1 Zur Geschichte der Beginen-Bewegung und ihrer - RPI

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1 Zur Geschichte der Beginen-Bewegung und ihrer - RPI
Zur Geschichte der Beginen-Bewegung und ihrer Spiritualität1
Zur Herkunft des Namens „Begine“
Die etymologische Herkunft der Bezeichnung Begine konnte bis heute nicht richtig geklärt werden.
Nach einer Geschichte des Abtes Arnulf von Löwen aus dem Zisterzienserklosters Villers (im heutigen
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Belgien) wurde der Ausdruck als eine spöttische Bezeichnung für auffallend fromme Frauen des
Zisterzienserordens gebraucht. Nach einer anderen Theorie wurde der Name von der Kleidung, die
aus weißer Wolle bestand („beige“ war) geprägt. Es gibt auch die legendarisch nicht zutreffende
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Variation, dass die Hl. Begga, Urahnin von Karl d. Gr., zu diesem Namen geführt haben.
Voraussetzungen für die Entstehung des Beginentums
Die Beginenbewegung des 13. Jahrhunderts ist eine neue städtische Entwicklung, die mit dem
aufstrebenden Bürgertum (auch gegenüber dem Adel) fast gleichzeitig viele Frauen in ein anderes
Lebensverständnis aufbrechen ließ. Mit der Weiterentwicklung der Stadtrechte, bereits seit dem 12
Jahrhundert, verbesserte sich auch die Rechtsstellung der (Bürger-)Frauen insgesamt, so dass sie
jetzt eine gewisse eigene Entscheidungsfreiheit erlangten, so konnten sie z.B. ab dem 12 Lebensjahr
(dem heiratsfähigen Alter damals) frei über ihren Besitz verfügen und auch Kaufverträge abschließen,
oder testamentarische Verfügungen vornehmen.
Gleichzeitig ist die Beginenbewegung auch ein Protest gegen die kirchliche Männerdominanz, die
Frauen religiös minder bewerteten und ihnen beispielsweise eine Seele absprachen. Darum wollten
Frauen den Weg eigenständigen zölibatär-religiösen Lebens einschlagen, weil sie weithin von der
Gesellschaft für die sexuelle Lust und somit für den Sündenfall verantwortlich gemacht wurden. Das
religiöse Leben bewahrte ihnen zumeist ihre Jungfräulichkeit und auch erhebliche Eigenständigkeit
gegenüber den Männern trotz der Tatsache, dass die Frauenklöster immer einem Männerkloster und
dessen Abt untergeordnet waren.
Aber es ging diesen aufstrebenden Frauen nicht einfach darum, ins Kloster zu gehen, sondern einen
eigenständigen Weg zum ewigen Leben aufzuzeigen, der ebenfalls von Armut, Keuschheit und
Gehorsam geprägt sein sollte. Und so verbanden sie klösterliche Strukturen mit diakonischen Dienst
an den Armen, Kranken, Ausgestoßenen, Sterbenden und Toten. Parallel zu der Frauenbewegung
der Beginen entwickelte sich eine nicht so stark ausgeprägte Parallele bei den Männern:
die Begarden.
Dieses ethische Engagement hing auch damit zusammen, dass in jener Zeit, durch die sog.
Armutsbewegung (hauptsächlich durch die Franziskaner) Wanderprediger erhebliche Unruhe in die
Städte brachten. Sie kritisierten das Leben der Kleriker und auch der Klöster mit ihrem Reichtum und
verbanden Wesen des Christentums nicht mehr einer starren kirchlichen Organisation, sondern mit
einer glaubwürdigen religiösen Lebensführung. Während Franziskus von Assisi (1181/82–1226) und
die Franziskaner Teil der Kirche wurden, gerieten die durch den Kaufmann Petrus Valdes aus Lyon
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(1140–1206) initiierte Bewegung der Waldenser in das Fadenkeuz der kirchlichen Inquisition, die von
den Dominikanern praktiziert wurde. Bei den Waldensern wurden Frauen die gleichen Aufgaben
zugebilligt, wie den Männern. Sie durften durch die Lande ziehen, disputierten über die Bibel (was
bisher allein dem Klerus vorbehalten war) und predigten sogar in der Öffentlichkeit. Bald wurden sie
als Ketzer gebrandmarkt und verfolgt. Neben ihnen übten auch die Katharer, die Brüder und
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Schwestern des Freien Geistes und die Humiliaten (der Gedemütigten) scharfe Kritik an dem
Reichtum und der weltlichen Herrschaft der Kirche. Überhaupt hat die Stadtentwicklung im Mittelalter
die Laienbewegungen und kirchenreformerischen Proteste insgesamt verstärkt.
