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Sandra Hupfauf / Silvia MARIA Erber Liedgeschichten Schriften zur musikalischen Ethnologie, Band 2 herausgegeben von Thomas Nußbaumer im Auftrag der Abteilung für Musikwissenschaft der Universität Mozarteum Salzburg Sandra Hupfauf / Silvia Maria Erber Liedgeschichten Musik und Lied in Tiroler Politik und Gesellschaft 1796–1848 herausgegeben von Thomas Nußbaumer und Brigitte Mazohl Universitätsverlag Wagner Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-7030-0804-7 Die Drucklegung wurde ermöglicht durch: Österreichischer Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) Institut für Volkskultur und Kulturentwicklung (ivk), Innsbruck Umschlagabbildungen: Oben: Deckblatt der undatierten Notenausgabe von John Barnetts The Tyrolese Woodman’s Song (Johns Hopkins University, Baltimore, Levy Sheet Music Collection, Box 117, Item 091). Unten: Auszug aus dem Lied Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs und Seiner durchlauchtigsten Familie (1807; Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, Historische Sammlungen, Flugschriften). Umschlagentwurf: Dominika Nordholm Satz: Karin Berner Notensatz: Cornelia Mayr Copyright © 2013 Universitätsverlag Wagner, Erlerstraße 10, A-6020 Innsbruck Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Über setzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Kapitel 1: „Den Stutzen hear, beym Soggara“. A Lied im Franzosen-Rummel 1796 (Silvia Maria Erber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 Kapitel 2: „Auf dich vielköpfig’s Ungeheu’r: du trotzender Franzos!“. Neues Lied der Sterzinger Scharfschützen (Silvia Maria Erber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 Kapitel 3: „Ich weiß, daß ihr Tyroler seyd! Und unbesiegt geblieben!“. Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen (Silvia Maria Erber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Kapitel 4: „Laß du das Mädel Mädel seyn! Liebt sie nicht ewig dich allein“. Politische Gelegenheitslieder – Kontrafakturen und kunstmusikalische Auftragswerke im Dienste der Obrigkeit (Sandra Hupfauf ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 Kapitel 5: „Es hot sie einår plangt, Mår hobens nit verlangt“. Das Spingeser Schlachtlied (Sandra Hupfauf ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 Kapitel 6: „Kron’ und Scepter glänzen wenig neben Dir, Maxmilian!“. Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs und Seiner durchlauchtigsten Familie (Silvia Maria Erber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 Kapitel 7: „Vor Mittewald mach’n mier a Wand und halten alle zsammen“. Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns (Silvia Maria Erber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Kapitel 8: „Zum Vivat soll leben der Kommandant von Sand“. Das Passeirer Landsturmlied (Silvia Maria Erber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Kapitel 9: „Und die Baurn haben sich gwehrt, dem Bayr-König zum Trutz“. Lied über die Vorfälle im August im Ober-Innthale (Silvia Maria Erber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Kapitel 10: „Was doch der Arme leiden muss für Leute, die nichts tun“. Die liebe Feyerstunde schlägt (Sandra Hupfauf ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 6 Inhaltsverzeichnis Kapitel 11: „Often hab’n wir herzlich g’flent, daß man uns von Oestreich trennt“. Wann i in der Früh aufsteh (Sandra Hupfauf ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Kapitel 12: „Er hat als vagöß’n, er liebt das Tyrol, und mier lieb’n von Herz’n unsern Voda“. Tyrola-Liedl 1810 (Silvia Maria Erber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Kapitel 13: „Das Blut aus meiner Wunde fließt strömenweis hindann“. Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern und volkstümlichen Biedermeierliedern (Sandra Hupfauf ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Kapitel 14: „Und es reicht die threie Hand gern die Jungfrau einen Siger“. Das Freyheits-Lied (Sandra Hupfauf ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Kapitel 15: „Doch der Kaiser war b’zwungen und mir durften halt nichts sag’n“. Anno neun bin i g’standen (Sandra Hupfauf ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Kapitel 16: „Sie führen mich aus dem Land mit größtem Spott und Schand’“. Ach Himmel, es ist verspielt (Silvia Maria Erber) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Kapitel 17: „Mit dem verrathnen deutschen Reich!“. Das Andreas Hofer-Lied („Zu Mantua in Banden“) (Sandra Hupfauf ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 Liedindex a)Lieder, deren Melodien überliefert sind (Nr. 1–69) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 b)Lieder, deren Melodien nicht überliefert bzw. nicht auffindbar sind (Nr. 70–141) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 c) (Lied-)Texte, die möglicherweise musikalisch realisiert wurden (Nr. 142–172) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 Literatur und Quellen a) Schriften (mit Ausnahme der Lieder- und Lyriksammlungen) . . . . . . . . . . . . . 363 b)Lieder- und Lyriksammlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 380 c)Tonträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382 Einleitung Sandra Hupfauf / Silvia Maria Erber Die vorliegende Publikation bildet den Abschluss eines interdisziplinären Forschungsprojekts zum Thema Musik und Lied in Gesellschaft und Politik Tirols 1796–1848.1 Das Forschungsinteresse galt Liedern, die folgende Komponenten sozusagen als „kleinsten gemeinsamen Nenner“ aufweisen: a) Sie wurden zwischen den Jahren 1796 und 1848 gedichtet und komponiert und b) sie stehen in einem deutlichen Kontext der politischen Ereignisse und gesellschaftlichen Gegebenheiten dieser Jahre. Die politische Aussagekraft der Lieder ist entweder schon im Inhalt oder aber aus den Umständen ihrer Produktion, Rezeption und/oder ihrer Aufführung ersichtlich; c) sie wurden gesungen oder es ist anzunehmen, dass ursprünglich ihr Zweck darin lag, dass sie gesungen wurden. Was mit Absicht von Anfang an nicht im Fokus der Forschungen stand, waren musikdramatische, rein kunstmusikalische sowie rein lyrische Werke, wie etwa Singspiele, Opern, Theaterstücke und Gedichte. Gesucht und gefunden wurden etwa 300 Lieder und lyrische Texte in einer Reihe ganz unterschiedlicher Quellenarten: auf Flugblättern gedruckt, in Tagebüchern, Reiseberichten und Autobiografien (Egodokumenten), in handschriftlichen und gedruckten Liederbüchern und Liedersammlungen und später in käuflich erwerbbaren Musikdrucken. Nicht zuletzt eröffneten die um 1900 akquirierten Sammlungen der Volksliedarchive in Freiburg i. Br. sowie in Innsbruck Einblick in bis dato nur mündlich tradierte Lieder. In der vorliegenden Publikation werden die Ergebnisse einer interdisziplinären Forschungsarbeit präsentiert, die die Interpretationsarten, die Quellenkritik und das Erkenntnisinteresse, kurz: die Arbeit und Sichtweisen zweier wissenschaftlicher Disziplinen, der Geschichtswissenschaft und der Musikwissenschaft, vereint. Das Vorhaben bestand darin, die spezifischen Methoden der beiden Fächer und ihre Blickwinkel auf die Quelle „Lied“ (die ja insbesondere für Historikerinnen und Historiker ein noch wenig bearbeitetes Feld darstellt) anzuwenden und zu kombinieren. Schließlich hätte eine rein geschichtswissenschaftliche Interpretation der Lied- und Musikquellen ebenso zu kurz gegriffen wie umgekehrt eine musikwissenschaftliche Darstellung möglicherweise dem historischen Gesamtkontext zu wenig Beachtung geschenkt hätte. Zum Buchtitel Liedgeschichten ist anzumerken, dass er nicht nur die beiden Disziplinen, sondern auch das Konzept hinter den siebzehn in sich geschlossenen Kapiteln, sprich: den einzelnen Liedgeschichten, repräsentieren soll. Diese behandeln nicht nur die Geschichte im jeweiligen Lied, sondern auch die Geschichte des Liedes. Aus geschichtswissenschaftlicher Sicht lassen Lieder im politischen Kontext im Idealfall erkennen, zu welchen Anlässen sie gedichtet und komponiert wurden, wer überhaupt Das Projekt P22384–G21 wurde unter der Leitung des Musikwissenschaftlers Ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas Nußbaumer und der Historikerin o. Univ.-Prof. Dr. Brigitte Mazohl seit 2008 von den beiden Autorinnen, der Musikwissenschaftlerin Mag. Sandra Hupfauf und der Historikerin Mag. Silvia Erber, durchgeführt. Zunächst im Jahr 2008 mit einer bescheidenen Anschubfinanzierung durch den Tiroler Wissenschaftsfonds ins Leben gerufen, wurde es durch den Österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) für weitere drei Jahre (2009–2012) finanziert. 1 8 Einleitung die Feder in die Hand nahm, um seinen Unmut oder seine Freude über die aktuellen Zeitgeschehnisse festzuhalten, und auch, wie diese Lieder überhaupt an die Öffentlichkeit gelangten. Aus musikwissenschaftlicher Sicht ist ein Lied kein statisches Produkt, sondern es besitzt eine „Biografie“. Nach seiner Entstehung erfährt es ein mehr oder weniger langes „Leben“, ändert unter Umständen seine Funktion oder seinen Text (oder auch die Melodie) und wird in verschiedenen kulturellen Kontexten rezipiert. Der ereignis- und kulturgeschichtliche Rahmen Der zeitliche Rahmen der Forschung erstreckt sich von 1796 bis etwa zum Jahr 1848 und ist nicht willkürlich gewählt. Der Beginn markiert jenen Zeitpunkt, zu dem Tirol unmittelbar in die Geschehnisse der seit 1792 wütenden Revolutions- bzw. Koalitionskriege involviert wurde. Die französischen Streitkräfte unter dem Befehl von Napoleon Bonaparte, damals noch in seiner Funktion als Feldherr, sollten sich mit den in Süddeutschland befindlichen Truppen vereinigen und wollten hierzu durch Tirol ziehen.2 Die Antwort auf den bevorstehenden Durchmarsch war der rasche Aufbau einer Tiroler Landesverteidigung. Die wechselvollen Ereignisse der Jahre 1796 und 1797 spiegeln sich in einer Reihe von Liedern wider, die vielfach der Mobilmachung zur Landesverteidigung dienten. Die Koalitionskriege, die aufgrund ihres Ausmaßes und der erstmaligen Benutzung von Massenheeren schon Züge eines „Weltkrieges“ trugen,3 beeinträchtigten Tirol aber noch mehrmals stark. Abgesehen vom zweiten Koalitionskrieg von 1799, infolgedessen französische Soldaten ins Engadin vordrangen,4 erwies sich der dritte Koalitionskrieg (1805–1806) als besonders schicksalshaft. Denn das Ende dieses Krieges zwischen Frankreich, Württemberg, Baden und Bayern auf der einen und Großbritannien, Russland, Österreich, Schweden und Neapel (die „Koalition“) auf der anderen Seite bedeutete entsprechend den Vereinbarungen des Pressburger Friedens (Dezember 1805) für Tirol den Wechsel unter eine neue Herrschaft: unter jene des zeitgleich zum Königtum erhobenen Kurfürstentums Bayern.5 Dass die Einbindung eines Landes, das sich wegen seiner mehr als 500-jährigen Zugehörigkeit zum Haus Österreich mit den habsburgischen Landesfürsten verbunden fühlte, in das aufgeklärte, auf zentralistische Staatsreformen pochende Königreich Bayern nicht reibungslos verlaufen konnte, war vorherzusehen. Die Unzufriedenheit und Verdrossenheit gipfelte 1809 in einem Aufstand, der als „Tiroler Freiheitskampf “ unter der Führung von Andreas Hofer in die Geschichtsschreibung einging. Nach ersten Erfolgen für die tirolischen Aufständischen besetzte das französische Militär Tirol ab November 1809 erneut. Die 1810 vollzogene geografische und politische Dreiteilung 2 3 4 5 Siehe Georg Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe (1665–1814)“, in: Josef Fontana / Peter W. Haider / Walter Leitner / Georg Mühlberger / Rudolf Palme / Othmar Parteli / Josef Riedmann (Hg.): Geschichte des Landes Tirol. 2. Band: Die Zeit von 1490 bis 1848, Bozen – Innsbruck – Wien 1986, S. 290–562, insbesondere S. 465–483. Karen Hagemann: „Männlicher Muth und Teutsche Ehre“: Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens, Paderborn 2002 (Krieg in der Geschichte 8), S. 36. Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe“ (wie Anm. 2), S. 486. Ebd., S. 497–500. Einleitung 9 des Landes blieb bis Ende 1813 bestehen. 1814 gelangte Tirol schließlich wieder an die Habsburger und zum österreichischen Territorialkomplex, der seit 1804 offiziell unter der Bezeichnung „Kaisertum Österreich“ firmierte.6 Während die ersten Jahre der wiedergewonnenen Zugehörigkeit zum Habsburgerreich von einem großen politischen und verwaltungstechnischen Aufwand für den Wiederaufbau geprägt waren, hielt die darauf folgende ruhige Zeit für das Kaisertum Österreich und damit auch für Tirol bis 1848 an.7 Nach 22 Jahren der fast unentwegten Kriegsführung verschiedener europäischer Staaten in unterschiedlichen Koalitionen gegen das revolutionäre Frankreich und Napoleon Bonaparte kehrte mit dem dichten Vertragswerk des Wiener Kongresses eine Phase der Stabilität ein, die bis zu den bürgerlichen Revolutionen des Jahres 1848 andauerte. In diesem Jahr wurden die herrschenden konservativen Regierungen Europas mit revolutionären Forderungen, etwa nach Presse- und Meinungsfreiheit sowie Volksvertretung und Volkssouveränität, konfrontiert. Wenn auch in Tirol selbst weit weniger davon zu spüren war als in Wien, so waren Teile der tirolischen Bevölkerung doch unmittelbar von den Konsequenzen der Revolution betroffen. Im italienischsprachigen Teil Tirols wurde der Ruf nach einer Abtrennung von Deutschtirol und der Angliederung an das lombardisch-venetianische Königreich immer lauter. Gegen die „Aufständischen“ bzw. Anhänger der italienischen Einigkeitsbewegung, die in den Süden Tirols vordrangen, kämpften Schützenkompanien und Truppen, die sich teils aus Bürgern, teils aus Studenten zusammensetzten.8 So viel zur ereignisgeschichtlichen Kontextualisierung unseres Themas. Um die Rolle der Musik in Bezug auf die Gesellschaft und Politik zu erfassen, ist auch eine kulturgeschichtliche Umrahmung nötig. Weist schon die Ereignisgeschichte Europas in den Jahren 1796–1848 eine auffällige Dichte an Kriegen, Friedensschlüssen, territorialen Veränderungen, Unruhen und Herrschaftswechseln auf, so steht die Kulturgeschichte des endenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts dieser Fülle an bedeutungsvollen und tiefgreifenden Wandlungen und Prozessen um nichts nach. Die Französische Revolution von 1789 markierte den Beginn einer neuen Zeit, in der die Nationsbildung, der Aufstieg des Bürgertums, die Neubewertung des „Volkes“, die Politisierung der Öffentlichkeit und die kulturelle Industrialisierung die bedeutendsten Grundpfeiler darstellten. Musik mit ihren vielfältigen kommunikativen Funktionen, die von Unterhaltung über Protest oder Opposition bis hin zu Affirmation oder reiner Machtdemonstration reichen, erlebte im Zuge der allgemeinen kulturellen Entwicklungen eine Metamorphose, die der Kulturhistoriker Timothy C. W. Blanning jüngst als „Triumph der Musik“9 bezeichnete. Ausgehend von Jürgen Habermas’ grundlegender Studie über den „Strukturwandel der Öffentlichkeit“10 zeichnete Blanning den Weg der Musik im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert als Teil des Wandels der repräsentativen Kultur zu einer Kultur der Öffentlichkeit nach. Bereits im Spätmittelalter hatten sich die wirtschaftlichen Strukturen Ebd., S. 520–544. Josef Fontana: „Von der Restauration bis zur Revolution (1814–1848)“, in: Fontana/Haider/Leitner/ Mühlberger/Palme/Parteli/Riedmann (Hg.): Geschichte des Landes Tirol (wie Anm. 2), S. 583–732. 8 Ebd., S. 693–732. 9 Timothy C. W. Blanning: The Triumph of Music. Composers, Musicians and their Audiences, 1700 to the Present, London u. a. 2008. 10 Jürgen Habermas: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft, Berlin 1975. 6 7 10 Einleitung so verdichtet, dass mit einem vermehrten Austausch von Gütern (d. h. sich intensivierendem Handel) und Informationen (als Folge der Erfindung des Buchdrucks) eine neue Art der Öffentlichkeit entstand, die, entsprechend ihrer sozialen Verortung, als „bürgerliche Öffentlichkeit“ bezeichnet werden kann. Die Künste – ob Malerei, Bildhauerei, Musik, Literatur oder Schauspiel – wurden bis zum Ende des 18. Jahrhunderts fast durchwegs von der höfischen Gesellschaft finanziert, in Auftrag gegeben und gelenkt. Künstler produzierten ihre Werke auf Anfrage und künstlerische Freiheit war kein Thema, denn ein Kunstwerk musste schließlich nur dem adeligen Mäzen gefallen. Gerade die Kunstmusik, für Habermas jene Kunstform, in der sich der Wandel von der Repräsentation zur Öffentlichkeit am deutlichsten vollzog, hatte vor 1800 den Zweck, entweder in herrschaftlichem Kontext Macht zu repräsentieren, die christliche Lehre zu verbreiten oder das adelige Publikum zu unterhalten. Die Entwicklung der bürgerlichen Öffentlichkeit änderte maßgeblich die Zusammensetzung des Publikums. So fanden etwa in England erstmals zur Mitte des 17. Jahrhunderts so genannte „music meetings“ und „consorts of music“ statt, die allein durch die zahlenden Besucher finanziert wurden.11 Ab 1740 setzte auch eine vermehrte Produktion von Liedern (beispielsweise von Salonliedern oder „parlor songs“) für den bürgerlichen Markt ein, die das Verlangen nach Musik im kleinen, familiären Rahmen befriedigen sollte.12 Durch das Heraustreten der Musik aus der höfischen und kirchlichen Sphäre war sie zu einer international gehandelten Ware geworden, die gegen Bezahlung, etwa in Form von Eintrittskarten für Konzerte oder später käuflich erwerbbaren Notendrucken zum privaten Musizieren, für alle, die es sich leisten konnten, zugänglich war. Die europäische Kultur wurde im Zuge der Konsolidierung des Bürgertums kommerzialisiert und säkularisiert.13 Während Musik bis um 1800 in erster Linie „Gebrauchsmusik“ war, wie Habermas es formuliert, emanzipierte und demokratisierte sie sich unter dem Einfluss der bürgerlichen Öffentlichkeit zu einer Kunstform „um der Kunst willen“.14 Die vorliegende Abhandlung versucht, genau an dieser Stelle der europäischen Kulturgeschichte anzusetzen, stellen doch auch die Lieder der Jahre 1796–1848 einen eindrücklichen Beleg für diese kulturelle Industrialisierung in Tirol dar. Sie wurden zu verschiedenen politischen Anlässen gedichtet und komponiert, für eine interessierte, teils selbst betroffene Öffentlichkeit konzipiert und waren Übermittlungsträger politischer Botschaften. Sie richteten sich nicht oder nicht ausschließlich an die Elite, sondern an breite Bevölkerungsschichten. Ihre Funktionen beeinflussten dabei ganz wesentlich den Charakter der Dichtungen und ihrer Verbreitung. Ausdruck dieses Einflusses der bürgerlichen Öffentlichkeit auf die Musik sind auch die Lieder der Männergesangs vereine, der Studenten oder die Musik der bürgerlichen Salons. Walter Salmen: Das Konzert. Eine Kulturgeschichte, München 1988, S. 18–21. Leo Balet / Eberhard Rebling: Die Verbürgerlichung der deutschen Kunst, Literatur und Musik im 18. Jahrhundert, Frankfurt a. M. – Berlin – Wien 1981, S. 33f.; Nicolas E. Tawa: Sweet Songs for Gentle Americans. The Parlor Song in America, 1790–1860, Bowling Green, Ohio, 1980. 13 Armin W. Hadamer: Mimetischer Zauber. Die englischsprachige Rezeption deutschsprachiger Lieder in den USA 1830–1880, Münster 2008 (Volksliedstudien 9); Tim Blanning: „The Commercialization and Sacralization of European Culture in the Nineteenth Century“, in: Tim Blanning (Hg.): The Oxford Illustrated History of Modern Europe, Oxford – New York 1996, S. 120–147; ders.: Das Alte Europa 1660–1789. Kultur der Macht und Macht der Kultur, Darmstadt 2006, S. 17–21. 14 Habermas: Strukturwandel (wie Anm. 10), S. 55f. 11 12 Einleitung 11 Von zentraler Wichtigkeit jedoch ist die „Entdeckung“ des „Volksliedes“. Die bürgerliche Bewegung der Aufklärung, in der die Volksliedbegeisterung wurzelt, idealisierte das „Volk“ als Gegenentwurf zum höfischen Adel, der in den Augen seiner Kritiker als dekadent und unmoralisch galt. Das Interesse an Lied und Musik des „einfachen Volkes“ fiel in Tirol auf fruchtbaren Boden, der Zeitgeist wurde sogar kommerziell genutzt und das „Tiroler Lied“ wurde infolgedessen zu einem internationalen Exportschlager. Trotzdem ist in Bezug auf das politische Lied natürlich nach wie vor auch Musik im Dienste der Obrigkeit zu finden, wie von „oben“ in Auftrag gegebene Werke politischer Gelegenheitsmusik oder politisch instrumentalisierte Kirchenmusikwerke beweisen. Ein Wechsel- und Zusammenspiel: Musik, Gesellschaft und Politik Die Zusammenhänge zwischen Musik, Gesellschaft und Politik sind vielfältig – in der Vergangenheit wie in der Gegenwart. Beispiele, wie die anhaltenden Diskussionen über den Wert und Zweck von Nationalhymnen oder die kürzlich erfolgte Textänderung der österreichischen Nationalhymne,15 zeigen, dass die Relationen von Musik, Gesellschaft und Politik auch heute noch Aktualität besitzen. Musik ist nicht nur Kunst oder Unterhaltung, auch wenn sie vordergründig so wahrgenommen wird, sondern ebenso ein „Instrument“ zur Erfüllung außermusikalischer Zwecke. Musikalische Signale fungierten als frühe Kommunikationsmittel beim Militär; Musik wurde schon in der Antike als Ausdruck von Göttlichkeit wahrgenommen; mittelalterliche Spielleute waren, ungeachtet dessen, dass sie eine gesellschaftliche Randexistenz lebten, als Unterhalter gern gesehen, ob an den Höfen oder in den Städten. Früh schon sind Lieder bekannt, die bewusst zur Mobilisierung im Krieg eingesetzt wurden. Im Barock wurde Musik immer mehr zu einem Ausdruck von Macht und Herrschaft, ja ein Herrschaftsinstrument.16 Seitdem sich Musik von ihren ökonomischen Zwängen befreien konnte, ist sie ein beliebtes Protest- und Oppositionsmittel, doch ihre affirmative Funktion blieb ebenso bestehen. Sie diente, wie Christian Jansen es formulierte, „politischen Organisationen und Institutionen“ seit jeher dazu, wichtige Ereignisse, Entscheidungen und Prozesse zu überhöhen, ihnen Emotionalität und Wärme zu verleihen und damit die Überzeugungskraft der Inhalte zu erhöhen, die diejenigen, die sich der Musik bedienten, vermitteln wollten. […] Mancher politische Akt, manche oppositionelle Aktion hat gar erst durch das Spielen oder Singen von Musik historische Wirkung gezeitigt.17 Auch wenn der Terminus „politisches Lied“ noch nicht sehr alt ist (er ist wohl erst am Ende des 18. Jahrhunderts entstanden), konnte Musik immer schon in Verbindung mit politischen Vorgängen stehen.18 In diesem Sinne mögen Aussagen wie „Die Geschichte „Bundeshymne würdigt nun auch die großen Töchter Österreichs“, http://www.parlament.gv.at/PAKT/ PR/JAHR_2011/PK1207/ (24. 10. 2012). 16 Siehe weiter zu all diesen Punkten Blanning: The Triumph of Music (wie Anm. 9). 17 Christian Jansen: „Einleitung: Musik als Mittel politischer Identitätsstiftung“, in: Tillmann Bendi kowski / Sabine Gillmann / Christian Jansen / Markus Leniger / Dirk Pöppmann (Hg.): Die Macht der Töne. Musik als Mittel politischer Identitätsstiftung im 20. Jahrhundert, Münster 2003, S. 7–12, hier S. 7. 18 Zu den Begriffen „historisch-politisches Lied“ und „politisches Lied“ und ihren Inhalten siehe Dietmar Sauermann: „Das historisch-politische Lied“, in: Rolf Wilhelm Brednich / Lutz Röhrich / Wolfgang 15 12 Einleitung der Musik kann auch als politische Geschichte betrachtet werden“19 oder „Die Affinität von Musik und Politik ist so alt wie die Geschichte der Menschheit“20 durchaus ihre Berechtigung haben. Musik kann durch Text und Melodie starke Emotionen im Menschen hervorrufen, sie hat die Macht, in die Psyche eines Menschen einzudringen.21 Die vielen Funktionen der Musik basieren fast alle letztlich auf dem besonderen Reflex, den Musik auslösen kann. So erklärt sich die Existenz von Kriegs- bzw. Kampfliedern in erster Linie durch ihre „gemeinschaftsbildende, gruppenstabilisierende“ Funktion und die Funktion der „Bewegungsaktivierung bzw. Bewegungskoordination“. Dass Herrscher aller Zeiten sich gerne und oft mit Musik umgaben, hat mit ihrer „Repräsentationsbzw. Glorifizierungsfunktion“ zu tun – Musik fügte der Demonstration von Macht eine weitere Facette hinzu.22 In der vorliegenden Arbeit – und dies ist nicht zuletzt dem interdisziplinären Ansatz und der Fülle des Quellenmaterials zu verdanken – wird dem Leser und der Leserin das lebhafte Beziehungsgeflecht von Lied, Gesellschaft und Politik am Beispiel Tirols zwischen 1796 und 1848 vor Augen geführt. Zum musikwissenschaftlichen Forschungsstand Im Jahr 1807 veröffentlichte Johann Strolz im zweiten Band der Zeitschrift Der Sammler für Geschichte und Statistik von Tirol 23 mehrere Tiroler „Volkslieder“ im Rahmen von zwei Aufsätzen: „Bürgall, ein Zillerthaler Volkslied“ und „Schnodahaggen, Unterinnthalische Volksliedchen. Mit Anmerkungen“. Strolz’ kleine Sammlung war eine der ersten volksmusikalischen Sammlungen im heutigen Österreich.24 Damals befand sich Tirol gerade unter bayerischer Regierung und die Zeitschrift Sammler sah sich als Nachfolge zeitschrift des Tiroler Almanachs für Geschichte und Statistik von Tirol, der in Wien 1802–1805 von keinem Geringeren als Joseph Freiherr von Hormayr zu Hortenburg (1782–1848) herausgegeben worden war und sich überwiegend politischen und patrio tischen Themen gewidmet hatte. Auch das Tiroler Nachfolgeperiodikum wurde von Suppan (Hg.): Handbuch des Volksliedes. 1. Band: Die Gattungen des Volksliedes, München 1973 (Motive. Freiburger folkloristische Forschungen 1/I), S. 293–322. 19 Johanna Karner: „… durch die Kraft unserer Lieder“. Musik als Medium zwischen Politik, Zensur, Opposition und Widerstand, Dissertation, Universität Wien 2008, S. 115. 20 Albrecht Riethmüller / Helmut Rösing: „Musik und Politik im 3. Reich“, in: Herbert Bruhn / Rolf Oerter / Helmut Rösing (Hg.): Musikpsychologie. Ein Handbuch in Schlüsselbegriffen, München – Wien – Baltimore 1985, S. 338–344, hier S. 338. 21 Bruhn/Oerter/Rösing: Musikpsychologie (wie Anm. 20); Paul R. Farnsworth: Sozialpsychologie der Musik, Stuttgart 1976 (Kunst und Gesellschaft 6); Michael Grossbach / Eckart Altenmüller: „Musik und Emotion – zu Wirkung und Wirkort von Musik“, in: Bendikowski/Gillmann/Jansen/Leniger/Pöppmann (Hg.): Die Macht der Töne (wie Anm. 17), S. 13–22. 22 Helmut Rösing / Juan G. Roederer: „Musik in der Entwicklung der Menschheit“, in: Bruhn/Oerter/ Rösing (Hg.): Musikpsychologie (wie Anm. 20), S. 351–359, hier S. 357. 23 Johann Strolz: „Bürgall, ein Zillerthaler Volkslied“ und „Schnodahaggen, Unterinnthalische Volksliedchen. Mit Anmerkungen“, in: Der Sammler für Geschichte und Statistik von Tirol 2 (1807), S. 57–69 und S. 69–96. 24 Siehe dazu auch Gerlinde Haid: „Volksmusik in Tirol im 18. und 19. Jahrhundert“, in: Kurt Drexel / Monika Fink (Hg.): Musikgeschichte Tirols. 2. Band: Von der frühen Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Innsbruck 2004 (Schlern-Schriften 322), S. 649–738. Einleitung 13 politisch und gesellschaftlich einflussreichen Persönlichkeiten getragen. Als Heraus geber fungierte mit Andreas Alois Di Pauli (1761–1839) der Gründer der wichtigsten historiografischen Sammlung Tirols und Mitbegründer des heutigen Tiroler Landes museums Ferdinandeum, zu den Mitarbeitern gehörten neben Hormayr unter anderem der Dramatiker Johann Friedrich Primisser (1757–1812) und ein Vorfahre des Heimatkundlers Ludwig von Hörmann, Johann Ignaz von Hörmann (1750–1810). Die Zeitschrift erschien zwischen 1806 und 1809 und widmete sich neben den Schwerpunkten Geografie, Pflanzenkunde und Volkskunde durchaus auch den wichtigsten politischen Themen, wie etwa Tirols Anschluss an das Königreich Bayern.25 Dass Strolz nicht nur friedliche Liedchen wie „Ist a Vögal hea gflogn“26 kannte, ist für jemanden, der zeitweise Mitglied einer Scharfschützenkompanie war, mehr als naheliegend, überdies arbeitete er 1803 bei Archivierungsarbeiten Seite an Seite mit einem der wenigen namentlich bekannten Kampflieddichter des Jahres 1796, nämlich mit dem bereits erwähnten Johann Friedrich Primisser.27 Die Veröffentlichungen von 1807 enthalten kein einziges politisches Lied, vermutlich nicht nur wegen der strengen Zensur der Jahre, sondern weil politische Lieder und Kampflieder nicht als „Volkslieder“ angesehen wurden. Zwölf Jahre nach Strolz’ Publikationen erging 1819 durch die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien und ihren Generalsekretär Joseph von Sonnleithner ein österreichweiter, halbamtlicher Aufruf an die Bevölkerung, „Volkslieder“ zu sammeln. Für Tirol fehlen in der daraus resultierenden Sonnleithner-Sammlung leider die Einsendungen aus Schwaz, dem Zillertal und dem Nordtiroler Unterland. Tirol gehörte damals bereits wieder zu Österreich und gerade war wieder politische Stabilität eingekehrt. Insgesamt wurden 113 Lieder und Instrumentalstücke aus Tirol eingesendet, worunter sich aber nur zwei politische Lieder befinden, die man als funktionelle Lieder bezeichnen könnte.28 Für den Gesamtbestand der Sonnleithner-Sammlung ist überhaupt festzustellen, dass nur ein Bruchteil der ungefähr 1.500 Lieder patriotische oder historisch-politische Lieder sind. Mundartsprachliche Kampflieder scheinen überhaupt nicht auf, wenn man von einer einzigen Ausnahme absieht, die der Volkskundler Leopold Schmidt in seiner Beschreibung des Inhalts der Sammlung anführt.29 Für andere heutige Bundesländer sind einzelne hochsprachliche Kampflieder belegt.30 Wieder dürfte die Ursache darin liegen, D. von Hörmann (Vorname unbekannt): „Tirols Vereinigung mit dem Königreiche Baiern. Mit allen sich darauf beziehenden Actenstücken“, in: Der Sammler für Geschichte und Statistik von Tirol 1 (1806), 1. Stück, S. 1–36. 26 Strolz: „Schnodahaggen“ (wie Anm. 23), S. 78. 27 Anton Dörrer: „Johann Strolz (1750–1835), zum 150-Jahr-Gedenken seiner Mundart- und Volksliedarbeiten“, in: Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes 6 (1957), S. 16–38, hier S. 22. 28 Huldigungslied auf die Vorbeyreise Seiner K. K. Majestät unsers Durchlauchtigsten Kaisers Franz / Innichen den 23. März 1816 / „Heut kommet unser Kaiser Franz, der liebe gute Mann“ (Sonnleithner-Sammlung, Archiv der Gesellschaft für Musikfreunde, Wien, Tirol / Kreis Pustertal, XI/2); Lied zweyer Französischer Gensdarme bey dem Einrücken der K. K. Öster. Truppen in Tyrol 1814 nach der sogenannten, und bekannten Melodie des Alpenlurlers in 2 Stimmen / „Dem Franzmann ist nie wohl zu Muth“ (SonnleithnerSammlung, Archiv der Gesellschaft für Musikfreunde, Wien, Tirol / Kreis Pustertal, XI/5). 29 Leopold Schmidt: „Zur Bedeutung der Österreichischen Volksliedsammlung von 1819“, in: Walter Deutsch / Gerlinde Hofer: Die Volksmusiksammlung der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (Sonn leithner-Sammlung), 1. Teil, Wien 1969 (Schriften zur Volksmusik 2), S. 14. 30 Darunter auch: Feinde ringsum (Sonnleithner-Sammlung, Archiv der Gesellschaft für Musikfreunde, Wien, Niederösterreich, XVIII/4). Siehe dazu Kapitel 4 in diesem Band. 25 14 Einleitung dass geistliche Lieder, Liebeslieder, Arbeitslieder, Schützen- und Jägerlieder usw. aus damaliger Sicht eher zum Genre „Volkslied“ zählten als politische Lieder. Weil durch die Sonnleithner-Sammlung so gut wie keine Kampf- und Freiheitslieder aus Tirol überliefert wurden, ist auch klar, dass in der Forschung dieser Bereich nicht weiter verfolgt wurde, wohl in der Annahme, dass er nicht besonders ergiebig sei. Für die Musikwissenschaft war das politische Lied ohnedies lange Zeit ein wenig attraktiver Forschungsgegenstand, da hier der Text im Vordergrund steht und die Melodie oft zweitrangig ist, was eine musikwissenschaftliche Analyse meist wenig lohnend erscheinen lässt. Zudem ist das politische Lied meist „Werkzeug“ und nicht Kunstlied, weshalb es als Phänomen mit nur kurzzeitiger Wirkung und ohne weiteren Einfluss angesehen wurde. Schließlich ist das politische Lied als Gattung nicht leicht fassbar: Es kann sowohl volksmusikalisch, popularmusikalisch, ein „Kunstlied im Volksmund“ oder kunstmusikalisch sein, es kann ein eigenständiges, komponiertes Werk sein oder ein spontan verfasstes Spottlied auf einer bekannten Gassenhauermelodie. Und letztendlich ist eine rein musikbezogene Analyse von politischen Liedern ohne Kenntnisnahme ihrer historischen Kontexte, wie erwähnt, nie erschöpfend möglich. Die Musikwissenschaft widmete sich also aus den angeführten Gründen, wenn man von einer wichtigen Abhandlung von Hildegard Herrmann-Schneider absieht,31 den politischen Liedern in Tirol kaum. Jüngere Werke zur Musikgeschichte Tirols im 18. und 19. Jahrhundert behandeln größtenteils lokale Musikzentren, Musiker und Komponisten und Ausprägungen der Volksmusik.32 Die Aufstände rund um 1800 bleiben dabei weitgehend unerwähnt, der Einfluss von Politik und kriegerischen Auseinandersetzungen auf die Musik wird nicht erörtert. Einzig im Zusammenhang mit der Geschichte der Blasmusik kommen Neuerungen der Militärmusik um 1800, wie etwa die „Türkische Musik“, zur Sprache.33 Einige wenige Aufsätze widmen sich einzelnen, meist kunstmusikalischen Besonderheiten im Bereich der politischen Kunst, wie der Kantate Der Tyroler Landsturm von Antonio Salieri,34 oder einem Schützenkanon, der auf die Melodie eines Mozartkanons gesungen wurde,35 oder auch musikdramatischen Werken, die den „Andreas-Hofer-Stoff “ verarbeiten. In der Literatur über Tiroler Volksmusik sucht man die Lieder der Aufstände meist vergeblich, einzig Gerlinde Haid widmete sich der Thematik eingehender und beschrieb Hildegard Herrmann-Schneider: „Andreas Hofer und die Tiroler Freiheitskämpfe als musikalisches Sujet. Ereignisse – Heldentum – Erinnerung“, in: Der Schlern 83 (2009), Heft 7: Juli, S. 4–52, hier S. 21–23. 32 Drexel/Fink (Hg.): Musikgeschichte Tirols (wie Anm. 24); Hildegard Herrmann-Schneider / Manfred Schneider: Projekt Musikland Tirol, Tiroler Musikatlas: www.musikland-tirol.at (25. 04. 2008); Hildegard Herrmann-Schneider / Walter Senn: „Stams“, in: Ludwig Finscher (Hg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Allgemeine Enzyklopädie der Musik, Sachteil 8, Kassel u. a., 2., neubearb. Ausgabe 1998, Sp. 1732–1735. 33 Andreas Bramböck: „Blasmusik in Tirol im 18. und 19. Jahrhundert“, in: Drexel/Fink (Hg.): Musik geschichte Tirols (wie Anm. 24), S. 739–766. 34 Josef Gmeiner: „‚Zum Vortheil der durch feindliche Verheerungen verunglückten Tyroler und Vorarlberger Landeseinwohner‘ – Salieris ‚Landsturmkantate‘ als Beitrag zu einer Aktion Nachbar in Not des Jahres 1799“, in: Helmut Lang / Hermann Harrauer (Hg.): Mirabilia Artium librorum Recreat Tetuosque Ebriant, Dona natalicia Ioanni Marte oblata, Wien 2001 (Biblos-Schriften 177), S. 73–90. 35 Walter Senn: „Mozartiana aus Tirol“, in: Hans Zingerle (Hg.): Festschrift Wilhelm Fischer. Zum 70. Geburtstag überreicht im Mozartjahr 1956, Innsbruck 1956 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Sonderheft 3), S. 49–59. 31 Einleitung 15 oppositionelle Lieder über Andreas Hofer.36 Ausprägungen der bürgerlichen Musikkultur in Tirol, wie der Männergesang, wurden ebenso wenig in Beziehung zu den politischen Umständen in Tirol gesetzt wie die Kompositionsmode „à la Tyrolienne“.37 Schließlich: Auch das Phänomen der „Tiroler Nationalsänger“ im Ausland wurde nicht in Hinblick auf seine Verbindungen mit den kriegerischen Ereignissen in Tirol analysiert. Eine große Ausnahme zur ansonsten wissenschaftlich wenig beachteten Thematik der Tiroler Kampf- und Freiheitslieder bilden einzelne Abhandlungen über das Andreas Hofer-Lied („Zu Mantua in Banden“), die heutige Tiroler Landeshymne.38 Zum geschichtswissenschaftlichen Forschungsstand Lieder zählen mit Sicherheit nicht zu den klassischen Quellen der Geschichtswissenschaft. Bis in die jüngere Zeit hinein haftete Liedern immer noch eine gewisse Fragwürdigkeit hinsichtlich ihrer geschichtlichen Aussagekraft an und sie wurden gerne der Musikwissenschaft und verwandten Disziplinen überlassen. Dass sich das Forschungsinteresse seitens der Geschichtswissenschaft an Liedern prinzipiell in Grenzen hält, erkannte auch der deutsche Historiker Tillmann Bendikowski, der das Desinteresse an historisch-politischen Liedern bedauert. Er betont, dass man Lieder nicht nur als Quelle für eine „Perspektive von unten“ betrachten dürfe, wie es die Bezeichnung „Volkslied“ nach wie vor suggeriert, sondern man müsse auch die gezielte Instrumentalisierung von Liedern durch die Obrigkeiten mit einbeziehen. In beiden Fällen könnten Lieder als Mittel politischer Identitätsstiftung gelesen und gehört werden und sie fungieren somit auch als „Indikatoren sowie Faktoren“ historischen Wandels.39 Die lange ignorierte Quelle „Lied“ wird nun aber seit einigen Jahren vermehrt ausgewertet, alte Ansichten wurden revidiert. Die Auseinandersetzung mit Liedern und ihren Siehe dazu auch Gerlinde Haid: „‚O trauervolle Zeit‘. Oppositionelle Lieder von 1809“, in: Sturzflüge 1984, S. 73–76. 37 Walter Salmen: „Airs autrichiens in Werken Beethovens“, in: Christoph-Hellmut Mahling / Ruth Seiberts (Hg.): Festschrift Walter Wiora zum 90. Geburtstag, Tutzing 1997 (Mainzer Studien zur Musikwissenschaft 35), S. 368–375, hier S. 368f.; Max Unger: „Zu Beethovens Volksliedbearbeitungen“, in: Die Musik 34 (1941/42), S. 210–212, hier S. 210; Willy Heß: „Beethovens kontinentale Volksliedbearbeitungen“, in: Schweizerische Musikzeitung 110 (1970), S. 134–145, hier S. 134; Josef M. Müller-Blattau: „Beethoven und das Volkslied“, in: Die Singgemeinde 3 (1927), S. 169–175, hier S. 172. 38 Gerlinde Haid: „‚Zu Mantua in Banden …‘. Eine Aufregung um die Tiroler Landeshymne aus dem Jahr 1993“, in: Gisela Probst-Effah / Wilhelm Schepping / Reinhard Schneider (Hg.): Musikalische Volkskunde und Musikpädagogik. Annäherungen und Schnittmengen. Festschrift für Günther Noll zum 75. Geburtstag, Essen 2002 (Musikalische Volkskunde – Materialien und Analysen 15) S. 91–107; Ludwig Hunrath: Der Komponist des Andreas-Hofer-Liedes und seine Bedeutung für Tirol. Sonderdruck aus den „Neuen Tiroler Stimmen“ Nr. 89 und 90 vom 19. und 21. April 1913, Innsbruck 1913; Martin Reiter: Zu Mantua in Banden – die Tiroler Landeshymne, Reith im Alpbachtal 2003; A. J. Friedrich Zieglschmid: „Das Andreas-Hofer-Lied. Zur Geschichte seiner Melodie“, in: Modern Philology 26 (1929), Heft 3: Februar, S. 327–336; Kurt Drexel: „Von ‚Zu Mantua in Banden‘ bis ‚Zu Bantua in Manden‘“, in: Johann Holzner / Brigitte Mazohl / Markus Neuwirth (Hg.): Triumph der Provinz. Geschichte und Geschichten 1809–2009, Innsbruck 2012, S. 213–230. 39 Tillmann Bendikowski: „Öffentliches Singen als politisches Ereignis. Die Herausforderung einer historischen Quelle für die Geschichtswissenschaft“, in: Bendikowski/Gillmann/Jansen/Leniger/Pöppmann (Hg.): Die Macht der Töne (wie Anm. 17), S. 23–37. 36 16 Einleitung Inhalten findet heute vorwiegend im Rahmen von Forschungen über Medien und historische Kommunikationsformen statt. Einer der Gründe für das derzeit florierende Interesse an mediengeschichtlichen Forschungen liegt mit Sicherheit in der gegen wärtigen Wahrnehmung, in einer massenmedialen Gesellschaft zu leben. Das Wissen um die immens große Bedeutung der „Massenkommunikation“ war ausschlaggebend für Forschungen über die Ursprünge dieses medialen Netzes, in das wir heute auf so vielfältige Weise eingebunden sind. Der wachsenden Annäherung der Medienwissenschaft an die Geschichtswissenschaft Rechnung tragend, versuchen Vertreterinnen und Vertreter beider Fachrichtungen, ein allgemeines Verständnis dafür zu wecken, dass die mannigfaltigen Medien der Menschheitsgeschichte – ob wir nun von Bildern, Filmen, Texten oder eben von Liedern sprechen – nicht bloß die Geschichte widerspiegeln, sondern dass diese massiv durch ihre Beschaffenheit, Verbreitung und Rezeption in die Geschichte eingreifen und deshalb selbst als „Protagonisten der Geschichte“ verstanden werden können.40 Historiker wie Rolf Reichardt, Robert Darnton und Roger Chartier behandeln mediengeschichtliche Fragestellungen. Obwohl in erster Linie an visuellen Medien und ihrer Instrumentalisierung während der Französischen Revolution und darüber hinaus interessiert, weist Reichardt in einigen Publikationen auf die besondere plurimediale Kommunikation durch Lieder hin. Ihre Untersuchung im Hinblick auf ihre textlichen und melodischen Gestaltungsformen, ihre Verbreitung und die Möglichkeiten ihres Einsatzes zeigen, so seine Hauptthese, ihre „massenmobilisierenden Effekte“ auf.41 Reichardts Untersuchungen zum „intermedialen Wechselspiel von Bild und Musik“,42 zu den medialen Vernetzungen während der Revolutionen, aber auch zu den Formen kollektiver Medienrezeption verdeutlichen, dass die Revolutionsmedien in Frankreich „hochwirksames emotionales Agens der Revolution“ selbst waren.43 Geschichtswissenschaftliche Liedforschungen beziehen sich fast ausschließlich auf mediale Großereignisse der neuzeitlichen europäischen Geschichte,44 was nicht verwundert, weil die Quellenlage dazu immer wesentlich ergiebiger ist als zu den „ruhigen“ Zeiten ohne Krieg, Regierungswechsel oder ähnlich dramatische Ereignisse. Untersuchungen zu Liedern des Siebenjährigen Krieges,45 des Schmalkaldischen KrieFabio Crivellari / Kay Kirchmann / Marcus Sandl / Rudolf Schlögl: „Einleitung: Die Medialität der Geschichte und die Historizität der Medien“, in: dies. (Hg.): Die Medien der Geschichte. Historizität und Medialität in interdisziplinärer Perspektive, Konstanz 2004 (Historische Kulturwissenschaft 4), S. 9–48. 41 Rolf Reichardt: „Plurimediale Kommunikation und symbolische Repräsentation in den französischen Revolutionen 1789–1848“, in: Sven Grampp / Kay Kirchmann / Marcus Sandl / Rudolf Schlögl / Eva Wiebel (Hg.): Revolutionsmedien – Medienrevolutionen, Konstanz 2008 (Historische Kulturwissenschaft 11), S. 231–275. 42 Ebd., S. 267; Rolf Reichardt: „Gesungene Bilder – gemalte Lieder. Wechselbeziehungen zwischen französischen Chansons und Druckgraphik vom Ancien Régime zum 19. Jahrhundert“, in: Herbert Schneider (Hg.): Chanson und Vaudeville. Gesellschaftliches Singen und unterhaltende Kommunikation im 18. und 19. Jahrhundert, St. Ingbert 1999 (Schriften der saarländischen Universitäts- und Landesbibliothek 6), S. 71–135. 43 Reichardt: „Plurimediale Kommunikation“ (wie Anm. 41), S. 274. 44 Uli Otto / Eginhard König: „Ich hatt’ einen Kameraden“. Militär und Kriege in historisch-politischen Liedern in den Jahren von 1740 bis 1914, Regensburg 1999. 45 Hans Peter Herrmann: „Krieg, Medien und Nation. Zum Nationalismus in Kriegsliedern des 16. und 18. Jahrhunderts“, Ruth Florack: „‚… Nicht gewohnt zu fliehen vor des Franzmanns leerem Wind‘. Zu nationalen Stereotypen in Dichtung und Flugschriften“ und Gerhard Sauder: „Christian Felix Weißes Amazonen-Lieder im Siebenjährigen Krieg“, alle in: Wolfgang Adam / Holger Dainat (Hg.): „Krieg ist 40 Einleitung 17 ges,46 der Revolutions-, Koalitions- und Befreiungskriege47 und der beiden Weltkriege48 verfolgen teilweise innovative Ansätze. Abgesehen von den Kriegsereignissen wendet sich die geschichtswissenschaftliche Liedforschung seit einigen Jahrzehnten verstärkt einer weiteren Kategorie von medialen Ereignissen zu: den Revolutionen.49 Hierbei erfahren naturgemäß die französischen Revolutionen von 1789, 1830 und 1848 wegen ihrer europäischen „Vorreiterrolle“ besondere Beachtung. Insgesamt kann die Aufarbeitung der Liedbestände zu diesen Ereignissen als sehr gut bezeichnet werden, wenngleich nicht allen europäischen Revolutionen eine gleichwertige Untersuchung zuteil wurde.50 Die „neuen“ Zugänge zum Quellenmaterial unterscheiden sich voneinander und zeigen stets die Vielseitigkeit der Quelle „Lied“ auf. Unter Berücksichtigung der sich ent wickelnden politischen Öffentlichkeit während und nach der Französischen Revolution werden auch Lieder als Teil der Kommunikationsprozesse verstanden und es wird ihnen ihr Platz in der Kulturgeschichte der Revolutionszeit zugewiesen.51 mein Lied“. Der Siebenjährige Krieg in den zeitgenössischen Medien, Göttingen 2007 (Schriften des Gleimhauses Halberstadt 5), S. 27–64, S. 65–87 und S. 193–214. 46 Gabriele Haug-Moritz: „‚Geschwinde Welt.‘ Krieg und öffentliche Kommunikation – zur Erfahrung beschleunigten historischen Wandels im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts (1542–1554)“, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit, Bulletin 6 (2002), S. 139–148; dies.: „Zur Konstruktion von Kriegsniederlagen in frühneuzeitlichen Massen medien – das Beispiel des Schmalkaldischen Krieges (1547–1552)“, in: Horst Carl / Hans-Henning Kortüm / Dieter Langewiesche / Friedrich Lenger (Hg.): Kriegsniederlagen. Erfahrungen und Erinnerungen, Berlin 2004, S. 345–374. 47 Jürgen Wilke: „Der nationale Aufbruch der Befreiungskriege als Kommunikationsereignis“, in: Ulrich Herrmann (Hg.): Volk – Nation – Vaterland, Hamburg 1996 (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 18), S. 353–368. Eine germanistische Arbeit zum Thema stammt von Ernst Weber: Lyrik der Befreiungskriege (1812–1815). Gesellschaftspolitische Meinungs- und Willensbildung durch Literatur, Stuttgart 1991. 48 Siehe Reinhard Olt: Krieg und Sprache. Untersuchungen zu deutschen Soldatenliedern des Ersten Weltkriegs, Gießen 1981 (Beiträge zur deutschen Philologie); Alfred Roth: Das nationalsozialistische Massenlied. Untersuchungen zur Genese, Ideologie und Funktion, Würzburg 1993 (Epistemata Würzburger wissenschaftliche Schriften, Reihe Literaturwissenschaft 112). 49 Ulrich Otto: Die historisch-politischen Lieder und Karikaturen des Vormärz und der Revolution von 1848/49, Köln 1982 (Pahl-Rugenstein Hochschulschriften, Gesellschafts- und Naturwissenschaften 100, Serie: Kultur geschichte); Heidrun Kämper-Jensen: Lieder von 1848. Politische Sprache einer literarischen Gattung, Tübingen 1989 (Germanistische Linguistik 90); Cornwell B. Rogerts: „Songs – Colorful Propaganda of the French Revolution“, in: The Public Opinion Quarterly 11 (1947), Heft 3, S. 436–444; Adelheid Coy: Die Musik der französischen Revolution. Zur Funktionsbestimmung von Lied und Hymne, München – Salzburg 1978; Laura Mason: Singing the French Revolution. Popular Culture and Politics 1787–1799, Ithaca, New York, 1996; Constant Pierre: Les hymnes et chansons de la Révolution, Paris 1904; Annette Keilhauer: Das französische Chanson im späten Ancien Régime. Strukturen, Verbreitungswege und gesellschaftliche Praxis einer populären Literaturform, Hildesheim 1998; Rolf Reichardt / Herbert Schneider: „Chanson et musique populaire devant l’Histoire à la fin de l’Ancien Régime“, in: Dix-huitième Siècle 18 (1996), S. 117–142. 50 Herbert Schneider: „Der Formen- und Funktionswandel in den Chansons und Hymnen der Französischen Revolution“, in: Reinhart Koselleck / Rolf Reichardt (Hg.): Die Französische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewusstseins. Vorlagen und Diskussionen der internationalen Arbeitstagung am Zentrum für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld, 28. Mai – 1. Juni 1985, München 1988 (Ancien Régime. Aufklärung und Revolution 15), S. 421–478; Herbert Schneider: „The Sung Constitutions of 1792: an essay on propaganda in the Revolutionary song“, in: Malcolm Boyd (Hg.): Music and the French Revolution, Cambridge – New York – Port Chester – Melbourne – Sydney 1992, S. 236–276. 51 Koselleck/Reichardt (Hg.): Die Französische Revolution (wie Anm. 50). In Bezug auf Lieder als politische Kommunikation sei insbesondere auf folgenden Aufsatz verwiesen: Lise Andriès: „Die Almanache des Jahres II“, in: Koselleck/Reichardt (Hg.): Die Französische Revolution (wie Anm. 50), S. 286–304. 18 Einleitung Im Sammelband Die Macht der Töne (2003) wird die politische Identitätsstiftung durch Musik in primär geschichtswissenschaftlichen Beiträgen über politische Lieder und ihre Wirkung im 20. Jahrhundert ausführlich diskutiert.52 Die Feststellung der Autorinnen und Autoren, dass die Forschungslücke im Bereich des kulturellen Zusammenhangs zwischen Musik, Politik und Geschichte schon beinahe akut sei, weil sich Historiker und Politologen oft außerstande sehen, musikbezogene Fragestellungen kompetent abzuhandeln, schließt sich dem allgemeinen Grundtenor in den meisten Publikationen über dieses Thema an.53 Ihre eigene, wenn auch kleine Nische haben Liedforschungen also vorrangig in der Mediengeschichte gefunden. Forschungen über politische Lieder in Tirol im 19. Jahrhundert Die bisherigen Forschungen über politische Lieder in Tirol im Zeitraum 1796–1848 sind eher dürftig. Markante Liedstrophen aus jener Zeit werden zwar hie und da in jüngeren Publikationen über die Tiroler Geschichte zitiert, doch werden die Zitate eher als schmückende Beigaben und weniger als aussagekräftige Quellen benutzt. Geschichtswissenschaftliche Untersuchungen, die mehr als nur die Tatsache verwerten, dass diese Art von Liedern in großem Umfang produziert wurde, gibt es eigentlich bis heute nicht. Das Liedrepertoire, das anlässlich unterschiedlicher politischer Ereignisse im besagten Zeitraum entstand, war wegen des fehlenden Interesses der Tiroler Geschichtsschreibung zu einem Schattendasein verdammt – nicht so in anderen Wissenschaften. Etwa seit den 1850er-Jahren lässt sich ein wachsendes heimatkundliches Interesse an Dichtungen aus den oftmals als „glorreich“ bezeichneten Zeiten der Tiroler Landesverteidigung und des Tiroler Aufstandes feststellen. Persönlichkeiten mit unterschiedlicher, teils durchaus wissenschaftlicher Ausbildung, manche auch literarisch tätig, wie etwa Adolf Pichler (1819–1900),54 schrieben über das kulturelle Leben in Tirol und so blieben auch patriotische Dichtungen und Lieder nicht unerwähnt. Größeres Interesse an der teils auffälligen Sprachgestaltung mancher Lieder und Gedichte zeigte beispielsweise Johannes Engensteiner in seiner Abhandlung über mundartliche Dichtung in Tirol von 1873.55 Ebenfalls einen Beitrag zur Heimatkunde leistete Josef Feder, der sich in den frühen 1880er-Jahren mit den Kriegsliedern der Jahre 1796 und 1797 auseinandersetzte.56 Weniger heimatkundliche, als vielmehr literarische Interessen leiteten den böhmischen Schriftsteller und Dichter Ludwig August Frankl Bendikowski/Gillmann/Jansen/Leniger/Pöppmann (Hg.): Die Macht der Töne (wie Anm. 17). Christian Jansen: „Einleitung“, in: Bendikowski/Gillmann/Jansen/Leniger/Pöppmann (Hg.): Die Macht der Töne (wie Anm. 17), S. 7–12, hier S. 8. 54 Adolf Pichler: „Tirolische Kriegslieder. Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Volksdichtung“, in: Deutsche Wochenschrift, 1854, Heft 7, S. 522–531; Adolf Pichler: Zur Tirolischen Literatur 2, München – Leipzig 1908, S. 84–98. 55 Johannes Engensteiner: Zur mundartlichen Dichtung in Tirol. Eine Skizze, Programm der städtischen Volks- und Bürgerschule in der Angerzell zu Innsbruck, Innsbruck 1873. 56 Josef Feder: „Über die tirolischen Kriegslieder der Jahre 1796 und 1797“, in: Karl Prochaska (Hg.): Programm des k k Staats-Gymnasiums in Teschen für das Schuljahr 1881/82, Teschen 1882, S. 1–48. 52 53 Einleitung 19 in seiner Publikation Andreas Hofer im Liede.57 Der vielfach versierte Autor arbeitete allerdings nicht wissenschaftlich, sondern veröffentlichte eine Sammlung von Liedern, die großteils von Zeitgenossen stammen und damit in jene Zeit fallen, in der die Stilisierung Hofers in der Literatur bereits ihre Blüten trieb. Einer der ersten Gelehrten, der „tirolische Kriegslieder“ nicht nur systematisch sammelte, sondern auch nach damals gängigen wissenschaftlichen Kriterien bearbeitete, diese Arbeit aber nie zu Ende bringen konnte, war Ludwig von Hörmann (1837–1924). Der in Vorarlberg geborene Heimatkundler veröffentlichte Abhandlungen über „Kriegsund Kampflieder“ der Jahre 1796 und 1797.58 Sein Verdienst bestand darin, dass er die Vielzahl an Liedern dieser beiden ereignisreichen Jahre chronologisch ordnete und Verfasser ausfindig machte. Anlässlich des hundertsten Jubiläums der so genannten „Tiroler Freiheitskämpfe“ von 1809 setzte er sich auch mit „Andreas Hofer im Volksliede“59 auseinander. Ein für die vorliegende Arbeit essentielles Quellenkorpus erstellte der Landeskommissär Tirols und Leiter des Landesfestumzuges von 1909, Joseph Emanuel Bauer, indem er Tiroler Kriegslieder von 1796/1797 publizierte.60 Infolge der Gedenkfeiern von 1909 kam es zu weiteren Veröffentlichungen. So ließ beispielsweise Vinzenz Goller „Schützenlieder“ drucken,61 während Oswald Menghin drei Aufsätze über 1809 und Andreas Hofer im Lied veröffentlichte.62 Ebenfalls zum Gedenken an das Kriegsjahr 1809 brachten Robert Franz Arnold und Karl Wagner ein Buch über die politische Lyrik dieses Jahres in Österreich heraus und widmeten dabei Tirol ein eigenes Kapitel. Ihr wissenschaftliches Bemühen äußerte sich dadurch, dass sie in den Anmerkungen zu den Liedern Informationen über mögliche Verfasser und früheste Aufzeichnungen vermittelten.63 Ludwig August Frankl (Hg.): Andreas Hofer im Liede. Mit Original-Urkunden, bis nun unbekannten Nachweisen und Porträten Hofers mit seiner Gattin, Innsbruck 1884. 58 Ludwig von Hörmanns Publikationen über politische Lieder beschränken sich auf einige Zeitungs artikel: Ludwig von Hörmann: „Die tirolischen Kriegslieder aus den Jahren 1796, 1797 und 1809“, in: Bote für Tirol und Vorarlberg 65, 2. April 1879, S. 589. Diesem Artikel folgten weitere acht in den Ausgaben des Boten für Tirol und Vorarlberg bis zum 23. April 1879. Das Vorhaben, über seine persönliche, wohl sehr große Sammlung von originalen Liedtexten eine Monografie zu verfassen, konnte Hörmann nicht realisieren. 59 Ludwig von Hörmann: „Andreas Hofer im Volksliede“, in: Innsbrucker Nachrichten 57 (1910), Nr. 40, 19. Februar 1910, S. 1–3. Im Jahr 1984 erschienen folgende Arbeiten zum Thema: Erich Egg: „Hofund Bauerntheater – Musik und Literatur“, in: Gert Ammann (Hg.): Die Tirolische Nation 1790–1820. Landesausstellung Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck, 6. Juni – 14. Oktober 1984, Innsbruck 1984, S. 149–165; Karl Horak: „Volkslied und Volksmusik“, in: ebd., S. 145–149. 60 Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896; ders.: Denkschrift der Tiroler Landesjahrhundertfeier in Innsbruck, verfaßt und zusammengestellt im Auftrage des Landes Tirol, Innsbruck 1910. 61 Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 60); Frankl (Hg.): Andreas Hofer im Liede (wie Anm. 57); Vinzenz Goller: Alte und neue Schützenlieder, Innsbruck 1910. 62 Oswald Menghin: „Andreas Hofer im volkstümlichen Liede“, in: Anon. (Hg.): Anno Neun. Volkslieder und Flugschriften, Brixen 1912 (Bücherei des Österreichischen Volksschriftenvereins 5), S. 5–62. Siehe außerdem Oswald Menghin: „Die historischen Volkslieder über Andreas Hofer“, in: Wiener Zeitung, Nr. 44, 24. Februar 1910, S. 4; Oswald Menghin: „Das erzählende Volkslied in Tirol“, in: Urania. Illustrierte populärwissenschaftliche Wochenschrift 11 (1909), Nr. 35, 28. August 1909, S. 549–553. 63 Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des Literarischen Vereins in Wien XI). 57 20 Einleitung Während das erste Interesse an tirolischen historisch-politischen Liedern eindeutig aus heimatkundlicher und philologischer Richtung kam, entdeckten Historiker diese Lieder erst nach der Jahrhundertwende und in erster Linie im Zusammenhang mit 1809. Josef Hirn (1848–1917), ein Tiroler Historiker und Universitätsprofessor, schuf 1909 mit seiner Publikation Tirols Erhebung im Jahre 1809 ein dichtes, quellenreiches Werk, das die politische Lyrik jener Zeit zumindest in den Fußnoten mit einbezieht. Ausgewählte markante Texte werden hier als Ausdruck des „Hasses gegen die Bayern“ und der politischen Unstimmigkeiten im Vorfeld des Aufstandes von 1809 zitiert.64 Die Forschung zum musikalischen Schaffen von 1809 erlebte erst anlässlich des 175-jährigen Jubiläums des Tiroler Aufstandes wieder etwas Auftrieb.65 In Meinrad Pizzininis Hofer-Biografie, die 1984 publiziert wurde und 2008 eine überarbeitete Neuauflage erfuhr, finden sowohl zeitgenössische als auch spätere politische Lieder Erwähnung.66 In den neunziger Jahren schließlich geriet die Tiroler Landeshymne „Zu Mantua in Banden“ in den Blickpunkt einer politischen Debatte, die dem Thema zugleich vermehrt wissenschaftliches Interesse zukommen ließ. Die Tiroler Landeshymne wurde einerseits als Beispiel für die deutschnational geprägte literarische Vereinnahmung Andreas Hofers ab der Mitte des 19. Jahrhunderts und andererseits als Beispiel für ein politisches Lied, das von ganz unterschiedlichen politischen Ideologien instrumentalisiert wurde, erkannt.67 Nicht zuletzt sei auch der britische Historiker Laurence Cole erwähnt, der Lieder bzw. Dichtungen der Kategorie „Kriegsrhetorik“ als aussagekräftige Quellen für seine Forschungen zur nationalen Identität in Tirol im 18. und 19. Jahrhundert nutzte. Er zeigt anhand von Liedtexten, dass Nationalstolz und die für Tirol spezifische Ver quickung von Religion und Politik wesentliche Aspekte im Hinblick auf eine „nationale Bewusstwerdung“ waren. Cole stellt fest, dass viele Lieder der öffentlichkeitswirksamen Propaganda dienten und mehrheitlich durch Geistliche übermittelt wurden.68 Allgemein ist festzuhalten, dass die heimatkundlich motivierte Erforschung der politischen Lyrik in Tirol etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts einsetzte. Ab ca. 1900 fokussierte sich das Interesse ausschließlich auf jene Lieder, die einen Bezug zu Andreas Hofer aufweisen. Während man gegen Ende des 19. Jahrhunderts – besonders aus Anlass des Hundert-Jahr-Jubiläums der Landesverteidigung 1796/1797 – noch hie und da einige Publikationen mit politischer Lyrik dieser Zeit vorfindet, konzentrierte man sich spätestens seit den Landesgedenkfeiern im Jahr 1909 klar auf Lieder der so Josef Hirn: Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, hier besonders S. 201, S. 270, S. 366, S. 546. 65 Egg: „Hof- und Bauerntheater“ (wie Anm. 59); Horak: „Volkslied und Volksmusik“ (wie Anm. 59); Helmut Reinalter: „Tirol von der Aufklärung bis zum Vormärz. Gesellschaft, Politik und Ideen im Überblick“, in: Ammann (Hg.): Die Tirolische Nation (wie Anm. 59), S. 8–18. 66 Meinrad Pizzinini: Andreas Hofer. Seine Zeit – sein Leben – sein Mythos, Innsbruck – Wien – Bozen 2008; siehe insbesondere das Kapitel: „Vorwiegend Mythos – Andreas Hofer in Literatur, Musik und Kunst“, S. 285–315. 67 Haid: „Zu Mantua in Banden“ (wie Anm. 38). 68 Laurence Cole: „Religion und patriotische Aktion in Deutsch-Tirol (1790–1814)“, in: Otto Dann / Miroslav Hroch / Johannes Koll (Hg.): Patriotismus und Nationsbildung am Ende des Heiligen Römischen Reiches, Köln 2003 (Kölner Beiträge zur Nationsforschung 9), S. 345–378; Laurence Cole: „Nation, Anti-Enlightenment, and Religious Revival in Austria: Tyrol in the 1790s“, in: The Historical Journal 43 (2000), Heft 2: Juni, S. 475–497. 