversuch WMS, dass es zurzeit an
geeigneten Lernräumen mangelt, um die neuen Lehr- und Lernkonzepte so individuell
umsetzen zu können, wie es sinnvoll und wünschenswert wäre. Hier bleibt abzuwarten,
welche Entwicklungen im Rahmen des Schulversuchs noch auf uns zukommen. In jedem
Fall könnten wir hier von Ländern mit Vorreiterstellung, z. B. in Skandinavien, für die WMS
viel lernen.
Abschließend ist zu sagen, dass der Schulversuch WMS nach meiner subjektiven
Einschätzung gut gestartet ist und es jetzt an den Lehrenden und Schulverantwortlichen
liegt, die neuen installierten Methoden sukzessive mit den richtigen Inhalten zu füllen und für
die Qualitätssicherung zu sorgen. So kann sichergestellt werden, dass die
WienerMittelSchule nicht zum bloßen Etikett für eine Schulform wird, sondern als eigenes
Gütesiegel die Schullandschaft in Wien, aber auch in den Bundesländern maßgeblich
mitbestimmen kann.
Autor:
Mag. Gerhard Krottenauer, BEd.
Integrationslehrer
19
Vgl. wiederum: http://www.stadtschulrat.at/files/content_mittelschuledl_1/WienerMittelschule.pdf. Ein differenzierteres Bild
bietet erfreulicherweise die Homepage: http://www.neuemittelschule.at/
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Copy! Paste! Save!
The SHAPES Project
It is my privilege and joy to be involved in the integration ‘Projekt 1,2,3’ for a second year
running.
I wrote an article in the May 2009 issue of the ‘Intergration Journal’ about some of the
wonderful things that I had experienced in my first year in this project.
In this article I would like to concentrate on a project that is at the time of writing still being
implemented (i.e. ‘work in progress’) at the KMS 2., Max-Winter-Platz, 1020 Vienna with a
group of pupils from a 5th grade integration class, who had registered for a computer module
in English. It was and still is my privilege and joy to be involved in this computer module.
There are 3 pupils with special needs in the group.
The idea behind the project, called ‘The SHAPES Project’, is to combine elements from
different subjects and disciplines in the context of English as a working language (that is my
role as the Scottish (English) native speaker teacher at the school in the context of the
Project 1,2,3) so that all the pupils with their various individual abilities, strengths and
weaknesses, can enjoy success and see something concrete as a result of their hard work.
Since the project is still ‘work in progress’ I will formulate parts of this article in the present
tense.
The subjects and disciplines in ‘The SHAPES Project’ are as follows:
Maths:
First of all ‘The SHAPES Project’ is all about shapes, i.e. eight geometrical shapes or forms:
(1) a circle, (2) an ellipse, (3) a square, (4) a rectangle, (5) a triangle, (6) a line, (7) a
parallelogram, and (8) a crescent.
You might think that this was very difficult for the pupils to learn and recognise geometrical
shapes in English but I can assure it was not. In the first lesson the shapes and their English
names were introduced. In the next lesson, they were revised and it was amazing to see just
how much they could remember.
But nothing helps the learning process more than when what has been learnt is put into
practice in a meaningful context.
And that brings us to the next stage of the project – using computers.
Computer Technology:
The pupils then went on to draw these shapes in PowerPoint©, in a software application that
the majority of them had not used before. So, this meant that they had to be able to master
the basic skills needed to produce a PowerPoint© Presentation.
Again you might think that this would prove to be too much of a challenge. But the pupils
managed, and, I must admit they learned very quickly. Within a few weeks, they had become
very creative Power-Point-Professionals (PPP).
Even at this early stage the differences in individual creativity became obvious as the pupils
experimented with the possibilities that PowerPoint© presented to them.
And this is what the first page of some of the presentations looked like:
29
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<Bild 1>
<Bild 2>
30
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<Bild 3>
English:
But ‘The SHAPES Project’ is not only about geometrical shapes and the use of PowerPoint©
it is also about using English as working language, as a means of instruction. In an
international context this type of teaching is called CLIL “Content and Language Integrated
Learning”.
A quote from the homepage of the European Commission underlines the importance of CLIL
“Content and Language Integrated Learning (CLIL) involves teaching a curricular subject
through the medium of a language other than that normally used. The subject can be entirely
unrelated to language learning, such as history lessons being taught in English in a school in
Spain. CLIL is taking place and has been found to be effective in all sectors of education
from primary through to adult and higher education. Its success has been growing over the
past 10 years and continues to do so.”
http://ec.europa.eu/education/languages/language-teaching/doc236_en.htm
In ‘The SHAPES Project’ the pupils are given the opportunity to tackle different types of
challenges in an inter-disciplinary context.
The actual idea behind the project is for the pupils to tell and illustrate a story: i.e. to become
storytellers: one of the oldest, most wonderful, and most admirable ‘professions’ in the world,
in my humble opinion.
The story is all about the SHAPE Family and to be absolutely correct, the story is all about
the SHAPE Family dog. The dog is called Shaper. But more about Shaper a little later…
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INTEGRATIONSJOURNAL
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So the next task was to draw the SHAPE Family.
Based on my template, the pupils revised parts of the body and the
shapes they would need to draw these parts of the body:
“What shape is the head?” “It’s a circle.”
“What shape are the eyes?” “The eyes are ellipses with circles in
the middle.”
“The mouth? “It’s a crescent.”
“What about the neck?” “The neck is a square.”
“And the body?” “It’s a rectangle.”
And so on…
<Bild 4>
Equipped with this information, the pupils then created their own SHAPE Family:
<Bild 5>
<Bild 6>
<Bild 7>
Are they not wonderful? I think they are so fantastic.
32
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In my PowerPoint© Presentation template there are eight slides. So far, we have looked at
three of them.
In slides four and five, the pupils concentrated on or are still concentrating on ‘parts of the
body’ and ‘parts of a house’ (as I mentioned at the beginning of the article this is ‘work in
progress’ because ‘The SHAPES Project’ is still being implemented).
<Bild 8>
<Bild 9>
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The real story of Shaper the SHAPE Family’s dog starts with slide six:
<Bild 10>
Slide seven:
<Bild 11>
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Slide eight:
<Bild 12>
And this is when the whole situation becomes really interesting.
“What WILL Shaper (really) do now?”
I do not know. It is now up to the the Max-Winter-Platz storytellers who are equipped with the
necessary shapes, the necessary skills in PowerPoint© and if necessary with the help of
myself as a native speaker teacher to help them formulate in English what they want to write.
They now have to finish the story and add their own individual ending.
At the point of writing this article I have no idea what they will write and what they will draw.
But one thing is certain, whatever they write will be what they draw and whatever they draw
will be what they write.
Is that not a wonderful feeling for a teacher to admit: ‘I have helped my pupils to attain certain
skills but I really do not know what they will make of them? It is now their responsibility.’
Somebody once said, a teacher can have two roles:
‘A Sage on the Stage’ or ‘A Guide on the Side’.
What would you like to be?
I know what I want to be.
By the way, if you are interested in the final fate of Shaper the dog visit the Max-Winter-Platz
homepage www.kms2-mwp.com where towards the end of the term you will be able to see
the final presentations.
PS Finally, I would like to take this opportunity to sincerely thank the head
teacher of Max-Winter-Platz, Ms Doris Astleitner and the whole team at the
school, and in particular the two teachers who were and are with me in the
computer module: Ms Katja Neuhold and Ms Elfriede Schmiedhuber for all
their help and support.
Stuart Simpson
Stadtschulrat für Wien, Europa Büro
Next side: Our Photogallery
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Lernvielfalt in unserer integrativen
Mehrstufenklasse
"Das ist der wahre Umgang mit Menschen: eifrig, lebenswissbegierig von jedem
lernen, was er weiß und kann."
Autor: Leopold Schefer
Die integrative Mehrstufenklasse – Lerngruppe Cilli – an der Wiener Volksschule
Phorusgasse 4, in 1040 Wien besteht bereits seit 10 Jahren.
Kinder im Alter von 5-11 Jahren mit den Lehrplänen für VS, ASO und SSO, haben hier ihren
Platz gefunden. Allein durch diese Heterogenität in der Gruppenstruktur ergibt sich eine
große Vielfalt im Lernen und Tun dieser Klasse.
Rahmenbedingungen:
Da dieser Standort als „Offene Schule“ geführt wird, gibt es nach dem Unterricht sowohl eine
Essens- als auch Nachmittagsbetreuung. Für den Unterricht stehen uns zwei Klassenräume,
aufgeteilt in unterschiedliche Lernbereiche, zur Verfügung.
In unserer Klasse unterrichtet ein dreiköpfiges Team: Klassen-, Sonderschul- und
Teamlehrerin. Die Klasse besteht aus 20 Kindern, davon 4 Kinder in der 1. Schulstufe, 5
Kinder der 2. Schulstufe, 4 Kinder der 3. Schulstufe und 3 Kinder der 4. Schulstufe.
Außerdem gibt es 3 Kinder mit ASO-LP und 1 Kind mit SSO-LP.
Die Bedeutung von Lernvielfalt:
Schon von der Herkunft her hat das Wort „lernen“ etwas mit Spuren hinterlassen,
nachspüren zu tun. Lernen soll im Gedächtnis also Spuren hinterlassen und ebenso in der
Umwelt. Lernen geschieht aktiv und passiv.
Die Bedeutung des Wortes „Vielfalt“ meint die Fülle verschiedener Ausprägungen eines
Konzepts. Als Synonym dafür wird auch Verschiedenartigkeit genannt.
ich lerne etwas über mich
ich lerne von anderen
begeistert sein
soziales Lernen
Interesse wecken
Lernen
bedeutet für
uns
wir lernen miteinander
Motivation und Anerkennung
erhalten und geben
Selbständigkeit fördern
Lerntypendifferenzierung
verschiedene Methoden und
unterschiedliche Systeme einsetzen
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Lernvielfalt in LFD und KDL:
Unsere Beurteilungsform ist ein Zusammenschluss aus Lernfortschrittsdokumentation und
Kommentierter direkter Leistungsvorlage (4. Klasse Noten). Für jede/n Schüler/in wird eine
individuell zusammengestellte Mappe vorbereitet, die vom Kind, mit Lehrerbegleitung, durch
das gesamte Schuljahr hindurch geführt und ausgefüllt wird. Sind die Mappen vom Lehrstoff
und manchen Inhalten her noch so unterschiedlich, haben sie dennoch folgende
gemeinsame Punkte:
Inhalte der LFD:
-
sich selbst beobachten
Welche Leistungen habe ich
erbracht?
sich selbst einschätzen
eigene Fähigkeiten und Talente
erkennen
Lernfortschritte und
Weiterentwicklung sehen
Übungsbedarf erkennen
daraus sich ergebende Lernschritte
entwickeln
Beispiel aus einer LFD – Mappe
Ich lerne etwas über mich:
Aufgrund der Vielfalt der Auseinandersetzung mit mir selbst, lerne ich mich besser kennen
und entwickle mich weiter.
Der nächste Schritt, der daraus folgt, ist die Präsentation meiner Leistungen und
Einschätzungen. Ich präsentiere die Ergebnisse meinen Eltern KDL.
Durch Lernmaterial, individuell erstellte Arbeitsblätter und von mir ausgewählte Heftseiten
zeige ich meine persönliche Weiterentwicklung. Dies ist eine Möglichkeit mich in der
Öffentlichkeit zu präsentieren.
Die Wichtigkeit der Reflexion über mich und mein Tun ist ein wesentlicher Aspekt zum
Thema Lernen und hat ebenso Einfluss auf alle anderen Bereiche innerhalb der Klasse.
Lernvielfalt im Unterrichtsalltag:
Durch verschiedene Unterrichtsangebote ergeben sich Einzel-, Partner- und
Gruppenarbeiten. Die Grundannahme des Lernens basiert auf folgenden Aspekten:
jeder Mensch ist lernfähig
jeder lernt auf seine eigene Art und Weise (verschiedene Lerntypen) und im eigenen
Rhythmus
grundsätzlich greift jeder auf bereits gemachte Erfahrungen zurück und verbindet
diese mit neuen Lerninhalten
Lernen mit anderen bietet Anregung und Motivation
eine strukturierte und anregende Lernumgebung erleichtert das Lernen
Basierend auf den obigen Punkten, bieten wir den SchülerInnen unterschiedliche
Möglichkeiten und Angebote, um sich Lerninhalte anzueignen, diese zu vertiefen und zu
üben.
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Eigenständiges Erarbeiten, Üben und Wiederholen von Lerninhalten:
Beispiel Einzelarbeit:
-
Ich arbeite selbständig und
konzentriert.
-
Ich arbeite in meinem Tempo
und auf meine Art und Weise.
-
Ich übe und wiederhole
unterschiedliche Lerninhalte,
indem ich auf Lernerfahrungen
zurückgreife.
-
Es werden neue
Verknüpfungen gebildet und
ich erhalte neue Erkenntnisse.
Ich übe mit dem Verbenbaum.
Beispiel Partnerarbeit:
-
Wir arbeiten an einem gemeinsamen
Thema.
-
Ich stelle mich auf meinen Lernpartner
ein (Tempo, Bedürfnisse)
-
Ich tausche mich mit meinem Partner
aus – so erwerben wir wechselseitig
Kenntnisse und Fertigkeiten.
-
Wir sind ebenbürtig und tragen
gemeinsam Verantwortung.
-
Im kleinen Rahmen der Gruppe legen
zurückhaltende Schüler eher ihre
Scheu ab.
Wir arbeiten an den Malreihen
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Beispiel Partnerprinzip:
-
Jedem neuen Kind wird ein
erfahrenes Partnerkind für
mindestens ein Jahr zur Seite
gestellt.
-
Anleitung, Hilfestellung und
Unterstützung untereinander
verstärken das Verständnis,
die Akzeptanz und die
Sensibilität innerhalb der
Gruppe.
-
Das Miteinander fördert den
Zusammenhalt und
Freundschaften in der Klasse.
Ich arbeite mit meinem Partnerkind
an den Buchstaben
Beispiel Gruppenarbeit:
-
Die Teamfähigkeit wird geschult und
gestärkt.
-
Soziale Kontakte werden geknüpft
und gefestigt.
-
Schüler sind in hohem Maße
selbstaktiv und bringen sich ihren
Fähigkeiten entsprechend in die
Aufgabenerarbeitung ein.
-
Das gemeinsame Treffen von
Entscheidungen und die Übernahme
von Verantwortung innerhalb der
Gruppe stärkt soziale Kompetenzen.
Wir arbeiten gemeinsam an einem Thema.
Innerhalb der Klasse kann jedes Kind, unabhängig von Lernstufe oder Lehrplan alle
Positionen einnehmen (Partnerkind, Gruppenleitung,…). Diese so genannten „Experten“
bringen sich mit ihren Talenten, Fähigkeiten und Stärken ein. Damit wird klar, dass jedes
Kind von jedem lernen kann und darf und keine Unterschiede zwischen Lehrplänen und
Schulstufen gemacht werden.
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Erarbeiten, vertiefen und wiederholen von Lerninhalten mit Lehrerbeteiligung:
Beispiel Einzelarbeit:
-
Die Lehrperson fungiert als
Begleitung und unterstützt und
motiviert das Kind in seinem
Handeln und Tun.
-
Sie greift intrinsische Motivation
(Impulse) des Kindes auf und
begleitet es dabei.
-
Das Kind steht mit seinem Tun im
Vordergrund und es gilt jeden
Lernfortschritt anzuerkennen.
-
Die Lehrerin erkennt dabei, welche
weiteren Unterstützungsmaßnahmen das Kind braucht, um sich
weiter entwickeln zu können.
Spindelkasten – Mengenarbeit
Beispiel Kleingruppenarbeit:
-
Die Lehrperson kann sich individueller
den einzelnen Kindern widmen – der
Lehrstoff kann anders vermittelt
werden.
-
Auf Fragen kann rasch eingegangen
werden.
-
Die Lehrerin erkennt bald, welche
weiteren Unterstützungsmaßnahmen
das einzelne Kind braucht, um sich
weiterentwickeln zu können.
-
Durch mehrere Gruppenmitglieder
kommt es zu einem regen Austausch
und einer Sammlung von
Informationen.
Wir erarbeiten Ein- und Mehrzahl von Namenwörtern mit Umlauten
Beispiel Klassenarbeit:
-
Durch das gemeinsame Zusammensammeln ergibt sich eine größere Auswahl an
Infoquellen und es entsteht ein abgerundetes Gesamtbild.
Der Lehrer ist dabei und wirkt steuernd und leitend.
Hier kommt es zu einem verstärkten Fokus auf den Umgang miteinander in der
Großgruppe Gesprächsregeln, Sozialverhalten
Jede/r kann sich individuell einbringen – wir lernen voneinander und miteinander.