In diese Wanderpredigerbewegung – verbunden mit starken mystischen Elementen – gehört auch der
Aufbruch der Frauen in bisher nicht dagewesenem Ausmaß, sozusagen die erste Frauenemanzipation
in der europäischen Geschichte. Hier liegen auch die Wurzeln des Beginentums. Und trotz aller
rechtlichen Verbesserungen darf nicht vergessen werden: Der Anschluss der Frauen an eine
Laienbewegung auch immer ein „Entrinnen“ vor der Institution Ehe mit der damit verbundenen Macht
des Mannes, die die Frau als persönliches Eigentum deklariert und oft mit starker Unterdrückung bis
hin zur körperlichen Züchtigung verbunden war.
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Beginen – wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Beginen (abgerufen 21.03.11)
Kloster Villers – wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Kloster_Villers-la-Ville (abgerufen 21.03.11)
Ökumenisches Heiligenlexikon: http://www.heiligenlexikon.de/BiographienB/Begga.htm (abgerufen 23.03.11)
Uni-Protokolle: Valdes und Waldenser: http://www.uni-protokolle.de/Lexikon/Valdes.html (abgerufen 21.03.11)
http://www.eckhart.de/haresie.htm (abgerufen 21.03.11)
Pierer’s Universallexikon: http://de.academic.ru/dic.nsf/pierer/184007/Humiliaten (abgerufen 18.04.11)
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Genehmigung der Beginen-Kommunitäten durch die kirchliche Hierarchie
Angesichts der Unberechenbarkeiten einer solchen Reformbewegung dauerte es einige Zeit, bis die
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Kirchenoberen offiziell Stellung nahmen. Der Kardinal Jacques de Vitry gehört zu den ersten
Geschichtsschreibern, der die Anfänge des Beginentums aus eigener Anschauung kannte. Er betonte
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das Beginentum als Alternative zum Klosterleben. Er war es auch, der von Papst Honorius III. die
mündliche Bestätigung für die Lebensform der Frauen bekam. Ab diesem Zeitpunkt durften die Frauen
ihren Glauben gemeinsam in einem Haus praktizieren.
Beginengemeinschaften in Europa
Das Beginentum nahm sehr schnell einen ungeheueren Aufschwung und war in vielen Ländern
Europas anzutreffen. Besonders intensiv zeigte sich das Beginenleben im Umfeld des Rheins
zwischen Basel und Antwerpen, verstärkt noch durch die am Rhein blühende mystische Bewegung,
der berühmte Theologen wie Meister Eckhart (um 1260–1328), Johannes Tauler (1300–1361) und
Heinrich Seuse (1295/97–1366) angehören. Aber die Bewegung umfasste auch Hessen, Franken, das
heutige Belgien und Nordfrankreich.
Strukturen des Zusammenlebens in Beginenhäusern und Beginenhöfen
Es lassen sich vier Typen des Beginenlebens aufzeigen:
1. Einzelne Beginen leben noch nicht durch eine eigene Regel in einer Stadt.
2. Die Frauen bilden eine Gemeinschaft und mieten ein Haus für sich, in dem sie ihr religiöses
Leben in gebet und Meditation leben und zugleich Dienste innerhalb der Stadt wahrnehmen.
In dem einzelnen Beginenhaus gab es dann in aller Regel eine gemeinsame Küche, einen
Aufenthaltsraum und einen Betraum; der Schlafraum war privat
3. Die Beginen sondern sich stärker und finden sich in so genannten Beginenhöfen zusammen.
Große Beginenhöfe gab es z.B. in Basel, Straßburg, Brügge, Antwerpen, Gent, Löwen, St.
Quentin, Köln, Essen, Dortmund (mit ca. 4000! Beginen) u.v.a.m.