64 Einleitung 21 genannten „Tiroler Freiheitskämpfe“. Erst in jüngster Zeit wurden Lieder auch in der Geschichtsschreibung Tirols – interessanterweise dank dem Engländer Cole – als wichtige historische Quelle wahrgenommen. Methodisches Die Liedtexte erfordern von der Geschichtswissenschaft ein hohes Maß an philologischen, textimmanenten Methoden, der musikwissenschaftliche Blick richtet sich auch über geografische und kulturelle Grenzen der Zeit hinaus und so bringen zwei unterschiedliche Herangehensweisen an ein und dieselbe Quelle mehrdimensionale Resultate. Aus geschichtswissenschaftlicher Perspektive wurden die Liedtexte auf semantische Aspekte, sowohl quantitativ (Gewichtung der Worte hinsichtlich ihrer Häufigkeit) als auch qualitativ (Bedeutung der Worte) untersucht.69 Das Vorbild für die musikwissenschaftliche Aufarbeitung unseres Themas ist das historisch-kritische Liederlexikon des Deutschen Volksliedarchives (DVA).70 Dieses Internetprojekt wurde im Jahr 2002 von Eckhard John initiiert und setzt auf innovative Methoden der Editionspraxis und Liedkommentierung, wobei der Schwerpunkt auf der Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte der Lieder liegt und nicht mehr nur auf der Erstellung von Text- und Melodiekommentaren: Ausgangspunkt der neuen Edition sind einzelne Lieder (Liedtypen). Anders als bei der BalladenEdition des DVA steht hier nicht eine bestimmte Lied-Gattung im Vordergrund, sondern das berücksichtigte Liedrepertoire beruht auf inhaltlichen und thematischen Überlegungen. Dem Repertoire liegt ein erweitertes Liedverständnis zugrunde, das nicht nur traditionelle Volkslieder umfasst, sondern die gesamte Breite des deutschsprachigen Popularliedes in seinen unterschiedlichsten Facetten.71 Die „Biografie“ eines Liedes oder auch die „Liedmonografie“ setzt sich somit aus der Edition der Texte und Melodien, den rezeptionsgeschichtlichen Kommentaren und der Quellendokumentation zusammen und berücksichtigt den Umstand, dass ein Lied während seines mehr oder weniger langen „Lebens“ seine Funktion, seine Melodie oder seinen Text ändern kann und dass es mitunter in verschiedenen kulturellen Räumen unterschiedlich rezipiert wird. Während sich die historischen Analysen der Liedtexte der Geschichte im Lied widmen, dreht sich die musikwissenschaftliche Seite der Forschung um die „Biografie“ des Liedes, also der Geschichte des Liedes selbst. Wir folgen hier in erster Linie den Verfahrensweisen von Armin Burckhardt: „Politische Sprache. Ansätze und Methoden ihrer Analyse und Kritik“, in: Jürgen Spitzmüller / Kersten Sven Roth / Beate Leweling / Dagmar Frohning (Hg.): Streitfall Sprache. Sprachkritik als angewandte Linguistik?, Bremen 2002 (Freiburger Beiträge zur Linguistik 3), S. 75–114. 70 Eckhard John: „www.liederlexikon.de. The ‚Historisch-kritische Liederlexikon‘ in the Internet“, in: Eckhard John / Tobias Widmaier (Hg.): From „Wunderhorn“ to the Internet. Perspectives on Conceptions of „Folk Song“ and the Editing of Traditional Songs, Trier 2010 (B.A.S.I.S. 6), S. 225–233; Michael Fischer: „Rekonstruktion und Dekonstruktion. Die Edition ‚Deutsche Volkslieder mit ihren Melodien‘ (1935–1996) und die Online-Publikation ‚Populäre und traditionelle Lieder. Historisch-kritisches Liederlexikon‘“, in: Lied und populäre Kultur / Song and Popular Culture 54 (2009), S. 33–61. 71 Siehe http://www.liederlexikon.de/ueber_liederlexikon_de/projektbeschreibung (05. 01. 2012). 69 22 Einleitung Kategorisierungen Die Lieder des Quellenkorpus lassen sich grob in die sechs großen Kategorien der sozialkritischen, der herrschaftskritischen, der Lob-, der Jubel- bzw. Siegeslieder, der Kampf- bzw. Kriegslieder sowie der Spott- bzw. Scherzlieder einteilen. Die geschichtswissenschaftlichen Beiträge operieren in erster Linie mit diesen Begriffen, während aus musikwissenschaftlicher Perspektive weitere Aspekte von Interesse sind, wie etwa die Herkunft der Melodie und der Rezeptionsraum (also die „Trägerschicht der Lieder“), die zu folgender Kategorisierung führen: – Lieder mit übernommenen Melodien Die Mehrzahl der politischen Lieder aus Tirol zwischen 1796 und 1848 ist auf Flugblättern und ohne Melodien erhalten. Die Melodie ist bei politischen Liedern meist zweitrangig, der Inhalt steht im Vordergrund, weshalb politische Lieder und Kampflieder vielfach im Kontrafakturverfahren hergestellt werden. Kontrafaktur bedeutet, dass populäre Lieder der Zeit (z. B. Gassenhauer) mit neuen, aktuellen politischen Texten unterlegt wurden. Man findet zuweilen Verweise auf die Melodie im Titel eines Flugblattliedes, wie etwa: „nach der Weise …“, „gesungen in der Melodie von …“ usw. Diese wenigen Melodieangaben zeigen uns jedoch an, welche Lieder um 1800 in Tirol populär und bekannt waren und gerne gesungen wurden (siehe dazu Kapitel 4). Im Kontrafakturverfahren produzierte Lieder sind rasch hergestellt, einfach einzulernen und können schnell verbreitet werden. Sie sind „Werkzeuge“ und keine Kunstwerke. Dies erklärt, warum zwar verhältnismäßig viele Liedtexte aus der Zeit um 1800 aus Tirol vorhanden sind, aber nur sehr wenige Melodien. – Kunstmusikalische Gelegenheitslieder Viele der im Parodie- oder Kontrafakturverfahren entstandenen Lieder wurden zu bestimmten Anlässen verfasst und sind so genannte „Gelegenheitslieder“. War der Anlass ein besonders feierlicher, wurden entweder dazu passende kunstmusikalische Werke (z. B. ein Te Deum) politisch instrumentalisiert oder es wurden lokale Komponisten beauftragt, geeignete Lieder, Hymnen usw. neu zu komponieren. – Studentenlieder, Revolutionslieder, deutsche Befreiungskriegsdichtung und das Männerchorwesen In Deutschland wurde der literarische Sturm und Drang maßgeblich durch die Befreiungskriege inspiriert, was eine Reihe von Dichtern dazu brachte, eine neue, jugendliche und höchst eingängige Form von Kriegs- und „Freiheits“-Dichtung zu schaffen. Prototypisch für das daraus entstandene Liedrepertoire ist Carl Maria von Webers Liedersammlung Leyer und Schwerdt (drei Hefte, op. 41–43) von 1814– 1816 nach Texten von Theodor Körner. Auch unzählige andere Komponisten steuer ten bedeutende Lieder zu diesem Genre bei. Da zu den favorisierten Themen dieser Epoche auch das angeblich „unverdorbene Volk“, die geliebte Heimat und die Natur bzw. „Natürlichkeit“ gehörten, bot sich der „Andreas-Hofer-Mythos“ geradezu zur Bearbeitung an. Besonders anschaulich ist dies am Beispiel der Studentenbewegung Einleitung 23 in Jena („Urburschenschaft“) erkennbar, die Andreas Hofer zu einem Kämpfer für das Deutschtum und gegen Fremdherrschaft stilisierte, was in mehreren Liedern zum Ausdruck kommt (z. B. in den Liedern „Zu Mantua in Banden“ und „Als der Sandwirth vom Passeier“). Einige dieser Lieder fanden durch das Männerchorwesen rasche Verbreitung. Darüber hinaus vertonten auch Tiroler Komponisten Texte aus dem Umfeld der Befreiungskriege, wie etwa Gedichte von Christian Friedrich Daniel Schubart (1739–1791), oder sie versuchten sich selbst in diesem Schreibstil und verfassten hochsprachliche Liedtexte (siehe dazu Kapitel 13). – Tiroler Sängergesellschaften Der Erfolg der Tiroler Nationalsänger hing eng mit der Verklärung der Tiroler Aufstände zum Kampf „David gegen Goliath“ zusammen. Die Sängergesellschaften nutzten die historischen Ereignisse für ihre Zwecke, indem sie das Klischee des „treuen und biederen Tirolers“ bedienten und auch politische Lieder und Kriegslieder kommerziell vermarkteten und international verbreiteten. Spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde eine große Anzahl von Tiroler Liedern produziert, von denen nicht wenige auf die „1809-Thematik“ zumindest anspielen. Dass im Repertoire der Nationalsänger sowohl „echte“, also authentische Kriegs- und „Freiheitslieder“, als auch später neukomponierte Lieder zu finden sind, ist nachvollziehbar. Überraschender scheint die Tatsache, dass (nicht nur) durch die Reisen der Sängergesellschaften in den englischen und amerikanischen Raum auch englischsprachige „Freiheitslieder“ entstanden und verbreitet wurden. Manche der neukomponierten Lieder wirken täuschend „ echt“, als ob sie zur Zeit der Aufstände entstanden wären. Deshalb ist es oft schwierig, jene Lieder herauszufiltern, die tatsächlich im Zuge der Kriegsgeschehnisse oder zumindest kurz danach verfasst wurden. Aber auch in Bezug auf die „authentischen“ Tiroler Freiheitslieder ist die Verbreitungs- und Rezeptionsschiene der Nationalsänger höchst interessant, da deren Lieder über das ganze 19. Jahrhundert hindurch immer wieder belegt sind. Anhand ihrer Liederbücher und Konzertankündigungen kann man ab dem Ende der 1820er-Jahre kontinuierlich ihr Repertoire nachverfolgen. Seine schrittweise „Modernisierung“ zeigt auch die Entwicklung des Stellenwerts der 1809-„Freiheitslieder“ unter den „Nationalliedern“, wie die Lieder der Sängertruppen immer wieder genannt wurden, auf. Die Lieder der Nationalsängergesellschaften sind auch hinsichtlich der Tatsache, dass sie wirklich gesungen wurden, von Interesse. Denn andere einschlägige Liedersammlungen aus Tirol 72 geben zwar darüber Aufschluss, welche Lieder existierten und bekannt waren, doch für den Bereich der politischen Lieder können wir daraus nicht ableiten, dass sie auch tatsächlich gesanglich umgesetzt wurden oder verbreitet waren. Im Gegensatz dazu zeigt uns das Nationalsängerrepertoire die Praxis, also welche der politischen Lieder über einen längeren Zeitraum hinweg zur Aufführung gelangten, weil sie zum Gebrauchsrepertoire der Berufssänger zählten. Siehe z. B. Frankl (Hg.): Andreas Hofer im Liede (wie Anm. 57); Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 63); Hörmann: „Die tirolischen Kriegslieder“ (wie Anm. 58); Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 60); Tiroler Volksmusikverein / Südtiroler Volksmusikkreis (Hg.): Echte Tiroler Lieder. Ergänzte und kommentierte Neuausgabe der Tiroler Liedersammlungen von Franz Friedrich Kohl, 3 Bände, Innsbruck – Wien 1999. 72 24 Einleitung – Authentische Lieder Lediglich wenige „authentische“ Lieder mit Melodien sind noch bekannt. Unter „authentischen“ Liedern verstehen wir jene Lieder, die sozusagen primärfunktional eingesetzt wurden, beispielsweise Kampflieder, die man zur Zeit der kriegerischen Ereignisse sang. Dazu zählen das Spingeser Schlachtlied und das Boarlied, beide gehören zu den bekanntesten „echten“ historisch-politischen Liedern, aber auch im Repertoire der Nationalsänger findet sich das eine oder andere Lied, das für die 1820er-Jahre erstmals belegt ist (siehe dazu die Kapitel 14 und 15) und stilistisch und formal ein „authentisches“ Lied sein könnte. Generell erkennt man authentische politische Lieder oder Kriegslieder daran, dass in den Texten kriegswichtige Persönlichkeiten, bestimmte Kriegshandlungen, Kriegsschauplätze usw. genannt werden. Derartige Lieder dienten zur Informationsübermittlung oder Motivation zum Kampf. Später komponierte patriotische oder politische Tiroler Lieder hin gegen weisen die zu dieser Zeit im Ausland modischen Jodlerrefrains auf (derartige Verzierungen wären in einem funktionalen Kriegslied überflüssig) oder bringen die typischen Tiroler Klischees (atmosphärische Naturschilderungen wie wilde Gebirgsbäche, steile Felswände, feurige Augen, die von der Bergsonne gebräunte Haut usw.). Die Liedgeschichten Jedes der folgenden siebzehn Kapitel dieses Bandes stellt ein Lied in den Mittelpunkt, anhand dessen ein bestimmter Aspekt der Thematik – je nach Autorin – eher aus geschichts- oder aus musikwissenschaftlicher Perspektive beleuchtet wird. Das erste Kapitel ist dem Lied „Den Stutzen hear, beym Soggara“ gewidmet, das eine auffallend facettenreiche Rezeption aufweist. Als typischer Text der dialektal geprägten Kampfdichtung der Jahre 1796 und 1797 ist das Lied bis heute ein Begriff geblieben. Das zweite Kapitel zeigt durch eine detaillierte Analyse des Liedtextes „Wir zieh’n an unsre Gränzen hin“ (Neues Lied der Sterzinger Scharfschützen) die wesentlichen Aspekte und den Sprachgebrauch der tirolischen Kriegspoesie um 1800 auf. In der dritten Lied geschichte analysieren wir anhand eines Kriegsliedes aus dem Jahr 1796 den damals gängigen Vaterlandsbegriff und seinen Kontext. Das vierte Kapitel widmet sich politischen Gelegenheitsliedern, Kontrafakturen und kunstmusikalischen Auftragswerken im Dienste der Obrigkeit. So wurde beispielsweise Schubarts Kaplied „Auf, auf ihr Brüder“ als Grundlage für Tiroler Umdichtungen verwendet. Das fünfte Kapitel über das Spingeser Schlachtlied beschreibt die Rezeptionsgeschichte eines ursprünglich fast vergessenen authentischen Kampfliedes, das von der Innsbrucker Liedertafel Ende des 19. Jahrhunderts als „Tiroler Lied“ wiederbelebt wurde. Mit dem sechsten und siebten Kapitel befinden wir uns bereits zeitlich voranschreitend in den Jahren der bayerischen Regierung in Tirol, die von 1806–1814 dauerte. Jene Beiträge, in denen unter anderem die Lieder „König! Seit wir Dich gesehen“ (Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs und Seiner durchlauchtigsten Familie) und „He Nochba Lenz beym Soggara“ (Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns) behandelt werden, bringen Beispiele für opportunes bzw. opportunistisches Singen für die neue Regierung in Form von Lobliedern und oppositionelles Singen, meist in Form von Scherz- und Spottliedern, gegen die bayerische Regierung. Affirmative Lieder dien- Einleitung 25 ten der Stärkung des Patriotismus, während gleichzeitig die Urheber und Sänger oppositioneller Lieder, zu denen auch österreichische Kriegslieder zählten, verfolgt wurden. Die Kapitel 8 und 9 bieten einen Überblick über die gesamte bekannte Kriegslyrik des ereignisreichen Jahres 1809 in Tirol. Aus chronologischer Sicht stehen am Anfang Jubellieder, sowohl von Tiroler als auch von bayerischer Seite, dann Lieder mit mobilisierendem Charakter, die jenen der Jahre 1796 und 1797 nicht unähnlich sind. Hier gehen wir auch den ersten Spuren von Andreas Hofer im Lied nach und stellen fest, dass seine Verehrung als Held zu seinen Lebzeiten mit einem Preislied begann. Das wahrscheinlich schönste Lied dieser kriegerischen Zeit in Tirol ist „Die liebe Feyerstunde schlägt“. Dieses Lied mit einer sozialkritischen Facette wurde von Hofer selbst und seinen Begleitern in der Innsbrucker Hofburg gesungen und war im ganzen deutschsprachigen Raum sehr beliebt. Später erfolgten Nachdichtungen im englischsprachigen Raum, in deren Titel stets auf Tirol verwiesen wird (siehe Kapitel 10). Auch das berühmteste Lied der Tyrolienne-Mode, „Wann i in der Früh aufsteh“, wurde für Tiroler Kampfliedtexte verwendet. Im englischsprachigen Raum war dieses Lied allerdings schon immer ein „Tiroler Freiheitslied“ (Tyrolese song of liberty) und wurde in verschiedenen Versionen verbreitet (Kapitel 11). Das zwölfte Kapitel, „Er hat als vagöß’n, er liebt das Tyrol“, beleuchtet die Rolle der Musik als Teil von politischen Zeremonien. Als Fallbeispiel hierfür dient der Besuch des bayerischen Kronprinzen Ludwig, für den eine Bauernhochzeit mit musikalischer Umrahmung inszeniert wurde. Dieser Quelle werden Gerichtsakten gegenübergestellt, die zeigen, wie das Singen von aufrührerischen, Andreas Hofer und den Aufstand verherrlichenden Liedern im Jahr 1811 abgestraft wurde. Tiroler Komponisten wie Johann Baptist Gänsbacher und Josef Abenthung schrieben einige politische Kunstlieder, die, ebenso wie die volkstümlichen Biedermeierlieder des „Volkssängers“ Christian Blattl, in diesem Rahmen nicht fehlen dürfen (Kapitel 13). Mehrere interessante politische Lieder wurden durch Nationalsänger überliefert, wie etwa „Jauchzet singet frohe Lieder“, ein „authentisches“ Lied der Zeit der Aufstände, das durch die Nationalsänger Rainer bis in die USA weitergetragen wurde (Kapitel 14). Auch das Lied Anno Neun, ebenfalls höchstwahrscheinlich ein authentisches Lied, wurde durch eine Sängergesellschaft verbreitet, nämlich durch die Nationalsänger Leo, deren Repertoire erstaunlich viele politische Lieder beinhaltete (Kapitel 15). Mit Kapitel 16 („Sie führen mich aus dem Land mit größtem Spott und Schand’“) haben wir uns gänzlich von den politischen, zeitgenössisch relevanten Liedern entfernt und befinden uns nun in einer Zeit, in der der Tiroler „Nationalheld“ Andreas Hofer Stilisierung und Romantisierung erfährt. Dies äußert sich auch in Liedern, wie beispielsweise im heute noch bekannten Lied „Ach Himmel, es ist verspielt“, dessen Rezeptionsgeschichte nachgezeichnet wird. Der letzte Beitrag behandelt die heutige Tiroler Landeshymne „Zu Mantua in Banden“ und somit jenes Lied, das am meisten mit den Tiroler Aufständen in Verbindung gebracht wird. Jedoch wurde es weder von einem Tiroler gedichtet, noch von einem Tiroler komponiert und ebenso wenig in Tirol um 1809 oder unmittelbar danach gesungen (Kapitel 17). Abschließend noch eine typografische Anmerkung: Liedtitel werden, ebenso wie Werktitel, Bezeichnungen von Institutionen u. ä. kursiv dargestellt, während Lied-, Strophen- und Refrainincipits wie Zitate unter Anführungszeichen gesetzt werden. Kapitel 1 „Den Stutzen hear, beym Soggara“. A Lied im Franzosen-Rummel 1796 Silvia Maria Erber Vom feurigsten Patriotismus beseelt, bildeten sich fast in ganz Tyrol Compagnien freiwilliger Landesvertheitiger, die sogleich an die Gränzen dem Feind entgegenzogen. So ward auch in Innsbruck eine Compagnie unter dem Namen der Exemten formirt, die aus Kavalieren, Beamten, Studenten und Bauern, beiläufig aus 200 Mann, bestand. Allenthalben ertönten patriotische Lieder, von denen die 2 nachstehenden als die beliebtesten von jung und alt überall gesungen wurden.1 So schildert der gebürtige Tiroler und lange als Domkapellmeister im Stephansdom zu Wien tätige Komponist und Dirigent Johann Baptist Gänsbacher (1778–1844) in seiner Autobiografie die allgemeine Aufbruchsstimmung in der Bevölkerung in den Jahren 1796 und 1797, als sich die Nachricht, die französischen Truppen seien schon in Tirol eingedrungen, wie ein Lauffeuer verbreitete. Gänsbacher2 hatte sich den freiwilligen Landesverteidigern angeschlossen.3 Seine Bemerkung über zwei „patriotische Lieder“ ist von besonderem Interesse, bietet sie doch einen der wenigen Kommentare aus zeitgenössischen Selbstzeugnissen, die wir über das Singen von politischen bzw. politisch verwendeten Liedern in der Zeit um 1800 in Tirol kennen. Eines der beiden 1796 besonders beliebten Lieder, von denen Gänsbacher berichtet, ist „Den Stutzen hear, beym Soggara“, zu dem er sogar die Melodie anführt (siehe Abb. 1).4 Der Text stammt, wie noch näher auszuführen ist, von Johann Friedrich Primisser (1757–1812). „Soggara“ ist eine verkürzende Verballhornung von „Sakrament“, ein Ausruf, der semantisch dem Ausruf „zum Teufel noch mal!“ entspricht („Her mit dem Gewehr, zum Teufel noch mal!“). Über den Urheber der Melodie ist hingegen nichts bekannt. Da Primisser für die meisten seiner Liedtexte bekannte Weisen verwendete und die Weise dem Textfluss nicht gut angepasst ist, kann man vermuten, dass sie bereits vor der Entstehung des Textes existierte. Der wehrhafte Tiroler – eine Interpretation Nur für wenige Lieder gibt es eine derart differenzierte Quellenlage wie für das Lied „Den Stutzen hear, beym Soggara“, das auch unter dem Titel A Lied im Franzosen-Rummel 1796 bekannt wurde. Diese Bezeichnung ist ganz offensichtlich eine Reminiszenz an den knapp hundert Jahre davor stattgefundenen „bayerischen Rummel“, von dem an späterer Stelle noch ausführlich zu sprechen sein wird. Zunächst sei hier die bekanntere, jedoch nicht ursprüngliche Version des Liedes angeführt, so wie sie in vielen Lieder büchern abgedruckt ist (S. 29f.). Walter Senn (Hg.): Johann Gänsbacher. Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, Thaur 1986, S. 5. Weitere biografische Angaben zu Gänsbacher finden sich im Kapitel 13 in diesem Band. 3 Senn (Hg.): Gänsbacher (wie Anm. 1), S. V. 4 Das zweite Lied „Feinde ringsum“ wird im Kapitel 4 in diesem Band ausführlich besprochen. 1 2 28 Kapitel 1 Abb. 1: Handschriftliche Aufzeichnung des Liedes „Den Stutzn her beym Soggara“ in der Autobiografie Denkwürdigkeiten aus meinem Leben von Johann Baptist Gänsbacher, 1796 (Tiroler Landesmuseum Fer dinandeum, Innsbruck, FB 15546). A Lied im Franzosen-Rummel 1796 A Lied im Franzosen-Rummel 1796. Den Stutzen hear, beym Soggara. Was wöll’n denn d’Franzosen? Hö! moanen sie mit ihrem Gschroa, Mier haben ’s Hearz in d’Hosen! An schwanzigen Tyrolar Bue Darfst du nit dreymal fragen; Weard er dir wirsch, aft schau nur zue, Er nimpt di glei bam Kragen. Die Walschen! ja, daß Gott erbarm, Seyn freila pure Heiter, Sihst afa den Tyrolar Arm? Huj! nur koan Schritt mea weiter. Ja, sproz nur einer Tuifelsboan, Mier wöll’n dirs schon drahnen, Was ’s Stutzl nit derthuet: derthoan Die Stoaner-Krafellahnen. Für üns ists krad a Kirchtatanz. Denn mier – mier halten zsamen, Und lieben Gott und Kaiser F r a n z Und ünser Landl Amen. A hab’n mier ünsrer Alten Lehr Bey weiten nit vergessen, Die haben sich mit Ruam und Ehr, Mit zwean auf oamal gmessen. Mei Voda hat mar oft erzöhlt: Wie er hat Boarn gschossen, Sie purzelten vom Bley geföllt Von machtig hoachen Rossen, Und was das hoaße Bley verschont, Dermaggeten die Stoaner, I selber sach im Oberland An Haufen Todtenboaner. A kamen bis ge Trient herauf Zu gleicher Zeit d’Franzosen, Aft der Tyrolar Stutzenlauf, Der hat sie machen losen. Der Pseirer und der Etschmann schoß Mit Heldenmueth darunter, Und jeder Schuß traf Mann und Roß, Da lag der ganze Plunder. Und mier – mier sollten g’schlechter sein, Als ünsere braven Alten? Huj auf Tyrolar würg, hau drein, Laß Stutzl nie derkalten. Du Oberländer, felsenvest Wie deine Ferner gfroaren, Stell di hinauf ins Adler Est [recte: Nest] Dött kannst sie niederboaren. 29 30 Kapitel 1 Der Unterländer Lotar nach Herauf in dicken Poisen, Er kuit Tabagg und kuiet Rach Und Toad für die Franzoisen. Der Vinschger steat schon eisenvest Der Nagste den Gefahren, Laßt sech’n, Mander! wer ziehts Best Wer treibt’n Feind zu Paaren. Laut hallt der Brenner und die Sill Von Kriegerjubel-Lieder, Lost Brüeder, was a Jubel, still Still vorwerts, vorwerts Brüeder. Dort kümmt der flinke Pustrer Buj Den Huet besteckt mit Rosen, A fuirigs Aug! mein Oada hui’ Wo, wo seyn denn d’Franzosen?5 Dieser Text beinhaltet viele typische Merkmale der zahlreichen mobilisierenden Lieder, die anlässlich der Landesverteidigung 1796 und 1797 verfasst wurden. Neben mehreren, meist am Beginn eines Verses benutzten Agitationsformeln („Den Stutzen hear […]!“, „Huj auf Tyrolar“, „Still vorwerts, vorwerts Brüeder“) benutzt der Dichter direkte Aufforderungen im Vokativ („würg, hau drein, / Laß Stutzl nie derkalten“, „Stell di hinauf ins Adler [N]est / Dött kannst sie niederboaren“, „Laßt sech’n, Mander!“) und die Strategie der Verharmlosung des Kampfes („für üns ists krad a Kirchtatanz“), um seinem Lied mehr Eindringlichkeit zu verschaffen. An schwanzigen Tyrolar Bue Darfst du nit dreymal fragen; Weard er dir wirsch, aft schau nur zue, Er nimpt di glei bam Kragen.6 „Der Tiroler fackelt nicht lange im Kampf“ – das ist die Grundaussage dieser Strophe und vieler anderer Verse, die sich nicht nur im Lied „Den Stutzen hear, beym Soggara“, sondern in fast allen Liedern finden lassen, die zur Mobilisierung 1796/1797 gedichtet wurden. Dass diese Art der Rhetorik, die den Tiroler Kriegern männliche, wehrhafte Charakterzüge zuschreibt, Mut machen möchte, ist in Agitationsliedern sicher nicht verwunderlich. Hinter dem Topos der „besonderen Wehrhaftigkeit“ der Tiroler Bevölkerung steckt aber Johann Friedrich Primisser: A Lied im Franzosen-Rummel 1796, in: Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 47–49; erster Druck in: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 145–147; siehe auch Franz Wilhelm von Ditfurth (Hg.): Historische Volkslieder der Zeit von 1756 bis 1871. 1. Band, 2. Heft: Die historischen Volkslieder vom Ende des siebenjährigen Kriegs, 1763 bis zum Brande von Moskau, Berlin 1872, S. 176–178. – Dass das Lied im Gegensatz zu Bauers Behauptung nicht von Johann Baptist Primisser (1739–1815), Archäologe und Schlosshauptmann zu Ambras, stammt, sondern von Johann Friedrich Primisser, gilt als unbestritten; siehe Othmar Schissel von Fleschenberg: „Die erste handschriftliche Fassung von J. F. Primissers Kriegslied ‚N’Stutzen hear bam Sokara‘ 1796“, in: Zeitschrift des Ferdinandeums, 3. Folge, 49. Heft (1905), S. 447–451. 6 Primisser: A Lied im Franzosen-Rummel 1796 (wie Anm. 5), S. 47. 5 A Lied im Franzosen-Rummel 1796 31 letztlich viel mehr als nur eine vorübergehende Kampfrhetorik.7 Weder wurde er in den Kriegs- und Kampfliedern der Jahre 1796 und 1797 neu erfunden, noch beschränkte er sich bloß auf lyrische Texte. Spätestens ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wird aus politischen, publizistischen sowie historiografischen Diskursen erkennbar, auf welche Weise die Wehrhaftigkeit der Tiroler zu einem Teil des „Tiroler Sonderweges“ wurde.8 Schon während der gesamten Neuzeit spielten die Elemente dieses Sonderweges keine unwesentliche Rolle. So betonten etwa die Tiroler Stände unter dem Hinweis auf die Tiroler Wehr verfassung des Jahres 1511 und den militärischen Erfolg des Jahres 1703 die herausragende Wehrhaftigkeit der Tiroler. Sie diente als Argumentation gegen die Bestrebungen des Landesfürsten bzw. der Zentralregierung in Wien, die Wehrverfassung Tirols zu ändern.9 Überhaupt, so führt die Historikerin Astrid von Schlachta aus, nahm die bewusste Erinnerung an die Privilegien und Rechte, die die Grafschaft Tirol von anderen Territorien im habsburgischen Herrschaftsgebiet in der Neuzeit unterschieden, einen wesentlichen Platz in der politischen Kommunikation zwischen den Ständen Tirols und der österreichischen Zentralregierung in Wien ein.10 Die Akzentuierung der besonderen Wehrhaftigkeit blieb lange auf den politischen, d. h. ständischen Diskurs beschränkt, ehe sie im 18. Jahrhundert, spätestens seit den Kämpfen gegen das französische Revolutionsheer 1796 und 1797, stärker in die öffentliche Sphäre rückte: „Die Ereignisse 1796/1797 hatten freilich dazu geführt, dass das Loblied der eigenen Wehrhaftigkeit auch über die politische Ebene der Stände hinaus nachklang“. Theaterstücke, Reisebeschreibungen und ähnliche Texte zeugen davon.11 So wie er bis in die Gegenwart noch in vielerlei Hinsicht nachklingt bzw. erstaunlich ernst genommen wird – man werfe nur einen Blick auf die Internetseiten einiger Schützenvereine –, erfüllte der Topos der Wehrhaftigkeit in den mobilisierenden Liedern der Jahre 1796 und 1797 natürlich in erster Linie einen appellativen Zweck. Die Adressaten in ihren Fähigkeiten zu bestärken, sie zu motivieren, ihnen mit klaren Worten verstehen zu geben, dass sie einem Kollektiv angehören, das schon in der Vergangenheit große militärische Erfolge erzielt habe, und dass seit jeher Tapferkeit, Mut und Wehrhaftigkeit den Tiroler auszeichneten, ist eine deutlich erkennbare Strategie der Mobilisierung. In vielen ähnlichen Liedern lesen wir von einem „tapfre[n] Schützenheere“12, von der „muth’gen“ oder auch „tapfern Brennenschaar“.13 Die Adjektive für die Tiroler sind Martin P. Schennach: „Der wehrhafte Tiroler. Zur Entstehung, Wandlung und Funktion eines Mythos“, in: Oswald Überegger / Camillo Zadra (Hg.): Region in Waffen / Regioni in armi, Innsbruck – Wien 2005 (Geschichte und Region / Storia e Regione 14/2), S. 81–112, hier S. 84–88. 8 Zum „Tiroler Sonderweg“ gehörten neben der besonderen Wehrhaftigkeit auch die politische Selbstständigkeit, der Katholizismus und die Habsburgertreue, die der Tiroler Bevölkerung einerseits zugesprochen wurde (und noch immer wird), die aber auch von ihr selbst gepflegt wurde; siehe Martin P. Schennach: Revolte in der Region. Zur Tiroler Erhebung von 1809, Innsbruck 2009 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 16), S. 143. 9 Schennach: Revolte (wie Anm. 8), S. 164f. 10 Astrid von Schlachta: „Die ‚Verfassung‘ des Landes – ein Erinnerungsort in der politischen Kommunikation in Tirol“, in: Brigitte Mazohl / Bernhard Mertelseder (Hg.): Abschied vom Freiheitskampf? Tirol und ‚1809‘ zwischen politischer Realität und Verklärung, Innsbruck 2009 (Schlern-Schriften 346), S. 129–152. 11 Schennach: Revolte (wie Anm. 8), S. 169. 12 Johann Baptist Primisser: Für die Tyroler Scharfschützenregimenter den 27n May 1796, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 39–42, hier S. 39; erster Druck in: Emmert (Hg.): Almanach (wie Anm. 5), S. 143–145. Siehe auch Liedindex, Nr. 114. 13 Joseph Freiherr von Hormayr zu Hortenburg: Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen und Landleuten, welche im Begriffe stehen, ihr Vaterland wider die alleszerstörende Frankreicher muthig zu vertheidigen, in: 7 32 Kapitel 1 „wax“14 (tapfer) und „unbesiegt“ („Ich weiß, daß ihr Tyroler seid! Und unbesiegt geblieben!“).15 Der „Heldenmuth“ wird ebenso beschworen („Greifet an mit Heldenmuth“, „Laßt den Heldenmuth nicht sinken“16) wie die Tapferkeit („Auf tapferes Tirol! Du Mutter selt’ner Schützen“,17 „Durch Muth, durch Treu’, durch Tapferkeit“18) und die Fähigkeit, mit der Waffe geschickt umzugehen („Auf tapferes Tirol! Du Mutter selt’ner Schützen“19 bzw. „Mit Adlerblicke zielt der Tyroler hin“20). Zum Stereotyp des wehrhaften Tirolers zählt weiters die Eigenschaft, sich nicht so schnell geschlagen zu geben: Fühlt den Unterschied der Menschen, Der in unsern rauhen Gränzen Voll von Muth und That beginnt Wißt, dass hier nicht Leute leben, Die sich schon gefangen geben, Eh sie noch den Kampf versucht.21 […] Wenn jener Muth in euch noch wohnet, Der einstens die Franzosen schlug, Der keiner Feinde je geschonet. Und nie getrauet dem Betrug.22 Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 5–7, hier S. 5. Siehe auch Liedindex, Nr. 146. Der eingedeutschte Begriff „Brennen“, wie hier in „Brennenschaar“, ist vermutlich ein Rückgriff auf die antike Bezeichnung für eine ethnische Gruppe, die im ersten nachchristlichen Jahrhundert zur Zeit des Durchzugs der römischen Truppen in der Nähe des Alpenpasses südlich von Innsbruck, am „Brenner“, lebte; siehe Karlheinz Dietz: „Breuni (Breones)“, in: Hubert Cancik / Helmuth Schneider (Hg.): Der Neue Pauly. Enzyklopädie der Antike. Altertum. 2. Band: Ark–Ci, Stuttgart – Weimar 1997, Sp. 769f. Die Verwendung antiker Termini verrät an dieser Stelle den gebildeten Autor. Der Begriff der „Brennenschaar“ soll in diesem Lied in erster Linie die Kontinuität des eigenen Volkes bis in die Antike belegen. 14 Peter Paul Staudacher: An die frischen Tyroler bey Gelegenheit des Franzosen Krieges. Verfaßt und abgesungen mit Begleitung der türkischen Musik von P. P. Staudacher, Chorregent den 3. Julius 1796, auf der Schießstatt zu Schwaz, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 10–12, hier S. 10, sowie in: Ditfurth (Hg.): Die historischen Volkslieder (wie Anm. 5), S. 217f. Siehe auch Liedindex, Nr. 79. 15 Hormayr-Hortenburg: Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen (wie Anm. 13). 16 Anon.: Schützen-Lied von einem Bauern von Hötting gemacht 1796, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 16–19, hier S. 17; siehe auch Flugblatt am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck (im Folgenden: TLMF), FB 1197/83, und Emmert (Hg.): Almanach (wie Anm. 5), S. 130– 132. Siehe auch Liedindex, Nr. 10. 17 Anon.: Empfindungen eines getreuen Patrioten bei Vertheidigung des Vaterlandes (1796), in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 20. Siehe auch Liedindex, Nr. 144. 18 Riedl (Vorname nicht überliefert): Wahrheiten für gegenwärtigen Zeitpunct. An alle Tyroler und Freunde des Fürsten, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 21–26, hier S. 23; erster Druck in: Emmert: Almanach (wie Anm. 5), S. 126–130. Siehe auch Liedindex, Nr. 145. 19 Anon.: Empfindungen eines getreuen Patrioten (wie Anm. 17). 20 J. Rinna (Vorname nicht überliefert): An die Tyroler, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 31–33, hier S. 32; erster Druck in: Emmert: Almanach (wie Anm. 5), S. 121f. Siehe auch Liedindex, Nr. 171. 21 Anon.: Lied der wackeren Etschländer die zur Vertheidigung des Vaterlandes auf den Gränzen stehen, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 57–60, hier S. 59. Siehe auch Liedindex, Nr. 107. 22 Riedl: Wahrheiten für gegenwärtigen Zeitpunct (wie Anm. 18), S. 21. A Lied im Franzosen-Rummel 1796 33 Eine weitere den Tirolern attestierte Eigenschaft ist die Unerschrockenheit vor dem Feind: Denkt es hat der Saft der Reben Uns auch Kraft, und Muth gegeben Feindes Menge nicht zu scheu’n; – Kommt ihr gleich zu vielen tausend, Kommt ihr gleich wie Stürme brausend; Zittert kein Tyroler nicht.23 Tapfre Waffenbrüder! Brauchet nach Tyroler-Sitt Eure Röhre wieder.24 Im Lied „Den Stutzen hear, beym Soggara“ stechen vor allem einige Strophen besonders ins Auge, verknüpft sich doch hier die Rhetorik der Wehrhaftigkeit mit der „Erinnerung“ an ein konkretes historisches Ereignis, das trotz seiner großen zeitlichen Distanz zu 1796, nämlich beinahe hundert Jahre, immer noch einen wesentlichen Platz in der Erinnerungskultur der Menschen einnahm. Ich zitiere nochmals aus unserem Lied: […] A hab’n mier ünsrer Alten Lehr Bey weiten nit vergessen, Die haben sich mit Ruam und Ehr, Mit zwean auf oamal gmessen. Mei Voda hat mar oft erzöhlt: Wie er hat Boarn gschossen, Sie purzelten vom Bley geföllt Von machtig hoachen Rossen, Und was das hoaße Bley verschont, Dermaggeten die Stoaner, I selber sach im Oberland An Haufen Todtenboaner. A kamen bis ge Trient herauf Zu gleicher Zeit d’Franzosen, Aft der Tyrolar Stutzenlauf, Der hat sie machen losen. Der Pseirer und der Etschmann schoß Mit Heldenmueth darunter, Und jeder Schuß traf Mann und Roß, Da lag der ganze Plunder. Und mier – mier sollten g’schlechter sein, Als ünsere braven Alten? […]25 Anon.: Lied der wackeren Etschländer (wie Anm. 21), S. 58f., sowie TLMF, Dip. 193. Anon.: Lied für die Tyrolischen Landesvertheidiger beym zweyten Einbruche der Franzosen. 1797, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 83–87, hier S. 83. Siehe auch Liedindex, Nr. 169. 25 Primisser: A Lied im Franzosen-Rummel 1796 (wie Anm. 5), S. 48. 23 24 34 Kapitel 1 Bezug genommen wird auf das Jahr 1703, heute bekannt als das Jahr des „Bayern einfalls“ bzw. des „bayerischen Rummels“. Damals gelangte Tirol zwischen die Fronten des Spanischen Erbfolgekrieges, der zwischen 1701 und 1714 auch aufgrund kolonialer Interessen der verschiedenen Gegenspieler große Teile der damals bekannten Welt involvierte und deshalb in der Literatur auch bereits als „Weltkrieg“ bezeichnet wird.26 Nach dem Tod des kinderlosen spanischen Königs Karl II. im Jahr 1700 kam es infolge mehrerer, unterschiedlicher Erbansprüche zu einem Krieg zwischen Frankreich und Bayern auf der einen und der habsburgischen Monarchie, dem Heiligen Römischen Reich und seinen Verbündeten Großbritannien, Niederlande, Preußen und Savoyen auf der anderen Seite. Während der bayerische Kurfürst Max Emanuel den Thronanspruch von Philip von Anjou von Frankreich unterstützte und sich damit gegen die Reichs politik stellte, strebten die Verbündeten der Habsburger, vor allem England, durch ihre militärische Unterstützung auf der Seite des habsburgischen Kandidaten Karl III. (des späteren Kaisers Karl VI.) einen Ausgleich der europäischen Machtpolitik an, der im Falle, dass Frankreich und Spanien unter die bourbonische Krone gelangten, nicht mehr garantiert gewesen wäre. Der bayerische Kurfürst Max Emanuel erblickte in diesem Krieg die Möglichkeit zur Realisierung seiner expansiven Pläne bzw. auch zur Erlangung einer Königskrone, wenn nötig selbst im Tausch.27 Auch Tirol suchte er aufgrund alter mittelalterlicher Ansprüche einzunehmen.28 Nach den Besetzungen mehrerer freier Reichsstädte und damit dem Beginn eines Krieges zwischen dem Reich und einem wichtigen Reichsstand erfolgte im Juni 1703 der Einmarsch in Tiroler Territorium. Nach der Einnahme der größeren Ortschaften im Unterinntal konnte der Vormarsch des bayerischen Heeres von den zum Landsturm einberufenen Männern mithilfe unüblicher Kampftaktiken wie Steinlawinen und ins Rollen gebrachte Baumstämme an der Pontlatzer Brücke bei Landeck gestoppt werden. Schon kurze Zeit später, nach einigen weiteren Scharmützeln im Unterland, galt Tirol als zurückerobert, das bayerische Heer hatte sich bis Kufstein zurückziehen müssen. Die Ereignisse des Jahres 1703 galten fortan, wie oben bereits kurz ausgeführt, als ein Beispiel für die besondere Wehrhaftigkeit der Tiroler Bevölkerung. „Die Tragweite und Wirkung dieses Ereignisses aber“, urteilt der Historiker Georg Mühlberger, „reicht über ein gutes Jahrhundert herauf bis zu den Kämpfen von 1809“.29 Der Dichter des Liedes strengt im oben zitierten TextNeuere Aufsätze dazu z. B. in: Friedrich Edelmayer / Virginia León Sanz / José Ignacio Ruiz Rodríguez (Hg.): Hispania – Austria III. Der Spanische Erbfolgekrieg, Wien – München 2008 (Studien zur Geschichte und Kultur der iberischen und iberoamerikanischen Länder 13). 27 Leopold Auer: „Zur Rolle Bayerns in der Anfangsphase des Spanischen Erbfolgekrieges“, in: Martin P. Schennach / Richard Schober (Hg.): 1703. Der „Bayerische Rummel“ in Tirol. Akten des Symposiums des Tiroler Landesarchivs Innsbruck, 28.–29. November 2003, Innsbruck 2003 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 10), S. 39–50, hier S. 40. 28 Georg Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe (1665–1814)“, in: Josef Fontana / Peter W. Haider / Walter Leitner / Georg Mühlberger / Rudolf Palme / Othmar Parteli / Josef Riedmann (Hg.): Geschichte des Landes Tirol. 2. Band: Die Zeit von 1490 bis 1848, Bozen – Innsbruck – Wien 1986, S. 290–562, hier S. 304f. Speziell zur bayerischen Perspektive: Reinhard Heydenreuter: „Der ‚Bayerische Rummel‘ 1703 aus der Sicht bayerischer Quellen“, in: Schennach/Schober (Hg.): Der „Bayerische Rummel“ (wie Anm. 27), S. 83–98. 29 Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe“ (wie Anm. 28), S. 304–306. Zu den ökonomischen Folgen dieser Invasion siehe Franz Mathis: „Der ‚Bayerische Rummel‘ 1703 und die Tiroler Bevölkerung: Wie groß waren die Schäden?“, in: Schennach/Schober (Hg.): Der „Bayerische Rummel“ (wie Anm. 27), S. 75–82. 26 A Lied im Franzosen-Rummel 1796 35 beispiel eine unübliche Art der Personalisierung an, wenn er von seinem eigenen Vater erzählt, der selbst an der Pontlatzer Schlacht teilgenommen haben soll – in Anbetracht der drei Generationen, die zwischen 1703 und 1796 gelebt haben, ein offenkundiger rhetorischer Kunstgriff. Das Auffällige an den Liedtextstellen mit Bezug auf 1703 ist – und davon gibt es nicht wenige –, dass sie wie kleine Erzählungen anmuten, sich über mehrere Strophen erstrecken und somit in einigen Liedern außerordentlich breiten Raum einnehmen. Die Männer, die damals kämpften, werden als „Väter“ bezeichnet – natürlich mit der Absicht, die Identifikation der 1796 und 1797 kämpfenden Männer mit ihren Vorgängern zu intensivieren. Fast alle diese Lieder schließen mit einem Aufruf, dem Beispiel der Ahnen zu folgen, wie auch in den folgenden Liedbeispielen: Werft auf eurer Väter Thaten einen Blick zurück; Diese frommen Helden bathen Gott um Segen, und sie hatten Sieg und Ehr und Glück. […] Denkt an Eure Ahnen stolz zurück, an die Siegesfahnen und ihr Glück. Gallier und Bajoaren, die das Land verheert, trieben sie in großen Schaaren, doch zu gleich Zeit zu Paren, Wie die Chronik lehrt. Folget dieser Lehre, Folgt ihr nach Ladet in die Röhre Tod und Rach.30 Blick tröstlich auf die Zeit, auf ’s Beispiel deiner Ahnen, Auf ihr’ durch Tapferkeit erworbne Siegesfahnen. Sie gingen dir voraus im Feldzug Anno D r e y , Mit vollem Heldenmuth, sie stritten ohne Scheu, Auf Gottes Macht gestützt, ergriffen sie die Waffen, Um den sehr stolzen Feind aus ihrem Land zu schaffen, Der auch gleich weichen mußt’ mit allen seinen Listen: Sie kämpften ritterlich, und siegten auch als Christen. Folgt also ihnen nach, schwört Gott und Kaiser Treu, Bleibt wie die Felsen fest, hegt weder Furcht noch Reu, […] Und ihrer Ahnen Ruhm noch in dem Grab zu mehren.31 Auf die 1703 erfolgreich erprobte Gefechtsstrategie des Steinerollens kommen die Lieddichter des Öfteren zu sprechen, im vorhin zitierten Beispiel ebenso wie in den folgenden: Ergreift den Stutzen noch einmahl, Die Lanze, die Musquette; Häuft rege Steine ohne Zahl Auf unsrer Felsenkette! Primisser: Für die Tyroler Scharfschützenregimenter (wie Anm. 12). Anon.: Aufmunterung des getreuen Tyrolers zum Vaterlands-Schutze; Verfasst von einem getreuen Patrioten zu Innsbruck 1796, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 3f.; erster Druck in: Emmert (Hg.): Almanach (wie Anm. 5), S. 123f. Siehe auch Liedindex, Nr. 142. 30 31 36 Kapitel 1 Zeigt euch der braven Väter werth, Die haben euch den Kampf gelehrt Auch ohne Stuck und Pferd!32 Wann der Tyrolar will, (Ös därfts mars glabn) Falln Französlar viel, Fülln dö Grabn. Sia wissans lange schain, Wie mar jens machn: Büchsn und Häuf ’n Stain Laß mar drauf krachn.33 Die Bezeichnung der Väter bzw. Ahnen als Helden lässt auch auf den Stellenwert schließen, den die Erinnerung an 1703 („Anno Drey“, wie es in diesen Quellen oft heißt) einnimmt: Oft war Tyrol in der Gefahr, doch ging es nie zu Grunde. Es riß der tapfern Brennenschaar es aus Alektos34 Schlunde. Bleibt eurer Aeltern Tugend hold! Ihr siegt; nach tapfer’m Streiten wie einstens unter Leopold so unter F r a n z d e m Z w e y t e n .35 Tyroler unbesiegte Treu Ist immer noch wie Anno Drey, Was unsre Arme stählt.36 Gleichet eurer Väter Stärke, Die die Zahl zum Fall gebracht; Mit vereinter Helden Werke – Trotzten sie der Uebermacht.37 Anon.: Das höchste Geburtsfest Sr. Majestät des Kaisers Franz des Zweyten, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 92f., hier S. 93, sowie in Ditfurth (Hg.): Die historischen Volkslieder (wie Anm. 5), S. 218f. Siehe auch Liedindex, Nr. 148. 33 Peter Paul Staudacher: Duxer-Lied an die Tyrolischen Landesvertheidiger von P. P. Staudacher, Chorregent zu Schwatz 1797, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 96–99, hier S. 97, sowie in: Ditfurth (Hg.): Die historischen Volkslieder (wie Anm. 5), S. 219–222, hier S. 220, und in: Friedrich Leonard von Soltau (Hg.): Ein Hundert Deutsche Historische Volkslieder, Leipzig 1836, Nr. 91, S. 570–574, hier S. 572. Siehe auch Liedindex, Nr. 137. 34 Alekto ist in der griechischen Mythologie eine der Rachegöttinnen, genannt Erinyen; vgl. Wolfgang Fauth: „Erinys“, in: Konrat Ziegler (Hg.): Der Kleine Pauly. Lexikon der Antike, 2. Band, Innsbruck 1967, S. 358f. 35 Hormayr zu Hortenburg: Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen (wie Anm. 13), S. 7. 36 Anton von Remich: Kriegslied beym Abmarsche der Tyroler Scharfschützen im May 1796, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 56f., hier S. 56. Siehe auch Liedindex, Nr. 150. 37 M. E. Ment (Vornamen nicht überliefert): Erfahrung für gegenwärtige Lage den Bürgern Innsbrucks geweiht von einem patriotischen Freunde M. E. M., den 12ten Juni 1796, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 8–10, hier S. 8. Siehe auch Liedindex, Nr. 143. 32 A Lied im Franzosen-Rummel 1796 37 Wie wird’s eure Väter im Grabe dann freu’n, Wenn ihr, wie sie bieder, und tapfer werd’t seyn, Sie haben die Feind aus dem Lande gejagt –! Vereinigte Brüder! seyd auch nicht verzagt! –38 Wenn jener Muth in euch noch wohnet, Der einstens die Franzosen schlug […].39 Zunächst mag es erstaunlich wirken, dass sich Lieddichter der Jahre 1796 und 1797 mit einer derart großen Intensität auf die Ereignisse von 1703 beziehen und diese sogar teilweise als miterlebte Geschehnisse darstellen. Doch die Ähnlichkeit der beiden Kriege – das mit den Franzosen verbündete bayerische Heer, der Umstand, dass in beiden Fällen die Tiroler bei der Landesverteidigung im Wesentlichen auf sich alleine gestellt waren und von den österreichischen Truppen kaum unterstützt wurden – bietet eine Erklärung dafür. Die Liedtexte deuten darauf hin, dass die Bevölkerung als Adressat dieser Lieder mit den Hinweisen auf 1703 einen Gegenwartsbezug herstellen konnte. Diese Erkenntnis ist wenig überraschend, wenn man sich die damalige zeitgenössische Publizistik vor Augen hält. Diese trug einen beträchtlichen Teil zur Verbreitung des Bildes vom „wehrhaften Tiroler“ im Jahre 1703 bei, ehe „Anno Drey“ von „Anno Neun“ in seiner Bedeutung abgelöst wurde. Die Flugblätter der kaiserlichen Propaganda zur Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges, in denen naturgemäß der Sieg der Tiroler heroisiert wird, sowie historische Abhandlungen und Lexikaartikel des frühen 18. Jahrhunderts zeigen, dass der Topos des wehrhaften Tirolers durch das Erlebnis von „Anno Drey“ eine wesentliche Vertiefung erfuhr,40 die offensichtlich in den Liedern fast hundert Jahre später eine bemerkenswerte Fortsetzung fand. Der Dichter des Liedes „Den Stutzen hear, beym Soggara“ selbst, Johann Friedrich Primisser, hatte zu den Ereignissen von 1703 einen ganz besonderen Zugang, denn er schrieb 1782 darüber ein „vaterländisches“ Theaterstück, in dem die Episode rund um Martin Sterzinger und die Schlacht bei der Pontlatzer Brücke zwischen den Bayern und den Tirolern in ein heroisches Licht gerückt wird.41 Die Mythifizierung des wehrhaften Tirolers setzte also bereits mit den Ereignissen des Jahres 1703 ein und erlebte in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine neuerliche Aufwertung, die schließlich noch rund hundert Jahre später in Liedern über das wehrhafte „Selbstverständnis“ der Tiroler zu erkennen ist. Die Relevanz des Jahres 1703 für die Behauptung, dass die Tiroler besonders wehrhaft seien, ist offenkundig. „Anno Drey“ dürfte am Ende des 18. Jahrhunderts in Tirol eine durchaus lebhaft „erinnerte“ Episode gewesen sein, wenn sie einen derart markanten Platz in den Liedquellen einnimmt. Staudacher: An die frischen Tyroler (wie Anm. 14), S. 11. Riedl: Wahrheiten für gegenwärtigen Zeitpunct (wie Anm. 18), S. 21. 40 Schennach: „Der wehrhafte Tiroler“ (wie Anm. 7), S. 84–88. 41 Johann Friedrich Primisser: Martin Sterzinger oder der bayrische Einfall ins Tirol. Ein vaterländisches Schauspiel in 5. Aufzügen, Innsbruck 1782; siehe Karl Goedeke (Hg.): Grundriß zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen, 6. Band, Buch 7, 1. Abteilung, Leipzig – Dresden – Berlin 1892, S. 658. 38 39 38 Kapitel 1 Kriegsmobilisierung für das Reich Im Jahr 1905 verglich der Philologe Othmar Schissel von Fleschenberg unterschiedliche Textversionen des Liedes „Den Stutzen hear, beym Soggara“ und veröffentlichte erstmals die handschriftlich überlieferte „Urversion“ des Liedtextes von Johann Friedrich Primisser selbst. Primissers Überarbeitungen zeigen, dass er ursprünglich eine andere Intention verfolgte, als die Tiroler für die eigene Landesverteidigung 1796 zu mobilisieren: N’Stutzen hear bam Sokara Was wölln denn d’Franzosen He! moanen si mit ihrem Gschroa Mier haben ’s Hearz in d’Hosen: a schwantziger Tiroler Bue laßt si aft nit lang trotzen und wird er wirscht, schau ainer zue er schlagt ihm in die Fotzen. Bis sie enk einer kemen thoan da mögt es lang no warten D’Hussaren hacken an ihrem Boan die Sabel voller Scharten. Mier reißen da die Mäuler auf und stecken d’Händ in d’Hosen Draus krachts und würgt man tapfer drauf Mier gaffen da und losen. Mein oada Bueben dös wär a Schand! Was wuren die Leute sagen? und kam a Rotzar ausn fremdn Land Er nahm di glei ban Kragen. Drum nehm ein jeder sein Stutzl mit und thu ers fleißig wischen die Kugel muss auf tausend Schritt dem Feind um d’Oar’n zischen. Mei Voda hat mär oft erzählt, Wie er hat Boarn gschossen sie purzelten vom Bley geföllt von machtig hoachen Rossen. Und was das hoase Bley verschont, dermaggeten die Stoaner, i selber sach in Oberlond ein Haufen Leichenboaner. Und znagst erst in dem Türkenkrieg da wars a Jubel gwesen. Auf jeden Schuß sachst du die Bieg in d’Heach: – im Sand die Fresen. Tiroler! hieß es, putz mir dort den Türken Laggl wecka aft schlog i on, a Mann a Wort da lag er schon im Drecka. A Lied im Franzosen-Rummel 1796 39 Wie mancher schob a Tatz voll Gold in seinen leeren Beutel! Der Urschele Natz, der Huisen Pold der Zigersuppenveitel Und hundert andre thaten si a Heuratgüetl a t Seiten Die ruits in ihrem Leben nie, und freun si voarn Leuten. Wenn eppar oanar afs Fensta geat Vom Mensch Pfietgott zu nehman Da rotzts und rearts nit lang und theat mar halt fein wiedar kemman. aft hoaßts marschiert was geist was hast obaus ins blueti Schwaben da lassmar uns koa Rueh koa Rast, bis mir d’Victory haben.42 Bei genauerem Hinsehen entpuppte sich Primissers Text nämlich als Kampfaufruf an die Tiroler, am Koalitionskrieg gegen die Franzosen teilzunehmen und damit für Österreich und das Heilige Römische Reich zugleich zu kämpfen und nicht, wie später in der Umdichtung, nur das eigene Land zu verteidigen. Als im April 1792 der erste Koalitions krieg begann, war dies ursprünglich eine Auseinandersetzung zwischen Österreich – oder genauer gesagt: dem König von Böhmen und Ungarn – und Preußen, die sich in der Pillnitzer Deklaration auf eine Defensivallianz gegen das revolutionäre Frankreich geeinigt hatten. Die Unterstützung der anderen Reichsstände hatten die Berater des kurze Zeit nach Ausbruch des Kriegs zum Kaiser gewählten Franz II. eher zögerlich und nach Monaten des Kriegszustandes gesucht. Diese Hilfe blieb Österreich und Preußen auch anfänglich versagt, erst im März 1793 wurde aus dem Krieg zweier Reichsstände gegen Frankreich ein Reichskrieg.43 Nach der Hinrichtung des französischen Königs Ludwig XVI. im Jahr 1793 erweiterte sich die Allianz gegen Frankreich schließlich um Großbritannien, Spanien, Portugal, Neapel, das Königreich Piemont-Sardinien und die Niederlande. In der zweiten Strophe ist von den österreichischen Truppen („Husaren“) die Rede, die in den Schlachten in Italien anfänglich siegreich waren. In der drittletzten Zeile des Liedes erfolgt die direkte Aufforderung, „ins blueti Schwaben“ zu marschieren, um dort bis zum Sieg zu kämpfen. Die Tiroler sollten sich also der alliierten Rheinarmee, die unter österreichischen Generälen wie Dagobert Sigmund Graf von Wurmser und Erzherzog Karl von Österreich-Teschen am Ober- und Niederrhein mehrere Schlachten gegen die französische Revolutionsarmee schlug, anschließen. Es ging Primisser somit nicht um die Siehe Schissel von Fleschenberg: „Die erste handschriftliche Fassung von J. F. Primissers Kriegslied ‚N’Stutzen hear bam Sokara‘ 1796“ (wie Anm. 5), S. 449–451. Dieses handschriftliche Original liegt am TLMF, Dip. 1037/8. 43 Genauer nachzulesen bei Brigitte Mazohl: „‚Zwischen Reichsverfassung und Staatsabsolutismus‘: Regieren in Zentrum und Peripherie in den Krisenjahren um 1800“, in: Marco Bellabarba / Ellinor Forster / Hans Heiss / Andrea Leonardi / Brigitte Mazohl (Hg.): Eliten in Tirol zwischen Ancien Régime und Vormärz. Akten der internationalen Tagung vom 15. bis 18. Oktober 2008 an der Freien Universität Bozen, Innsbruck – Wien – Bozen 2010 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 31), S. 31–59, hier besonders S. 41–44; siehe auch Karl Otmar Freiherr von Aretin: Vom Deutschen Reich zum Deutschen Bund, Göttingen 1980 (Deutsche Geschichte 7), S. 71–77. 42 40 Kapitel 1 Landesverteidigung Tirols – die ja zu diesem Zeitpunkt noch nicht notwendig geworden war –, sondern um eine Agitation für die österreichische Armee, die mittlerweile, nach dem Ausstieg Preußens aus diesem ersten Revolutionskrieg mit dem Frieden von Basel 1795, nur mehr de facto mit Unterstützung einiger Reichsstände auf zwei Kriegsschauplätzen, dem Rheingebiet und Oberitalien, gegen die Übermacht Frankreichs kämpfte. Aufgrund der historischen Ereignisse vermutete Othmar Schissel von Fleschenberg, dass Primissers Text in der zweiten Aprilhälfte 1796 entstanden sei. Da sich im Frühjahr 1796 aber die Kriegssituation schnell änderte und am 14. Mai 1796 offiziell verkündet wurde, dass Tirols Grenzen von Napoleons Truppen vom Süden her bedroht seien,44 arbeitete Primisser sein Lied offensichtlich – und das ist anhand seiner Handschrift und der vielen Streichungen und Änderungen gut nachvollziehbar – so um, dass der Text schließlich mit der neuen politischen Lage Tirols übereinstimmte. Demgemäß urteilte Schissel von Fleschenberg richtig:„Sie [die erste Handschrift] war vom Beamten Primisser als loyale Propaganda für die verfassungsmäßig nicht notwendige Beteiligung Tirols an den Kämpfen der Rheinarmee gedacht, aber infolge des schnell umgeschlagenen Kriegsglückes kaum ausgegeben worden“.45 Das Lied im Franzosen-Rummel 1796 wurde auf Flugblättern verbreitet und fand – und das merkte ja schon, wie eingangs erwähnt, Johann Baptist Gänsbacher an – offenbar auch unter der Bevölkerung regen Anklang. Ein Bürger dichtet für Bauern Anders als bei den vielen Kriegs- und Kampfliedern, die anlässlich des Eindringens der französischen Truppen in Tirol gedichtet, gedruckt und verteilt wurden, ist der Dichter dieses Liedes nicht anonym. Johann Friedrich Primisser (1757–1812) gilt als einer der bekanntesten Dichter von Tiroler „Kriegsliedern“ um 1800 und konnte seinen größten, weil nachhaltigsten, Erfolg wohl mit seinem Dialektlied „Den Stutzen hear, beym Soggara“ verbuchen. Primisser wurde am 21. August 1757 in Prad am Stilfserjoch als ältester Sohn eines Webers und seiner Gattin geboren und entstammte einer Familie, der mehrere bekannte Persönlichkeiten angehörten.46 Über seine schulische Laufbahn sind keine Zeugnisse erhalten, doch seine weiteren Anstellungen als Beamter lassen die Schlussfolgerung zu, dass er eine „über seinen Stand hinausgehende gelehrte Erziehung“ erhalten haben dürfte. 1785 trat er die Stelle als „k. k. Gubernial-Registraturs- und Archivsofficial“ in Innsbruck an, 1802 wurde er „wirklicher Archivar und Registratursdirector“ beim tirolischen Landesgubernium, worin er 1806 von der bayerischen Regierung bestätigt wurde.47 Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe“ (wie Anm. 28), S. 468. Othmar Schissel von Fleschenberg: „Johann Friedrich Primissers Leben“, in: Zeitschrift des Ferdinandeums, 3. Folge, 50. Heft (1906), S. 479–494, hier S. 489. 46 Sein Cousin Karl (später Kassian) Primisser war ein Zisterziensermönch zu Stams, der als Sohn von „unbemittelten Bauersleuten“ die geistliche Laufbahn einschlug und sich auch literarisch betätigte. Karl Primissers Bruder Johann Baptist Primisser war von 1771–1806 Schlosshauptmann in Ambras bei Innsbruck; siehe dazu Joseph Bergmann: Die fünf gelehrten Primisser. Separatdruck aus den Berichten und Mittheilungen des Wiener Alterthums-Vereins, Wien 1861, S. 4–44. 47 Othmar Schissel von Fleschenberg: „Primisser, Johann Friedrich“, in: Allgemeine deutsche Biographie 53 (1907), S. 119f., hier S. 119 (Onlinefassung); http://www.deutsche-biographie.de/pnd124543766. html?anchor=adb (29. 07. 2013). 44 45 A Lied im Franzosen-Rummel 1796 41 Neben seiner beruflichen Tätigkeit als Beamter machte er bereits früh als Dichter auf sich aufmerksam. 1782 erschien unter seinem Namen das bereits genannte Drama Martin Sterzinger, das die Geschichte des gleichnamigen Tiroler Bauernführers und der Schlacht bei der Pontlatzer Brücke im Jahr 1703 mit den Bayern zur Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges erzählt.48 Etwa zehn Jahre später erschienen Gedichte, in denen Primisser der Erzherzogin Maria Elisabeth, einer Tochter Maria Theresias, die damals Äbtissin des Adeligen Damenstiftes in Innsbruck war, und einem Professor namens Thomas Hamer huldigt. Im Jahr 1796 schließlich schuf Primisser A Lied im Franzosen-Rummel 1796 – besser bekannt unter dem Liedincipit „Den Stutzen hear, beym Soggara“. Das Urteil über sein literarisches Schaffen ist nicht unbedingt positiv. Seine Dichtkunst wurde um 1900 als „loyale Gelegenheitspoesie“49 und als „amtliche Gelegenheitsdichtung“50 bezeichnet. Er sei ein Vertreter der „Tendenzpoesie“ gewesen und habe die Durchschnittspoesie seiner Zeit „infolge seines oberflächlichen rationalistisch-amt lichen Verhältnisses zur Dichtung“ nicht überboten.51 Diese Formulierungen stammen allesamt von Othmar Schissel von Fleschenberg, einem Philologen, der als Primissers Biograf bezeichnet werden kann, setzte er sich doch in einigen Aufsätzen mit dem Tiroler Dichter und seinen Werken auseinander. „Den Stutzen hear, beym Soggara“ schätzt Schissel von Fleschenberg übrigens als „das Beste, was jene [die tirolische Dichtung] im 18. Jahrhundert zu schaffen vermochte“, ein.52 Primisser dichtete die meisten seiner Werke in einem Dialekt, der nicht sein eigener war. Dies garantierte seinen Dichtungen zwar den unmittelbaren Erfolg in der Bevölkerung, brachte ihm aber später von Kritikern wie Johannes Engensteiner Spott ein: „[…] denn Primisser wendet keinen genau bestimmten Dialekt an und es entschlüpfen ihm mitunter Ausdrücke und Wendungen, welche mit dem Geiste der Volkssprache ganz unvereinbar sind, so dass ein unerquickliches Gemisch von Hochdeutsch und willkürlich zurecht gemachter Mundart entsteht.“53 Ab den 1870er-Jahren beginnt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Primissers Kriegsliedern, allen voran mit dem hier im Vordergrund stehenden Lied „Den Stutzen hear, beym Soggara“. Dass mehrere kleine Publikationen nur über dieses Lied verfasst wurden, zeigt seinen Bekanntheitsgrad im 19. Jahrhundert auf.54 Der Gebrauch von Tiroler Dialekten in den anlässlich der Landesverteidigung 1796/1797 gedichteten Kriegs- und Kampfliedern ist nicht zufällig. Obwohl wir nur von wenigen Dichtern den sozialen Hintergrund kennen, fällt auf, dass gerade Autoren aus bürgerlichem Milieu gerne auf die „Volkssprache“, den Dialekt der Tiroler Bauern, zurückgriffen. Hält man sich den besonderen Charakter des allgemeinen Landsturms 1796/1797 vor Augen, verwundert die Sprachwahl nicht. Alle waffenfähigen Männer Vgl. Primisser: Martin Sterzinger (wie Anm. 41); siehe auch Goedeke: Grundriß (wie Anm. 41), S. 658. Schissel von Fleschenberg: „Primisser“ (wie Anm. 47), S. 120. 50 Schissel von Fleschenberg: „Johann Friedrich Primissers Leben“ (wie Anm. 45), S. 483. 51 Ebd., S. 480. 52 Schissel von Fleschenberg: „Die erste handschriftliche Fassung von J. F. Primissers Kriegslied ‚N’Stutzen hear bam Sokara‘ 1796“ (wie Anm. 5), S. 447. 53 Johannes Engensteiner: Zur mundartlichen Dichtung in Tirol. Eine Skizze, Programm der städtischen und Bürgerschule in der Angerzell zu Innsbruck, Innsbruck 1873, S. 5. 54 Ebd.; Ludwig von Hörmann: „Die tirolischen Kriegslieder aus den Jahren 1796, 1797 und 1809 (Zum Jahrestage der Schlacht von Spinges am 2. April 1797)“, in: Bote für Tirol und Vorarlberg 65 (1879), 3. April 1879, S. 597. 48 49 42 Kapitel 1 wurden einberufen, mussten mobilisiert werden, und die gesamte Bevölkerung, die in Tirol um 1800 zum größten Teil dem Bauernstand zuzurechnen war, sollte in eine kriegsbereite, kampfbejahende Stimmung versetzt werden. Die Entscheidung vieler Lieddichter, ihre Texte in einem Dialekt zu formulieren, der gar nicht ihrem eigenen entsprach, war also ein bewusster, kalkulierter Schritt, um die Wirksamkeit und damit den Erfolg ihrer Texte zu erhöhen. Schon Adolf Pichler (1819–1900), einer der bekanntesten Tiroler Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, äußerte sich in seinem Werk Zur Tirolischen Literatur über die oft bürgerliche Herkunft der im bäuerlichen Ton verfassten Lieder der Kriegsjahre Tirols um 1800: Nicht die Bauern, denn diese dachten lieber an’s Dreinschlagen, sondern Herren im ‚Spatzenfrack‘ betätigten so ihre gute Gesinnung; diese Gedichte sind daher, wie sich Fall für Fall nachweisen lässt, städtischen Ursprungs und meist für städtische Kompagnien bestimmt. Einige versuchten Ton und Dialekt der Bauern beizubehalten, wie [Peter Paul] Staudacher, der Chorregent zu Schwaz und der gelehrte Primisser; ihre Reime sind weitaus am besten und auch heute noch lesbar.55 Die Dialektlieder würden das „Verhältnis des Volkes zu den Hohen und Mächtigen geschickt symbolisier[en]“,56 die „neupatriotischen Mundartlieder“ seien Ausdruck der Sympathien, die sich in dieser Zeit in der gebildeten Schicht gegenüber dem bäuerlichen Volk formten.57 Auch wenn die „Kriegsdichtungen“ von vielen Stimmen kritisch beurteilt wurden, steht es doch außer Zweifel, dass sie durchaus Publikum fanden, scheinen sie doch nicht nur den „Nerv der Zeit“ getroffen zu haben, sondern auch typisch für die Aufwertung des „Volkes“ in der tirolischen Literatur gewesen zu sein. Dass plötzlich auch die „Elite“ Interesse an den einfachen Menschen, ihren Lebensformen und ihrer Kultur zeigte, ist aber selbstverständlich nicht nur auf den Erfolg der bäuerlichen Landesverteidigung um 1800 und die erblühende Produktion von „Kriegsliedern“ zurückzuführen. Verantwortlich dafür ist auch eine neue kulturgeschichtliche Entwicklung. Die Wahrnehmung von Sprache als einen sensiblen Indikator (und nicht als reine Reflexion!) des kulturellen Wandels erlaubt heute Rückschlüsse auf die Besonderheiten sozialer Schichten. Die Wechselbeziehung zwischen Sprache und Gesellschaft, so urteilte schon der britische Kulturhistoriker Peter Burke, ist eine wichtige Komponente einer umfassenden Sozialgeschichte.58 Die frühe Neuzeit fiel durch eine abschätzige Haltung gegenüber der „Volkssprache“ auf, die Dialekte des bäuerlichen Standes wurden als „niedrig, grob und unsauber“ empfunden. Davon zeugen beispielsweise Wörterbücher, in denen die Sprache der Bauern als „verderbt, vulgär, tölpelhaft“ beschrieben wird, oder aber im Dialekt sprechende Figuren in Theaterstücken, deren Adolf Pichler: Gesammelte Werke. Vom Verfasser für den Druck vorbereitet. Band XII: Beiträge zur Literaturgeschichte II. Zur Tirolischen Literatur, München – Leipzig 1908, S. 89. 