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Aus den obigen Faktoren ergibt sich die Präsentation:
Wir präsentieren unser Japan-Projekt
Ein wichtiger Teil der Arbeit ist die Präsentation der Ergebnisse.
Individuelle Lernerfolge finden durch Präsentationen Ausdruck und das Anfertigen dient auch
der Selbstvergewisserung.
Nach Erarbeiten bestimmter Themen, werden in Präsentationsrunden Texte vorgelesen,
Bilder und Werkstücke gezeigt, Referate gehalten, Ergebnisse von Recherchen zu einem
Sachthema mitgeteilt und vieles mehr. Die Kinder, die ja oft sehr individuell arbeiten, gliedern
so ihre Arbeit in die Gemeinschaft ein und bekommen auch die Anerkennung der Anderen.
Dies alles lernen die Kinder ab der 1.Lernstufe, vor allem auch im Tun miteinander und
voneinander.
Nicht nur im Klassenverband selbst können die Kinder ihre Leistungen präsentieren, sondern
auch in einem größeren Rahmen, wie zum Beispiel in Ausstellungen, Projekten,
Theaterstücken und vieles mehr. Dadurch erhalten sie Anerkennung und Motivation von
außen.
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Kommentare der Kinder zum Thema Lernen in der Mehrstufenklasse:
„Zusammen lernen macht Spaß!“ (3.Kl.)
„Ich finde es toll mit den Älteren zu arbeiten – ich lerne immer so viel von denen!“ (2.Kl.)
„Früher habe ich ein Partnerkind gehabt und jetzt kann ich den jüngeren Kindern zeigen wie
es geht!“ (4.Kl.)
„Es ist toll, dass wir uns die Arbeit auch aussuchen können.“ (4.Kl.)
„Ich finde es toll, dass ich mir die Arbeit selber einteilen darf. Wird es mir einmal zu viel, höre
ich einfach auf.“ (3.Kl.)
„Das tolle am Partnerkind ist, dass es so gut erklären kann.“ (1.Kl.)
„Die Partnerkinder helfen auch immer.“ (1.Kl.)
„Bei den Flaggen habe ich mehr gewusst als mein Partnerkind. Da habe ich alles erklären
können.“ (1.Kl.)
„Gut, dass ich nicht immer auf die anderen warten muss beim Arbeiten.“ (2.Kl.)
„Es macht Spaß, weil wir gemeinsam an Projekten arbeiten können.“ (alle)
„Gerade weil wir so unterschiedlich sind,
können wir voneinander so viel lernen.“
Andrea Forster – Teamlehrerin
Katharina Traxler – Klassenlehrerin
Christine Drexler - Sonderschullehrerin
Quellennachweis:
Lernen: http//de.wikipedia.org/w/index.php?title=Lernen&printable=yes
Vielfalt: http://de.wiktionary.org/wiki/Vielfalt
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„Wo Sprache fehlt, können/sollen Bilder sprechen!“
Das Projekt: „Mal-& Kunstwerkstatt in Förderklassen“
2007 gab es die ersten Ideen zur Mal-& Kunstwerkstatt. Auch den vielfach benachteiligten
Kindern in Förderklassen sollte ermöglicht werden, ihr eigenes kreatives Potential unter
kompetenter künstlerisch-pädagogischer Anleitung entdecken zu können. Wohl aufgrund
unserer Unsicherheit, ob denn die Kinder „mit besonderen Bedürfnissen“ auch interessiert
und annehmend auf die Begegnung mit „Kunst und Kunsttechniken“ reagieren würden,
dauerte es bis zum Herbst 2008, bis die Idee in die Tat umgesetzt wurde.
Die Mal-& Kunstwerkstatt startete mit einer selbst produzierten Schülerzeitung als
Erlebnisbericht über eine Schullandwoche. Texte, Zeichnungen und Produktion wurden von
den Schülern der Förderklasse mit Hilfe der „Künstlerin“ Andrea Pernegr und mir als
unterstützendem Klassenlehrer gestaltet. Das erste Produkt gelang uns gut und „wir als
Gruppe“ hatten damit die erste Hürde geschafft.
In der Auseinandersetzung mit den neuen Materialien und teilweise sehr aufwändigen und
Geduld abverlangenden Techniken waren die Kinder wie von uns befürchtet, anfangs sehr
unsicher und gaben bei der geringsten Anstrengung auf. Es gelang uns aber mit viel
Aufwand in der Beziehung zu den Kindern, diese zu unterstützen. Mit jedem Gelingen
fassten die Kinder mehr Mut, und ihr Selbstbewusstsein in der Konfrontation mit Neuem
begann zu steigen. Als Folge entwickelte sich eine höhere Frustrationstoleranz und
Flexibilität in verunsichernden Situationen.
Nach einem Jahr mit regelmäßigen Kunststunden war der Zugang der Kinder zu neuen
Techniken bereits unvergleichlich selbstbewusster, und es begann jeder seinen eigenen Stil
zu entdecken. Die Kinder entwickelten ihr künstlerisches Potential und in weiterer Folge
stärkte sich auch ihr persönliches Selbstbewusstsein! Im Sinne von sich selbst gewahr sein,
sich mit seiner Umwelt auseinanderzusetzen.
Mit großer Freude sahen wir auch immer wieder, wie die Kinder in der Gruppe sich selber
Platz nahmen, aber auch den anderen einen solchen zugestanden. In den Arbeitsphasen der
Kunststunden war die Atmosphäre zwischen den Kindern großteils sehr konfliktarm und
angstfrei.
In der Phase der Nachbesprechung präsentierten manche Kinder gern ihre entstandenen
Werke, während andere keine Zeit mehr hatten oder sie am liebsten gleich in ihr privates
Fach wegschließen wollten.
Das Kunsttagebuch, das jedes Kind „privat“ führt und verwaltet, ist dabei ein individuelles
Sammelgefäß geworden. Es birgt den persönlicher Bildschatz – in dem kann erinnert,
gesichtet, besprochen und reflektiert werden. Das Kunsttagebuch wird somit zum
eigenständigen Dokument der persönlichen Entwicklung der Kinder und der entstandenen
Kommunikation mit sich und der Welt.
Entdeckungsreise in
ihre eigene Welt.
Die Kinder probieren
sich aus.
Sie werden neugierig.
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Seit Herbst 2009 findet die Mal-& Kunstwerkstatt bereits in zwei Förderklassen statt. In einer
Förderklasse mit Kindern im Alter von 6 bis 9 Jahren, und in einer Förderklasse mit
Jugendlichen im Alter von 13 bis 14 Jahren. In der Arbeit mit den Jugendlichen ist eine
ähnliche Entwicklung zu bemerken, wie sie bei den „Kleinen“ schon zu sehen war. Alle sind
wir neugierig, ob der Prozess ähnlich intensiv wird wie bei den Volksschulkindern.
Doch was ist Kunst ohne Publikum? Was sind Bilder, die keiner ansieht? Was ist mit
Künstlern ohne Aufmerksamkeit? Aus diesen Fragen heraus formte sich die verwegene Idee
für eine Ausstellung, mit der Präsentation der Werke der Kinder, als konsequente
Fortführung der Idee, mit Hilfe der Kunst die Kinder mit sich selbst und der Welt in Kontakt zu
bringen. Eine Ausstellung als Form der Kommunikation, als Plattform des Ausdruckes und
der Wertschätzung der jungen Künstler. Dabei ergaben sich wieder neue Fragestellungen für
uns und die Kinder: sind sie als „Künstler“ und Urheber überhaupt damit einverstanden, ihre
Werke einer Öffentlichkeit zu zeigen, diese eventuell gegen eine Spende herzugeben, usw.
Es war sehr spannend, die Kinder mit diesen Fragen zu befassen und ihre Einstellungen und
Meinungen dazu mit ihnen zu diskutieren.
Es kam schließlich im Jänner 2010 zur Vernissage der produzierten Werke im SPZ
Hadersdorf unter Beisein einiger der jungen Künstler.
Die Freude der Kinder und Jugendlichen an den gestalterischen Prozessen und das
Vertrauenkönnen auf „gute Lösungen“ prägten die Atmosphäre ebenso wie der Dialog, in
dem sich die zahlreichen Anwesenden befanden: sie redeten über die Kunstwerke.
Das Projekt „Mal-& Kunstwerkstatt in Förderklassen“, mit einer kleinen Zeitung über eine
Schullandwoche gestartet, ist deutlich gewachsen, hat sich verzweigt, treibt Blüten und ist
ein „Gesamtprojekt“ geworden, von der Konfrontation mit Techniken über die Produktion von
„Kunst“ bis hin zur selbstbewussten Präsentation von Objekten und den Künstlern.
Text und Fotos: Mag. Karl Staudinger
Weitere Fotos zur Vernissage der Ausstellung:
http://www.schulen.wien.at/schulen/914033/datei%20spz/vernissage.html
Sie machen eigene
„Erfindungen“,
experimentieren - und
übersetzen oftmals die
neu erworbenen
„Bildwortschätze“ in
Sprache.
Arbeit mit der
“heißen Platte“
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Sozialarbeit geht in die Schule
Die Wiener SchulSozialarbeit stellt sich vor
Mag. Thomas Fröhlich (4. & 5. Bezirk)
a
Mag. Marlies Höllmüller (2. Bezirk)
Mag. Stefan Klemenjak (6. & 12. Bezirk)
Mit Beginn des Schuljahres 2009/10 wurde seitens des Wiener Stadtschulrats etappenweise
die SchulSozialarbeit an diversen Pflichtschulen Wiens „eingeschult“ bzw. eingeführt. Ein
Lernprozess hat begonnen – und
zwar für alle Beteiligten in der
SchulpartnerInnenschaft
sowie
auch für externe KooperationspartnerInnen,
wie
die
Jugendwohlfahrtsbehörde
oder
außerschulische Institutionen. Die
Wiener Schulsozialarbeit wurde
vorerst mit 19 SozialarbeiterInnen
vor Ort – hauptsächlich an
Kooperativen
Mittelschulen
–
implementiert, um das bisherige
Netz
von
psychosozialer
Versorgung und Begleitung mit den
spezifischen
Methoden
der
Sozialarbeit zu ergänzen.
Oliver Bodmer
Zurück in die Zukunft – Renaissance der SchulSozialarbeit
Sozialarbeit in Schulen hat in Wien gewissermaßen Tradition, und zwar in Form des
Schulverbindungsdienstes der MAG ELF, dem Amt für Jugend und Familie. Über viele Jahre
bestand dadurch regelmäßiger Kontakt mit den für die Kinder und Jugendlichen zuständigen
SozialarbeiterInnen. Einmal im Monat konnten Informationen ausgetauscht, sowie im
persönlichen Gespräch Problemlagen von SchülerInnen (abseits der klassischen
Gefährdungsmeldung) besprochen werden. Finanzielle Probleme, sowie die Installierung
und Verdichtung von anderen psychosozialen Hilfssystemen (PsychagogInnen,
BeratungslehrerInnen, Begleit- und Stütz-LehrerInnen, SchulpsychologInnen etc.) an
Pflichtschulen, hat zu einer Einstellung des Schulverbindungsdienstes geführt.
Die im Dezember 2008 neu angelobte österreichische Bundesregierung hat in ihrem
Regierungsprogramm für die Bildungsarbeit unter anderem die Aufstockung der
SchulpsychologInnen, eine verstärkte Kooperation mit außerschulischen PartnerInnen sowie
die Umsetzung von Modellprojekten zum Einsatz von SozialarbeiterInnen und
SozialmoderatorInnen in den Schulen beschlossen. Zudem wurde im Jahr 2009 das
20-jährige Bestehen der UN-Kinderrechtskonvention gefeiert – aber alle Kinderrechte sind
noch immer nicht ausreichend verwirklicht. Das Recht der Kinder auf Chancengleichheit
steht dabei häufig nur auf dem Papier. Im Rahmen des ersten Anti-Gewalt-Gipfels im
November 2008 merkte BMin Dr. Claudia Schmied an, dass „die Schule ein Ort sei, der
gesellschaftliche Probleme früh aufzeige“. Der verstärkte Einsatz von SchulSozialarbeit ist
ein effektives Mittel zum Erwerb und zur Stärkung sozialer Kompetenzen, die auch von
Seiten der Wirtschaft als wesentliche Qualifikation von SchulabsolventInnen eingefordert
werden.
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Soziale Probleme in der Schule nehmen zu
Eine österreichweite OnlineUmfrage der Fachhochschule
„FH Campus Wien“ unter
940
LehrerInnen
aller
Schultypen über den Bedarf an
SchulSozialarbeit hat ergeben,
dass sich das Lehrpersonal
von den Erziehungsaufgaben
überfordert fühlt. Acht von
zehn Befragten wünschen sich
diesbezüglich Unterstützung.
Achtzig
Prozent
der
LehrerInnen fühlen sich für
private
Anliegen
ihrer
SchülerInnen
zuständig.
Allerdings trauen sich deutlich
weniger
von
ihnen
zu,
SchülerInnen kompetent bei
derlei Problemen zu helfen.
Schoenfeld/CCC, www.c5.net
Nahezu
Dreiviertel
der
Befragten gaben an, dabei
Unterstützung zu benötigen. Erziehung sowie Stärkung sozialer Kompetenzen von
SchülerInnen gehört laut Studie für fast alle PädagogInnen zum Schulalltag.
Mehrfach werden Auseinandersetzungen mit Verhaltensauffälligkeiten, Probleme durch
Scheidung der Eltern, Gewalttätigkeit sowie Mobbing als Hauptpunkte ihrer zusätzlichen
Tätigkeiten genannt. Mehr als die Hälfte des Lehrpersonals gibt außerdem an, mit kulturellen
Unterschieden, psychischen Erkrankungen und Verwahrlosung von SchülerInnen
konfrontiert zu sein. LehrerInnen an Hauptschulen, Kooperativen Mittelschulen (KMS),
Polytechnischen- und Sonderschulen haben laut der Fachhochschul-Studie besonders oft
mit Problemen wie Gewalttätigkeit, Mobbing, Verwahrlosung oder finanziellen
Schwierigkeiten der Kinder bzw. der Familien zu kämpfen.
Bei zusätzlichen Tiefeninterviews an zwei Wiener KMS wurde die Situation an Schulen mit
hohem MigrantInnenanteil erhoben. Die daraus gewonnenen Daten belegen, dass die
LehrerInnen neben den herkömmlichen, vorhandenen Problemen, die geringen
Deutschkenntnisse der Eltern als „sehr belastend“ erleben. Laut Studie fühlt sich das
pädagogische Personal gezwungen, die Eltern in Erziehungsfragen zu beraten, was aber
teils durch mangelnde Motivation und fehlenden Respekt der Eltern gegenüber der Institution
Schule, teils durch den Zeitmangel der LehrerInnen erschwert wird.
Die Kernfrage der Studie, ob Sozialarbeit an den Schulen gewünscht wird, bejaht ein
Großteil der Befragten. Nahezu 100% der LehrerInnen können sich Unterstützung durch
SozialarbeiterInnen vorstellen. Dabei halten aber nur 20% dieser BefürworterInnen von
SchulSozialarbeit eine Betreuung im Bedarfsfall für ausreichend. Die Mehrheit wünscht sich
zumindest regelmäßigen Kontakt. SchulSozialarbeiterInnen sollen dabei vor allem bei
Beratungsgesprächen mit Eltern und SchülerInnen eingesetzt werden, als Unterstützung für
LehrerInnen zur Verfügung stehen, Präventionsarbeit leisten und bei sozialen Problemen
sowie in der Zusammenarbeit mit anderen sozialen Institutionen mitwirken.
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Zudem konnte erhoben werden, dass sich nur 27% der Jung-LehrerInnen durch ihre
Ausbildung ausreichend auf den Schulalltag - bei dem sehr häufig die privaten Probleme der
SchülerInnen präsent sind - vorbereitet fühlen. In diesem Zusammenhang werden von
LehrerInnen auch häufig starke Belastung durch Stress, Überlastung bis hin zu Burn-Out
genannt. Die Studie kommt daher zum Schluss, dass „es nahe liegt, dass viele der anderen
auftretenden Probleme in engem Zusammenhang zu dieser Überforderung, der die
LehrerInnen ausgesetzt sind, stehen. SchulSozialarbeit könne dazu eingesetzt werden,
SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern zu entlasten.“
BMin Dr. Claudia Schmied unterstreicht mit ihrer Aussage beim ersten Anti-Gewalt-Gipfel im
November 2008 den Anspruch auf Vernetzung von Schule und Sozialarbeit: „Die Lehrer
können soziale Probleme nicht alleine lösen. Sie brauchen Partner wie Sozialarbeiter,
Psychologen und die Polizei, die sie bei dieser Herausforderung unterstützen.“
Definition Sozialarbeit
„Sozialarbeit“ ist ein neuer „Player“ im System Schule – ein schon oft geforderter und damit
fast vertrauter Begriff, aber in der Umsetzung, in der konkreten Vorgangsweise, in der
Auftragsklärung sowie in der Angebotsvermittlung weitgehend unbekannt.