4. Beginenhöfe erhalten den Status einer eigenen Pfarrei und entwickeln sich in größeren
Städten regelrecht zur Stadt in der Stadt.
Die Beginen einer Gemeinschaft wählten aus ihrer Mitte eine Hauptmeisterin, die das religiöse Leben
der einzelnen Beginen zu überwachte und zugleich für die Wirtschaftsführung verantwortlich war.
Konkret hieß das: Sie achtete auf das Einhalten der Arbeitsstunden. Die einzige Ausnahme war die
regelmäßige Beichte bei einem Priester. Fremden – und besonders Männern – war das Betreten
eines Beginenhofes verboten. Da die Beginen jedoch Dienste für die Stadt und die Menschen dort
verrichteten, mussten sie notwendigerweise den Hof verlassen. Dies durften sie erst nach der
Erlaubnis der Meisterin und mit triftigem Grund. Triftige Gründe waren: Krankenpflege, Armenhilfe,
Hilfe bei der Bestattung von Toten, Totengedächtnis-Feiern, Besuch des Gottesdienstes, wenn der
Hof keine eigene Kirche oder Kapelle hatte.
Bei schweren Verstößen gegen die Regeln des Hofes oder im schlimmsten Fall bei intimen
Männerkontakten (also Verstoß gegen das Keuschheitsgebot) konnte die Meisterin eine Begine von
der Gemeinschaft ausschließen und sie ohne ihren Besitz (sofern sie welche hatte) des Hofes
verweisen.
Damit die Beginen als solche zu erkennen waren gab es mehr oder minder detaillierte Vorschriften,
die die Kleidung und die Frisur betrafen. Die Kleidung musste zumindest einfach und bescheiden sein.
Vor allem war sie nicht Körper betont zu tragen, damit die Frauen nicht zu sexuellen Begierdeobjekten
der Männer wurden. Das galt darum auch für die Haare, die weder lang noch geflochten sein sollten,
wie das die Vielfalt modischer Frauenfrisuren des Mittelalters zeigt.
Beginen-Dienste
Die Beginen könnte man ach heutigem Verständnis als Sozialarbeiterinnen oder Diakoninnen oder
Dienerin der Nächstenliebe bezeichnen werden. Ihr Arbeitsbereich lag vor allem im Sozialen an den
Randbereichen der Gesellschaft, wie schon erwähnt: Armenspeisung, Krankenpflege,
Sterbebegleitung, Totendienste. Viele von ihnen übten jedoch auch Handwerksberufe aus, die sich
teilweise aus den ursprünglich häuslichen Tätigkeiten entwickelte: Sticken, Spinnen, Nähen, Weben,
Färben. Das führte bald zum Streit mit den Zünften, die das jeweilige Handwerkermonopol innehatten.
Allerdings reagierten die Städte hier unterschiedlich.
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Ökumenisches Kirchenlexikon http://www.kirchenlexikon.de/j/Jakob_v_vitr.shtml (abgerufen 21.03.11)
Ökumenisches Kirchenlexikon: Honorius III: http://www.kirchenlexikon.de/h/honorius_iii_p.shtml (abgerufen 21.03.11)
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Religiöses Leben der Beginen
Das spirituelle Leben der Begine war überwiegend von einer tiefen Empathie für die unterprivilegierten
und leidenden Mitmenschen aus Liebe zu Gott geprägt, und zwar aus dem Verständnis der Liebe zu
Gott. So verbanden Beginen das kontemplative Leben mit einer starken sozialen Aktivität. Dies
verwirklichten sie durch: Gebet, Gottesdienst und meditative Versenkung in die Geheimnisse von
Christi Leben und Leiden auf der einen Seite, aber auch durch praktische Nächstenliebe im Dienst an
den Hilfebedürftigen auf der anderen Seite.
Diese Balance von Gebet und Arbeit führte dazu, dass die Beginen kein Stundengebet wie die
Mönche und Nonnen hielten. Die Variabilität kam auch teilweise dadurch zustande, wie die Beginen
selbst den Tageslauf organisierten oder aber auch, welche Vorgaben der Stifter eines Beginenhauses
oder -hofes gemacht hatte.