56 Simon Marian Prem: Geschichte der neueren deutschen Literatur in Tirol. Abt. I: Vom Beginn des 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts, Innsbruck 1922, S. 53f. 57 Erich Egg: „Hof- und Bauerntheater, Musik und Literatur“, in: Gert Ammann (Hg.): Die Tirolische Nation 1790–1820. Landesausstellung Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck, 6. Juni – 14. Oktober 1984, Innsbruck 1984, S. 149–181, hier S. 163. 58 Peter Burke: Wörter machen Leute. Gesellschaft und Sprachen im Europa der frühen Neuzeit, Berlin 2006; außerdem schrieb er folgendes Werk mit ähnlicher Thematik, doch etwas weiter gegriffen: Peter Burke: Soziologie und Geschichte, Hamburg 1989. Siehe auch Andreas Gardt / Ulrike Haß-Zumkehr / Thorsten Roelcke (Hg.): Sprachgeschichte als Kulturgeschichte, Berlin – New York 1999 (Studia Linguistica Germanica 54). 55 A Lied im Franzosen-Rummel 1796 43 beabsichtigte Wirkung rein auf Komik ausgerichtet ist.59 Die Einstellung gegenüber dem „Volk“, seiner Sprache und seinen Eigenheiten änderte sich um 1800 grundlegend, was auf das Aufkommen aufklärerischer Ideale zurückzuführen ist. Unter anderem Johann Gottfried Herder (1744–1803) ist ein grundlegender Wandel in der semantischen Entwicklung des „Volk“-Begriffes und des kulturellen Konzeptes von „Volk“ bzw. „Nation“ zu verdanken.60 Das „Volk“ erlebte in der Zeit um 1800 eine Wandlung zu einem durchwegs positiv konnotierten Kollektiv mit „Sprache, Seele und Charakter“.61 Neben der (Volks-) Sprache, deren Verachtung Herder gar mit „geistigem Mord“ gleichsetzte,62 erkannte er der „Volkspoesie“ und dem „Volkslied“ eine besondere Bedeutung zu, waren diese schließlich der „Inbegriff der Fehler und Vollkommenheiten einer Nation, ein Spiegel ihrer Gesinnungen, der Ausdruck des Höchsten, nach welchen sie strebte“.63 Unter „Volkspoesie“ verstand Herder einen „treuen Abdruck des jeweiligen Nationalcharakters“, denn sie fungiere identitätsstiftend und vermittle dem Menschen das Gefühl, über seine Herkunft Bescheid zu wissen.64 Diese Erweiterung der Perspektive, in der nun die gesamte Gesellschaft und ebenso das „Volk“ ins Blickfeld rückten, lässt sich auch am aufkeimenden Interesse an der Musik der unteren gesellschaftlichen Schichten aufzeigen. Das Sammeln und das Singen von „Volksliedern“ erweist sich in dieser Hinsicht gleichfalls als ein Merkmal des Elitenwandels um 1800.65 In dieser „dramatischen Umbruchszeit“,66 gezeichnet von mehr als zwei Jahrzehnten Krieg, dem Aufkommen neuer gesellschaftlicher Ideale, dem Aufstieg von nicht-elitären sozialen Schichten, lässt sich auch eine Neubewertung musikalischen Schaffens ausmachen. In diesem Kontext sind die politischen Lieder der Jahre 1796 und 1797 in Tirol auch als Indikatoren für den großen gesellschaftlich-kulturellen Umbruch, der sich im gesamten deutschen Sprachgebiet vollzog, zu bewerten. Das damalige politische Liedschaffen bereitete sozusagen den Boden, auf dem sich die tirolische Dialektpoesie entwickeln konnte. In Tirol war diese „Entdeckung“ der Volkskultur sehr offensichtlich. So erschienen ab dem 19. Jahrhundert zahlreiche Reiseberichte,67 in denen Tirol nicht Burke: Wörter (wie Anm. 58), S. 44. Birgit Nübel: „Zum Verhältnis von ‚Kultur‘ und ‚Nation‘ bei Rousseau und Herder“, in: Regine Otto (Hg.): Nationen und Kulturen. Zum 250. Geburtstag Johann Gottfried Herders, Würzburg 1996, S. 97–109, hier S. 98. Siehe auch Philip V. Bohlman: „Stimmen der Völker in Liedern – ‚Musikalische Einheiten‘ in der Einheit“, in: Ursula Hemetek / Evelyn Fink-Mennel / Rudolf Pietsch (Hg.): Musikalien des Übergangs. Festschrift für Gerlinde Haid anlässlich ihrer Emeritierung 2011, Wien – Köln – Weimar 2011 (Schriften zur Volksmusik 24), S. 67–82. 61 Karl Ferdinand Werner: „Volk im Sinne von Unterschichten“, in: Otto Brunner / Werner Conze / Reinhart Koselleck (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, 7. Band, Stuttgart 1992, S. 248–281, hier S. 243–249. 62 „Wer die Sprache seiner Nation verachtet, […] wird ihres Geistes […] gefährlichster Mörder“ (Johann Gottfried Herder: Briefe zur Beförderung der Humanität 5, 57. Beilage, 1795), zit. nach Werner: „Volk“ (wie Anm. 61), S. 317. 63 Ebd., S. 316f. 64 Hans Dietrich Irmscher: „Poesie, Nationalität und Humanität bei Herder“, in: Otto (Hg.): Nationen und Kulturen (wie Anm. 60), S. 35–47, hier S. 35. 65 Bellabarba/Forster/Heiss/Leonardi/Mazohl (Hg.): Eliten in Tirol (wie Anm. 43). 66 Gernot Stimmer: „Kontinuität und Wandel regionaler Eliten zwischen Ancien Régime und Vormärz – zur Einführung“, in: Bellabarba/Forster/Heiss/Leonardi/Mazohl (Hg.): Eliten in Tirol (wie Anm. 43), S. 15–30, hier S. 17. 67 Einige Beispiele: Johann Gabriel Seidl: Wanderungen durch Tyrol und Steyermark. 1. Band: Wanderungen durch Tyrol, Leipzig 1840; August Lewald: Praktischer Führer durch Tirol. Handbuch für Reisende durch 59 60 44 Kapitel 1 nur geografisch, sondern auch kulturell und sozialgeschichtlich dargestellt wird, auch wurden die Menschen bei ihren alltäglichen Arbeiten und in ihren Trachten gezeichnet und Volkslieder, beispielsweise „Schnaderhüpfeln“ aus dem Zillertal, des Sammelns wert befunden.68 Die überraschend große Menge an „stimmungmachenden“ Kriegsliedern aus den Jahren 1796 und 1797 – darunter auch Primissers Lied „Den Stutzen hear, beym Soggara“ – reiht sich in die „Dialektpoesie“ dieser von Reinhart Koselleck als „Sattelzeit“69 bezeichneten Epoche ein. Die Lieder sind, abgesehen von ihrer Funktionalität, ein eindrucksvolles Zeugnis für die Hinwendung zum „Volk“, für das aufkeimende Interesse am tirolischen „Volksleben“ und an seiner Sprache. Vor diesem Hintergrund ist auch die Instrumentalisierung des Dialekts durch bürgerliche „Gelegenheitsdichter“ wie Primisser zu verstehen. Ebenso ein Beweis für die Anerkennung dialektaler Kriegspoesie sind mehrere Briefe, die Ludwig Konrad Graf Lehrbach an den damaligen Außenminister Österreichs, Johann Franz von Thugut, sandte, in denen er ihn von den Vorkommnissen in Tirol nach dem Abzug der französischen Truppen (Juni 1797) unterrichtete und, ohne weitere Kommentare, mehrere Flugblätter mit Dialektliedern des Schwazer Chorregenten und Dichters Peter Paul Staudacher (1757–1806)70 beilegte,71 darunter ein Lied auf Lehrbach selbst.72 Offenbar waren die Dialektlieder der beiden Kriegsjahre auch in den höheren Kreisen der Gesellschaft bekannt und möglicherweise sogar beliebt. Tirol nach Verona, Venedig oder Brescia, Stuttgart 1839; Beda Weber: Das Land Tirol. Mit einem Anhange: Vorarlberg. Ein Handbuch für Reisende. 1. Band: Einleitung – Nordtirol: (Inn-, Lech-, Grossachenregion), Innsbruck 1837; Adolph Schmidl: Tirol und die Tiroler. Ein Handbuch für Freunde dieses Landes und ein Wegweiser für Reisende, Stuttgart 1837; Henry David Inglis: Tyrol und ein Blick auf Baiern, Leipzig 1833; Charles Joseph Latrobe: The Pedestrian: A Summer’s Ramble in the Tyrol, and some of the Adjacent Provinces, London 1832; Joseph Kyselak: Zu Fuß durch Österreich. Skizzen einer Wanderung nebst einer romantisch pittoresken Darstellung mehrerer Gebirgsgegenden und Eisglätscher unternommen im Jahre 1825 von Joseph Kyselak. Nachgegangen und nachgedacht von Ernst Gehmacher, Wien u. a. 1982; Caspar von Sternberg: Reise durch Tyrol in die Oesterreichischen Provinzen Italiens im Frühjahr 1804, Regensburg 1806. 68 Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe“ (wie Anm. 28), S. 459f.; Erich Egg: „Die Entdeckung und Darstellung des Gebirgslandes Tirol“, in: Ammann (Hg.): Die Tirolische Nation (wie Anm. 57), S. 38–81; Erich Egg: „Das Leben des Volkes“, in: Ammann (Hg.): Die Tirolische Nation (wie Anm. 57), S. 82–113. Siehe dazu auch die frühen Werke von Johann Strolz, dem ersten Tiroler Volksliedsammler: Johann Strolz: „Bürgall, ein Zillerthaler Volkslied. Mit Anmerkungen“, in: Der Sammler für Geschichte und Statistik von Tirol 2 (1807), S. 57–69, und ders.: „Schnoddahaggen, Unterinnthalische Volksliedchen. Mit Anmerkungen“, in: Der Sammler für Geschichte und Statistik von Tirol 2 (1807), S. 69–96. 69 Reinhart Koselleck: „Einleitung“, in: Brunner/Conze/Koselleck (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe (wie Anm. 61), S. XIII–XXVII, hier S. XV. 70 Prem: Literatur in Tirol (wie Anm. 56), S. 50. 71 Siehe Österreichisches Staatsarchiv, Wien, Abt. Kriegsarchiv, AT-OeStA/HHStA StK Provinzen – Tirol 4, No. 304; AT-OeStA/HHStA StK Provinzen – Tirol 3, No. 209, AT-OeStA/HHStA StK Provinzen – Tirol 3, No. 214. 72 Peter Paul Staudacher: Lied zu Ehren des Kaiserl. Königl. Hof-Commissärs Herrn Grafen von und zu Lehrbach, und Herrn Gouverneur Grafen von Bissingen […] Abgesungen den 2. Juni 1797 bey Dero Anwesenheit in Schwatz. A bißal a Liedl, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 134–136. Siehe auch Liedindex, Nr. 103. Ein weiteres Lied von Staudacher: Duxer-Lied an die Tyrolischen Landes vertheidiger (wie Anm. 33). A Lied im Franzosen-Rummel 1796 45 Rezeption Kehren wir zurück zu Primissers größtem Liederfolg. Schon eingangs wurde erwähnt, dass das Lied „Den Stutzen hear, beym Soggara“ im 19. und 20. Jahrhundert eine breite Rezeption erlebte. Dass es dem Lied bereits kurz nach seiner Entstehung an Beliebtheit nicht mangelte, lässt sich etwa an den vielen Flugblattdrucken nachweisen, die beispielsweise in der Bibliothek des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum in Innsbruck zu finden sind. In mehreren, ebenfalls von Primisser stammenden Drucken des Liedes A Siegslied am heil. sant Isidoritag 1797, das er nicht lange nach „Den Stutzen hear, beym Soggara“ dichtete und das sich auf dieselben Ereignisse in Tirol bezieht, erfolgt die Anweisung, das Lied auf die Melodie von „Den Stutzen hear, beym Soggara“ zu singen. Vinzenz Goller, der Herausgeber von „alten und neuen Schützenliedern“, glaubt darin ein Zeugnis für die große Popularität dieses Liedes zu erkennen.73 Dies erweist sich jedoch als Trugschluss, da der Dichter des Siegsliedes ebenfalls Johann Friedrich Primisser ist.74 Somit schuf Primisser eine Kontrafaktur seines eigenen Liedes, vermutlich in der Hoffnung, mit seinem neuen Lied an den Erfolg des ersteren anknüpfen zu können. Außer einigen Flugblattdrucken lassen sich keine weiteren Zeugnisse für eine Rezeption nachweisen. Im Jahr 1866 erfährt das Lied eine maßgebliche Umdichtung. Unter dem Titel A Liad zum Garibaldi-Rummel (hier offensichtlich wieder eine Anlehnung an den „Franzosen-Rummel“ 1796/1797 sowie an den Bayernrummel von 1703) dichtete ein „Pustarer Bui“, so die Selbstbezeichnung des anonymen Autors, einige Verse des alten Liedes auf die damalige politische Situation um. In besagtem Jahr fand sich die Tiroler Bevölkerung wiederum in einen Krieg involviert. Österreich hatte sich in einen Zweifrontenkrieg – gegen Preußen und seine norddeutschen Verbündeten im Norden und gegen das junge Königreich Italien im Süden – verwickeln lassen. Die österreichische Regierung erteilte daher im Mai 1866 den Auftrag, in Tirol die Landesverteidigung vorzubereiten. Die darauffolgenden Wochen bis Ende Juli waren von vielen kurzen, aber schweren Gefechten zwischen italienischen Freiwilligenregimentern unter der Führung von Giuseppe Garibaldi und den Tiroler Landsturmtruppen mit österreichischer Unterstützung geprägt. Die Niederlage Österreichs gegen Preußen und seine Verbündeten in der Schlacht von Königgrätz führte letztlich – trotz der Siege über die italienischen Streitkräfte in Oberitalien bei Custozza und Lissa – zur Abtretung Venetiens an Italien im Oktober 1866. Diese Abtretung war der Preis für die Neutralität Frankreichs im italienischen Krieg gewesen, hatte sich Frankreich doch in geschickter diplomatischer Nutzung der Krise des Deutschen Bundes auf die Seite Preußens geschlagen und dafür die Übergabe Venetiens an Italien gefordert.75 Die wehrfähigen Männer Tirols mussten also im Sommer 1866 wieder zu den Waffen greifen und die Grenzen verteidigen. Anlässlich der Landesverteidigung gegen die „Welschen“ (d. h. die Italiener) wurde folgendes Lied gedruckt: Vinzenz Goller (Hg.): Alte und neue Schützenlieder. Für Männergesang, Partitur, Innsbruck 1910, S. 117. 74 Johann Friedrich Primisser: A Siegslied am heil. sant Isidoritag 1797, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 5), S. 107–110, sowie in: Ditfurth (Hg.): Die historischen Volkslieder (wie Anm. 5), S. 229–231. Siehe auch Liedindex, Nr. 35. 75 Helmut Rumpler: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie 1804–1914, Wien 1997 (Österreichische Geschichte), S. 398. 73 46 Kapitel 1 A Liad zum Garibaldi-Rummel im Jahre 1866 (G’macht hat’s a Pustarer Bui) Den Stutzen hear, bam Saggara, Wos wöll’n d’roath’n Pfoadt’n, Geahts einer ös mit eurem G’schroa Wir haun’ enk zu Schoatt’n. An schwanz’gen Pusterer Bua Derfst du nit dreimol frog’n; Wird der dir wirsch, no schau nur zua Er nimmt di glei bam Krog’n. Dö Walschen! ja, daß Gott erbarm, Sein freilich pure Heiter, Schau her auf an Tiroler Arm – Hui! nur koan Schritt mer weiter! Ja sproz nur einer Tuifelsboan, Mier wöll’n dir’s schon drahnen, Wos ’s Stutzl nit derthuet, derthoan Die Stoaner Krafellahnen. Für uns ists grod a Kirchweihtanz, Denn mier – mier halten aus. Mier liabem [sic] Gott und Kaiser Franz Und unser Land und Haus. A hob’n mier uns’rer Alten Lehr Bei weitem nit vergössen, Die hoben sich mit Ruhm und Ehr’ Mit Zwaen auf oamol g’mössen. Mei Voter hat mier oft erzöhlt, Wia er hat Boarn g’schossen, Dö purzelten vom Blei geföllt Von ihren hoachen Rossen. Und wos das hoaße Blei verschont Dermagaeten die Stoaner, I selber sach bei Mühlbach drent An Haufen Toadtenboaner. Zelm san a bis geg’n Trient herauf Gekämman die Franzosen; Hui, der Tiroler Schützenlauf Der hat sie mach’n losen! Der Pustrer und der Etschler schoß Mit Heldenmuath darunter, Und jeder Schuß traf Mann und Roß Da log der ganzi Plunder. Und mier – mier sollten schlechter sein Als uns’re braven Alten? Hui au Tiroler! Würg, hau drein, Laß’n Stutz’n nit derkalten. Du Oberländer, felsenfest Wie deine Ferner gfroren Stöll di hinauf an’s Adlernest Dort kunnst sie niederboren. A Lied im Franzosen-Rummel 1796 47 Der Unterländer keck und fest Steigt aufer übern Brenner, Er kuit Tabagg und kuiet Rach Und Toad den walschen Männer. Der Vintschger steat schoa eisenfest Der nächste den Gefahren, Mander auf, wir gewinnen’s Best Wir treib’n sie zu Paaren. In Woaffen staet ganz Pusterthal Und jodeld Kriager-Liader, Tirol sei wieder Oestreichs Wall! Drum vorwärts – vorwärts Brüder. A niader echte Pustrer Bui Tragt auf dem Huat die Föder Dö ruft: kömmt einer nur ins Land Wir garben’s wälsche Löder.76 Der Dichter änderte einige grundlegende Aussagen, um das Lied der aktuellen politischen Situation anzupassen. So wurden aus den Franzosen die „roathn Pfoadt’n“, was wohl mit der Bezeichnung „Rothemden“ für Garibaldis Freiwilligentruppen zusammenhängen dürfte. Die vierte Strophe wurde fast gänzlich belassen, nur der Ort einer Schlacht – im Original „im Oberland“ – wurde auf „Mühlbach“ umgeändert. Damit bezieht sich die Strophe auf die Spingeser Schlacht, die 1797 als letztes entscheidendes Gefecht zwischen den Franzosen und Tirolern während des ersten Koalitionskrieges stattfand.77 Der mobilisierende, agitierende Ton des Liedes ist beibehalten worden. Besonders zu Beginn richtet sich das Lied vor allem an die Pusterer, an späterer Stelle dann auch an die Männer anderer Tiroler Täler. Derbe Drohungen gegen den Feind („Geahts einer ös mit eurem G’schroa / Wir haun’ enk zu Schoatt’n“; „wir garben’s wälsche Löder“) wurden im Vergleich zur ursprünglichen Version des Liedes verändert, um das Lied besser an das Jahr 1866 anzupassen. Abgedruckt wurde es aus aktuellem Anlass 1866 in einer Zeitschrift namens Dorflinde, einem Wochenblatt für „tirolische Belletristik“, das nur zwischen 1865 und 1867 erschien und dem Pusterthaler Boten beigelegt war.78 Ein weiterer Druck konnte nicht ausfindig gemacht werden – die Wirkung des Liedes blieb wohl auf das Jahr 1866 beschränkt.79 Im 20. Jahrhundert scheint die originale Version „Den Stutzen hear, beym Soggara“ wieder mehr Bedeutsamkeit erlangt zu haben, begegnet sie uns doch in Vinzenz Gollers Sammlung von Alten und neuen Schützenliedern von 1910 wieder.80 In Josef Eduard Ploners (1894–1955) nationalsozialistischem Liederbuch Hellau! (1942)81 findet sich das Lied ebenso wie in Norbert Wallners gleichermaßen nationalsozialistischer Sammlung von Die Dorflinde. Wochenblatt für tirolische Belletristik 32 (1866), S. 249f. Ein „Pustarer Bui“ ist ein Bursche bzw. junger Mann aus dem Pustertal. 77 Siehe Kapitel 5 in diesem Band. 78 Siehe Hannelore Steixner-Keller: Ludwig von Hörmann. Leben und Werk, Innsbruck 1983, S. 66. 79 Schissel von Fleschenberg: „Die erste handschriftliche Fassung von J. F. Primissers Kriegslied ‚N’Stutzen hear bam Sokara‘ 1796“ (wie Anm. 5), S. 448. 80 Goller (Hg.): Tiroler Schützen-Lieder (wie Anm. 73), S. 66–68. 81 Josef Eduard Ploner (Hg.): Hellau! Liederbuch für Front und Heimat des Gaues Tirol-Vorarlberg. Im Auftrage des Gauleiters und Reichsstatthalters Franz Hofer, Potsdam 1942, S. 47. 76 48 Kapitel 1 Abb. 2: Sepp Tanzer: Tirol 1809, 1. Satz: Aufstand, beginnend mit dem Zitat der Weise von „Den Stutzen hear, beym Soggara“ (Sepp Tanzer: „Tirol 1809“ – Suite in 3 Sätzen für Harmoniemusik, Edition Helbling, Innsbruck – Wien 1954). Tiroler Kampfliedern (1938),82 nur die Strophenfolge ist jeweils etwas abgeändert. Außerdem wurde die Melodie von „Den Stutzen hear, beym Soggara“ als musikalisches Motiv in Sepp Tanzers 1952 komponierter Suite für Blasorchester Tirol 1809 verwendet.83 Norbert Wallner: Eiserne Lieder. Tiroler Kampflieder aus etlichen Jahrhunderten, Potsdam 1938, S. 8. Wolfgang Suppan rechnet Sepp Tanzers Suite Tirol 1809 übrigens die Eigenschaften eines Identifikators („= das, was die Identifikation/Identifizierung bewirkt, nämlich innerhalb einer alten/neuen Gruppen 82 83 A Lied im Franzosen-Rummel 1796 49 Der Komponist Sepp Tanzer (1907–1983),84 heute geachtet als Wegbereiter der Blasmusik in Tirol, war ein bekennender Nationalsozialist und fungierte zwischen 1938 und 1945 u. a. als Gaumusikleiter im Gau Tirol-Vorarlberg. Seine dreiteilige Suite ist eine pathetische Darstellung der Bergisel-Schlachten von 1809 in der Tradition der musikalischen „Schlachtengemälde“. Dass ein Lied von 1796 hierfür herangezogen wurde, bezeugt einerseits den Bekanntheitsgrad von Primissers Dichtung, andererseits seine Instrumentalisierung durch Ultranationalisten. Fazit Das Lied „Den Stutzen hear, beym Soggara“ weist eine auffällige Rezeption und eine außergewöhnlich lange Lebensdauer auf und zählt zu den besonderen Quellen der Tiroler Liedforschung. Dass ein politisches, zum Kampf aufforderndes Lied von 1796, das sich also auf eine kurze historische Episode bezieht, noch zweihundert Jahre später in Tirol bekannt ist, ist mehr als erstaunlich, vor allem, weil üblicherweise die Landesverteidigung 1796/1797 wesentlich weniger stark „erinnert“ wird als das „Heldenjahr“ 1809. Dass aber Sepp Tanzer in seinem bläsersymphonischen Opus Tirol 1809 ausgerechnet ein politisches, nicht gänzlich unbekanntes Lied von 1796 verwendet, kann ein Hinweis dafür sein, dass die Jahre 1796, 1797 und 1809 in mancher Hinsicht undifferenziert zu einem „Heldenzeitalter“ Tirols verschmolzen sind. identität“) zu: „[…] über viele Generationen hinweg, erkennen gebildete Menschen ‚die Absicht‘ und ordnen das in Rede stehende Motiv aktuellen, zeitspezifischen gesellschaftspolitischen Situationen zu“; Wolfgang Suppan: „Musik als Identifikator. Annäherungen an ein heikles Thema“, in: www.hw.oeaw. cc.at/0xc1aa500d_0x00137522 (26. 03. 2012). 84 Stadtmusikkapelle Wilten, Sepp Tanzer: http://www.wiltener.at/index.php?page=kapellmeister (06. 03. 2012). Kapitel 2 „Auf dich vielköpfig’s Ungeheu’r: du trotzender Franzos!“. Neues Lied der Sterzinger Scharfschützen Silvia Maria Erber Franzosen als „vielköpfige Ungeheuer“ zu bezeichnen, ist wahrscheinlich noch eine der harmloseren Beschimpfungen in den Liedern der Jahre 1796 und 1797. Angesichts der Situation der Menschen in den Tälern Tirols verwundert es wenig, dass die drastische Sprache der Lieder vor allem Abscheu gegenüber den Idealen der Aufklärung und Hass auf „die Französelen“1 bekundet. Ein aussagekräftiges Beispiel, das alle Facetten einer Liedsprache enthält, die in der bedrohlichen Lage von 1796/1797 mobilisierend und agitierend auf die Schützen und die gesamte Bevölkerung wirken sollte, ist ein Lied, das uns aus der ersten Phase der Landesverteidigung erhalten geblieben ist und laut seinem Titel in oder um Sterzing entstanden war: das Neue Lied der Sterzinger Scharfschützen. Gesungen bey dem Auszuge wider die Franzosen. Es wurde wahrscheinlich schon während der kriegerischen Auseinandersetzungen durch Flugblätter verbreitet – davon zeugt die Tatsache, dass ein Druck dieses Liedes Eingang in die umfassende Dokumentensammlung des Tiroler Juristen Andreas Alois Di Pauli von Treuheim (1761–1839) gefunden hat.2 Der Verfasser des siebenstrophigen Liedes ist ebenso unbekannt wie die Melodie, zu der der Text möglicherweise gesungen wurde. Neues Lied der Sterzinger Scharfschützen. Gesungen bey dem Auszuge wider die Franzosen. 1796. 1. Wir zieh’n an unsre Gränzen hin, Das Feu’rrohr in der Hand, Gott, und den Kaiser in dem Sinn, Für Glaub, und Vaterland. Auf dich vielköpfig’s Ungeheu’r: Du trotzender Franzos! Auf dich blitz Gottes-Rache Feu’r Aus unsern Röhren los. So und ähnlich lauten die Bezeichnungen für die Franzosen in den Liedern der Jahre 1796 und 1797, siehe etwa „Französelen! Habts ausgedroant, mit Fui’r und Schwart zu wuethen?“, siehe Johann Friedrich Primisser: A Siegslied am heil. sant Isidoritag 1797, in: Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 107–110. Erster Druck in: Franz Wilhelm von Ditfurth (Hg.): Historische Volkslieder der Zeit von 1756 bis 1871. 1. Band, 2. Heft: Die historischen Volkslieder vom Ende des siebenjährigen Krieges, 1763, bis zum Brande von Moskau 1812, Berlin 1872, S. 229–231. Oder auch „Auf brave Tyrola, erhebet die Stimm, / Verhienzt die Französln, verlacht ihren Grimm!“, siehe Peter Paul Staudacher: Tyroler Liedel, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder, S. 113–115, hier S. 113. 2 Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 535/3. Andreas Alois Di Pauli von Treuheim (1761–1839) war ein Jurist, fungierte aber im Rahmen der Landesverteidigung 1796 und 1797 als Berater und Organisator in vielerlei Hinsicht. Er war Mitbegründer des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, dessen Bibliothek seine „bibliotheca tirolensis“, heute „Dipauliana“ genannt, aufbewahrt. Eine kurze Biografie findet sich bei Margot Hamm: Die bayerische Integrationspolitik in Tirol 1806–1814, München 1996 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 105), S. 412. Siehe auch Kapitel 10 in diesem Band. 1 52 Kapitel 2 2. Denn groß ist deiner Sünden Hauf ’, Ihr Maß ist mehr als voll: Was häufst du es noch höher auf, Und willst auch ins Tyrol? Ha! Freyheit, Gleichheit schwatzst du vor: Ein süsser Zauberton: Doch taub bleibt der Tyroler Ohr: Man kennt, man kennt dich schon. 3. Hast du denn nicht von Ort zu Ort Genug gesengt, gebrennt, Getobt mit Pressung, Raub und Mord, Und Nonn’ und Weib geschändt, Mit Königsmord die Hand entehrt, Mit Priesterblut beschmutzt, Was heilig ist in Greu’l verkehrt, Den Himmel selbst getrutzt? 4. Auf unser glückliches Tyrol Schielt jetzt dein Höllenneid, Und lau’rt, wie Satan, tückenvoll Nur auf Gelegenheit. Du trotzest auf dein grosses Heer Und wir auf Gottesschutz, Mit uns ist Gott, mit dir nicht mehr: Herbey! Hier steh’n wir, trutz. 5. Herbey! auf Felsen steh’n wir da Mit Gott, wie felsenfest, Und schiessen alles fern, und nah, Und steinigen den Rest. Wer ins Tyrol den Fuß nur wagt, Findt hier sein Grab gewiß, Und keiner komm von unsrer Jagd Als Trau’rboth nach Paris. 6. Und wenn von uns auch Mancher fällt, So fällt er nicht mit Schand: Er stirbt als Martyrer und Held Für Gott, und’s Vaterland. Ha! so ein Tod ist neidenswerth: Die Nachwelt rühmt ihn noch: Man ehrt ihn, wo man Tugend ehrt, Der Himmel lohnt ihn hoch. 7. Und ist uns nicht der Helden-Glück, Der Tod im Streit gegönnt; So kehren wir vom Krieg zurück, Mit Ruhm und Sieg gekrönt. Dann preisen wir den Höchsten hoch Für den gegebnen Sieg: Und lange denkt der Franzmann noch An den Tyroler Krieg.3 3 Siehe TLMF, FB 535/3 (Flugblatt). Siehe auch Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 141–143. Neues Lied der Sterzinger Scharfschützen 53 Der Dichter dieses Liedes verfolgt den Zweck, sein Publikum dazu zu bewegen, die Waffe in die Hand zu nehmen und für „Gott“, „den Kaiser“ und „Glaub’ und Vaterland“ zu kämpfen. Die häufige Verwendung von „wir“ und „uns“ soll ein Gefühl von gemeinschaftlicher Verbundenheit und Stärke erzeugen. Gerade in einer Kriegssituation erscheint es sinnvoll, das Wort nicht nur an das Individuum alleine zu richten, sondern die am Kampf beteiligten Menschen als Kollektiv anzusprechen. Insbesondere in Liedern, die einer Ideologie dienen, so stellt der Kulturanthropologe Vladimir Karbusicky fest, trägt das kategorische „Wir“ dazu bei, den Menschen „zu einem Herdenwesen zu degradieren“. Ein „Ich“ hat in den aggressiven Kampfliedern einer Ideologie keinen Platz.4 Eine ähnliche Beobachtung lässt sich auch anhand der Tiroler Lieder aus der Zeit um 1796/1797 feststellen: Ein lyrisches Ich scheint in erster Linie nur in jenen Liedern auf, die zwar mobilisierend wirken (sollen), aber meist von einer namentlich bekannten Person, einem Adeligen oder Bürger, verfasst wurden. Alle anderen, anonym bleibenden Verfasser verwenden das kollektive „Wir“. In ihren Liedern finden sich oft Begriffe wie „Brüder“ (bzw. in dialektaler Abwandlung „Brüada“ / „Brüader“), verbunden mit konkreten Aufforderungen: „Auf Brüder! marsch hinein. […] Auf Brüder auf ins Feld! / Vereinte Brüder, marsch hinein!“,5 „Das Vaterland ist in Gefahr! Auf Brüder es zu retten!“,6 „Vereinigte Brüder! seyd auch nicht verzagt!“,7 „Fort Brüder in’s Felde!“,8 „Lost Brüeder, was a Jubel, still / Still vorwerts, vorwerts Brüeder“,9 „Hier vereint mit Brüderschaaren“,10 „Fröhlich auf ihr liebe Brüder!“11 und „Tapfre Waffenbrüder!“.12 Vladimir Karbusicky: Ideologie im Lied. Lied in der Ideologie. Kulturanthropologische Strukturanalysen, Köln 1973 (Schriftenreihe des Instituts für musikalische Volkskunde an der Pädagogischen Hochschule Rheinland 2), S. 9. 5 Anton von Remich: Kriegslied beym Abmarsche der Tyroler Scharfschützen im May 1796, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 56f. Siehe auch Liedindex, Nr. 150. 6 Josef Freiherr Hormayr zu Hortenburg: Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen und Landleuten, welche im Begriffe stehen, ihr Vaterland wider die alleszerstörende Frankreicher muthig zu vertheidigen, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 5–7, hier S. 5. Siehe auch Liedindex, Nr. 146. 7 Peter Paul Staudacher: An die frischen Tyroler bey Gelegenheit des Franzosen Krieges. Verfaßt und abgesungen mit Begleitung der türkischen Musik vom P. P. Staudacher, Chorregent, den 3. Julius 1796, auf der Schießstatt zu Schwaz, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 10–12, hier S. 11; erster Druck in: Emmert (Hg.): Almanach (wie Anm. 3), S. 156f.; ebenso abgedruckt in: Ditfurth (Hg.): Die historischen Volkslieder (wie Anm. 1), S. 217f. Siehe auch Liedindex, Nr. 4. 8 Josef Baron Giovanelli: Kriegslied der Tyroler. Von einem eifrigen Patrioten B. G. G., in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 38f., hier S. 39. Siehe auch Liedindex, Nr. 166. 9 Johann Friedrich Primisser: A Lied im Franzosen-Rummel 1796, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 47–49, hier S. 49; erster Druck in: Emmert (Hg.): Almanach (wie Anm. 3), S. 145–147. Siehe auch Ditfurth (Hg.): Die historischen Volkslieder (wie Anm. 1), S. 176–178. Ausführlich über dieses Lied: siehe Kapitel 1 in diesem Band. Siehe auch Liedindex, Nr. 17. 10 Anon.: Lied der wackeren Etschländer die zur Vertheidigung des Vaterlandes auf den Gränzen stehen, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 57–60, hier S. 58, bzw. TLMF Dip. 193. Siehe auch Liedindex, Nr. 107. 11 Anon.: Lied verfaßt von einem der zu Linz auf Transport gewesenen freiwilligen Vertheidigungs-Compagnie aus Tyrol, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 67–71, hier S. 67. Siehe auch Liedindex, Nr. 153. 12 Anon.: Lied für die tyrolischen Landesvertheidiger beym zweyten Einbruche der Franzosen. 1797, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 83–87, hier S. 83. Siehe auch Liedindex, Nr. 169. 4 54 Kapitel 2 Polemik und Verteufelung des Feindes Eine der wesentlichen Komponenten dieses Liedes ist aber die Diffamierung der Franzosen. So weckt die Charakterisierung des Feindes als „vielköpfig’s Ungeheu’r“ und an späterer Stelle die Behauptung, „Auf unser glückliches Tyrol / Schielt jetzt dein Höllenneid, / Und lau’rt wie Satan, tückenvoll / Nur auf Gelegenheit“, Assoziationen an die Hölle. Die Vernaderung des Feindes spielt vor allem in der politischen Lyrik der Aufklärungszeit eine wichtige Rolle. Viele Kriegsgedichte und -lieder dieser Zeit weisen ein stark ausgeprägtes Feindschema auf und bezwecken die Verunglimpfung und regelrechte „Verteufelung“ des zu bekämpfenden Feindes.13 Auch der Dichter unseres Liedes nützt das Schema „Gut versus Böse“. Er behauptet, das Land Tirol und seine Einwohner stünden unter „Gottesschutz“, „Gottes-Rache Feu’r“ würde auf die Feinde „aus unsern Röhren“ niedergehen und der Tod im Kampf würde im Himmel belohnt werden. Dem gegenüber gestellt ist das Bild der Franzosen als eines Volkes, das dem „Himmel trutzt“, dem Teufel mehr ähnelt als dem Menschen und „tückenvoll“, d. h. ungerecht und unfair, gegen die Tiroler kämpft. Der Sinn dieser vielen negativen Zuschreibungen in mobilisierenden Liedern ist klar: Das Wir, nämlich das Tiroler Volk, soll in seiner Kampfbereitschaft gegen einen als unmenschlich dargestellten Feind bestärkt werden. Feinde mit Tieren oder, wie in diesem Fall, mit Unterweltswesen zu vergleichen, ist in politisch-agitativen Texten eine häufig anzutreffende Methode, die Hemmung zu töten abzuschwächen und die Gewaltbereitschaft zu fördern.14 Zitate wie „Tödtet diese Höllen-Schlange“,15 „Tilgt die Natterbruth“,16 „Hund! sterbe verdammter Franzos“17 zeigen die „Vertierung“ (so der Begriff für die Entmenschlichung des Feindes in politischen Schriften18) auf, die auch aus anderen Liedern spricht. Die zweite Hälfte der zweiten Strophe dieses Liedes an die Sterzinger Scharfschützen ist von Polemik gegen die Aufklärung und die Französische Revolution geprägt: „Ha! Freyheit, Gleichheit schwatzst du vor: / Ein süsser Zauberton“, heißt es darin. Während der Begriff „Freyheit“ rund zehn Jahre später im Kontext des noch heute so bezeichneten „Tiroler Freiheitskampfes“ von 1809 eine neue Bedeutung erhielt, ist er in den Liedern von 1796/1797 eindeutig negativ konnotiert. „Freyheit“ war gemeinsam mit „Gleichheit“ und weniger häufig mit „Brüderlichkeit“ um 1800 in aller Munde. Die Siehe dazu weiterführend Peter Pütz: „Aufklärung“, in: Walter Hinderer (Hg.): Geschichte der politischen Lyrik in Deutschland, Stuttgart 1978, S. 114–140. 14 Vergleiche etwa Fritz Hermanns: „Bombt die Mörder nieder! Überlegungen zu linguistischen Aspekten der Erzeugung von Gewaltbereitschaft“, in: Hajo Diekmannshenke / Josef Klein (Hg.): Wörter in der Politik. Analysen zur Lexemverwendung in der politischen Kommunikation, Opladen 1996, S. 133–164. 15 M. E. Ment (Vornamen nicht überliefert): Erfahrung für gegenwärtige Lage den Bürgern Innsbrucks geweiht von einem patriotischen Freunde M. E. M. (Ment), den 12ten Juni 1796, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 8–10, hier S. 10; erster Druck in: Emmert (Hg.): Almanach (wie Anm. 3), S. 132f. Siehe auch Liedindex, Nr. 143. 16 J. Mayr (Vorname nicht überliefert): Aufgebot der Tyroler zur Rettung des Vaterlandes. Von J. Mayr, Mediziner 1796, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 14–16, hier S. 16; erster Druck in: Emmert: Almanach (wie Anm. 3), S. 124–126. Siehe auch Liedindex, Nr. 164. 17 Anon.: Lied bey dem Abzuge der Haller Schützen, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 51–53, hier S. 51; erster Druck in: Emmert: Almanach (wie Anm. 3), S. 139–141. Siehe auch Liedindex, Nr. 157. 18 Hermanns: „Bombt die Mörder nieder!“ (wie Anm. 14). 13 Neues Lied der Sterzinger Scharfschützen 55 oft zitierte Parole der Französischen Revolution war auch in Tirol offenbar geläufig. In vielen antirevolutionären und polemischen Schriften jener Zeit wurde der Begriff „Freyheit“, so die deutsche Schreibweise um 1800, ebenso wie in den Tiroler Kriegsund Kampfliedern der Jahre 1796 und 1797, zur „Perhorreszierung der Revolution“19 benutzt. Ähnlich wie unter den Monarchisten in Frankreich wurde „liberté“ auch in vielen Tiroler Schriften mit „Zügellosigkeit“ und „Anarchie“ gleichgesetzt,20 wie folgende Verse aus unterschiedlichen, aber einander sehr ähnelnden Liedern zeigen: Freyheit predigen sie immer, Versprech’n mit verstellter Gluth; Stolz dem Volke gold’nen Schimmer und martern’s doch bis aufs Blut! – Ihre Gleich- und Freyheits-Ketten Drücken Menschen schrecklich hart! […]21 Si [sic] wollten enck Gleichheit, und Freyheit stur zeig’n.22 „Freyheit“ bedeutete für die Dichter dieser Verse offensichtlich etwas Verwerfliches, einen nicht erwünschten Gegensatz zu ihrem eigenen gesellschaftlichen Bild und ihrer Bindung an den Landesfürsten. In der dritten Strophe zählt der Dichter die angeblichen verwerflichen Taten der französischen Soldaten bzw. der Franzosen allgemein auf: Er (der Franzose) habe „[…] gesengt, gebrennt, / Getobt mit Pressung, Raub und Mord, / Und Nonn’ und Weib geschändt, / Mit Königsmord die Hand entehrt, / Mit Priesterblut beschmutzt, / Was heilig ist in Greu’l verkehrt, / Den Himmel selbst getrutzt?“. Diese Worte zeichnen ein Bild der Empörung über Frankreich und die Französische Revolution. Wesentlich ist hierbei die Entrüstung über die „frevelhaften“ Glaubens spötter, die sich gegen die göttliche Ordnung auflehnen („Was heilig ist in Greu’l verkehrt, / Den Himmel selbst getrutzt?“) und Geistliche („Priesterblut“) und sogar ihren eigenen König ermordeten. Einige Tiroler Dichter empörten sich vor allem über den „Königsmord“, erschien ihnen dieser doch als Attacke auf die gottgewollte Ordnung, auf das Gottesgnadentum und damit auf den Staat und die Religion. Ganz ähnlich klingt die antirevolutionäre und antifranzösische Polemik in anderen Liedern, die zum selben Anlass gedichtet wurden: […] Nichts mag die Freyheit uns je schaffen; Denn Königsmörder zu bestrafen Verbindet uns der Treue Band. […] Näheres dazu bei Gerd van den Heuvel: Der Freiheitsbegriff der Französischen Revolution. Studien zur Revolutionsideologie, Göttingen 1988 (Schriftenreihe der historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften 31), S. 214–288. 20 Ebd., S. 229. 21 Ment: Erfahrung für gegenwärtige Lage (wie Anm. 15), S. 9. 22 Peter Paul Staudacher: Lied auf die Zurückkunft der zweyten Schützen-Compagnie von Schwatz, unter Anführung des Titl. Herrn Pet. Niklas Lergetporer. Vom Pet. P. Staudacher, Chorregent, Schwatz den 9. Mai 1797, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 121–123, hier S. 121; sowie in Ditfurth (Hg.): Die historischen Volkslieder (wie Anm. 1), S. 231–233. Siehe auch Liedindex, Nr. 71. 19 56 Kapitel 2 Sie mögen kommen jene Horden, Bey welchen bloße Raubsucht war, Durch welche so wie durch ihr Morden Sie Höllen Auswurf sind geworden […] Wir hassen euch, ihr Jungfernschänder, Wir hassen euern Frevelblick.23 Man kennt deine schändlichen Trüge, Du Ungeheur! triebst sie zu weit: Umsonst bethört uns die kriechende Lüge, […] Wer plünderte grausam die heil’gen Altäre, Wer richtete Blutbäder an? Wer raubte den Glauben, das Gut und die Ehre? Du Freyheit! Du hast es gethan. […] Zernichte durch Ihn die fränkischen Mächte: Damit ihr Stolz bald gebeugt; Und der grausame Schänder menschlicher Rechte Zu seinem Joche sich neigt.24 Diese Art von Polemik finden wir nicht nur in den Liedern, sondern – kaum über raschend – auch in Predigten jener Zeit, die in den Jahren 1796 und 1797 eine wahre Kriegstheologie offenbaren.25 Einige der zitierten Textzeilen beziehen sich auf die umstürzlerischen Ereignisse der Französischen Revolution, die für einen Großteil der tiefreligiösen Bevölkerung Tirols unverständlich und furchteinflößend gewesen sein dürften. In Tirol selbst lassen sich nur wenige Spuren von aufklärerischem Denken nachweisen. Abgesehen von einigen gelehrten Gesellschaften, Geheimbünden wie Freimaurern und kleinen lokalen, meist aus Studenten bestehenden Jakobinerklubs fanden die Ideen der Aufklärung kaum Zuspruch, was angesichts der Tatsache, dass die Revolutionäre für Ideale kämpften, die für die stark bäuerlich geprägte Gesellschaft Tirols am Ende des 18. Jahrhunderts die „Umkehr nahezu aller traditionell gültigen Werte“ bedeutet hätte, nicht verwundert.26 Tirol war um 1800 ein Land mit einer besonders Anon.: Beym Abzuge der löbl. Bürgerlichen Schützen-Compagnie zu Innsbruck, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 49–51, hier S. 49f.; erster Druck in: Emmert (Hg.): Almanach (wie Anm. 3), S. 138f. Siehe auch Liedindex, Nr. 172. 24 F. K.: Aneiferung der an der Gränze stehenden Tyroler Scharfschützen zur Tapferkeit, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 60–62; erster Druck in: Emmert (Hg.): Almanach (wie Anm. 3), S. 147–149. Siehe auch Liedindex, Nr. 161. 25 Roman Siebenrock: „Bis zum letzten Blutstropfen. Tiroler Wehrhaftigkeit und die Verehrung des Herzens Jesu: Eine Spurensuche im Blick auf 1809“, in: Brigitte Mazohl / Bernhard Mertelseder (Hg.): Abschied vom Freiheitskampf ? Tirol und ‚1809‘ zwischen politischer Realität und Verklärung, Innsbruck 2009 (Schlern-Schriften 346), S. 347–370, hier S. 351. 26 Meinrad Pizzinini: „Tirol und die Auswirkungen der Französischen Revolution“, in: Karl AlbrechtWeinberger (Hg.): Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit auch in Österreich? Auswirkungen der Französischen Revolution auf Wien und Tirol, 124. Sonderausstellung des Historischen Museums der Stadt Wien in Zusammenarbeit mit dem Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Wien 1989, S. 209–218, hier S. 210. 23 Neues Lied der Sterzinger Scharfschützen 57 starken katholischen Tradition, die einen wesentlichen Teil der Tiroler Identität bis in die Gegenwart darstellt.27 Reformatorische Strömungen, wie sie ab dem beginnenden 16. Jahrhundert in weiten Teilen Europas einsetzten, streiften die Bevölkerung in den Tälern Tirols nur am Rande, eine richtige Institutionalisierung neuer Konfessionen griff in Tirol nie.28 Ein bedeutender Grund hierfür lag in der außerordentlichen Macht position der geistlichen Landesfürsten in den Hochstiften Brixen und Trient und in der relativ schwachen Stellung des Adels.29 Die tiefe Verankerung des Katholizismus in Tirol ermöglichte auch den besonders großen Erfolg der von den Habsburgern forcierten Gegenreformation ab Anfang des 17. Jahrhunderts. Die traditionelle Betonung einer besonders ausgeprägten Religiosität der Tiroler Bevölkerung in der Neuzeit wird allerdings in der neueren Historiografie etwas dif ferenzierter gesehen. Während in älteren geschichtlichen Darstellungen gerne der Mythos des wehrhaften und katholischen Tirolers unkritisch beschworen wird, gehen jüngere Forschungen auch der Entstehungsgeschichte dieser Vorstellungen selbst nach, die sich im Übrigen an dem immer noch aktuellen, mittlerweile geflügelten Begriff vom „Heiligen Land Tirol“ festmachen lassen.30 Dank dieses Perspektivenwechsels hat sich der lange übersehene enge Zusammenhang zwischen konkret gelebtem Widerstand, Identitätsbildung und deren historischer Begründung gezeigt – die Legende von einem seit Menschengedenken „Heiligen Land“ entstand also erst, als dieses gegen Aufklärung und vermeintliche Religionsfeindlichkeit verteidigt werden musste.31 Infolge der josefinischen Religionsreformen und dann mit dem Paukenschlag der Französischen Revolution und den ab 1792 einsetzenden Revolutionskriegen fand sich die tirolische Bevölkerung erstmals mit der Infragestellung ihres Glaubens konfrontiert. Als 1796 die „personifizierte Gottlosigkeit“, der Unglaube in Form der französischen Soldaten, tatsächlich ins Land eindrang, löste dies eine Welle patriotischer Mobilmachung aus, in der die religiösen Töne gezielt eingesetzt wurden. Die Obrigkeit in Tirol stilisierte laut Martin P. Schennach bewusst den Krieg gegen Frankreich zu einem ideologisch-religiö- Hierzu die noch unpublizierte italienische Dissertation von Luigi Ghezzi: Nostalgia e politiche della memoria: Austria, Germania e Italia nella „Questione Trentina e sudtirolese“ (1870–1914), Dissertation, Universitäten Trient und Innsbruck 2012. Siehe weiterführend auch: Florian Huber: „Konfessionelle Identitätsbildung in Tirol: Antiprotestantismus ohne Protestanten (1830–1848)“, in: Elisabeth Tauber (Hg.): Alteritäten – Identitäten, Innsbruck – Wien 2010 (Geschichte und Region / Storia e Regione 19), S. 28–52. 28 Gegenpole zur kirchlichen Macht waren etwa Bergwerksorte im Unterinntal, aber auch einzelne Angehörige des Adels standen konträr zur kirchlichen Linie. 29 Rudolf Leeb: „Die konfessionellen Sonderentwicklungen in Tirol, Salzburg und Vorarlberg“, in: Rudolf Leeb / Maximilian Liebmann / Georg Scheibelreiter / Peter G. Tropper (Hg.): Geschichte des Christentums in Österreich. Von der Spätantike bis zur Gegenwart, Wien 2003 (Österreichische Geschichte), S. 213–221, hier S. 213. 30 Siehe dazu Anton Dörrer: „Wie kam Tirol zur Bezeichnung ‚Heiliges Land?‘“, in: Tiroler Heimatblätter 24 (1949), S. 146–154, Siegfried Carli: „Heiliges Land Tirol“: Anspruch und Wirklichkeit, Diplomarbeit, Universität Innsbruck 2007, und schließlich die aktuellste und detaillierteste Auseinandersetzung: Heinz Noflatscher: „Heilig wie lang? Religion und Politik im vormodernen Tirol“, in: Der Schlern 72 (1998), Heft 6: Juni, S. 358–375, hier S. 372. 31 Martin P. Schennach: Revolte in der Region. Zur Tiroler Erhebung von 1809, Innsbruck 2009 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 16), S. 176–187; Laurence Cole: „Religion und patriotische Aktion in Deutsch-Tirol (1790–1814)“, in: Otto Dann / Miroslav Hroch / Johannes Koll (Hg.): Patriotismus und Nationsbildung am Ende des Heiligen Römischen Reiches, Köln 2003 (Kölner Beiträge zur Nations forschung 9), S. 345–378, hier S. 352. 27 58 Kapitel 2 sen Kampf.32 Auch viele Strophen in den damaligen Liedern verdeutlichen eindringlich, wie sehr der Krieg gegen das revolutionäre Frankreich als ein Krieg für den Glauben und gegen den Unglauben gedeutet wurde. In der Argumentation für einen gerechten Kampf der Tiroler wird die Notwendigkeit betont, den eigenen, wahren Glauben zu beschützen. Lieder, die wie Gebete anmuten und vor allem den besonders starken Glauben der Tiroler hervorheben, verstärken den Eindruck, dass Religion im Konflikt der Jahre 1796 und 1797 einen wesentlichen identitätsstiftenden Faktor darstellte und der Mythos des „Heiligen Landes“ erst in diesem Zusammenhang entstand bzw. verbreitet wurde. In der sechsten Strophe begegnet uns schließlich noch eine weitere rhetorische Strategie, um den Menschen die Angst vor dem Kampf mit dem Feind zu nehmen: die Heroisierung des Todes im Krieg. Der Dichter versichert, dass jene, die im Kampf fallen, als „Martyrer und Held[en]“ für Gott und Vaterland in die Geschichte eingehen werden. Die Verse „Ha! so ein Tod ist neidenswerth“ und „Und ist uns nicht der Helden-Glück, / Der Tod im Streit gegönnt“ (siehe siebente Strophe) verherrlichen geradezu den „Heldentod“. Die „ehrenvolle“ Aussicht, als Held und Märtyrer im Krieg für Gott und das Vaterland zu sterben, wird in vielen Liedern der Jahre 1796 und 1797 dezidiert ausgesprochen. Dichter und Rezeption Eine Identifizierung des Verfassers dieses Liedes ist bei der derzeitigen Quellenlage nicht möglich. Bestenfalls kann man Überlegungen über seinen Bildungsstand und seine Herkunft anstellen. An keinem Punkt im Lied offenbart sich der Dichter, denn es gibt kein „Ich“, sondern nur ein „Wir“, womit das Tiroler Volk als Kollektiv gemeint ist. Das Lied zählt zu den wenigen Liedern der Jahre 1796 und 1797, die auf Hochdeutsch, und nicht im Tiroler Dialekt geschrieben wurden. Dies deutet auf einen gebildeten Verfasser hin, der mit Sicherheit eine höhere Schulbildung genossen hat. Jedoch der Umkehrschluss, Dialektlieder stammen von Verfassern mit nur geringer oder fehlender Schulbildung, ist nicht zutreffend, da wir von einigen bekannten Kriegsliedern im Tiroler Dialekt wissen, dass sie von bürgerlichen, sogar adeligen Dichtern geschrieben wurden. Anzunehmen ist schließlich auch, dass es sich um einen Verfasser handelt, der in Sterzing oder in der Umgebung von Sterzing lebte und den Auszug der Sterzinger Scharfschützen höchstwahrscheinlich auch selbst sah. Zuletzt bleibt noch die Frage nach der Wirkung dieses Liedes. Da wir heute nur mehr über einige Flugblattdrucke dieses Neuen Liedes der Sterzinger Scharfschützen verfügen und keinerlei Anhaltspunkte über Aufführungen oder das öffentliche Singen dieses Liedes haben, können wir bloß von einer sehr geringen Rezeption ausgehen. Das Lied war bestimmt kein „Gassenhauer“. Schennach: Revolte (wie Anm. 31), S. 182f. 32 Neues Lied der Sterzinger Scharfschützen 59 Fazit Wegen seiner vielen Facetten kann das Neue Lied der Sterzinger Scharfschützen als ein Musterbeispiel des in Hochdeutsch gehaltenen Kampf- bzw. Agitationsliedes für die Landesverteidigung 1796/1797 gelten. Die religiöse Komponente war ebenso wie die Diffamierung des französischen Feindes ein grundlegender Bestandteil der Kriegslyrik und trug wesentlich zur Mobilmachung der Bevölkerung bei.33 Wichtig ist hierbei zu betonen, dass die Lieder in erster Linie die dahinterstehenden Intentionen sprachlich widerspiegeln. In diesem konkreten Fall ging es dem Verfasser um die Mobilisierung der Bevölkerung und Agitation zu einer erfolgreichen Landesverteidigung Tirols. Er passte seine Wortwahl und den Inhalt dem intendierten Zweck an. Es ist auffallend, dass sich dutzende für die Landesverteidigung 1796/1797 verfasste Lieder in ihrer Wortwahl sehr ähneln. Man kann sich des Verdachtes kaum erwehren, dass möglicherweise Dichter entweder voneinander abschrieben oder aber nur eine kleine Abb. 1: Titelseite des Flugblattdrucks Neues Lied Gruppe von Textproduzenten hinter den der Sterzinger Scharfschützen (Tiroler Landesvielen, meist anonym überlieferten Lie- museum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 535/3). dern steckt. Möglich scheint, dass manche Begriffe dem realen Sprachgebrauch der Zeit entnommen wurden, dass Beschimpfungen wie „Horde“, „Brut“, „Mörder“, „Räuber“ etc. zur Bezeichnung der französischen Truppen tatsächlich üblich waren. Es stellt sich die Frage, ob derartige negative Attribute aus dem alltäglichen Sprachgebrauch einflossen, oder umgekehrt. Feststellen ließe sich dies nur mithilfe aufwändiger Vergleiche mit verwandten lyrischen und gebrauchs prosaischen Texten wie Tagebucheintragungen, Zeitungsartikeln oder auch Briefen. Abschließend ist festzuhalten, dass die hier mobilisierenden Tiroler Lieder von 1796/1797 – und dies verwundert nicht – eine große Ähnlichkeit mit jener patriotischen Lyrik aufweisen, die während der Befreiungskriege gegen Frankreich in den deutschen Staaten in den Jahren 1813–1815 entstanden ist. Auch die Lieder und Gedichte Allgemein zur Stereotypisierung als Komponente von nationaler Identitätsfindung siehe Michael Jeismann: „Was bedeuten Stereotypen für nationale Identität und politisches Handeln?“, in: Jürgen Link / Wulf Wülfing (Hg.): Nationale Mythen und Symbole in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Strukturen und Funktionen von Konzepten nationaler Identität, Stuttgart 1991 (Sprache und Geschichte 16), S. 84–93. 33 60 Kapitel 2 von Theodor Körner, Ernst Moritz Arndt, Friedrich Ludwig Jahn und vielen anderen34 bezweckten die Emotionalisierung, Motivierung und Identitätsbildung im Kampf gegen Napoleons Truppen. Die Berufung auf die Heldentaten der Vorfahren und die Betonung der christlichen Glaubensgrundsätze sind für diese Texte genauso typisch wie für die rund zwanzig Jahre vorher entstandenen Tiroler Kriegslieder.35 Besonders Arndts frühe Gedichte sind vom Hass auf die Franzosen geprägt und enthalten dutzende bildhafte Aufrufe, Franzosen zu töten. Körners Dichtungen hingegen „verfügt[en] über ein nur wenig ausgeprägtes, klischeehaftes, mit sprachlichen Stereotypen […] arbeitendes Feindbild“. Das lyrische Ich der entsprechenden Gedichte als „todesmutiger Kämpfer“ dargestellt, verbunden mit der Erotisierung des Kampfes, macht einen wesentlichen Charakterzug der Körnerschen Befreiungskriegslyrik aus.36 Siehe Kapitel 17 in diesem Band. Siehe dazu Karen Hagemann: „Mannlicher Muth und Teutsche Ehre“. Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens, Paderborn 2002 (Krieg in der Geschichte 8), S. 204–383. 36 Ernst Weber: Die Lyrik der Befreiungskriege (1812–1815). Gesellschaftspolitische Meinungs- und Willensbildung durch Literatur, Stuttgart 1991 (Germanistische Abhandlungen 65), S. 151–168, S. 187–198. Noch etwas allgemeiner zum Feindbegriff während der Befreiungskriege: Michael Jeismann: Das Vaterland der Feinde. Studien zum nationalen Feindbegriff und Selbstverständnis in Deutschland und Frankreich 1792–1918, Stuttgart 1992 (Sprache und Geschichte 19). 34 35 Kapitel 3 „Ich weiß, daß ihr Tyroler seyd! Und unbesiegt geblieben!“. Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen Silvia Maria Erber Viele Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797 ähneln einander in auffallender Weise hinsichtlich ihrer Wortwahl und Bildhaftigkeit. In vielen Liedern wird der Zusammenhalt der kämpfenden Truppen beschworen. Die Angst vor einem militärischen Schlag oder die Wut über einen nahenden Angriff äußern sich in einer gewaltvollen Sprache und in blutigen Fantasien darüber, wie man dem französischen Volk – nicht nur den französischen Soldaten – den Garaus bereiten könnte. Die militärische Bedrohung wird als eine gesamtgesellschaftliche Bedrohung dargestellt. Die Erinnerung an vergangene, ruhmreiche Tage der Landesverteidigung, wie etwa an die Kämpfe von 1703, dient der Mobilisierung und soll die Männer in ihrem Stolz, Tiroler zu sein, bestärken. Abgesehen von der religiösen Tendenz vieler dieser Lieder geht es darum, beim Publikum patriotische Gefühle zu wecken. Die Gefechte von 1796 und 1797 erfolgten ja mit dem Zweck, den eindringenden, sich auf dem Durchmarsch befindlichen französischen Truppen Widerstand zu leisten, die eigenen Grenzen zu sichern und „den Feind“ daran zu hindern, sich mit seinen Truppen im Süden Deutschlands zu vereinigen. In einer Zeit, in der markante gesellschaftliche Umwälzungen den Nationalismus förderten, spielten agitatorische Kriegslieder eine wichtige, auch aus heutiger Sicht noch bemerkenswerte Rolle. Die facettenreiche, mitunter heterogene Bedeutung von „Patriotismus“ und „Vaterland“ und die damit verbundenen Identitätsmuster lassen sich beispielhaft am folgenden als „Volkslied“ bezeichneten Lied erläutern, Abb. 1: Titelblatt des Flugblattdrucks Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen und Landleuten von Joseph das in den Sommermonaten 1796 von Freiherr von Hormayr zu Hortenburg (Tiroler Joseph Freiherr von Hormayr zu Horten- Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, Dip. burg gedichtet wurde: 134/18). 62 Kapitel 3 Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen und Landleuten, welche im Begriffe stehen, ihr Vaterland wider die alleszerstörende Frankreicher muthig zu vertheidigen, von einem Gutgesinnten geweihet. Gesungen am 1sten Brachmonath 1796. Das Vaterland ist in Gefahr! Auf Brüder, es zu retten! Befrey’ es muth’ge Brennenschaar Von der Neufranken Ketten! Der Franke drängt mit Macht herbey! Auf ! zeiget euren Muth! Versiegelt eure alte Treu Mit eurem Hab, und Blut! Zeigt eurem übermüth’gen Feind Die nie besiegte Brust! Mit Muth – und Biedersinn vereint – Er flieht – Ich seh’s mit Lust. In’s Feld für die Religion! Mit ihr sprecht ihr dem Leiden Des Schicksals bittern Schlägen Hohn, Sie würzet eure Freuden! In’s Feld für’s allgemeine Wohl! Zu stolzer Feind’ Verderben, Für Gott! den Fürsten! für Tyrol! Auf ! siegen oder sterben! In’s Feld die wilde Hord’ zerstört Was heilig, lieb euch heißet; Sie ist’s die euer Hab verheert, Und jedes Band zerreißet. In’s Feld für eurer Weiber Ehr’ Die Unschuld eurer Kinder! Auf ! – seht der Franke zittert, er Gibt nach, und wird gelinder! Er fürchtet jenen Edelmuth Mit dem ihr sterbt, und lebet! Den Eifer mit dem ihr eu’r Blut Dem Vaterlande gebet. Schon legt er sich – sein Uebermuth Mit dem er: Mord! uns dräute, Weil wallendes Tyrolerblut Ihm: Rache! prophezeyte! Auf euch beruht nun Deutschlands Wohl! Die Sicherheit des Fürsten! Ihr windet Lorbern, euch! Tyrol! Nach denen Helden dürsten! Oft war Tyrol in der Gefahr, Doch ging es nie zu Grunde. Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen 63 Es riß der tapfern Brennenschaar Es aus Alektos Schlunde. Bleibt eurer Aeltern Tugend hold! Ihr siegt; nach tapfer’m Streiten Wie einstens unter Leopold So unter F r a n z d e m Z w e y t e n . Ich weiß, daß ihr Tyroler seyd! Und unbesiegt geblieben! So gut im Glück! so groß im Leid! Wer sollte euch nicht lieben? Darum ihr Helden! auf und fort! Den Franken zum Verderben! Wählt euch zu eurem Losungswort: Auf ! Siegen oder sterben!1 Der 14-strophige Text, gedichtet zu Beginn der Auseinandersetzung mit den französischen Truppen, offenbart in Reim und Wortwahl einen gebildeten Dichter. Obwohl das Lied ohne Zweifel zu den vielen Kriegs- bzw. Kampfliedern der Jahre 1796 und 1797 zählt und auch die typischen Kennzeichen einer kriegerischen, mobilisierenden Sprache trägt („Auf Brüder, es zu retten!“, „In’s Feld für die Religion!“, „In’s Feld für’s allgemeine Wohl“ etc.), fällt doch auf, dass der Dichter weder besonders diffamierende noch betont gewaltaufreizende Ausdrücke verwendet. Sein Feindbild ist wenig ausgeprägt, bloß einmal ist von einer „wilden Hord“ die Rede. Die Verse gestalten sich im Vergleich zu ähnlichen Liedern keinesfalls so durchwegs negativ. Die üblichen Hasstiraden gegen das französische Volk fallen fast gänzlich weg. Anstatt sich in hass- und zornerfüllten Versen über den Feind zu ergehen, appelliert er mittels Begriffen wie „Vaterland“ oder mit Parolen wie „Für Gott! den Fürsten! Für Tyrol!“ an das Gefühl der Vaterlandsliebe. Identität und Patriotismus als Topoi der Kriegslieder Einige Strophen dieses Liedes erhellen das Konzept des Landes- und Reichspatriotismus in Tirol am Ende des 18. Jahrhunderts. Wir befinden uns in einer Phase der europäi schen Geschichte, in der die Entwicklung unterschiedlich ausgeprägter Patriotismen zu nationalen Identitätsbildungen führt. Die Heterogenität des Heiligen Römischen Reiches2 um 1800 ist diesbezüglich geradezu ein Paradefall, sind doch das Reich, die 1 2 Siehe Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, Dip. 134/18. Siehe auch Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 154–156; Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 5–7. Der Text findet sich auch als Flugblatt in einer Sammlung von Kriegsliedern: Valentin Lampacher: Waffen für die Töchter Tyrols oder Bethen ist auch gestritten, o. O. o. J. Siehe auch Liedindex, Nr. 146. Über den Reichspatriotismus, seine Gestalt und seine Konjunkturen in der Neuzeit siehe: Karl Otmar Freiherr von Aretin: „Reichspatriotismus“, in: Günter Birtsch / Meinhard Schröder (Hg.): Patriotismus in Deutschland. Öffentliche Ringvorlesung, Wintersemester 1988/89, Trier 1993 (Trierer Beiträge. Aus Forschung und Lehre an der Universität Trier 22), S. 4–9, sowie Michael Stolleis: „Reichspublizistik und Reichspatriotismus vom 16. zum 18. Jahrhundert“, in: ebd., S. 21–28. 64 Kapitel 3 Fürstenstaaten, die regionalen Territorien und nicht zuletzt die verschiedenen Ethnien mit ihrem jeweiligen Nationalbewusstsein dabei zu berücksichtigende Komponenten3 in einem vielfältigen Nebeneinander von Loyalitätsmustern und Identitätsbildern.4 Das Identitätsbewusstsein etwa eines Tirolers um 1800 konnte sich folgendermaßen gestalten: Zum einen mag er sich als Tiroler, d. h. als Einwohner der gefürsteten Grafschaft Tirol, gefühlt haben. Sein Landesfürst war der jeweilige habsburgische Erzherzog, der die Herrschaft über den habsburgischen Territorialkomplex innehatte. Eine zweite Identität konnte sich somit ebenso auf die habsburgische Dynastie und ihre Territorien beziehen. Und drittens stellten die Habsburger seit dem 15. Jahrhundert fast ununterbrochen das gewählte Oberhaupt des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, zu dem auch Tirol gehörte. Der Tiroler Bevölkerung boten sich also um 1800 drei Identifikationsebenen – Land, „Staat“ bzw. Herrscherdynastie und Reich –, ein Umstand, der selbst in den Kriegsliedern deutlich spürbar ist. Eine alle sozialen Schichten umfassende patriotische Bewegung in den Ländern des Alten Reiches ist erst angesichts der Bedrohung durch das napoleonische Frankreich und erst nach dem endgültigen Auseinanderbrechen des fast tausendjährigen Reichsverbandes zu erkennen. Während manche Historikerinnen und Historiker diese durch den Krieg ausgelöste Patriotismuswelle als Ausgangsbasis für eine Nationsbildung betrachten,5 relativieren andere die Kriegsjahre 1792–1815, indem sie sie lediglich als eine „wichtige Beschleunigungsphase in einem längeren Verlaufsprozess“ der Nationsbildung einstufen.6 Die Begeisterung für den Vaterlandsgedanken artikulierte sich unter anderem in der so genannten „Befreiungslyrik“, in Gedichten und Liedern, die während der Befreiungskriege zwischen 1813 und 1815 in den deutschen Staaten verfasst wurden. Sie wurden in politischen Zeitungen verbreitet und trugen wesentlich zu einer relativ flächendeckenden, gemeinschaftlichen politischen Willensbildung, auch zur Entwicklung von Nationalgefühl und freilich auch Patriotismus bei. Das wichtigste Merkmal dieser Lyrik ist im Gegensatz zur zeitgleich ebenso noch produzierten landespatriotischen Lyrik das Fehlen der damals üblichen „Fürstenbeweihräucherung“, der Lobpreisung absolutistischer Herrschaftsverhältnisse.7 Die Qualität dieser Kriegslieder und -gedichte, ihre große Verbreitung und damit einhergehend ihre mobilisierende Effizienz regen dazu an, sie mit den Kampfliedern in Tirol von 1796/1797 zu vergleichen. Vorerst beschäftigt uns aber diese Frage: Welches „Nationalgefühl“ wurde in den Liedern von 1796 und 1797 geschürt? Otto Dann / Miroslav Hroch: „Einleitung“, in: Otto Dann / Miroslav Hroch / Johannes Koll (Hg.): Patriotismus und Nationsbildung am Ende des Heiligen Römischen Reiches, Köln 2003 (Kölner Beiträge zur Nationsforschung 9), S. 9–18, hier S. 10. 