Bei der Internationalen Konferenz in Montreal im Jahr 2004 wurde
„Soziale Arbeit“ wie folgt definiert: „Soziale Arbeit ist eine
Profession, die sozialen Wandel, Problemlösungen in
menschlichen Beziehungen sowie die Ermächtigung und
Befreiung von Menschen fördert, um ihr Wohlbefinden zu
verbessern. Indem sie sich auf Theorien menschlichen Verhaltens
sowie sozialer Systeme als Erklärungsbasis stützt, interveniert
Soziale Arbeit im Schnittpunkt zwischen Individuum und Umwelt
bzw. Gesellschaft. Dabei sind die Prinzipien der Menschenrechte
und sozialer Gerechtigkeit für die Soziale Arbeit von
fundamentaler Bedeutung.“
Müller/Zimmermann
Mit der bundesweiten Förderung von Pilotprojekten der SchulSozialarbeit wurde nun die
Basis geschaffen, dass die Soziale Arbeit in die schulischen Unterstützungsmöglichkeiten
von Kindern und Jugendlichen, sowie in die spezifische Zusammenarbeit mit LehrerInnen
und Eltern einfließen kann. Derzeit wird der schulische Erfolg von SchülerInnen maßgeblich
durch Faktoren wie den Bildungsstand der Eltern, die finanziellen und zeitlichen Ressourcen
der Familien, sowie deren familiäre Struktur mitbestimmt. Soziale Arbeit im Schulsystem soll
aktiver Partner in den Bemühungen werden, die Schule als Ort der reinen
Wissensvermittlung hin zu einem partizipativen Lebensraum mit umzugestalten, in dem alle
Beteiligten mit ihrer spezifischen Persönlichkeit Platz und Anerkennung finden.
Wiener Modell der SchulSozialarbeit
Die Wiener SchulSozialarbeit wendet sich prinzipiell an alle beteiligten Personen in der
Schulpartnerschaft sowie im außerschulischen Helfersystem.
Im Gegensatz zu anderen Bundesländern sind hier die SozialarbeiterInnen innerhalb des
Wiener Stadtschulrates angestellt und somit einerseits ein fixer Bestandteil im Personalstand
der Institution, andererseits mit einer Zuteilung zu einer Stammschule auch direkt vor Ort
tätig.
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Primär ist die Wiener SchulSozialarbeit für die Anliegen und Bedürfnisse der SchülerInnen
an den zugewiesenen Standorten des jeweiligen Inspektionsbezirks zuständig. Zurzeit sind
19 SozialarbeiterInnen, hauptsächlich an Kooperativen Mittelschulen tätig. Durch die
ganzheitliche Arbeitsweise, etwa in Form der Vernetzungsarbeit, wirkt die SchulSozialarbeit
im gesamten Stadtteil bzw. Bezirk. Durch diese „Brückenkopffunktion“ können zudem neue
Wege in der ganzheitlichen Beratung gegangen werden.
Zwei
weitere
Faktoren
zeichnen
die
Wiener
SchulSozialarbeit aus.
Mit Mobilität und Flexibilität
sowie einem multikulturell und
multiprofessionell geschulten
Team kann den Anforderungen
in
diesem
Arbeitsgebiet
entsprochen werden.
Aufgrund des hohen Anteils
von
SchülerInnen
mit
Migrationshintergrund ist die
Mehrsprachigkeit
einiger
SchulsozialarbeiterInnen eine
gute
Voraussetzung,
um
Kommunikation
und
Kooperation zu fördern.
Oliver Steingötter
Mit dem Instrument „Hausbesuch“ in der nachgehenden Sozialarbeit können nun bisherige
organisatorische Grenzen in der Betreuung und/oder Begleitung von SchülerInnen
überwunden werden, um so auch ein zusätzliches Angebot des niederschwelligen Kontakts
zu schaffen.
Die Hereinnahme und Etablierung der eigenständigen Berufsgruppe der SozialarbeiterInnen
in einem gewachsenen System wie dem des Stadtschulrates, ist sicherlich für beide Seiten
Auftrag und Verpflichtung zugleich. Zurzeit werden fachliche und zeitliche Leitungsfunktionen
noch von unterschiedlichen Dienststellen wahrgenommen. Durch begleitende Maßnahmen in
der Prozessorientierung sowie einer stetigen Weiterentwicklung des Rohkonzepts,
verbunden mit einer angedachten wissenschaftlichen Begleitung bei der Evaluierung des
Pilotprojekts, seitens der Fachhochschule „FH Campus Wien“, sollen diese spezifischen
Herausforderungen der Integration einer Berufsgruppe in einem komplexen System
transparent gemacht werden.
Ziele & Angebote der Wiener SchulSozialarbeit
Durch die vielfältigen Methoden der Sozialarbeit wie beispielsweise Einzelfallhilfe
(„Casework“), Empowerment, psychosoziale Beratung, soziale Gruppenarbeit, mediative
Konfliktberatung, Krisenintervention sowie der Ansatz der gemeinwesenorientierten
Arbeitsweise können Beratung, Begleitung und Betreuung klientInnenzentriert optimal
aufeinander abgestimmt werden. Zielsetzung sowie konkrete Angebotslegung gehen oftmals
ineinander über, weil nur so ganzheitliches und handlungsorientiertes Arbeiten die
Kompetenzen fördern kann.
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In diesem Sinne kann SchulSozialarbeit sein:
•
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Ansprechpartnerin für LehrerInnen, Erziehungsberechtigte bei Problemstellungen in
Schule, Familie und Freizeit
Themenzentrierte Beratung für SchülerInnen
Unterstützung
in
Krisensituationen
sowie
Begleitung
in
schwierigen
Lebensumständen
Aussprache und Anregung
Informationsweitergabe beispielsweise in Bezug auf Entwicklung einer beruflichen
Perspektive
Hilfe zur Selbsthilfe
Präventive sowie anlassbezogene Projektarbeit (Workshops …)
Vernetzung und Weitervermittlung mit inner- sowie außerschulischen Institutionen
Begleitung zu Ämtern & Behörden, Polizei und anderen Institutionen
Gesprächsangebote, Begleitung sowie Intervention bei Schulabsentismus
Hilfestellung zur konstruktiven Lebensgestaltung
Geschlechtssensible Angebote im Gewalt- und Konfliktbereich
Gewaltprävention (sexuelle Übergriffe, Mobbing, Cyber-Bullying …)
Aufklärungsund
Bildungsarbeit
zu
diversen
Themen
(Sexualität,
Gesundheitsvorsorge …)
Stärkung persönlicher Kompetenzen sowie der Eigenverantwortlichkeit durch
Selbstreflexion
sozialarbeiterische Unterstützung in Krisen, Konflikten sowie in Fällen von
Verständnisschwierigkeiten aber auch Planung und Vorbereitung von Projekten mit
sozialen Schwerpunkten
konkrete Hilfestellungen durch Hausbesuche, bei Vernetzungen, durch
Seminartätigkeiten, … ermöglichen ein rasches und unbürokratisches Handeln, nicht
nur in Krisensituationen
Präventionsschwerpunkte zur Findung von Lösungsmöglichkeiten bei schulischen,
sozialen und familiären Problemen bei SchülerInnen
Die Arbeit der SchulSozialarbeiterInnen
Durch viele Faktoren sind die Arbeitsweisen der SchulSozialarbeiterInnen mitunter recht
unterschiedlich. Die Arbeit an der Stammschule ist jedoch grundsätzlich besonders intensiv,
da hier durch die zeitliche Präsenz der SozialarbeiterInnen Beziehungsarbeit geleistet
werden kann. Dies führt dazu, dass SchülerInnen sich selbstständig an die
SozialarbeiterInnen wenden, wenn sie sich in einer problematischen Situation wiederfinden,
einen Rat brauchen oder einfach nur den Austausch suchen und erzählen wollen. Hier kann
angenommen werden, dass sich die SchulSozialarbeit schnell etabliert und sowohl für die
SchülerInnen als auch für das Lehrpersonal zur „Normalität“ wird.
Intensiver Beziehungsaufbau ist an den weiteren, zu betreuenden Schulen nur sehr schwer
möglich. Hier konzentriert sich die Arbeit auf Einzelfälle, die durch ihre Intensität die
Ressourcen sowie Kompetenzen der PädagogInnen überschreiten würden, wo jedoch
fraglich ist, ob die Regionalstellen – Soziale Arbeit mit Familien der MAG ELF (im Sinne
einer Kindeswohlgefährdung) hinzuzuziehen ist. In derlei Fällen sind es zumeist die
LehrerInnen, die sich an die SchulSozialarbeiterInnen wenden, um den ersten Kontakt zu
SchülerInnen bzw. Eltern herzustellen.
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Durch unterschiedliche Problematiken an den verschiedenen Schulen bzw. in den
Schulbezirken Wiens, setzen die SchulSozialarbeiterInnen individuelle Schwerpunkte. Bei
regelmäßig stattfindenden Treffen findet Vernetzung sowie Erfahrungsaustausch statt,
Problematiken werden definiert und diskutiert. In Arbeitsgruppen werden dann zu
spezifischen Themen Fortbildungsmaßnahmen, Schulprojekte und präventive Maßnahmen
konzipiert.
Mitunter kommt die Frage auf, wie sich das Tätigkeitsfeld der SchulSozialarbeiterInnen
von jenem der BeratungslehrerInnen und PsychagogInnen unterscheidet. Hierbei lässt
sich zum Teil keine klare Trennlinie ziehen, jedoch gibt es Bereiche, die eindeutig
sozialarbeiterische Maßnahmen erfordern und Bereiche, in denen psychologische,
therapeutische und/oder beratende Maßnahmen getroffen werden müssen. Idealerweise
kooperieren SchulSozialarbeiterInnen, PsychagogInnen, BeratungslehrerInnen sowie
PsychologInnen und vernetzen sich, um eigene Arbeitsbereiche abzugrenzen, sich
auszutauschen und ohne „Doppelbetreuung“ SchülerInnen bestmögliche Begleitung,
Hilfe bzw. Unterstützung zu gewährleisten.
Weiters ist zu betonen, dass die Inanspruchnahme von SchulSozialarbeit freiwillig
erfolgt. Weder SchülerInnen noch Erziehungsberechtigte können gegen ihren Willen
zum Kontakt mit den SchulSozialarbeiterInnen gezwungen werden. Hierbei ist eine klare
Abgrenzung gegenüber der MAG ELF (Regionalstellen – Soziale Arbeit mit Familien) zu
ziehen. Jedoch kann die SchulSozialarbeit als Bindeglied zwischen Schule und MAG
ELF agieren und kooperativ arbeiten.
Chancen und Risiken der SchulSozialarbeit
Die Etablierung sowie Implementierung der SchulSozialarbeit an bestimmten Pflichtschulen
Wiens findet zu einem spannenden Zeitpunkt statt. Die sozialen Herausforderungen an den
Schulen erwecken vielerorts den Wunsch, die Zusammenhänge und Interaktionen zwischen
den Bereichen Schule, Familie und Freizeit aufzuzeigen. Erste Erfahrungen haben gezeigt,
dass die Situation an den (Pflicht)Schulen nicht isoliert betrachtet werden kann, sondern die
beschriebenen Problemlagen häufig im gesellschaftlichen Kontext gesehen werden müssen
und sehr an den familiären Hintergrund gebunden sind. Die Schule als Kulisse für
außerschulische Probleme, die Schule als „Bühne des Lebens“, die Schule als Brennpunkt –
das alles schafft mitunter Ungleichheit in einem zu früh differenzierenden Schulsystem. Das
alles kann unter Umständen zu einer Überforderung aller Beteiligten in der
Schulpartnerschaft führen, das alles bietet aber auch die Chance für neue Einsichten und
Ansichten in Lern- und Verhaltensprobleme von SchülerInnen.
Letztendlich gilt es auch, seitens der Sozialarbeit Antworten zu finden, welche Unterstützung
PädagogInnen in deren Doppelrolle „ErzieherInnen vs. WissensvermittlerInnen“ gegeben
werden kann. Der bisher häufig beklagte Wechsel bzw. das Fehlen von zuständigen
Ansprechpersonen in der Sozialarbeit, beispielsweise bei der MAG ELF, sowie die
Einstellung des Schulverbindungsdienstes, bietet nun der SchulSozialarbeit sowohl durch die
Möglichkeiten der „Soforthilfe in Krisensituationen“ als auch mit konstanter Anwesenheit in
den Schulen in Form von Sprechstunden die Gelegenheit, einen organisatorischen
Gegenentwurf zu etablieren. Zudem kann die Tatsache, dass SozialarbeiterInnen nun als
selbstverständlicher Personalbestandteil im Schulsystem wahrgenommen werden, eine
fachliche Ergänzung zu den bisherigen Bemühungen im psychosozialen System erfolgen.
Dadurch können gemeinsam neue Impulse der Prävention gesetzt, sowie vielfältige
Perspektiven der Intervention entwickelt werden.
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SchulSozialarbeit wird daher in Zukunft den anderen Berufsgruppen Entlastung bieten, wird
die soziale Kompetenz aller Beteiligten stärken, wird Kooperation auf multiprofessioneller
Ebene fördern, wird aber zugleich auch selbstbewusst ihren Platz sowie ihre professionelle
Rahmenbedingungen im (Schul)System einfordern müssen.
Infoblock:
Die Dimensionen von SchulSozialarbeit können wie folgt kurz umrissen werden:
SchulSozialarbeit ist ein FORUM
für eine Neubelebung von vertrauten Inhalten, neuen Ideen
sowie deren Verwirklichung
SchulSozialarbeit ist BEGEGNUNG
für alle LehrerInnen, SchülerInnen, Eltern & Erziehungsberechtigte sowie außerschulische Behörden,
Organisationen und Vereine
SchulSozialarbeit ist ANREGUNG
für neue Lebens-. und Lernkonzepte sowie für eine
Förderung des Klassen- und allgemeinen Schulklimas
SchulSozialarbeit ist positive AUFREGUNG
in der Politik, Jugendkultur und Gesellschaft
SchulSozialarbeit ist eine BEWEGUNG
für mehr Solidarität und soziale Integration
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Ein guter Start
Brückenschlag zwischen Kindergarten und Schule
1) Einleitung
Jeden Herbst beginnen viele 6-Jährige mit der Schule. Für einige dieser Schulneulinge ist es
wichtig, dass wir sie bereits vor diesem markanten Zeitpunkt kennen lernen.
In Wien findet die so genannte „vorgezogene Einschreibung“ statt. Fast zwei Jahre vor dem
tatsächlichen Schulbeginn erfolgt eine erste Datenerfassung an den Volkschulen. Eltern von
(schwerst-) beeinträchtigten Kindern können so
frühzeitig über die verschiedenen
Möglichkeiten der Beschulung ihres Kindes informiert werden.
2) Zielgruppe
Kinder, in deren Entwicklung Verzögerungen aufgetreten sind und bei denen anzunehmen
ist, dass diese Entwicklungsverzögerungen in weiterer Folge das Lernen behindern können,
sind unsere vorrangige Zielgruppe.
Wenn es möglich ist, Kinder mit besonderen Bedürfnissen und deren Eltern bereits einige
Zeit vor ihrem Schuleintritt zu sehen, mit ihnen zu arbeiten und zu sprechen, können bereits
im Vorschulalter entsprechende Maßnahmen gesetzt
werden, um den weiteren
Entwicklungsverlauf positiv zu gestalten.
3) Rahmenzeit
Der Zeitraum möglicher Interventionen ist im Normalfall das Jahr vor Beginn der Schulpflicht.
4) Ziele
Im Rahmen der Möglichkeiten des bestehenden Systems bemühen wir uns, den Eltern die
am besten geeignete Form der Beschulung für ihr Kind nahe zu bringen und/oder an den
Volksschulstandorten eine förderliche Lernumgebung zu schaffen.
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INTEGRATIONSJOURNAL
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5) Die übliche Vorgangsweise ist folgende:
Durch gute Vernetzung mit Kindergärten der Region, regelmäßige Kommunikation mit
mobilen Sonderkindergärtner/innen oder außerschulischen Institutionen werden Eltern von
Kindern mit besonderen Bedürfnissen motiviert, mit ihrem Kind ins SPZ zu kommen.
Hier führen wir ein Erstgespräch mit den Erziehungsberechtigten und begutachten das Kind.