Verfolgung und Unterdrückung des Beginentums
Die von der staatlichen Obrigkeit wie vom Klerus schwer zu kontrollierende Beginenbewegung führte
sehr schnell zu einzelnen Verboten und Verfolgungen schon sehr bald mit ihrer Verfolgung zu
kämpfen. Das ging soweit, dass Welt- und Ordensgeistliche versuchten, von gesellschaftlichen
Missständen und kirchlichen dadurch abzulenken, indem die Beginen dafür verantwortlich zu
machten. Auch wurde durch die Beschränkung ihrer Arbeit nur an bestimmten orten verhindert, dass
die Beginen weiterhin als freie Laienbewegung agieren konnten.
So wurden die Beginen nach dem Konzil von Vienne (1311/12) in „gute“ und „schlechte“ Beginen
unterteilt. Als „gute“ Beginen sah man jene, die einem konkreten Beginenhof (also von diesem
Zeitpunkt an auch einer ordensähnlichen Gemeinschaft) angehörten, und „schlechte“ Beginen. Dies
waren jene, die wie die Wanderprediger umherzogen und frei predigten. Immer öfter galten auch
schon Beginen, die aus einem einzelnen Haus (also keinem Beginenhof) kamen, als „schlecht. So
waren die umherziehenden Beginen besonders gefährdet, wurden der Ketzerei angeklagt und
verurteilt. Es reichte bekanntlich allein der Verdacht der Häresie, um einen Inquisitionsprozess in
Gang zu setzen.
Die berühmtesten Beginen sind wohl Mechthild von Magdeburg (1207–1282), Angela di Foligno
(1248-1309, Umbrien/Italien) und Marguerite Porète (1260–1310 aus der Nähe von Valenciennes /
Nordfrankreich).
Literatur
AUDISIO, Gabriel: Die Waldenser. Die Geschichte einer religiösen Bewegung. Aus dem Französischen
von Elisabeth Hirschberger. München: C.H. Beck 1996
AUÉ, Michèle: Das Land der Katharer. Aus dem Französischen von Marion Ragg.
Vic-en-Bigorre (F): MSM 1992
BEJICK, Urte: Die Katharerinnen. Häresieverdächtige Frauen im mittelalterlichen Süd-Frankreich. Freiburg
u.a.: Herder spektrum 4211, 1993
CAZENAVE, Michel: Angèle de Foligno. Reihe: Chemins d' Eternité. Paris: Pygmalion /Watelet 1998
CLÉVENOT, Michel: Im Herzen des Mittelalters. Geschichte des Christentums in XII.–XII. Jahrhundert.
Aus dem Französischen von Kuno Füssel. Fribourg/Luzern (CH): Edition Exodus 1992, besonders:
Heloisa und Abaelard (S. 28–38), Bernhard von Clairvaux, 1090–1153 (S. 39–46;, Eine Begine aus der
Provence: Douceline von Digne, 1214–1274 (S. 169–176); Angela von Foligno und die Mystik, 1248–1309
(S. 256–263)
JULIEN, Lucienne: Cathares et catharisme. De l’esprit à la persecution.
St.-Jean-de-Braye (F): Dangles 1990
MURK-JANSEN, Saskia: Brides in the Desert: the Spirituality of the Beguines. Traditions of Christian
Spirituality Series. London: Darton, Longman + Todd 1998
THIELE, Johannes (Hg.): Mein Herz schmilzt wie Eis am Feuer. Die religiöse Frauenbewegung des
Mittelalters Stuttgart: Kreuz 1988
FURLONG, Monica: Visions and Longings: Medieval Women Mystics. Writings of: Hildegard von Bingen,
Juliana von Norwich, Katharina von Siena, Klara von Assisi, Margery Kempe, Heloise and others. London:
Mowbray 1996
PERNOUD, Regine: Frauen zur Zeit der Kreuzzüge. Aus dem Französischen von Lieselotte Lüdicke.
Herder Spektrum 4375, Freiburg u.a.: Herder 1996, 2. Aufl.
UNGER, Helga: Die Beginen. Eine Geschichte von Aufbruch und Unterdrückung der Frauen
Herder spektrum 5643. Freiburg u.a.: Herder 2005
Reinhard Kirste
TU-DO/SoSe 2011/Frauenmystik, bearbeitet 18.04.11
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