4 Laurence Cole: „Vom Sonderfall zum europäischen Normalfall? Zur kollektiven Identitätsbildung in Tirol um 1809“, in: Marco Bellabarba / Ellinor Forster / Hans Heiss / Andrea Leonardi / Brigitte Mazohl (Hg.): Eliten in Tirol zwischen Ancien Régime und Vormärz. Akten der internationalen Tagung vom 15. bis 18. Oktober 2008 an der Freien Universität Bozen, Innsbruck – Wien – Bozen 2010 (Ver öffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 31), S. 113–142, hier S. 121. 5 Dann/Hroch: „Einleitung“ (wie Anm. 3), S. 11. 6 Cole: „Sonderfall“ (wie Anm. 4), S. 113. 7 Ernst Weber: „Zwischen Emanzipation und Disziplinierung. Zur meinungs- und willensbildenden Funktion politischer Lyrik in Zeitungen zur Zeit der Befreiungskriege“, in: Ulrich Herrmann (Hg.): Volk – Nation – Vaterland, Hamburg 1996 (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 18), S. 325–352; Ernst Weber: Lyrik der Befreiungskriege (1812–1815): Gesellschaftspolitische Meinungs- und Willens bildung durch Literatur, Stuttgart 1991 (Germanistische Abhandlungen 65). 3 Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen 65 Um Erkenntnisse über Formen und die Intensität von Patriotismus bzw. mehrerer Patriotismen oder von Vaterlandsbegriffen zu erhalten, eignet sich eine Methode, die für die Untersuchung von politischen Sprachen angewandt wird.8 Politische Texte, zu denen auch politische Lieder zählen können, werden auf „Schlagwörter“ und deren Häufigkeit und Aussagekraft untersucht. Der Kontext, d. h. der Sinnzusammenhang dieser Wörter wird qualitativ betrachtet.9 Dem Begriff der „Nation“ wird verständlicherweise in den jüngeren Forschungen zum Nationsdiskurs und zu den Ausprägungen des Nationalen die größte Aufmerksamkeit geschenkt.10 In der österreichischen Monarchie etwa wird der Begriff „Nation“ im 18. Jahrhundert vor allem von der zentralen Regierung in Wien relativ uneinheitlich gebraucht. So wurde „Nation“ einerseits oft mit „Kronland“ gleichgesetzt, andererseits konnte „Nation“ auch das Volk bezeichnen.11 Bezogen auf das Territorium Tirols ist festzustellen, dass das Land seit etwa dem Ende des 13. Jahrhunderts als eine „rechtliche“ Entität“12 wahrgenommen und auch als „Vaterland“ bezeichnet wird. Der Begriff der „Nation“ etablierte sich in den 1790er-Jahren vor allem in den ständisch-bürokratischen Diskursen. Dabei diente die Bezeichnung vor allem der Akzentuierung der althergebrachten Rechte und Freiheiten Tirols gegenüber der österreichischen Regierung, die die individuelle rechtliche Stellung Tirols zugunsten eines Zentralismus auszuhöhlen versuchte.13 Die erstmalige Applizierung des Begriffs „Nation“ auf Tirol ist allerdings schon aus dem Jahr 1667 bekannt.14 Eine hinsichtlich seiner Semantik territoriale Aufladung erfährt der Nationsbegriff in Bezug auf Tirol am Ende des 18. Jahrhunderts, beispielsweise in einer ethnografischen Studie,15 in der von der „Tiroler Bergnation“ die Rede ist.16 Ich folge hier in erster Linie den Ausführungen von Armin Burckhardt: „Politische Sprache. Ansätze und Methoden ihrer Analyse und Kritik“, in: Jürgen Spitzmüller / Kersten Sven Roth / Beate Leweling / Dagmar Frohning (Hg.): Streitfall Sprache. Sprachkritik als angewandte Linguistik?, Bremen 2002 (Freiburger Beiträge zur Linguistik 3), S. 75–114. 9 Heiko Girnth: Sprache und Sprachverwendung in der Politik. Eine Einführung in die linguistische Analyse öffentlich-politischer Kommunikation, Tübingen 2002 (Germanistische Arbeitshefte 39), S. 9. 10 Siehe beispielsweise Dieter Langewiesche: „Nation, Nationalismus, Nationalstaat: Forschungsstand und Forschungsperspektiven“, in: Neue Politische Literatur 40 (1995), S. 190–236; Reinhard Stauber: „Nationalismus vor dem Nationalismus? Eine Bestandsaufnahme der Forschung zu ‚Nation‘ und ‚Nationalismus‘ in der frühen Neuzeit“, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 47 (1996), S. 139– 165. Um den Nationsbegriff im habsburgischen Territorialkomplex der frühen Neuzeit geht es bei Heinz Noflatscher: „‚Staat‘ und ‚Nation‘ in der politischen Sprache Österreichs in der Frühen Neuzeit“, in: Marco Bellabarba / Reinhard Stauber (Hg.): Territoriale Identität und politische Kultur in der Frühen Neuzeit, Bologna 1998 (Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient 9), S. 167–186. 11 Reinhard Stauber: „Vaterland – Provinz – Nation. Gesamtstaat, Länder und nationale Gruppen in der österreichischen Monarchie 1750–1800“, in: Eckhart Hellmuth / Reinhard Stauber (Hg.): Nationalismus vor dem Nationalismus?, Hamburg 1998, S. 55–72, hier S. 68. Zur Ausbildung eines „österreichischen“ Staatsbewusstseins durch die Historiografie vgl. Brigitte Mazohl / Thomas Wallnig: „(Kaiser)Haus – Staat – Vaterland. Zur ‚österreichischen‘ Historiographie vor der ‚Nationalgeschichte‘“, in: Hans Peter Hye / Jan Paul Niederkorn / Brigitte Mazohl (Hg.): Nationalgeschichte als Artefakt. Zum Paradigma „Nationalstaat“ in den Historiographien Deutschlands, Italiens und Österreichs, Wien 2009, S. 43–72. 12 Martin P. Schennach: Revolte in der Region. Zur Tiroler Erhebung von 1809, Innsbruck 2009 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 16), S. 170. 13 Ebd., S. 174–176. 14 Ebd., S. 174. 15 Joseph Rohrer: Uiber die Tiroler. Ein Beytrag zur Oesterreichischen Völkerkunde, Wien 1796. 16 Die Bezeichnung „Tiroler Bergnation“ bezog sich auf alle Einwohner Tirols und zeigt damit den markanten semantischen Punkt an, an dem der Begriff „Nation“ die Bedeutung des Volkes in seiner Gesamtheit annahm. 8 66 Kapitel 3 Der Terminus „Nation“ war nach Laurence Cole vorrangig „an essentially territorial concept, which referred to the political unit of Tyrol as being one of the lands or states of the Austrian monarchy“, der in elitären Diskursen wie eben jenen zwischen der Zentralregierung in Wien und den Landständen in Tirol gelegentlich auftrat.17 Betrachtet man aber die Kriegs- und Kampflieder, die anlässlich der Landesverteidigung Tirols in den Jahren 1796 und 1797 produziert und verbreitet wurden, ist festzustellen, dass dieser Terminus kein einziges Mal aufscheint. Hingegen finden sich in den Texten der verwandte Begriff „Vaterland“ sowie territoriale, ethnische und herrschaftspolitische Bezeichnungen wie „Tirol“, „Deutschland“ bzw. „deutsch“, „Kaiser“, „Fürst“ bzw. „Landesfürst“. Im Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen und Landleuten gebraucht der Dichter den Begriff „Vaterland“, ohne dass sich seine Bedeutung völlig erschließt. Es bleibt unklar, ob sich die Formulierung „Das Vaterland ist in Gefahr“ auf das Land Tirol, die habsburgischen Länder oder gar das Reich bezieht. In den zahlreichen Kriegs- und Kampfliedern jener Zeit begegnet uns der Begriff immer wieder, jedoch erschwert seine relativ undifferenzierte Verwendung die Rekonstruktion seiner Bedeutung. Verse wie „Füllet Eure Röhre, / Losung sey: / Vaterlandsehre, / Fürstentreu“18 in einem anderen Lied erlauben die Vermutung, dass durch die Nennung des „Fürsten“ anstatt jener des „Kaisers“ der Begriff „Vaterland“ auf Tirol alleine gemünzt gewesen sein könnte. Eine klare reichspatriotische Konnotation hingegen offenbart Hormayrs Formulierung „Auf euch beruht nun Deutschlands Wohl! / Die Sicherheit des Fürsten!“.19 Diese eindeutige deutschnationale Positionierung ist in einigen anderen Liedern zu erkennen, wie etwa im folgenden Beispiel: Wem deutscher Muth die Brust beseelt, der zieh mit uns hinein. wer Gott, Gesetz und Kaiser ehrt, der ist des deutschen Namens werth auf Brüder! marsch hinein. Für Gott, für Fürst, für Weib und Kind, für Haus und Hof, die unser sind, ziehn wir den Fahnen nach. und unsre Patrioten-Hand beschützet das liebe Vaterland, und unsre eigne Sach […] vereinte Brüder, marsch hinein! bald wird der Feind uns nahe seyn, so geh’n wir Hand in Hand. Die Trommel wirbelt, marsch, es sey der treuen Bürger Feldgeschrey: für Gott, Regent und’s Land!!20 Laurence Cole: „Nation, Anti-Enlightenment and Religious Revival in Austria: Tyrol in the 1790’s“, in: The Historical Journal 43 (2000), Heft 2, S. 475–497, hier S. 480. 18 Johann Friedrich Primisser: Für die Tyroler Scharfschützenregimenter den 27n May 1796, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 39. Siehe auch Liedindex, Nr. 114. 19 Johann Baptist Primisser: Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen und Landleuten, welche im Begriffe stehen, ihr Vaterland wider die alleszerstörende Frankreicher muthig zu vertheidigen, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 5. Siehe auch Liedindex, Nr. 146. 20 Anton von Remich: Kriegslied beym Abmarsche der Tyroler Scharfschützen im May 1796, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 56. Siehe auch Liedindex, Nr. 150. 17 Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen 67 In diesen Versen aus einem Kriegslied beym Abmarsche der Tyroler Scharfschützen im May 1796 zeigt es sich, dass Reichspatriotismus parallel zum Landespatriotismus möglich war und das eine das andere nicht ausschloss. Die Häufigkeit jedoch, mit der hier der „deutsche“ Charakter der Tiroler betont wird, ist einzigartig unter all den untersuchten Liedquellen. Texte wie diese geben laut Laurence Cole die Sicht auf eine „subjektive Identifizierung“ der Tiroler als Deutsche frei und zeigen, wie sehr sich die Tiroler im Kampf gegen die französischen Revolutionäre als „Deutsche“ fühlten.21 Aus der Untersuchung von etwa 55 Jahre jüngeren, aber ähnlichen schriftlichen Quellen schloss jedoch Cole, dass das Bewusstsein vom „Tiroler Vaterland“ stärker ausgeprägt war als die „kulturell definierte Selbstwahrnehmung“ der Tiroler als Deutsche. Die „eigenständige Stellung“ Tirols im Länderkomplex der Habsburger wurde in keiner Weise in Frage gestellt.22 Coles Schlussfolgerungen lassen sich jedoch nicht uneingeschränkt auf die Liedquellen der Jahre 1796 und 1797 übertragen. Das Land Tirol und die Tiroler spielen in diesen Liedern naturgemäß eine große Rolle, die Wehrhaftigkeit der Bevölkerung wird vielfach beschworen, und dennoch scheint die Verteidigung des Landes, der Interessen des Hauses Österreich und letztlich auch des Reiches eine wichtigere Rolle gespielt zu haben als die Betonung des Tirolertums. Die Wahrnehmung, die Tiroler seien unabhängig und selbständig vom Reich und würden eine besondere Position im Territorialkomplex der Habsburger einnehmen, könnte unter Umständen eher auf eine Zuschreibung von außen zurückgehen. Denn folgt man den Liedtexten, dominierte zumindest in der bedrohlichen Notlage der Jahre 1796 und 1797 das Bewusstsein, einem größeren Kollektiv und Staatenverband anzugehören. So formuliert beispielsweise der Feldarzt Alois Weissenbach in seinem Siegeslied: „Was deinen Millionen nicht gelungen, / Germanien, das hat Tyrol errungen“.23 Die Texte von Hormayr, Weissenbach und anderen implizieren letztlich sogar eine Art „letzte Schutzfunktion“, die Tirol für das Reich innehatte. In der schwierigen Situation nach einer Reihe von Niederlagen im Süden Deutschlands sah man Tirol als letztes Bollwerk für die Sicherheit des gesamten Reichs. Die Mobilisierung der Tiroler zum Kampf sollte nicht nur dem Land Tirol alleine dienen, sondern der Erhaltung der „rechtmäßigen“ Herrschaft. Dahingestellt muss aber bleiben, ob mit dieser Herrschaft das Heilige Römische Reich unter Kaiser Franz II. oder aber dessen Herrschaft über die österreichischen Länder gemeint war. Laurence Cole resümiert nach seiner Unter suchung mehrerer publizistischer Quellen, dass die Ereignisse der Jahre 1796 und 1797 und auch von 1809 den davor eher nur in elitären Kreisen ausgetragenen Diskurs und das Zugehörigkeitsgefühl sowohl zum Hause Habsburg als auch zum Alten Reich stark intensiviert haben.24 Zusammenfassend lässt sich auch feststellen, dass die auffällige deutschnationale oder dynastische Note in einigen Liedern der kriegerischen Mobilisierung dienlich war. Laurence Cole: „Religion und patriotische Aktion in Deutsch-Tirol (1790–1814)“, in: Dann/Hroch/ Koll (Hg.): Patriotismus und Nationsbildung (wie Anm. 3), S. 345–378, hier S. 361. 22 Laurence Cole: „Gott, Kaiser und Vaterland“. Nationale Identität der deutschsprachigen Bevölkerung Tirols 1860–1914, Frankfurt a. M. – New York 2000, S. 101–104. 23 Alois Weissenbach: Das gerettete Tyrol, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 124–131, hier S. 131. 24 Cole: „Sonderfall“ (wie Anm. 4), S. 139. 21 68 Kapitel 3 Joseph Freiherr von Hormayr zu Hortenburg Über die Liedproduzenten der Jahre 1796 und 1797 wissen wir nur wenig, ein Name jedoch hebt sich von allen anderen ab: Joseph Freiherr von Hormayr zu Hortenburg (1782–1848), der letzte männliche Nachkomme einer alten niederbayerischen, aber schon lange in Tirol ansässigen Adelsfamilie.25 Er gilt laut einigen Quellen als der Verfasser des Liedes Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen und Landleuten, welche im Begriffe stehen, ihr Vaterland wider die alleszerstörende Frankreicher muthig zu vertheidigen.26 Dieses oben näher ausgeführte Lied soll Hormayr schon als 15-Jähriger – möglicherweise aus Enttäuschung, dass seine Eltern ihm nicht erlaubt hatten, an der Tiroler Landesverteidigung selbst teilzunehmen – verfasst haben. Hormayr, heute als „romantischer Historiograph des Abb. 2: Joseph Freiherr von Hormayr zu HortenVaterlandes Österreich“ beschrieben und burg (1782–1848) als junger Mann (Tiroler Lanals „Held des Jahres 1809“ eher belächelt, desmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, W 4945). zählte zu den wichtigsten Persönlichkeiten der Tiroler Geschichte um 1800. Die Stationen seines Lebens waren so vielfältig wie kontrovers und seine politischen Einstellungen weckten schon bei seinen Zeitgenossen den Eindruck von Opportunismus.27 Nach seiner Kindheit in Tirol ging er, überdurchschnittlich begabt, noch im Jugendalter als fertig ausgebildeter Jurist nach Wien, kehrte aber 1800 erstmals nach Tirol zurück, um als Oberleutnant bei der Tiroler Landesverteidigung mitzuwirken. Während des Aufstandes von 1809, an dessen Vorbereitung er mitgewirkt hatte, nahm er als „Hofcommissär“ von Tirol einen bedeutungsvollen Platz neben Andreas Hofer ein. Nach dem Bekanntwerden seiner Verwicklung in den Alpenbund, einer geheimen Tiroler Widerstandsbewegung in den Jahren nach 1809, verlor er das Vertrauen des Wiener Hofes. Er publizierte zwar weiterhin rege, wurde aber auch gesellschaftlich noch mehr an den Rand gedrängt, sodass er 1827 den Entschluss zur Barbara Gant: Joseph Freiherr von Hormayr zu Hortenburg. Eine (politische) Biographie, Dissertation, Universität Innsbruck 2003, S. 11. 26 Einschlägige Publikationen zu Hormayr: Walter Landi: „Joseph von Hormayr zu Hortenburg (1781– 1848). Romantische Historiographie im Zeitalter der Restauration zwischen patriotischer Loyalität und liberalen Unruhen“, in: Bellabarba/Forster/Heiss/Leonardi/Mazohl (Hg.): Eliten in Tirol (wie Anm. 4), S. 385–406; Kurt Adel (Hg.): Joseph Freiherr von Hormayr und die vaterländische Romantik in Österreich. Auswahl aus dem Werk, Wien 1969 (Österreich Reihe 368/370); Walter Landi: „Joseph von Hormayr (1781–1848) – Leben und Wirken eines Tiroler Intellektuellen zwischen josephinischer Zeit und Metternich’schem Vormärz“, in: Museumsverein Bozen (Hg.): Zeitgeist 1790–1830. Ideologie, Politik, Krieg in Bozen und Tirol, Bozen 2011, S. 67–78. 27 Gant: Hormayr (wie Anm. 25). 25 Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen 69 Auswanderung ins Königreich Bayern fasste. Dort unter anderem als geheimer Rat im Außenministerium und später als Leiter des Reichsarchivs tätig, starb er im Jahr 1848.28 Viele Werke Hormayrs sind von einem gesamtösterreichischen Patriotismus geprägt, in vielen seiner Gedichte betrieb er, angeregt von aktuellen Anlässen, Kriegsverherr lichung. Sein Talent als „genialer Aufwiegler“29 hatte er ja, wie bereits erwähnt, schon als Jugendlicher mit seinem Volkslied unter Beweis gestellt. Geschichtliche Abhandlungen wie der Österreichische Plutarch verdeutlichen die Dimensionen seines Vaterlandbegriffes. Die „Vaterlandsliebe“ seiner Mitbürger zu intensivieren war Teil seiner Propaganda gegen das napoleonische Frankreich. Hormayr war ein Anhänger sowohl der habsburgischen Dynastie als auch der Reichsidee. Eine „deutschnationale Lesart“ seiner Texte ist laut Lucjan Puchalski unbestritten.30 Anlässlich des Aufstandes von 1809 publizierte Hormayr den Aufruf Auf, Tyroler, auf!,31 in dem die „Rhetorik der Kaisertreue eine ganz zentrale Legitimationsstrategie“ darstellt.32 Der Eindruck, den Hormayrs jugendliche Dichtung in punkto Vaterlandspathos – ob bezogen auf Reich, Land oder Dynastie – erweckt, lässt sich auch in einem weiteren, ihm zugeschriebenen33 Gedicht bzw. Lied mit dem Titel Aufmunterung des getreuen Tyrolers zum Vaterlands-Schutze; Verfasst von einem getreuen Patrioten zu Innsbruck 1796 erkennen.34 Adelige als Dichter Joseph Freiherr von Hormayr war vermutlich der bekannteste Exponent adeliger Dichtung zur Zeit der Landesverteidigung 1796 und 1797, aber nicht der einzige.35 Einige der gedruckten Flugblätter weisen zwar nicht die vollständigen Namen der Verfasser auf, wohl aber Initialen, wie etwa „B. G. G.“ (Baron Giuseppe Giovanelli) oder „J. P. v. U.“ (Johann Peter von Unterrichter). Während der Großteil der Lieder aus den Jahren 1796 Ebd., S. 17. Ebd., S. 100. 30 Lucjan Puchalski: Imaginärer Name Österreich. Der literarische Österreichbegriff an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, Wien – Köln – Weimar 2000 (Schriftenreihe der österreichischen Gesellschaft zur Erforschung des 18. Jahrhunderts 8), S. 71f. 31 Landi: „Hormayr / Romantische Historiographie“ (wie Anm. 26), S. 391. 32 Cole: „Sonderfall“ (wie Anm. 4), S. 130. 33 Cole: „Nation“ (wie Anm. 17), S. 492. 34 Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 1; einige Verse daraus: „Auf! Auf! mein lieb’s Tirol, du Pflanzstadt wahrer Treu: / Zeig, daß noch Muth und Herz in deinem Busen sey. / Blick tröstlich auf die Zeit, auf ’s Beispiel deiner Ahnen, / Auf ihr’ durch Tapferkeit erworbne Siegesfahnen. / […] Zeigt jetzt nur deutsch Herz und Patriotenmuth, / Verschonet weder Leib, noch Leben, weder Blut. / All’s sich zu dem Gewehr, und zu den Waffen gibt, / Wer immer Vaterland, Gott und den Kaiser liebt. / Und seht, der Ahnen Ruhm hat alles aufgeweckt, / Der Große wie der Klein’ sich zu den Waffen streckt. / Der Adelstand legt seine ganze Würde nieder, / Vereinigt sich anjetzt in die gemeinen Glieder; / Er reicht, was er vermag, von Gold und Silberwaar’ […]“. Siehe auch Liedindex, Nr. 142. 35 Es handelte sich freilich bei den hier genannten „adeligen“ Dichtern in den meisten Fällen nicht um eigenberechtigte Adelsgeschlechter, d. h. weder um Reichsadel noch um indigenen Uradel; in den meisten Fällen war ein hervorragender Vertreter der Familie im Laufe des 18. Jahrhunderts nobilitiert worden. So wurde beispielsweise erst Hormayrs Großvater Joseph (I.) von Maria Theresia in den österreichischen und Reichsfreiherrnstand erhoben, Baron von Giovanelli erlangte für seine Person den Freiherrnstatus erst im Jahr 1801, der Vater von Johann Peter Freiherr von Unterrichter war 1732 nobilitiert worden. 28 29 70 Kapitel 3 und 1797 ja anonym überliefert ist, war es den Dichtern adeliger Herkunft ein Anliegen, ihre Namen zumindest etwas verschleiert unter ihre Werke zu setzen. Dies verrät einiges über ihr Standesbewusstsein. Karl Hauer, der Verfasser einer Doktorarbeit über die Dichtung in den Tiroler Freiheitskriegen, führt dies darauf zurück, dass die „gelehrten“ Dichter mit ihren Texten „neben den tendenziösen auch ein ästhetisches Interesse“ verfolgten. Ihre Gedichte waren somit nicht nur „Mittel zum Zweck, sondern bis zu einem gewissen Grad Selbstzweck“.36 Dies mag grundsätzlich stimmen. Hauer schätzte die bürgerlichen Dichtungen im Volkston von Johann Friedrich Primisser, Peter Paul Staudacher und Franz Karl Zoller37 als qualitativ höher ein als jene der adeligen Dichter, nicht zuletzt aufgrund des Fehlens von dialektal geprägter Sprache in den Gedichten der Adeligen.38 Ein Vergleich zwischen den Liedern bzw. Gedichten von Joseph von Giovanelli (1750–1812),39 Anton von Remich,40 Johann Baptist Rinna (1764–1846),41 Johann Peter von Unterrichter42 und A. A. v. Feldhofer43 und den stark dialektal geprägten Liedern von Primisser, Zoller und Staudacher zeigt auf den ersten Blick, dass die adeligen Dichter nie den Dialekt benützen. Dies verwundert allerdings im Kontext der Zeit nicht; während nämlich noch bis ins 18. Jahrhundert in den österreichischen Ländern selbst der Adel und das Großbürgertum den Dialekt als Alltagssprache verwendeten (berühmtestes Beispiel ist dafür Erzherzogin Maria Theresia), setzte ab den 1780erJahren eine sprachliche Wende ein. Dialekte wurden in höheren sozialen Schichten als „Pöbelsprache“ missachtet und der Gebrauch der mittel- und norddeutschen Formen der Sprache, der letztendlich auch den Weg zur einheitlichen deutschen Schriftsprache ebnete, wurde forciert.44 Deshalb kann das Fehlen des Dialekts in den adeligen Dich- Karl Hauer: Die Dichtung der Tiroler Freiheitskriege in den Jahren 1796, 1797 und 1809, Dissertation, Universität Innsbruck 1941, S. 23. 37 Siehe dazu Kapitel 4 in diesem Band. 38 Hauer: Dichtung der Tiroler Freiheitskriege (wie Anm. 36), S. 23f. 39 Baron Giuseppe (Joseph) Giovanelli gehörte einer der bekanntesten Bozener Familien um 1800 an und bekleidete einen wichtigen Verwaltungsposten in seiner Heimatstadt. Sein Sohn Joseph Giovanelli spielte 1809 eine bedeutende Rolle an der Seite von Andreas Hofer; Hauer: Dichtung der Tiroler Freiheitskriege (wie Anm. 36), S. 53. Er verfasste das Kriegslied der Tyroler und bezeichnete sich selbst als einen „eifrigen Patrioten“. Das Lied findet sich in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 38. Siehe auch Liedindex, Nr. 166. 40 Anton von Remich, ein Freund der Familie Giovanelli, dichtete das Kriegslied beym Abmarsche der Tyroler Scharfschützen im May 1796, laut Hauer möglicherweise auch das Lied An seine Excellenz dem Herrn Feldmarschall Grafen von Wurmser bey dessen Durchreise durch Botzen im Tirol zur Uebernahme des Commando der k. k. Armee in Italien. 1796 (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 627/1). Remichs Lebensdaten konnten nicht eruiert werden. Siehe auch Liedindex, Nr. 150 und 151. 41 Hauer: Dichtung der Tiroler Freiheitskriege (wie Anm. 36), S. 54. 42 Johann Peter von Unterrichter, später k. k. Landrichter in Kaltern, dichtete das Lied der wackeren Etschländer die zur Vertheidigung des Vaterlandes auf den Gränzen stehen. 1796; abgedruckt in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 57, bzw. Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, Dip. 193. Siehe auch Liedindex, Nr. 107. Unterrichters Lebensdaten konnten nicht eruiert werden. 43 A. A. v. Feldhofer (die Vornamen und Lebensdaten sind nicht überliefert) gilt als der Dichter des Liedes Landes-Defensions-Zug und Abschied der Tiroler. 1796, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 43 (siehe auch Liedindex, Nr. 167), sowie des Tafel-Gesprächs zwischen einem österreichischen Wirth, einem Vorarlberger, einem Ober- und Unterinnthaler, einem etschländischen Schützen, einem Pusterthaler und einem kaiserlichen Soldaten von der Rheinarmee, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 71. 44 Peter Wiesinger: „Die sprachlichen Verhältnisse und der Weg zur allgemeinen deutschen Schriftsprache in Österreich im 18. und 19. Jahrhundert“, in: Andreas Gardt / Klaus J. Mattheier / Oskar Reichmann 36 Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen 71 tungen auch als ein Mittel der Abgrenzung nach unten, zu den dichtenden Bürgern und Bauern, verstanden werden. Alle diese Lieder handeln, wie schon weiter oben festgestellt, von den angeblichen Morden und Verbrechen der französischen Soldaten. Sie mobilisieren zum Kampf für das „Vaterland“ und erinnern an das Jahr 1703. Auffallend ist jedoch der Gestus der Gelehrsamkeit, der sich etwa in antiken Begriffen („Männer der rhätischen Höhen“)45 oder auch in der Reimform ausdrückt, wie im folgenden Beispiel: Schon schallet das Spalten der Schwerter empor, Das Knallen aus donnernden Röhren, Das Pfeifen der stossenden Speeren, Das tönet melodisch dem krieg’rischen Ohr. Jauchzt Väter und Gatten, wir fliegen zum Krieg, Fort Brüder in’s Felde! Das Waffengetümmel, Und’s Stürzen der Felsen das wird uns zum Himmel, Zur Hölle den Franken, – uns wartet der Sieg.46 Oder auch hier: Indeß erhebt sich über die Martinswand Im Feuerkleide strahlend der Genius Des Vaterlands, ein schöner Jüngling; Liebliche Weste beschleichen kosend. Die goldenen Locken. Aelterer Thaten Ruhm und Fürstentreue halten die Krone ihm. Er spricht gen Osten: „Die am Ister47 „Wohnen, ihr alle, o seyd mir Freunde! „Gewiß! Wir rächen, rächen das Vaterland „Mit Frankenblute, stehen noch drohend da, „Und – o wie beb’ ich voll Entzücken! – „Unsere Siege gebiethen Friede.“48 Giuseppe Giovanelli dichtet über blutgetränkte Schwerter und Speere und evoziert damit die Vorstellung einer antiken Schlacht. Johann Baptist Rinna hingegen lässt „Tyrol“ als Genius selber sprechen und dem Feind „weiter nicht!“ zurufen. Pathos ist diesen Dichtern nicht fremd, die Lieder entfernen sich weit von den einfachen, auffordernden Formeln jener Lieder, die 1796 und 1797 eine gewisse temporäre „Volksläufigkeit“ erfahren haben. Nur schwer ist es sich vorzustellen, dass diese Lieder bzw. Gedichte jemals in den Straßen von ausziehenden Schützen gesungen wurden. Die Vermutung, (Hg.): Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen. Gegenstände, Methoden, Theorien, Tübingen 1995 (Germanistische Linguistik 156), S. 319–368. 45 Baron Giuseppe Giovanelli: Kriegslied der Tyroler, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 38. Siehe auch Liedindex, Nr. 166. 46 Ebd. 47 „Ister“ ist eine antiquierte Bezeichnung für den Fluss Donau. 48 Johann Baptist Rinna, Ritter von Sarnbach: An die Tyroler, in: Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder (wie Anm. 1), S. 31. Siehe auch Liedindex, Nr. 171. 72 Kapitel 3 dass es sich bei diesen Dichtungen wohl, ganz im Gegensatz zu den derb formulierten Kriegsliedern, um künstlerische Lyrik handelt, ist naheliegend. Angesichts der gehobenen Schriftsprache ist davon auszugehen, dass die adeligen Dichter ihr Publikum in den Reihen des eigenen Standes sahen. Fazit Das Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen und Landleuten scheint keine große Rezeption erreicht zu haben. Einige Flugblätter belegen bloß eine überschaubare Verbreitung zur Zeit seiner Entstehung, und die Angabe „Gesungen am 1sten Brachmonath 1796“, wie er auf dem Deckblatt eines Flugblattes zu finden ist, könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Lied tatsächlich gesungen wurde. Bekannt wurde das Lied erst etwa hundert Jahre später. Sein Verfasser Joseph Freiherr von Hormayr ist einer der wenigen bekannten Schöpfer von Kriegsliedern bzw. -gedichten zur Landesverteidigung Tirols 1796 und 1797, zudem ist er einer der wenigen Dichter von adeliger Herkunft. Gleichgesinnte wie Franz Karl Zoller, Peter Paul Staudacher oder Johann Friedrich Primisser, alle mit bürgerlichem Hintergrund, verbalisierten ihren Kriegsenthusiasmus, erwachsen aus der Empörung über den Angriff des französischen Heeres, unverhohlen, oftmals mit derben Ausdrücken und in teils holprigen, stark dialektal gefärbten Versen. Hormayr hingegen übt sich in seinem Kriegslied in vornehmer Zurückhaltung und propagiert die Hingabe zum „Vaterland“, zum Alten Reich und zum Landesfürsten. Der damals erst 15-jährige Jugendliche beabsichtigte wahrscheinlich weniger, seine Mitbürger durch Poesie zum Kampf zu mobilisieren, als vielmehr, sein Können zu zeigen sowie seinen eigenen patrio tischen Gefühlen und seiner Zugehörigkeit zur deutschen Kulturnation Ausdruck zu verleihen. Hormayrs Volkslied vermochte wohl nicht jene Breitenwirksamkeit zu erlangen wie andere Lieder jener Zeit, und sicherlich war dies auch auf die Wahl der Hochsprache zurückzuführen. Im Gegensatz zu Primisser, Zoller und Staudacher verzichtete er, ob gewollt oder nicht, auf die gezielte Instrumentalisierung des bäuerlichen Dialekts zur Kriegsagitation und gab dennoch im Titel seines Werkes – „Volkslied“ – preis, was er sich letztlich erhoffte: dass sein Gedicht im „Volk“ Anklang finde. Die Liedtexte mit mehr als bloß landespatriotischem Eifer sind nicht nur eher selten, sondern wurden fast ausschließlich von Adeligen gedichtet. Obwohl prinzipiell davon auszugehen ist, dass die Grundintention der Dichter von Kriegsliedern in den Jahren 1796 und 1797 darin lag, eine möglichst breite Wirkung in allen sozialen Schichten zu erzielen, ist der Patriotismusbegriff von Hormayr und den anderen adeligen Dichtern nicht so ohne weiteres auf andere soziale Schichten übertragbar. Adelige griffen anlässlich der Landesverteidigung 1796 und 1797 in Tirol zwar zur Feder, jedoch entfernte sich keiner der Autoren so sehr vom eigenen Status, um sich einen „Volkskrieg“, in dem Bauern, Bürger und Adelige gemeinsam kämpfen, auszumalen. Hormayrs deutsch national verklärtes Bild von „Vaterland“, das sich später in seinen Schriften noch wesentlich intensivierte, kann keinesfalls als prototypisch für den Patriotismus in den Liedern der Jahre 1796 und 1797 gelten. Kapitel 4 „Laß du das Mädel Mädel seyn! Liebt sie nicht ewig dich allein“. Politische Gelegenheitslieder – Kontrafakturen und kunstmusikalische Auftragswerke im Dienste der Obrigkeit Sandra Hupfauf Die meisten historisch-politischen Liedtexte der Zeit um 1800 wurden durch das Paro dieverfahren (auch: Kontrafakturverfahren) vertont, vor allem diejenigen, die sich auf aktuelle und kurzlebige politische Ereignisse bezogen. Man verwendete gerade populäre Melodien, deren Charakter zur Thematik passte, und ersetzte einen Originaltext durch einen neu verfassten politischen Text. Die wenigsten politischen Lieder wurden aus einem künstlerischen Selbstverständnis heraus produziert, sie waren in erster Linie Gebrauchsprodukte, also funktionelle Werke, und keine Kunstwerke. Wird ein politisches Lied im Parodieverfahren hergestellt, so ist dies ein Hinweis auf seine tatsächliche „Verwendung“. Das Lied ist zum Zweck der Kommunikation verfasst worden und die Weitergabe von Information, mitunter auch die Manipulationsabsicht, steht im Vordergrund. Die bekannte Melodie eines populären Liedes lässt den darauf gesungenen politischen Text schneller eingängig werden, als wenn man ihn nur vorlesen oder mit einer neuen Melodie vertonen würde. Auch ist beim Parodieverfahren die Produktion eines Liedes weitaus einfacher: Sie kann rein mündlich geschehen und kein Musikkundiger ist dazu notwendig. Sie könnte sogar in geselliger Runde spontan passieren, aber genauso gut am Schreibtisch eines Beamten. So schnell derartige politische Lieder entstehen können, so schnell sind sie auch wieder vergessen. Im Allgemeinen verschwindet der parodierte Text aus der Überlieferung, sobald er an Aktualität verloren hat. Beim Spingeser Schlachtlied hat sich allerdings eine Parodie gegenüber dem zur Melodie gesungenen originalen Text, dem Heiliggeistlied, eindeutig durchgesetzt.1 Die Melodie zu „Ach Himmel, es ist verspielt“ ist hingegen in mehreren Liedern erhalten geblieben. In den wenigen handschriftlichen Quellen für politische Lieder wurden selten Weisenangaben vermerkt, und wenn doch, sind selbst einstige Gassenhauer heute oft nicht mehr ermittelbar. Weit häufiger existieren noch Flugblätter mit historisch-politischen Liedtexten, die zu bestimmten Anlässen verfasst, verteilt und abgesungen wurden. Für besondere politische Ereignisse wurden Lieder, Oden oder Hymnen auch bei lokalen Komponisten in Auftrag gegeben. Betont werden muss aber immer wieder, dass die im Parodieverfahren entstandenen politischen Lieder unter den „Tiroler Freiheitsliedern“ deutlich überwiegen. 1 Siehe dazu Kapitel 5 in diesem Band. 74 Kapitel 4 Abb. 1: „Freut euch des Lebens“, nach: August Härtel (Hg.): Deutsches Liederlexikon. Eine Sammlung der besten und beliebtesten Lieder und Gesänge des deutschen Volkes, Leipzig 1865, S. 216. Transkription. Politische Lieder im Kontrafakturverfahren Das Lied „Freut euch des Lebens“ (siehe Abb. 1) bildete die Vorlage für viele Parodien in Tirol. Es wurde um 1793 in Zürich von Johann Martin Usteri (1763–1827) gedichtet, als Komponist wurde lange Hans Georg Nägeli (1773–1836), der Begründer der Musikpädagogik und des Chorwesens in der Schweiz,2 vermutet.3 Wahrscheinlicher ist aber, dass der Züricher Musiklehrer und Kapellmeister Isaac Hirzel (1756–1833) der Komponist des Liedes war, der es wiederum aus Motiven von zwei älteren Musikstücken Hermann Josef Schattner: Volksbildung durch Musikerziehung. Leben und Wirken Hans Georg Nägelis, Otterbach-Kaiserslautern 1961. 3 Daniel Jacoby: „Usteri, Johann Martin“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 39 (1895), S. 390–396 (Onlinefassung); http://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Usteri,_Johann_Martin&oldid=1331568 (24. 07. 2012). 2 Politische Gelegenheitslieder 75 zusammensetzte.4 Die Popularität von „Freut euch des Lebens“ wuchs rasch5 und blieb nicht nur auf Europa beschränkt, was maßgeblich auf die Verbreitung des Liedes durch Kommersbücher zurückzuführen war.6 Ins Englische übersetzt wurde das Lied unter dem Incipit „Life let us cherish“ populär.7 In Tirol findet sich z. B. folgende Kontrafaktur des Liedes aus dem Jahr 1797: Bey der Zurückkunft I. K. H. der Erzherzogin Maria Elisabeth, von Max. Anton Pontifeser. Nach der Melodie: Freut euch des Lebens. Innsbruck 1797. Singet, frohlocket, und jubelt laut; denn seht, hier ist ja wieder Elisabeth. Vorüber ist der Feinde Wuth, und treuer Sinn, und rascher Muth befreyte Land, und Stadt, und Sie ist wieder da bey uns. Singet etc. etc. Dich, bester Kaiser, lieben wir, Triumph, Triumph, Karl Sieger, Dir, und Heil dir Oesterreich, und Heil der Tante, die hier weilt. Singet, etc. etc. Wer Kaiser Franz nicht bieder ehrt, wer Gut, und Blut fürs Land nicht schwört, der ist kein Mann, den haßt Tyrol, den haßt Elisabeth. Singet etc. etc. Wer nicht dem Freyheitsschwindel frohnt, wer Wahrheit, Recht, und Treue lohnt, das Volk beschützt, den liebt das Land, den liebt Elisabeth. Singet etc. etc. Willkommen denn, des Volkes Lust, und seiner Lieb, und Treu bewusst. Genieß sie lang, und froh, und weil’ Bey uns, o Theuerste! Singet, etc. etc. Waltraud Linder-Beroud: „‚Freut euch des Lebens‘. Ein ‚Schlager‘ der Goethezeit im Spannungsfeld zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“, in: Lutz Röhrich / Erika Lindig (Hg.): Volksdichtung zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit, Tübingen 1989 (ScriptOralia 9), S. 273–288. 5 Rudolph Zacharias Becker (Hg.): Mildheimisches Lieder-Buch von 518 lustigen und ernsthaften Gesängen über alle Dinge in der Welt und alle Umstände des menschlichen Lebens, die man besingen kann, Gotha 1799, S. 186. 6 Siehe z. B. Friedrich Silcher / Friedrich Erk (Hg.): Schauenburgs allgemeines Deutsches Kommersbuch, Lahr 31 1888, S. 351f.; Anon. (Hg.): Kleines Kommersbuch. Liederbuch fahrender Schüler, Leipzig 1897, S. 53. 7 Siehe dazu Armin Werner Hadamer: Mimetischer Zauber. Die englischsprachige Rezeption deutscher Lieder in den USA 1830–1880, Münster u. a. 2008 (Volksliedstudien 9), S. 104. 4 76 Kapitel 4 Singet, – ja singet Ihr Preis, und Lob, und fleht: Weil’ hier doch lange Elisabeth!8 Der Liedüberschrift ist zu entnehmen, dass der „Kaiserl. Königl. Gubernial-Sekretär Max. Anton Pontifeser“ das Lied verfasste. Anlass dafür war die Rückkehr der Erzherzogin Maria Elisabeth Josefa (1743–1808), Tochter Maria Theresias und Äbtissin des adeligen Damenstifts in Innsbruck. Sie war aus der Stadt geflohen und zog nach Beilegung der kämpferischen Auseinandersetzungen wieder in die Stadt ein. Zwischen 1796 und 1801 floh die Erzherzogin, die von den Tirolern „kropferte Liesl“ genannt wurde, insgesamt fünf Mal aus Innsbruck. Meist feierte man ihre Rückkehr mit offiziellen Kundgebungen. Hier besang man ihr zu Ehren das Haus Österreich, versicherte dem Kaiser Liebe und Treue und wies darauf hin, dass Männer, die nicht bereit seien, sich für ihr Land zu opfern, sich den Hass der Landsleute und der Erzherzogin zuziehen würden. Andernorts, bei Adolf Pichler, wird ein Schauspiel aus dem Jahr 1798 beschrieben, in dem ebenfalls eine Kontrafaktur von „Freut euch des Lebens“ eine Rolle spielt. Pichler bedauert in diesem Zusammenhang die seiner Meinung nach schlechte Qualität der patriotischen Bühnenstücke jener Zeit: Auch die dramatische Muse wollte ihre Kränze auf den Altar des Vaterlandes legen, leider bestehen sie fast ganz aus welkem Laube. Ein Stück blieb uns erhalten, welches im hiesigen Museum aufbewahrt wird. Die Auffschrift lautet: „Der Landsturm oder der Ausmarsch der Tiroler gegen die Franzosen. Ein nach der wahren Geschichte bearbeitetes Schauspiel in fünf Aufzügen. Aufgeführt von einigen dabei gewesenen Landesvertheidigern 1798“. Es ist im Dialekte der Innsbrucker Gegend geschrieben, ohne gerade sehr volksmäßig zu sein; der Text des eingelegten Liedes ist für die Melodie des bekannten „Freut Euch des Lebens“ von Usteri bearbeitet. Wir geben eine Probe: Ein Bauer: Nun geht’s und hockt senk nieder Und stimmt’s fein alle z’samm, wir singen von Prinz Karl9, Dem lieben braven Mann. Alle singen: Freut Euch des Lebens, Weil noch Prinz Karl lebt, Er lebt und kämpft, Der Franzmann sieht Des Helden Tapferkeit und flieht. So flieht er einst vor uns der Feind, Wenn uns Prinz Karl führt usw.10 Auch die Melodie des Rheinweinliedes wurde für politische Lieder benützt, was z. B. das an anderer Stelle genauer besprochene Volkslied am Tage der Fahnenweihe des Bürgermilitairs Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck (im Folgenden: TLMF), Dip. 1037/13. Siehe auch Liedindex, Nr. 54. 9 Gemeint ist Erzherzog Karl. 10 Adolf Pichler: „Tirolische Kriegslieder. Ein Beitrag zur Geschichte deutscher Volksdichtung“, in: Karl Gödeke (Hg.): Deutsche Wochenschrift, Heft 17, Hannover 1854, S. 522–530, hier S. 527f. 8 Politische Gelegenheitslieder 77 Abb. 2: Rheinweinlied, in: Friedrich Erk / Moritz Schauenburg (Hg.): Allgemeines Deutsches Schützen- und Turnerliederbuch, Lahr 1863, S. 168. Transkription. von Innsbruck gesungen im königl. Nationaltheater 11 bezeugt. Das Rheinweinlied ist ein „vaterländisches“ Lied und handelt nur vordergründig von Wein. Der Verfasser Matthias Claudius (1740–1815) gibt eine deutliche Empfehlung für einheimische Weinsorten ab (siehe Abb. 2). Das Lied, das zu einem der populärsten Studentenlieder wurde, entstand um das Jahr 1776, die Melodie verfasste der Komponist Johann André (1741–1799).12 […] Er kommt nicht her aus Ungarn noch aus Polen, Noch wo man franzmännisch spricht, Da mag Sankt Veit, der Ritter, Wein sich holen, Wir holen ihn da nicht. Ihn bringt das Vaterland aus seiner Fülle; Wie wär er sonst so gut! Wie wär er sonst so edel, wäre stille […]13 Anon.: Volkslied am Tage der Fahnenweihe des Bürgermilitairs von Innsbruck gesungen im königl. Nationaltheater nach der bekannten Melodie: Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben, Innsbruck, am 10. November 1808, TLMF, FB 2523/ IV; siehe auch Kapitel 6 in diesem Band und Liedindex, Nr. 62. 12 Wolfgang Plath: „André“, in: Grove Music Online. Oxford Music Online, http://www.oxfordmusiconline. com/subscriber/article/grove/music/41219pg1 (24. 07. 2012). 13 Matthias Claudius: Werke, 1. Band, Hamburg 41829, S. 116. 11 78 Kapitel 4 Abb. 3: Johann Baptist Gänsbacher: „Feinde ringsum“, in: Denkwürdigkeiten aus meinem Leben (TLMF, FB 15546). Neben heute noch bekannten Liedern wie „Freut euch des Lebens“ oder dem Rheinweinlied wurden zur Zeit der Landesverteidigung 1796/1797 und des Aufstandes von 1809 auch deutsche Soldatenlieder aus dem späten 18. Jahrhundert gesungen oder als Melodiegrundlage für politische Lieder genutzt. Ein Lied, das man in seiner originalen Version in Tirol anscheinend besonders gerne sang, und zwar sowohl 1796/1797 als auch 1809, war das Lied „Feinde ringsum“ (1791), das später auch in das Repertoire der meisten Kommersbücher aufgenommen wurde. Da es inhaltlich sehr allgemein gehalten ist, war eine Umdichtung nicht nötig. Johann Baptist Gänsbacher notierte es zusammen mit dem Lied „Den Stutzn her beym Soggara“14 in seinen autobiografischen Denkwürdigkeiten und hielt beide für die „Lieblingslieder“ der Tiroler: „Allenthalben Siehe dazu auch Kapitel 1 in diesem Band. 14 Politische Gelegenheitslieder 79 ertönten patriotische Lieder, von denen die 2 nachstehenden als die beliebtesten von jung und alt überall gesungen wurden“ (siehe Abb. 3).15 Der Herausgeber von Gänsbachers Memoiren, der Musikwissenschaftler Walter Senn, schrieb das Lied „Feinde ringsum“ fälschlicherweise dem Tiroler Dichter Johann Friedrich Primisser (1757–1812) zu. Tatsächlich wurde das Lied von Carl Gottlob Cramer (1758–1817), dem Autor beliebter Ritter- und Räuberromane, getextet und von Carl Ludwig Traugott Gläser (1747–1797) vertont. Erstmals erschien es in Cramers Roman Hermann von Nordenschild,16 und da Gläser seine Komposition mit „Gl“ unterschrieb, wurde lange vermutet, dass Gluck der Komponist dieses Liedes sei, was zu dessen Verbreitung in den Kommersbüchern der Zeit allerdings erheblich beitrug. Gläsers Sohn setzte sich dafür ein, den Irrtum aufzudecken, und Albert Methfessel, der Herausgeber des Allgemeinen Commers- und Liederbuches 17, stellte auf dessen Intervention hin die Autorenschaft richtig.18 Für Österreich ist „Feinde ringsum“ auch in der Sonnleithner-Sammlung von 1819 als eines der wenigen Kampflieder belegt.19 Gänsbacher hatte zwischen 1796 und 1799 in einer Studentenkompanie viermal die Tiroler Landesgrenzen verteidigt, weshalb er von seinem engen Freund Carl Maria von Weber in Anspielung auf sein kämpferisches Engagement „der musikalische Körner“ genannt wurde.20 Im Jahr 1809 hielt Gänsbacher sich jedoch nicht in Tirol auf, noch konnte er aus gesundheitlichen Gründen an den Kämpfen teilnehmen. In seinen Memoiren beschreibt er, wie er seinen patriotischen Empfindungen anderweitig Luft machte: Die großen Ereignisse in Tyrol im Jahr 1809 erweckten in mir den sehnlichsten Wunsch, daran theilzunehmen, und es war für mein patriotisches Gefühl eine sehr schwere Prüfung, durch meine schwächliche Gesundheit an der Ausführung dieses Wunsches mich gehindert zu sehen. Überdies hatte ich über ein halbes Jahr keine Nachricht von meiner Mutter und Schwester in Sterzing, deren ungewisses Schicksal mir umso größere Sorgen machte, als vermög der öffentlichen Nachricht der französische General Lefebre mit seinen bairischen und sächsischen Gruppen in der Gegend geschlagen wurde. Zwar war ich in der Folge so weit hergestellt, um auszuziehen und mit meinem Freund und Landsmann Dr. Jung […] unterstützt, zu veranlassen, daß das alte Tyroler Lied von 1796 Feinde ringsum gedruckt, vertheilt und von den Theaterchoristen einstudirt wurde, mit welchen wir vom Altstädter Ringe in Begleitung einer tirkischen Musickbande und einer immer mehr zuströmenden Volksmenge die ganze Stadt unter Fackelbeleichtung bey der Nacht herumzogen, somit zur höheren patriotischen Entflammung gegen den Feind wesentlich beitrugen. Nur das Verboth des Arztes, der meine Lungen noch nicht stark genug fand hinderte mich, nach Tyrol abzureisen.21 Walter Senn (Hg.): Johann Baptist Gänsbacher. Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, Thaur 1986, S. 5. Carl Gottlob Cramer: Hermann von Nordenschild, 2. Teil, Weißenfels 1792, S. 146. 17 Albert Methfessel (Hg.): Allgemeines Commers- und Liederbuch mit Melodien, enthaltend ältere und neue Burschenlieder, Trinklieder, Vaterlandsgesänge, Kriegs- und Turnlieder, Rudolstadt 1818. 18 Vgl. Carl Gläser: „C. L. T. Gläser, und nicht Gluck, der wahre Verfasser der Volksmelodie zu ‚Feinde ringsum‘“, in: Caecilia 9 (1828), Heft 33, S. 61–64. 19 Sonnleithner-Sammlung, Niederösterreich, XVIII/4, siehe Walter Deutsch / Gerlinde Hofer: Die Volksmusiksammlung der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (Sonnleithner-Sammlung), 1. Teil, Wien 1969 (Schriften zur Volksmusik 2), S. 114. 20 Walter Senn: „Gänsbacher, Johann Baptist Peter Josef“, in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 19f. (Onlinefassung); http://www.deutsche-biographie.de/pnd118814044.html (05. 10. 2012). Theodor Körner (1791–1813) war ein deutscher Dichter und Freiheitskämpfer, dessen Gedichtesammlung Leyer und Schwerdt lange als Maßstab für Kriegslyrik angesehen wurde. Da er als Soldat des Lützow’schen Freikorps ums Leben kam, wurde er vor allem für das deutsche studentische Milieu zu einer Identifikationsfigur. 21 Senn (Hg.): Gänsbacher (wie Anm. 15), S. 25. 15 16 80 Kapitel 4 Abb. 4: Christian Friedrich Daniel Schubart, Kaplied, in: Friedrich Riegel (Hg.): Das Deutsche Vaterland in seinen Liedern. Auswahl der beliebtesten ein- und vierstimmigen Volkslieder und Männergesänge mit bequemer Harmonisierung, Nürnberg 1861, S. 5f. Transkription. Wo genau sich Gänsbacher aufhielt, ist seinen Denkwürdigkeiten nicht zu entnehmen, wahrscheinlich befand er sich in Wien, wo er versuchte, das Lied „Feinde ringsum“ unter das Volk zu bringen und zu diesem Zweck mit dem Theaterchor und mit „Türkischer Musik“ durch die Straßen marschierte. Als „Türkische Musik“ bezeichnet man ein Blasmusikensemble, das zusätzlich mit großen Trommeln, Tschinellen und Schellenbäumen ausgerüstet war. Diese Formation gilt heute als einer der Vorgänger der modernen Blasmusikkapellen.22 Ein anderes deutsches Soldatenlied, das wiederum für Tirol nur als Kontrafaktur belegt ist, ist das als Kaplied bekannte Lied „Auf, auf ihr Brüder und seid stark“ mit Text und Melodie von Christian Friedrich Daniel Schubart (1739–1791) (siehe Abb. 4).23 Eine auf Tirol bezogene Umdichtung des Kapliedes trägt den Titel Zuruf eines gedienten königl. baierischen Grenadiers an seine neugeworbenen Tyroler-Kameraden und ist ein bayerisches Propagandalied, das den Tirolern den Eintritt in das bayerische Militär schmackhaft machen sollte: Siehe dazu in Bezug auf Tirol Andreas Bramböck: „Blasmusik in Tirol im 18. und 19. Jahrhundert“, in: Kurt Drexel / Monika Fink (Hg.): Musikgeschichte Tirols. 2. Band: Von der frühen Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Innsbruck 2004 (Schlern-Schriften 322), S. 739–766. 23 Mehr zu Schubart: siehe Kapitel 13 in diesem Band. 22 Politische Gelegenheitslieder Zuruf eines gedienten königl. baierischen Grenadiers an seine neugeworbenen Tyroler-Kameraden 1. He, Wirth, schenk uns die Flasche voll! Stoßt, Brüder, stoßt mir an! Schlagt euch die Grillen aus dem Sinn! Ihr seht ja, daß ich lustig bin, So sehr ichs immer kann. 2. Soldat seyn ist ein Ehrenstand Der nichts ihm Gleiches hat. Mir fällt kein Fürst, kein König ein, Der sich geschämt, Soldat zu seyn. Drum lebe der Soldat! 3. Seht Vater Maximilian Trägt einen Rock wie wir! Und denkt einmal, voll Muth die Brust, Hat Kronprinz Ludwig, unsre Lust, Bey uns sein Haupt-Quartier! 4. Prinz Karl geht auf der Ehrenbahn mit festem Schritt einher. Beym Donner, Brüder glaubt es mir! Wird der kein braver Offizier, So wird es keiner mehr. 5. Was sag ich! Selbst Napoleon, Der größte Potentat – Warum beugt sich vor seinem Thron Auf Erden jede Nation? Das macht, er ist Soldat! 6. So mancher junge Ehrenmann, Thats ihm auch noch so weh, Als ihn der Korpral exerziert, That brav, und sieht sich nun geziert, Mit Kreuz und Port d’Epée.24 7. Wer stäts daheim beym Ofen sitzt, Der fährt gar selten wohl. Ein hoher Flug gelingt ihm nicht, Weils an Erfahrung ihm gebricht, Und unterm Hut bleibts hohl. 8. Wer Pulver nie gerochen hat, Wer nie im Treffen stand, Dem mangelt viel; denn er entbehrt Die That, des höchsten Ruhmes werth Von Fürst und Vaterland. 9. Drum, Brüder, froh und unverzagt! Fort mit den Sorgen, fort! Eine „Portepee“ ist eine Quaste am Säbel. 24 81 82 Kapitel 4 Selbst Tod ist nur erfüllte Pflicht, Und alle Kugeln treffen nicht: Dies glaubt mir auf mein Wort. 10. Doch dir, du Krauskopf, seh ichs an: Wenns Mädel nur nicht wär’? – Laß du das Mädel Mädel seyn! Liebt sie nicht ewig dich allein, So gibts der Mädeln mehr. 11. Dir, Vollmond, fällt der volle Topf Der guten Mutter ein? Auch damit hats bey uns nicht Noth; Der König sorgt für Geld und Brod, Der Wirth kredenzt uns Wein. 12. Folgt Bursche, folgt, die Ehre ruft, Sie schwinget das Pannier Einst ruhmvoll über eurem Haupt, Wenn ihr nicht Memmen seyd; dies glaubt Mir altem Grenadier!25 Ein gutgelaunter bayerischer Soldat richtet das Wort an seine „neugeworbenen“ Tiroler Kameraden und besingt das Soldatentum. Er beschwört die Ehre des Soldatenstands, den jeder achte, erzählt von Abenteuern und zerstreut die Sorgen um verlassene Mädchen, mangelnde Verpflegung und den möglichen Tod. Dieses geschickt verfasste Propagandalied aus Tirol betont die Vorzüge des Soldatenlebens und wurde wohl zu Rekrutierungszwecken eingesetzt. Möglicherweise verfasste es ein Beamter während der bayerischen Herrschaft in Tirol und brachte es in Umlauf, doch leider ist über die Rezeption des Liedes nichts bekannt. Da das Kaplied im ganzen deutschen Sprachraum um 1800 sehr populär war, kann man davon ausgehen, dass es während der gesamten kriegerischen Auseinandersetzungen in Tirol dieser Zeit für Kontrafakturen verwendet wurde. Dafür sprechen besonders die Beobachtungen von Ernst Trösch zur schweizerischen politischen Lieddichtung während der Revolutionszeit und danach, die auch für Tirol ihre Gültigkeit besitzen. Auch in der Schweiz fand Trösch unter den Melodievorlagen für politische Gelegenheitsdichtungen vor allem Usteris „Freut euch des Lebens“, Schubarts Kaplied, die Marseillaise, das Rheinweinlied und einige andere Lieder wie das französische Revolutionslied „Ah! Ça ira“ sowie einzelne Schweizerlieder vor.26 Trösch prägte in diesem Zusammenhang den Begriff der „Unselbständigkeit der Revolutionslyrik“. Das Kaplied nimmt allerdings einen Sonderstatus ein, da es laut Herbert Schneider „das wahrscheinlich am meisten parodierte deutsche Lied der nachrevolutionären Epoche in Deutschland“ war.27 Nur Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des Literarischen Vereins in Wien XI), S. 422–424. Siehe auch Liedindex, Nr. 31. 26 Ernst Trösch: Die helvetische Revolution im Lichte der deutsch-schweizerischen Dichtung, Leipzig 1911, S. 117. 27 Herbert Schneider: „Revolutionäre Lieder und vaterländische Gesänge. Zur Publikation französischer Revolutionslieder in Deutschland und zum politischen Lied in R. Z. Beckers ‚Mildheimischem Liederbuch‘“, in: Ulrich Herrmann (Hg.): Volk, Nation, Vaterland, Hamburg 1996 (Studien zum achtzehnten Jahrhundert 18), S. 291–324, hier S. 294. 25 Politische Gelegenheitslieder 83 knapp dreißig Jahre nach seiner Entstehung wurde es bereits als „Volksgut“ von Achim von Arnim und Clemens Brentano in deren Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn (1806–1808) aufgenommen.28 Das originale Kaplied handelt, wie auch seine Tiroler Umdichtung, vom Soldatenstand, und auch hier richtet der Soldat das Wort an seine „Brüder“, aber nicht, um sie mit Versprechungen anzulocken. Christian Friedrich Daniel Schubarts Kaplied ist nämlich ein auf Tatsachen beruhendes Protestlied, das im Jahr 1787 während seiner zehnjährigen Kerkerhaft (1777–1787) entstanden war. Durch seine beißenden Schriften und Gedichte hatte sich Schubart, ein glühender Anhänger der Revolution, ein Freidenker und Kämpfer gegen ausbeuterische Autoritäten, den Zorn des württembergischen Herzogs Carl Eugen (1728–1793) zugezogen. Mit feiner Klinge beschreibt Schubart im Kaplied die Gefühle jener Soldaten, die von ihrem Landesfürsten „verkauft“ wurden, um die Interessen einer ausländischen Kolonialmacht im fernen Afrika durchzusetzen. Der geschichtliche Hintergrund des Liedes ist eine Geldbeschaffungsmaßnahme von Herzog Carl Eugen, der ein Regiment von 3.200 Soldaten an die Niederländisch-Ostindische Kompanie zur Abwehr britischer Angriffe in Südafrika verkauft hatte.29 Den damals durchaus üblichen Soldatenhandel30 hatte Schubart übrigens schon in seiner Deutschen Chronik von 1776 angeprangert.31 Schubarts Gedichte fanden reißenden Absatz und Persönlichkeiten wie Goethe und Schiller besuchten ihn im Kerker. Als Musiker blieb Schubart zeitlebens unterschätzt, wenngleich insbesondere sein Kaplied sehr gelobt wurde, etwa vom deutschen Schriftsteller Friedrich von Matthisson (1761–1831): Als Komponist ist er [Schubart] nie völlig gewürdigt worden. Die Kriegslieder des deutschen Tyrtäus hat er im höchsten heroischen Stile gesetzt, und die Melodie zu einem Kapliede wetteifert in Haltung und Effekt mit der berühmten Hymne der Marseiller. Wenige deutsche Gesänge können sich wohl einer allgemeineren Verbreitung rühmen als dieses mannhafte und kräftige „Auf! Auf! Ihr Brüder und seid stark“. Von der Ostsee bis zur Limmat und von der Moldau bis zum Rheine schallt es von den Lippen aller Volksklassen; hier mit dem heiseren Gebrülle der Postknechte, Handwerksgesellen und Rekruten, dort mit der reinen Intonation der Offiziere, Studenten und Handlungsdiener.32 Martin Blümcke: „Ein Journalist, länger in Haft als in Freiheit. Christian Friedrich Daniel Schubart“, in: Wolfgang Wunden (Hg.): Freiheit und Medien, Frankfurt a. M. 1998 (Beiträge zur Medienethik 4), S. 227–234. 29 Ebd., S. 227. 30 Die Ungerechtigkeiten dieses Soldatenhandels deutscher Fürsten behandelt übrigens auch Schiller in Kabale und Liebe. Als Vorbild für seine „Lady Milford“ diente anscheinend die Mätresse von Schubarts Peiniger, Franziska von Hohenheim (1748–1811); siehe dazu Friedrich Kapp: Soldatenhandel deutscher Fürsten nach Amerika (1775–1783), Leipzig 1864, S. 200. 31 „Hier ist eine Probe der neuesten Menschenschatzung! Der Landgraf von Hessen-Kassel bekommt jährlich 450 000 Taler für seine 12 000 tapfere Hessen, die größtenteils in Amerika ihr Grab finden werden. Der Herzog von Braunschweig erhält 56 000 Taler für 3964 Mann Fußvolks und 360 Mann leichter Reuterei, wovon ohnfehlbar sehr wenige ihr Vaterland sehen werden. Der Erbprinz von Hessen-Kassel gibt ebenfalls ein Regiment Fußvolk ab, um den Preis von 25 000 Taler. 20 000 Hannoveraner sind bekanntlich schon nach Amerika bestimmt und 3 000 Mecklenburger für 50 000 Taler auch. Nun sagt man, der Kurfürst von Bayern werde ebenfalls 4 000 Mann in englischen Sold geben. Ein furchtbarer Text zum Predigen für Patrioten, denen’s Herz pocht, wenn Mitbürger das Schicksal der Negersklaven haben und als Schlachtopfer in fremde Welten verschickt werden“ [Schubart zit. nach Ursula Wertheim / Hans Böhm (Hg.): Schubarts Werke, Berlin 1965, S. 72f.]. 32 Friedrich von Matthisson: Erinnerungen, 1. Band, Zürich 1810, S. 205. 28 84 Kapitel 4 Seine besondere Verbreitung verdankt das Kaplied auch seiner Veröffentlichung im Mildheimischen Liederbuch, wo es mit folgendem Kommentar aufscheint: „Von Soldaten gesungen, welche an England verkauft waren. Heut zu Tage wird, Gott Lob! Solcher Menschenhandel nicht mehr getrieben“:33 Auf, auf ! Ihr Brüder und seyd stark, Der Abschieds-Tag ist da. Schwer liegt er auf der Seele, schwer! Wir sollen über Land und Meer Ins heiße Afrika. Ein dichter Kreis von Lieben steht, Ihr Brüder um uns her; Uns knüpft so manches theure Band An unser deutsches Vaterland, Drum fällt der Abschied schwer. Dem bieten graue Eltern noch Zum letztenmal die Hand; Den kosen Bruder, Schwester, Freund; Und alles schweigt, und alles weint, Todtblass von uns gewandt. Und wie ein Geist schlingt um den Hals Das Liebchen sich herum: Willst mich verlassen, liebes Herz Auf ewig? Und der bittre Schmerz Macht’s arme Liebchen stumm. Ist hart – drum wirble du Tambour, Den Generalmarsch drein. Der Abschied macht uns sonst zu weich, Wir weinten kleinen Kindern gleich – Es muß geschieden seyn. Lebt wohl, ihr Freunde, sehn wir uns Vielleicht zum letztenmal; So denkt, nicht für die kurze Zeit, Freundschaft ist für die Ewigkeit, Und Gott ist überall. An Deutschlands Gränze füllen wir Mit Erde unsre Hand, Und küssen sie – das sey der Dank, für deine Pflege, Speis und Trank, Du liebes Vaterland! Wenn dann die Meereswoge sich An unsern Schiffen bricht: So segeln wir gelassen fort; Denn Gott ist hier und Gott ist dort, Und der verläßt uns nicht! Rudolf Zacharias Becker (Hg.): Mildheimisches Liederbuch von acht hundert […] Gesängen […], neue vermehrte und verbesserte Ausgabe, Gotha 1815, Nr. 761. 33 Politische Gelegenheitslieder 85 Und ha, wenn sich hoch der Tafelberg Aus blauen Düften hebt: So strecken wir empor die Hand, und jauchzen Land! Ihr Brüder, Land! Daß unser Schiff erbebt. Und wenn Soldat und Offizier Gesund ans Ufer springt, Dann jubeln wir, ihr Brüder, ha! Nun sind wir ja in Afrika. Und alles dankt und singt. Wir leben drauf in fernem Land Als Deutsche brav und gut. Und sagen soll man weit und breit, Die Deutschen sind doch brave Leut Sie haben Geist und Muth. Und trinken auf dem Hoffnungskap wir feinen Götterwein; So denken wir, von Sehnsucht weich, Ihr fernen Freunde, dann an Euch, und Thränen fließen drein.34 Während in der ersten Ausgabe des Mildheimischen Liederbuches von 1799 nur 18 eigentliche „politische“ Lieder zu finden sind, scheint in der Ausgabe von 1815, wo wir auch das Kaplied finden, eine eigene Rubrik mit 64 Liedern „für Soldaten, Landwehr- und Landsturmmänner“ auf. Herbert Schneider attestiert diesen Liedern in seiner Studie über französische Revolutionslieder eine „verengte patriotische Gesinnung und teilweise fanatische Begeisterung für die Grausamkeiten des Krieges“. Was die Melodieauswahl betrifft, ist das Parodieverfahren vorrangig, denn von den 64 von Schneider untersuchten patriotischen Liedern sind 35 Parodien, und hier zeigt es sich, dass Schubarts Kaplied besonders häufig, nämlich viermal, parodiert wurde.35 Auch im englischsprachigen Raum war das Lied bekannt. So diente es Sir Walter Scott als Vorbild für seinen War Song of the Royal Edinburgh Light Dragoons, dessen Anfangsruf „To horse! To horse the standard flies“ im rhythmischen Einklang mit „Auf, auf ihr Brüder und seid stark“ steht.36 Neben dem Kaplied ist auch ein zweites sehr populäres Lied Schubarts für Tirol überliefert: das Lied vom Schwabenmädchen. Laut Schubarts Sohn schrieb sein Vater das Lied schon in seiner Jugendzeit, die er zunächst als Chorschüler in Nürnberg und dann als Student in Erlangen verbrachte.37 Ob es sich bei der Melodie tatsächlich um eine Komposition Schubarts oder eine „Volksweise“ handelt, ist laut Max Friedlaender nicht Ludwig Schubart (Hg.): Christian Friedrich Daniel Schubart’s Gedichte, 2. Band, Frankfurt a. M. 1802, S. 367–370. 35 Schneider: „Revolutionäre Lieder“ (wie Anm. 27), S. 291–324, hier S. 303–306. 36 Oliver Farrar Emerson: „The Early Literary Life of Sir Walter Scott“, in: The Journal of English and Germanic Philology 23 (1924), Nr. 1: Januar, S. 28–62, hier S. 38. 37 Ludwig Schubart: „Schubarts Karakter von seinem Sohne Ludwig Schubart. 1798. Dritter und letzter Theil von ‚Leben und Gesinnungen‘“, in: Ludwig Schubart (Hg.): C. F. D. Schubart’s, des Patrioten, gesammelte Schriften und Schicksale, 2. Band, Stuttgart 1839, S. 151. 