Erhebung zur Lernausgangslage
Name, Geburtsdatum des Kindes
Angaben zur Familie
Zahl der Familienmitglieder
Geschwister
☺Nr./Geschlecht
Alter
Schulart / Kindergarten
Wohnort (zu Hause, eigene
Wohnung, …)
Berufliche Tätigkeit und Alter der Personen, bei denen das Kind überwiegend lebt
Person (Namen)
Familienzugehörigkeit
(Vater, Mutter,
Onkel,…)
Berufstätigkeit
Alter
Wohnverhältnisse
Art der Wohnung (Anzahl der Zimmer einer Wohnung, Notunterkunft,
Wohngemeinschaft, eigenes Haus)
Zahl der Wohnräume
Eigenes Zimmer (ja / nein) – wenn nein, mit wem ist das Kind zusammen untergebracht?
Mehrmaliger Wohnungs- / Wohnortwechsel (ja / nein)? Wenn ja, nähere Angaben
Wenn ja, wann war der letzte Wohnungs- / Wohnortwechsel?
☺ die Kinder werden nach der Reihenfolge ihrer Geburt eingetragen, das betroffene Kind
selber erhält zusätzlich ein X. So ist der Rang in der Geschwisterreihe unmittelbar ersichtlich.
(Knaben: , Mädchen )
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Besondere Lebensumstände und Verhaltensweisen des Kindes
Schwangerschaftsverlauf, Schwierigkeiten in der Schwangerschaft? Wunschkind?
Schwierigkeiten bei der Geburt?
Besonderheiten in der Säuglings- und Kleinkinderzeit?
Wann wurde das Kind sauber?
Das Kind nässt / kotet ein (ja / nein) – wenn ja tags / nachts?
Daumenlutschen, Nägelkauen, Tics, Haare ausreißen, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit,
Ängste, Stottern …. (Ja / nein)
Längere oder schwere Krankheiten, Unfälle (Art und Zeitraum)?
Längere Krankenhausaufenthalte (Krankheit und Zeitraum, Operationen)?
Heimaufenthalte / Fremdunterbringungen / Krisenzentrum? Wenn ja, von / bis:
Änderung der familiären Konstellation (etwa durch Trennung, Tod eines Familienmitgliedes
usw.) – Art der Änderung und Zeitraum
Weiter bedeutsame Umstände / Ereignisse
Sinnestüchtigkeit
Ist das Kind schon auf (leichte) Seh- und Hörstörungen untersucht worden (ja / nein)? Wenn
ja, Befunde, Ergebnisse und Konsequenzen:
Motorik
Mit welchem Alter begann das Kind zu krabbeln?
Mit welchem Alter begann das Kind zu laufen?
Welche Hand
bevorzugt das
Kind beim
die rechte
Hand
die linke Hand
beide Hände
unbekannt
Essen?
Malen?
Werfen?
Schneiden?
Ist eventuell bei einer ursprünglichen Linkshändigkeit der Versuch einer Umgewöhnung
vorgenommen worden (ja / nein / unbekannt)? Wenn ja, durch wen und mit welchem
Ergebnis?
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Sprachverhalten
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Muttersprache:
Mit welchem Alter begann das Kind zu sprechen?
Sprachauffälligkeiten (ja / nein)? Wenn ja, genauer beschreiben:
Das Kind spricht fließend / gebrochen / kaum / kein Deutsch:
Satzbildung (Einwortsätze / unvollständige Sätze / grammatikalische Fehler / vollständige
Sätze / Satzgefüge)
Kindergartenbesuch (ja / nein / unbekannt) – wenn ja, Adresse des Kindergartens:
______________________________
Kindergartenpädagogin____________________, Zeitraum: _________________
Integrationskind: ja / nein
Zurückstellung (ja / nein) - Vorschulkind – wenn ja, Grund:
Gegebenenfalls Informationen über die Entwicklung und das Verhalten des Kindes in dieser
Zeit:
Hat das Kind feste Freunde (ja / nein / unbekannt)? Wenn ja – wen und wo?
Lieblingsbeschäftigung des Kindes
Was macht das Kind gerne / nur ungern zu Hause?
Besucht das Kind einen Sportverein / eine Jugendgruppe?
Bringt das Kind manchmal Freunde/Innen mit nach Hause?
Wie oft bewegt sich das Kind an der frischen Luft (Parkanlage, Spielplatz)?
(täglich / mehrmals in der Woche / nur am Wochenende / sehr selten / gar
nicht)?
Welche Fixpunkte gibt es im Tagesablauf?
Betreuung: Welche Personen, Institutionen, Vereine … kümmern sich um das Kind (Art,
Häufigkeit, Zeitraum und Tageszeit)?
Besondere Belastungen und Beanspruchungen (Z. B. starke Beanspruchung im Haushalt,
auf kleinere Geschwister aufpassen, Erziehungsstil, usw.):
Stärken und Schwächen des Kindes aus der Sicht der Eltern / Erziehungsberechtigten
Problemlage des Kindes aus der Sicht der Eltern
Bereits in Anspruch genommene psychologische, fachärztliche, therapeutische Beratung
und / oder Behandlung
Bisherige Fördermaßnahmen (was, wie oft, wie lange, bei wem, mit welchem Erfolg)
Mit Einverständnis der Eltern erfolgt möglichst zeitnahe eine Beobachtung des Kindes im
Kindergarten und ein strukturiertes Gespräch mit den Kindergartenpädagoginnen/pädagogen.
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Adaptierter Leitfaden zur Strukturierung teilnehmender Beobachtung (siehe: Verstehen
und Fördern: Von der Diagnostik zum pädagogischen Handeln Sabine Knauer Themenheft
01 eine Publikationsreihe der deutschen Kinder- und Jugendstiftung im Rahmen von „Ideen
für mehr! Ganztägig lernen.“)
Name, Geburtsdatum des Kindes
Sozialverhalten und Persönlichkeitsentwicklung
Affektives Verhalten: Kann das Kind seine Gefühle zeigen? Wie?
Kann sie/er darüber sprechen?
Ist das Kind klärenden Gesprächen zugänglich und bereit, Konflikte beizulegen?
Selbststimulierung fein: Zeigt das Kind eine der folgenden Verhaltensweisen? Am
Daumen lutschen ja - nein, an den Nägeln kauen ja - nein, in der Nase bohren ja - nein, am Kopf kratzen ja - nein,
auf Papier kritzeln ja - nein, mit Gegenständen herumspielen ja - nein
Selbststimulierung grob: Zeigt das Kind eine der folgenden Verhaltensweisen? Mit dem
Stuhl schaukeln ja - nein, Stühle und Bänke rücken ja - nein, den Kopf
rhythmisch hin und her bewegen ja - nein, die Füße ständig in Bewegung halten ja
- nein, in der Klasse herumlaufen ja - nein
Kontakt: Nimmt das Kind von sich aus Kontakt auf? Auf welche Art?
Wie geht das Kind auf Kontaktwünsche anderer ein?
Wie geht das Kind mit anderen um?
Kann das Kind sich mit anderen freuen oder traurig sein?
Interessiert sich das Kind für andere?
Vermisst das Kind fehlende Mitschüler/innen / Kindergartenkinder?
Einfühlungsvermögen: Nimmt das Kind auf andere Rücksicht?
Kann das Kind mitfühlend sein und trösten?
Erfüllt das Kind die Wünsche anderer Kinder?
Verlässlichkeit: Übernimmt das Kind gerne Aufträge/Aufgaben und erfüllt sie zuverlässig?
Behandelt das Kind eigene und geliehene Dinge sorgfältig?
Hält sich das Kind an Vereinbarungen?
Gesprächsverhalten: Unterhält sich das Kind gerne mit anderen Kindern in der Klasse /
Kindergartengruppe?
Erzählt das Kind gerne Erlebnisse in Gruppen/im Sesselkreis?
Hört das Kind anderen zu und lässt sie ausreden?
Geht das Kind auf Beiträge anderer ein?
Äußert das Kind seine Meinung verständlich und begründet sie?
Hilfsbereitschaft: Ist das Kind von sich aus bereit, anderen Kindern bei der Lösung von
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Aufgaben zu helfen? Tut das Kind dies nach Aufforderung?
Sieht das Kind, wenn jemand Hilfe braucht?
Kann das Kind selbst um Hilfe bitten und/oder sie annehmen?
Zusammenarbeit: Spielt und arbeitet das Kind lieber mit einem oder mehreren Kindern
zusammen oder allein?
Hält das Kind Absprachen ein?
Macht das Kind eigene Vorschläge?
Kann das Kind Aufgaben verteilen (delegieren)?
Kann das Kind sich mit anderen auf eine gemeinsame Lösung einigen?
Beachtet das Kind die Wünsche der anderen Kinder?
Setzt sich das Kind für die gemeinsame Arbeit ein?
Selbstbewusstsein: Äußert das Kind eigene Wünsche und Meinungen auch gegen die
Mehrheit?
Kann das Kind sich gegen Kinder und Erwachsene behaupten?
Nimmt das Kind Vorhaben optimistisch oder eher zögernd/unsicher/ängstlich in Angriff?
Konfliktverhalten: Kann das Kind Streit mit Worten schlichten?
Macht das Kind Lösungsvorschläge?
Kann das Kind eigene Interessen vertreten, durchsetzen, zurückstellen?
Kann das Kind sich verteidigen/wehren/Zumutungen zurückweisen?
Kann das Kind Schuld einsehen/annehmen?
Geht das Kind auf die Argumente anderer ein?
Ist das Kind kompromissbereit/ausgleichend?
Macht das Kind Lösungsvorschläge?
Kritikfähigkeit: Übt das Kind Kritik konstruktiv und sachlich?
Kann das Kind Kritik annehmen?
Hinterfragt das Kind zweifelhaft erscheinende Informationen/Ansichten/Entscheidungen?
Lern- und Arbeitsverhalten
Leistungsbereitschaft:
Arbeitet das Kind aus Interesse an den Aufgaben? Arbeitet es nur bei Zuspruch und Lob?
Konzentration/Ausdauer/Arbeitstempo/Arbeitseifer: Unter welchen Bedingungen kann
das Kind sich gut/besser konzentrieren, lange und zügig arbeiten?
Sorgfalt: Geht das Kind sorgfältig mit Arbeitsmaterialien um?
Arbeitet es übersichtlich/geordnet/genau?
Beendet es die einzelnen Arbeitsschritte?
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Räumt es nach dem Spielen/Arbeiten die benutzten Materialien weg?
Regelbefolgung: Versteht das Kind die Arbeitsanweisungen und führt sie aus?
Hält es die Abmachungen, Arbeits- und Spielregeln von sich aus/nach Erinnerung ein?
Systematisches Lernen: Geht das Kind planvoll vor?
Berücksichtigt es die einzelnen Arbeitsschritte der Reihe nach?
Bringt es die Arbeiten zu Ende?
Selbstständigkeit: Arbeitet das Kind ohne Hilfe?
Setzt es sich selbst Ziele?
Sucht es sich selbst Aufgaben aus?
Kontrolliert es selbst die Ergebnisse?
Nutzt es die Arbeitszeit?
Eignet es sich selbst Wissen und Fertigkeiten an?
Bringt es selbstständig Material für ein Vorhaben mit?
Benutzt es von sich aus die notwendigen Hilfsmittel beim Arbeiten?
Neugier: Ist das Kind offen für Neues, Unbekanntes?
Stellt es Fragen, hat es bestimmte Interessen entwickelt?
Nimmt es Anregungen auf?
Kreativität: Macht das Kind häufig Vorschläge? Äußert es neue Ideen?
Findet es bei Problemen alternative Lösungen?
Initiiert es neue Spiele?
Merkfähigkeit: Unter welchen Bedingungen kann das Kind sich Informationen am besten
merken (optisch, akustisch, handelnd)?
Gibt es aufgenommene Informationen teilweise – vollständig – zusammenhängend wieder?
Aufgabenverständnis: Versteht das Kind Aufgaben, wenn es – selbst mit Material
umgehen kann –, die nur optisch oder mündlich erklärt werden?
Versteht es Aufgaben, die schriftlich erteilt werden?
Transferleistung: Überträgt das Kind das Gelernte – eigenständig – auf Anregung – mit
Unterstützung auf neue Aufgaben?
Einschätzung der eigenen Leistungsfähigkeit: Kann das Kind die eigenen Leistungen
einschätzen?
Neigt es bei Erfolgen zu vermehrter Anstrengung oder Nachlässigkeit?
Wie geht es mit Misserfolgen um? Spielt es sie herunter oder setzt es sich mit ihnen
auseinander?
Bemüht es sich daraufhin verstärkt oder wird es mutlos?
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INTEGRATIONSJOURNAL
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6) Handlungsplan
Aus den daraus resultierenden Erkenntnissen versuchen wir gemeinsam mit den Eltern
einen Handlungsplan zu erstellen.
•
Sind zusätzliche Abklärungen medizinischer und/oder therapeutischer Art notwendig?
•
Welche Maßnahmen würden wir aus unserer Sicht noch vor Schuleintritt empfehlen?
Bei all den notwendigen Schritten sind wir auch gerne bereit, die Erziehungsberechtigten zu
unterstützen. Sei es durch Terminvereinbarungen oder Vermittlung von Adressen
außerschulischer Institutionen, Bereitstellung von Fördermaterial sowohl für die
Erziehungsberechtigten als auch die Kindergartenpädagogin, ...
7) Check-Up
Nach einigen Monaten gibt es einen neuerlichen Termin, um zu sehen, was sich in dieser
Phase getan hat. Rücksprache halten wir auch mit allen bereits im Vorfeld beteiligten
außerschulischen Stellen.
8) Weichenstellung
Gemeinsam mit den Eltern besprechen wir die möglichen Weichenstellungen oder
zusätzlichen Maßnahmen im schulischen System. Dazu ist umfassendes Wissen der
strukturellen Gegebenheiten eines Inspektionsbezirkes notwendig:
•
Die objektiven Rahmenbedingungen an Schulen und deren Umfeld (Hort,
Ganztagsschule, ...) zu kennen ist unumgänglich.
•
Spezielle personelle Stärken eines Standortes sind zu beachten. Diese Informationen
finden sich auch im Schulprofil oder im standortspezifischen Förderkonzept.
Unsere Arbeit endet natürlich nicht mit dem Schuleintritt eines Kindes. Es wird von uns
natürlich weiterhin beobachtet und wenn notwendig auch betreut.
Wenn es gelingt in dieser Zeit vor dem Schuleintritt flankierende Maßnahmen zu setzen, ist
die Schullaufbahn meistens erfolgreich und ein sonderpädagogischer Förderbedarf kann
vermieden werden. Die Statistik für das Schuljahr 2008/09 zeigt den Erfolg. Die Zahlen
dieser Aufstellung, vor allem aber die Zufriedenheit der Lehrer/innen, Schüler/innen und
Erziehungsberechtigten sprechen für diese Vorgangsweise.
Bei Rückfragen zur Statistik wenden Sie sich bitte an SDn Elisabeth Stricker.
Autorinnen:
SDn Irene Bauer, Leiterin der Wiener Sprachheilschule
Landstraßer Hauptstraße 146, 1030 Wien
SDn Elisabeth Stricker, Leiterin des/r SPZ/ASO 10
Sonnleithnergasse 32, 1100 Wien
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Vernetzen,
miteinander reden,
Informationen austauschen …
Um ein Kind mit besonderen Bedürfnissen/Behinderungen möglichst gut betreuen und
fördern zu können, ist die Zusammenarbeit im multiprofessionellen Team nötig. Das ist
nichts Neues.
Dass auch Schulärztinnen und Schulärzte eine wichtige Rolle spielen (sollten) ist Tatsache
und beileibe auch keine neue Erkenntnis.
Der heute 81-jährige Hofrat Dr. Felix Wilk, Facharzt für Kinder- und Jugendheilkunde sowie
Kinderneuropsychiatrie, war, neben vielen anderen Tätigkeiten, auch viele Jahre als
Schularzt in St. Isidor/O.Ö. tätig.
Vor ca. 20 Jahren, während seiner aktiven Zeit in dieser Funktion, verfasste er u.a. ein
kurzes Statement zu den Aufgaben der Schulärztin/des Schularztes hinsichtlich Betreuung
von Schüler/innen in Integrationsklassen.
Wir wollen dieses Statement hier abdrucken, weil es kein bisschen von seiner Aktualität
eingebüßt hat und wir damit auch zeigen wollen, dass es schon längst Erkenntnisse zu
unterschiedlichen Facetten, die zum guten Gelingen von Integration beitragen, gibt, dass
also das Rad nicht neu erfunden werden muss, sondern manchmal nur schon längst
gewonnene Erkenntnisse umgesetzt werden müssten…..
Das Redaktionsteam
Die Aufgaben der Schulärztin/des
Schularztes in der Integrationsklasse
Es ist anzunehmen, dass die behinderten Kinder in einer Integrationsklasse an jeweils
unterschiedlichen Krankheitsbildern leiden.
Obwohl Diagnose, Prognose und Therapie meist schon feststehen, hat die Schulärztin/der
Schularzt die Aufgabe, dies mit den Klassenlehrer/innen zu besprechen, um sie über alle
Symptome des Leidens aufzuklären
und auf mögliche Komplikationen, sowie auf
körperliche, psychische und geistige Belastbarkeit hinzuweisen. Es ist wichtig, dass auch
geringfügige psychische oder somatische Veränderungen beim Kind sofort der
Schulärztin/dem Schularzt mitgeteilt werden, damit diese/r entscheidet, ob andere,
aufwändigere Untersuchungen zu empfehlen sind.
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Es ist daher auch Aufgabe der Ärztin/des Arztes, mit den behandelnden Kolleginnen und
Kollegen oder Therapeutinnen und Therapeuten ständig Kontakt zu pflegen und sich über
das Befinden des Kindes laufend zu informieren, um nun seinerseits mit den Lehrpersonen
darüber und die nötigen Konsequenzen im schulischen Bereich zu sprechen.
Die Schulärztin/der Schularzt soll auch mitentscheiden, ob und unter welchen Bedingungen
eine Beteiligung des behinderten Kindes an Schulveranstaltungen (z.B. Schullandwochen,
sportlichen Veranstaltungen, etc.) möglich ist.
Schließlich müssen mit den Klassenlehrerinnen und Klassenlehrern auch Maßnahmen der
ersten Hilfe durch besprochen werden, speziell bei akuter Exazerbation (Ausbruch eines
Krankheitsschubs) des jeweiligen Krankheitsbildes, damit auch wirksame Hilfe geleistet
werden kann, wenn der Schularzt/die Schulärztin nicht anwesend ist.
Dies alles ist aber in befriedigendem Maß nur dann möglich, wenn Lehrer/innen und
Ärztinnen und Ärzte intensiv zusammenarbeiten; die Pädagoginnen und Pädagogen sollen
sich nicht scheuen, den Rat und die Hilfe der Medizinerin/des Mediziners öfter in Anspruch
zu nehmen.
Besonders soll auch darauf hingewiesen werden, dass der regelmäßige Kontakt zwischen
Ärztin/Arzt und Erziehungsberechtigten von großer Bedeutung ist.
Autor:
Hofrat Dr. Felix Wilk
http://community.schule.at/index.php?cid=592
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Triangel
Hainburgerstraße 40
1030 Wien
Tel: 01/71 34 634
Email: [email protected]
Eine Einrichtung des 18. Inspektionsbezirks für
Lehrerinnen und Lehrer:
Reflexion des Schulalltags
(einzeln, Team, Gruppe)
Beratung
Fortbildung
Eltern:
Erziehungsberatung
Beratung bei besonderem Bedarf
Schülerinnen und Schüler:
Beratung bei Schulproblemen
Entsprechend den Interessen und Bedürfnissen der LehrerInnen sowie den Rückmeldungen
der SchulleiterInnen und InspektorInnen haben wir unser Angebot erweitert und bieten seit
dem Schuljahr 2008/09 Vernetzungstreffen und Fortbildungsveranstaltungen zu folgenden
Themen an:
•
•
•
•
•
•
•
•
Zwischenwelten - Adoleszenz
Gewaltprävention
Teamarbeit
Die LehrerInnenrolle - Arbeit mit der Maske
Verdacht auf sexuellen Missbrauch
Balintgruppen
Multikulturalität
Burnout
Alle Beratungen und Fortbildungsveranstaltungen finden im Triangel statt und sind kostenlos.
Das Triangel-Team:
Mag. Regina Aigner
Ingrid Neudhart
Inge Palacz
Hemma Stallegger-Dressel
Beratungslehrerin, Psychotherapeutin
Beratungslehrerin, Psychotherapeutin
Beratungslehrerin, Kunsttherapeutin
Beratungslehrerin, Psychoanalytikerin
www.schulen.wien.at/schulen/909013
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Rückmeldungen von Seminarteilnehmerinnen, Supervisandinnen, Eltern:
Liebes Triangel-Team!
Ich möchte hiermit ein DANKESCHÖN an Euch übermitteln, für die bereichernden
Seminarnachmittage in Euren gemütlichen Räumlichkeiten bei TRIANGEL.
Die von mir belegten Seminare "Gewaltprävention" und "Adoleszenz" gestalteten sich
äußerst interessant von den vortragenden Seminarleiterinnen, sowie von der bunten
Mischung der TeilnehmerINNEN. Es ist so erfrischend, dass sich die Veranstaltungen von
stereotypen Angeboten abheben, ich kein einziges Mal versucht war auf die Uhr zu schauen
und auf Grund der Gruppengröße, jeder der etwas zu sagen hatte auch Raum dafür bekam,
die Atmosphäre stimmte einfach. Natürlich ist es mein subjektives Empfinden, aber
entsprechend den anschließenden "Plaudereien" mit teilnehmenden KollegINNEN erging es
allen so, das so wichtige Austauschen von Erfahrungen in einem passenden Rahmen tat
allen gut. Die SeminarleiterINNEN schafften es den Fokus der "Schularbeit" wieder ein
bisschen zu verrücken und für andere Sichtweisen zu sensibilisieren, denn gerade dieses
Ausprobieren neuer Methoden sowie das "Sich Erinnern" an die Methodenvielfalt, über die
wir alle verfügen, ist wertvoll!
Ich konnte sehr viel positive Kraft mitnehmen und hoffe, dass das TRIANGEL-Team in
Zukunft noch mehr spannende Nachmittage bieten kann. In diesem Sinne - schön dass es
Euch für uns im Bezirk gibt- bitte weiter so!
Mit freundlichen Grüßen,
Claudia Rosner
„Durch die 14tägige Supervision und das Bewusstwerden bestimmter Mechanismen fühlen
wir uns im Berufsalltag unterstützt, wodurch ein entspanntes Arbeiten möglich wird. Die
Supervision hilft uns dabei, in die verschiedensten Bereiche unserer Arbeit Klarheit zu
bringen (Elternarbeit, Teamarbeit,…) Die Supervision im Triangel ist ohne großen Aufwand
(Anreise, Organisation) und kostenlos zu nutzen.“
Ein Vorschulklassenteam
„Ich arbeite als Sonderschullehrerin mit verhaltensauffälligen und sozial beeinträchtigten
Kindern. Da ich die besonderen Anforderungen, die durch meine Arbeit entstanden und
weiterhin entstehen, nicht allein zu verarbeiten vermag, bin ich seit über einem Jahr
regelmäßig im TRIANGEL in Supervision.
Hierbei kann ich belastende Situationen in meinem Berufsalltag bearbeiten, wobei die
psychoanalytische Orientierung der Supervision im Besonderen dazu verhilft, die
unbewussten Vorgänge verstehen zu können, die zu möglichen Konfliktsituationen zwischen
den SchülerInnen und auch zwischen SchülerInnen und mir geführt haben könnten. Als
einen besonders wichtigen Teil meiner Supervision erachte ich die Arbeit am
Bewusstmachen von Übertragungen, denen ich in der Arbeit mit den großteils stark
traumatisierten Kindern ständig ausgesetzt bin, die aber auch innerhalb der Institution Schule
(KollegInnen, Vorgesetzte, usw.) wirken. Die Reflexion der belastenden Situationen im
Unterricht verhilft mir dazu professionelle Arbeit leisten zu können.“
Eine Sonderschullehrerin
„Ich bin immer glücklich, wenn ich hier war. Die Beratung hat mein Leben bedeutend
verbessert und vereinfacht. Es ist schön, dass ich mit meinen Problemen ernst genommen
werde, dass mich jemand versteht und dass ich kompetente Hilfe bekomme.“
Eine Mutter
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Anreicherung der Bildung durch Bildung für
alle …
Gespräche wurden und werden sehr viele geführt …
Ich führe sie in meiner Eigenschaft als Bezirksschulinspektorin und Dienststellenleiterin mit
Lehrer/innen, Schulleiter/innen, Eltern und aber auch oft mit Schüler/innen. Immer wieder –
und in den letzten Jahren vermehrt – wird das Thema Integration angesprochen. Eigentlich
ist dieser Begriff in der Gesellschaft längst eine politische Selbstverständlichkeit, es ist kein
wirklicher „Aufreger“ mehr.
Was dazu wirklich aufregt sind die erforderlichen Personalressourcen, die zu gering sind.
Man muss auch festhalten, dass die Deckelung von 2,7 % an Dienstposten vor allem im
Wiener Bereich unterdotiert ist. Aus solchen Situationen und Diskussionen entstehen
manchmal „Streitgespräche“. Ein solches ist mir in guter Erinnerung. Ein Lehrer, der in der
Sekundarstufe eine Integrationsklasse mit lernbehinderten Kinder führt, darunter auch sehr
verhaltensauffällige Schüler betreut, kam zum Problem Integration im Lauf eines Gespräches
zu folgendem Schluss: „Man kann nicht alles und jeden integrieren“.
Auf das Ende der Diskussion will ich gar nicht eingehen, doch es hat mich sehr dazu
angeregt diese Aussage zu hinterfragen. Ist nicht alles von dieser Welt in dieser Welt? Sind
wir nicht alle Lebewesen und ist nicht auch alles Unbelebte integrativer Bestandteil unserer
Welt, in der wir leben? Ist nicht unsere Gesellschaft insgesamt ein soziales Gebilde, in das
alle hinein geboren sind und von dem niemand das Recht hat, Menschen daraus zu
verbannen?
Ich möchte Ihnen gerne Beispiele aus meinem Bezirk bringen, wie Integration von
hörbehinderten Kindern gelingen kann.
Was kann ausgehend von einem Bildungsbegriff, der „Bildung für alle“
grundlegt,
bei
Menschen
mit
einer
Hörbehinderung
entwicklungspsychologisch speziell beachtet werden, beziehungsweise welche
Rahmenbedingungen sind Voraussetzung dafür, dass Bildung für
Hörbehinderte gelingen kann?
Die Hörbehinderung eines Menschen ist für die Umwelt nicht äußerlich sichtbar und wird
daher im intersubjektiven Austausch häufig nicht als solche erkannt. Das fehlende Wissen
um die Behinderung, beziehungsweise eine Fehleinschätzung des Ausmaßes an
Beeinträchtigung, kann zu folgenreichen Missverständnissen in der Kommunikation führen.
Diese verläuft häufig für alle beteiligten Gesprächspartner unbefriedigend. Zum einen für den
Hörbehinderten, der trotz hoher Anspannung und Konzentration den Sinn und Gehalt des
Gespräches nicht ausreichend zu erfassen vermag. Zum anderen für die gut hörenden
Gesprächsteilnehmer/innen, die ob ihrer Unkenntnis oder Fehleinschätzung ungeduldig und
möglicherweise enttäuscht reagieren. Information und Offenheit sind wichtige
Voraussetzungen für die Begegnung mit hörbehinderten Menschen.
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Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Erziehung und Unterricht? Wie
kann Kindern dabei geholfen werden, sich trotz ihrer Behinderung zu
selbstbewussten, selbständigen, lebenstüchtigen, umfassend gebildeten
Menschen zu entwickeln?
Zunächst soll auf die Notwendigkeit
Hörbehinderte hingewiesen werden.
einer
förderlichen
Lernumgebung
für
Die Bildung von Kindern mit Schwer- oder Fehlhörigkeit vollzieht sich in einem
Spannungsfeld von Strukturierung und Kompensation. Ein eingeschränktes Hörvermögen
bedingt, dass Schallereignisse verzerrt oder unzusammenhängend wahrgenommen werden.
Bei sprachlichen Ereignissen prägen möglicherweise nur Rhythmus und Intonation den
Höreindruck. (vgl. Renzelberg, 1999, S. 26) Bei hochgradiger Schwerhörigkeit können die
derzeit bekannten Hörhilfen nicht den Umfang und die Differenzierung von Tönen und
Geräuschen vermitteln, die ein Mensch mit normalem Hörvermögen verarbeitet.
Unvollständige Höreindrücke müssen strukturiert und mit bereits bekannten Höreindrücken
und anderen Informationen in Beziehung gesetzt werden, um einen Sinnzusammenhang
erkennen zu können. Fehlende Möglichkeiten sprachlich zu kommunizieren werden durch
nonverbale Kommunikation oder ein bestimmtes Verhalten kompensiert. Es müssen daher
der Behinderung gerechte Rahmenbedingungen geschaffen werden. Abgesehen von
räumlichen Bedingungen wie guter Ausleuchtung und geringem Schall- und Lautpegel, ist
die Aufbereitung der Lerninhalte von großer Bedeutung.
Bildung von hörbehinderten Kindern kann nicht nur über sprachliche Kommunikation
erfolgen, sondern sollte durch anschaulich vollziehendes Lernen ermöglicht werden.
Herausragende Bedeutung fällt dabei dem visuellen Wahrnehmungsbereich zu. In der
Hörbehindertenpädagogik kann von zwei Schwerpunkten ausgegangen werden: Erstens
müssen die eingeschränkten Wahrnehmungsmöglichkeiten berücksichtigt werden, indem ein
entsprechendes, ganzheitliches Lernangebot zur Verfügung steht, zweitens müssen
vorhandene Hörerfahrungen intensiviert und die Sprech- und Sprachkompetenz der Kinder
gezielt gefördert werden. Eine „Bildung für alle“ muss für Hörbehinderte bedeuten, dass sie
einerseits faire Ausgangsbedingungen und Bildungschancen vorfinden, andererseits ihre
besondere Situation und pädagogischen Ansprüche berücksichtigt werden. Hörbehinderte
Menschen, denen Bildung in einem förderlichen, verständnisvollen Umfeld ermöglicht wurde,
werden in der Regel der hörenden Umwelt weder intellektuell noch in psycho-sozialer
Hinsicht unterlegen sein.
Ebenso ist dem psychosozialen Aspekt der Hörbehinderung besonderes
Augenmerk zu schenken.
„Das Hören an sich und speziell das Hören von Gesprochenem spielt als Grundlage
jeglicher sprachlichen Entwicklung die tragende Rolle.“(Renzelberg, 1999, S. 22) Kommt es
auf Grund einer Hörbehinderung zu Verzögerungen oder Einschränkungen in der
sprachlichen Entwicklung und damit in Verbindung zu relevanten Schwierigkeiten in der
Kommunikation, können andere Bildungsziele auch nur erschwert erreicht werden. Für die
kindliche Entwicklung sind insgesamt die Form und Intensität der Kommunikation mit den
nächsten Bezugspersonen entscheidend. In der Auseinandersetzung mit ihnen entfalten und
bilden sich Persönlichkeit und Identität, wird emotionales und soziales Verhalten erlernt und
erweitern sich der Wissens- und Bildungsstand sowie das Abstraktionsvermögen.
Durch eine Hörbehinderung besonders gefährdete Bildungsziele sind die soziale
Eingliederung, die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit und die Entfaltung der Lern- und
Leistungsfähigkeit. (vgl. Renzelberg, 1999, S. 28)
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Maßgeblich für die persönliche Entwicklung ist die soziale Situation. Befinden sich Kinder
in einem ausschließlich hörenden Umfeld, kann sich das stabilisierend, aber auch
demotivierend auswirken. Ein vorwiegend auf lautsprachliche Kommunikation ausgerichtetes
Umfeld kann ein hörbehindertes Kind leicht überfordern, weil ihm permanent ein hohes Maß
an Konzentration abverlangt wird. Menschen, die sprechtechnische und/oder sprachliche
Probleme haben, werden häufig missverstanden und fehl eingeschätzt, was massive
zwischenmenschliche Schwierigkeiten hervorrufen kann, die von Ignoranz bis zu Ablehnung
führen können. Hörbehinderte Menschen ziehen sich daher häufig zurück und vermeiden
soziale Kontakte. Die soziale Eingliederung kann bei Kindern schon in den ersten
Lebensjahren eine empfindliche Einschränkung erfahren, wenn Eltern und Geschwister nicht
genügend Verständnis und Einfühlungsvermögen aufbringen. „Durch die häufigen
Erfahrungen eines Nicht-Verstehens und eines Nicht-Verstanden-Werdens verlieren
hörgeschädigte Kinder Vertrauen, Sicherheit und Geborgenheit.“ (Renzelberg, 1999, S. 28)
Die Eingliederung in außerfamiliäre Gruppen kann einerseits durch mangelndes
Verständnis von Seiten der sozialen Umwelt erschwert werden, andererseits auch aufgrund
von
geringer
Flexibilität
der
Hörbehinderten
selbst
oder
beidseitiger
Kommunikationsschwierigkeiten. Bei Kindern mit einer Hörstörung sind Art und Grad der
Hörbehinderung, Zeitpunkt der Erfassung sowie entsprechende Maßnahmen und das
familiäre Umfeld prägend, für Jugendliche gewinnt die Frage zunehmend an Bedeutung, wie
es ihnen gelingt, einen Platz in der Gesellschaft zu finden. (vgl. Renzelberg, 1999, S. 23)
Einerseits suchen hörbehinderte Menschen Schutz und fühlen sich besonders von
Menschen, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden, zum Beispiel von
hörbehinderten Geschwistern, verstanden und zu ihnen hingezogen. Andererseits müssen
sie damit umgehen lernen, dass sie einer Welt angehören, in der die meisten Menschen gut
hören. Ausschlaggebend für eine positive Entwicklung zu einem selbstbewussten Menschen
ist, dass die Schwerhörigkeit von der sozialen Umwelt und von den Hörbehinderten selbst
nicht als das entscheidende, die Persönlichkeit prägende Merkmal gesehen wird, das häufig
einen Ausschluss aus der Gesellschaft bedeutet, sondern als eine Behinderung, mit der der
betroffene Mensch selbst und alle anderen umgehen lernen können und müssen.