34 86 Kapitel 4 eindeutig zu klären.38 Als Parodie des Schwabenmädchens ist für Tirol u. a. ein Friedenslied von Prinz Karl belegt.39 In 15 Strophen wird das Ende der Landesverteidigung von 1797 beschrieben und die Tiroler werden für ihre Tapferkeit gerühmt, wie auch aus den hier wiedergegebenen Liedstrophen hervorgeht: Friedenslied von Prinz Karl. […] Das Erste. Im Ton: Ich Mädchen bin aus Schwaben […] 9. Da trat ein Volk noch voller Religion empor, Der tapfere Tyroler Schob einen Riegel vor. Beseelt von der Liebe Für Gott und Vaterland, Bot dort aus freiem Triebe Sich Mann und Mann die Hand. 10. Es riß sich von der Seiten Der Gattin jeder fort, Für Gott und Fürst zu streiten: Das war ihr Losungswort. Zum Hohn für jene Schwaben Die vor dem Feinde flieh’n, Sah man dort selber Knaben Hin an die Grenze zieh’n. 11. Hier stand nun eine Mauer Wie Fels und Stahl so hart; Ihr Blick erfüllt mit Schauer Den stolzen Bonapart. Zwar ließ er aller Orte Viel Drohungen ergeh’n, Allein, was wirken Worte, Wo tapfre Männer stehn?40 Wie bereits erwähnt, wurden im deutschen Sprachraum um 1800 immer wieder dieselben Melodien populärer Lieder herangezogen, um aktuelle politische Liedtexte zu vertonen. Neben den erwähnten Liedern Schubarts zählten zu diesen populären Liedern auch die international bekannten Hymnen „God save the king“, die Marseillaise und „Gott erhalte unsern Kaiser“.41 Der Kampflied-Dichter Franz Karl Zoller beispielsweise schrieb sein Lied im Tiroler Dialekt, nach dem Ausbruche der Insurrektion in Jahre 1809 auf die Melodie von „Gott erhalte unsern Kaiser“: Max Friedlaender: Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert. Quellen und Studien, 2. Band: Dichtung, Stuttgart – Berlin 1902, S. 379–381. 39 Eine weitere Kontrafaktur aus dem Jahr 1805: Friede zu Preßburg in Ungarn. Melodie: Ich bin ein Mädchen aus Schwaben, in: August Hartmann / Hyacinth Abele (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert, 3. Band: Von 1756 bis 1879, München 1913, S. 91. 40 Franz Wilhelm von Ditfurth: Historische Volkslieder der Zeit von 1756 bis 1871. 1. Band, 2. Heft: Die historischen Volkslieder vom Ende des siebenjährigen Krieges, 1763, bis zum Brande von Moskau, 1812, Berlin 1872, S. 224–228, hier S. 226f. 41 Siehe dazu Kapitel 14 in diesem Band. 38 Politische Gelegenheitslieder 87 1. Bueben, schreyts enk müd und haiser: Vivat, Vivat allweil drau! Vivat ünser lieber Kaiser Und sei junge, schiene Frau! […]42 Die Melodien des Kapliedes, des Rheinweinliedes, von „Freut euch des Lebens“ usw. sind sowohl „volksliedhaft“ als auch künstlerisch anspruchsvoll. Sie waren für die Kombination mit politischen lyrischen Texten geradezu prädestiniert, denn nur eine eingängige Melodie macht ein politisches Lied zu einem „Werkzeug“.43 Aus vielen Quellen ist ersichtlich, dass politische Lieder im Dienste der Obrigkeit hergestellt und zu bestimmten „Gelegenheiten“ vorgetragen oder gemeinsam gesungen wurden. Die wenigsten von ihnen wurden aus einem künstlerischen Selbstverständnis heraus produziert. Zumindest dem nachfolgend erörterten Lied im Parodieverfahren kann man einen gewissen künstlerischen Wert aber nicht absprechen. Ein Sonderfall: Die Tiroler Schützen in canone perpetuo Ein Tiroler Kampflied, das ebenfalls im Kontrafakturverfahren hergestellt wurde, fällt im Vergleich mit allen anderen Liedern aus dem Rahmen. Es handelt sich dabei um eine Umdichtung des Mozart-Kanons „Oh du eselhafter Martin“ (KV 560b), die im Stift Stams gefunden wurde. Mozart hatte den Kanon im Jahr 1788 komponiert und nur neun Jahre später verfasste Rogerius Schranzhofer einen neuen Text zur Melodie, der die Franzoseneinfälle in Tirol von 1797 thematisiert. Seine Umdichtung trägt den Titel Die Tiroler Schützen in canone perpetuo. Rogerius Schranzhofer (1746–1816) war ein sehr angesehenes und musikalisch gebildetes Mitglied des Stiftes. Als Sekretär von Abt Vigilius Kranicher (1722–1786) hatte er nach dessen Tod im Jahr 1786 zusammen mit dem Prior Alois Specker und dem Hausmeister Sebastian Stöckl (1752–1819) vorübergehend die Administration des Stiftes übernommen.44 In den 1780er-Jahren wurde er zum „Commende Abt“ des Benediktinerstiftes Gries bei Bozen bestellt, machte sich dort anscheinend durch seine Umsicht, Sparsamkeit und Klugheit einen Namen und verhalf dem Stift zu neuem Ansehen.45 Schranzhofer betrieb Geschichtsstudien, die ihn auch mit Joseph Freiherrn von Hormayr zu Hortenburg (1782–1848), einem der politisch einflussreichsten Persönlichkeiten dieser Zeit, zusammenführten.46 Hormayr hielt große Stücke auf ihn, denn er beschrieb ihn in seiner Goldenen Chronik als den „auch als Geschichtsforscher rühmlich Siehe Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 25), S. 245f. Der vollständige Text findet sich in Kapitel 8 in diesem Band. Siehe auch Liedindex, Nr. 11. 43 Vgl. dazu auch die Melodien zu Napoleon-Liedern: Vasile Gheorghescu Luta: Die deutschen Volkslieder auf Napoleon I. von seinen Anfängen bis zum Beginn der Befreiungskriege, Dissertation, Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin 1931, S. 24–27. 44 Sebastian Stöckl (1752–1819) wurde 1790 zum neuen Abt von Stift Stams gewählt und war einer der Mitbegründer des Herz-Jesu-Gelöbnisses. 45 Beda Weber: Das Land Tirol. Mit einem Anhange: Vorarlberg. Ein Handbuch für Reisende, 2. Band: Südtirol: (Etsch-, Drau-, Brenta-, Sarkaregion), Innsbruck 1838, S. 270. 46 Mehr zu Hormayr siehe Kapitel 3 in diesem Band. 42 88 Kapitel 4 bekannten Roger Schranzhofer“.47 Im Jahr 1807, nach der endgültigen Aufhebung des Stiftes Gries, erhielt Schranzhofer eine Pension und beschäftigte sich nunmehr als Mitglied der Archivkommission mit der Ordnung des Innsbrucker Gubernialarchives. Im Mai 1809 nahm er an einer politisch heiklen Mission teil. General Lefebre schickte nach der Besetzung Innsbrucks je eine Tiroler Deputation nach Wien und München, um Kaiser Napoleon und König Maximilian I. Joseph durch Vertreter der Stände des Gehorsams der Tiroler zu versichern. Schranzhofer gehörte der nach München entsandten Abordnung an.48 Als die Deputation in München eintraf, waren die Aufstände in Tirol bereits wieder im Gange und die Tiroler wurden inhaftiert. Josef Hirn beschreibt die Vorgänge und charakterisiert Schranzhofer als einen Mann, der wegen seiner unpoli tischen Beschäftigung im Gubernialarchiv den Eindruck vermittelte, den Aufständen fern zu stehen. Gleichzeitig stand er aber immer im Kontakt mit Hormayr, sogar während seiner Inhaftierung in München.49 – Unparteiisch klingt Schranzhofers Umtextung des Mozart-Kanons von 1797 jedoch keinesfalls (siehe auch Abb. 5): Die Tiroler Schützen in canone perpetuo. Juhe! Tiroler wäxe Schützn, Mier wölln inser Ländl beschützn. Schaut, der Franzoß geät äf ins loß. ä Tiroler Bue fürcht nix. Nehmt änieder nur sein Stutzn, Die weärn die Franzößlen sauber putzn. Dös ist ä Gschoß, äf d Läit und Roß, Flux müeß alles purzlen, aft der Täifl sie holn kann. Nehmt nur änieder mit säin Bläy Sein Mann und springs nur nit wie d Haasen gläi darvon. Spannt an! schlagt an! göbt Fuir! aft mäi naät ists gschöchn schon. Sollt ä däs Bläy nit klöckn, so miests ins Roär gar Staän dräin stöckn. Nur präff: piff, päff, piff, päff. Wix, wäx, wäx, wix. Schranzhofers Kanon dürfte im Stift Stams tatsächlich gesungen worden sein, denn der Tiroler Komponist Stefan Paluselli, von 1791–1805 Chorregent in Stift Stams, stellte Kopien des Kanons her und versah sie mit Anweisungen zur Aufführung. Der „Schützenkanon“ stellt unter den politischen Liedern in Tirol dieser Zeit in vieler Hinsicht eine Ausnahme dar, denn nur selten ist der Verfasser des Liedtextes bekannt und noch seltener lässt sich eine aktive Beteiligung von Dichtern an politischen und kriegerischen Handlungen in Tirol nachweisen. Bezeichnend ist auch, dass Schranz hofer, obwohl sehr gebildet, seinen Text in Mundart verfasste und sich auch inhaltlich und stilistisch am humoristisch-kaltschnäuzigen Typus des Tiroler Kampfliedes orientierte und nicht an hochsprachlichen Vorbildern wie den Liedern Schubarts. Joseph Freiherr von Hormayr zu Hortenburg: Die goldene Chronik von Hohenschwangau der Burg der Welfen, der Hohenstauffen und der Scheyren, Cistercienserabtei Stams, 2. Band, München 1849, S. 81. 48 Josef Hirn: Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 438. 49 Ebd., S. 517. 47 Politische Gelegenheitslieder 89 Abb. 5: Die Tiroler Schützen in canone perpetuo (1. Blatt), handschriftlich in der Musiksammlung des Zisterzienserstiftes Stams ohne Signatur, abgebildet in: Walter Senn: „Mozartiana aus Tirol“, in: Hans Zingerle (Hg.): Festschrift Wilhelm Fischer. Zum 70. Geburtstag überreicht im Mozartjahr 1956, Innsbruck 1956 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Sonderheft 3), S. 49–59, hier S. 53. 90 Kapitel 4 Kunstmusikalische Auftragswerke im Dienste der Obrigkeit Bei besonders wichtigen politischen Feierlichkeiten waren eher anspruchsvollere musikalische Darbietungen gefragt als das Absingen eines einfachen politischen Liedes. Eine Möglichkeit war die Aufführung eines bereits vorhandenen und passenden Werkes eines einheimischen Komponisten, wie etwa eines Te Deum,50 oder man vergab Kompositionsaufträge für neue, an die Umstände angepasste Werke. Der öffentliche Dankgesang in Form eines Te Deum wird in Bezug auf Tirol von Zeitzeugen erstaunlich oft erwähnt. Sabine Zak beschreibt in ihrer Studie über die Gattung Te Deum, wie sich dieser „Dankgesang“ allmählich aus dem liturgischen Rahmen löste und schließlich auch bei weltlichen Ehrungen und besonders nach siegreichen militärischen Auseinandersetzungen zur Aufführung gelangte.51 Auf diese Umdeutung einer ursprünglich kirchlichen Gattung und die damit verbundene psychologische Wirkung geht auch Linda Maria Koldau ein: Dies gründet in dem Glauben, dass die Entscheidung, deren Ausgang besungen wird, mit Gottes Hilfe gefallen ist. Das Te Deum erscheint als Lob und Dank an Gott, als Annahme des göttlichen Willens und als akklamatorische Anerkennung des Gewählten bzw. Siegers.52 Robert B. Holtman zeigte schon 1949, dass auch Napoleon das Te Deum durchaus für seine Zwecke zu benutzen wusste.53 In Tirol wurden im Jahr 1809 besonders oft Dankgesänge obrigkeitlich angeordnet. So bestimmte Andreas Hofer am 6. Juni 1809, kurz nach der zweiten Bergiselschlacht, dass jährlich im Rahmen des Herz-Jesu-Festes ein Te Deum zu singen sei;54 eine Kundmachung vom 25. August 1809 (also kurz nach der dritten Bergiselschlacht) sah vor, dass zum Dank für den Kriegsverlauf „ein feyerliches Te Deum […] in jeder Seelsorgs-Kirche“ im Rahmen einer zehnstündigen Andacht angestimmt werden soll;55 am 4. Oktober 1809, dem Namenstag des Kaisers, sang man ein Te Deum anlässlich der Verleihung der goldenen Ehrenkette an Andreas Hofer.56 Wurden Werke für eine bestimmte Feierlichkeit in Auftrag gegeben, geben meist die Namen der Widmungsträger der Kompositionen oder die Titel selbst Aufschluss über So verfasste beispielsweise auch der Tiroler Komponist Joseph Alois Holzmann im Jahr 1809 zwei Te Deum-Gesänge (TLMF, M 38 und M 39). 51 Sabine Zak: „Das Tedeum als Huldigungsgesang“, in: Hymnologisches Jahrbuch 102 (1982), S. 1–32. 52 Linda Maria Koldau: Frauen – Musik – Kultur, Köln 2005, S. 481. 53 Robert B. Holtman: „The Catholic Church in Napoleon’s Propaganda Organization“, in: The Catholic Historical Review 35 (1949), Nr. 1: April, S. 1–18. 54 „Nach dem Wunsch und Verlangen Hofer’s und anderer Häupter der Tyroler proklamierte Hormayr am 6. Juni das besonders nationale Herz-Jesu-Fest für immer als gebotenen Festtag mit feierlicher Procession und Te Deum; zum ewigen Gedächtnisse des Sieges vom 29. Mai und der zweiten Befreiung des tyrolischen Vaterlandes“ (Joseph Hormayr: Geschichte Andreas Hofer’s: Sandwirths aus Passeyr, Oberanfuehrers […], 2. Band, Leipzig 1845, S. 197). 55 Zit. nach Wolfgang Pfaundler / Werner Köfler (Hg.): Der Tiroler Freiheitskampf unter Andreas Hofer. Zeitgenössische Bilder, Augenzeugenberichte und Dokumente, Innsbruck 1984, S. 197. 56 „Der 4te October, Namens-Tag des Oesterreichischen Kaisers, war der Feierlichkeit bestimmt, Hofern die Medaille zu übergeben. Sämtliche Authoritäten und eine unzählige Menge Neugierige füllten die ehrwürdige Franciskaner Kirche, Hofer kniete nahe am Altare, auf einem roth ausgeschlagenen Betschemmel. Das Hochamt hielt der Prälat von Wilten, Dann wurde ein Te Deum gesungen“ (Jakob L. S. Bartholdy: Der Krieg der Tiroler Landleute im Jahre 1809. Mit einer Karte von Tyrol, Berlin 1814, S. 245). 50 Politische Gelegenheitslieder 91 Abb. 6: Kriegslied der boznerischen tyrolischen Landes-Vertheidigungs-Truppen, Graz 1796 (Anfang) (TLMF, Dip. 582/VIII, Nr. 3). die Auftraggeber und den Anlass. Ein Beispiel dafür ist das Marsch- und Kriegslied der Boznerischen Tyrolischen Landes-Vertheidigungs Truppen von Abbé Franz Bühler (auch Bihler, 1760–1824) bzw. daraus das Kriegslied von 1796. Bühler war ein Benediktiner aus Donauwörth, der im Jahr 1784 das Kloster verlassen hatte und sich fortan im „Weltpriester-Stand“57 vor allem der Musik widmete. Er leitete von 1794–1801 in Bozen die privaten Opernaufführungen des wohlhabenden Kaufmanns Anton Melchior von Menz und war dort auch als Organist tätig.58 Sein Kriegslied ist ein Aufruf zur Landes verteidigung (siehe Abb. 6): Die Trommel wirbelt! auf, ins Feld! Wem teutscher Muth die Brust beseelt, Der zieh mit uns hinein! Wer Gott, Gesetz, und Kayser ehrt, Der ist des teutschen Namens werth, Auf Brüder! Marsch hinein! Gustav Schilling: Encyclopädie der gesammten musikalischen Wissenschaften, oder Universal-Lexikon der Tonkunst, 2. Band, Stuttgart 1835, S. 40. 58 Anton Melchior von Menz lenkte Ende des 18. Jahrhunderts das kulturelle Leben des Handelszentrums Bozen. Als Musik-Liebhaber und Mäzen ließ er auf eigene Kosten Opern von Hasse, Paisiello oder Cimarosa aufführen und unterhielt eine private Notensammlung, die er als eine Art „Leihbibliothek“ seinen Musikern zur Verfügung stellte; siehe Josef Nössing: „Das Theater in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts“, in: Museumsverein Bozen (Hg.): Bozen zur Franzosenzeit 1797–1814. Katalog zur Ausstellung, Bozen 1984, S. 36–44, hier S. 42f. 57 92 Kapitel 4 Für Gott, und Herrn, für Weib und Kind, Für Haus, und Hof, die unser sind, Zieh’n wir den Fahnen nach; Und unsre Patriotenhand Beschützt das liebe Vaterland Und unsre eigne Sach. Du aber, wilde Räuberhord, Die Hunger, Noth, und Durst nach Mord Zu Gräuelthaten treibt, Komm her! wir stehen felsenfest, Und jagen den nach Süd und West, Der hier nicht liegen bleibt. Tyroler unbesiegte Treu Ist immer noch wie Anno drey, Was unsre Arme stählt! – Verjagt die tolle Frevlerbrut Mit Jugendkraft und Männermuth, Auf Brüder! auf ins Feld! Vereinte Brüder! marsch hinein, Bald wird der Feind uns nahe seyn, So gehn wir Hand in Hand! Die Trommel wirbelt – marsch! es sey Dem treuen Brüder Feldgeschrey: Für Gott, Regent, und s’ Land.59 Dieses Kriegslied blieb nicht das einzige Lied mit politischen Bezügen, das Bühler während seiner Anstellung bei Menz verfasste. Ein Jahr später, nämlich 1797, schrieb er zu Ehren des Generalmajors Johann Ludwig Alexander von Laudon (1762–1822) ein Lied bei Gelegenheit des Sommer-Aufenthalts Seiner Exzellenz des Herrn General-Major Freyherrn von Loudon [sic]. Im Titelzusatz heißt es: „Gesungen zu Oberbotzen in der Sommerfrist [sic] den 19 August 1797“. Laudon war von der Schützengesellschaft Ober bozen eingeladen worden und im Hause Menz abgestiegen.60 Laudon war der Neffe des berühmten österreichischen Feldherrn Gideon Ernst von Laudon (1717–1790) und kommandierte im Jahr 1797 eine österreichische Brigade in Tirol. Anfang April 1797 gelang es ihm, mit Unterstützung der einheimischen Schützen die feindlichen Angreifer durch das Eisack- und Pustertal zu vertreiben.61 Laudon zog am 4. April 1797 siegreich in Bozen ein, wovon ein Liedflugblatt zeugt. Es gibt darüber Auskunft, dass die Bozener Stadtmusikanten den Generalmajor mit folgendem Lied begrüßten: Abbé Franz Bühler: Kriegslied der boznerischen tyrolischen Landes-Vertheidigungs-Truppen, Graz 1796 (TLMF, Dip. 582/VIII, Nr. 3). Siehe auch Liedindex, Nr. 20. 60 Carl von Braitenberg: „Historische Ereignisse im Leben der Schützengemeinschaft“, in: Franz von Walther / Carl von Braitenberg / Leo Andergassen (Hg.): Die Schützenscheiben von Oberbozen. Symbole eines ritterlichen Exercitiums, Bozen 1994, S. 97–116, hier S. 102f. 61 Adolf Schinzl: „Laudon, Johann Ludwig Alexius Freiherr von“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 18 (1883), S. 35f. (Onlinefassung); http://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Laudon,_Johann_ Ludwig_Alexius_Freiherr_von&oldid=1705236 (05. 10. 2012). 59 Politische Gelegenheitslieder 93 Abb. 7: „Laudon rückt an!“, in: Wilhelm Edler von Janko (Hg.): Laudon im Gedicht und Liede seiner Zeitgenossen, Wien 1881, S. 137. Transkription. „Laudon rückt an.“ Nach der Melodie des alten Liedes auf den Grafen Gideon v. Laudon. Nach dem siebenjährigen Preussenkriege. Gesungen von den Stadtmusikanten als der Herr General Feldwachtmeister Freyherr v. Loudon am 4ten April 1797 siegreich in Bozen einzog: La la la la la Laudon rückt an, Er rückt ins Welschland ’nein Nimmt Städt und Länder ein, la la la la la Laudon rückt an. La la la la la Laudon rückt an Er jagt, d’ Franzosen fort, Befreyet unsern Ort, La la la la la Laudon rückt an. […]62 In der Weisenangabe wird ein „altes Lied“ auf den Grafen Gideon von Laudon erwähnt, dessen Melodie noch erhalten blieb (siehe Abb. 7). In den Tiroler Heimatblättern von 1934 findet sich noch ein weiteres Lied auf Laudon, ohne Melodie und leider ohne genauere Angaben zu seiner Verbreitung und Tradierung: Laudon, o Laudon, du tapferer Held, Mit dir will ich’s wagen, will zieh’n ins Feld, Mit dir will ich’s wagen auf Guat und auf Bluat, Dös gibt den Tirolern an sakrischen Muat. Und viferallala-la singant d’ Tiroler Menscha, Sie hobn auf greane Hiat und sauba san s’ ah.63 TLMF, Dip. 582/8 (= ident. mit Dip. 582/11). Siehe auch Liedindex, Nr. 46. M. Gsangl: „Andreas Hofer Lieder“, in: Tiroler Heimatblätter 12 (1934), Heft 5/6: Mai/Juni, S. 256: „nach den Tiroler Freiheitskämpfen vielgesungenes Lied“. Siehe auch Liedindex, Nr. 116. 62 63 94 Kapitel 4 Dem schon genannten Lied bei Gelegenheit des Sommer-Aufenthalts Seiner Exzellenz des Herrn General-Major Freyherrn von Loudon folgte ein ebenfalls von Bühler verfasstes Lied bei der Abreise der Frau Graefinn von Fünfkirchen Gemahlin des Herrn General-Major Freyherrn von Loudon Gesungen zu Oberbotzen in der Sommerfrist den 27. August 1797.64 Resümee Ernst Trösch spricht in Bezug auf die schweizerische politische Lieddichtung zur Zeit der Revolution und kurz danach von der „Unselbständigkeit der Revolutionslyrik“. Seine Beobachtungen treffen insofern auf Tirol zu, als auch hier für Parodien besonders häufig die von Trösch genannten Lieder „Freut euch des Lebens“, das Rheinweinlied und Schubarts Kaplied verwendet wurden. Letzteres gilt als eines der meistparodierten Lieder dieser Zeit. Gleichzeitig wurden in Tirol auch deutsche Revolutionslieder gesungen, wie etwa Carl Gottlob Cramers und Carl Ludwig Traugott Gläsers Lied „Feinde ringsum“, laut Johann Baptist Gänsbacher eines der erklärten „Lieblingslieder“ der Tiroler. Das Kontrafakturverfahren ist die schnellste und zielführendste Art der Produktion von Liedern, deren Funktion in der Weitergabe von Informationen, der Propaganda usw. liegt. Derartige Lieder sind keine „Kunstlieder“.65 Dass Lieder im Parodieverfahren aber durchaus auch „künstlerisch“ anmuten können, zeigt Rogerius Schranzhofers Adaption des Mozart-Kanons „Oh du eselhafter Martin“ von 1797. Die für das Kontrafakturverfahren verwendeten Melodien waren fast ausschließlich „Hits“ der Zeit und entstammten populären, mitunter auch qualitativ anspruchsvollen Kunstliedern mit volksliedhaften Anklängen. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die im Parodieverfahren hergestellten Lieder die weitaus größte Anzahl der politischen Lieder in Tirol darstellen. Eine nicht zu vernachlässigende Menge davon waren Gelegenheitslieder, die für bestimmte Anlässe gedichtet und zur politisch motivierten „Öffentlichkeitsarbeit“ eingesetzt wurden. Bei besonders wichtigen Festen wurden anstatt einfacher Lieder entweder passende und bereits vorhandene kunstmusikalische Werke aufgeführt und somit politisch instrumentalisiert (wie beispielsweise Te DeumKompositionen), oder es wurden Kompositionsaufträge an lokale Komponisten, wie Abbé Franz Bühler, vergeben. Die genannten Lieder sind nicht Bühlers einzige Werke mit Bezügen zur Politik. So schrieb er 1794 einen Kundgesang auf den Frieden und 1798 ein Schauspiel mit dem Titel Der Tiroler Landsturm im Franzosenkriege. Siehe dazu Ernst Knapp: Kirchenmusik Südtirols. Südtiroler Kirchenmusikkomponisten in musikgeschichtlichem Zusammenhang, Bozen 1993, S. 102–109; Giuliano Tonini: „Musiktheater in Bozen im späten 18. Jahrhundert“, in: Kurt Drexel / Monika Fink (Hg.): Musikgeschichte Tirols. 2. Band: Von der frühen Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Innsbruck 2004 (Schlern-Schriften 322), S. 415–475. Für Südtirol sind in diesem Zusammenhang auch die von Hildegard HerrmannSchneider entdeckten kunstmusikalischen Auftragswerke zu Ehren des bayerischen Königs Max I. Joseph von Wilhelm Lechleitner sehr interessant; siehe Hildegard Herrmann-Schneider: „Andreas Hofer und die Tiroler Freiheitskämpfe als musikalisches Sujet. Ereignisse – Heldentum – Erinnerung“, in: Der Schlern 83 (2009), Heft 7: Juli, S. 4–52, hier S. 34f. 65 Zu politischen Kunstliedern siehe Kapitel 13 in diesem Band. 64 Kapitel 5 „Es hot sie einår plangt, Mår hobens nit verlangt“. Das Spingeser Schlachtlied Sandra Hupfauf Jez wöll’n mår gien n’ Franzosen zu gög’n gien, Mei, wos hobn’s denn do bey üns herinn z’thien? Es hot sie einår plangt,(a) 1 Mår hobens nit verlangt, So kåm an jedår Narr, Fråß üns mit Haut und Haar: Dös geat do nit, eyawohl. In Tyrol. Do Brixner öper(b) dö lårmen(c) wohl fast, Do hobens plündert, wos geist und wos haft(d) Gsoffen aus den Wein, Die Bånzen(e) g’schlogen ein, Die Kåsten augehackt, Die Kreuzar(f ) ausser zwackt: Und gnommen krod s’Allerhöst, Dös seyn Göst! Z’ Micheal(g) unten, Bue, do hob’n die (mi graußt, Wenn i drun denk’n thue) dö Lumpen recht g’haußt: Den armen Patern droant, Ja gor die Kirch nit g’schoant, S’Zibori ausser g’riss’n, Die Hostien umher g’schmiss’n: Ist dös nit a Gspöttå(h), pfui! Meiner Trui. Oes Gitschelen(i), und ös Weiber göbt acht, Daß enk öper der Franzos nit aufocht(k), Er suecht enk aus die Söck, Reißt enk den Brustich(l) wöck, Treibt Kühe und Goas darvun, Z’löscht zündt er d’ Häuser un: Und zueher laß’n sölla Hund, Wår mår z’rund. Bei den hochgestellten Buchstaben in Klammern handelt es sich um Erläuterungen, die auf dem Flugblatt in Fußnoten wiedergegeben werden: (a) „Sie sehnten sich herein zu kommen“; (b) „etwa“; (c) „jammern“; (d) „was der Brief vermag“; (e) „die Fässer“; (f ) „das Geld“; (g) „zu Wälsch-Michael im Kloster“; (h) „Gespött“; (i) „Mädchen“; (k) [sic: (j) fehlt] „auffangt“; (l) „Schnürbrust“; (m) „ziemlich“; (n) „glänzen“; (o) „Horcht nur“; (p) „da giebt’s Arbeit“; (q) „Truppe“; (r) „lauter einheimische Raubthiere, welche gut zu Fuß sind“; (s) „die Köpfe“; (t) „Griesbeile, oder Grieshacken auf Stangen gepflanzt waren ausser dem Feiergewehr die meisten Waffen“; (u) „gemezelt“; (v) „warum“; (w) „ungeschoren“; (x) „derselbe“; (y) „Burzelbaum, oder Sprünge“; (z) „klettern“; (aa) „Felseneck“; (bb) „geschwind“; (cc) „die Kerls“; (dd) „im Rücken“; (ee) „rasch“; (ff) „ein Messer, womit man die Aeste abhaut“. 1 96 Kapitel 5 Au Månder! schaugt, s’ Wötter kimmt woltan(m) grob, Es steigt ja schoan darhear auhar Blitzblow: Voarun die Reuterey, Die Säbel glitzen(n) frey, loßt(o) nu, es schnöllen schoan, Die Büchsen groas und kloan: Krak, krak, karak, und pum, pum: Um und um. Jez Brüeder, dös bitt i enk, nit verzogt, Halbs gwungen ist, woast du wohl, ders frisch wogt, Dört kimmt (dös geit a Stear(p)) A ganza Kutt(q) darhear, Luchs, Moder, Wolf und Fuchs(r), Schlogt un die Stutzen flugs: Pav! –, hui, do zopplen schoan, Do hobs n’loan. Jez Brüederlen, nehmt die Rear in die Händ, Und låsst den Banditen z’gögn so viels könnt: Höbt au die Kolben gschwind, Schlogt ihnen af die Grind(s), Rennt mit den Griesbeil(t) drein, Geschlåchtigt(u) mueß es seyn: Zwui(v) lassens üns’r Viech und Leut, Nit unkeit(w). Der Dåmper ob’n, dersen(x) rotzige Bue, er schlöt ihnen frey den Wirbel voarzue: Bue, du bist mier nit z’hoach, Dös ist dein löschter Stroach, Sieh, wie die Drummel kracht, Wie’s Burzegågel(y) macht Ha, ha Dåmperl ist dir hoas? Glück af d’ Roas. Beym Soggara, schau, do kreselt(z) ja schoan mear, A nuier Hauf ’n übers Oeggele(aa) darhear, Geah, Josel, Hans, und Veit, Reibt enk woadl(bb) auf die Seit, Greift d’Lötter(cc) arschling(dd) un, Daß koaner fliechen kun: Und geat ihnen reasch(ee) af d’ Hax Mit der Prax(ff). Viktori! Juhe! Der Feind ist gerib’n au, Er låsst, moan i, schoan bey Loch aus, drau drau. Vivat der Koaser Franz! Ihm g’hearn mar wieder ganz: Laudon, und Kerpen enk Bleibt s’Landel ingedenk: Und Du Lehrbach löb fein g’sund, Steif und rund.2 Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 416/14. Heute sind insgesamt fünf identische Drucke des Spingeser Schlachtliedes erhalten, und zwar neben dem genannten noch Dip. 134/5 (= identisch mit Dip. 134/30), FB 535/13, FB 1197/2, S. 35–42 und W 15753. Siehe auch Liedindex, Nr. 43. 2 Spingeser Schlachtlied 97 Abb. 1: Titel des Flugblattes des Spingeser Schlachtliedes (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 416/14). Inhalt, Autor, Melodie und Überlieferung Am 2. April 1797 schrieb angeblich Katharina Lanz, das Mädchen von Spinges,3 Geschichte, als sie mit fliegenden Haaren und zusammengegürteten Kleidern auf die Friedhofsmauer sprang und von dort die anstürmenden Franzosen mit einer Heugabel zurückstieß. Was außerdem bei der Schlacht bei Spinges geschah, erzählt das Spingeser Schlachtlied detailreich und höchst anschaulich. Sämtliche Missetaten der Franzosen, wie etwa Plündereien und Klosterschändungen („S’Zibori ausser g’riss’n, / Die Hostien umher g’schmiss’n“),4 werden geschildert und man warnt die Frauen davor, den „Lumpen“ und „Banditen“ zu nahe zu kommen, damit sie nicht von ihnen „aufgefangen“ werden. Die eigenen „Brüeder“ oder „Månder“ werden zum Kampf aufgestachelt, indem man ihre Geschicke und ihren Mut rühmt und sie mit strategischen Anweisungen zum Angriff auf den Feind (am besten „arschling“) versorgt. Zwischendurch wird vom „Dåmper“ berichtet, dem Tambour, der mit seinem Trommelwirbel die Kämpfer antreibt und schließlich erklingt ein „Vivat“ auf den Kaiser. Man besinnt sich der großen Feldherren General Ernst Gideon von Laudon (1717–1790) und Wilhelm Freiherr 3 4 Mittlerweile wird bezweifelt, dass es das „Mädchen von Spinges“ überhaupt gab; siehe dazu etwa Margareth Lanzinger / Raffaella Sarti: „Das ‚Mädchen von Spinges‘ – eine facettenreiche Symbolfigur und ‚nützliche‘ Heldin“, in: Siglinde Clementi (Hg): Zwischen Teilnahme und Ausgrenzung: Tirol um 1800. Vier Frauenbiographien, Innsbruck 2010 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 32), S. 13–70. Siehe Silvia Maria Erber / Sandra Hupfauf: „‚S’Zibori ausserg’rissn, die Hostien umher g’schmissn‘ – Die Religion als bestimmendes Moment in der politisch verwendeten Musik Tirols zwischen 1796 und 1809“, in: Norbert Haag / Gabriele Haug-Moritz (Hg.): Musik in Neuzeitlichen Konfessionskulturen, Stuttgart (in Druck). 98 Kapitel 5 von Kerpen (1741–1823) und wünscht dem in Tirol beliebten Hofkommissär Reichsgraf Ludwig von und zu Lehrbach5 (1745–1805) ein gesundes Leben. Als Autor des Spingeser Schlachtliedes wird Franz Karl Zoller vermutet. Zoller wurde am 4. September 1748 in Klagenfurt als Sohn eines Malers aus Telfs (Tirol) geboren, besuchte die Schule in Hall in Tirol und war dazu bestimmt, Geistlicher zu werden. Er aber ließ sich in Wien zum Landschaftsmaler und Kupferstecher ausbilden und arbeitete ab 1785 als Weginspektor im Nordtiroler Unterland. Im Jahr 1797 erhielt er eine Anstellung als Adjunkt bei der Baudirektion in Innsbruck und 1809 erhob ihn die bayerische Regierung zum Oberbauinspektor in Brixen. 1810 wurde er nach München versetzt, was ihn sehr geschmerzt haben dürfte, denn er ließ sich gleich darauf pensionieren und kehrte nach Innsbruck zurück, wo er nach dem Wiederanschluss Tirols an Österreich als Adjunkt bei der k. k. Provinzialbaudirektion angestellt wurde.6 Sowohl die Beförderung als auch die Strafversetzung nach München dürften unmittelbare Folgen von Zollers unsteten literarischen Tätigkeiten im Dienste der jeweiligen Regierung gewesen sein, denn er verfasste außer dem ihm zugeschriebenen Spingeser Schlachtlied von 1797 auch Propagandalieder zugunsten der bayerischen Regierung im Jahr 1808 und wechselte 1809 dann wieder auf die tirolerische Seite, die er ebenso scharfzüngig unterstützte.7 Über Zollers Sterbedatum herrscht Uneinigkeit. Während Erich Egg meint, dass Zoller 1829 gestorben sei,8 geben Goedeke und Goetze 1839 als Todesjahr an.9 Lange waren sämtliche Lieder Zollers anscheinend unbekannt, denn in der Abhandlung des Schriftstellers Adolf Pichler (1819–1900) über Tiroler Kriegslieder aus dem Jahr 1854 sucht man das Spingeser Schlachtlied vergeblich, obwohl Pichler die „Dipaulische Bibliothek“ des Ferdinandeums (die Sammlung Dipauliana von Andreas Alois Di Pauli von Treuheim) gesichtet hat. Er gibt zahlreiche Lieder daraus wieder und meint, dass es über die Schlacht bei Spinges kein Lied gebe: Der Tiroler neigt offenbar mehr der lyrischen und drammatischen Poesie, als dem ruhig gehaltenen Epos zu, wie könnte man es sich sonst erklären, daß Schlachten wie die von Spinges kein Lied verherrlicht, während bei den Serben, die zum Theil auch ein Gebirgsvolk sind, ein Jahrhundert dem andern mit feuriger Zunge seine Waffenthaten überliefert. Die Dipaulische Bibliothek, welche im hiesigen Museum hinterlegt ist, enthält zwar einen Band Kriegslieder aus den Zeiten von 1796 bis 1801. Als ich sie zuerst entdeckte, war ich hocherfreut und glaubte mich schon am Ziel langgehegter Wünsche, fand mich jedoch bald entteuscht.10 Weiters bedauert Pichler, dass nach 1800 und auch ab dem „Sturmjahr“ 1809 wenige bis gar keine historisch-politischen Lieder zu finden seien und nennt in diesem Zusammenhang auch Zoller, wobei die Textstelle verrät, dass dieser ihm unbekannt ist: Siehe Helmut Reinalter: „Graf Lehrbach und Tirol“, in: Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum 54 (1974), S. 213–233, hier z. B. S. 225, http://www.landesmuseum.at/datenbanken/ digilit/?litnr=32411 (30. 10. 2012). 6 Karl Goedeke / Edmund Goetze: Grundriß zur Geschichte der Deutschen Dichtung aus den Quellen, 6. Band, 2., neu bearb. Aufl., Leipzig – Berlin 1898, S. 680. 7 Erich Egg: „Hof- und Bauerntheater, Musik und Literatur“, in: Ammann, Gert (Hg.): Die Tirolische Nation. Katalog zur Landesausstellung Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, 6. Juni – 14. Oktober 1984, Innsbruck 1984, S. 149–181, hier S. 163f. 8 Ebd., S. 163. 9 Goedeke/Goetze: Grundriß zur Geschichte der Deutschen Dichtung (wie Anm. 6), S. 680. 10 Adolf Pichler: „Tirolische Kriegslieder – ein Beitrag zur Geschichte deutscher Volksdichtung“, in: Karl Gödeke (Hg.): Deutsche Wochenschrift, Heft 17, Hannover 1854, S. 522–530, hier S. 524. 5 Spingeser Schlachtlied 99 Nur ein junger Praktikant bei der Baudirection, Namens Zoller, ließ hie und da ein Gedicht fliegen, die Baiern versetzten ihn zur Strafe aus seinem Vaterlande Tirol nach München. Trotz aller Bemühungen konnte ich keines dieser Blätter erlangen, sie scheinen spurlos verweht.11 Adolf Pichler kannte im Jahr 1854 das Spingeser Schlachtlied somit nicht, auch befand sich damals kein Lied von Franz Karl Zoller in der Dipaulischen Bibliothek. Erst 24 Jahre später, im Jahr 1878, erfährt man von einem Autor, der mit dem Kürzel A. überliefert ist (nach Goetze und Goedeke „An der Lahn“12), erstmals von der Existenz des Spingeser Schlachtliedes. A. bestätigt, dass das Lied in der Dipaulischen Bibliothek nicht aufschien, und vermittelt Informationen über den glücklichen und auch etwas mysteriösen Fund der ältesten gedruckten Ausgabe des Liedes: Das „Spingeser Schlachtlied“. […] In dieser Hinsicht ist besonders merkwürdig eine Dichtung, welche sich mit einer eigenthümlichen Melodie, bis auf den heutigen Tag bruchstückweise im Volkesmunde erhalten hat, so das man sehr häufig, wenn die Schützen Kurzweil treiben, einzelne Strophen unter Begleitung von Schwegel und Trommel singen hört. Wir haben uns schon seit Langem bemüht, den ganzen Text zu Stande zu bringen, und weil dies so schwer hielt, glaubten wir uns zu der Annahme berechtigt, daß diese Dichtung wohl gar nie gedruckt worden oder mit so manchen anderen Druckwerken aus den neunziger Jahren verloren gegangen sei, zumal mehrere in diesen Dingen höchst competente Veteranen das Lied wohl kannten, aber sich nicht erinnerten, es gedruckt gesehen zu haben, und dasselbe weder in der sogenannten Dipauliana, noch in der Vogelsänger’schen Sammlung des Ferdinandeums zu finden ist. Nachdem uns endlich neun Strophen, welche den inneren Zusammenhang nicht vermissen lassen, vorlagen, vermeinten wir, daß es gut wäre, dieses volksthümliche Kriegslied mit der traditionellen Melodie nach – wie wir glaubten – entsprechender Textcritik, wohlausgestattet in Druck legen zu lassen, um es auf diese Weise der Tiroler Landesvertheidigung zu erhalten. Herr C. A. Czichna in Innsbruck ist uns bereitwilligst entgegen gekommen und wird die Auflage auf seine Kosten besorgen, mit der edlen Absicht, den ganzen Reinertrag den Verwundeten der Occupationstruppen oder jetzt nach geänderten Verhältnissen dem Tiroler Invalidenfonde zu widmen. Herr Kapellmeister Komzak hatte die Freundlichkeit, die Begleitung zu schreiben, und wir können nicht unterlassen, zu verrathen, dass dieselbe auch für ein kleines Orchester gesetzt wurde – Während nun die Auflage schon im Zuge ist, siehe da kommt das Spingeser-Lied „gedruckt mit Wagner’schen Schriften“, als „Kriegslied eines Tyrolers im Landsturm anno 1797“, an’s Tageslicht, nachdem das Exemplar bis Belluno gewandert, und durch den Ankauf einer Bibliothek wieder in den Besitz der vorher schon und seit dem noch immer florierenden Verlagshandlung, vielleicht als unicum, zurückgekommen war. Durch diese erfreuliche Entdeckung findet unser Text einige werthvolle Ergänzungen, und ist nunmehr jeder Zweifel behoben, daß die im Volksmunde überlieferten Strophen mit dem ursprünglichen Liede übereinstimmen.13 Wir erfahren aus dieser Stelle von der Volksläufigkeit einzelner Strophen des Liedes vor allem unter den Schützen, vom Bemühen darum, das Lied vollständig aufzuzeichnen und herauszugeben und von den Auftraggebern der Drucklegung (von denen später noch die Rede sein wird). Schließlich berichtet A. über die erstaunliche Tatsache, dass genau zur gleichen Zeit, im Jahr 1878, als der Druck des Spingeser Schlachtliedes veröffentlicht wurde, ein älterer Druck des Liedes mit dem Titel Kriegslied eines Tyrolers im Landsturm anno 1797 zum Vorschein kam. Zwei Informationen enthält sein Artikel nicht: den Ort, an dem der ältere Lieddruck auftauchte, und den Namen des Liedverfassers. Ebd., S. 528. Goedeke/Goetze: Grundriß zur Geschichte der Deutschen Dichtung (wie Anm. 6), S. 681. 13 Anon. [An der Lahn?]: „Schießstandnachrichten und Schützenwesen“, in: Bote für Tirol und Vorarlberg 64 (1878), Nr. 240, Innsbruck, Freitag 18. Oktober 1878, o. Sz. 11 12 100 Kapitel 5 Dieser ältere Druck mit dem Titel Kriegslied eines Tyrolers im Landsturm An. 1797 ist heute in der Sammlung Dipauliana erhalten, darüber hinaus befinden sich weitere vier identische Drucke im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Der Lieddruck beinhaltet Informationen zur Melodie des Liedes („Nach der bekannten Melodey: Jez wöll’n mier gien den heilign Geist singen u. s. w.“), außerdem werden Dialektwörter in (den eingangs zitierten) Fußnoten erläutert. Letzteres entsprach anscheinend einer gängigen Praxis, vor allem bei „offiziellen Kriegsliedern“, und ist heute noch in vielen Liedflugblättern zu finden. Weder das Jahr der Drucklegung noch ein Hinweis auf den Autor sind auf dem Flugblatt vermerkt, sodass man den Titel des Liedes durchaus dahingehend interpretieren könnte, dass er auf die Anonymität des Verfassers („eines Tyrolers“) hinweist. Als Ludwig von Hörmann im Jahr 1879, also ein Jahr später, im Tiroler Boten über „Die tirolischen Kriegslieder aus den Jahren 1796, 1797 und 1809“14 schreibt, widmet er sich ausführlich dem Spingeser Schlachtlied, wobei er seiner Analyse voranstellt: Es ist zwar schon von anderer competenter Seite in diesem Blatte („Tiroler Bote“ 1878, Nr. 240) auf dieses Lied und sein Verhältniß zu den damaligen Ereignissen Rücksicht genommen und dabei eine theilweise Analyse desselben gegeben worden, aber ich muß nothgedrungen noch einmal darauf zurückkommen, weil die vollständige Wiedergabe mir Gelegenheit bietet, die Hauptmomente jenes Kampfes vorzuführen und auch das Verständniß des Nachfolgenden dadurch wesentlich erleichtert wird. Er untersucht anschließend hingebungsvoll Strophe für Strophe und führt in der Fußnote seine Quelle an: Ich halte mich hinsichtlich des Textes an mein gedrucktes Exemplar aus dem Jahre 1797, das den Titel führt: Kriegslied eines Tyrolers im Landsturm anno 1797. Nach der bekannten Melodey: Jez wöll’n mier gien den heilign Geist singen u. s. w. Innsbruck, gedruckt mit Wagner’schen Schriften. Hörmann betont, er zitiere aus „sein[em] gedruckte[n] Exemplar [des Liedes] aus dem Jahre 1797“, womit er wahrscheinlich den Flugblattdruck aus der Sammlung Dipauliana meint. Die Jahreszahl im Titel des Liedes bezieht sich allerdings nur auf die Entstehung des Liedes und nicht zwangsläufig, wie Hörmann annimmt, auf das Jahr der Drucklegung. Auch Hörmann nennt den Verfasser des Liedes nicht. Somit existierten im Jahr 1879 also ein „alter“ Druck mit dem Titel Kriegslied eines Tyrolers im Landsturm An. 1797 (mit Melodieangabe) und eine Neuausgabe des Spingeser Schlachtliedes mit Noten. Der Name des Verfassers war immer noch unbekannt. Erst elf Jahre später, im Jahr 1890, scheint erstmals der Name „Zoller“ auf, und zwar in einer Rezension der vom Tiroler Schriftsteller Rudolf Heinrich Greinz (1866–1942) herausgegebenen Lyriksammlung Liederfrühling in Tirol durch Adolf Pichler in der Zeitschrift Tiroler Stimmen. Pichler bemängelt in seiner Rezension u. a. Greinz’ Quellenangabe für das Spingeser Schlachtlied und dessen Unkenntnis des Verfassers Franz Karl Zoller: Ludwig von Hörmann: „Die tirolischen Kriegslieder aus den Jahren 1796, 1797 und 1809 (zum Jahrestage der Schlacht von Spinges am 2. April 1797) (Fortsetzung.)“, in: Amtsblatt zum Tiroler Boten, Nr. 89, Innsbruck, 19. April 1879, S. 707. 14 Spingeser Schlachtlied 101 In meiner Jugend hörte ich alte Männer oft vom „Spingeser-Lied“ reden, konnte es jedoch nicht erhalten. Unser verschütteter Quellenforscher war glücklicher. Er schreibt: „Ich fand dieses weit verbreitete Tiroler Volkslied als Flugblatt in der Dipauliana. Handschriftliche Notizen nennen einen gewissen Zoller als Verfasser. Die vorliegende Fassung wurde aus dem Volksmunde aufgezeichnet.“ – Richtig! Es wird jetzt wieder gesungen. Die Musikalien Handlung Groß ließ es nämlich vom Kapellmeister Lutz für Gesang und Fortepiano einrichten und drucken. DA konnte es Greinz entlehnen und abschreiben, freilich klingt: „Aus dem Volksmund aufgezeichnet“ vornehmer! – „Ein gewisser Zoller“ – Auf dem Exemplar der Dipauliana steht: „Zoller“; der Mann war damals zu bekannt, als dass es eines Beisatzes bedurfte; der Bibliothekar Hörmann besitzt seine eigene Handschrift mit Bleistiftkorrekturen. Es wäre doch der Mühe Werth gewesen, zu erfahren, wer den [sic] dieser Zoller war? Greinz brauchte sich nur umzukehren, auf dem Tische lag der Katalog tirolischer Größen, der weitläufige Auskunft gibt. Doch genug.15 Adolf Pichler, der das Spingeser Schlachtlied in seiner Abhandlung von 1854 noch nicht erwähnte, berichtet hier, er habe von diesem Lied schon in seiner Jugend gehört. Er kritisiert Greinz für dessen Aussage, „die vorliegende Fassung wurde aus dem Volksmunde aufgezeichnet“, da er daraus schließt, Greinz würde behaupten, er habe das Lied selbst „aus dem Volksmunde“ aufgezeichnet. Ferner übermittelt er die nicht uninteressante Information, dass Ludwig von Hörmann eine handschriftliche Aufzeichnung des Liedes von Zoller mit dessen Bleistiftkorrekturen besitze und dass ferner auf dem gedruckten Flugblatt der Name des Autors, nämlich „Zoller“, handschriftlich vermerkt sei. Und in der Tat ist auf dem Dipauliana-Exemplar des Liedes handschriftlich und mit brauner Tinte der Name „Zoller“ vermerkt, allerdings findet sich der Lieddruck in einem Sammelband mit vielen weiteren Flugblättern, auf denen meistens die Verfassernamen ebenso handschriftlich und mit der gleichen braunen Tinte notiert sind. Dies lässt auf nachträgliche Verfasserangaben schließen und nicht auf einen Autorenvermerk von Franz Karl Zoller selbst. Beim Spingeser Schlachtlied könnte diese Verfasserangabe aufgrund des Druckbildes geschehen sein, denn die Sammlung Dipauliana enthält ein Lied von „F. K. Z.“ (Franz Karl Zoller), das in seiner optischen Erscheinung dem Druck des Spingeser Schlachtliedes sehr ähnelt: das Tiroler Schützenlied auf das große Königliche Freyschießen zu Innsbruck, den 27. May im Jahre 1808 von F. K. Z.16 Im Jahr 1890 jedenfalls wurde die Autorenschaft Franz Karl Zollers als endgültig erwiesen angesehen. Goedeke und Goetze fassen im Jahr 1898 das Wissen rund um das Spingeser Schlachtlied, oder auch Kriegslied eines Tyrolers im Landsturm An. 1797, zusammen und teilen wertvolle Informationen über den Dialekt des Textes, die Melodie und den historischen Entstehungskontext mit: Nach der bekannten Melodey: Jez wöll’n mier gien den heiligen Geist singen u. s. w. Innsbruck gedruckt mit Wagnerschen Schriften. 4 Bl. 8. (‚Jez wöll’n mar gien n’ Franzosen zü gög’n gien‘). Anmerkung: ‚Die Mundart dieses Lieds ist meist aus dem Wippthalischen und aus der Gegend um Störzing […] entnommen; und zugleich die eigentlich Tyrolische, indem selbe am wenigsten mit den angränzenden ausländischen Sprachen vermengt ist‘. Kein eigentliches Schlachtlied, sondern ein Siegeslied, das die angenommene Aufreibung und Verjagung der Feinde feiert, während der Tag von Spinges selbst keinen Sieg bedeutete. Siegreich war erst am Tag darauf Laudon, der die Adolf Pichler: „Verschollene Dichter. Ein Beitrag zur deutschen Literatur-Geschichte“, in: Tiroler Stimmen 30 (1890), Nr. 43, 21. Februar 1890, S. 1f. 16 TLMF, Dip. 535/24. Siehe auch Liedindex, Nr. 90. 15 102 Kapitel 5 Franzosen aus Bozen warf und gegen Brixen jagte. Das Vorbild ist ein schon am Ende des 18. Jahrh. beliebtes und verbreitetes Volkslied, das aus dem Pusterthal zu stammen scheint, die Melodie wird irrthümlich Johann Gänsbacher zugeschrieben, der neunzehnjährig bei Spinges mitkämpfte. Entstanden ist es, nach den zwei letzten Zeilen (‚Und du Lehrbach leb’ fein g’sund Steif und rund‘), zur Zeit als der Hofcommissär v. Lehrbach von Innsbruck zum Reichfriedens-Congreß nach Rastatt abberufen wurde oder als dessen baldige Abberufung wenigstens in Aussicht stand, als vielleicht bei Gelegenheit des großen Freischießens, das die Landschaft ihm zu Ehren am 4. Juli 1797 in Innsbruck gab, oder Anfangs November vor seiner Abreise (4. Nov.). Die Handschrift, wahrscheinlich die Druckvorlage, in v. Hörmanns Sammlung. Hörmann Nr. 88. 89. 90. 92. Als ‚Spingeser Schlachtlied‘ herausgegeben von Cichna 1878, arrangiert von Komzak-Leiter; darnach auch in Tiroler Kalender 1881, S. 51.17 Auch Goedeke und Goetze verweisen auf eine handschriftliche Aufzeichnung des Liedes im Besitz von Ludwig von Hörmann, doch diese gilt heute als verschollen, denn in Hörmanns Nachlass ist sie nicht auffindbar.18 Ihre Informationen beziehen sich aber im Wesentlichen auf den Flugblattdruck von 1797, wofür die Beschreibung des Dialekts, in dem der Liedtext abgefasst ist, die Bezeichnung des Liedes als „Siegeslied“ und auch die Melodieangabe „Nach der bekannten Melodey: Jez wöll’n mier gien den heiligen Geist singen“ sprechen. Die Nennung eines Liedincipits als Melodieangabe im Titel zeigt, dass es sich beim Spingeser Schlachtlied um eine Kontrafaktur handelt. Den ursprünglichen Text zur „bekannten Melodey“ gibt der Tiroler Mundartdichter, Dialektforscher und Volkskundler Karl von Lutterotti (1783–1873) in seiner Sammlung Gedichte im Tiroler Dialecte (1854) wieder. Hier ist „Jatz wöll ma ge n heilig’n Geist singa wean ku“ unter dem Titel Die Predigt abgedruckt, wobei Lutterotti von der Qualität des Liedes nicht überzeugt zu sein schien, da er fast entschuldigend anmerkt, dass er es „nur des Dialectes wegen“ in seine Sammlung aufgenommen habe: Die Predigt. Im Dialecte der Umgegend von Schwatz. Ein schon älteres bekanntes Gedicht, welches nur des Dialectes wegen hier ist. Iatz wöll ma ge n heilig’n Geist singa wean ku Aß ged jo di Prödig boil un Müaß’n üns einchi gschlein Kand üns ausgrein Müaß’n noochi frog’n Wooß ma z’thoan hob’n. Und prödig’n wead a toill, toill Gfoillt ma woill. Schaugs, iatz sted a schoan ob’n bockstaar Iisch eam die Kich no vitz z’ laar Höbt gahling u za grein Aß neamd mog daschein S’üsch jo oills so laar Wönns ausgstorb’n waar Und prödig’n muaß a dechd, dechd Gschicht eam rechd. Goedeke/Goetze: Grundriß zur Geschichte der Deutschen Dichtung (wie Anm. 6), S. 680. Siehe dazu z. B. das Nachlassverzeichnis im Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Innsbruck: http://www. uibk.ac.at/brenner-archiv/archiv/hoermannludwig.htm (30. 10. 2012). 17 18 Spingeser Schlachtlied Dö Buab’n a da Puar Kirch do ob’n Deaß’n bäurisch’n Limmil dö grobn Treib’n nichs as Gschpaß Drönga gor no Kaaß Poats ös Lump’n duard Loosts aff Goddas Wuard Ai da Kirch gschpaß’n iisch a Graus, Graus Scheats önk draus. Und iatz moocht a in Vuartrog und Sootz Aß iisch ai da Kirch no gnua Plootz Ea poat a bißi still O neamd mea kömar will Sichts leicht oill rech schö Vua da Kirch Thür stö Und drauß d’ bleibn thoans dechd dechd Iisch röcht schlechd. Und iatz höbt a, un z’ larmar und z’ schrein, Und pöldad, affs Kanzil doill drein Buab’n loost ma recht S’ged übas Waibar Gschlecht Wail kod sö alloan Go koa Guad wölln thoan Und sog’n thuad as eana toill, toil Gfoillt ma woill. Obar a Thoal hob’n gnapfatzd und goand Und a Thoal sö aff d’Stüal einchi gloand Boills üba sö gead hea Hob’n s’ go koa Ghea Uebar onda Leüd Hob’ns greaßdi Freüd Und gnapfaz’n thoans dechd dechd Döß iß gschlechd. Und vuar ra in zwoat’n Thoal iatz bagind Do nahm as liabar oillsomd bad Grind Höbd iatz un za schrein Ueba Tugendschein Ueba Ukeischheid Und Batrug und Neid Und iatz looßts kod, wia a haußt, haußt As oan graußt. Und boill hoild di Prödig wa für Do kamar earst d’ Leud durch Kirch Thür Hod schorf ochi gschaud Sö decht nix z’frogn traud Had liaba ochi gschria Des kömmts woillta fria Oba blibn iischa mäüsil still, still Dößn iisch vill.19 Karl von Lutterotti: Gedichte im Tiroler Dialecte, Innsbruck 1854, S. 26–29. 19 103 104 Kapitel 5 Die Predigt beschreibt karikierend einen Kirchgang auf dem Land. Der Beobachter schildert den steif auf der Kanzel stehenden Pfarrer, der seinem Ärger Luft macht, dass so wenige zu seiner Messe kommen. Schadenfreude macht sich unter den Messbesuchern breit, weil der Gottesmann trotz der wenigen Zuhörer predigen muss. Junge Burschen auf der Empore treiben Späßchen und achten nicht auf „Gottes Wort“, der Pfarrer versucht noch, einige vor der Kirche stehende Gemeinde mitglieder in das Gotteshaus zu locken, doch sie beachten ihn nicht. Er fängt an, über die Verfehlungen der Frauen zu schimpfen und zu schreien, was den Beobachter amüsiert. Er nimmt einige Frauen im Kirchenraum wahr, die zu den Worten des Pfarrers geistesabwesend zustimmend nicken, obwohl gerade sie in der Predigt Abb. 2: Das Spingeser Schlachtlied am 2. April 1797 gescholten werden. Andere lehnen gedan/ Dem tiroler Landsturm gewidmet, Innsbruck, kenverloren in den Bänken. Der BeobCzichna: o. J. [1878] (Österreichische National bibliothek, Wien, Musiksammlung, MS27985-4°. 1 achter meint, dass Frauen wohl nur dann interessiert zuhören, wenn es um andere Mus). und nicht um sie selbst geht. Inzwischen kommt der Pfarrer in Fahrt und poltert über mangelnde Tugend, Unkeuschheit, Betrug und Neid. Als sich nach der Predigt einige Leute erdreisten, doch noch die Kirche zu betreten, erstarrt er endgültig vor Ärger. Der wie aus dem Leben gegriffene humorvolle Text macht die Popularität des „Heiliggeistliedes“ nachvollziehbar, umso mehr, als auch seine leichtfüßige und lebhafte Melodie, die später für das Spingeser Schlachtlied verwendet wurde, äußerst eingängig ist. Josef Feder merkt 1882 zur Melodie des Spingeser Schlachtliedes an: Man wird sich alsbald fragen: Was hat es für eine Weise? Von wem und wann ist es gedichtet? Den ersten Punkt beantwortet das Lied selbst. Auf dem Titel des Flugblattes steht nämlich: „Nach der bekannten Melodey: „Jetz wöll’n mar giehn ’n heilig’n Geist singen.“ Dieses sogenannte „heilig Geistlied“ war nach Hörmann Ende des vorigen Jahrhunderts ein weit verbreitetes Volkslied. Der bekannte Dialektdichter Lutterotti stellt es wenig verändert in seine Sammlung als „ein schon älteres Lied.“ […] Einzelne Strophen erhielten sich lebend bis auf unsre Zeit, allein im ganzen konnte man das Lied fürs Volk verloren geben, bis die Ausgabe Cichnas 1878 es wieder erweckte und die Innsbrucker Liedertafel ihm glänzend zum Sieg verhalf.20 Josef Feder: „Über die tirolischen Kriegslieder der Jahre 1796 und 1797“, in: Karl Prochaska (Hg.): Programm des k k Staats-Gymnasiums in Teschen für das Schuljahr 1881/82, Teschen 1882, S. 1–48, hier S. 30f. 20 Spingeser Schlachtlied 105 Abb. 3: „Jatz müassn mir geahn ’n heilign Geist singen“, in: Alfred Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder, 2. Band (wie Anm. 21), Nr. 149, S. 213. Transkription. Auch Feder berichtet, dass sich das Lied ausschließlich in mündlicher Überlieferung in der Bevölkerung erhielt und erst 1878 mit allen Strophen und seiner Melodie gedruckt wurde (siehe Abb. 2). Wie populär das Lied war, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass man es auch noch in Alfred Quellmalz’ Südtiroler Sammlung von Tonaufnahmen aus den Jahren 1940–1942 findet. Unter dem Incipit „Jatz müassn mir geahn ’n heilign Geist singen“ ist es aus St. Walburg in Ulten erhalten, allerdings nur mit drei Strophen. Quellmalz veröffentlichte eine Transkription seiner Tonaufnahme im zweiten Band seiner Sammlung Südtiroler Volkslieder von 1972 (siehe Abb. 3).21 Zurück zu Goedeke und Goetze und ihrer kurzen, aber prägnanten Darstellung des Spingeser Schlachtliedes von 1898. Die Informationen zum Lied und besonders seine Alfred Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder. 2. Band: Jager und Wildschützen, Almleben, Heimatlieder, Allgemeine Scherzlieder, Ketten- und ähnliche Lieder, Trachtenlieder, Kartenspiellied, Trink- und Reise lieder, Geistliche Parodien, Volkläufige Lieder aus Latsch, Besinnliche Lieder, Liebeslieder, Der Fenstergang (Kiltlieder), Kassel u. a. 1972, Nr. 149, S. 213; Tonaufnahme Südtirolsammlung Quellmalz Nr. 1069, 2. Mai 1941. Zur Südtirolsammlung Quellmalz siehe Thomas Nußbaumer: Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940–42). Eine Studie zur musikalischen Volkskunde unter dem National sozialismus, Innsbruck – Wien – München; Lucca 2001 (Bibliotheca Musicologica VI). 21 106 Kapitel 5 historische Einordnung scheinen plausibel. Interessant ist auch die Bemerkung, dass man dem Tiroler Komponisten Johann Baptist Gänsbacher fälschlicherweise die Melodie zuschrieb. Unter der erwähnten Ausgabe „von Cichna“ ist jene der Innsbrucker Lithographieanstalt von Carl Alfred Czichna (1842–1899)22 gemeint. Die Innsbrucker Liedertafel – Das Spingeser Schlachtlied und andere patriotische Tiroler Lieder Als Arrangeure des Spingeser Schlachtliedes geben Goedeke und Goetze „Komzak-Leiter“ an. Josef Leiter und Karl Komzak waren wichtige Persönlichkeiten im Tiroler Musik leben. Josef Leiter (1830–1887) studierte an der Universität Innsbruck Recht sowie Violine und Musiktheorie an der Schule des Musikvereins. Er wurde Beamter bei der k. k. Kreisbehörde Innsbruck und war Mitbegründer des Cäcilienvereins und der Innsbrucker Liedertafel. Im Jahr 1880 wurde er in den Vorstand der Liedertafel gewählt und leitete diese von 1881–1887 auch als Chormeister. Er schrieb zahlreiche Werke, neben Märschen und Tanzmusik auch eine Messe und ein Requiem.23 Passend zur generell nationalen Gesinnung der Liedertafel komponierte Leiter auch gerne patriotische Lieder, wie Mein Vaterland, mein Oesterreich, Der rothe Tiroleradler oder Du liebes, theures Vaterland, und auch „Nationallieder“, zu denen seine Potpourris nach Tiroler Liedern zählen.24 Karl Komzak jun. (1850–1905) wurde in Prag geboren. Er studierte am Prager Konservatorium und schlug, ebenso wie sein Vater, die Dirigenten- und Komponistenlaufbahn ein. Nachdem er ein paar Jahre als Primgeiger und Dirigent in Linz beschäftigt war, wurde er in Innsbruck Militärkapellmeister und Chormeister der Liedertafel. Er gilt als ein sehr produktiver Komponist und schrieb neben vielen Märschen und Tanzmusik eine Operette mit dem Titel Edelweiss. Komzak war der erste Militärkapellmeister der Monarchie, der die Normalstimmung einführte. Er erfuhr posthume Würdigung durch ein Ehrengrab am Wiener Zentralfriedhof. Unter seiner Führung erlebte die Innsbrucker Liedertafel eine richtiggehende Blütezeit.25 Der Männergesang diente zur Zeit des Nationalismus u. a. der moralischen Bildung, man sprach ihm einen positiven Einfluss auf die „Sittlichkeit“ und die Förderung der Kameradschaft zu. Die Lieder handeln oft von politisch-vaterländischen Themen und angeblich typisch männlichen Tugenden, wie Kampfgeist, Treue, Ehre, Siehe dazu Hildegard Herrmann-Schneider / Manfred Schneider: „Notendruck und Musikverlage“, in: Projekt Musikland Tirol, Tiroler Musikatlas: www.musikland-tirol.at, http://www.musikland-tirol. at/musikgeschichten/musikintirol/notendruckundmusikverlage/index.php#04a5bf9aa314b920e (11. 01. 2012). 23 Walter Senn: „Leiter, Josef (1830–1887), Musiker“, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815– 1950, 5. Band, Lfg. 22, 1970, S. 114 (Onlinefassung); http://www.biographien.ac.at/oebl/oebl_L/ Leiter_Josef_1830_1887.xml (07. 05. 2012). 24 Wenzel-Josef Meindl (Hg.): Dr. Josef Alois Leiter, k. k. Bezirkshauptmann und Compositeur, Gründer der Liedertafel, Innsbruck 1989, o. Sz., Abschnitt „Bisher aufgefundene Kompositionen“. 25 Andreas Bramböck: „Blasmusik in Tirol im 18. und 19. Jahrhundert“, in: Kurt Drexel / Monika Fink (Hg.): Musikgeschichte Tirols. 2. Band: Von der frühen Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Innsbruck 2004 (Schlern-Schriften 322), S. 739–766, hier S. 745. 22 Spingeser Schlachtlied 107 Todesmut und Opferbereitschaft. Ein Gesangsverein war nicht nur eine Gemeinschaft von Musikliebhabern, er war gleichzeitig eine Form der männlichen Freizeitgestaltung und beruflichen Beziehungspflege und nicht zuletzt verstand man sich als aktiver Teil der deutschenNationalbewegung. Die Sängervereine waren ein stadtbürgerliches Phänomen, unter ihren Mitgliedern fanden sich mehrheitlich Bürger, Handwerksgesellen und Studenten. Die Ursprünge des Repertoires der Männergesangsvereine liegen in den „Vaterlandsliedern“ des frühen 19. Jahrhunderts, die vielfach von Teilnehmern der Befreiungskriege, wie etwa Theodor Körner, geschrieben wurden. Ihr auffallend jugendlicher und euphorischer Ton übte besonders auf junge Sänger eine große Anziehungskraft aus und ohne Zweifel war Carl Maria von Webers Liederzyklus Leyer und Schwerdt von 1814 richtungsweisend für den vierstimmigen Männergesang der Gesangsvereine.26 Betrachtet man das Repertoire der 1852 gegründeten Innsbrucker Liedertafel27 bis 1885, fällt auf, dass sehr viele Werke von Felix Mendelssohn-Bartholdy gesungen wurden. Mendelssohn-Bartholdy war im Männerchorwesen ungemein beliebt.28 Aber auch Lieder von Franz Abt und Franz Schubert sind im Repertoire zu finden, außerdem viele von Julius Otto (1804–1877), der laut Dietmar Klenke in seiner grundlegenden Arbeit über das deutsche Männergesangsvereinswesen „wie kein zweiter die attraktive Synthese von kämpferischer Tatkraft, religiöser Bindung und populärem Nationalismus“ verband.29 Beliebt waren ansonsten Lieder von Franz Lachner und natürlich dem populären Carl Maria von Weber.30 In den Programmen der Innsbrucker Liedertafel scheinen aber auch Lieder tirolischer Herkunft auf: von Josef Pembaur (1848–1923), Ernst von Tschiderer (1830–1916), Matthäus Nagiller (1815–1874) und Josef Leiter (1830–1887). In vielen ihrer Lieder wird die „Andreas-Hofer-Zeit“ verherrlicht, z. B. in Tirol mein Vaterland (Pembaur), Die Tiroler Schützenfahne oder Der rote Tiroleradler (Tschiderer). Von Anfang an nahmen auch „Nationalgesänge“, traditionelle Lieder aus mündlicher Überlieferung und „Tiroler Lieder“ einen wichtigen Platz im Repertoire ein. Die Innsbrucker Liedertafel engagierte sich generell sehr für die Verbreitung und Veröffentlichung patriotischer „Tiroler Lieder“. Neben Leiter und Komzak tat sich dabei Johann Fuchs besonders hervor. Von ihm erschien schon 1862 in München eine Sammlung ächter Tiroler National-Lieder für vierstimmigen Männerchor.31 Johann Fuchs war Mitglied des Musikvereins und der Liedertafel und laut Josef Pembaur „Violinspieler, Jodler, Gourmand und Hauptkassakassierer“.32 Er stellte seine Sammlung so zusammen, dass jedes der sechs Hefte thematisch eine abwechslungsreiche Auswahl an Liedern bie- Dietmar Klenke: Der singende „Deutsche Mann“– Gesangsvereine und deutsches Nationalbewusstsein von Napoleon bis Hitler, Münster 1998, S. 1–46. 27 Siehe dazu Gretl Köfler: „Musik und politische Identität. Zur Organisationsgeschichte der Männer gesangsvereine in Tirol“, in: Kurt Drexel / Monika Fink (Hg.): Musikgeschichte Tirols. 3. Band: 20. Jahrhundert, Innsbruck 2008 (Schlern-Schriften 344), S. 53–71. 28 Mehr dazu bei Klenke: Der singende „Deutsche Mann“ (wie Anm. 26), S. 64. 29 Ebd., S. 110. 30 Laut der Vereinschronik 1855–1885, in: Wenzel-Josef Meindl: 130 Jahre Innsbrucker Liedertafel, älteste Chorvereinigung der Landeshauptstadt. Festschrift, Innsbruck 1985 (TLMF, FB 60808). 31 Johann Fuchs (Hg.): Sammlung ächter Tiroler National-Lieder für vierstimmigen Männerchor, 6 Hefte, München 1862 (Bayerische Staatsbibliothek, München, Mus.pr. 96-1, 6#1_00010. 9). 32 Josef Pembaur: Aus dem Leben eines Musikers, o. O. o. J. (Typografie im Archiv des Tiroler Landes konservatoriums, Innsbruck). 26 108 Kapitel 5 tet.33 Bezeichnenderweise wird das Spingeser Schlachtlied bei Fuchs nicht angeführt, was wieder für die Tatsache spricht, dass das Lied zu dieser Zeit in der breiten Tiroler Öffentlichkeit noch so gut wie unbekannt war. Fuchs’ Sammlung beinhaltet neben typischen „Tiroler Liedern“ mit den Themen Heimat, Liebe, Natur und das „einfache Leben“ auch „Freiheitslieder“ wie Anno Neun 34 und Der Tiroler Landsturm.35 Von Interesse sind auch die Loblieder auf den Kaiser im ersten Heft mit den Titeln Liebe der Tiroler zu ihrem Kaiser und Huldigungsjodler v. J. 1838. Vor allem der Huldigungsjodler mit seiner merkwürdigen Mischung aus christlicher Symbolik und patriotischer Kriegslied-Rhetorik ist als prototypisch für Huldigungslieder in Tirol anzusehen. Im Liedtext wird Tirol gar als „Braut“ des Kaisers bezeichnet, die es zu beschützen gilt und für die man sich aus Liebe zum Kaiser opfern würde (siehe Abb. 4): Huldigungsjodler v. J. 1838 1. Wie ich den Erwählten liebe, bis zum Tode warm und treu, denk ich mir, das uns’re Liebe zu dem Kaiser sei, Ja so ist’s, ja so ist’s, wie eine Braut ist Tirol dem Kaiser ist Tirol dem Kaiser angetraut, ist dem Kaiser angetraut. Doi da di dia da-dia doi … 2. Wie ich die Geliebte schütze, mit der Liebe Heldenmuth, geb ich trau’n für meinen Kaiser gern mein letztes Blut Ja so ist’s, Ja so ist’s, wie ein Mann, stellt Tirol im Kampfe sich, stellt Tirol im Kampfe sich voran, stellt im Kampfe sich voran. Doi da di dia da-dia doi …36 Vergleichbare Loblieder auf den Kaiser finden wir auch bei Nationalsängergruppen,37 die Sammlung von Fuchs ist aber eine der spätesten, die noch derartige Huldigungslieder an den Kaiser enthält. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind in ähnlichen Samm- Adolph Hofmeister gibt in seinem Musikalisch-literarischen Monatsbericht neuer Musikalien, musikalischer Schriften und Abbildungen für das Jahr 1862 (34. Jahrgang, Leipzig 1862) zwischen Februar und Dezember 1862 die jeweils neu erschienenen Hefte der Fuchs-Sammlung samt Inhalt bekannt. In der Ausgabe vom Februar 1862 (S. 31) nennt er das 1. Heft: Die Liebe der Tyroler zu ihrem Kaiser, Schnader hüpfel, Die Nachtigall, Huldigungsjodler v. J. 1838, Die Sennerin auf der Alm. In der Ausgabe vom März 1862 (S. 50) wird das 2. Heft genannt: Der lustige Jagabua, S’ Wiesal, Auf der Alm is koan Bleib’n, Oes Bueben stellt’s enk her, Der verliebte Tiroler, in der Ausgabe vom April 1862 (S. 71) das 3. Heft: Sehnsucht nach der Heimath, Der Jodler in der Glorie, Schützenlied v. Jahre 1838, Der Gemsenjaga, Die schönen Kitzbichler Madel’n, in der Ausgabe vom Juni 1862 (S. 113) das 4. Heft: Z’Lautabach hon i mein’ Strumpf verlor’n, Die Erinnerung an das Jahr 1809, Die Mondscheinigkeit, Wöllt’s eppar an Hosenlupf wag’n, Auf die drei schönsten Thäler im Unterland, in der Ausgabe vom August 1862 (S. 154) das 5. Heft: Die loadige Sennerin, Vater, wann gibst ma denn’s Hoamat’l, A Bussal, Du flachshorats Dianal, Die Hochzeit auf der Alm, und in der Ausgabe vom Dezember 1862 (S. 246) das 6. und letzte Heft: Fein sein bei’nander bleib’n, Das Häuserl am Roan, Die Freud auf der Alm, Der Kleeplatz, Der Tiroler Landsturm. 34 Siehe dazu Kapitel 15 in diesem Band. 35 Siehe dazu Sandra Hupfauf: „Der Tyroler Landsturm: Ein Nationalsängerlied und seine Reise durch die amerikanische Popularmusik des 19. Jahrhunderts“, in: Thomas Nußbaumer (Hg.): Volksmusik in den Alpen – Standortbestimmungen. Festschrift für Josef Sulz zum 80. Geburtstag, Innsbruck 2011 (Schriften zur musikalischen Ethnologie 1), S. 255–279. 36 Fuchs (Hg.): Sammlung ächter Tiroler National-Lieder (wie Anm. 31), 1. Heft, S. 9–12. 37 Siehe dazu Kapitel 15 in diesem Band. 33 Spingeser Schlachtlied 109 Abb. 4: Huldigungsjodler v. J. 1838, in: Johann Fuchs (Hg.): Sammlung ächter Tiroler National-Lieder für vierstimmigen Männerchor, München 1862, 1. Heft, S. 9 (Bayerische Staatsbibliothek, München, Mus.pr. 96-1, 6#1_00010. 9). 110 Kapitel 5 lungen und auch bei den Nationalsängern keine Kaiserloblieder mehr zu finden. Ein weiterer Notendruck, der sich in die Reihe der patriotischen Tiroler Lieder sammlungen einfügt, stammt von Alexander Leitermayer: Tiroler Liederkranz Potpourri nach Tiroler Alpenliedern zusammen gesetzt für Pianoforte (ca. 1890).38 Dieses Potpourri umfasst eine Auswahl von beliebten Tiroler Liedern und wurde bei Johann Gross in Innsbruck verlegt.39 Leitermayer (1826–1898) stammte aus Wien und galt als „einer der vorzüglichsten Militärkapellmeister seiner Zeit“.40 In seiner Sammlung ist übrigens auch eine Variation über das Spingeser Schlachtlied zu finden, das wenige Jahre nach seiner „Wiederentdeckung“ zunehmend in populären Tiroler Liedersammlungen aufscheint (siehe Abb. 5). Abb. 5: Alexander Leitermayer (Hg.): Tiroler Liederkranz Potpourri nach Tiroler Alpenliedern Demgemäß enthält auch die Sammzusammen gesetzt für Pianoforte von Alexander Leilung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder für termayer Capellmeister des k. k. Infanterie Regiments eine Singstimme mit Begleitung des PianoErzherzog Rainer, Innsbruck [ca. 1890], Titelblatt forte oder der Guitarre,41 die etwa zur glei(Bayerische Staatsbibliothek, München, 4 Mus.pr. chen Zeit in Innsbruck publiziert wurde, 31900#Beibd.31). das Spingeser Schlachtlied. Von Interesse ist, dass in beiden Sammlungen auch ein Lied über Josef Speckbacher (1776–1820), neben Andreas Hofer ein maßgeblicher Anführer des Tiroler Aufstandes von 1809, aufscheint (siehe Abb. 6).42 Auch dieses Lied war bei Nationalsängergruppen gegen Ende des 19. Jahrhunderts beliebt: Alexander Leitermayer (Hg.): Tiroler Liederkranz Potpourri nach Tiroler Alpenliedern zusammen gesetzt für Pianoforte von Alexander Leitermayer Capellmeister des k. k. Infanterie Regiments Erzherzog Rainer, Innsbruck [ca. 1890] (Bayerische Staatsbibliothek, München, 4 Mus.pr. 31900#Beibd.31). 39 In Leitermayers Sammlung werden folgende Lieder zitiert: 1. Diandl wie ist mir so wohl, Auf den Bergen in Tirol, 2. Andreas Hofer’s Tod, 3. Auf der Alm da gibt’s koa Sünd, 4. Ein Büchsal auf ’m Ruck’n, 5. Nur einmal noch in meinem Leben Meine Heimath möchte ich sehen, 6. Zillertal du bist mei Freud, 7. Da Jagar und die Sennerinn, 8. Bin a frischer Tiroler Bua, 9. Höttinger Vogelfangerlied, 10. Der Tiroler und sein Kind, 11. Juhe Tiroler Land, 12. Das Speckbacherlied, 13. Tiroler Sennerlied, 14. Sehnsucht nach Tirol, 15. Tiroler Schützenlied von Anno 1838, 16. Spingeser Schlachtlied. 40 Emil Rameis: „Leitermayer, Alexander (1826–1898), Musiker“, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, 5. Band, Lfg. 22, 1970, S. 114 (Onlinefassung); http://www.biographien.ac.at/oebl/ oebl_L/Leiter_Josef_1830_1887.xml (07. 05. 2012). 41 Anon. (Hg.): Sammlung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder für eine Singstimme mit Begleitung des Piano forte oder der Guitarre, 7 Bände, Innsbruck [ca. 1890], S. 14f. (Bayerische Staatsbibliothek, München, 4 Mus.pr. 47033-1/3), Andreas Hofer: 1. Band, Nr. 2; Speckbacher Lied: 4. Band, Nr. 38; Das Spingeser Schlachtlied: 5. Band, Nr. 44; Anno Neun bin i g’standen: 5. Band, Nr. 45; Der Wirt vom Sand: 5. Band, Nr. 54. 42 Siehe dazu Kapitel 15 in diesem Band. 38 Spingeser Schlachtlied 111 Abb. 6: Der Speckbacher (Singstimme und Gitarre), in: Anon. (Hg.): Sammlung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte oder der Guitarre, 4. Band, Innsbruck [ca. 1890], Nr. 38, S. 14f. (Bayerische Staatsbibliothek, München, 4 Mus.pr. 47033-1/3). Transkription. 112 Kapitel 5 1. Den Adler traf mein sich’res Rohr, Den Gemsbock fehlt ich nie, In Sturm und Wind stieg ich empor Zur steilen Berges Höh’: Und ohne Beute ging der Schütz’ Nie seiner Heimat zu. Da bracht’ ein treues Mädchenaug’ Das wilde Herz zur Ruh’. 2. Der Feind rückt an! So heisst’s im Land Tirol Von Öst’reich los hinweg sein Nam’, Sein gutes Recht gebt ihm den Todesstoss. Das that mir in der Seele weh, Mit mir mach wack’rem Mann; Mit Hofer und dem Rothbart43 kühn Frisch auf zum Kampf voran. 3. Zu Hall und Innsbruck floss das Blut, Zu Sterzing und Melleck, S galt ja unser höchstes Gut, Drum stritten wir so keck, Blutig schreiben wir es ein, Der Feind verstand es gleich, Tiroler Adler lebe hoch Bleib treu bei Österreich.44 Im großen Gegensatz zu diesem sentimentalen „Salonschlager“ steht ein authentisches Speckbacherlied aus der Zeit des Aufstandes, das Adolf Pichler in eben jenem Aufsatz von 1854 überliefert, in dem er sich darüber beklagt, dass kein Lied über die Spingeser Schlacht existiere. Dieses Lied, zu dem keine Melodie erhalten ist, heißt „Frisch auf, frisch auf, Tyrolerbua“ und wurde später oft in lyrischen Sammlungen nachgedruckt,45 meist mit dem Hinweis auf Pichlers Schilderung, wie er auf das Lied gestoßen war: Ein Lied von 1809 kann ich mittheilen. Die Erzählung, wie ich es erhalten, dürfte für die Ächtheit desselben Bürgschaft leisten. Zu Absam hörte ich von einem alten Soldaten, welcher 1809 mitgefochten habe und jetzt noch im Wirthshause, wenn er erst ein paar Gläser getrunken, mit anderen Veteranen ein Lied vom Speckbacher singe. Ich ließ ihn, weil ich es zu erhalten wünschte, zu mir einladen, allein er meinte, man wolle ihn nur ve[x]ieren, und erst der freundlichen Wirths tochter gelang es, ihn endlich vom Gegentheil zu überzeugen. Ich ersuchte ihn nun, das Lied vorzutragen, damit ich es auffschreiben könne, er jedoch erwiederte auf meine Bitte: „Mit dem Sagen ist es nichts, man muß es singen, denn die Arie gehört auch dazu.“ Nun trug er es mit einer etwas rostigen Stimme vor. Als ich ihn um den Ursprung desselben fragte, gab er an, er habe es im Neunerjahr zu Hall von Pfannhäusern – so heißen die Salinenarbeiter – gehört, die es oft gesungen hätten. Mit „Rothbart“ ist der Kapuzinerpater und Freiheitskämpfer Joachim Haspinger (1776–1858) gemeint. Anon. (Hg.): Sammlung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder (wie Anm. 41), 4. Band, Nr. 38, S. 14f. 45 Z. B. in Heinrich Rudolf Hildebrand (Hg.): F. L. von Soltau’s Deutsche Historische Volkslieder, Zweites Hundert. Aus Soltau’s und Leyser’s Nachlaß und anderen Quellen, Leipzig 1856, S. 447–449. 43 44 Spingeser Schlachtlied 113 Frisch auf, frisch auf, Tirolerbue! Geh, richt dier jetz dein Stutz’n zue, Hast du ihn nit im Hause mehr, So hol ihn nur vom Wald daher.46 Die Szene, die Pichler beschreibt, ist amüsant und aufschlussreich. Er bittet den ehemaligen Freiheitskämpfer, ihm das Lied „vorzusagen“. Dieser besteht jedoch darauf, das Lied vorzusingen, da die „Arie“ (die Melodie) ja auch zum Lied gehöre. Pichler schildert zwar launig die „rostige Stimme“ des alten Kämpfers, geht aber mit keinem Wort darauf ein, wie das Lied geklungen hat, auch nicht auf die Melodie des Liedes. Möglicherweise hörte er eine traditionelle, bekannte oder zumindest eingängige Melodie, die ihm nicht weiter erwähnenswert schien. Vergleicht man das Tiroler Lied Der Speckbacher mit dem von Pichler aufgezeichneten „authentischen“ Lied „Frisch auf“, so fallen die pathetischen Formulierungen des Tiroler Liedes umso mehr ins Auge. Ein „treues Mädchenaug“ bringt ein „wildes Herz zur Ruh“, Adler und Gemsböcke tummeln sich im Lied, Sturm und Wind und steile Berge bieten dazu die Kulisse, wie auch heute noch in manchem volkstümlichen Schlager. In der letzten Strophe versucht der Verfasser noch ein typisches Merkmal wirklicher historisch-politischer Lieder zu imitieren, indem er Kriegsschauplätze aufzählt: „Zu Hall und Innsbruck floss das Blut, / Zu Sterzing und Melleck“. Sämtliche „Alpenlieder“- oder „Nationallieder“-Sammlungen enthalten patriotische Lieder über den Tiroler Aufstand von 1809, zudem wurden immer wieder neue Lieder zu diesem Thema komponiert. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang beispielsweise die Sammlungen 45 Tiroler National-Lieder: für Sopran, Alt, Tenor und Bass, arrangiert von J. F. Lutz,47 oder Dreißig Tiroler National-Lieder für vierstimmigen Männergesang.48 In der bereits erwähnten anonym herausgegebenen Sammlung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte oder der Guitarre, erschienen um 1890 bei Johann Gross in Innsbruck, finden wir die beliebtesten und gängigsten Lieder über die Aufstände in Tirol, authentische und neu komponierte, nebeneinander: Andreas Hofer, Speckbacher Lied, Das Spingeser Schlachtlied, „Anno Neun bin i g’standen“, Der Wirth vom Sand.49 Von letzterem seien hier ein Notenbeispiel (siehe Abb. 7) und der Text angeführt. Es stammt von Josef Blumlacher (1827–1907), einem Gitarristen, Zitherspieler und Instrumentallehrer, der angeblich zeitweise auch in Innsbruck lebte:50 Der Wirth vom Sand 1. Tief in Tirol drein wia von Gott bewacht, weit weg vom Stadtgewühl von Glanz und Pracht, a kloanes Dörfel nur auf Stoan und Kies dös ischt mei Heimath ischt mei Paradies! Pichler: „Tirolische Kriegslieder“ (wie Anm. 10), S. 529f. Mehr dazu in Kapitel 9 in diesem Band. J. F. Lutz (Hg.): 45 Tiroler National-Lieder: für Sopran, Alt, Tenor und Bass arrangiert von J. F. Lutz, Innsbruck o. J. 48 Johann Gross (Hg.): Dreißig Tiroler National-Lieder für vierstimmigen Männergesang […], Innsbruck o. J. 49 Siehe Anon. (Hg.): Sammlung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder (wie Anm. 41). 50 Josef Focht (Hg.): Bayerisches Musiker-Lexikon Online, http://www.bmlo.lmu.de/b1869, Suchbegriff: „Blumlacher, Josef “ (17. 01. 2012). 46 47 114 Kapitel 5 denn was das Vaterherz sich nur begehren kann hab i dort alles g’habt i war a reicher Mann! Von Weib und Kinder g’liebt in Freundschaft wohl bekannt, kurzum a Glückskind war der Wirth vom Sand! 2. Und von des Hofers Glück beschenkten Tag’n, kann a dös woas i gwiss koa Armer sag’n, dass er mir larer Hand ean furtg’schickt hätt’ wofür er eam a Vater unser bett. Wie viele Seitel Wein seins, bei eam schuldig blieb’n, wann sie um Rath und That zu eam dö Noth hat trieb’n. Er hat koa Kreiden braucht, dös war für eam a Schand mit Freuden g’holfen hat der Wirth vom Sand. 3. Un weil der Hofer Freundschaft Liab hat baut, ischt’s Liab und Freundschaft a dö eam vertraut, das ganze Land hat sich mit eam vereint, und truzt dem Schicksal, truzt dem ärgschten Feind! Ja wie zum Kirchtagfescht oder zur Hochzeit sein dö braven Landsleut mit in Kampf und Tod hinein! Es gilt ja’s Kaiserhaus und’s liabe Vaterland! Drum folgen alle gern dem Wirth vom Sand! 4. Ob’s aber ausgeht wia der Hofer denkt, ob zum Tiroler Glück sich Alles lenkt, dös steht bei Jenen nur auf dö i bau. Bei Gott den Herrn und unsrer liaben Frau. Für uns hat Gottessohn ertragen jeden Schmerz. Und trifft des Feindes Blei mei treu’s Tiroler Herz, Mein Leben ischt von Gott, i legs in seine Hand, auf seinen Ausspruch wart der Wirth vom Sand. 5. Und wenn der Hofer Morgen nit mehr lebt, wenn schon sein Geischt sich zum Himmel hebt, hat er das Land befreit von Feindes Joch. So denkt an eam wohl a dö Nachwelt noch. Er war a Landwirth nur a Bauer schlicht und fescht, doch seine G’sinnung war ganz g’wils dö allerbescht! Nit nur Tirol alloan, das ganze deutsche Land, es trauert herzlich um den Wirth vom Sand.51 Die Lieder Der Speckbacher und Der Wirth vom Sand stehen in keinem direkten Bezug zu den Aufständen. Sie wurden erst Ende des 19. Jahrhunderts komponiert in der Absicht, den Andreas-Hofer-Mythos kommerziell zu nutzen. Stilistisch zeichnen sie sich durch eingängige, aber eher sentimentale Melodien und kitschige Texte aus. Im Wirth vom Sand lebt Hofer gottesfürchtig und die Armen verköstigend mit seiner glücklichen Familie in einem kleinen dörflichen Paradies und wird schließlich ein Märtyrer seiner Heimat. Die Sammlung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder war wohl wirklich sehr beliebt. So finden sich im Vollständigen Verzeichnis des Musikalien-Verlages Johann Gross (S. A. Reiss) Anon. (Hg.): Sammlung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder (wie Anm. 41), 5. Band, Nr. 54, S. 23f. 51 Spingeser Schlachtlied 115 Abb. 7: Der Wirth vom Sand (Singstimme), in: Anon. (Hg.): Sammlung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder (wie Anm. 41), 5. Band, Nr. 54, S. 23–25. Transkription. 116 Kapitel 5 Innsbruck 52 unter „Gesang“ die Unterteilungen „Männerchöre. – Gemischte Chöre“, „Gesänge für 1 und 2 Singstimmen“ und „Sammlung der beliebtesten Alpenlieder“. Die Alpenlieder umfassen zwar nur sechs Bände, wurden aber als eine eigene Kategorie behandelt, was auf ihren großen Stellenwert schließen lässt. Resümee Das Spingeser Schlachtlied ist das bekannteste Lied der Tiroler Landesverteidigung von 1796/1797. Da es eines der wenigen mündlich tradierten Lieder ist, zu denen auch eine Melodie erhalten ist, gehört es zu den bedeutendsten Liedern aus der Zeit der kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Franzosen und Bayern. Adolf Pichler kannte im Jahr 1854 das Spingeser Schlachtlied noch nicht, weshalb es in seiner ersten Abhandlung über „Tirolische Kriegslieder“ fehlt. Erst 24 Jahre später, im Jahr 1878, erfahren wir von der Existenz des Spingeser Schlachtliedes, als Karl Komzak und Josef Leiter eine vollständige Ausgabe des Liedes veröffentlichten. Der Autor des Liedtextes war zu dieser Zeit noch nicht bekannt. Bis 1878 wurden einzelne Strophen des Liedes anscheinend vor allem in Schützen kreisen gesungen, der breiten Bevölkerung war es aber nicht mehr geläufig. Dafür spricht auch der Umstand, dass das Lied in keiner Nationalsängerliedersammlung aufscheint. Insbesondere die reisenden Sängergruppen hätten das Spingeser Schlachtlied in ihr Repertoire aufgenommen, wäre es allgemein bekannt gewesen. Als das Spingeser Schlachtlied im Jahr 1878 veröffentlicht wurde, tauchte gleichzeitig ein älterer Druck des Liedes mit einer Melodieangabe unter dem Titel Kriegslied eines Tyrolers im Landsturm An. 1797 auf, allerdings ohne Hinweis auf den Autor. Ein Jahr später gab Ludwig von Hörmann an, bei diesem Druck handle es sich um „sein gedrucktes Exemplar aus dem Jahre 1797“. Allerdings muss sich die Jahreszahl im Titel nicht zwangsläufig auf die Drucklegung des Liedes beziehen, sondern kann auch das Entstehungsjahr bezeichnen. Auch Hörmann nennt den Verfasser des Liedes nicht. Erst elf Jahre später, im Jahr 1890, wird Franz Karl Zoller als der Urheber des Liedes genannt, und zwar in einer Kritik von Adolf Pichler in der Zeitschrift Tiroler Stimmen. Pichler berichtet, Hörmann habe einen Druck des Liedes mit einem handschriftlichen Verfasservermerk („Zoller“) sowie eine handschriftliche Version des Liedes besessen. Die Handschrift ist heute verschollen, doch der Druck befindet sich zusammen mit vier weiteren identischen Drucken im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Der Verfasservermerk dürfte allerdings erst später hinzugefügt worden sein. Für die Verfasserschaft Zollers spricht somit vor allem die von Pichler überlieferte Aussage Ludwig von Hörmanns von ca. 1890. Infolge der Drucklegung der von der Innsbrucker Liedertafel initiierten Ausgabe des Spingeser Schlachtliedes von 1878 wurde das Lied nun häufiger publiziert. Es wurde zu einem „Tiroler Lied“ und fand Eingang in diverse Sammlungen. Wie bei Männer gesangsvereinen damals üblich, pflegte auch die Innsbrucker Liedertafel nach dem Vorbild der deutschen Liedertafeln deutsches patriotisches Liedrepertoire. Die ebenfalls Vollständiges Verzeichnis des Musikalien-Verlages Johann Gross (S. A. Reiss) Innsbruck, Leipzig [ca. 1905] (TLMF, FB 31742). 52 Spingeser Schlachtlied 117 von Mitgliedern der Innsbrucker Liedertafel herausgegebenen alpenländischen Lieder und patriotischen „Tiroler Lieder“ sind als regionale Varianten des patriotischen Lied repertoires zu sehen. Zusätzlich zu den älteren Liedern mit Bezügen zur Landesverteidigung 1796/97 und den Aufständen von 1809 entstanden nach und nach neue Lieder zu dieser Thematik. So finden sich im Repertoire der Männergesangsvereine auch zahlreiche „falsche“ Andreas-Hofer-Lieder oder so genannte „Freiheitslieder“, wie Der Speckbacher und Der Wirth vom Sand, zwischen durchaus „authentischen“ Liedern, wie etwa Anno neun. Die Kaiserloblieder, wie der Huldigungsjodler oder die Liebe der Tiroler zu ihrem Kaiser, die wir bereits bei den Geschwistern Leo in den 1820er- und 1830er-Jahren finden,53 verloren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Popularität, die patriotischen Tiroler Lieder aber hielten sich u. a. wegen der großen Bedeutung der Männergesangsvereine bis in unsere Zeit. Siehe dazu Kapitel 15 in diesem Band. 53 Kapitel 6 „Kron’ und Scepter glänzen wenig neben Dir, Maxmilian!“. Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs und Seiner durchlauchtigsten Familie Silvia Maria Erber Der dritte Koalitionskrieg gegen das napoleonische Frankreich war zwar nur von kurzer Dauer, doch von nachhaltiger Wirkung für das seit 1804 zum Kaisertum erhobene Österreich unter Franz I. Nach der für Österreich verheerenden Schlacht von Austerlitz am 2. Dezember 1805 wurde am 26. Dezember der Pressburger Frieden zwischen Österreich und Frankreich geschlossen. Österreich musste große territoriale Verluste hinnehmen. Venetien, Istrien und Dalmatien fielen an das Königreich Italien, Tirol ging an das neu gegründete Königreich Bayern. Damit begannen für die ehemalige gefürstete Grafschaft Tirol und ihre Bevölkerung neun Jahre der „Fremdregierung“, die vom Aufstand 1809 kurzzeitig unterbrochen wurde.1 Ein bayerisches Nationallied für Tirol Während am 22. Jänner 1806 in Tirol das königliche Besitzergreifungspatent verlautbart wurde, fand am 11. Februar die eigentliche Übernahme Tirols durch das französische Heer statt. Schon einige Tage davor, am 3. Februar, veröffentlichte das Innsbrucker Wochenblatt ein Schreiben des bayerischen Königs Maximilian Joseph I. (1756–1825) und des Freiherrn Maximilian von Montgelas (1759–1838), datiert mit 14. Jänner und gerichtet an die Gesandten der tirolischen Stände, in dem der König seiner Erwartung Ausdruck verleiht, dass die Tiroler dem bayerischen Königshaus die „gleiche Treue und Anhänglichkeit“ wie vorher dem habsburgischen Landesfürsten erweisen. König Maximilian versicherte den Tiroler Ständen und der Bevölkerung, dass er sie „bey ihrer Landesverfassung, ihren wohlerworbenen Rechten und Freyheiten kräftigst handhaben“ und „ihren Wohlstand im höchsten Grade […] befördern“ werde. Gleich im Anschluss an diesen Brief – und das interessiert an dieser Stelle besonders – sind die Strophen eines erst kurz zuvor entstandenen „Nationalliedes“, so die Bezeichnung, wiedergegeben. Was der Abdruck eines bayerischen Nationalliedes in einer Zeitung eines eben annektierten Territoriums bezweckt, wird im Artikel selbst dargelegt: In Bayern ist ein N a t i o n a l l i e d hergestellt worden, in welchem nicht nur der schöne Wunsch: G o t t e r h a l t e u n s e r n F ü r s t e n u n d S e g e n ü b e r i h n ! laut athmet, sondern auch Herzen zu Ergießung dankbarer Empfindungen einladet. Das stille Flehen und Bitten für 1 Helmut Rumpler: Eine Chance für Mitteleuropa. Bürgerliche Emanzipation und Staatsverfall in der Habsburgermonarchie 1804–1914, Wien 2005 (Österreichische Geschichte), S. 63f. 120 Kapitel 6 den besten Fürsten und König zum Allvater um Segen und Wohlfahrt wallt laut darin auf, und erfüllt die Herzen in Erkenntnis der wohlthätigen Handlungen, welche Seine Regierung so würdig bezeichnen, immer mit neuer Liebe gegen Ihn.2 Zu einer Zeit, als man Lieder mit patriotischen Inhalten u. a. zur Kriegsmobilisierung und Verbreitung der nationalen Idee einsetzte,3 wollte auch das neu gegründete Königtum Bayern dieser Entwicklung offensichtlich nicht nachstehen und bemühte sich um die Verbreitung seiner „Königshymne“. In Großbritannien wurden patriotische Gefühle bereits seit der Mitte des 18. Jahrhunderts beispielsweise durch Rule Britannia, oder ab etwa 1800 durch God save the King (bzw. God save the Queen), ausgedrückt, in Frankreich sangen die Revolutionäre die Marseillaise und selbst in den habsburgischen Ländern war 1797 eine patriotische Volkshymne, die Kaiserhymne „Gott erhalte Franz, den Kaiser“, in Auftrag gegeben worden.4 Franz Graf von Saurau, der Regierungspräsident Niederösterreichs, der die Schaffung eines „Nationalliedes“ in den Tumulten des ersten Koalitionskrieges gegen Frankreich 1797 angeregt hatte, begründete 1820 im Rückblick den Zweck eines „Nationalliedes“ wie folgt: Oft habe ich bedauert, daß wir nicht gleich den Engländern ein Nazionallied hatten, das geeignet wäre die treue Anhänglichkeit des Volkes an seinen guten und gerechten Landesvater vor aller Welt kund zu thun, und in den Herzen aller guten Österreicher jenen edlen Nazionalstolz zu wecken, der zur energischen Ausführung jeder von dem Landesfürsten als nützlich erkannten Maßregel unentbehrlich ist. Dieß schien mir besonders in dem Zeitpunkte notwendig wo die Revoluzion in Frankreich am heftigsten wüthete und die Jakobiner sich mit der vergeblichen Hoffnung schmeichelten, unter den guten Wienern Anhänger und Theilnehmer ihrer verbrecherischen Anschläge zu finden.5 Dass sich Nationallieder bzw. Hymnen als Identifikationssymbole für die Untertanen eigneten, erkannte man auch im Königreich Bayern. Das im Innsbrucker Wochenblatt abgedruckte bayerische Nationallied wurde auf die Melodie von God save the King gesungen und umfasst elf Huldigungsstrophen auf König Maximilian und seine Gattin: Heil unserm König! Ewiger! Umstrahle ihn mit Macht! Den Menschlichen, den Edlen, der Für seine Völker wacht. Heil unserm König! Vatersinn Glänzt mild aus seinem Blick. Mehr als sein eignes freuet ihn Der treuen Bayer [sic] Glück. Heil unserm König! Hell zu seh’n, Dazu rief er das Licht. Innsbrucker Wochenblatt 8 (1806), 3. Februar 1806, o. Sz. [7]. Timothy Blanning: The Triumph of Music. Composers, Musicians and their audiences, 1700 to the present, London 2008, S. 231–272. 4 Rumpler: Mitteleuropa (wie Anm. 1), S. 82f. 5 Zit. nach Thomas Leibnitz: „‚Gott! erhalte …‘. Joseph Haydns Kaiserlied und die Hymnen Österreichs“, in: Thomas Leibnitz (Hg.): Joseph Haydn. Gott Erhalte. Schicksal einer Hymne, Wien 2008, S. 8–69, hier S. 8. Zur österreichischen Kaiserhymne siehe Kapitel 14 in diesem Band. 2 3 Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs 121 Wir dürfen frey und aufrecht steh’n, Und es verdrießt ihn nicht. Heil unserm König! Sicherheit, Und Recht, dem Recht gebührt, Das ist es, was sein Wink gebeut, Wenn er den Degen führt. Heil unserm König! Zuversicht Gibt seinem Heer den Sieg; Denn Max will ja das Unrecht nicht, Führt nur gerechten Krieg. Heil unserm König! Eine Welt Voll froher Menschen nur Ist es, worin er sich gefällt, Wie Gott in der Natur. Heil unserm König! Das Verdienst Darbt nicht in seinem Land. Dem Feiß [sic] winkt überall Gewinnst: Drum regt sich jede Hand. Heil unserm König! Bald erblüht Ein jugendlich Geschlecht, Das inniger für Wahrheit glüht, Für Edelsinn und Recht. Heil unserm König! Treu und hold Schmiegt an den edlen Mann Ihm, lohnend mit der Liebe Sold; Sich K a r o l i n e an. Heil unserm König! Heil dem Land, Wo Bürgerglück gedeiht, Wo jedes Herz und jede Hand Der Liebe Samen streut. Heil unserm König! Jeder gibt Sein Leben für Ihn hin. Wir fühlen es, daß Er uns liebt, Und wir, wir lieben Ihn.6 Gerade im 1806 noch jungen Königreich Bayern wurde tatkräftig versucht, Musik in den Dienst der Vaterlands- und Fürstenliebe zu stellen. Noch vor der Erhebung des kurpfälzischen Bayern zum Königreich am 1. Jänner 1806 rief die Regierung „sich dazu fähig fühlende Baier[n] zur Verfertigung eines bairischen Nationalgesanges“ auf, das auf die bekannte englische Melodie God save the King zu dichten sei. Ein Professor Waldhauser bekam letztlich den Zuschlag für seine Dichtung „Heil unserm König! Ewiger!“, die, vom bekannten Komponisten Abbé Vogler7 in Musik gesetzt, bereits am 2. Jänner Innsbrucker Wochenblatt 8 (1806), 3. Februar 1806, o. Sz. [7]. Siehe auch Liedindex, Nr. 30. Abbé Georg Joseph Vogler (1749–1814) war ein bekannter Komponist und Hofkapellmeister an mehreren Orten; vgl. Bernhold Schmid: „Die Musik“, in: Alois Schmid (Hg.): Handbuch der bayerischen 6 7 122 Kapitel 6 1806 ihre Premiere bei einem öffentlichen Aufzug in den Straßen Münchens hatte.8 Auch der Neustifter Stiftschorregent Wilhelm Lechleitner, von dem noch die Rede sein wird, vertonte im Jahr 1809 fünf Strophen des Liedes für vier Vokalstimmen und Orchester.9 Interessanter als der Inhalt, der sich von jenem anderer hymnenartiger Loblieder nicht maßgeblich unterscheidet, ist die Tatsache, dass dieses Lied ganz offensichtlich aus propagandistischen Gründen in einem Wochenblatt veröffentlicht wurde. Das „Nationallied“ stellte somit eine Art „Identifikationsangebot“ an die Bevölkerung des annektierten Tirol dar und zeigt auf, wie sehr gerade um 1800 auch das Medium Lied als Transmitter von nationalen Gefühlen verwendet wurde, wohlwissend dass eine politische Botschaft leichter rezipiert wird, wenn sie mit einer eingängigen, bereits bekannten Melodie verknüpft und gut gereimt ist.10 Musik als Teil politischer Zeremonielle Zwei Jahre später, im Jänner 1808, bot der Besuch der bayerischen Königsfamilie den Bewohnern Tirols die Möglichkeit, ihre Loyalität zum neuen Herrscher aktiv zur Schau zu stellen. Aus einem Zeitungsartikel der Allgemeinen Zeitung München erfahren wir Details zum Ablauf dieses politischen Festes. Obwohl, so der Autor, die „Regierungsänderung in Tyrol“ nicht „Wunsch der Tyroler“ gewesen sei (denn allein die „Gewalt der Waffen konnte sie von einem Hause trennen, dem sie durch fünfthalbhundert Jahre mit einer, ihrer Unerschütterlichkeit wegen zum Sprichworte gewordenen, Treue angehangen hatten“) und die ungünstigen wirtschaftlichen Umstände „keine heitere Volksstimmung“ in dem „unbedeutenden Gebirgslande“ aufkommen ließen, konnte man an der „hochherzigen Biederkeit der Nation“ und „an der Wahrheit der Empfindung“, die sie bei dem königlichen Besuch äußerte, „nicht zweifeln.“11 Mit hell erleuchteten Gebäuden, Menschenmengen, die die Straßen säumten, Transparenten und Inschriften wurde die königliche Familie willkommen geheißen, als sie auf der Heimreise von Italien nach München in Innsbruck Station machte. Nach zwei Tagen mit Empfängen, Tanzdarbietungen und Ballveranstaltungen wurden an einem Abend bei Anwesenheit des Königs und seiner Familie zwei Lieder gesungen: zum einen „unter lautem Jubel“ das „neue Volkslied“ „Nicht Gold, nicht stolzer Städte Pracht“,12 das auch schon anlässlich des Geschichte. 4. Band: Das neue Bayern. Von 1800 bis zur Gegenwart. 2. Teilband: Die innere und kulturelle Entwicklung, München 2007, S. 687–712, hier S. 689. Siehe weiterführend Kapitel 4 in diesem Band. 8 Robert Münster: „Das Musikleben in der Max-Joseph-Zeit“, in: Hubert Glaser (Hg.): Krone und Verfassung: König Max I. Joseph und der neue Staat. Beiträge zur Bayerischen Geschichte und Kunst 1799–1825, München 1980 (Wittelsbach und Bayern 3/1), S. 456–471, hier S. 464f. 9 Siehe Hildegard Herrmann-Schneider: „Andreas Hofer und die Tiroler Freiheitskämpfe als musikalisches Sujet. Ereignisse – Heldentum – Erinnerung“, in: Der Schlern 83 (2009), Heft 7: Juli, S. 4–53, hier S. 51. 10 Über die Entstehung von Nationalhymnen im Zeitalter des Nationalismus siehe Wolfgang Dietrich: „Hymne und Nation – eine politikwissenschaftliche Sicht“, in: Ursula Hemetek (Hg.): Die andere Hymne. Minderheitenstimmen aus Österreich, Wien 2006 (IDI-Ton 31), S. 27–41. 11 Allgemeine Zeitung München, Nr. 16, 16. Jänner 1808, S. 63. 12 „Nicht Gold, nicht stolzer Städte Pracht“ wird in den Quellen oft als „Volkslied für Bayern“ bezeichnet: „Nicht Gold, nicht stolzer Städte Pracht. / In weiter Länder Schooß, / Nicht theurer Sieges-Lorbeer Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs 123 Namensfestes des bayerischen Königs am 13. Oktober 1807 in Innsbruck aufgeführt worden war,13 und zum anderen das Lied Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs und Seiner durchlauchtigsten Familie. Letzteres dürfte wohl der performative Höhepunkt des Abends gewesen sein, denn schwarz gekleidete Akademiker der Universität Innsbruck gestalteten singend einen Fackelzug durch die Stadt. Die Innsbrucker Zeitung berichtete einige Tage später, am 18. Jänner 1808, detailliert über das „Bestreben der Akademiker, ihre Freuden-Gefühle an den Tag zu legen“: Gegen 300 Akademiker unter der Anführung von drey aus ihrer Mitte, und aus den drey HauptNationen den Deutsch-Tyrolern, den Italienern, und den Schwaben gewählter Marschälle, alle festlich gekleidet, und mit entblößten Degen, von 100 Fackelträgern begleitet, mit doppelter abwechselnder Musik, zogen in schönen langen Reihen von der Universität durch die Stadt, auf dem Rennplatz vor die königliche Burg. Hier traten sechs aus den drey Haupt-Nationen gewählte Deputierte aus ihrer Mitte, die die höchste Gnade hatte, zur Audienz zu gelangen, Sr. Majestät dem König drey für dieses Freudenfest verfasste und in Druck gelegte Gedichte14 […] zu überreichen, und in einer kurzen Anrede die Freudengefühle der Akademiker über die Anwesenheit Ihrer Majestäten auszudrücken, sich und die ganze Universität der allerhöchsten Gnade zu empfehlen, und das Gelübde des Bestrebens sich derselben würdig zu machen, vorzutragen. Sie wurden von Sr. Majestät auf das huldvollste empfangen, und hatten das Vergnügen ihren Comittenten die tröstendsten Zusicherungen der allerhöchsten Gnade zu hinterbringen. Diese hatten sich indessen auf dem schönen Platz zwischen der königl. Burg und dem Theater, in einem vom Fackelschein beleuchteten Kreis gestellt. Die Zurückkunft der Deputirten, und ihr Bericht über die erhaltene gnädigste Aufnahme, vorzüglich aber das Erscheinen Seiner Majestät des Königs, und Seiner Königlichen Hoheit des Kronprinzen auf dem Balkon war das Signal zu einem allgemeinen Freuden-Geschrey; Hoch lebe unser König! Unsere Königin! Unser Kronprinz! Die Prinzessin Charlotte! Riefen alle Stimmen, und alles Volk, das in außerordentlicher Anzahl herbey geströmmt war, stimmte ein: dazu der frohe Jubel der Menge, das Schwüngen der Hüte, das Degengeklirr der Akademiker, und das begleitende Rauschen der Musik, alles das gab eine Scene, die in jedem Anwesenden den tiefsten rührendsten Eindruck machte. Nach dieser Darbietung unter Einbindung des schaulustigen Volkes waren die Akademiker an der Reihe, dem neuen König zu huldigen: Nach gebothener Stille ward von den Akademikern das für diese Feyerlichkeit verfasste, und vom Abbé Falk in Musik gesetzte Volkslied mit glücklicher Precision und auffallender Empfindung gesungen. Nach dem Schlusse desselben begann von neuen ein anhaltendes Vivat Rufen, und der Zug kehrte, unter fortwährendem Jubelgeschrey auf die Universität zurück, wo sie sich zerstreuten, dann Gruppenweise die Strassen der Stadt singend und frohlockend durchzogen, und die allgemeine laute Freude bis tief in die Nacht noch rege erhielten.15 macht / Ein Volk beglückt und groß. / Das kann ein guter König nur, / Der für sein Heil stets wacht. / Das Land, das Ihm die Treue schwur, / Ist wohl von Gott bedacht / Drum schütze Ihn, den deine Wahl. / O Vorsicht! Uns bescheert, / Und schenk’ Ihm treuer Diener Zahl. / Des deutschen Namens werth. / Beschütze auch des Thrones Glanz, / Die Fürstin schön und mild: / Des ganzen Hauses Blüthenkranz / Nimm unter deinen Schild! / Und dann laßt ächten Biedersinn / uns üben wohlgemuth. / Von Lieb’ und Eintracht immerhin / Nicht achten Gut und Blut. / Für König, Gott und Vaterland / Fest stehn in Freud’ und Noth. / Ein so durchschlung’nes heil’ges Band / Zertrennt auch nur der Tod“; siehe Baierische Nationalzeitung, Nr. 249, München, 2. Oktober 1807, S. 1023. 13 Münchener politische Zeitung, Nr. 266, 22. Oktober 1807, S. 1073. 14 Eines davon, die Weissagung der Musen, ist in der Innsbrucker Zeitung, 1. Februar 1808, abgedruckt. 15 Innsbrucker Zeitung, 18. Jänner 1808, S. 1. 124 Kapitel 6 Abb. 1: Das zweiseitige Flugblatt des Liedes Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs und Seiner durchlauchtigsten Familie (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, Historische Sammlungen, Flugschriften). An dieser Stelle folgt im Zeitungsbericht der Abdruck des erwähnten, von den Akademikern mit „glücklicher Precision und auffallender Empfindung“ vorgetragenen „Volksliedes“: Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs und Seiner durchlauchtigsten Familie 1. König! Seit wir Dich gesehen So erhaben und so mild, Fangen wir an zu verstehen. Was es heisse: Gottes-Bild! Nicht des Krieges Schlachtgeschicke, Nicht ein siegelschwer Papier, Nein, der erste Deiner Blicke, Der dich uns gab, gab uns Dir. CHOR Sehen muss man unsern König: Man sieht Ihm den Vater an; Kron’ und Scepter glänzen wenig Neben Dir, MAXMILIAN! Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs 125 2. Zwar Dein Ruhm, der von den Lippen Aller Deutschen Stämme klang, Hallte lang an unsern Klippen Mit der Baiern Dankgesang; Doch wir sah’n Dich, und mit Freuden Sehen wir nun lebhaft ein, Warum Völker uns beneiden Um das Loos, Dein Volk zu seyn. CHOR wie oben. 3. Unbewacht mit all den Deinen Kamst Du hold und zutrau’nsvoll. Wie ein Vater, der zu seinen Kindern kömmt, in Dein Tirol; Von der hohen Stirne blinkte Ein Gedanke: unser Glück! Und zu jeder Hoffnung winkte Uns empor Dein Vaterblick. CHOR […] 4. Nicht im Diadem’, im Kreise Der Familie kamst Du. Dieser Anblick flüstert leise Deinen stillen Wunsch uns zu: So wie Deiner Caroline Möchtest Du Tirols Dich freu’n; Dir wie Carl und Caroline Möchten die Tiroler seyn! CHOR […] 5. O wie gleichst Du Deinen Ahnen, Die so lang dies Land beglückt, Die, wie du, in Unterthanen Ihre Kinder nur erblickt! Deine grosse Deutsche Seele Braucht, und kennt Verstellung nicht; Deine Liebe gibt Befehle; Dafür bürgt dein Angesicht. CHOR […] 6. Und des Hauptes freundlich Neigen, Zu dem Volke rings um Dich, Deine Hand, dein Aug’, dein Schweigen Sprach so laut, so väterlich: Ehmals wart ihr auch bey Baiern Glücklich, Kinder! Denket nach! Was euch Andex that, und Scheyern, Diess und mehr thut WITTELSPACH. CHOR […] Sieh auch Du uns, Vater! König! Sieh des Landes Kinder an! Kindlich liebend, unterthänig Sind sie; sey MAXMILIAN!16 Als Flugblatt im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck (im Folgenden: TLMF), Sammlung von Drucken und Graphiken, ohne Signatur. Siehe auch Liedindex, Nr. 45. Eine Einspielung 16 126 Kapitel 6 Das Lied ist ein Beispiel für herrschaftliche Panegyrik, in deren Zentrum die Verherrlichung des Herrschers als Vaterfigur aus der Perspektive der Kinder, d. h. der Unter tanen, steht. Das Verhältnis zwischen dem König von Bayern und der Tiroler Bevölkerung gleiche einem Vater-Kind-Verhältnis, geprägt von Sorge um den „Nachwuchs“ auf der einen, von Ehrfurcht und Respekt für das Familienoberhaupt auf der anderen Seite. Bezweckt wird damit ein familiäres Bindungsgefühl bei den Tiroler Untertanen ihrem in Wirklichkeit ungeliebten neuen Herrscherhaus gegenüber. Abgesehen von dieser emotionalen Komponente trägt das Lied auch eine weniger subtile Botschaft in sich, denn an zwei Stellen wird dem Zuhörer in Erinnerung gerufen, dass Tirol längere Zeit („O wie gleichst Du Deinen Ahnen, / Die so lang dies Land beglückt“) ein Teil Bayerns war („Ehemals wart ihr auch bey Baiern“). Dies suggeriert für Tirol und Bayern eine Art natürliches, von jeher so bestimmtes, auf Tradition beruhendes Gefüge, was prinzipiell ja auch auf Tatsachen beruhte. Während des gesamten Frühmittelalters bis ins 12. Jahrhundert waren viele Gebiete des heutigen Tirol Teil des Herzogtums Bayern. Erst die Schwächung des bayerischen Herzogtums ermöglichte den Grafen von Tirol die allmähliche Schaffung eines eigenen Territoriums und letztlich die Unabhängigkeit.17 Der Zeitungsbericht gewährt uns einen Einblick in das Zeremoniell eines propagandistisch inszenierten königlichen Empfangs, bei dem musikalische Darbietungen eine wichtige Rolle spielten. Der Souverän wird nicht nur mittels eines eigens für den Anlass gedichteten und komponierten Liedes gepriesen, sondern auch durch einen Fackelzug festlich gekleideter Akademiker. Die Frage nach den Verfassern des zweiten Liedes ist ungeklärt, wenn auch mehrmals als Textdichter der Kapuzinerpater Benitius Mayr und als Komponist ein Pfarrorganist namens Abbé Falk erwähnt wird.18 Während über letzteren keine weiteren Informationen gefunden werden konnten, wissen wir von Pater Benitius Mayr (1760–1826), dass er als Theologe während der bayerischen Regierung die Lehrstühle für Ästhetik und Philosophie an der Universität Innsbruck innehatte und Vorstand des Lyzeums war, als die Universität geschlossen wurde.19 dieses Liedes befindet sich auf folgendem Tonträger: Institut für Volkskultur und Kulturentwicklung (Innsbruck) / Institut für Musikerziehung in deutscher und ladinischer Sprache (Bozen) / Institut für Geschichte und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck (Hg.); Zusammenstellung: Sandra Hupfauf / Bernhard Sieberer: Lieder der „Freiheit“ (1796–1848). „Treue Tyroler reckn’s Prazl nit“, CD, mit einem Booklet von Sandra Hupfauf und Silvia Maria Erber, Innsbruck 2008, Pro Cultura und RCR, CD Nr. 0875, Track 17. 17 Reinhard Heydenreuter: Tirol unter dem bayerischen Löwen. Geschichte einer wechselhaften Beziehung, Regensburg 2008, S. 9–37. 18 Beispielsweise bei Franz Hölbing / Wulf Stratowa (Hg.): 300 Jahre Universitas Oenipontana. Die Leopold-Franzens-Universität zu Innsbruck und ihre Studenten, Innsbruck 1970, S. 47f. 19 Weiß (Vorname nicht überliefert): „P. Philipp Benitius (Joseph) Mayr“, in: Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, 5. Band, Wien 1972, S. 441 (Onlinefassung); http://www.biographien.ac.at/ oebl/oebl_M/Maier_Philipp-Benitius_1760_1826.xml (25. 08. 2013). Zur Rolle von Benitius Mayr in der ersten Phase der Revolutionskriege siehe Roman Siebenrock: „Bis zum letzten Blutstropfen. Tiroler Wehrhaftigkeit und die Verehrung des Herzens Jesu. Eine Spurensuche mit Blick auf 1809“, in: Brigitte Mazohl / Bernhard Mertelseder (Hg.): Abschied vom Freiheitskampf? Tirol und ‚1809‘ zwischen politischer Realität und Verklärung, Innsbruck 2009 (Schlern-Schriften 346), S. 347–369. Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs 127 Preislieder außerhalb des Zeremoniells Aus Anlass des Besuches der königlichen Familie in Tirol 1808 dichtete der Beamte Franz Karl Zoller,20 der sich bis dahin schon mehrmals als begabter Gelegenheitsdichter hervorgetan hatte, ein Dialektlied, das hier auszugsweise wiedergegeben sei: Der Tiroler Bauer an seinen König. Ein Lied in der Volkssprache auf die höchst erfreuliche Zurückkunft Ihrer königlichen Majestäten und Sr. königl. Hoheit des Kronprinzen aus Italien.21 1. Der Künig kümt aus Wälischland, Gehts, lasst üns Vivat rüefen: Laßt üns in s’ Karmesin-Gewand Und g’schmizte Hosen schliefen. Her mit n grünen Feyertag-Huet, N Büschel und n Bendern, Daß man Ihm decht an Ehr unthuet, Wie’s Brauch ist in den Lendern. 2. Der Künig ist ä gueter Mun, Wie alle grosse Herren, Er hilft ja, wo er helfen kun, Und mehr kunnst nit begehren: Die Kreuzer, waiß Du wohl, braucht er a, Hat gor ein graiß Hauswösen, I wollt nit, daß i ini sach Und müßt die Quittung lösen.22 3. Betrüegts mi, oder hör i recht, Thüen nit die Pöller knallen? Iz kümt er, wie, so rüehrts enk recht, I hör schon s’ Posthorn schallen. Dös ist der König und sein Frau, Sein Mädel ä darneben, Wiez, Bueben, thüets die Mäuler au, Und rüefts, sie sollen löben. 4. Willkum mein Künig, ä willkum In ünsern rauchen Thöldern, Host Lähnen g’söchen um und um Und Stainer öcher pöldern: Zur Person von Franz Karl Zoller siehe Kapitel 5 in diesem Band. Handschriftlich überliefert von Franz Karl Zoller selbst im TLMF, FB 1037/29. Publiziert in: Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des Literarischen Vereins in Wien 11), S. 221–225. Siehe auch Josef Feichtinger (Hg.): Tirol 1809 in der Literatur, Bozen 1984 (Literarische Zeugnisse aus Tirol 4), S. 11–14. Siehe auch Liedindex, Nr. 89. 22 Dieses Lied, hier wiedergegeben in seiner Erstfassung, wurde später von Seiten der bayerischen Regierung zensuriert, wobei für mehrere Verse und Strophen Abänderungen verlangt wurden. Siehe dazu Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 21), S. 222. Die letzten vier Verse der zweiten Strophe lauteten nach der Zensur folgendermaßen: „Höbt d’ Zöll au (ist kain Kinderey), / Ins Schwoben und ins Baiern, / Af alle Märkt bist Handel frey, / Mit Ochsen, Schaf und Korn“. 20 21 128 Kapitel 6 Bist g’fohren viel in Wasser, Schnee, Und Koth, und tiefen Laisen, Dös hätt i dier wohl g’sagt am eh, Jez ist kain Zeit zun raisen. […] 12. Drum lieber Künig sey so guet, Du kennst jez unsre Händel, Die Herz ist ä von Fleisch und Bluet: Erbarm dich übers Ländel. Laß uns das Bißl Freyheit no, Der z liab wir so viel leiden, Ist dös hin, so geht alls bergo, Bist du mit uns nit z neiden.23 […] 15. Da freuet mi a Danzerl no, Ein Spiel, ein Schaibenschießen, Do muß i no auf Sprugg hin o Und soll i kriechen müßen. Dort wöll’n mier alle ins gesammt Ach ünser Stimm erhöben: Juhe Glück zue dem Vaterland, Und Voter Max soll löben.24 Der Dichter der insgesamt fünfzehn Strophen schildert Tirol als ein unwirtliches Gebirgsland und appelliert schließlich an König Maximilian, sich seinen tirolischen Untertanen gegenüber menschlich zu verhalten. Der königliche Besuch wird als Freudenfest dargestellt, an dem alle begeistert teilnehmen sollen. Zum Anlass des mehrtägigen Besuchs der bayerischen Königsfamilie erschienen weitere Loblieder. So ordnete kürzlich die Musikwissenschaftlerin Hildegard HerrmannSchneider zwei unsignierte Autographen in der Bayerischen Staatsbibliothek, die sich inhaltlich auf den Königsbesuch im Jänner 1808 beziehen, dem Stiftschorregenten Wilhelm Lechleitner (1779–1827) zu. Lechleitner war für die bayerische Regierung in Tirol kein unbeschriebenes Blatt, wurde er doch infolge der Säkularisierung seines Stiftes, des Augustiner-Chorherren-Stiftes Neustift, zwangsversetzt und 1808 nach Brixen an das Cassianeum (Kassian-Haus) geschickt.25 Die beiden Lieder, die jeweils an den König Maximilian und an die Königin Karoline gerichtet sind, weisen, abgesehen von ihrer offensichtlichen Intention, nur marginalen politischen Inhalt auf. Es finden sich Die letzten vier Verse dieser Strophe lauteten nach der Zensur: „Ey ja, du werst uns gnädig seyn, / I sich dir’s schon an die Augen, / Schaust ja so trui, so rödla drein, / Truz dem, der miers will laugnen“; siehe Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 21), S. 224. 24 Nach der Zensur: „Dein Prinz ist äch ä toller Bue, / Der Ruß hots schon derfohren, / Ist tapfer, wäx und g’scheut darzue, / Als wie ä Mun von Johren. / Und wos mi no un meisten freut, / Er hot üns gar so geren, / Drum krieg’n mir ainmal mit der Zeit / Den allerbösten Herren“; siehe Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 21), S. 225. 25 Eine kurze Biografie über Wilhelm Lechleitner findet sich bei Benno Rutz: Die Chorknaben zu Neustift. Ein Beitrag zur Geschichte der Schule und der Musik in Tirol (Separatabdruck aus den Neuen Tiroler Stimmen), Innsbruck 1911, S. 81–85. 23 Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs 129 darin die charakteristischen Topoi der herrschaftlichen Panegyrik jener Zeit, d. h. etwa die Aufopferungsbereitschaft der Untertanen und das Kind-Mutter-Vater-Schema. Wo diese Lieder gesungen wurden, ob etwa im Beisein des Königs, oder ob sie möglicherweise an den König und seine Gattin gesandt wurden, lässt sich heute leider nicht mehr eruieren.26 Und selbst Johann Friedrich Primisser,27 der uns bereits als Dialektdichter des weithin bekannten „Den Stutzen hear, beym Soggara“ begegnete, übte sich als Preiser des bayerischen Königs in einem Lied, dessen Text nur handschriftlich überliefert ist (siehe Abb. 2): Ho! Vater Max! Viel tausendmal willkumm Auf deutschem Boden, Bist wollta lang Untern Wälschen gwesn; war uns fast bang da drin, woast wohl geats bald krod und bald krum. Es warn an etla Lötar drausen Woas selber nit, wo sie alle hear seyn gschlossen Und die ganze Vost [?] so zusammentroffen, Die ließn di bitten, es mochta nit grausen, Und möchst ihre Weisater28 nit verschmächen Wenn sie die halt aa grad gar so gearn sächen. Die Menscher habe sie a beysamm; Aft ausser gsuecht haben sie nämla die Scheanz.29 Anders als andere Dichtungen Primissers wirkt dieser Text seltsam holprig, nicht gänzlich verständlich und auch unvollständig. Möglicherweise gingen die restlichen Strophen verloren. Inhaltlich entspricht der Text zwar einem Loblied, das offensichtlich auf die Ankunft des bayerischen Königs in Innsbruck nach seiner Italienreise gedichtet wurde. Der Stil jedoch wirkt wesentlich weniger pathetisch als jener in anderen Dichtungen, was vielleicht auch am Gebrauch des Dialekts liegen mag. „Ho! Vater Max!“ scheint weder öffentlich aufgeführt noch gedruckt worden zu sein, denn es ließen sich weder Flugblätter noch sonst irgendwelche Hinweise auf eine weitere Verbreitung bzw. Rezeption dieses Liedes finden. Angesichts seiner Form – als Handschrift auf einem Lied an den König (Musik: Wilhelm Lechleitner, 1808): „Heil dem Tag, der aus den Wonneauen Welschlands uns den Vater wiederbringt! / Zwar bestürmt dich hier des Winters Grauen und ein Felsengurt, der uns umschlingt, / doch du fühlst nur unsre warme Liebe, die für dich in jedem Busen schlägt, / lohnst mit Huld die kindlich reinen Triebe, die zu dir ein spät’rer Sprößling trägt. / Nicht Pomonens noch der Zeres Gaben, nicht Lyrens Nektar spendet dir diese Stadt, / das Beste, was wir haben, bied’re treue Herzen, opfern wir. / Bald schenkt Segen unsern älter’n Brüdern deine Rückkunft, Wehmut drückt Tirol, / doch ertönt aus Herzen, Mund und Liedern dir ein traulich deutsches Lebewohl“. Lied an die Königin (Musik: Wilhelm Lechleitner, 1808): „‚Vielgeliebte‘ nennen mit Entzücken Bayerns Söhne, unsre Brüder, dich, / an Tirols beeister Berge Rücken höret tausendfach dies Echo sich. / Karoline, unsre Mutter, lebe lange glücklich für das Vaterland, / deiner treuen Völker Schutzgeist webe um das Leben dir ein Freudenband. / Mutter, ach, in deiner Kinder Mitte weilt so kurz dein holder Engelblick, / hör’ mit Himmelsmilde unsre Bitte: ‚Lass uns doch dein Mutterherz zurück‘!“; beides zit. nach Herrmann-Schneider: „Andreas Hofer“ (wie Anm. 9), S. 52f. An dieser Stelle sind auch Fotografien der Autographen (mit Melodie) zu finden. Siehe auch Liedindex, Nr. 29 und 63. 27 Weitere biografische Angaben finden sich im Kapitel 1 in diesem Band. 28 Tirolischer Dialektbegriff für „Geschenke“. 29 TLMF, Dip. 1037/28. Siehe auch Liedindex, Nr. 156. 26 130 Kapitel 6 Abb. 2: Die handschriftliche und einzige Version von „Ho! Vater Max!“ (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, Dip. 1037/28). Abb. 3: Flugblatt: Tiroler Schützenlied auf das große Königliche Freyschießen zu Innsbruck den 27. May im Jahre 1808 (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 2523/V). Zettel, der rückseitig beschrieben ist – liegt die Vermutung nahe, dass Primissers Lied bloß eine Notiz geblieben ist. Abschließend sei noch ein weiteres, durchaus charakteristisches Loblied erwähnt, das anlässlich des königlichen Besuchs in Tirol verfasst wurde und von den Schülern des Kassian-Hauses in Brixen, dem damals übrigens Wilhelm Lechleitner vorstand, vorgetragen wurde: Lied d. K. Zöglinge im Kassians-Haus zu Brixen bey Gelegenheit der Rückkehr der Allerhöchsten Königl. Bayerischen Majestäten aus Italien, 1808 O Freudentag voll Seligkeiten, Voll Wonne, voll Vergnügenheiten, Welch’ Andacht-Glut empfinden wir! Sing’t Hain und Thal harmonisch’ Lieder, Und Felsen sagt es Felsen wieder: Wir seh’n den holden König hier, – Den Vater, der uns Kinder liebt, Uns Armen Brod und Bildung giebt. O sing’t das zweyte Mahl ihr frohen Haine: Und hall’t es wieder Felsen-Steine! Die Mutter ist an Vaters-Hand. Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs 131 Der Vater hier von weiten Reisen, (Wie selig muessen wir uns preisen, Wie selig unser ganzes Land!) Die Mutter ist Begleiterinn, Die liebste, theu’reste Koeniginn. Erhabne, seh’t uns hier zu Fuessen! O dürften wir die Haend’ Euch kuessen! Nur Dank muß unser Opfer seyn: Wir leben sonder Plag von Sorgen Fuer Nahrung auf den naechsten Morgen Von Eu’rer milden Huld allein. Nehm’t unsern Dank als Opfer hin Fuer Mutter-Herz, für Vater-Sinn! – O seyd gesegnet im Vergnuegen! Nie soll Euch Gram die Stirne pfluegen! Begluecket sey das Bay’risch Haus! Der Himmel hoer’ der Kinder Flehen, Und gieß’ auf Euch stets Wohlergehen, Und Gnad’ in reichen Stroemen aus! – O Ewiger! „das bitten wir!“ – Heil Königinn, Heil König Dir!30 Aus dem Jahr 1808 existierten Liedtexte zu zwei weiteren politischen Ereignissen, die sich unter dem Begriff des „opportunen Singens“ einordnen lassen. Das erste Lied (siehe Abb. 3) veröffentlichte Franz Karl Zoller im Mai 1808 zum Anlass des in Innsbruck stattfindenden „Königlichen Freischießens“ – eine Veranstaltung, die volksfesthaften Charakter hatte und deren Höhepunkt der Schießwettbewerb der Schützen darstellte. In zwölf Strophen über einen Mann, der sich fröhlich aufmacht, um am Schießen teilzunehmen und vom fröhlichen Treiben erzählt, finden sich auch zwei panegyrische Strophen auf König Maximilian: Der Länges ist umer, der Summer ist do, Weib hol mier mein Stutzen, i mueß gien durcho, Ze Sprugg ist ae Schießen, does bildst dier nit ein, Der Kuenig geits selber: wie praechtig mueß s’seyn! […] Das Gmäl un die Scheiben ist ä nit gor aus Soll loeben der Künig, und s’kueniglich Haus, So haißt’s ae der ersten: so wuensch’n mier insgs’amt Max Joseph sey Voter fuer uens, und fuers Land.31 TLMF, FB 5011/4. Siehe auch Liedindex, Nr. 122. Franz Karl Zoller: Tiroler Schützenlied auf das große Königliche Freyschießen zu Innsbruck den 27. May im Jahre 1808 (TLMF, FB 2523/V). Siehe auch Liedindex, Nr. 90. 30 31 132 Kapitel 6 Musik als identitätsstiftendes Mittel Das zweite Lied, bezeichnet als „Volks-Lied“, stammt von einem anonymen Dichter und entstand zum Anlass der Fahnenweihe des neu eingerichteten bayerischen Bürgermilitärs in Innsbruck. Es wurde auf die damals bekannte Melodie „Am Rhein, am Rhein da wachsen unsre Reben“32 gesungen und als Flugblatt verbreitet (siehe Abb. 4): Volks-Lied, am Tage der Fahnenweihe des Bürgermilitairs von Innsbruck gesungen im königl. Nationaltheater, […] Innsbruck am 10ten November 1808 Versammelt euch im frohbelebten Kreise, Und trinkt vom besten Wein! Stimmt an ein Lied nach deutscher Zecher Weise, Und mischet Jubel drein! Laßt, Bürger, laßt die Fahne Maxens wehen – Nun unser Eigenthum! Wenn wir einst für ihn fallen oder stehen, So steht auch unser Ruhm! Zu sterben ihm, so wie für ihn zu leben, Ist beides unsere Pflicht. Mag Feind um Feind sich gegen uns erheben, Wir steh’n und zagen nicht! Durch uns sind ja Altar und Heerd geborgen, Und kömmts zur höchsten Noth – So lassen wir den lieben Herrn Gott sorgen. Lebt ja der alte Gott! Kein Bürger wär; wer solche That nicht übte, Und auch kein Biedermann! Darum besteh’ das höchste der Gelübde Für Maximilian! Fürs Vaterland und für den Thron zu sterben, Dieß sey nun unser Bund! Die Fahne – kommt sie einst auf unsre Erben, So thut sie’s ihnen kund: So stoßt nun an, und laßt die Gläser klingen! Es leb’ der König hoch! Den schönsten Ruhm bey Welt und Nachwelt bringen Die Bürgerkronen doch! Und reift uns einst die allerletzte Traube, Wenn wir am Grabe steh’n; So soll dann auch der unbefleckte Glaube Mit uns hinüber geh’n!33 Siehe dazu Kapitel 4 in diesem Band. TLMF, FB 2523/IV. Siehe auch Liedindex, Nr. 62. 32 33 Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs Das Lied wurde im Rahmen eines feierlichen Aktes im königlichen Nationaltheater in Innsbruck zur Vereidigung des Bürgermilitärs gesungen. Das Bürgermilitär war von der bayerischen Regierung angeregt worden und diente weniger der militärischen Verteidigung, als vielmehr dem Ziel, ein gemeinbayerisches Landesbewusstsein zu schaffen. Obwohl die Männer des Bürgermilitärs Waffen und Uniformen trugen, war ihre Hauptaufgabe sicherheitspolizeilicher und, nicht zu vergessen, repräsentativer Natur. Die Zugehörigkeit zum Bürgermilitär zählte laut Martin P. Schennach zu den „Ausdrucksformen bürgerlichen Selbstverständnisses und reflektierte das Selbstbewusstsein der städtischen Honoratioren“ während der bayerischen Regierung in Tirol.34 Die Strophen des „Volks-Liedes“ vermitteln die Werte eines Bürgers in einem aufgeklärten absolutistischen Staat, wie es das Königreich Bayern zu dieser Zeit war: Opferbereitschaft für das Vaterland und den König („Wenn wir einst für ihn fallen oder stehen, / So steht auch unser Ruhm“) und Wille zur steten Verteidigung des Landes aus einem bürgerlichen Pflichtgefühl heraus („Kein Bürger wär; wer solche That nicht übte“). 133 Abb. 4: Flugblatt: Volks-Lied, am Tage der Fahnenweihe des Bürgermilitairs von Innsbruck gesungen im königl. Nationaltheater (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 2523/IV). Fazit Aus den vorangegangenen Ausführungen werden zwei Möglichkeiten des „opportunen Singens“, das im Gegensatz zum oppositionellen Singen steht, ersichtlich. Während das bayerische Nationallied ein Beispiel für eine von „oben“ angeordnete politisch instrumentalisierte Musik darstellt, sind andere Lieder als Beispiele für ein politisches Liedschaffen von „unten“, d. h. aus der Bevölkerung heraus, zu bewerten. So zeugen die Informationen rund um die Entstehung und einmalige Aufführung des Liedes Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs und Seiner durchlauchtigsten Familie nicht von einer von der Regierung angeordneten Förderung von patriotischen Gefühlen. Viel eher haben wir es hier mit einem musikalischen Herrscherlob zu tun, so wie es an absolutistischen Höfen bis ins 19. Jahrhundert hinein gebräuchlich war. Dem Herrscherlob dienten verschiedene Arten von literarischen, bildlichen, aber auch musikalischen Elaboraten, die im Rahmen von Zeremonien und Ritualen des höfi Martin P. Schennach: Revolte in der Region. Zur Tiroler Erhebung von 1809, Innsbruck 2009 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 16), S. 233. 34 134 Kapitel 6 schen Lebens (bei Geburt, Krankheit, Tod, Krönung, Hochzeit etc.), ab dem späten 18. Jahrhundert auch verstärkt in und unter Mitwirkung der Öffentlichkeit, aufgeführt wurden. Das in absolutistischen Kontexten praktizierte poetische Herrscherlob verlor zwar aufgrund des Niedergangs der höfischen Repräsentation und des gleichzeitigen Aufstiegs der bürgerlichen Öffentlichkeit an Bedeutung, jedoch entspricht der literarische Typus in vielerlei Hinsicht dem propagandistischen Personenkult, wie autoritäre Regime ihn im 20. Jahrhundert hervorgebracht haben. Das Königreich Bayern gestaltete sich als aufgeklärt-absolutistisches Herrschaftssystem, in dem Oden und Hymnen an den Herrscher, oftmals versehen mit starken religiösen Einflüssen, eine große Rolle spielten.35 Beim Festakt zur Annahme der bayerischen Königswürde im Jahr 1806 sollte laut dem bayerischen Historiker Ferdinand Kramer die Bevölkerung „breit involviert und mobilisiert“ werden. Es galt, alle Sinne anzusprechen und das Ereignis „mittels freudiger Emotionen nachhaltig in der Erinnerung“ zu verankern.36 Wie in vielen anderen monarchisch regierten Ländern Europas diente die zur Schau gestellte Loyalität dem Souverän gegenüber unabdingbar zur Legitimierung des Herrschers.37 Monarchische Festivitäten unterschiedlicher Art, dazu zählten ebenso Reisen, bildeten auch im Königreich Bayern passende Gelegenheiten, um in „kognitiver wie emotionaler Art […] die Einstellungs- und Verhaltensmuster der […] Bevölkerung [zu] prägen und [zu] vereinheitlichen“.38 In diesem Zusammenhang wurde in der kultur wissenschaftlichen Forschung vermehrt von einem sinnlichen Wahrnehmen von politischer Macht gesprochen. Zwecks Legitimation der Herrschaft muss diese für die Unter tanen greif-, wahrnehm- und sinnlich erfahrbar sein. Eine Herrschaft, die ihre politischen Prozesse nicht ihren Untertanen kommuniziert, wird nicht als legitim anerkannt – eine Grundkonstante, die eine herrschaftliche Repräsentation geradezu zu einer Bedingung macht.39 Literarische Repräsentationen, so wie auch die oben angeführten Lieder, wurden in diesem Kontext meist von Einzelpersonen oder aber auch im Chor vorgetragen und damit als „symbolische Gabe“ dem Herrscher überreicht. Sowohl die tatsächlich aufgeführten Lieder wie etwa jenes, welches die Akademiker der Universität Innsbruck im Rahmen eines Fackelzuges dem bayerischen König „überreichten“, oder das Lied zur Fahnenweihe des Bürgermilitärs in Innsbruck, als auch jene Lieder, die zwar teils in Druck gingen, aber nicht aufgeführt wurden, sind allesamt als literarisch-musikalische Produktionen von opportunen, pro-bayerischen Kreisen in Tirol zu verstehen. An ihrem Björn Hambsch: „Herrscherlob“, in: Gert Ueding (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Tübingen 1996, Sp. 1377–1392. 36 Ferdinand Kramer: „Fest, Symbol, politisches Programm. Die Feierlichkeiten zur Annahme der Königswürde in Bayern 1806“, in: Alois Schmid (Hg.): 1806 – Bayern wird Königreich. Vorgeschichte, Inszenierung, europäischer Rahmen, Regensburg 2006, S. 127–145, hier S. 131. 37 Zu den Vermittlungsformen von Staatspatriotismus in der Habsburgermonarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts siehe Daniel L. Unowsky: The Pomp and Politics of Patriotism. Imperial Celebrations in Habsburg Austria 1848–1916, West Lafayette, Indiana 2005 (Central European Studies 2005), S. 2. 