Die Entfaltung der Lern- und Leistungsfähigkeiten ist in einer „Bildungsgemeinschaft“, die
bereit ist, hörbehinderte Kinder aufzunehmen, auf vielfältige Weise möglich. Seit etlichen
Jahren gibt es für gehörlose Menschen die Möglichkeit einer operativen Versorgung mit
einem Cochlear Implantat. Dadurch wird es für sie möglich, Hörerfahrungen zu machen und
Lautsprache zu erlernen. Die Fragen zur Versorgung mit Cochlear-Implantaten und damit
verbunden die Entscheidung für lautsprachliche oder nonverbale Erziehung, werden in
Gehörlosenverbänden heiß diskutiert.
Lautsprachliche Frühförderung muss zum Ziel haben, dass die Kinder intensive
Hörerfahrungen machen, damit sie an Sicherheit gewinnen und sprachlich zu kommunizieren
lernen.
Der medizinische Fortschritt hat enormen Einfluss auf die Bildungsangebote für
Hörbehinderte. Die Entwicklung wird dahin gehen, ihnen verstärkt Bildung als gleichwertige
„Bildungssubjekte“ in Regelschulen zu ermöglichen. Individuelle Bildungs- und Lernprozesse
der Schüler/innen zu fördern heißt, nach Lernvoraussetzungen zu differenzieren und bei der
Aufbereitung der Lernangebote individuelle Zugänge beachten. Das bedeutet auch, dass bei
Bedarf entsprechende individuelle Fördermaßnahmen zu treffen sind. (vgl. Lehrplan der
Sonderschule für gehörlose Kinder, 2008, S. 7)
Individualisierung und Differenzierung sind die Qualitätsmerkmale eines offenen
Unterrichts in heterogenen Lerngruppen und damit grundsätzlich in jeder
Bildungsgemeinschaft. Das gilt auch für Bildungseinrichtungen, die sich um möglichst
homogene Lerngruppen bemühen. Ob eine Gruppe von Menschen als heterogen oder
homogen empfunden wird, ist von der Sichtweise bestimmt. Kinder mit einer Hörbehinderung
können nur in einer Bildungsgemeinschaft, die sich ihrer Heterogenität bewusst ist und
entsprechend zu handeln bereit ist, ein förderliches Lernumfeld finden.
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Hörbehinderte Kinder in der Regelschule/VS Börsegasse und PVS Judenplatz
(Erfahrungen 2-er Kinder Valentin und Agnes)
Ein erheblicher Anteil der Kinder mit einer Hörbehinderung besuchen Regelkindergärten
und Regelschulen im Rahmen der Integration oder auch ganz ohne sonderpädagogische
Maßnahmen. Im Sinne einer „Bildung für alle“ muss für hörbehinderte Kinder, die keine
großen Sprach- oder und psycho-sozialen Entwicklungsrückstände aufweisen, Bildung auch
ohne Integrationsmaßnahmen möglich sein. Wenn Unterschiede als „normal“ empfunden
werden, gilt das auch für den Unterschied von gut und schlecht hören. Die Hörbehinderung
kann in einer Bildungsgemeinschaft von normal Hörenden als ein spezifisches Problem unter
anderen aufgefasst werden und muss nicht als ein Merkmal gelten, das die Betroffenen
schlechtweg zu Behinderten stempelt.
Die Audiopädagogin Susi Ungricht-Brumm listet in einem Vortrag die psychologischen und
psychosozialen Voraussetzungen des hörbehinderten Kindes, das eine Regelschule
besuchen will, folgendermaßen auf: „Gesundes Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen,
altersgemäße Selbständigkeit, Frustrationstoleranz, Belastungsfähigkeit, altersgemäße
emotionale und affektive Ausgewogenheit (keine aktive und passive Verweigerung, kein
Trotz, keine Mutlosigkeit), Kontaktfähigkeit zu anderen Kindern und zu anderen
Bezugspersonen, keine sozialen Ängste, sich einlassen können, altersgemäße
Konzentrationsfähigkeit, altersgemäßes Durchhaltevermögen,...“ (Ungricht-Brumm, 1995, S.
13)
Betreffen die aufgeführten Entwicklungsziele nicht alle Kinder, die in
Regelschulen gebildet werden sollen?
Die altersgemäße psycho-soziale Entwicklung des hörbehinderten Kindes ist eine wichtige
Voraussetzung für eine erfolgreiche Weiterbildung in einem hörenden Umfeld. Die von Susi
Ungricht-Brumm angeführten Voraussetzungen sollten im Idealfall alle Kinder erfüllen, die
eine Regelschule besuchen wollen. Doch Bildung muss auch für Kinder möglich sein, die
diese Bildungsziele der vorschulischen Erziehung noch nicht erreicht haben, ob aufgrund
einer Hörbehinderung oder auf Grund eines anderen entwicklungsverzögernden Einflusses.
Für diese Kinder müssen ausreichend geeignete Pädagogen/innen oder andere kompetente
Personen zur Verfügung stehen, um entsprechende Fördermaßnahmen setzen zu können.
„Dass zwischen Hörverlust und schulischem Versagen ein enger Zusammenhang besteht,
ist durch viele Untersuchungen belegt, die alle nachgewiesen haben, dass auch eine nur
leichtgradige und selbst eine nur einseitige Schwerhörigkeit schulisches Versagen zur Folge
haben können.“(Sonderpädagogischer Förderbedarf, 1999, S. 30)
Diese Feststellung wirft zwei Fragen auf. Zunächst müsste überlegt werden, was uns ein
Zusammenhang von geringfügiger Schwerhörigkeit und schulischem Scheitern über
Unterricht und Schule berichtet. Weiters stellt sich die Frage nach dem Begriff des
„Versagens“. Es kann kein schulisches Versagen als Folge von festgelegten Anforderungen
geben, weil es im Wesentlichen darauf ankommt, auf individuellen Wegen ausreichend
Kompetenzen zu erwerben, um das Leben führen zu können.(vgl. Stinkes, S. 7) Welche
Kompetenzen in welchem Ausmaß, in welchem Zeitraum auf welchem Weg erworben
werden, wird von Persönlichkeit zu Persönlichkeit verschieden sein. Die Wege müssen für
alle offen sein und in Begleitung einer offenen Bildungsgemeinschaft gefunden werden
können.
Die erfolgreichen Bildungswege von Valentin und Agnes, die vom Kindergarten, über die
Volksschule (PVS Judenplatz und VS Börsegasse) bis zur Matura an einem humanistischen
Gymnasium ohne sonderpädagogische Förderung unterrichtet werden konnten zeigen, dass
unter entsprechenden Voraussetzungen, wie einer frühen, gezielten Förderung, Bildung im
Regelsystem möglich ist.
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Dieser im Grunde nicht defizitorientierte Ansatz korreliert in wesentlichen Aspekten mit
einem ganzheitlichen Bildungsbegriff. Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass
Fehleinschätzungen bezüglich ihrer Behinderung und mangelnde Bereitschaft zur
Rücksichtnahme von Gleichaltrigen und Lehrpersonal, zu Schwierigkeiten führten, mit denen
beide während ihrer Schulzeit regelmäßig konfrontiert waren. Durch die Weitergabe von
Information über ihre Behinderung an Pädagogen/innen und Mitschüler/innen versuchten sie,
diesen Problemen zu begegnen.
Entscheidend wird es sein, den beeinträchtigten Menschen nicht über seine Behinderung
zu definieren, ihn nicht als defizitäre Abweichung eines „Normalfalls“ mit unangemessenen
Anforderungen zu konfrontieren. Es muss für eine soziale Umwelt gesorgt sein, die zu einer
offenen und rücksichtsvollen Kommunikation mit ihnen bereit ist und sich im intersubjektiven
Austausch auf den ganzen Menschen einlässt.
Bezirksschulinspektorin
Mag. Ulrike Mangl
Stadtschulrat für Wien
1. Inspektionsbezirk
Karl-Borromäus-Platz 3, 1030 Wien
Literaturverzeichnis
LEHRPLAN der Sonderschule für gehörlose Kinder
In: BGBl. II - Ausgegeben am 30. April 2008
Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur, Wien 2008
RENZELBERG, Gerlinde
Schwerhörigenpädagogik
In: Bleidick, Ulrich u. a.: Einführung in die Behindertenpädagogik Bd. 3
Schwerhörigen-, Sehbehinderten-, Sprachbehinderten-, Verhaltensgestörtenpädagogik
5. Auflage. Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart Berlin Köln 1999
STINKES, Ursula
Auf der Suche nach einem veränderten Bildungsbegriff.
In: Behinderte in Familie, Schule und Gesellschaft. Nr. 3/1999
Online unter: http//bidok.uibk.ac.at/library/beh3-99-suche.html (Stand: 21.09.2009)
UNGRICHT-BRUMM, Susi
Die Betreuung integrierter hörgeschädigter Kinder in Schule und Ausbildung.
In: Kongressbericht. Internationales Beratungszentrum/Meggen, Berchtesgaden 1995
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Afrika
(Ein Projekt-Bericht von Marianne Hackl, SPZ 6, Spalowskygasse)
Was ist uns da bloß eingefallen?
Von Februar bis Ende März wurden drei Schulen von afrikanischen Tieren bevölkert, von
afrikanischen Farben dominiert, von AfrikanerInnen besucht und sie wiegten sich im Takt
zahlreicher afrikanischer Rhythmen. Wie das geschehen konnte? Ganz einfach!
Im Jänner dieses Jahres begannen Martina Bonner und Trude Ptacek (SPZ 6, Mittelgasse)
und Monika Giuliani (VS 14, Lortzinggasse), die sie als Kontaktstudentin kennen gelernt
hatten, ihr Vorhaben in die Tat umzusetzen, ein gemeinsames Projekt in Angriff zu nehmen.
Bald schon stieg auch Marianne Hackl (SPZ 6 Spalowskygasse) in das Projekt ein. So kam
es, dass aus einer kleinen Idee plötzlich ein schulenübergreifendes Projekt wurde, das sogar
die Grenzen der Inspektionsbezirke zum Wackeln brachte. Schließlich beteiligten sich sieben
Lehrerinnen mit ihren Klassen an diesem Projekt:
-
Martina Bonner und Trude Ptacek
mit der „FÖKL 6“ des SPZ Mittelgasse
-
Marianne Hackl und Dominique Unseld
mit der „6 ALG“ des SPZ Spalowskygasse
-
Agnes Ortner und Monika Giuliani
mit der Integrationsklasse „3 A“ der VS Lortzinggasse
-
Clara Reininger
als medienpädagogische Unterstützung aus der SPZ Mittelgasse
Warum gerade dieses Thema gewählt wurde, ist leicht zu erklären. Wer mit offenen Augen
und Ohren durch diese Stadt geht, wird merken, wie Menschen nach wie vor nur aufgrund
ihrer Hautfarbe massiven Anfeindungen ausgesetzt sind. Wir Lehrerinnen wurden damit in
der Vergangenheit immer wieder konfrontiert, weil die afrikanischen Kinder, die wir bisher
unterrichteten, viele ähnliche Geschichten zu erzählen hatten. Obwohl wir immer wieder
versuchen, dagegen zu arbeiten, gelingt es uns nicht immer – nicht einmal in der eigenen
Klasse – diese Form von Anfeindungen zu beseitigen. Wie man sieht, ein Problem, das unter
den Nägeln brennt. Ein Problem, dem wir mit diesem Projekt etwas entgegensetzen wollten.
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Darüber hinaus ist 2010 für Afrika ein Jubiläumsjahr. Vor fünfzig Jahren wurden siebzehn
afrikanischen Staaten unabhängig. Dies ist wohl der Grund, warum Afrika momentan in so
vielen Radio- und Fernsehsendungen zum Thema gemacht wird.
Natürlich bewog uns noch ein weiterer Grund zu diesem Thema. Ein Grund, der für viele
Kinder der greifbarste war: Die Fußballweltmeisterschaft findet heuer in Südafrika statt.
Schnell wurden die Grenzen des Projektes klar. Wir konnten aus finanziellen und
stundenplantechnischen Gründen nicht das komplette Programm gemeinsam machen. So
einigten wir uns darauf, gemeinsame Highlights zu erleben, zu denen alle Klassen
zusammenkommen würden. Die restliche themenspezifische Arbeit würde in den Klassen
stattfinden, was jedoch auch den Vorteil brachte, dass die Themen an das jeweilige
Klassenniveau angepasst wären. Schließlich gab es bei den teilnehmenden Kindern doch
einen Altersunterschied von sieben Jahren zu berücksichtigen!
Gemeinsame Highlights
1) Trommeln und Tanzen mit Herrn Prince Ashirifie aus Ghana
Alle drei Klassen trafen einander in
Lortzinggasse zu einem Trommelworkshop.
der
VS
Prince brachte uns nicht nur erste Rhythmen bei,
sondern auch afrikanische Spiele und schließlich
brachte er unsere Hüften zum Lied „Pati Pata“ von
Miriam Makeba so richtig zum Schwingen.
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
2) Workshoptag am SPZ 6
An den Workshops nahmen die Kinder der FÖKL 6 und der 6 ALG teil. Die Kinder wurden
auf vier Gruppen aufgeteilt und machten die folgenden Stationen durch:
1. Station:
Trude Ptacek:
Tingatinga-Malerei
Edward Saida Tingatinga war ein junger
Afrikaner, der in seinem Heimatland Tansania
einen neuen Malstil begründete. Er malte
Tiere so, wie sie in Wirklichkeit nie aussahen.
2. Station:
Marianne Hackl:
Afrikanische Masken als
Linoldruck
Lieber hätten wir die Masken ja
originalgetreu aus Holz gefertigt.
Aber dann wären wir jetzt noch
nicht fertig.
3. Station:
Dominique Unseld:
Akua-Ba-Figuren aus Salzteig
Akua-Ba-Figuren sind kleine Holzfiguren, die
schwangeren Frauen geschenkt werden, damit sie
gesunde und schöne Kinder zur Welt bringen.
4. Station:
Martina Bonner:
Forschungsstation zu afrikanischen Tieren
In diesem Workshop entstanden
Forschungsstationen für die gesamte Schule.
Durch Aufklappen von kleinen Türchen in
vergrößerten afrikanischen Tieren aus Karton
kommt man zu wichtigen Informationen über das
jeweilige Tier.
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
3) Kochen mit Frau Amina Fahra Hassan aus Somalia
Die 6 ALG lud Frau Hassan zu einem
Kochnachmittag ein. Frau Hassan ist die
Mutter einer Schülerin der 6 ALG. Gemeinsam
wurden an diesem Nachmittag Unmengen
Sambouzas, afrikanische Fleischtaschen,
zubereitet. Auch Martina Bonner kam als Gast
und backte mit den Kindern afrikanisches
Erdnussnougat.
Gegessen
wurden
die
Speisen allerdings erst am Tag darauf beim
gemeinsamen Buffet
4) Kochen mit Mag. Mahoudagba Christophe Adjassoho aus Benin
Mit der FÖKL 6 und der 3 A kochte Christophe
Adjassoho afrikanisches Ba (=Hühnergericht)
mit Maniokteig und Monjo (Tomatensauce), eine
Speise aus Benin.
Außerdem
zubereitet.
wurden
frittierte
Kochbananen
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
5) Afrikanisches Buffet
Zum afrikanischen Buffet am SPZ 6 reisten nicht nur
die 3 A der VS Lortzinggasse an, sondern es lockte
auch alle beteiligten DirektorInnen an. (Wir bedanken
uns sehr fürs Kommen. Das hat nicht nur den
Kindern sehr viel bedeutet!)
Alle ließen sich die Sambouzas, das Erdnussnougat,
das Ba, die Kochbananenchips und den
Bananenkuchen so richtig schmecken.
An diesem Tag gab es auch eine erste
Zwischenpräsentation der bisher entstandenen
Werke und einstudierten afrikanischen Gesänge und
Tänze.
Jede/r
Teilnehmer/in
bekam
als
Gastgeschenk von der 6 ALG einen afrikanischen
Glücksbringer.