38 Werner K. Blessing: „Herrschaftswechsel im Umbruch – zur inneren Staatsbildung Bayerns im 19. Jahrhundert“, in: Helga Schnabel-Schüle / Andreas Gestrich (Hg.): Fremde Herrscher – fremdes Volk. Inklu sions- und Exklusionsfiguren bei Herrschaftswechseln in Europa, Frankfurt a. M. 2006 (Studien zu Fremdheit und Armut von der Antike bis zur Gegenwart 1), S. 169–190, hier S. 175. 39 Jan Andres / Alexa Geisthövel / Matthias Schwengelbeck: „Einleitung“, in: dies. (Hg.): Die Sinnlichkeit der Macht. Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. – New York 2005 (Historische Politikforschung 5), S. 7–18, hier S. 8–11. 35 Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs 135 Beispiel ist auch die Wandlung von einer Kultur der Repräsentation hin zu einer Kultur der Öffentlichkeit am Ende des 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts gut erkennbar. Der Pomp absolutistischer Festivitäten jeglicher Art, wenn auch mit aufgeklärter Note wie im bayerischen Königreich, war zwar nach wie vor der Repräsentation der Monarchie und dem Herrscherkult verhaftet, offenbarte aber ebenso die Tendenz, die Bevölkerung miteinzubeziehen. Bei den Bürgern stieß die Hinführung zu Patriotismus und Nationalgefühl offensichtlich keineswegs auf taube Ohren. Auch wenn wir nicht wissen, ob und wie sehr die Schaffung solcher für das „gemeine Volk“ gemachter Lieder von oben bestimmt wurde – ordnete der Rektor der Universität Innsbruck den Fackelzug an? Verdiente Primisser an seinen Gedichten? –, können wir doch grundsätzlich von den Liedern als Zeugnisse für eine in Tirol ebenso vorhandene bayernfreundliche Gesinnung sprechen. Kapitel 7 „Vor Mittewald mach’n mier a Wand und halten alle zsammen“. Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns Silvia Maria Erber Schenkt man der Tiroler Historiografie des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts Glauben, so litt die Bevölkerung Tirols massiv unter der bayerischen Regierung zwischen 1806 und 1809. Man liest von zahlreichen schweren Eingriffen in den religiös geprägten Alltag der Menschen, den Zwangsrekrutierungen für Napoleons Truppen und der allgemein schwierigen wirtschaftlichen Situation in Tirol zu jener Zeit.1 Vor allem der religiöse Konflikt zwischen der tiefkatholischen Bevölkerung und der aufgeklärten bayerischen Regierung und die daraus entstandene Reibung zwischen den Gläubigen und den Geistlichen auf der einen und den die Reformen vollziehenden Beamten bzw. Vertretern der Regierung auf der anderen Seite wurde als Hauptmotiv für die Auflehnung der Tiroler gegen die bayerische Herrschaft angeführt.2 Laut Ansicht des Rechtshistorikers Martin P. Schennach verursachten jedoch auch „die Beseitigung der landständischen Verfassung, die Ersetzung des Namens ‚Tirol‘ […], die Einführung der Konskription im Jahr 1809, die Abschaffung der Bancozettel und andere finanzpolitische Maßnahmen, das unangemessene Verhalten der mit lokalen Zuständen nicht vertrauten altbayerischen Staatsbeamten“ den Aufstand.3 Dank einem immer seltener von patriotisch-nationalen Gedanken verbrämten wissenschaftlichen Zugang zu 1809 und seiner Vorgeschichte wurde die Wirkung der bayerischen Reformen, die eine große Verunsicherung auslösten, relativiert.4 Eine Vielzahl an Quellen wurde untersucht, um Einblicke in die Mentalität der Tiroler Bevölkerung angesichts ihrer Lage zwischen 1806 und 1809 zu erhalten, wobei die Quellen von BeschwerdeAls wohl umfassendstes Werk sei hier genannt: Josef Hirn: Die Erhebung Tirols im Jahre 1809, Innsbruck 1909, oder auch Joseph Rapp: Tirol im Jahre 1809, Innsbruck 1852. 2 Martin. P. Schennach: Revolte in der Region. Zur Tiroler Erhebung von 1809, Innsbruck 2009 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 16), S. 177. 3 Ebd., S. 187. 4 Siehe dazu ebd. Schennach verweist an dieser Stelle u. a. auf folgende Publikationen: Martin P. Schennach: „Fuit igitur rusticorum bellum illegitimum et illicitum. Zur Legitimation von Aufständen um 1800“, in: Geschichte und Region / Storia e Regione 16 (2007), Heft 2, S. 33–62; Martin P. Schennach: „Beschwerden als Legitimationen. Zur kommunikativen Funktion von Gravamina während des Tiroler Aufstandes von 1809“, in: Cecilia Nubola / Andreas Würgler (Hg.): Ballare col nemico? Reazioni all’espansione francese in Europa tra entusiasmo e resistenza (1792–1815). Mit dem Feind tanzen? Reaktionen auf die französische Expansion in Europa zwischen Begeisterung und Protest (1792–1815), Bologna 2010 (Jahrbuch des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient, Beiträge), S. 215–240; Margot Hamm: Die bayerische Integrationspolitik in Tirol 1806–1814, München 1996 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 105); Reinhard Stauber: Der Zentralstaat an seinen Grenzen. Administrative Integration, Herrschaftswechsel und politische Kultur im südlichen Alpenraum 1750–1820, Göttingen 2001 (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 64). 1 138 Kapitel 7 und Bittbriefen bis hin zu privaten Korrespondenzen und Tagebucheintragungen reichen.5 Kritische Lieder oder Gedichte wurden aber bis dato als aussagekräftige Zeit dokumente ziemlich außer Acht gelassen. Singen als „Zügellosigkeit“ der Untertanen Im Bayerischen Staatsarchiv in München findet sich eine Akte aus den späten Märztagen des Jahres 1806, entstanden nur einige Wochen nach der offiziellen Eingliederung Tirols in das eben erst geschaffene Königreich Bayern, in der diverse Schriftstücke über die „vorgebliche Stimmung der Unterthanen der neu erworbenen Provinz Tyrol gegen die Königliche Regierung“ gesammelt sind. In einem Bericht vom Dezember 1806 wird eine Reihe von Ursachen über die „Unzufriedenheit in Tirol“ aufgelistet und festgestellt, dass auch das öffentliche Singen von Kriegs- und Protestliedern die Stimmung aufheize. So habe ein „Reisender“ mitgeteilt: Zügellosigkeit und Ausschweifungen, Ungestraftheit der jungen Bursche [sic], welche jetzt so weit gehet, daß sie nicht nur einige derselben österreichische Schützenmonturen anmachen und tragen, öffentlich Kriegslieder zu Ehren der Erzherzoge Karl und Johann singen, sondern auch die bairisch Gesinnten mit einem allgemein Massaker bedrohen. Sämtliche ruhige rechtschaffene Unterthanen, wünschen, daß solche Bursche unvermuthet zum Militär ausgehoben werden möchten.6 Der bayerische Hofkommissär in Innsbruck, Karl Graf von Arco, erhielt von König Maximilian, dem die Darstellung übergeben worden war, den Auftrag, diese „angeblichen Beschwerden zu überprüfen“ und „über jeden Punkt […] der Untersuchung schleunigst einzuberichten“.7 In einem 35-seitigen Antwortschreiben erklärt Arco u. a. seinen Standpunkt über das öffentliche Singen von unerwünschten politischen Liedern und schlägt eine liberale Haltung vor: Wäre die Zügellosigkeit so bedeutend in solchen Umfange, als sie der reisende Beobachter darstellt, so müßten wohl mehrere Fälle, als die zwey oder drey, woran die Landesstellen Kenntniß erhielten, ihren durch den Weg der Militairbehorde bekannt geworden seyn. […] Daß Kriegslieder zu Ehren der Erzherzoge Karl und Johann öffentlich gesungen wurden, ist dießorts nicht bekannt. Auch ist sehr zu zweifeln, daß es zu Ehren des Erzherzogs Karl geschah, indem dieser in Tyrol nichts weniger als beliebt ist, denn er soll immer verächtlich von Tyrol gesprochen haben und man wirft ihm hier durchgängig vor, daß er dasselben [im] Jahr 1805 durch den Rückzug, wozu er den Erzherzog Johann durch wiederholte Befehle zwang, gänzlich Preis gegeben habe. Wohl mag jenes zu Ehren des Erzherzogs Johann geschehen seyn, denn dieser ist in seiner Popularität und des vorzüglichen Interessens wegen, das er an dieser Provinz mache, allgemein geschätzt und geliebt. Aber selbst zugegeben, daß ihm zu Ehren Kriegslieder gesungen worden seyn sollten, so kann ich, in der Voraussetzung, daß hierin nichts nachtheiliges für die gegenwärtige Regierung enthalten ist, daran kein so großes Verbrechen finden; Verbothe dagegen würden die Anhänglichkeit nur noch vermehren. Hiebey scheint mir, muß eine neue Regierung, wenn sie sich anders nicht verhasst machen 5 6 7 Zu Tagebüchern vor 1809 siehe: Schennach: Revolte (wie Anm. 2), S. 74–76, ansonsten allgemein S. 187–232. Acta Die vorgebliche Stimmung der Unterthanen der neu erworbenen Provinz Tyrol gegen die Königliche Regierung, Beilage: Bericht über die jetzigen politischen Verhältnisse der Tiroler in Hinsicht auf die einer Regierung von Baiern, vom 5. Dezember 1806 (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München, Ministerium des Inneren 15215). Ebd. Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns 139 will, wohl manches übersehen. Diese erwirbt sich, wie ich dafürhalte, nicht durch Inquisitionen, sondern durch gute Einrichtungen und Consequenz und Festigkeit Achtung und Liebe des Volkes.8 Ob Graf Arco die Bedeutung des öffentlichen Singens von provozierenden Liedern bewusst herabspielt, ganz entgegen den Äußerungen des „Reisenden“, um die Verwaltung Tirols unter seiner Aufsicht in einem besseren Licht erscheinen zu lassen, sei dahingestellt. Seine Argumente aber, warum man das Singen von oppositionellen Liedern nicht streng ahnden solle, offenbart, dass es in Bayern durchaus Überlegungen gab, das neue Gebiet möglichst gewaltfrei zu integrieren. Arcos Hinweis, dass ein Verbot des Singens politischer Lieder mehr Unheil anrichten würde als eine tolerante Haltung und man von obrigkeitlicher Seite lediglich darauf zu achten habe, dass keine Protestlieder gegen die bayerische Regierung aufkommen, zeigt Facetten des oppositionellen Singens auf. So sang man Loblieder auf Feinde der neuen Regierung – in diesem Beispiel Kriegslieder auf die Habsburger Erzherzöge Karl und Johann –, um die Bayern zu provozieren.9 Eine andere Möglichkeit des oppositionellen Singens als Ausdruck der Unzufriedenheit war das Singen von Liedern, die konkret Stimmung gegen die Regierung machten. Auf derartige Lieder möchte ich nachfolgend näher eingehen. Drei oppositionelle Lieder bzw. Gedichte Vorweg sei ein Lied zitiert, das den Titel Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns trägt und dessen Text vermutlich von Franz Karl Zoller (1748–1829?) – über ihn später noch mehr – stammt. Das Lied, überliefert als Flugblattdruck (siehe Abb. 1), entstand höchstwahrscheinlich zu Beginn des Jahres 1809: Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns He Nochba Lenz beym Soggara, Wos treibn denn die Bayren? I moan, sö wollen s’Landl gra Af ainmal iz omayren. Das Geld, dos uns hot Franzal gschickt, Stott ehe die Bankozedal, Das nimmt man ain, ehe mans dablickt, Und bringt ain an den Bedal. Der Kinig hot im Februar Das Landal übernummen: Empfieng die Stände gor so rar, Wie sie nach Müncha kummen: Von eurer Constitution Will i kai jota weichen, Und von eurer Religion Will i euch nichts ausstreichen. 8 9 Ebd., fol. 15. Über die zahlreichen Erzherzog-Johann-Lieder siehe Helmut Brenner: „Prinz Johann! Das ist dir ein Schand! – Die frühesten Erzherzog-Johann-Lieder im historischen Kontext“, in: Jahrbuch für Volksliedforschung 44 (1999), S. 68–94; über die Lieder ab etwa 1830: Helmut Brenner: Gehundsteh Herzsoweh. Erzherzog-Johann-Liedtraditionen vor, in, neben und nach „Wo i geh und steh“, Mürzzuschlag 1996. 140 Kapitel 7 Wos kannt man uns wohl schienars sogn? Ma röds auf allen Gassen; Und wear wurd no an Zweifel trogn, Weil ears hat drucken lassen! Iz seyn no nit drey Jahr vorbey, Do geaht schon alles zwercha, Er halt sein Wort gar ohne Schei As wie ein alte Mercha. Betracht nur itz die kurze Zeit, wos s’Landal hat gelitten, As ist kein Mensch bey aller Weit, Den er nit hat beschnitten: Die Bischöf hat er aussi gjagt, Die Priester arretiret, Die Kleastar hat er ogetaggt, Die Güter lizitiret. Wer hätts geglabt, daß er das Recht, Die Landes Gföll zu treiben, Iz ganz durch seine Helfersknecht In seinen Sack kannt reiben: Die Stände hat er oy geschnipft, Die Kasse ist im Sturze, Dos Umgeld hat er a daschnupft, Iz bleibt ain alter Furze. Wos hast dann du für Gelder gsehn, Die er hat schlagen lassen? Sihst übral Franzlans Kopfe stehn, Af sein magst du wohl passen; Sechser-Blattlan seyn so schleißig, Seyn reathar als sein Gsichta, Silberkreutzer neun und dreißig Gien auf ain Thalers Gwichta. Du issest, trinkst und schreibst nit vil, Wo du ihm nichts darfst geben, Und doch ist immer leer die Mühl, Dos ist a Teufels Leben: Brandtwein, Hasen, Roß, Bier und Wein, Ochs, Kälber, Säu und Schaafe, Kalender, Kart, Tauf-Todtenschein, Brauchst alls bey Stempelstrafe. Kimmt aft nur unser Kayser Franz, Mier wollen ihm schon rathen, Daß er ja mehr kain Bayrenschwanz Im Landal soll gestatten. Vor Mittewald mach’n mier a Wand Und halten alle zsammen, Daß uns kein Bayr mehr ainer zahnt, Tyroler! Schreyt nur: Amen.10 Als Flugblatt am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck (im Folgenden: TLMF), FB 535/ 25, später abgedruckt in: Josef Feichtinger: Tirol 1809 in der Literatur, Bozen 1984 (Literarische Zeugnisse 4), S. 16. Siehe auch Liedindex, Nr. 102. 10 Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns 141 Mehrere Elemente bestimmen den Tonfall dieses Liedes. Zum einen übt der Dichter Kritik an den sozialen, ökonomischen und religionspolitischen Verhältnissen während der bayerischen Regierung. Zum zweiten ist Spott ein Bestandteil des Liedes, etwa wenn einzelne Verse ins Komische abgleiten („Dos Umgeld hat er a daschnupft, / Iz bleibt ein alter Furze“, bzw. „Mier wollen ihm schon rathen, / Daß er ja mehr kain Bayrenschwanz / Im Landal soll gestatten“). Und drittens enthält die letzte Strophe die klare Aufforderung zum Handeln gegen die bayerische Regierung und weist somit auch ein Element der Mobilisierung auf („Vor Mittewald mach’n mier a Wand / Und halten alle zsammen, / Daß uns kein Bayr mehr ainer zahnt / Tyroler! Schreyt nur: Amen“). Der Dichter lässt ferner kein gutes Haar an der bayerischen Verwaltung in Tirol. Rückblickend wird vom Jahr 1806 erzählt, dass König Maximilian die Tiroler Stände in München im Februar empfing und ihnen versprach, möglichst wenig in das bestehende Gefüge Tirols eingreifen zu wollen.11 Doch „Iz seyn no nit drey Jahr vorbey, / Do geaht schon alles zwercha“, lautet das ernüchternde Resümee des Dichters. Ohne seine Versprechen einzuhalAbb. 1: Titelseite des Flugblattdrucks Volksten, habe König Maximilian innerhalb weniger lied in Tyrol über die Regierung Bayerns (Tiroler Jahre Tirol an allen Ecken und Enden maß- Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB geblich beschnitten. Die vierte Strophe bezieht 535/25). sich auf die strengen „religionspoliceylichen“ Maßnahmen, die die bayerische Regierung im Rahmen des Verstaatlichungsprozesses der Kirche schnell vorantrieb.12 Neben Anweisungen, die die Geistlichen, weniger aber die einfachen Untertanen betrafen,13 wurde beispielsweise eine Kirchenpolizei eingerichtet, die religiöses Brauchtum nach Kriterien der „Vernunft“ und Sparsamkeit beurteilen Mercedes Blaas: Die „Priesterverfolgung“ der bayerischen Behörden in Tirol 1806–1809: der Churer Bischof Karl Rudolf von Buol-Schauenstein und sein Klerus im Vinschgau, Passeier und Burggrafenamt im Kampf mit den staatlichen Organen. Ein Beitrag zur Geschichte des Jahres 1809, Innsbruck 1986 (SchlernSchriften 277), S. 99. 12 Georg Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe (1665–1814)“, in: Josef Fontana / Peter W. Haider / Walter Leitner / Georg Mühlberger / Rudolf Palme / Othmar Parteli / Josef Riedmann (Hg.): Geschichte des Landes Tirol. 2. Band: Die Zeit von 1490 bis 1848, Bozen – Innsbruck – Wien 1986, S. 289–562, hier S. 500–513. 13 Josef Gelmi: Geschichte der Kirche in Tirol. Nord-, Ost- und Südtirol, Innsbruck – Wien – Bozen 2001, S. 268–274. 11 142 Kapitel 7 sollte.14 In ihrem Bestreben, eine möglichst aufgeklärte Politik zu betreiben, verbot die bayerische Regierung unter dem Minister Maximilian von Montgelas einige der traditio nellen kirchlichen Feiertage, das Sterbeglockenläuten, Bittgänge und Prozessionen, den Wettersegen und das Feierabendläuten und regulierte die beliebten Wallfahrten.15 „Die Bischöf hat er aussi gjagt, / Die Priester arretiret, / Die Kleastar hat er ogetaggt, / Die Güter lizitiret.“ Die Behandlung der Geistlichen seitens der bayerischen Beamten dürfte offensichtlich nicht nur bei den direkt Betroffenen Unmut ausgelöst haben, sondern dieser Liedstrophe nach zu urteilen auch in der Bevölkerung ein Thema gewesen sein. Erzürnt weist der Dichter auf die Ereignisse rund um die beiden Bischöfe Emanuel Graf Thun und Karl Rudolf von Buol-Schauenstein hin, die sich gegen die Eingriffe von bayerischer Seite in ihre Territorien, die Bistümer Trient und Chur, so sehr wehrten, dass sie im Oktober 1807 kurzerhand ihrer Positionen enthoben wurden.16 Die Entfernung der Bischöfe schlug Wellen der Empörung in der Bevölkerung. Tatsächlich griff die bayerische Regierung nicht nur vielfach in den religiösen und damit gesellschaftlichen Alltag Tirols ein, sondern löste 1807 – ähnlich wie dies der Habsburger Kaiser Joseph II. etwa zwanzig Jahre zuvor schon für die gefürstete Grafschaft Tirol teilweise durchsetzen wollte17 – zahlreiche Klöster auf. Der nächtliche Abtransport der Patres eines Franziskaner- und Kapuzinerordens im Vinschgau unter Zuhilfenahme des Militärs und die zwangsweise Entfernung von Priestern zwecks Neueinsetzung von bayerischen Geistlichen in Gemeinden etwa im Passeiertal bedeuteten für die ansässige Bevölkerung weitere relevante Einschnitte in ihr bis dahin geordnetes religiöses Leben.18 Während die Tiroler Geschichtsforschung diese Einschnitte besonders hoch einschätzt,19 spricht der bayerische Historiker Reinhard Heydenreuter von einer überschätzten Wirkung der religionspolitischen Maßnahmen der bayerischen Regierung in den Jahren 1806–1809: Der überwiegende Teil der Großbauern, aber auch der Geistlichen war etwa mit der Abschaffung vieler der zahlreichen Feiertage in Tirol einverstanden, da es hier nicht um einen Kampf der verkappten freimaurerischen oder protestantischen bayerischen Regierung gegen die Religion selbst ging, wie die österreichische Propaganda behauptete, sondern vor allem um die Erhöhung der Arbeitszeit.20 Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe“ (wie Anm. 12), S. 510. Ebd., S. 511. 16 Siehe zur Verhaftung der Bischöfe in knapper Darstellung Fridolin Dörrer: „Die bayerische Kirchen politik in Tirol“, in: Verband Österreichischer Geschichtsvereine (Hg.): Bericht über den 5. Österreichischen Historikertag in Innsbruck, veranstaltet vom Verband Österreichischer Geschichtsvereine in der Zeit vom 9. bis 12. September 1959, Wien 1960 (Veröffentlichungen des Verbandes Österreichischer Geschichtsvereine 13), S. 78–84, bzw. wesentlich ausführlicher Blaas: Die „Priesterverfolgung“ (wie Anm. 11). 17 Laurence Cole: „Religion und patriotische Aktion in Deutsch-Tirol (1790–1814)“, in: Otto Dann / Miroslav Hroch / Johannes Koll (Hg.): Patriotismus und Nationsbildung am Ende des Heiligen Römischen Reiches, Köln 2003 (Kölner Beiträge zur Nationsforschung 9), S. 345–378, hier S. 347; siehe außerdem Brigitte Mazohl: „Die Umbruchzeit um 1800 und das Land Tirol“, in: Brigitte Mazohl / Bernhard Mertelseder / Johannes Weber (Hg.): 1809 – und danach? Über die Allgegenwart der Vergangenheit in Tirol, Bozen – Innsbruck – Wien 2009, S. 9–35, hier S. 32f. 18 Dörrer: „Die bayerische Kirchenpolitik“ (wie Anm. 16), S. 83. 19 Blaas: Die „Priesterverfolgung“ (wie Anm. 11); Schennach: Revolte (wie Anm. 2). Eine weitere bayerische, aber auffallend neutrale Darstellung ist Hamm: Die bayerische Integrationspolitik (wie Anm. 4). 20 Reinhard Heydenreuter: „Das Königreich Bayern und der Tiroler Aufstand von 1809“, in: Ronald Bacher / Richard Schober (Hg.): 1809. Neue Forschungen und Perspektiven. Tagungsbeiträge Tiroler Landesarchiv und Universität Innsbruck, Innsbruck, 17. und 18. April 2009, Innsbruck 2010, S. 23–36. 14 15 Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns 143 Heydenreuter übersieht hier die teils schwierige Lage der bäuerlichen Unterschichten, für die die zahllosen Eingriffe in ihr religiös geprägtes Gesellschaftsleben ohne Zweifel eine beträchtliche Veränderung darstellten. Neben dem wenig sensiblen Umgang mit der Volksfrömmigkeit waren vor allem die finanzpolitischen Neuerungen der bayerischen Regierung Anstoß zur Opposition. Die aufgrund des Krieges stark inflationäre österreichische Papierwährung („Bancozettel“) wurde in bayerisches Silbergeld umgetauscht („Das Geld, dos uns hot Franzal gschickt, / Stott ehe die Bankozedal, / Das nimmt man ain, ehe mans dablickt, / Und bringt ain an den Bedal“). Die mit dieser Währungsumstellung einhergehende Geldentwertung halbierte zwar die Preise von Grundnahrungsmitteln, trieb aber viele Bauern in den Ruin. Für die bayerische Regierung war dieser Schritt notwendig geworden, musste doch die Finanzpolitik in allen Territorien des Königreichs gleichgeschaltet und Tirol darin integriert werden.21 Die Strophen 5–7 beziehen sich ebenfalls auf die drückenden finanziellen Verhältnisse, berichten von einer Vielzahl an Abgaben, zu denen die Einwohner Tirols von der bayerischen Regierung verpflichtet wurden. Der Fleischaufschlag, das Weingeld, das Wegegeldsurrogat und die Stempeltaxe („Brandtwein, Hasen, Roß, Bier und Wein, / Ochs, Kälber, Säu und Schaafe, / Kalender, Kart, Tauf- und Todtenschein, / Brauchst alls bey Stempelstrafe“) – all diese Abgaben wurden angesichts der ohnehin mehr als prekären wirtschaftlichen Lage Tirols als schikanös empfunden und förderten mit Sicherheit nicht nur die Unzufriedenheit, sondern letztlich auch die Bereitschaft dagegen anzukämpfen.22 An dieser Stelle soll ein Gedicht eines anonymen Verfassers Erwähnung finden, das ebenfalls auf eine derbe Weise einen oppositionellen Standpunkt zur bayerischen Regierung einnimmt und ähnliche Kritikpunkte wie das Volkslied in Tyrol anspricht: Die zwölf scheißenden Teufel in Baiern. Zwölf Teufel sprachen unter sich: Wer kann am besten scheißen? Da sprach der erste: der bin ich, Ich könnt mich selbst zerreißen. Gleich schieß er Steuern, Maut und Zoll. Darüber war der zweite toll, Der macht mit scheißen lauter Faxen Und scheißt Kaffee- und Zuckertaxen. Der dritte konnte nicht mehr warten, Scheißt Stempel auf Papier und Karten, Der vierte riß sich aus dem Feuer Und schieß Latern- und Pflastersteuer, Den fünften fieng nun an gelüsten, Schieß Patroleurs und Cordonisten, Der sechste fiel nun auf die Knie Und schieße die Gensdarmerie, Der siebente schieß wie ein Held Die Cassa Tratta statt baar Geld, Der achte schieß mit vieler Plag Den itzigen Tabackaufschlag, Hamm: Die bayerische Integrationspolitik (wie Anm. 4), S. 261. Ebd., S. 266. 21 22 144 Kapitel 7 Den neunten sollst du scheißen sehen, Der scheißt gezwungen Lotterie Anlehen, Der zehnte schieß nun ihm zum Trutz Die Steuer zum Familienschutz, Der elfte schieße wie besessen Die neue Steuer für Holzabmessen, Die Concurrenz auf 20 Jahr Schieß nun der letzte aus der Schaar, Und dieser Dreck, den der geschießen, Hätt ihm beynah das Loch zerrissen. Gemacht habens unser vier: Ich, Tinte, Feder und Papier, Ihr seyd ja Kameraden Und werdt mich nicht verrathen, Sonst käm ich auf die Polizey Und da wär aller Spaß vorbey.23 Als Dichter des Volksliedes in Tyrol über die Regierung Bayerns wird gemeinhin Franz Karl Zoller24 angenommen. Neben seinem Zivilberuf als Oberbauinspektor erlangte er mit geschichtlichen Darstellungen,25 einem Theaterstück26 und politischen Dichtungen zu unterschiedlichen Anlässen Bekanntheit. Auch das wohl populärste Mundartlied der Zeit um 1800, das Spingeser Schlachtlied, wird ihm zugeschrieben.27 Aus heutiger Sicht etwas ungewöhnlich ist sein politischer Opportunismus, der sich in seinen wenigen Liedern eindrücklich manifestiert. So dichtete er rund zehn Jahre nach dem Spingeser Schlachtlied das Loblied Der Tiroler Bauer an seinen König (1808) auf die Ankunft des bayerischen Königs Maximilian,28 und nur kurze Zeit später, knapp vor Ausbruch des Tiroler Aufstandes, vernimmt man von Zoller wiederum regierungskritische Töne, prangert er doch die Missstände der bayerischen Regierung an.29 Karl Hauer räumt in seiner Dissertation in Anbetracht der unterschiedlichen dichterischen Qualitäten der Lieder die Möglichkeit ein, dass das Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns gar nicht von Zoller stamme.30 Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909, S. 226f. Arnold/Wagner (ebd., S. 425) fanden das Gedicht in einer Sammlung verschiedener Gelegenheitsgedichte am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck; heute verschollen. Eine Einspielung des Textes findet sich auf folgendem Tonträger: Institut für Volkskultur und Kulturentwicklung / Institut für Musikerziehung in deutscher und ladinischer Sprache / Institut für Geschichte und Euro päische Ethnologie der Universität Innsbruck (Hg.); Sandra Hupfauf / Bernhard Sieberer (Zusammenstellung): Lieder der „Freiheit“. „Treue Tyroler reckn’s Pratzl nit“, mit einem Booklet von Sandra Hupfauf und Silvia Maria Erber, Innsbruck 2008, Pro Cultura und RCR, CD Nr. 0875, Track 13. 24 Siehe Kapitel 5 in diesem Band. 25 Franz Karl Zoller: Geschichte und Denkwürdigkeiten der Stadt Innsbruck, 2 Bände, Innsbruck 1816 u. 1825. 26 Franz Karl Zoller: Der Tiroler Kirchtag. Ein National-Lustspiel mit Gesang in zwey Aufzügen, Innsbruck 1819. 27 Siehe Kapitel 5 in diesem Band. 28 Siehe Kapitel 6 in diesem Band. 29 Arnold/Wagner: Achtzehnhundertneun (wie Anm. 23), S. 228. Siehe auch Erich Egg: „Hof- und Bauerntheater. Musik und Literatur“, in: Gert Ammann (Hg.): Die tirolische Nation 1790–1820. Katalog zur Landesausstellung Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck, 6. Juni – 14. Oktober 1984, Innsbruck 1984, S. 149–181, hier S. 163. 30 Karl Hauer: Die Dichtung der Tiroler Freiheitskriege in den Jahren 1796, 1797 und 1809, Dissertation, Universität Innsbruck 1941, S. 30. 23 Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns 145 Ähnliche Beschwerden über die bayerische Herrschaft wie in dem vermutlich von Zoller stammenden Volkslied finden sich in einem Text mit dem Titel Lamentation eines Tyrolers unter der königlich bayerischen Regierung, Anno 1809 eines mit „D. Kerer“ bezeichneten Dichters. In 25 vierzeiligen, teils recht spöttischen Strophen werden nicht nur die religionspolitischen Maßnahmen angeprangert, sondern auch die neuen Sitten, die mit der bayerischen Regierung in Tirol angeblich Einzug hielten: Lamentation eines Tyrolers unter der königlich bayerischen Regierung. Anno 1809. 1. O weh, was ist mit uns geschehen, Seitdem wir keinen Adler sehen. Der Löw verschlingt uns wie ein Schlauch Und hat doch einen leeren Bauch. […] 3. Ein Hurenbock, von jeder Metze Beherrscht, gab schwankende Gesetze, Er schändete das Heiligthum, Und schwelgen war sein Studium. 4. Der schlechte Priester ward erhoben, Der gute von dem Amt verschoben, Und mancher von der Klerisey Gesellte sich den Schwärmern bey. 5. Fort aus dem Kloster, heißts, ihr Pfaffen, Man wird euch bessre Arbeit schaffen, Ihr faulen Nonnen, fort von hier! Ein schöner Mann sey eu’r Brevier. […] 8. Die Stiftungen und Kirchengüter Bekommen jetzt den Löw zum Hütter, Und was man nicht beweisen kann Als Stiftung, spricht der Räuber an. 9. Er raubt sogar die Kirchenzierde, So groß ist seine Raubbegierde, Das Kirchensilber von dort aus, Sogar die Lampe löscht man aus. […] 14. Was soll man von der Kleidung sagen, Die nach der Mode wird getragen? Des Schöpfers Bild ist ganz entstellt Und wilden Thieren beygesellt. […] 18. Im Sommer steht die Fleischbank offen Sowohl bei Damen als bei Zofen, 146 Kapitel 7 Bloß ist der Arm, bloß ist die Brust, Dem unverschämten Aug zur Lust. 19. Viel besser wärs, wenn sie von hinten Sich unbedeckter liesen finden, Denn hinten sind wir alle gleich, Zu Lappland und in Österreich. […] 24. Der Baier hat das Land verheeret, Wie eine Sau die Flur zerstöhret, Franz! leg dem Rüssel Ringe an, Damit er nicht mehr wühlen kann.31 Laut Karl Hauer handelt es sich beim Dichter D. Kerer um einen Benefiziaten aus Brixen.32 Er beurteilt Kerers Dichtung, die er der Anfangszeit des Aufstandes im April 1809 zurechnet, als „nüchtern und sachlich, allerdings auch schmähsüchtig“ und ironisch. „Fall für Fall“ lege Kerer „das Unbekömmliche der Bayernherrschaft dar. Sein Witz ist kalt und derb, nur aggressiv, nicht sich selbst gefallend. Ohne lyrische Wärme bringt er die Anklagen in die Form eines Gedichtes.“33 Unter dem für sich sprechenden Titel König Max du graußigs Mandl ist ein weiteres Lied bzw. Gedicht aus der ersten Phase der bayerischen Regierung überliefert, dessen anonymer Dichter sich den bayerischen König zur Zielscheibe von Hohn und Spott auserwählt hat: König Max du graußigs Mandl [urspr. Titel: Huldigung] König Max Du graußigs Mandl Was treibst Du für üble Handl, Mei! Wirst Du denn nimmer g’scheid, Schau Du bist ja nur a Heiter! Geh’ sonst kriegst von uns an Deiter, Denn mier sein ja grobe Leut. Du willst da an König machen. Möchten Küh’ und Kälber lachen, O der Bonapart ist fein, Zieht Di bei der Nasn ummer Und Du Teufels-Narr Du dummer Mußt sein Kammerdiener sein. Arnold/Wagner: Achtzehnhundertneun (wie Anm. 23), S. 230–233. Siehe auch Liedindex, Nr. 162. Alfred Gruber beschäftigte sich mit der Lamentation und bringt weitere Interpretationsvorschläge ein. Er gibt an, dass er die Lamentation aus einem Manuskript aus dem Pfarrarchiv von Kaltern abgeschrieben habe; siehe Alfred Gruber: „Lamentation eines Tyrolers – Grabinschrift der bayrischen Armee in Tirol. Polemische Zeitdokumente aus der Sammlung von Dr. Alfred Gruber“, in: Distel 3 (1983), Heft 4: Andreas Hofer. Obercommandant in Tirol, S. 29–31. 32 Hauer: Dichtung der Tiroler Freiheitskriege (wie Anm. 30), S. 30. 33 Ebd. 31 Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns 147 Geh’, und laß Di nimmer schaffen, Sonst möchte unser Hear uns strafen, Geh’ hear au bald König sein, Geh’, mit Deine zwei drei Mandlen Und fang an mit Facken handlen, Schau, es tragt Dir mehrer ein. Endlich schwören mier aufs Neu Dir den Eid der schönsten Treu: Bayrisch wöllen mier nit sein, Denn mier lassen uns nit necken; Uebrigens kannst Du uns lecken Und Di packen obendrein.34 König Maximilian von Bayern wird der Lächerlichkeit preisgegeben, sein Abhängigkeitsverhältnis zu Napoleon Bonaparte wird thematisiert und die Einschwörung, nicht bayerisch sein zu wollen, wird mit derben Ausdrücken gespickt. Mit Beschimpfungen halten sich die Verfasser der beiden ersten Spottlieder bzw. Spottgedichte im Gegensatz zum Dichter des Textes König Max du graußigs Mandl zurück. Aufgrund der zu geringen Quellendichte kann man von auffälligen, sich häufenden Ausdrücken in oppositionellen Liedern bzw. Gedichten nicht sprechen. Oppositionelle Lieder wollen ein möglichst breites Publikum ansprechen, bezwecken sie doch, dass die Kritik gehört wird und möglicherweise zu Widerstand gegen den herrschenden Zustand führt. Auch in unseren drei Beispielen werden durch die Kritik an der Währungsreform, den Reformen im religiösen Bereich und der schlechten wirtschaftlichen Lage größere Bevölkerungsschichten angesprochen. Es fällt auf, dass der Dichter der Lamentation weder den ansonsten üblichen Dialekt verwendet, noch bemüht ist, ein Kollektiv anzusprechen. Die Klage über die schlechten Sitten („Im Sommer steht die Fleischbank offen / Sowohl bei Damen als bei Zofen“) könnte man sogar als Kritik an der eigenen Bevölkerung interpretieren. Der Text König Max du graußigs Mandl, ohnehin sehr griffig, weil kurz, spricht das Kollektiv in einem viel größeren Ausmaß an, das „Wir“ nimmt einen breiteren Raum ein als in den beiden anderen Texten. Ob die zitierten Texte auch gesungen wurden, ist nicht bekannt, zumal keine Melodien überliefert sind. Literarische Opposition und Zensur Das Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns, die Lamentation eines Tyrolers unter der königlich bayerischen Regierung und König Max du graußigs Mandl vereinen mehrere Elemente der Kritik in jeweils unterschiedlichem Ausmaß. So erkennen wir in ersterem neben der starken Kritik an den Reformen der bayerischen Regierung auch spöttische, lustig-derbe Strophen, ebenso wie im Text König Max du graußigs Mandl, der von Hohn Meinrad Pizzinini: Andreas Hofer. Seine Zeit – sein Leben – sein Mythos, Innsbruck – Wien 2008, S. 120. Siehe auch Liedindex, Nr. 113. Pizzinini verweist wiederum auf die Beilage der Innsbrucker Nachrichten 22 (1875), Nr. 180, 21. August 1875, S. 131. Laut Arnold/Wagner, Achtzehnhundertneun (wie Anm. 23), S. 470, besaß Ludwig von Hörmann eine Aufzeichnung des Liedes. 34 148 Kapitel 7 und Beleidigungen für den bayerischen König nur so trieft. Der Text der Lamentation hingegen ist weniger polemisch, da er weitgehend eine sozialkritische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft während der bayerischen Regierungszeit darstellt. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Nuancen in Stil, Ton und Inhalt lassen sich die drei präsentierten Lieder bzw. Gedichte nur schwer unter einem Begriff zusammenführen. Die Kategorisierungen „Spottlieder mit herrschafts- bzw. sozialkritischem Inhalt“, „sozialoder herrschaftskritische Lieder mit spöttischem Ton“ oder stark verallgemeinernd „politische Spottlieder“ könnten hierfür nützlich sein. Spottlieder gehören laut älteren Definitionen zur Kategorie des Scherzliedes und dienen dazu, sich über jemanden oder etwas lustig zu machen.35 Spottlieder haben eine lange Tradition und können sich gegen Berufsgruppen, soziale Schichten, Individuen, Ortschaften oder auch, wie in unserem Fall, gegen eine als ungerecht empfundene Herrschaft richten.36 Das sozialkritische Lied aber diente dazu, „auf dem Wege der emotionalen Identifikation ein gemeinsames Bewußtsein von der Unvollkommenheit der sozialen Situation und eine Stimulierung zu gemeinsamer Aktion herbeizuführen“.37 Diese Charakterisierung des sozialkritischen Liedes durch Ernst Klusen trifft besonders gut auf das Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns zu. Denn nach der Aufzählung der Missstände folgt in der letzten Strophe die Aufforderung zum gemeinsamen, auch gewaltsamen Vorgehen gegen die bayerische Regierung. Auch die in moderneren Abhandlungen über politische Lieder zu findende Bezeichnung des „Protestliedes“38 ließe sich auf das eine oder andere Lied bzw. Gedicht anwenden, weil es laut gängigen Definitionen einen kritischen Kommentar zu politischen und gesellschaftlichen Missständen abgibt.39 Es ist eine der Grundannahmen der vorliegenden Publikation über politische Lieder in Tirol, dass in ihnen nicht nur gesellschaftliche und politische Prozesse zum Ausdruck gebracht werden, sondern dass sie auch ihrerseits auf Gesellschaft und Politik rückwirken. Über unsere Fallstudie hinaus zeigt sich dies beispielsweise auch in der Instrumentalisierung von Musik in den totalitären Systemen Europas im 20. Jahrhundert.40 Bei Laurits BØdker etwa: „Spottlied: a volkslied of jocular nature in the group of scherzlieder mocking at a particular class or a national group“. Siehe Laurits BØdker: Folk Literature (Germanic), Copenhagen 1965 (International Dictionary of Regional European Ethnology and Folklore), S. 265 und S. 284. 36 Donald J. Ward: „Scherz- und Spottlieder“, in: Rolf Wilhelm Brednich / Lutz Röhrich / Wolfgang Suppan (Hg.): Handbuch des Volksliedes. 1. Band: Die Gattungen des Volksliedes, München 1973 (Motive. Freiburger folkloristische Forschungen 1/I), S. 691–735, siehe außerdem noch ältere Literatur: Otto Böckel: Psychologie der Volksdichtung, Leipzig 1906, hier das Kapitel „Humor und Spottdichtung in der Volksdichtung“, S. 305–345. 37 Ernst Klusen: „Das sozialkritische Lied“, in: Brednich/Röhrich/Suppan (Hg.): Handbuch des Volksliedes (wie Anm. 36), S. 737–760, hier S. 739; weiterführend: Eckhard John (Hg.): Die Entdeckung des sozialkritischen Liedes. Zum 100. Geburtstag von Wolfgang Steinitz, Münster – New York – München – Berlin 2006 (Volksliedstudien 7). 38 Martin Butler: „Das Protestlied: kulturhistorische Ursprünge, formalästhetische Spezifika und ideologische Implikationen einer performativen Gattung der Sozialkritik“, in: Marion Gymnich / Birgit Neumann / Ansgar Nünning (Hg.): Gattungstheorie und Gattungsgeschichte, Trier 2007 (Studies in English Literature and Cultural History 28), S. 219–235. 39 Martin Butler / Frank Erik Pointner: „Protest, Musik und Performanz. Vorüberlegungen zur kultur wissenschaftlichen Untersuchung des politischen Liedes“, in: dies. (Hg.): „Da habt ihr es, das Argument der Straße“: Kulturwissenschaftliche Studien zum politischen Lied, Trier 2007, S. 1–16, hier S. 4. 40 Tillmann Bendikowski / Sabine Gillmann / Christian Jansen / Markus Leniger / Dirk Pöppmann (Hg.): Die Macht der Töne. Musik als Mittel politischer Identitätsstiftung im 20. Jahrhundert, Münster 35 Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns 149 Ein wichtiger Faktor im Zusammenspiel von Musik, Text und Politik41 ist die Identitätsstiftung, die laut Vladimir Karbusickys Studie zum Thema „Ideologie im Lied“ auf vierfache Weise geschehen kann. Neben der Form des Bekenntnisses, der Huldigung heldenreicher Taten großer Persönlichkeiten und übermäßiger Akzentuierung der eigenen Vorzüge ist die Verherrlichung der eigenen Leiden ein weiteres identitätsstiftendes Mittel im Lied.42 Einige Strophen der oben beschriebenen Lieder können in diese Richtung gedeutet werden, weil sie über die Leiden der Tiroler unter der bayerischen Regierung, über Ungerechtigkeiten und ablehnenswerte Reformen Auskunft geben. Die Vorwürfe sind so breit gefächert, dass sie praktisch das Gehör eines jeden Tirolers, egal welcher Schicht er angehörte, finden mussten. Augenfällig versuchten die Dichter dieser Liedtexte, bei ihrem Publikum eine kollektive Verbundenheit und eine gemeinsame Identität gegen die als feindlich empfundene Regierung herzustellen. Ob die identitätsstiftenden Botschaften vom Publikum auch im intendierten Sinn rezipiert wurden, ist eine Frage, die bei der heutigen Quellenlage nur mehr in wenigen Fällen beantwortet werden kann. Im Zusammenhang mit oppositionellen Liedern stellt sich zwangsläufig die Frage nach ihrer Verbreitung und den Zensurbestimmungen, durch welche die Streuung solcher Texte natürlich verhindert werden sollte. Wie schon eingangs dargelegt, stellte oppositionelles Singen in Tirol im Jahr 1806 tatsächlich ein Problem dar, über das sich hohe Beamte austauschten – und sich offensichtlich darin einig waren, das Singen von oppositionellen Liedern zumindest teilweise zuzulassen. Zensur ist ein Teilbereich der Informations- und Medienpolitik einer Regierung.43 Eine informelle Art der Informationspolitik kann aber auch von „unten“ betrieben werden, wenn, wie etwa in unserem Fall, Angehörige der Bevölkerung, egal welcher sozialen Schicht zugehörig, durch politische Lieder die öffentliche Meinung zu lenken versuchen. Während 1803 im Kurfürstentum Bayern das Zensurkollegium abgeschafft worden war und Publikationen nur mehr einer Nachzensur, anstatt einer Vorzensur, unterzogen wurden, änderte sich dies im Jahr 1806, als das mittlerweile zum Königreich erhobene Bayern angesichts der außenpolitischen Lage und seiner Verbindung mit dem napoleonischen Frankreich die staatliche Pressekontrolle wesentlich verschärfte. In den Jahren bis zum abermaligen Bündniswechsel von 1813 versuchte die bayerische Regierung auch, die öffentliche Meinung zu steuern und zu überwachen.44 Wolfgang Piereth betont in seinen Forschungen zur bayerischen Pressepolitik am Anfang des 19. Jahrhunderts, dass sich die Regierung gerade zu Beginn mit staatlichen Eingriffen in das Pressewesen zurückhielt, „solange 2003; Bernhard Frevel (Hg.): Musik und Politik. Dimensionen einer undefinierten Beziehung, Regensburg 1997; Stefan Michael Newerkla / Fedor B. Poljakov / Oskar Jens-Schmitt (Hg.): Das politische Lied in Ost- und Südosteuropa, Wien – Berlin 2011. 41 Frevel (Hg.): Musik und Politik (wie Anm. 40). 42 Zit. nach Johanna Karner: „… durch die Kraft unserer Lieder“. Musik als Medium zwischen Politik, Zensur, Opposition und Widerstand, Dissertation, Universität Wien 2008; Vladimir Karbusicky: Ideologie im Lied. Lied in der Ideologie. Kulturanthropologische Strukturanalysen, Köln 1973 (Musikalische Volkskunde. Materialien und Analysen 2). 43 Gute Einführungen zu diesem Thema bieten Wolfgang Piereth: Propaganda im 19. Jahrhundert. Die Anfänge aktiver staatlicher Pressepolitik in Deutschland (1800–1871), Frankfurt a. M. 1994, sowie Ute Daniel / Wolfram Siemann (Hg.): Propaganda, Meinungskampf, Verführung und politische Sinnstiftung (1789–1989), Frankfurt a. M. 1994. 44 Piereth: Propaganda im 19. Jahrhundert (wie Anm. 43), Kapitel „Bayerns Pressepolitik“, S. 52–57. 150 Kapitel 7 das Reformwerk und die bayerische nationale Staatsbildung nicht direkt gefährdet waren“. Ab 1805 engagierte die Regierung Volksschriftsteller und förderte den Vertrieb von Flugschriften mit „positiven“ politischen Botschaften, auch besonders während der Erhebung in Tirol 1809.45 Feststellen lässt sich also, dass es mangels einer stringenten Zensurpolitik in Bayern zwischen 1806 und 1809 (in der ersten Phase der bayerischen Regierung in Tirol) offensichtlich möglich war, regierungskritische politische Aussagen mittels Liedern der Öffentlichkeit bekannt zu machen. Allerdings verfügen wir heute über keine Hinweise darüber, ob und wie viele Dichtungen zensuriert wurden oder durch denunzierende Stimmen den Weg in eine Druckerei erst gar nicht schafften, und über jene Lieder, die zu jener Zeit nur mündlich kursierten und deren Urheber stets ungenannt bleiben mussten, wissen wir gar nichts. Sie sind – wie so vieles, das nur auf mündlichem Wege vermittelt wurde – unwiederbringlich verloren. Zur Rezeption der Lieder Über die tatsächliche Wirkung der besprochenen Lieder bzw. Gedichte lässt sich heute aufgrund des Fehlens aussagekräftiger Quellen nichts mehr sagen. Es ließen sich weder Hinweise darüber finden, ob eines dieser Lieder jemals gesungen wurde, noch ist es möglich, angesichts der wenigen gedruckten Flugblätter Aussagen über ihre Verbreitung zu tätigen. Keines der drei Lieder scheint ein starkes Echo erlebt zu haben. Nur punktuell findet man im 19. und 20. Jahrhundert in kleineren wissenschaftlichen Abhandlungen, Zeitungsartikeln oder ähnlichen Publikationen Hinweise auf die Texte.46 Besondere Aufmerksamkeit verdient die Erwähnung der Texte Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns und Lamentation eines Tyrolers unter der königlich bayerischen Regierung in einem bereits 1810 erschienenen Werk von Joseph von Hörmann (1778–1852). Dieser durchlief als Tiroler eine erstaunliche Karriere im bayerischen Staatsdienst, fungierte u. a. als Regierungspräsident für Oberbayern und erhielt den Titel eines Staatsrates.47 Im Jahr nach dem Aufstand, als Hörmann bereits als bayerischer Beamter tätig war, veröffentlichte er seine Interessanten Beyträge zu einer Geschichte der Ereignisse in Tyrol, u. a. auf der Grundlage von „Nachrichten, Zeitungen und französischen Armee-Tags-Berichten“.48 Hörmann war es ein Anliegen, neben anderen Gedichten und Liedern auch die beiden genannten kritischen Liedtexte bzw. Gedichte einem breiteren Publikum bekannt zu machen – natürlich nicht ohne anzumerken, wie „pöbelhaft“, „einfältig“ und „empörend“ er sie fand.49 Die Tatsache, dass diese beiden Lieder in einer Publikation aufscheinen, die durch und durch Ebd., S. 52. Die Lamentation wurde beispielsweise 1925 abgedruckt in: Tiroler Heimatblätter. Monatsschrift für Geschichte, Natur- und Volkskunde in Nordtirol 3 (1925), Heft 5: November, S.15f., mit dem Kommentar, dass das Lied von Oberlehrer Hans Spiegl in Oberperfuss mitgeteilt worden sei. 47 Hamm: Die bayerische Integrationspolitik (wie Anm. 4), S. 414. 48 Joseph von Hörmann: Interessante Beyträge zu einer Geschichte der Ereignisse in Tyrol vom 10. April 1809 bis zum 20. Februar 1810. Gesammelt und herausgegeben zur unterhaltenden Vergleichung mit andern Nachrichten, Zeitungen und französischen Armee-Tags-Berichten – nebst kurzen Anmerkungen, o. O. 1810. 49 Ebd., S. 52f. 45 46 Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns 151 für die bayerische Sache argumentiert, mag verwundern und muss auch nicht unbedingt ein Zeichen von intensiver oder unmittelbarer Rezeption sein. Der Text König Max du graußigs Mandl wurde, soweit ersichtlich, erst 1875 in den Innsbrucker Nachrichten 50 abgedruckt, mit dem Hinweis, dass seine Veröffentlichung „wohl Niemand mehr verletzen kann“. Weder Flugblätter noch sonstige Drucke fanden sich davon, weshalb eine eher geringere Rezeption anzunehmen ist, obwohl man dem Text aufgrund seiner Kürze und der belustigenden Strophen aus heutiger Perspektive zutrauen würde, in der damaligen Zeit ein (gesungener) Gassenhauer gewesen zu sein. Im Jahr 2007, also etwa 200 Jahre nach seiner Entstehung, erlebte der spöttische Text ein bemerkenswertes Revival in einem zur 200-Jahrfeier von 1809 produzierten Volksschauspiel des Theaterwissenschaftlers und Autors zahlreicher Stücke Ekkehard Schönwiese. In der 34. Szene lässt er den Chor abwechselnd mit einem Solisten die Strophen über König Max singen bzw. sprechen: CHOR: König Max du grausigs Mandl / was treibst du für üble Handel / ei wirst du denn nimmer gscheit / Schau, du bist ja nur a Häuter / Geh, sonst kriegst von uns ein’n Deuter / denn wir sind ja grobe Leut. / Du willst da einen König machen. / Mächten Kuh und Kälber lachen, o der Bonapart ist fein. / Zieht dich bei der Nasen ummer / Und du Teuflsnarr, du Dummer / Musst sein Kammerdiener sein. (sie summen die Melodie nach bis zum Anfang des Liedes „Heißa, heißa, ho“ und gehen dann ab.) PURTSCHER: (gesprochen, wahlweise im Chor bzw. abwechselnd von der in Schlachtformation aufgestellten Kämpfertruppe) Endlich schwören wir auf ’s Neu / dir den Eid der schönsten Treu: Bayerisch wöllen wir net sein, denn wir lassen uns nicht necken / übrigens kannst du uns lecken / und dich packen obendrein.51 Fazit Anhand der genannten Lieder lässt sich die Vielzahl an Gründen eruieren, weshalb Teile der Tiroler Bevölkerung die bayerische Regierung während ihrer ersten Phase als schlecht und ungerecht empfanden. In den Liedern werden die teils überstürzten, teils rigoros durchgezogenen Reformen – von religions- und finanzpolitischen Maßnahmen bis hin zur Abschaffung des Namens Tirols – angeprangert, sarkastisch dargestellt und stark kritisiert. Die geringe Anzahl an kritischen Liedern in den Jahren zwischen 1806 und 1809 lässt leider nur sehr vage Vermutungen über die Existenz einer Art „oppositio nellen Kultur“ in Tirol in jenen Jahren zu. Eine große, auch publizierende Opposition gab es offenbar nicht. Die wenigen Hinweise auf ungehorsame Handlungen bzw. Äußerungen, wie etwa das Besingen der militärischen Erfolge der Brüder des österreichischen Kaisers oder auch die Verweigerung mancher Tiroler Ortschaften, beim Regierungs- Unterhaltungsblatt, Beilage zur Ausgabe der Innsbrucker Nachrichten 1875, Nr. 190, S. 131. Ekkehard Schönwiese: Tiroler Freiheit. Ein Volksschauspiel. Sendersbühne Grinzens 2007 (Onlinefassung); http://www.sendersbuehne.at/tirolerfreiheit/downloads/tirolerfreiheitmiterlaeuterung.pdf (22. 03. 2012). Purtscher ist im Stück ein „Bauernführer“ neben Josef Speckbacher und Andreas Hofer. 50 51 152 Kapitel 7 wechsel 1806 die österreichischen Wappen durch die bayerischen auszutauschen,52 oder auch das Nichtbefolgen der Abschaffung der mitternächtlichen Christmette im Jahr 1806,53 lassen bloß auf punktuelle Äußerungen des Widerstandes schließen, aber noch nicht auf eine organisierte, umfassende oppositionelle Bewegung. Ellinor Forster: „Inbesitznahme eines Landes durch Zeremonien und Herrschaftssymbole. Politische Kommunikation zwischen der ‚neuen‘ bayerischen Regierung und den ‚neuen‘ Tiroler Untertanen 1806–1814“, in: Reinelde Motz-Linhart (Red.): Tagungsbericht des 25. Österreichischen Historikertages St. Pölten, 16.–19. September 2008, St. Pölten 2010 (Veröffentlichungen des Verbandes Österreichischer Historiker und Geschichtsvereine 34), S. 87–93, hier S. 89. 53 Schennach: Revolte (wie Anm. 2), S. 229–232. 52 Kapitel 8 „Zum Vivat soll leben der Kommandant von Sand“. Das Passeirer Landsturmlied Silvia Maria Erber Das Jahr 1809 galt in der Tiroler Geschichtsschreibung noch lange bis ins 20. Jahrhundert hinein als das „Heldenjahr Anno Neun“. Selbst 2001 noch bezeichnete ein Tiroler Historiker die Zeit zwischen 1792 und 1815 als das „Heldenzeitalter“.1 Heute ist man unter regionalen Historikerinnen und Historikern bemüht, das „Heldenhafte“ der Tiroler „Freiheitskämpfe“ weitgehend zu relativieren, den Terminus „Held“, der ja in erster Linie auf Andreas Hofer angewandt wurde, zu hinterfragen und die sich bis heute hartnäckig haltenden, populären Idealisierungen zu revidieren.2 An dieser Stelle soll die Ereignisgeschichte des Jahres 1809 nicht bis ins Detail nochmals dargelegt werden, zumal sie in vielfacher Weise, in älteren und neuen Abhandlungen, nachzulesen ist.3 Vielmehr sei das Augenmerk auf die zahlreichen Liedquellen jener Zeit gerichtet, deren Überlieferungslage relativ gut ist. Da viele Liedtexte durchaus narrativ sind, kann die Tiroler Erhebung gegen die bayerische Regierung ab dem Frühjahr 1809 teilweise mithilfe von Liedern nacherzählt werden. Die Beweggründe der Tiroler Bevölkerung, sich unter der Führung einiger Männer und mit Unterstützung des österreichischen Heeres im April 1809 gegen die bayerische Regierung zu erheben, wurden vielerorts abgehandelt.4 Aus den Liedern dieser Zeit gewinnt man, wie auch im vorigen Kapitel festgestellt wurde, den Eindruck, dass sich der Unmut und die Unzufriedenheit der Bevölkerung vor allem gegen die „religionspoliceylichen“ und finanz- und verwaltungstechnischen Maßnahmen der bayerischen Regierung richteten. Dass es in einer solchen Situation nur mehr der Führungspersönlichkeiten bedurfte, die es verstanden, der aufgestauten Wut und dem Groll Taten folgen zu lassen, stellte schon Georg Mühlberger fest: Josef Riedmann: Geschichte Tirols, Wien 2001 (Geschichte der österreichischen Bundesländer). Siehe vor allem die Publikationen rund um das „Jubiläumsjahr“ 2009: Hans Heiss (Hg.): Mythos: Andreas Hofer, Wien 2008; Brigitte Mazohl / Bernhard Mertelseder (Hg.): Abschied vom Freiheitskampf? Tirol und ‚1809‘ zwischen politischer Realität und Verklärung, Innsbruck 2009 (Schlern-Schriften 346); Bernhard Mertelseder / Brigitte Mazohl / Johannes Weber (Hg.): 1809 – und danach? Über die Allgegenwart der Vergangenheit in Tirol, Bozen – Innsbruck – Wien 2009; Martin P. Schennach: Revolte in der Region. Zur Tiroler Erhebung von 1809, Innsbruck 2009 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 16); Ronald Bacher / Richard Schober (Hg.): 1809 – Neue Forschungen und Perspektiven. Tagungsbeiträge Tiroler Landesarchiv und Universität Innsbruck, Innsbruck 17. und 18. April 2009, Innsbruck 2010 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 19). 3 Beispielsweise Josef Hirn: Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 21909. Neuer und hauptsächlich auf Hofer bezogen ist Meinrad Pizzinini: Andreas Hofer. Seine Zeit – sein Leben – sein Mythos, Innsbruck – Wien – Bozen 2008. 4 Schennach: Revolte (wie Anm. 2), S. 187. 1 2 154 Kapitel 8 Daß aus dem Unmut und dem Hass des Volkes ein tatkräftiger Wille zur Abschüttelung wurde, ergab sich aus der Tatsache, dass diese Gefühlskräfte ihre Anführer fanden, und zwar zu einem Zeitpunkt, in dem Österreich wieder kriegsbereit war.5 Die kaiserliche Regierung in Wien bereitete im Frühjahr 1809 den nächsten militärischen Schlag gegen das napoleonische Frankreich vor und Tirol war vor allem über Erzherzog Johann und Joseph Freiherrn von Hormayr zu Hortenburg nicht nur darüber informiert, sondern in die strategische Planung des neuerlichen Krieges miteinbezogen worden.6 Stichtag war der 9. April 1809, an dem die Kriegsweisung an Tirol zu geben war und die beiden österreichischen Feldherren Johann Gabriel von Chasteler und Josef Ignaz Freiherr von Buol-Bernberg mit ihren Truppen nach Brixen vorstoßen sollten, um von dort aus weitere Teile Tirols zu besetzen.7 Obwohl der bayerischen Regierung die Vorbereitungen eines Aufstandes in Tirol nicht verborgen geblieben waren, war es ihr aufgrund ihres Abhängigkeitsverhältnisses zu Napoleon, der die Bayern in dieser Phase nicht militärisch unterstützen wollte, nicht möglich gewesen, rechtzeitig Gegenschritte einzuleiten. Auf diese Weise konnten in der Nacht vom 10. auf den 11. April der Landsturm in Tirol losschlagen und die österreichischen Truppen zügig voranschreiten, ohne dass sich ihnen große Hindernisse entgegenstellten. Nach schweren Kämpfen in Innsbruck mussten schließlich die zwei verbleibenden bayerischen Marschälle Oberst Karl von Ditfurth und General Georg August Heinrich Freiherr von Kinkel kapitulieren. Schon am 16. April zog das österreichische Heer in Innsbruck ein. Mit Ausnahme der Festung Kufstein war Mitte April ganz Tirol von bayerischem Militär befreit. Jubellieder über die ersten Erfolge In dieser Zeit hörte man – sofern man einigen Quellen Glauben schenken darf – vielerorts ein vierstrophiges Lied eines anonymen Verfassers mit dem Titel Grabinschrift auf die Bayern: Grabinschrift auf die Bayern Vom Tiroler Volke Ende April 1809 gesungen. O weh! O weh! Die bayrische Armee Ist von Bauern tot geschlagen Und mit Jubel ins Grab getragen. Der General der feige Kinkel Sitzt arretiert im finstern Winkel. Ditfurth voller Grausamkeit Hat seinen Sturz sich selbst bereit’t. Georg Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe (1665–1814)“, in: Josef Fontana / Peter W. Haider / Walter Leitner / Georg Mühlberger / Rudolf Palme / Othmar Parteli / Josef Riedmann (Hg.): Geschichte des Landes Tirol, 2. Band: Die Zeit von 1490 bis 1848, Bozen – Innsbruck – Wien 1986, S. 290–579, hier S. 513. 6 Ebd., S. 514. 7 Ebd., S. 515. 5 Passeirer Landsturmlied 155 Wredes Mut ist untergegangen. Was nicht tot ist, ist gefangen. Wer nicht so bedient will sein, Der geh nicht ins Tirol hinein! O Fürsten! Lernt aus diesem Grabe, Was Sklavendruck für Folgen habe! Ihr habt ja schon vor hundert Jahren Ein gleiches Schicksal hier erfahren.8 In eingängigen Strophen präsentieren sich die Tiroler in diesem Lied als die Sieger über die bayerische Armee, gepaart mit dem stolzen Ausruf, dass die Bayern nach 1703 erneut eine Niederlage erfahren haben. Die drei genannten bayerischen militärischen Führer, General Georg Kinkel, Oberst Karl von Ditfurth und Carl Philipp von Wrede, waren zu dieser Zeit mit Truppen in Tirol stationiert und erlitten aufgrund ihrer geringen Stärke und der nicht genehmigten Truppenverstärkung von Seiten Bonapartes ihre Niederlage. Das Siegeslied dürfte vor allem mündlich verbreitet gewesen sein, denn es finden sich keine Flugblattdrucke, was angesichts der unsicheren politischen Situation nicht verwundert. Bloß eine Abschrift unbekannter Herkunft liegt im Pfarrarchiv Kaltern.9 Dennoch scheint das Lied eine gewisse Nachwirkung gehabt zu haben, denn bereits 1814 findet es seinen (wahrscheinlich) ersten Druck in Jakob Levi Salomo Bartholdys Geschichte des Krieges von 1809, die erst kürzlich als das erste wissenschaftliche Werk über 1809 bezeichnet wurde.10 Die frühe Drucklegung eines derartigen Textes ist übrigens überraschend. Der Autor Jakob Levi Salomo Bartholdy, ein in Berlin geborener und zum Protestantismus übergetretener Jude, der 1809 in der Wiener Landwehr kämpfte, gründete seine Geschichte des Tiroler Aufstandes von 1809 auf Dokumenten von Joseph Freiherr von Hormayr zu Hortenburg und Aussagen einer Reihe von Augenzeugen, die die Ereignisse zwar miterlebt, aber erst Jahre später zu Papier gebracht bzw. Bartholdy geschildert hatten.11 Im Jahr 1836 finden wir das Lied wieder in einer Sammlung von deutschen historischen Volksliedern, herausgegeben von Friedrich Leonard von Soltau.12 Josef Hirn, der zum hundertjährigen Jubiläum von „Anno Neun“ ein quellengesättigtes, z. T. bereits kritisches Werk zu Tirols Erhebung vorlegte, wies 1909 auf eine Handschrift des Liedes hin13 und führte weiters an, dass sogar Johann Baptist Gänsbacher angegeben habe, die Grabinschrift auf die Bayern sei im Sellrain, einem Tal westlich von Innsbruck, gesungen Jakob Levi Salomo Bartholdy: Der Krieg der Tiroler Landleute im Jahre 1809, Berlin 1814, S. 87; Friedrich Leonard von Soltau (Hg.): Ein Hundert Deutsche Historische Volkslieder, Leipzig 1836, S. 577f.; August Hartmann / Hyacinth Abele (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert, mit Melodien. 3. Band: Von 1756 bis 1879, München 1913, S. 108f. Siehe auch Liedindex, Nr. 124. 9 So die Information von Josef Feichtinger (Hg.): Tirol 1809 in der Literatur. Eine Textsammlung, Bozen 1984 (Literarische Zeugnisse aus Tirol 4), S. 20. 10 Meinrad Pizzinini: „Das Jahr 1809 und Andreas Hofer im Spiegel der Historiografie des 19. und 20. Jahrhunderts“, in: Mazohl/Mertelseder (Hg.): Abschied vom Freiheitskampf? (wie Anm. 2), S. 241– 270, hier S. 243f. 11 Ebd., S. 244. 12 Soltau (Hg.): Volkslieder (wie Anm. 8), S. 577f. 13 Hirn: Tirols Erhebung im Jahre 1809 (wie Anm. 3), S. 366. 8 156 Kapitel 8 worden. Und noch 1913 wurde das Lied in einer weiteren Sammlung von historischen Volksliedern abgedruckt.14 Obwohl keine Einzelheiten zur Aufführung, Herkunft und zum Verfasser des Liedes bekannt sind, lassen sein früher Abdruck in einer historischen Abhandlung über 1809 und seine weitere Verbreitung zumindest den Schluss zu, dass sich das Lied offensichtlich einer gewissen Beliebtheit bzw. eines Bekanntheitsgrades, möglicherweise einer „Volksläufigkeit“, erfreute. Ein weiteres Lied, das uns über die Vorgänge im April 1809 erzählt, handelt von der Ersten Befreiung Innsbrucks: Erste Befreiung Innsbrucks, anonym Der sakrische Oberst und der ist tot! Tyroler, die ham ’nen derschoss’n; Sein Bluet das ist ganz rosenroth Frei auf die Straß hin g’floss’n. Ach Oberst, ach Oberst, du tapfrer Mann, Schad um dein jungfrisch Leb’n! Wärst du g’blieb’n gar weit davon! Itzt mußt du’s so fruh hergeb’n. Franzos’n und Bayern, was fangt ihr itzt an? All’ eur’ Offizier seynd erschoss’n; Nach Minchen kommt kein einziger Mann, Seyd’s fest hier eing’schloss’n. An’s Insbruck sollt’s denken, an den blut’gen Danz! Tyroler stehn frisch zusammen. Vivat, es leb’ unser Kaiser Franz! Lobsingt der Mutter Gott’s! Amen!15 Auch in diesem Text spürt man die ausgelassene Stimmung nach dem ersten Befreiungsschlag der Tiroler. Der Oberst, dessen Verletzung und darauffolgender Tod hier so sarkastisch besungen wird, war Baron Christian Karl von Ditfurth. Am 12. April war er bei den Straßenkämpfen in Innsbruck schwer verletzt und gefangen genommen worden.16 Einen anderen Aspekt der Tiroler Erhebung betont das nachfolgende Lied, dessen Dichter ebenfalls anonym blieb. Obwohl es mit 13. April 1809 datiert ist, ist zu bezweifeln, dass es tatsächlich so früh während des Aufstandes entstanden ist: Hartmann/Abele (Hg.): Historische Volkslieder (wie Anm. 8), S. 108. Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des Literarischen Vereins in Wien XI), S. 250. Erster Druck in: Franz Wilhelm von Ditfurth (Hg.): Historische Volkslieder des österreichischen Heeres von 1638–1849, o. O. 1849, S. 82f., später auch in Franz Wilhelm von Ditfurth (Hg.): Historische Volkslieder der Zeit von 1756 bis 1871. 1. Band, 2. Heft: Die historischen Volkslieder vom Ende des siebenjährigen Krieges, 1763, bis zum Brande von Moskau, 1812, Berlin 1872, S. 322f. Siehe auch Liedindex, Nr. 91. 16 Meinrad Pizzinini: Andreas Hofer (wie Anm. 3), S. 137. Eine besonders blumige Beschreibung von Ditfurths Verletzung bei der Einnahme Innsbrucks findet sich bei Hirn: Tirols Erhebung (wie Anm. 3), S. 311. 