6) Exkursion nach Schönbrunn
Auch an dieser Exkursion nahmen alle drei Klassen teil. Die Kinder wurden bunt
durchgemischt und in drei Gruppen auf Rätselralley geschickt, um die Tiere Afrikas besser
kennen zu lernen. Schließlich trafen wir einander wieder bei der Elefanten-Fütterung und
einer anschließenden gemeinsamen Kinder-„Fütterung“ am Spielplatz.
7) Gemeinsame Präsentation und Auftritt des Reggae-Rappers Cola-Man
(Herr Michael Igboanugo)
Am 24.3.2010 beendeten wir unser
Projekt mit einer Präsentation im
Turnsaal des SPZ 6 Spalowskygasse.
Der Turnsaal wurde von den Kindern
der FÖKL 6 und der 6 ALG eifrig mit
allen Kunstwerken und Plakaten
geschmückt, die im Laufe des Projektes
entstanden waren. Auch die VS
Lortzinggasse brachte ihre Werke für
die
Präsentation
mit.
Außerdem
präsentierten wir das Kochbuch, das
sämtliche Rezepte der Buffetspeisen
enthielt.
Das gesamte SPZ sah zu, als die Kinder über die Arbeiten im Projekt berichteten, ihre Lieder
vorsangen und vortanzten.
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Den Höhepunkt dieses
Tages bildete der in
Österreich
lebende
Reggae-Rapper Cola-Man
aus Nigeria.
Er gab einige Lieder
seiner CD zum Besten
und schaffte es, wirklich
jedes Kind und auch alle
Erwachsenen mit seiner
Musik mitzureißen.
Diese
Highlights
bildeten
jedoch
nur
einen
kleinen
Teil
unseres Projektes. Denn
die Hauptarbeit wurde in
den
Klassen
durchgeführt.
Im Folgenden geben wir einen Überblick über die Themen, die wir behandelt haben.
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Projekt FÖKL 6 Mittelgasse
Kognitive Themen:
-
Klassenlektüre: Meine Oma lebt in Afrika
von Annelies Schwarz
Thema Ausgrenzung – Andersartigkeit
akzeptieren lernen.
Afrikanische Tiere
Afrikanische Ureinwohner
Leben in afrikanischen Städten und am
Land
Kreative Themen
- Faschingsmasken: Afrikanische
Tiermasken aus Papptellern,
Pappbechern, Pappmachee und
Kreppbändern
- Lied: Simama Ka – ein Sitztanz bei dem
alle Hühner zu gackern beginnen, und
die ZuschauerInnen schließlich auch.
- Lied: Geresiya
- Bild: Afrika aus der Vogelperspektive
- Tischtücher: afrikanische Symbole
wurden auf zwei Tischtücher gedruckt
Kognitive Themen:
-
Klassenlektüre: Meine Oma lebt in Afrika
von Annelies Schwarz
Selbstgemachte Projektbüchlein:
Wissenswertes über Afrika
Kinder in Afrika (Familienleben, Wohnen,
Schule, Arbeit)
Kreative Themen:
-
-
-
Faschingsmasken: Afrikanische
Tiermasken aus Papptellern,
Pappbechern, Pappmachee und
Kreppbändern
Lied: Der Löwe schläft heut Nacht
(Deutsche Version von The lion sleeps
tonight)
Lied: Geresiya
Bild: Male einen Afrikaner, wie du ihn
dir vorstellst
Afrikanische Perlenketten
Afrikanische Masken aus Salzteig
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Projekt der 6 ALG am SPZ Spalowskygasse
Kognitive Themen:
-
Afrikanische Landschaftsformen
Tiere in Afrika
Landwirtschaft in Afrika
Thema Ausgrenzung - Apartheid in Afrika
Thema Ausbeutung - Kolonisation in Afrika
Klassenlektüre: Meine Oma lebt in Afrika von Annelies Schwarz
Kreative Themen:
-
Faschingsmasken: Afrikanische Tiermasken aus Papptellern, Pappbechern,
Pappmaché und Kreppbändern
Lied: The lion sleeps tonight (wurde mehrstimmig mit allen drei Klassen aufgeführt)
Lied: Yakanaka vanghieri aus Südafrika
Tanz: Afrikanische Tanzbewegungen in einer eigenen Choreographie zum Lied Alane
von Wes
Afrikanische Glücksbringer aus Holz wurden im Werkunterricht hergestellt.
Ndebele-Türverkleidung: Im GZ-Unterricht wurde eine neue Türverkleidung
ausgemessen und hergestellt. Muster wurden von Ndebele-Häusern abgezeichnet
und schließlich originalgetreu mit Fingern bemalt.
Am Ende dieses Projektes können wir
nicht überprüfen, ob wir alle unsere
Ziele erreicht haben. Aber wir wissen,
dass wir unseren SchülerInnen den
Kontinent und ein paar Menschen
Afrikas von einer äußerst positiven Seite
zeigen konnten.
Die Kinder konnten in den Reichtum, die Vielfalt
Afrikas hineinschnuppern und waren immer
wieder überrascht, wie viele Gesichter dieser
Kontinent zu bieten hat. Und was mindestens
genauso wichtig ist: Die Kinder haben in diesem
Projekt Leistungen vollbracht, auf die sie sehr
stolz sind und noch lange sehr stolz sein
werden.
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Danksagung
Natürlich ist so ein tolles Projekt nur möglich, wenn eine ganze Menge Menschen sinnvoll
zusammenarbeiten. Deshalb soll am Ende dieses Artikels den tragenden Personen gedankt
werden.
Vor allem tausend Dank an alle Gäste, die mit uns gearbeitet und dieses Projekt zu einem
unvergesslichen Erlebnis gemacht haben: Frau Amina Fahra Hassan, Herr Prince Ashirifie,
Herr Christophe Adjassoho und Cola-Man.
Vielen Dank an alle DirektorInnen, die uns finanziell und organisatorisch in jedem einzelnen
Anliegen hundertprozentig unterstützt haben: Frau Dir. Roswitha Jily (SPZ 6,
Spalowskygasse), Herr Dir. Josef Heissenberger (SPZ 6, Mittelgasse), Frau Dir. Susanne
Krumpholc (VS Lortzinggasse) und Frau Dir. Brigitte Schopper (SPZ 14, Linzerstraße).
Ein ganz großes Dankeschön an das Afro-Asiatische Institut, das uns Herrn Adjassoho und
an die Caritas Wien/Interkulturelle Bildungsprojekte, die uns Herrn Ashirifie vermittelt hat.
Vielen Dank an alle Kolleginnen, die bei dem Projekt mitgearbeitet haben, für die
wunderbare, humorvolle und erfrischende Zusammenarbeit.
Und natürlich gilt ein großes Dankeschön auch den 39 Kindern, die mitgearbeitet haben.
Denn ihre Begeisterung war es, die uns zu immer neuen Ideen beflügelte.
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Herr Bruno Sternath, Projektleiter und Dozent am Heilpädagogischen Institut an der
Pädagogischen Hochschule in Bern, war im Jänner 2010 eine Woche in Wien um hier in
Integrationsklassen zu hospitieren und mit diversen Expert/innen Erfahrungen
auszutauschen.
Er hat diese Eindrücke sehr ausführlich dokumentiert und uns einen Bericht geschickt. Es
würde den Rahmen des Integrationsjournals sprengen, diese Dokumentation in der vollen
Länge wiederzugeben. Außerdem sind verschiedene Inhalte in diesem Beitrag den
Leser/innen in Wien auch schon bekannt (sieh auch „Leitfaden für schulische Integration in
Wien“).
Wir möchten aber die Einleitung und auszugsweise vereinzelte Passagen abdrucken, um
zumindest einige seiner Eindrücke zu vermitteln und bedanken uns ganz herzlich für die
Übermittlung dieses Berichts.
Für Interessierte kann er auch in der vollen Länge unter www.humanpsychology.ch
Rubrik: Projekte – Evaluation – nachgelesen werden.
Brigitte Mörwald
Integrationsberatungsstelle Wien
Eindrücke vom Erfahrungsaustausch und
Hospitationen an Wiener Integrationsschulen
15. Januar bis 22. Januar 2010
Einleitung
Zwischen dem 15. Januar und dem 22. Januar 2010 fand in Wien ein Erfahrungsaustausch
mit Expertinnen/Experten in Bezug auf Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf (SPF)
statt. Der vorliegende Bericht fasst die in dieser Woche gewonnen Eindrücke von
Gesprächen und Beobachtungen zusammen und trägt dazu bei, die Geschichte und die
momentane Situation der Integration von Kindern mit SPF im Bundesland Wien kennen zu
lernen.
Ab Abschnitt 2.1ff werden die Gespräche vom Freitag, 15. Januar 2010, mit Frau Dipl. Päd.
Brigitte Mörwald und mit Frau Mag. Judith Stender zusammengefasst. Die beiden
Integrationsexpertinnen zeigten zuerst die Geschichte der Integrationsbewegung in
Österreich
und
insbesondere
im
Bundesland
Wien
auf.
Näheres
zur
Integrationsberatungsstelle wird ab Abschnitt 2.1.3.1 erläutert. Danach (2.1.4ff) wird ein
Überblick über den effektiven Weg aufgezeigt, den ein Kind mit SPF in die Integration
zurücklegen muss. Dabei wird dem Leser aufgezeigt, dass dieser Weg diverse
Herausforderungen an alle beteiligten Parteien stellt (siehe 2.1.4.1), die Vorteile bzw.
positiven Punkte der Integration aber klar überwiegen. Die Integration von Kindern mit SPF
scheint in Wien dank verschiedener Maßnahmen (beispielsweise die Festlegung von
Fördermaßnahmen, Richtlinien und Qualitätsstandards) und nicht zuletzt dank jahrelanger
Erfahrung relativ gut zu funktionieren.
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Am Montag, 18. Januar 2010, (siehe 2.2) fand ein Mentoren-Meeting zur diagnostischen
Fortbildung an Schulen mit der Referentin Anke Aschhoff statt.
Am Dienstag, 19. Januar 2010, (siehe 2.3) erfolgte ein Besuch bei einer Integrationsklasse,
bei welcher Gelegenheit ein Kind mit Autismus Spektrum Störungen (ASS) befragt werden
konnte. Die gewonnen Erkenntnisse sind ebenfalls auf den zahlreichen Fotos (Abb. 1-6)
ersichtlich.
Am Dienstag, 19. Januar 2010, fand ein Besuch bei der Autismushilfe Wien statt (siehe 2.4).
Mag. Dr. Martin Felinger, der Leiter der Autismushilfe Wien, erklärt wie der Assistenzeinsatz
von Psychologinnen/Psychologen sowie Sonderpädagoginnen/-pädagogen und wie die
Schulung von sonderpädagogischen Lehrkräften vor sich geht. Später konnte hinter
Einwegscheiben Elterngesprächen beigewohnt werden (siehe 2.4.4).
Am Mittwoch, 20. Januar 2010, erfolgte die zweite Hospitation an einem Gymnasium (siehe
2.5). Frau Mag. Claudia Kaluza war zu einem Gespräch bereit. Bei dieser Gelegenheit
konnten auch zwei Kinder mit ASS (Asperger) besucht werden (siehe dazu auch Abb. 6-8).
Am Donnerstag, 21. Januar 2010, erfolgte die dritte Hospitation am Kaisermühlendamm in
Wien (2.6). Es konnten Gespräche mit der diplomierten Sonderpädagogin Sabrina Haider
und der Schuldirektorin Dr. Susanna Bews geführt werden, die die wichtigsten Punkte der
Integration beschrieben haben. Im weiteren Verlauf des Tages konnte zudem ein Kind mit
frühkindlichem Autismus besucht werden (siehe auch Abb. 10-12). Am Donnerstag, 21.
Januar 2010, erfolgte ein Besuch der kirchlichen pädagogischen Hochschule in Wien (2.7).
Zusammen mit Mag. Dr. Edeltraud Wedl konnte ein fachlicher Erfahrungsaustausch über die
schulisch-pädagogischen Strukturen, die Weiterführung von integrativen Schulen und die
Vorbereitung von Regellehrkräften geführt werden.
Anlässlich des Besuches der Pädagogischen Hochschule Wien (2.8) fand am Freitag, 22.
Januar 2010, zusammen mit Mag. Rainer Grubich ein Gespräch über Inhalte der Fortbildung
sowie die Evaluation von Forschungsprojekten mit autistischen Kindern statt. Am Nachmittag
bildete der Besuch im Naturhistorischen Museum den Abschluss des Wiener
Erfahrungsaustauschs. Zusammen mit der Pädagogin Andrea Ackerer konnte dort ein
Jugendlicher mit Autismus-Spektrum Störung Typ Asperger besucht werden (siehe auch
Abb. 13 und 15). In Kapitel 3 wird der Erfahrungsaustausch in Wien reflektiert und
festgehalten, dass die Integration von Kindern mit SPF in Wien mehrheitlich positiv
umgesetzt werden konnte.
Der Autor dieses Berichts wurde durch Heike Meyer, Univ. Dipl. Behindertenpädagogin, auf
die Literaturarbeit von Mag. Rainer Grubich „Autismus und Integration – Die Quadratur des
Kreises?!“ und dadurch auf die Wiener Integrationsbewegung aufmerksam gemacht.
Ein erstes persönliches Treffen fand am 4. Ostschweizerischen Autismus-Symposium unter
dem Titel „Vom Rand in die Mitte“ am 7. November 2009 statt. Durch Mag. Rainer Grubich
konnte der Kontakt zu Mag. Claudia Kaluza geknüpft werden, die eine Arbeit zum Thema
„Autismus und berufliche Integration, Wien, Uni. Dipl. Arbeit 2007“ verfasst hat. Diese schlug
vor, einen persönlichen Erfahrungsaustausch in Wien bezüglich Integration an Wiener
Schulen zu organisieren. Daraufhin wurde mit der diplomierten Pädagogin und Mitarbeiterin
der Integrationsberatungsstelle Wien, Brigitte Mörwald, Kontakt aufgenommen. Die
Programm-Besprechung
sowie
die
offizielle
Einladung
erfolgte
durch
den
Landesschulinspektor für Sonderschulen und Integration von Wien, Gerhard Tuschel.
80
INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Dienstag 19. Januar 2010 Hospitation 1 Integrationsklasse
Der Besuch der Integrationsklasse (Klassenlehrerin Irmi Güttner) am Dienstag, 19. Januar
2010, war tief beeindruckend. Die Eindrücke sind vor allem auf den nachfolgenden Fotos
ersichtlich. Die Teamarbeit zwischen dem Sonderpädagogen sowie der Volksschullehrerin,
welche den Unterricht abwechslungsweise gestaltet haben, war imponierend. In der Klasse
herrschte zudem eine äußerst integrative Atmosphäre. Mit der Zeit konnte beinahe nicht
mehr festgestellt werden, welche
Kinder
nun
der
Förderung
bedurften und welche nicht.
Hilfestellung leisteten die beiden
Lehrkräfte denn auch meistens
gemeinsam, sie waren sehr gut
aufeinander abgestimmt. In der
Lektion wurde gerade das Thema
„Uhrzeit“ behandelt. Der Unterricht
setzte sich aus verschiedenen
didaktischen
Unterrichtsformen
(Einzelarbeit,
Gruppenarbeit)
zusammen und war sehr ritualisiert
(Eingangsübungen,
körperliche
Übungen etc.). Beeindruckend war
überdies, dass die stärkeren
Schüler oft den schwächeren
Schülern geholfen haben. In der
zweiten Hälfte des Tages wurde die
Klasse
aufgeteilt
in
eine
Handarbeitsgruppe
und
eine
Gruppe, die den Werkunterricht
Abbildung 1:
besuchte. Der Werkunterricht ist
Schulsituation Gruppenunterricht
auf den nachfolgenden Fotos sehr
mit vorbildlichem Teamteaching
gut ersichtlich. Die Kinder durften
ein Boot bauen. Auch da standen
wieder
beide
Lehrkräfte
unterstützend zur Verfügung.
Im Laufe der Lektion konnte ein Kind mit Autismus Spektrum Störungen befragt werden. Es
machte folgende beeindruckende Aussagen:
Allgemeine Aussage des Kindes: „Ich bin stolz auf mich“
Erwiderung auf die Tatsache, dass das Kind beobachtet wird: „Schlaf nicht ein, wenn du mir
zuschaust“
Im Rahmen einer Schreibübung: „Ich schreibe unheimlich langsam“
Auf die Frage „Kannst du auch schneller schreiben?“ meinte das Kind: „Ich bin schnell, wenn
ich will“.
Auf die Frage „Wann schreibst du denn schnell?“ meinte das Kind: „Wenn ich es jemanden
zeigen will, dann bin ich schnell“
Einen besseren Eindruck über die gewonnen Erkenntnisse geben die folgenden Abbildungen
(Abb. 1-6):
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Abbildung 2: Einzelförderung je
nach Situation und Bedarf
Abbildung 3:
Kinder beim selbständigen
spielerischen Aufgabenlösen
Abbildung 4:
Individuelle Förderung eines
Kindes
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Abbildung 5:
Teil der Klasse beim
Werken und Erstellen eines
Segelschiffs
Abbildung 6:
Individuelle
Selbsteinschätzung im
Verhalten
Der
Besuch
der
Integrationsklasse war ein
sehr
beeindruckendes
Erlebnis.
Die
daraus
gewonnen
Erkenntnisse
werden
mir
in
meiner
persönliche Forschungsarbeit
dienlich sein.
Mittwoch 20. Januar 2010 Besuch der Hospitation II am Gymnasium
Am Mittwoch, 20. Januar 2010, erfolgte die zweite Hospitation mit Frau Mag. Claudia Kaluza
in einer Kooperativen Mittelschule und an einem Gymnasium.
Besuch bei zwei Kindern mit ASS (Autismus-Störung Syndrom)
Am selben Tag erfolgte ein Besuch bei zwei Kindern. Das erste Kind mit ASS war in einer
Kooperativen Mittelschule in der zweiten Klasse integriert. Frau Kaluza coachte an diesem
Tag die Assistenz. Das Kind hatte vor allem Mühe, die Konzentration während längerer Zeit
aufrechtzuerhalten, und legte zudem Verhaltensstörungen an den Tag. Dennoch zeichnete
es sich durch eine hohe Exaktheit sowie eine ausgeprägte Feinfühligkeit aus. Im Laufe der
Schulstunde konnte beobachtet werden, wie die Klassenkameraden sowie die Lehrkräfte
und insbesondere die Sonderpädagogin mit dem Kind umgingen. Während den Arbeiten
wollte es immer wieder weglaufen, wurde aber durch die Sonderpädagogin davon
abgehalten. Zudem musste das Kind oft aufgefordert werden, den Unterricht sowie seine
Mitschüler/innen nicht zu stören.
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Das zweite Kind mit ASS war in eine Klasse am Gymnasium integriert und hatte eher Mühe
im Sozialverhalten, drückte sich aber sehr gewählt aus und beeindruckte durch seine
Vitalität. Die besuchte Englisch- und Mathematikstunde erfolgte ohne Assistenz. In der
Englischstunde zeigte mir das Kind Karikaturen (siehe nachfolgende Fotos), wobei sich die
spezifischen Stärken des Kindes präsentieren.
Abbildung 7:
Cartoon von einem
Gymnasiasten (Typ
Asperger)
Abbildung 8:
Figurenlegende
Abbildung 9:
Visualisierung von Regeln und zugleich
Orientierungsrahmen für alle Kinder
Auch dieser Besuch in einer Integrationsklasse
hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen,
der durchwegs positiv bewertet werden kann.
Auch dabei war es interessant, sowohl die
Lehrkräfte als auch die Kinder mit SPF zu
beobachten. Im folgenden Unterkapitel wird die
dritte Hospitation zusammengefasst. Bei dieser
Gelegenheit konnte ein Kind mit frühkindlichem
Autismus besucht werden.
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INTEGRATIONSJOURNAL
MAI 2010
Donnerstag 21. Januar 2010 3. Hospitation am Kaisermühlendamm
Am Donnerstag, 21. Januar 2010, erfolgte die dritte Hospitation in der Volksschule am
Kaisermühlendamm in Wien. Im weiteren Verlauf des Tages konnte zudem ein Kind mit
frühkindlichem Autismus besucht werden (2.6.5). Im Gespräch mit der diplomierten
Sonderpädagogin Sabrina Haider und der Schuldirektorin Dr. Susanna Bews wurden die
Integrationsbemühungen am Kaisermühlendamm aufgezeigt. Dabei wurde insbesondere auf
die Situation Eltern und Kind (2.6.2) sowie die Unterschiede zwischen Sonderschul- und
Regelschullehrkräften (2.6.3) eingegangen.
Integrationsschule am Kaisermühlendamm
Die Integrationsschule (Volkschule mit Integrationsklassen) am Kaisermühlendamm ist eine
Musterschule in Bezug auf die Integration von Kindern mit unterschiedlichen Bedürfnissen.
Das Ziel der Schule ist die individuelle, integrative Förderung von jedem Kind. Die Schule
schafft zudem für jedes Kind eine passende Lernumgebung. Gleichzeitig wird auf soziales
Lernen und alternative Leistungsbeurteilungen Wert gelegt. Wenn immer möglich, soll das
Gespräch gesucht werden, und zwar sowohl innerhalb des Lehrerteams als auch mit allen
anderen involvierten Parteien (Erziehungsberechtigte etc.). Die Lernthemen sollen wenn
möglich spielerisch angegangen werden. An der Schule besteht denn auch ein großes
Angebot an verschiedenen Spielmöglichkeiten (vor allem am Nachmittag).
Individuelle Förderpläne
Im Gespräch mit den Eltern und dem Kind wird halbjährlich ein Lernplan festgelegt. Es ist
möglich, dass die verschiedenen Kinder mit SPF komplett unterschiedliche Lernpläne
erhalten. Dies rührt daher, dass vereinzelt große Unterschiede zwischen den Kindern mit
Förderbedarf bestehen.
Besuch eines Kindes mit frühkindlichem Autismus
Bei dem Kind, das beobachtet werden konnte, wurde ein frühkindlicher Autismus
diagnostiziert. Es befindet sich in der 1. Klasse einer Integrationsklasse, in der insgesamt
vier Kinder mit SPF integriert sind. Das autistische Kind hat sehr wenig gesprochen (für
einen besseren Eindruck dienen auch die nachfolgenden Fotos). Auf den Bildern ist
ebenfalls ersichtlich, wie wichtig es für die Orientierung des Kindes ist, dass alle Tätigkeiten
und Handlungen visualisiert und strukturiert sind. Es wurde eine Situation erwähnt, in der
sich einer der Klassenkameraden verletzt hatte. Das autistische Kind konnte dies nicht richtig
interpretieren und schlug paradoxerweise sogar noch auf das verletzte Kind ein. Aufgrund
dieser und anderen Situationen wurden visuelle Handlungsanweisungen an neuralgischen
Punkten angebracht (siehe Foto), damit das Kind nicht in eine Art Ohnmacht verfällt, sondern
weiß, was in solchen Situationen zu tun ist. Dieselben Maßnahmen wurden übrigens auch in
der häuslichen Umgebung des Kindes getroffen (bspw. für Morgentoilette etc.). Im Laufe des
Schuljahres hat das Kind große Entwicklungsschritte durchgemacht, so dass die
Förderplanung, die zuvor für ein schwerstbehindertes Kind ausgelegt war, deshalb mit
demjenigen der allgemeinen Volksschule abgestimmt werden konnte.
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INTEGRATIONSJOURNAL
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Abbildung 10:
Prototyp von schulischer
Integration (Inklusion)
Abbildung 11:
Visualisieren von erwünschten
alternativen Verhaltensweisen
Abbildung 12:
Wöchentlicher Besuch der
‚Leseomi‘ für eine Lektion
Der
Besuch
am
Kaisermühlendamm
war
äußerst interessant und hat
erneut die Problematik der
Ausbildung von Lehrkräften,
die Integrationsklassen leiten,
aufgezeigt. Im folgenden
Unterkapitel wird kurz auf den
Besuch
der
kirchlichpädagogischen Hochschule
in Wien eingegangen.
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Donnerstag 21. Januar 2010 Besuch der Kirchlichen Pädagogischen
Hochschule Wien/Krems
Dr. Edeltraud Wedl war gemeinsam mit Frau Mag. Holzhacker zu einem Gespräch bereit. Es
fand ein fachlicher Austausch über die Module der Ausbildung an der Hochschule statt. Im
anschließenden Gespräch mit Dr. Wedl ging es dann um die Führung von
Integrationsklassen sowie um essentielle Bereiche in der Lehrerinnen- und Lehrerausbildung
(Persönlichkeitsbildung, Interventionsstrategien etc.). Im Anschluss erfolgte ein Gespräch mit
der Institutsleiterin Frau Mag. Grosser und Frau Mag. Holzhacker über grundsätzliche
Fragen zur Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern. Dr. Edeltraud Wedl bildet Lehrerinnen
und Lehrer aus, die vorwiegend im Bereich der Integration tätig sind.
Freitag 22. Januar 2010 Pädagogische Hochschule Wien
Beim Besuch der Pädagogischen Hochschule in Wien fand ein Erfahrungsaustausch mit
Mag. Rainer Grubich statt. Er war ursprünglich Volksschullehrer und hatte schon früh ein
Interesse für integrative Maßnahmen. Rainer Grubich war denn auch seit den Anfängen der
Integrationsbewegung in Wien engagiert. Heute ist er planender Mitarbeiter der Fortbildung
für Lehrerinnen und Lehrer, die in Integrationsklassen unterrichten. Zudem betreibt er auch
Forschung im Bereich Autismus Spektrum Störung. Als Mentoren besuchen Rainer Grubich
und sieben weitere Personen zudem regelmäßig Klassen in Wien. Nachfolgend werden die
Inhalte der Fortbildung sowie die Evaluation eines Forschungsprojekts mit autistischen
Kindern (2.8.2) erläutert.
Freitag 22. Januar 2010 Hospitation IV im Naturhistorischen Museum
Der Besuch am Freitag, 22. Januar 2010, im Naturhistorischen Museum bildete den
Abschluss des Wiener Erfahrungsaustauschs. Die Mentorin für Schülerinnen und Schüler mit
ASS und Sprachheilpädagogin Andrea Ackerer betreuen dort einen Jugendlichen mit
Frühkindlichem Autismus. Dieser darf im Museum ein Praktikum absolvieren. Seine Aufgabe
besteht darin, die Besucher zu begrüßen und das Ticket abzureißen. Nach Aussagen von
Andrea Ackerer und anderen Mitarbeitern fühlt sich der Jugendliche sehr wohl bei der Arbeit.
Auch seitens der Mitarbeitenden erfährt der Jugendliche Wertschätzung und Wohlwollen. Es
ist jedoch zurzeit noch eine ständige Eins-zu-Eins-Betreuung notwendig (siehe dazu
folgende Bilder).
Abbildung 13:
Praktikant, Assistenz, Mentorin an einem Tisch
Abbildung 14:
Praktikant am
Naturhistorischen
Museum in Wien
(Berufliche Integration)
Auch dieser letzte Besuch hinterließ einen bleibenden Eindruck. Er zeigte ein gutes Beispiel
der beruflichen Integration von Jugendlichen mit SPF auf. Im letzten Kapitel erfolgt das Fazit
des Wiener Erfahrungsaustauschs.
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Fazit
Das Fazit des Erfahrungsaustauschs und der
Hospitationen an den Wiener Integrationsschulen fällt
durchwegs positiv aus. Es gab sehr berührende und
beeindruckende Momente. Die Integration in Wien
scheint aus meiner Sicht sehr gut zu funktionieren.
Beeindruckend
war
vor
allem,
wie
die
Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen mit den
Kindern mit SPF umgehen. Das individualisierte
Lernen ist sehr gut umgesetzt. Der Umgang der
Lehrkräfte mit Kindern ohne SPF war überdies
genauso liebevoll und wertschätzend. Auch die Kinder
untereinander gingen sehr liebe- und verständnisvoll
miteinander um.
Abbildung 15 :‚
Wir sind ein Team‘ mit diesen
Worten und dem Bild wir
Integrationsgedanke auch gelebt.
Mehrmals konnte ein beeindruckendes Teamteaching
beobachtet werden. Die Zusammenarbeit zwischen
Regelschullehrerinnen
und
-lehrern
und
Sonderpädagoginnen und -pädagogen ist vorbildlich.
Trotz einfacher Infrastruktur wird das Optimum aus den integrativen Maßnahmen
herausgeholt, beispielsweise wird auch der Pausengang als zusätzliches Lehrerzimmer
genutzt; die Türen der Schulzimmer sind denn auch mehrheitlich offen.
Was bleibt, ist ein Prototyp-Bild, wie Integration eigentlich sein sollte und könnte. Der Kontext
ist zwar in der Schweiz verschieden, aber dennoch kann Essentielles aus der 20-jährigen
Wiener Integrationserfahrung gezogen werden und im Rahmen des Schweizer Projekts in
modifizierter Form an die schweizerischen Verhältnisse angepasst werden.
Danksagung
Ich möchte allen Personen, die an diesem Erfahrungsaustausch beteiligt gewesen waren,
meinen herzlichen Dank aussprechen. Die gemachten Erfahrungen haben einen bleibenden
Eindruck hinterlassen, der durchwegs positiv war. Es gab in dieser Woche mehrere
Momente, die mich tief berührt haben. Zudem konnte ich durch den Besuch in den meiner
Meinung nach vorbildlichen Integrationsschulen Erkenntnisse gewinnen, die mir in meinem
Forschungsprojekt dienlich sein werden. Nicht zuletzt konnte ich dank der hervorragenden
Organisation eine äußerst interessante und angenehme Woche in Wien
verbringen.
Bruno Sternath
Psychologe, lic. phil. hum.
Evaluator, DAS Uni Bern
Projektleiter und Dozent am Heilpädagogischen Institut
an der Pädagogischen Hochschule in Bern
Literaturverzeichnis
Feuser, G., & Meyer, H. (1986).
Integrativer Unterricht in der Grundschule. Ein Zwischenbericht:
Solms-Oberlbiel, Solms.
Integrationsberatungsstelle, S. f. W. (2009).
Leiftaden für schulische Integration in Wien
(Stadtschulrat für Wien Integrationsberatungsstelle ed., pp. 36). Wien.
Sternath, B. (2010).
Evaluationsstudie des Beratungs-Coaching und Assistenz Projekts an Berner Regelsschulen.
Unpublished Article.
Institut für Heilpädagogik der pädagogische Hochschule, Bern.
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Leserbriefe
An die Redaktion des Integrationsjournals
-----Original Message----From: Weidinger(UNI) *EXTERN*
Sent: Tuesday, December 01, 2009 10:30 AM
To: TUSCHEL Gerhard
Subject: AW: Integrationsjournal Dezember 2009
O´ du mein Integrationsgerhard!
Ich durfte bereits vor ein paar Tagen die gedruckte Version der jüngsten Ausgabe des
Integrationsjournals bewundern! Ganz toll, wie du mit deinem sicher nicht allzu großem
Team das alles bewältigst. Dieses Journal ist nicht nur "schön" anzusehen sondern auch
inhaltlich voll geglückt. Herzliche Gratulation, auch an deine MitarbeiterInnen!
Liebe Grüße
Walter
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Liebe Leserin! Lieber Leser!
Wir freuen uns, Ihnen die neueste Ausgabe des Integrationsjournals präsentieren zu dürfen.
Unser herzlicher Dank gilt auch diesmal wieder allen Autorinnen und Autoren, ohne deren
Beiträge es uns nicht möglich wäre, dieses Journal herauszugeben. Die Qualität und die
Vielfalt der Artikel sind immer wieder beeindruckend und bringen sehr deutlich auch die
Vielfältigkeit der Arbeit mit den uns anvertrauten Kindern zum Ausdruck.
Wir planen, die nächste Ausgabe im Herbst 2010 erscheinen zu lassen und freuen uns über
Ihre/Deine Beiträge.
-
Die Auswahl der Artikel, die publiziert werden, trifft das Redaktionsteam.
-
Fotos bitte im jpg. Format mitschicken. Bitte unbedingt das Einverständnis der
Erziehungsberechtigten zur Veröffentlichung der Fotos einholen.
-
Alle Autorinnen und Autoren sind eigenverantwortlich für den Inhalt der Artikel.
Beiträge bitte als Word-Dokument (Standard, 12pt, Arial) mittels E-Mail oder CD an die
unten angeführte Adresse senden.
Wir bitten alle Autorinnen und Autoren um geschlechtergerechtes Formulieren,
wie es in der Broschüre des bm:ukk (vormals bm:bwk) erläutert wird:
http://www.bmukk.gv.at/medienpool/15104/2002_22_beilage.pdf
Die Beiträge senden Sie bitte an:
Stadtschulrat für Wien - Integrationsberatungsstelle
Brigitte Mörwald, Mag. Judith Stender, Gerda Kargl
1010 Wien, Wipplingerstraße 28
bzw. per E-Mail an:
[email protected]
[email protected]
[email protected]
Abgabeschluss für Beiträge:
15. Oktober 2010
Online finden Sie unser Journal unter der Internetadresse:
www.lehrerweb.at
Wir freuen uns auf Ihre/Deine Mitarbeit!
Das Redaktionsteam:
Brigitte Mörwald
Mag. Judith Stender
Gerda Kargl
(Redaktion)
(Redaktion)
(Redaktion und Layout)
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