14 15 Passeirer Landsturmlied 157 Lied der Tyroler Insurgenten, 1809, den 13. April d. d. [sic] Zell in Zillerthal Kaiser Franz wie steht es dir, Wie steht es um dein Land Vertilgen will man dich von hier Durch fremde Räubershand. Auch Herrscher bist du überall Im ganzen Vaterland, Nur Falschheit und Verrätherey Die nahm jetzt überhand. Auch Generalen und Officier /: Beyläufig :/ das sie die gem. Leute Coniren In Vaterland verkaufen. Napoleon der Höllenhund Der soll zu grunde gehen Das werdet ihr in kurzer Zeit Erfahren und auch sehen. Prinz Carl du getreuer Held Nimm dich des Kaisers an Durch deinen tapfern Heldenmuth Jag nur den Feind hinthan. Der Sandwirth steht dir auch noch bei Und hilt dir in den Streit Von Feinden machen loß und frey Weil es noch Weil und Zeit. O Sandwirth du getreuer Held Ein Sieh[g]er auf dem Feld Dein Ruhm ist weit und breit bekannt Faßt in der ganzen Welt. Tiroler eure Wehrsamkeit Soll stets gesegnet sein etc. etc.17 Der einzige Beleg für dieses erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts handschriftlich notierte Lied ohne Melodie befindet sich im Österreichischen Kriegsarchiv in Wien; weder Drucke noch sonstige Abschriften sind bekannt. Das Lied stellt Kaiser Franz als den recht mäßigen Herrscher über das Land Tirol in den Mittelpunkt. Im Kampf um Tirol stehen ihm „Prinz Carl“, i. e. Erzherzog Karl von Österreich-Teschen, der als österreichischer Feldherr Napoleon am 21./22. Mai 1809 eine empfindliche Niederlage in der Schlacht von Aspern beifügte, und Andreas Hofer bei. Eine inhaltliche Auffälligkeit deutet darauf hin, dass das Lied höchstwahrscheinlich wesentlich später gedichtet wurde als der Titel Verzeichnis der Archivalien aus dem Insurrectionskampf in Tyrol im Jahre 1809, entnommen 1879 aus den Criminal-Akten der Commandatur München (Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv, Wien, Feld akten AFA HR Akten 1394, I-50Ad). Siehe auch Liedindex, Nr. 111. 17 158 Kapitel 8 angibt. Die sechste Strophe gilt dem „Sandwirth“ Andreas Hofer, der hier als „Sieger“ und „getreuer Held“ bezeichnet wird, der „weit und breit“ bekannt sei, „faßt in der ganzen Welt“. Nun spielte Andreas Hofer zwar schon in der Anfangsphase des Aufstandes eine Rolle und sein Name war nicht unbekannt, doch standen zu diesem Zeitpunkt andere Anführer, wie Martin Teimer, noch viel mehr im Vordergrund und als Held bezeichnete ihn damals wohl noch niemand. Schließlich wurde Andreas Hofer überhaupt erst mit dem 4. Juni 1809 als Oberkommandant für die südliche Landeshälfte von Hormayr bestätigt,18 auch wenn er sich bereits am 9. April selbst als „ernannter Kommandant“ titulierte.19 Auch der uns bereits mehrfach begegnete Franz Karl Zoller, der von der bayerischen Regierung als Beamter beschäftigt war, stand 1809 wieder in den Reihen der Tiroler Aufständischen. Ihm wird ein Lied zugeschrieben (eindeutige Beweise für die Urheberschaft fehlen jedoch), das angesichts seines Inhaltes mit großer Sicherheit in der anfänglichen, erfolgreichen Phase der tirolischen Insurrektion entstand. In fünfzehn Strophen versucht Zoller, seinem Unmut über die bayerische Regierung Ausdruck zu verleihen, die ausgelassene Stimmung dieser Wochen einzufangen und gleichzeitig aber sein Publikum für weitere bevorstehende Gefechte anzustacheln. Es handelt sich um ein mobilisierendes Siegeslied mit starkem kritischen Einschlag und spöttischen Elementen. Lied im Tiroler Dialekt, nach dem Ausbruche der Insurrektion im Jahre 1809 1. Bueben, schreyts enk müed und haiser: Vivat, Vivat allweil drau! Vivat ünser lieber Kaiser Und sei junge, schiene Frau! Vivat Karl der tapfre Sieger, Und sei Brueder Hannes ä! Und dersell’ Iglauer Krieger, S’Vätterle vu Modena! 2. Endla ist ämal unkemmen Die so lang erwünschte Zeit, Wo d’kai Blatt fürs Maul derfst nemmen, Röden, singen, was di g’freut: Vor hättst sollen öpes sagen Z’Ehren des Haus Oesterreich, Hättens dier äf d’Goschen g’schlagen, Oder g’wiesen in die Keuch. 3. Hab’n nicht anders hören wöllen, Äs vu den Napoliun, Und vu seinen saubern G’söllen, Vu der großen Naziun: Dö soll Oesterreich aufspeisen, Und den Künig äch ä Bain Vu den Braten umerschmeissen, Äs än wohlverdienten Lohn. Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe“ (wie Anm. 5), S. 527. Hirn: Tirols Erhebung (wie Anm. 3), S. 294. 18 19 Passeirer Landsturmlied 4. Prödigt habens wohl dö Herren Nicht äs vu Humanitet, G’wissens-Freyheit und aufklären, Land beglücken, fein und nett! Aber wie mier jetz verspüren, Schauts unklar im Beutel aus, Stuiren treiben, exequieren, Bringt die Leut vu Hof und Haus. 5. Alle Klöster thains auhöben, Kirchen spörren und darvun S’gweychte Zuig den Juden göben, Dös ist ihr Religiun: Frumme Päter Landsverweisen, Gottesdienst schmölen ä darbey, Bauen nicht – krod niederreissen, Und umwüehlen wie die Säu. 6. Alte Recht’ und Freyheit stutzen Und verdrengen die vier Stendt, Ja den Numen gar wöckputzen, Däß man’s Ländel nimmer kennt, Dös ist, meine gueten Baiern, Enker Glücklichmachen g’wößt, Drum seyts ä toll gringelt woren, Wies verdient habts, äf die lößt. 7. Aber ains mueß i do lachen, Was ist enk denn g’fallen ein? Wöllts aus üns Säldoten machen, Wem soll öper dös g’maynt seyn? Soll’n mier gögen d’Spanier fechten, Oder gögen Östreich? pfui! Da habts ös wohl gar ein schlechten Einfall g’habt, bey meiner Trui. 8. Däß mier können Pulver schmöcken, Habts derfahren woltän wohl, Weils das G’wöhr habt müassen ströcken Vor den Bauern in Tyrol: Nu krod dös laßts enk no losen, Der Tyroler kennt kain Feind, Äs die Bairen und Franzosen Von Jahr druy un bis äf heunt. 9. Mier seyn halt dö Küeh, dö blindten, Können in das grosse Glück, Bairisch z’seyn, üns gar nit findten, Z’gleich französisch – wär kai Schick: Wer kun dienen zwayen Herren, N’Großmogol, und Nabob ä, Wenns di alle beyde scheren Bis äfs Bluat? beym Sappärä. 10. Kaiser Franz, der ist in allen Seinen Landern Herr allain, 159 160 Kapitel 8 Er werd üns nit b’schwärlä fallen, Fodern mehr, äs mier darthain, Er werd üns die Freyheit göben, Wie miers haben g’habt anneh! Bue, dös werd ä anders Löben Beym Haus Oesterreich, juche! 11. Oestreich hat die Kirch in Ehren Und die g’sammte Geistlichkeit, Es vertraut äf unsern Herren, Der ihm Glück und Sögen geit. Öfter schon, wo man ums Löben Vun ain Fürsten aus den Haus Käm ain Kreuzer mehr hätt göben, Ist die Hilf nit blieben aus!!! 12. Trauts ös nu, ös armen Bairen, Enkern Gott Napoliun, Ös werds decht no bey die Ohren G’nommen, und dös mit Reschun; Denkts fein z’rugg, wie enk die blawen Kumeraden enter n Rhein Zwaymal schon äfs Eis g’füehrt haben,20 Dösmal künnts das dritte seyn. 13. Hätts üns gern derschröcken mögen Mit Verwüstung, Mord und Brand, Füehrts die Banganeter gögen Schwache Weiber, pfui der Schand! Leut verbrennen, Kinder spissen, Wo ist enker Menschlichkeit? Bairen, habts denn gar kai G’wissen? Aber warts, es kümmt ä Zeit! 14. Könnts so orla spissen, braten, Mier seyn ä nit schlechte Köch, Wenn mier in das Bairland g’rathen, So bezahlts ös üns die Zöch. Frisch au Mänder, zu den Waffen! Aussi mit den Räberg’sindt! Könnts nit mehr mit Kugeln g’schaffen, Schlagts mit Kolben äf die Grindt. Diese Strophe bezieht sich auf zwei Bündnisvereinbarungen, die Bayern mit Frankreich eingegangen war und die beide Mal für das Haus Wittelsbach negativ ausgingen. Im Zuge des Spanischen Erbfolgekrieges (1701–1714) war Kurfürst Maximilian II. Emanuel an der Seite Frankreichs gegen den Kaiser und seine Verbündeten in den Krieg eingetreten. Nach der entscheidenden Niederlage in der Zweiten Schlacht von Höchstädt (1704) wurde über den bayerischen Kurfürsten die Reichsacht verhängt und Bayern von österreichischen Truppen besetzt. Beim zweiten Bündnis zwischen Bayern und Frankreich handelte es sich um die Bemühungen des späteren wittelsbachischen Kaisers Karl VII. im Jahr 1740, unter Berufung auf die Pragmatische Sanktion die Erbansprüche der Tochter Karls VI., Maria Theresia, anzufechten, wobei er von Frankreich und Preußen unterstützt wurde. Auch hier brachte das Bündnis wenig Erfolg, Karl konnte zwar für drei Jahre die Kaiserwürde erlangen, nach seinem frühen Tod im Jahr 1745 musste sein Nachfolger alle ehrgeizigen Pläne zurückstellen und Maria Theresias Ehemann Franz Stephan I. wurde zum Kaiser gewählt und gekrönt. 20 Passeirer Landsturmlied 161 15. Laßt üns für die Freyheit streiten Und fürs deutsche Vaterland, Ist nit Franz äf ünsrer Seiten? Ober ihm ist Gottes Hand. Drum so schreyts enk müed und haiser: Vivat, Vivat alle z’gleich! Vivat ünser lieber Kaiser Und das ganz Haus Oesterreich!21 Gesungen auf die damals sehr bekannte Melodie der Kaiserhymne „Gott erhalte unsern Kaiser“22 bieten die abwechslungsreichen Strophen Einblick in wohl alle Beschwerdepunkte, die die Tiroler der bayerischen Regierung gegenüber vorzubringen hatten und die uns schon aus den oppositionellen Liedern während der bayerischen Herrschaft bekannt sind.23 Die Schadenfreude und die Angriffslust des Verfassers könnten mög licherweise auf ein frühes Entstehen dieses Liedes hinweisen. Auch Arnold und Wagner datieren es mit April 1809.24 Auch das Lied Passeier Landsturm, dem dieses Kapitel ja in erster Linie gewidmet ist, könnte aus den ersten Wochen der Tiroler Erhebung von 1809 stammen, wenn man von seinem Inhalt ausgeht: Passeirer Landsturm.25 1. Auf, auf, ihr Tiroler! Jetzt kommt jene Stund! So macht euch frisch auf, Sonst gehn wir zu Grund! Es laßt uns jetzt rufen Ein bartiger Mann, Weil er von dem Kaiser Die Nachricht bekam. 2. Der neunte April, Der ist jener Tag, An dem uns der Kaiser Sein Hilf bietet an. Er laßt uns ansagen Durchn Wirt an dem Sand, Daß er uns woll helfen, Erretten das Land. 3. So gehen wir jetzt alle Mit christlichem Mut Und wollen zerstören Die höllische Brut. Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 15), S. 245–249; siehe auch Österreichische Nationalbibliothek, Wien, 303.488-A, nach der Melodie „Gott erhalte unsern Kaiser“. Siehe auch Liedindex, Nr. 11. 22 Siehe Kapitel 6 in diesem Band. 23 Siehe Kapitel 7 in diesem Band. 24 Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 15), S. 444. 25 Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 15), S. 235–240. Siehe auch Beda Weber: Das Thal Passeier und seine Bewohner. Mit besonderer Rücksicht auf Andreas Hofer und das Jahr 1809, Innsbruck 1852, S. 305–310 (Liedtitel: Sandwirthslied). Siehe auch Liedindex, Nr. 73. 21 162 Kapitel 8 [So fliehen wir hin Zu dem liebvollen Gott. Er wird uns g’wiß helfen Aus der g’fahrvollen Noth.]26 4. So gehn wir jetzt eilends, Stelln uns vor den Feind, Gott helfe uns siegen, Beschütz’ unsre Leut. Viel nehmen wir gfangen, Viel schießn wir zu tot, Das habn wir zu danken Dem liebvollen Gott. 5. Addio, meine Baiern Und Freimaurerei, Jetzt wolln wir euch zeigen, Wie getreu man euch sei. Was ihr uns habt ausgmessen, Das messn wir euch ein. So schlagn wir jetzt hurtig Und tapfer darein. 6. Ihr habt uns viel gschadet Zu Seel und zu Leib, So sind wir gezwungen, Zu brechen die Treu. Ihr hättet uns das Land Ganz arm gemacht Und auch viele Seelen Zur Hölle gebracht. 7. Maria voll der Gnaden, Du reine Jungfrau, Breit aus dein Schutzmantel, Auf uns herab schau! Breit aus dein Schutzmantel, Und steh’ uns jetzt bei, Und hilf ’, daß wir werden Vom Franzosen bald frei. 8. Ihr tapfern Tiroler! Ihr wart sehr berühmt, Weil ihr dort zu Sterzing Und auch hin nach Trient So tapfer gestritten Für Leben und Tod. So wart ihr vom Kaiser Auch sehr hochgelobt. 9. So denken wir auch hin Auf der blutigen Schlacht, Die dort bei Berg Isel Zu Innsbruck geschah. Nur in der Version von Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 15), S. 236. 26 Passeirer Landsturmlied 163 Der Feind rückt dort an Mit viel Gstuck und Geschütz, Wir zeign uns doch tapfer, Und schearn uns nix. 10. Wer hat uns dort geben So frisch Heldenmut, Wo viele haben geben Ihr Leben und Blut? Maria dort von Absam,27 Durch ihr starke Hand Wird der Feind dort besieget, Vertriebn ausn Land. 11. Zum Vivat soll leben Der Erzherzog Karl, Er hat schon die Baiern Aus München gschlagn. Gott segn ihm die Waffen Und schwäch seinen Feind, Daß wir auch hie werden Ganz los und befreit. 12. Zum Vivat soll leben Der Reichsprinz Johann, Er schlagt die Franzosen Und Baiern zusamm. [Das wolln wir Gott danken Nun alle zugleich – Das wir wieder gfunden Das Haus Österreich.]28 13. Zum Vivat soll leben Herr Hofkommissär Hormairer, der schon Nach Tirol kommet her. Mit christlichem Eifer Zeigt er Heldenmut, Es dürstet ihn gar sehr Nach feindlichem Blut. 14. Zum Vivat soll leben Der Kommandant von Sand, Er ließ sich viel kosten, Zu retten das Land. Jetzt wolln wir Gott danken, Das gebn wir zum Lohn, Gott wird uns schon geben Die himmlische Kron. Hier bezieht sich der Verfasser auf jene Marienerscheinung, die ein Mädchen 1796 in Absam, nahe Innsbruck, in einem Fensterglas gesehen haben will. 28 Diese Strophe findet sich nur in der Version von Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 15), S. 238. 27 164 Kapitel 8 15. Ihr tapfern Tiroler, Ich hab’ noch ein Bitt: Thuet euch nicht viel prahlen, Vergesset Gott nit. Gott kann uns noch strafen, Wie er gstraft hat vorher, So bleiben wir fein ruhig Und gebn Gott die Ehr. 16. Durchlauchtigster Kaiser Von Haus Österreich, Wir wünschen dir Glück! Von uns nicht mehr weich! Thu’ uns christlich regieren, Vom Feind uns bewahr, So werden wir kommen Zur himmlischen Schar. 17. Eins müssen wir noch bitten Und Gott rufen an, Daß er uns wol retten Den Pabst dort zu Rom. Er ist unser Vater, Für uns hier bestellt, Die Kirch zu regieren Von Gott auserwählt [18. Karl Rudolf der Bischof 29, Unser treuester Hirt, Dich hat man vertrieben, Ins Elend geführt. Gott hat uns erwöckt Von den bayrischen Schlaf, So kom den, o Bischof, Und weide die Schaff. 19. Viel werdet ihr finden, Die sehr sein verwundt, Weil sie schon gebissen Die wölfischen Hund. Gottlob, daß sie gfangen, Die bissigen Hund, Gemeint ist Karl Rudolf Graf von Buol Schauenstein (1760–1833), Fürstbischof von Chur. Über seine Rolle zur Zeit der Aufstände von 1809 schreibt Lorenz Joos: „Infolge der Besetzung Churs durch die Franzosen flüchtete Buol-Schauenstein nach Meran, das damals zur Diözese Chur gehörte. Nach der Abtretung Tirols an Bayern führte er einen harten Kampf mit der Regierung, die unter König Maximilian I. eine ausgesprochen kirchenfeindliche Haltung einnahm. Auf ihre Veranlassung hin mußte der Bischof schließlich nach Chur zurückkehren. Sein Pontifikat ist bedeutsam durch die völlige Neuordnung der Diözese. Auf bayerischen Druck hin verlor er durch päpstliches Breve den Tiroler Teil seines Bistums (1805, von Buol-Schauenstein erst 1816 anerkannt), und 1814 erhielt er die aus der Konstan zer Diözese herausgelösten Schweizer Gebiete. Trotz der Schaffung des Doppelbistums Chur-Sankt Gallen gelang es ihm nicht, die Gegensätze zwischen den beiden Teilen der Diözese auszugleichen“ [Lorenz Joos: „Buol-Schauenstein Karl Rudolf Graf “, in: Neue Deutsche Biographie 3 (1957), S. 24 (Onlinefassung); http://www.deutsche-biographie.de/pnd118816195.htm (25. 03. 2013)]. 29 Passeirer Landsturmlied 165 Sonst wären wir gangen Fast alle zu Grund. 20. Komt, all ihr Hirten, Thut euch nicht verweiln, Und thut die Gebissenen Wiederum heiln. Wir müssen nur weinen Vor Freuden so sehr, Wenn wir euch sehn kommen Von Elend daher. 21. Nun wolln wir Gott danken Mit Herz und mit Mund, Er macht uns gewiß Noch alle gesund. So singt Laudeamus Und alle zugleich, Und Gott wird euch geben Das himmlische Reich.]30 Das Lied ist unter verschiedenen Titeln in unterschiedlichen Versionen überliefert und vermittelt zahlreiche Aspekte des Aufstandes und seiner Motive. Vier Komponenten fallen zunächst ins Auge: Erstens bezieht sich das Lied auf Details der Kampfhandlungen, zweitens versucht der Dichter, sein Publikum zum Kampf zu motivieren, drittens ist neben der Kritik an der bayerischen Herrschaft die religiöse Note des Liedes unüberhörbar, viertens rückt der Verfasser die Helden des Aufstandes in den Mittelpunkt – Erzherzog Karl, Erzherzog Johann (hier als „Reichsprinz Johann“ bezeichnet), Joseph Freiherrn von Hormayr und den „Kommandanten von Sand“, Andreas Hofer. Die 36 Strophen bieten einen umfassenden Einblick in die verschiedenen Stimmungen, welche die Erhebung Tirols 1809 hervorgerufen haben. Der starke religiöse Einschlag des Liedes in Form von Bittversen an Maria und Gott und die Mahnung, mit diesem Sieg „nicht viel [zu] prahlen“, denn „Gott kann uns noch strafen“, mag wohl darauf hindeuten, dass die Lage noch als relativ unsicher galt. Die vielen Strophen erschweren eine eindeutige Datierung des Passeirer Landsturmliedes. Die Möglichkeit, dass das Lied relativ bekannt war, gesungen und entsprechend den aktuellen Ereignissen um zusätzliche Strophen erweitert wurde, lässt sich nicht ausschließen.31 Dass Andreas Hofer in diesem Text bereits als „Kommandant“ bezeichnet wird, wo er doch erst Anfang Juni als solcher offiziell bestätigt wurde, muss nicht zwingend ein Hinweis auf eine spätere Entstehung des Liedes sein. Denn, wie bereits erwähnt, unterzeichnete Hofer schon am 9. April 1809 Briefe mit „ernannter Kommandant“.32 Oswald Menghin datiert das Lied auf die ersten Maitage 1809 und vermutet einen geistlichen Verfasser wegen seines „Zuges ins Predigthafte“. Und er betont: „Es ist ja genugsam bekannt, welch großen Anteil die Priesterschaft an dem Volkskriege und Die Strophen 18–21 finden sich nur in der Version bei Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 15), S. 239f., jedoch nicht bei Weber: Das Thal Passeier (wie Anm. 25). 31 Das vermuten auch Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 15), S. 433. 32 Hirn: Tirols Erhebung (wie Anm. 3), S. 294. 30 166 Kapitel 8 an seiner Belebung durch Rede und Lied, ja oft genug selbst durch eigene kriegerische Betätigung genommen hat“.33 Eine Melodie zu diesem Lied ist nicht erhalten, jedoch vermuten Arnold und Wagner, dass der Text auf die Weise eines bekannten Liedes aus den Jahren der Landesverteidigung 1796 und 1797 gesungen wurde.34 Vom Bekanntheitsgrad des Liedes zeugen eine handschriftliche Notiz einer Meraner Gefängnisinsassin von 1811, der man sogar den Namen der möglichen Autorin entnehmen kann,35 sowie der Abdruck des Textes in der 1852 publizierten Geschichte über das Passeiertal und die Geschehnisse von 1809 durch Beda Weber.36 Diesem Werk des Benediktinerpaters aus dem Vinschgau ist ein wissenschaftlicher Wert auch heute nicht abzusprechen, da sich Weber meist auf Zeitzeugen des Jahres 1809 beruft. Aus diesem Grund erscheint der Abdruck des Liedes bei Weber in einem interessanten Licht, obwohl wir nicht wissen, wer ihm das Passeirer Landsturmlied mitteilte oder ob er es bereits kannte. Die vier eben behandelten Lieder sind alle unter Vorbehalt mit April oder Mai 1809 zu datieren. Sie nehmen vorrangig Bezug auf die Kämpfe in Innsbruck selbst und vermitteln ein Bild von der ausgelassenen Stimmung direkt nach den ersten militärischen Erfolgen der Tiroler Aufständischen und österreichischen Soldaten gegen die bayerischen Truppen. Kriegsmobilisierung zur zweiten Schlacht Aber schon im Mai 1809 änderte sich die Lage. Die Kämpfe zwischen den bayerischen Soldaten und den Tiroler Schützen sind auch Inhalt eines von bayerischer Seite gedichteten, mündlich überlieferten Liedes, das General Carl Philipp von Wrede ins Licht der Geschehnisse rückt und den Zug seiner Truppen durch Tirol als Erfolgsgeschichte darstellt: Als frühmorgen der Tag anbrach Und General Wrede vom Schlaf erwacht’, Ließ er aufbrechen. Er rückt mit fünfzigtausend Mann Wohl auf die Tiroler an Auf ihren Bergen. Und als der General Wrede kam, Bitten Tiroler gleich um Pardon: Schenk uns das Leben! „Ach nein! Ach nein, Tirolerkopf ! Du mußt geschossen werden tot Auf deinen Bergen.“ Bei Strub und Lofer war der erste Paß; Da haut man drein, daß es blitzt und kracht, Sie zu verjagen. Oswald Menghin: „Andreas Hofer im volkstümlichen Liede“, in: Anon. (Hg.): Anno Neun. Volkslieder und Flugschriften, Brixen 1912 (Bücherei des Österreichischen Volksschriftenvereins 5), S. 5–62, hier S. 19f. 34 Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 15), S. 433. 35 Siehe Kapitel 12 in diesem Band. 36 Weber: Das Thal Passeier (wie Anm. 25), S. 305–310. 33 Passeirer Landsturmlied 167 Auf einmal wurd der Berg so rot Mit lauter so tirolischem Blut. Sie sind verloren. Und wie sie geritten auf Innsbruck hinein, Wo soviel tausend Tiroler drin sein, Sie müssen weichen. O Gott! da kann man Wunder sehn, Was da die Chevaulégers rumflankieren, Ob sie kein’n Tiroler g’spüren. Die sind verloren. Wer hat doch dieses Lied erdacht? Zwei bayrische Chevaulégers auf der Wacht, Auf grüner Heiden. Sie laden ihre Pistolen geschwind Und schießen s’ auf die Tiroler hin; Die sind verloren.37 Der Text bezieht sich auf Napoleons Befehl vom Mai 1809, Tirol von Salzburg her einzunehmen. Die französischen und bayerischen Divisionen unter Marschall FrançoisJoseph Lefebvre, dem Herzog von Danzig (1755–1820), General Wrede und Feldmarschall Deroy versuchten also, während Napoleon gegen Wien zog, über den Pass Strub bzw. bei Kufstein nach Tirol einzufallen. Auch der Einsatz des österreichischen Heeres änderte nichts an der Übermacht der angreifenden Truppen, die fast ungehindert durch das Unterinntal nach Innsbruck ziehen konnten. Nachdem sich die österreichischen Truppen unter Feldmarschall Chasteler immer weiter zurückgezogen hatten, marschierte Lefebvre in die Hauptstadt ein und gab die erneute Unterwerfung Tirols bekannt.38 Am 25. und 29. Mai, nach Hofers erneuter Mobilisierung der Schützenkompanien, gerieten die feindlichen Truppen wiederum am Berg Isel aneinander. Etwa zeitgleich „Als frühmorgen der Tag anbrach“, in: Hartmann/Abele (Hg.): Historische Volkslieder (wie Anm. 8), S. 107f. Siehe auch Liedindex, Nr. 3. Ein weiteres bayerisches Lied über das Vorrücken nach Tirol ist im Oberpfälzer Volksmusikarchiv, Regensburg, überliefert: „Ins Tirol samma groast / Ham uns net lang bsunna / Ham oft mal gschossn / Hamma nicht viel gwunna / Von Hail bis aaf Innsbruck / Dem Königsberg zua / Bauern, da gibt’s a Schiaßats / Buam, da gangs da zua / Ja Buam, da gangs da zua“; siehe Uli Otto / Eginhard König: Ich hatt’ einen Kameraden … Militär und Kriege in historisch-politischen Liedern in den Jahren von 1740 bis 1914, Regensburg 1999, S. 253. Siehe auch Liedindex, Nr. 160. Auf die Melodie von „Schön ist’s unter’m freyen Himmel“ dichtete höchstwahrscheinlich ein Bayer mahnende Verse an die Tiroler: Die Stimme der warnenden Freundschaft an die irregeführten Tiroler und Vorarlberger, Von einem Freunde des Vaterlandes, München 1809 [Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck (im Folgenden: TLMF), FB 1383/91]: „Brüder, Krieg bringt stillen Hütten / Und der Väter frommen Sitten / Jammer, Elend und Ruin. / Wenn in der Empörung Zeiten / Brüder gegen Brüder streiten, / Sinkt des Staates Beste hin! / […] Hört der Warnung Stimme! Höret: / Zweitracht tödtet – Fried’ ernähret; / Kehrt zur Ordnung schnell zurück! / Soll – gleich schwarzen Ungewittern – / Unruh’ euer Land erschüttern, / Und zertreten frohes Glück? / Soll noch lang’ auf Berg und Höhen / Der Empörung Fahne wehen? / Mord dich schänden, Vaterland? / Soll noch lang’ des Donners Brüllen / Deine Städt’ und Dörfer füllen, / Mit Verheerung – Schrecken – Brand? / Soll noch lang’ in euern Hütten / Zwietracht und Verwirrung wüthen? / Greuel decken eure Flur? / Bürgerblut die Ströme färben; / Und in flammendem Verderben / Untergehen die Natur? […] Hört der Freundschaft Stimme, Brüder! / Legt die Mordgewehre nieder, / Fluch der Insurrektion! / Wollt ihr Eid’ und Schwüre brechen? / Wild im Flammen-Aufruhr sprechen / Heiligen Gesetzen Hohn?“ Siehe auch Liedindex, Nr. 12. 38 Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe“ (wie Anm. 5), S. 519. 37 168 Kapitel 8 mit der für Österreich erfolgreichen Schlacht von Aspern am 21. und 22. Mai 1809 gegen Napoleon konnten die Tiroler ein zweites Mal das bayerische und französische Heer zurückschlagen. Eines der Opfer der zweiten Bergiselschlacht war Graf Johann von Stachelburg (1778–1809), der einer bekannten Südtiroler Adelsfamilie entstammte.39 Möglicherweise kurz vor seinem Tod betätigte er sich noch als patriotischer Dichter und schrieb folgendes Kriegslied zur Ermunterung seiner Mitkämpfer: Kriegslied 1. Auf im Berge! auf im Thale! Auf in’s Feld und in die Schlacht! Gott will an geringer Zahle Zeigen seine Übermacht. Fort in’s dickeste Gedränge! Fragt nicht nach der Feindesmenge; Fragt allein, wo ruft die Noth? – Sieg sei unser oder Tod! 2. Fällt zur Rechten, fällt zur Linken Hier ein Bruder, dort ein Freund, Laßt darum den Muth nicht sinken, Rückt nur fester an den Feind! Gott in’s Herz, an’s Werk die Hände! Nur wer harret bis an’s Ende, Der verdient den Sieg zum Lohn; Sieg und Ehre winkt uns schon! 3. Wehrt euch für der Väter Glauben, Der allein uns Wahrheit lehrt; Laßt euch selben niemals rauben, Er ist Blut und Leben wert. Wer für Gott und Glauben streitet, Hat sich Sieg und Ehr’ bereitet. Streitet, streitet immerfort, Sieger sind wir hier und dort. 4. Helden waren unsre Väter – Denn auch Christen waren sie – Wurden Freiheits-, Glaubens-Retter, Stritten, fochten, wichen nie. Und wir Söhne sind nicht minder Als die Väter Gotteskinder, Sind voll Trost und Zuversicht, Gott verläßt die Seinen nicht. 5. Rettet auch Mariens Ehre; Sie hat Gott uns anvertraut; Bei uns hat der Herr der Heere Ihr den Himmelsthron gebaut. Um ihr Heiligthum zu schützen, Will auch ich mein Blut verspritzen. Unter ihrem Schild und Schutz Bieten wir den Feinden Trutz. Heinrich Gratscher: Johann Graf Stachelburg, gefallen am Bergisel 1809, Brixen 1960. 39 Passeirer Landsturmlied 169 6. Uns’re Väter, fromm und bieder, Eh’ ein heißer Kampf begann, Warfen auf die Kniee sich nieder, Ruften Gott um Beistand an. Sieh, o Herr, wir deine Knechte Sind zwar Sünder, nicht Gerechte, Seufzen kniend auf zu dir: Hilf, o Gott! sonst sinken wir! 7. Hör’ o Himmel! Hör’ o Erde Der Tiroler reinsten Schwur: Die Altär’ und unsre Herde Wollen wir beschützen nur. Hört es Feinde! Hört es Freunde! Wir sind keine Menschenfeinde; Wenn zum Streit uns zwingt die Noth, Soll auch theu’r sein unser Tod. 8. Wenn die Wuth von Legionen Auf uns kleine Schaaren bricht; Bebt vom Donner der Kanonen Berg und Thal – wir zittern nicht. Wenn ich auch voll Wunden blute, Sei mein letztes Wort voll Muthe: „Gott und Vaterland, für dich Fließt mein Blut – froh sterbe ich.“40 Dieses Kriegslied, zu dem keine Melodie bekannt ist und das möglicherweise auch nie gesungen wurde, ist ein besonders aussagekräftiges Beispiel für jene kriegerische Religiosität, die sich nicht nur in zahlreichen Liedern der Jahre 1796 und 1797, sondern auch des Jahres 1809 finden lässt. Die Liedtexte verdeutlichen, dass sich 1809 das religiöse Moment intensivierte und vor allem auch eine neue Wendung bekam.41 Während in den Liedtexten zu den Kämpfen von 1796/1797 und über die bayerische Herrschaft die Verunglimpfung des angeblich ungläubigen, unchristlichen Feindes im Vordergrund steht, dominiert in den Liedern zur Erhebung von 1809 der Glaube, das man nach göttlichem Willen handle und unter Gottes Schutz stehe. Der Kampf gegen die bayerische Regierung, so der Tenor dieser Lieder, sei rechtmäßig und von Gott legitimiert, die Tiroler werden als ein auserwähltes Volk dargestellt. Für Gott und Vaterland lohne es sich zu sterben, meint etwa Graf Stachelburg: „Wenn ich auch voll Wunden blute, / Sei mein letztes Wort voll Muthe: / ‚Gott und Vaterland, für dich / fließt mein Blut – froh sterbe ich‘“.42 Insgesamt betrachtet weisen viele Lieder des Jahres 1809 ganz ähnliche Facetten auf wie die Dichtungen anlässlich der Landesverteidigung 1796/1797: mobilisierende, agitative Phrasen, Aufrufe, sofort zu den Waffen zu greifen, Rückgriffe auf die Vergangenheit, Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 15), S. 254–256, außerdem publiziert in: Feichtinger (Hg.): Tirol 1809 (wie Anm. 9), S. 26–28. Siehe auch Liedindex, Nr. 80. 41 Siehe dazu Silvia Maria Erber / Sandra Hupfauf: „‚S’Zibori ausserg’rissn, die Hostien umher g’schmissn‘. – Die Religion als bestimmendes Moment in der politisch verwendeten Musik Tirols zwischen 1796 und 1809“, in: Norbert Haag / Gabriele Haug-Moritz (Hg.): Musik in Neuzeitlichen Konfessionskulturen, Stuttgart (in Druck). 42 Kriegslied von Graf Johann Stachelburg, in: Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 15), S. 254f. 40 170 Kapitel 8 insbesondere das Jahr 1703, die Betonung der eigenen Wehrhaftigkeit, Lob auf den Kaiser Franz und Österreich und sogar übermütigen Spott für die Bayern und Franzosen, sofern man sich in Sicherheit wähnte. Ein anonym überliefertes Schützen-Lied, das durchaus auch im Frühjahr 1809 entstanden sein könnte, beinhaltet einige dieser Merkmale: Schützen-Lied. 1. Auf, du schläfriges Tirol, Auf zum Krieg sollst du dich richten, Sieh’st du nit die Feind’ anrücken, Auf und streite für dein Wohl! Auf, erinn’re dich der Siegen, Die dein Vorvolk in den Kriegen Für des Kaisers Wohl gemacht Und die Unfäll ausgelacht. 2. Auch der stolzen Römer Macht Hat Tirol nit überwunden, Allzeit Widerstand gefunden, Wurd’ so zu sagen ausgelacht. Allzeit haben sich die Alten Tapfer und getreu verhalten, Ewig spricht man ihren Ruhm In dem deutschen Kaiserthum. 3. Der Churfürst Max Emanuel, Der sonst Helden konnt’ besiegen, Hat durch Geld Tirol bestiegen, Aber da schlug’s ihm ganz fehl; Man schoß nicht mit sanften Rosen Auf sein Landvolk und d’Franzosen, Denn man nahm das grobe Blei Und blieb, wie das Gold, getreu. 4. Aber jetzt sinkt aller Muth Vor so großen Feindes-Schwarmen, Die uns, mit geübten Armen, Aengstigen mit Höllenwuth; Die da fast kein Land gefunden, So sie nicht schon überwunden, Das sie nicht mit Übermacht Oder List an sich gebracht. 5. Aber nein – ich hab’ gefehlt; Hast du gleich auch falsche Bürger, Scheust du nicht die Menschenwürger, Stellst dich muthig in das Feld; Dir fehlt es nit an Tapferkeiten, Du willst, wie die Alten, streiten, Ob du schon zu deiner Last Manche zu Verräthern hast. 6. Groß an Muth, doch klein’s Tirol, Deine Ehr’ wird ewig bleiben, Man wird sie in Büchern schreiben, Halte dich nur ferners wohl. Passeirer Landsturmlied 171 Geld und Gut und Ehr’ und Glauben, Würde dir der Feind schnell rauben, Doch so bleibt dein Ehrenkranz Dir und deinem Kaiser Franz. 7. Du hast schon die Prob’ gemacht, Du hast noch vor wenig Tagen Tapfer auf die Feind’ geschlagen, Und du stehst noch auf der Wacht; Ja, wenn deine Büchsen knallen, Deine Feind zu Boden fallen, Dann steh’st du noch unerschreckt Im Gebürg, das dich noch deckt. 8. Schäm’t euch, Bair’n und Niederland, Und ihr falschen Deutschlands Bürger, Man heißt euch nun Menschenwürger, Euch bleibt ewig eure Schand. Ihr, die ihr den Kaiser hasset, Christi Glaub’n und Lehr’ verlasset Und lebt nach des Freigeist’s Lehr’, Sterbt verzweifelt wie Voltair’.43 Der anonyme Dichter erzählt vom sagenhaften Widerstand der Tiroler in der Vergangenheit – man habe sich weder den Römern noch im Jahr 1703 den Bayern unter Kurfürst Maximilian II. Emanuel gebeugt – und gesteht auch ein, dass die nun drohende Gefahr, das kaum noch besiegte französische Heer, um ein Vielfaches größer und unüberwindlicher scheint. Ein Hauch von Kritik an den eigenen Leuten wird in der fünften Strophe laut, wenn der Dichter formuliert: „Hast du gleich auch falsche Bürger, / Scheust du nicht die Menschenwürger / […] / „Ob du schon zu deiner Last / Manche zu Verräthern hast“. Damit waren wohl jene Tiroler gemeint, die die bayerische Regierung seit 1806 als durchaus annehmbar empfanden und mit den aufklärerischen Idealen sympathisierten. Bayern und die Niederlande als Satellitenstaaten des napoleonischen Frankreich werden ebenso diskreditiert wie die „falschen Deutschlands Bürger“. Der Dichter verurteilt die Abwendung der Rheinbundstaaten vom Kaiser des Heiligen Römischen Reiches („Ihr, die ihr den Kaiser hasset“) und unterstellt ihnen auch die Abwendung vom christlichen Glauben. Überhaupt war die enge Bindung der Bayern an Napoleon Stein des Anstoßes, was sich in einigen Liedtexten spiegelt. In einem undatierten Lied mit dem Beginn „Und ös, meine Boarn, derfts nöt triumphieren“, das aus dem Jahr 1809 stammen könnte, wird die den Tiroler Aufständischen verhasste Allianz zwischen Bayern und Frankreich aufs Korn genommen: Und ös, meine Boarn, derfts nöt triumphieren, Ös werds enka Landl noch sauba verlieren. Der Bonapart schmiert enk nur überall an, Wenn’s allsamt werds umbracht, was habt’s aft davon? […] Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 15), S. 240–242; früherer Abdruck bei Anton Peternader: Tirols Landes-Vertheidigung nebst interessanten Biografien und Skizzen merkwürdiger Tiroler Landesverteidiger, 3 Teile in einem Band, Innsbruck 1853, S. 173f. Siehe auch Liedindex, Nr. 78. 43 172 Kapitel 8 Und den Vater Unser habts a wollen verkehren Und, wo Glaub, Hoffnung und Lieb, wie ma hören, Der Bonapart Gott Vater, der Boarfürst Gott Sohn, Die sitzen beisama auf ’m höllischen Thron. Und ös, meine Boarn, oans muß i enk no sagen, Daß ohne Franzosen enk gar nix traut’s zu wagen, Und war koa Franzos nöt, so wars für uns rar, Wir wollten enks zoagn, wo’s Loch aussi war.44 Das Schützen-Lied hat einen zu komplexen Inhalt, als das es tatsächlich von Schützen etwa während des Marsches gesungen worden wäre. Interessant ist jedoch eine Information, die uns der Zeitzeuge Anton Peternader im Jahr 1849 überlieferte: Ihm zufolge war dieses Lied das erklärte Lieblingslied von Rupert Wintersteller,45 einem sehr viel weniger bekannten Landesverteidiger des Jahres 1809, und es sei 1832 auch bei dessen Begräbnis gesungen worden.46 Einen seltsam anmutenden lustigen, ja fröhlichen Ton weisen gleich mehrere Lieder auf, die im Jahr 1809 zur Agitation der kämpfenden Männer verfasst und in Umlauf gebracht wurden. So schrieb wahrscheinlich ein gewisser Simon Dagn47 das folgende Schützenlied der Kufsteiner Sturmmannschaft, zu dem keine weiteren Informationen vorliegen: Brüder, alle lustig auf, Wir geh’n itzt zum Franzosen, A grüner Hut, a Gamsbart d’rauf, Da werd’n sie recht losen. Freili sein wir nur Musketier Mit langen, schwaren Bixen, Allein dös macht uns gar nix hier, wir werd’n sie decht schon wixen. Die Kragen haben wir ja roth, Und dös bedeutet bracken: In unsern Säbeln ist der Tod, Wolln wir sie z’sammenhacken. Umsunst geh’n wir halt do nit aus, Wir wagen unser Leben, Wie lustig wird es sein zu Haus, Wenn wir hab’n Fauzen geben! […] TLMF, FB 1649/132. Eine weitere Variante dieses Liedes findet sich in: Hartmann/Abele (Hg.): Historische Volkslieder (wie Anm. 8), S. 113f. („Und ös meine Boarn, tuats nit jubiliern!“). Siehe auch Liedindex, Nr. 135. 45 Herta Haisjackl: „Major Rupert Wintersteller – Tiroler Schützenkommandant 1809. Der glücklose ‚Abgott der Unterinntaler‘“, in: Mazohl/Mertelseder (Hg.): Abschied vom Freiheitskampf? (wie Anm. 2), S. 199–222. 46 Peternader: Tirols Landes-Vertheidigung (wie Anm. 43), S. 170. 47 Über Simon Dagn konnte nichts in Erfahrung gebracht werden. 44 Passeirer Landsturmlied 173 Die werd’n d’Haxen ziehen ein Und schreiben: O Pardoni! Wir aber sabeln saggrisch drein Und sag’n: Oes Cujoni! – O Vater Franz schau her no daß Auf die Milizioten; Die Compagnie ist zwar nit groß, Do lassen sie nit spotten.48 Auch das nächste Lied anonymer Herkunft besitzt humoristische Züge: 1. Tiroler, laßt uns streiten anjetzt für’s Vaterland, den Säbel an der Seiten, den Stutzen in der Hand! Bedenkt, was wir erlitten seit jenem Friedensschluß! Für’s Vaterland gestritten! sei der Tiroler Gruß. Hallo, hallo, hallo, hallo! bei uns geht’s immer so. 2. Frau Wirtin, guten Morgen! schenk’ uns ein Gläschen ein! wir leben ohne Sorgen und wollen lustig sein. Laßt die Trompeten schallen! ihr Brüder, habet Muth! und sollt’ ja Einer fallen – wir wagen Leib und Blut. Hallo, hallo […] 3. Kartätschen und Haubitzen scheun wir Tiroler nicht, wir schießen von den Spitzen der Berge, daß es blitzt. Wir schießen Alles nieder was uns kommt vor die Hand, und rufen: tapfre Brüder, es gilt für’s Vaterland! Hallo, hallo […] 4. Auf, Brüder, schwingt die Hüte, schenkt euch die Gläser voll! trinkt euch ein froh Gemüthe, das Jeden stärken soll! Denkt nicht an künft’gen Morgen! denkt an die Gegenwart! zielt! schießt! seid ohne Sorgen! singt nach Tiroler Art: Hallo, hallo […]49 Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 15), S. 242f. Siehe auch Liedindex, Nr. 85. Ebd., S. 253f. Siehe auch Liedindex, Nr. 59. 48 49 174 Kapitel 8 Abb. 1: Sandwirth Hofers Leiblied, in: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (Hg.): Deutsches Volksgesangbuch, Leipzig 1848, S. 140f. Transkription. Dieses Lied taucht in einigen Liederbüchern des 19. und 20. Jahrhunderts unter dem Titel Sandwirth Hofers Leiblied auf. Im Jahr 1848 veröffentlichte es August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (1798–1874) in seinem Deutschen Volksgesangbuch mit Melodie (siehe Abb. 1).50 Er gab an, das Lied (möglicherweise mit Melodie) auf einem fliegenden Blatt von 1809 aus Tirol gefunden zu haben. Eine Datierung dieses Liedes August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (Hg.): Deutsches Volksgesangbuch, Leipzig 1848, S. 140f. Des Weiteren findet sich das Lied wieder im nationalsozialistischen Liederbuch von Josef Eduard Ploner (Hg.): Hellau! Liederbuch für Front und Heimat des Gaues Tirol-Vorarlberg. Im Auftrage des Gauleiters und Reichsstatthalters Franz Hofer, Potsdam 1942, S. 48f. Siehe auch Liedindex, Nr. 59. 50 Passeirer Landsturmlied 175 fällt jedoch schwer. Der Liedtitel Sandwirth Hofers Leiblied kam wahrscheinlich erst Jahrzehnte später zum Lied, als die Etikette „Hofer“ auf alles aus dem Jahr 1809 angebracht wurde. Der Tiroler Komponist Sepp Tanzer, der uns schon an anderer Stelle begegnete,51 wob neben dem Lied „Den Stutzen hear, beym Soggara“ auch Sandwirth Hofers Leiblied in seine Suite Tirol 1809 ein.52 Amüsante Lieder mit spöttischen Versen üben, sofern sie gut gereimt sind, eine günstige Wirkung auf das Publikum aus, schließlich heitern sie auf, ziehen den Feind ins Lächerliche und erleichtern somit den Kampf. Fazit Die besprochenen Beispiele zeigen, dass ab April 1809, als der Aufstand losbrach, in Tirol eine weniger „rege“ Lyrikproduktion zur Agitation einsetzte, als dies in den Jahren 1796/1797 der Fall gewesen war. Aufgrund der anders gearteten politischen Situation hatte die Landesverteidigung von 1796/1797 eine große Zahl von patriotischen, mobilmachenden Liedern hervorgebracht, während aus dem Jahr 1809 wesentlich weniger Lieder bekannt sind. Ferner wurden die überlieferten Lieder meist nicht zu ihrem Entstehungszeitpunkt gedruckt, sondern fanden in erster Linie mündlich Verbreitung. Obwohl das bayerische Militär mehrmals aus Tirol verdrängt wurde, bot die innen politische Lage nie jene günstigen Voraussetzungen für politisches Liedschaffen, wie man sie aus den Jahren 1796 und 1797 kennt. Zu berücksichtigen ist auch das wechselnde Kriegsglück der Tiroler Kompanien, die mehrmaligen Veränderungen infolge der Bergiselschlachten oder der für die Tiroler unglücklich verlaufenen Kämpfe etwa am Pass Strub, die eine Kontinuität der agitativen Lyrik vermutlich eher behinderten. Überhaupt ist anzunehmen, dass uns heute nur mehr ein Bruchteil jener Lieder bekannt ist, die anlässlich des Aufstandes 1809 gedichtet und komponiert wurden, weil sie entweder rasch an Aktualität verloren und deshalb nicht mehr gesungen wurden, oder einfach verloren gingen, da man sie nie aufgezeichnet hatte. Anhand von Tagebuchaufzeichnungen aus jenem ereignisreichen Jahr lässt sich heute der damalige Stellenwert der Musik nachvollziehen. So berichtete Anton Knoflach, der als Rechtspraktikant und Hauslehrer in der Familie Di Pauli in Innsbruck lebte und somit die Geschehnisse von 1809 als Zeitzeuge miterlebte, dass in jenen Tagen Trommeln, Pfeifen und Trompeten eine stete Begleitung des städtischen Treibens in den Gassen Innsbrucks waren.53 Militärische Musik, in zeitgenössischen Dokumenten aufgrund ihrer Besetzung meist als „Türkische Musik“ bezeichnet, war auch 1809 ein wichtiges Medium in vielerlei Hinsicht. Zum einen gaben die Trommler und Schwegler den Kompanien den Marschrhythmus vor, zum anderen erfüllten sie Signalfunktionen. Auch kennt man einzelne militärische Stücke, wie etwa jenen Schwegelmarsch, der laut dem Volksmusikforscher Karl Horak „1809 beim Ausrücken der Harter Schützen Siehe Kapitel 1 in diesem Band. Sepp Tanzer: „Tirol 1809“ – Suite in 3 Sätzen für Harmoniemusik, Edition Helbling, Innsbruck – Wien 1954. 53 Franz Schumacher (Hg.): Anton Knoflach’s Tagebuch über die Ereignisse in Innsbruck im Jahre Neun, Innsbruck 1909 (Anno Neun XIII), o. Sz. Vgl. auch Kapitel 10 in diesem Band. 51 52 176 Kapitel 8 gegen die Truppen Napoleons gespielt [wurde]“,54 oder einen Marsch, der während der Schlacht bei der Pontlatzer Brücke im August 1809 Einsatz fand.55 Aus bayerischer Sicht stellt das Tagebuch des Infanteristen Josef Deifl (1790–1864) ein wertvolles Egodokument dar. Im Jahr 1809 führte ihn der Krieg auch nach Tirol, wo seine Eintragungen ansatzweise offenbaren, wie sehr das spöttische Singen zur Demoralisierung der bayerischen Soldaten instrumentalisiert wurde – und letztlich aber zur erhöhten Aggression beitrug: Ich war damalls auch noch ein junger Braußekopf – wenn ganz Tyroll einen Hals gehabt hätte, ich würde ihn mit meinem Sebel abgehauen haben, denn das Spotten und verfluchte Jodeln brachte manchen in die Hitze. Als sie einmall bey Innsbruk auf dem Berg Isel, das war im Monat August den zweyten Einfall, immer geschrien haben: „Boar Vak (= Schwein), Boar Vak, zu zu zu tru lulu etc.“ und dann Liedlen: „Der boarische Kini, der Hungerleider, der Kirchenausrauber, der Vakentreiber“ –, da kann ich mich nicht anders rächen, als ich zog den Sebel und haue alle Kohlköpf, türkischen Weizen, blühenden Stämme etc. weit umher nieder auf dem Feld […].56 Und sogar die oben erwähnte Grabinschrift auf die Bayern bekam Deifl zu Gehör: Deroy findet sich zu schwach und zieht sich in der allerschönsten Ortung zurück, über Altdorf, Pfetterach, Pfeffenhausen, Siegenburg; Lager – die Österreicher Tirolers schrien immer nach, spottweiß: „auhweh, auhweh, die Bairische Armee“.57 Die meisten Lieder zu den Ereignissen von 1809 sind anonym überliefert, offenbaren aber in der Mehrzahl gebildete Verfasser. Auffallend ist das Fehlen von stark dialektal gefärbten Texten. Als anvisiertes Publikum sind zum einen die zum Aufstand ausziehenden Schützen auszumachen, zum anderen aber auch die Allgemeinheit. Das Ziel der meisten Lieder bestand darin, Widerstand gegen die bayerische Regierung auszulösen. Dass der Mangel an Flugblättern in erster Linie ein Indiz für die mündliche Überlieferung der Lieder sein könnte, wurde schon mehrfach betont. Diese Feststellung wirft die Frage auf, wer die Lieder vermittelte – etwa fahrende Sänger?58 Oder war ihre Verbreitung eine Art Beiläufigkeit, die mit dem Marsch der Schützen durch die Täler Tirols einherging? Fanden die Lieder ihre primäre Rezeption in den Wirtshäusern? Tatsache ist, dass aus dem Jahr 1809 wesentlich mehr mündlich überlieferte Lieder bekannt sind als aus den Jahren 1796 und 1797. Karl Horak (Hg.): Instrumentale Volksmusik aus Tirol, Innsbruck 1985 (Volksmusik in Tirol. Quellen, Dokumente und Studien 2), S. 319. 55 Hildegard Herrmann-Schneider: „Andreas Hofer und die Tiroler Freiheitskämpfe als musikalisches Sujet. Ereignisse – Heldentum – Erinnerung“, in: Der Schlern 83 (2009), Heft 7: Juli, S. 4–52. 56 Eugen von Frauenholz (Hg.): Infanterist Deifl. Ein Tagebuch aus napoleonischer Zeit, München 1940, S. 24. 57 Ebd., S. 19. 58 Robert Franz Arnold und Karl Wagner, die zum hundertjährigen Jubiläum des Kriegsjahres 1809 ein Buch über die politische Lyrik dieses Jahres publizierten, sind der Meinung, dass „bald nach der Erhebung“ fahrende Sänger in Tirol unterwegs waren, geben jedoch keine weiteren Quellen an; siehe Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 15), S. 452. 54 Kapitel 9 „Und die Baurn haben sich gwehrt, dem Bayr-König zum Trutz“. Lied über die Vorfälle im August im Ober-Innthale Silvia Maria Erber Lied über die Vorfälle im August im Ober-Innthale […] 1. Jetzt hört meine Bayern was ich euch will sing! Von denen Tyrolern, ein wunderschön Ding. Vier König sind gewesen, der M a n n p a r t zugleich Ihr sollt euch ja schämen, über Tyrol zu seyn! 2. Jetzt sind halt die Bayern auf I n n s b r u c k ankem, Mit vierzig tausend Mann wollens Landl einnehm, Ziehen die Truppen ins O b e r - I n n t h a l , Und die Leut seynd filz falsch, unds Landl filz schmal. 3. Und ziehen die Truppen bis aufi den P r u z Und die Baurn haben sich gwehrt, dem Bayr-König zum Trutz, Sie sind schon umrungen, die Brücken sind weg, Hat’n Tag und a Nacht daurt, habens G’wehr niederlegt. 4. Und jetzt habn die Bayrn das Fahnl geschwunga Und die V i n t s c h g a u e r sind komma ins Lager gesprunga, Sie habn alls ausg’raubt jetzt habts schon g’hört, Und zum Schiessn ist keiner, kein Blutzer nicht werth. 5. Und selgesmal zu L a n d e c k hots a sakkrisch geschnellt, Unsre Frau von K a l t e n b r u n n hat’s so habn gewellt, Von L a n d e c k bis auf I n n s b r u c k ist eine lange Strassen, Und da habn viel Bayrn das Leben gelassen. 6. Und man fahrt mit der Jagd bis auf I n n s p r u c k herab Bevor der S a n d w i r t h bericht sey, sind die Bayrn schon da; Den Pfinstag um zwey habn wirs dem S a n d w i r t h g’sagt, Und da habn wir die Bayrn in den Löchern schon gehabt. 7. Und auf dem Berg I s e l haben wir uns sakkrisch gstellt Und hots halt den Freytag, den ganzen Tag geschnellt, Der S a n d w i r t h zieht Truppen über die E l l b ö g e n heraus, Und den Sonntag um zwey sind die Faken heraus.1 1 Zit. nach Jakob Levi Salomo Bartholdy: Der Krieg der Tyroler Landleute im Jahre 1809, Berlin 1814, S. 234–237 (Erstdruck des Liedes). Ein weiterer Beleg: siehe Lied von anno neun, gesammelt von Klara Pölt-Nordheim, mitgeteilt 1916 [Tiroler Volksliedarchiv, Innsbruck (im Folgenden: TVA), A 8324]. Siehe auch Liedindex, Nr. 42. 178 Kapitel 9 Das siebenstrophige Lied handelt von der dritten Schlacht am Berigsel, die am 13. August 1809 zwischen bayerischen und französischen Truppen auf der einen und tirolischen und österreichischen Kompanien auf der anderen Seite stattfand. Konkret bezieht sich das Lied, auf dessen Beliebtheit man aufgrund vieler Belege schließen kann, auf die „Vorfälle im August im Ober-Innthale“, als bayerische Soldaten teils plündernd von Scharnitz durchs Oberinntal Richtung Vorarlberg zogen.2 Erstmals wurde der Text im Jahr 1814 von Jakob Bartholdy in dessen Werk Der Krieg der Tyroler Landleute im Jahre 1809 veröffentlicht.3 Zu Beginn des Liedes erfolgt die Ansage, dass nun „ein wunderschön Ding“ über die Tiroler erzählt werde, d. h. es ist anzunehmen, dass zum Zeitpunkt der Entstehung des Liedes für die Tiroler die Zeichen noch auf Sieg standen. Der anonyme Dichter spricht über vier Könige und meint damit die Könige von Sachsen, Württemberg, Bayern und den Vizekönig von Italien, die Napoleon Bonaparte, im Lied „Mannpart“ genannt (ein Ausdruck, der in vielen lyrischen Texten aufscheint), bei seinem Feldzug gegen die Tiroler unterstützen. Er beschreibt den Zug der Soldaten durch das Oberinntal und wie es bei Prutz zu mehreren Gefechten kam, ehe die Bayern „das Fahnl gschwunga“, also aufgegeben haben.4 In der vierten Strophe kritisiert der Dichter indirekt die Vinschgauer Kompanien, indem er ihnen vorwirft, die feindlichen Gefangenen ausgeplündert zu haben. Die sechste Strophe handelt vom Auftakt zur dritten Bergiselschlacht, die damit endete, dass „am Sonntag um zwey“ die als „Faken“ (Schweine) bezeichneten Bayern abziehen mussten. Die Vorgeschichte ist rasch erzählt. Nach der zweiten Bergiselschlacht Ende Mai war im Juni und Juli wieder Ruhe eingekehrt. Nachdem aber Österreich dem napoleonischen Heer in der Schlacht von Wagram unterlegen war und Napoleon sich daraufhin wieder gestärkt fühlte, erteilte er am 27. Juli den Befehl zur Wiederbesetzung Tirols. Nun rückte Marschall Lefebvre wieder mit mehr als 20.000 Soldaten gegen Innsbruck vor. Die Landesverteidigung war ein drittes Mal schnell organisiert, da die Männer bereits mobilisiert waren. Andreas Hofer, der mittlerweile von Joseph Freiherr von Hormayr zum Oberkommandanten für das südliche Tirol ernannt worden war, ordnete für den 13. August den Angriff auf Innsbruck an, der schließlich für die Tiroler Kompanien glücklich verlief. Die französischen, bayerischen und sächsischen Divisonen unter Lefebvre mussten abziehen. Die dritte Bergiselschlacht hatte eine wesentliche Änderung in der Landesverwaltung zur Folge: Mitte August übernahm Andreas Hofer die Leitung der Zivilverwaltung Tirols – angesichts der unklaren Lage ohne kaiserliches oder landständisches Mandat und lediglich auf „Zuruf“ einiger Vertrauter.5 Das Lied ist relativ untypisch für die lyrischen Produktionen im Jahr 1809, da es narrativen Charakter hat und damit Nachrichtenwert besitzt. Die Verse schildern bemerkenswert detailgetreu die Ereignisse im Oberinntal und rund um die dritte Bergiselschlacht. Ob das Lied eine Art „Zeitungslied“ war mit dem Zweck, neue Nachrichten Josef Hirn: Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 552. Bartholdy: Der Krieg der Tyroler Landleute (wie Anm. 1), S. 237. 4 Meinrad Pizzinini: Andreas Hofer. Seine Zeit – sein Leben – sein Mythos, Innsbruck – Wien – Bozen 2008, S. 188. 5 Georg Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe“, in: Josef Fontana / Peter W. Haider / Walter Leitner / Georg Mühlberger / Rudolf Palme / Othmar Parteli / Josef Riedmann (Hg.): Geschichte des Landes Tirol. 2. Band: Die Zeit von 1490 bis 1848, Bozen – Innsbruck – Wien 1986, S. 289–579, hier S. 528–531. 2 3 Lied über die Vorfälle im August im Ober-Innthale 179 vom Krieg zu verbreiten, ist nicht bekannt, weil diesbezügliche Quellen fehlen. Der Abdruck des Liedtextes in Bartholdys Publikation von 1814 und dann 1836 in der Sammlung Ein Hundert Deutsche Historische Volkslieder von Friedrich Leonard von Soltau (1800–1846)6 zeugt von seinem hohen Bekanntheitsgrad. Und selbst 1916, also mehr als hundert Jahre nach seinem mutmaßlichen Entstehungszeitpunkt, wurde das Lied dem Tiroler Arbeitsausschuss des Unternehmens Das Volkslied in Österreich als ein „im Volk“ nach wie vor bekanntes Lied mitgeteilt und fand unter dem Titel Lied von anno neun Eingang in die Volksliedsammlung.7 Aufgrund seiner Reimform vermutet Oswald Menghin, dass der Text auf die Weise des in Tirol bekannten Sterzingermoosliedes gesungen wurde.8 Doch wie bereits festgestellt, gibt es keine Hinweise auf die Melodie des Liedes. Eine Schimpfrede auf die Bayern Ein weiteres Lied aus der Phase des Tiroler Aufstandes ist der Tirolergesang vom Jahr 1809, bei dem es sich um eine „verbale Abrechnung“9 der Tiroler Bevölkerung mit der bayerischen Regierung handelt. Zu diesem in mehreren Varianten überlieferten Lied existiert auch ein Melodiebeleg von 1913 (siehe Abb. 1). Tirolergesang vom Jahr 1809 1. Jetzt hat si des Blattl auf oamal gewendt, Jatzt haben die Boarn selba eah Untreu erkennt, Sie bittn den Kaiser um Gnad und Pardon, Er sollt nur grad desmal eah Landl vaschon! Ja sie wolln eahm scho all eini geh in sein Stall. 2. Und es, meini Boarn, des sag i enk scho, Vo enk war ma glafa koan Schritt ned davo, Es hätts des Tirol enka Lebtag net kriagt, Mia hättn enk bundn, eigfatscht und eigwiagt Und in Schlaf gsunga a, wenn da Franzos net war. 3. Es habts des treue Tirol kloa vowüast, Es hamt de Leut lang a de Berg dani gmüaßt, Es Boarfackn, des is enk a no net gnua, Habts Weib und Kind dahoam geschundn aufs Bluat, Steht gar net lang o, kriagts selba den Loh. Friedrich Leonard von Soltau (Hg.): Ein Hundert Deutsche Historische Volkslieder, Leipzig 1836, S. 577– 579. Über Soltau siehe Edward Schröder: „Leonard von Soltau“, in: Allgemeine deutsche Biographie 34 (1892), S. 587f. (Onlinefassung); www.deutsche-biographie.de/pnd117475653.html?anchor=adb (31. 07. 2013). 7 TVA, A 8324. 8 Oswald Menghin: „Andreas Hofer im volkstümlichen Liede“, in: Anon. (Hg.): Anno Neun. Volkslieder und Flugschriften, Brixen 1912 (Bücherei des Österreichischen Volksschriftenvereins 5), S. 5–62, hier S. 25. 9 Uli Otto / Eginhard König: „Ich hatt’ einen Kameraden …“. Militär und Kriege in deutschen historischpolitischen Liedern in den Jahren von 1740 bis 1914, Regensburg 1999, S. 250. Das Sterzingermooslied findet sich u. a. bei Ludwig von Hörmann: Tiroler Volksleben. Ein Beitrag zur deutschen Volks- und Sitten kunde, Stuttgart 1909, S. 21. 6 180 Kapitel 9 4. Was da boarisch Soldat nit mitn Stain hat a gmegt, Ham de boarischn Bauern auf d’ Wagn aufiglegt, Kessel und Pfanna und Hack und Sapi, Was bein Häusern ist gwesn, habts allssamt dahi, Net grad Strümpf und Schuach, a vui Leda und Tuach. 5. Wa i no da Kaisa, i tats enk scho sagn, I machat a Pechlaugn und tat enk scho zwagn (waschn), I tat enk an Kopf abiwaschn so schö, Daß enk da Bart samt Haar abi müaßt geh, Bua, des war enk gsund, es boarische Hund’. 6. Jatzt müaßt i oas singa, wenn i gar nimma mecht, Jatzt wer ma ge Kaisalich, is enk aft recht? Und wenns enk net recht is, müaßts sies halt sagn, Denn wer boarisch wui bleibn, den toa ma daschlagn, Drum sagt sies nur bal, iatzt habts no die Wahl. 7. Und d’ Amtleut und Richta und d’ Schreiba allsamt San an Teufi auskemma, iatzt sans auf Land, Sie schindn de Bauern, i kunnts enk net sagn, Es war ja koa Wunda, mia tatn’s daschlagn. Wenns anders net werscht, gschichts heuer für verscht. 8. Zerst hams vo hundert zwei Guldn Zins gebn, Ham d’ Leut vaschont und hams no lassn leben. Jatzt müassens halt fünf und sechsahalb sei, Und wenn des net hast, na magst di schon gfreu, Braucht weita nix mehr, deine Küah müassn her. 9. D’ Iber und ’s Viech, des habts uns alls graubt, ’s Geld ausn Sack, wer hats enk dalabt? Die Küah habts ins gschlacht und die Ros habts gstohln, Und iatz soll enk da Teufi lebendiger holn! Er holat enk wohl, aber die Höll wird eahm z’ voll. 10. Es habts ins die Kirchn und d’ Häusa zammbrennt, Habts gmoant, es is –? wenns schö zammbrunna send, Aba Gottlob, iatzt sans wieda aufbaut, Weil ihr auf das Kirchgeld so viel guat schaut, Empfinds die ganze Gmoa, müassn all Leut dertoa. 11. Was ham enk die Kirchn und Gotteshäuser to? Habts koa Tafi ganz lassn, koan Heilignfoh, Es habts enk ja gar übers Heiligtum traut, Habt’s Ciborium gstohln und an Kastn eighaut; Is des a recht so? Koa Türk häts net to. 12. Wer des Liadl hat dicht, des ko i net sagn, Mi tuats allwei wundern und mags nia dafragn I tua ma grad denka, koa Lapp hats net to, Er hats selba probiert und er kennt die Boarn scho, Und wer sagt, des is grob, dem mach ma die Prob!10 Zit. nach Otto/König: „Ich hatt’ einen Kameraden …“ (wie Anm. 9), S. 249f. – In einer leicht unterschiedlichen Form auch unter dem Titel Der baierische Einbruch überliefert (TVA, A 5408, inkl. Melodie: TVA, A 5415). Siehe auch Liedindex, Nr. 41. 10 Lied über die Vorfälle im August im Ober-Innthale 181 Abb. 1: Der boarische Einbruch, vorgesungen von Ulrich Aschaber, Bauer zu Hennleiten in Reith bei Kitzbühel, aufgezeichnet von Ludwig Weinold, Lehrer, im Frühjahr 1913 (Tiroler Volksliedarchiv, A 5415, mit Hinweis auf weitere Strophen). Transkription. In den Strophen dieses Liedes stecken nicht nur nachträgliche Anklagen gegen die baye rische Regierung, Kritik an der damals herrschenden „Beamtenwillkür“ und Entsetzen über die Kriegsgräuel während des Aufstandes 1809, sondern sie umfassen auch einen Rückblick auf die Aufbauarbeit im teilweise zerstörten Land. In wütendem Ton erzählt der anonyme Dichter von der angeblichen Kirchenfeindlichkeit der Bayern, die zur Zerstörung von Kirchen geführt habe, und offenbart in einigen Strophen deutlich seine Rachegelüste (z. B.: „I tat enk an Kopf abiwaschn so schö, / Daß enk da Bart samt Haar abi müaßt geh“). Auch wenn dieses Lied meistens mit 1809 datiert wird, weisen nicht nur sein Abrechnungscharakter, sondern im Text selbst auch der Hinweis, „Jatzt haben die Boarn selba eah Untreu erkennt“, auf eine spätere Entstehung hin. Während das bayerische Königreich unter König Maximilian Joseph I. bis 1813 an der Seite Napo leons im Rheinbund kämpfte, wechselte es mit dem Vertrag von Ried im Jahr 1813 die Seiten und trat der antinapoleonischen Koalition bei.11 Es ist gut möglich, dass das Lied erst 1813 oder später entstanden ist, zumal sich zu diesem Zeitpunkt bereits die Rückführung Tirols zur österreichischen Monarchie („Jatzt wer ma ge Kaisalich“) und damit das Ende der seit 1810 wieder bestehenden bayerischen Herrschaft abzeichnete. Die Möglichkeit, seinen Unmut über das Geschehene zu artikulieren, ihn auch grob und aggressiv vorzutragen – natürlich immer unter dem Schutzmantel der Anonymität –, war also durchaus gegeben. Karl Vocelka: Glanz und Untergang der höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im habsburgischen Vielvölkerstaat 1699–1815, Wien 2004 (Österreichische Geschichte), S. 182. 11 182 Kapitel 9 Abb. 2: Lied aus der Zeit der Tiroler Freiheitskämpfe (Beginn), in: Franz Friedrich Kohl: Echte Tiroler-Lieder, Wien 1899, S. 251. Siehe auch Tiroler Volksmusikverein / Südtiroler Volksmusikkreis (Hg.): Echte Tiroler Lieder. Ergänzte und kommentierte Neuausgabe der Tiroler Liedersammlungen von Franz Friedrich Kohl, 1. Band, Innsbruck – Wien 1999, S. 152f. Die Rezeptionsgeschichte des Tirolergesangs vom Jahr 1809, der auch unter dem Titel Unterinnthalisches Volkslied 1809 bzw. als Boarlied 12 bekannt ist, ist ausnahmsweise relativ gut belegt.13 Anton Peternader, der Biograf einiger Kämpfer des Jahres 1809, druckte das Lied bereits 1853 als Tiroler-Lied über die Baiern und merkte an, dass es noch 1847 während der Feierlichkeiten zu einem Scheibenschießen, an dem auch Veteranen vom Jahr 1809 teilnahmen, von Schützen gesungen wurde. Von Peternader stammt auch der einzige Hinweis auf den Textdichter: angeblich ein Bauer aus dem Nordtiroler Unterland.14 Diese Bezeichnung für das Lied verwendet Rudolf Sinwel in seiner Abhandlung „Das ‚Boarlied‘ und dessen mutmaßlicher Verfasser“, in: Tiroler Heimatblätter 2 (1924), Heft 3: September, S. 9–12. 13 Siehe ebd. 14 Anton Peternader: Tirols Landes-Vertheidigung nebst interessanten Biografien und Skizzen merkwürdiger Tiroler Landesvertheidiger, 1. Teil, Innsbruck 1853, S. 54f. 12 Lied über die Vorfälle im August im Ober-Innthale 183 Im Jahr 1899 veröffentlichte der Tiroler Volksliedsammler Franz Friedrich Kohl das Lied unter dem Titel Lied aus der Zeit der Tiroler Freiheitskämpfe in seiner Sammlung Echte Tiroler-Lieder, und zwar mit einer Melodie und im vierstimmigen Satz des Wiener Komponisten Josef Reiter (siehe Abb. 2). Kohl hatte das Lied 1898 von Elise Blattl aus St. Johann in Tirol, der Enkeltochter des Bauern Christian Blattl d. Ä., der selbst 1809 an den Kämpfen teilgenommen hatte, gehört.15 Im Tiroler Volksliedarchiv ist neben dem vollständigen Lied16 auch das Bruchstück eines 1896 aufgezeichneten, aber schon 1796 bekannten „Franzosenliedes“ überliefert, das aus einigen leicht abgeänderten Strophen des Liedes besteht.17 Rudolf Sinwel widmete dem Boarlied 1924 einen Aufsatz und gab an, dass das Lied bis in die 1920er-Jahre bekannt war. Als Auskunftsperson nannte er eine Wirtstochter, „die es selbst singenden Holzknechten abgelauscht“ habe.18 Auch die Sammlung oberbayerischer Volkslieder des bayerischen Volksliedpflegers Pauli Kiem (1882–1960) beinhaltet den Tirolergesang vom Jahr 1809.19 Kiem zufolge habe sich eine Frau aus Kössen (Tirol) noch 1928 an den Text des Liedes erinnern können, jedoch nicht mehr an die Melodie. Mehrere handschriftliche Belege aus unterschiedlichen Tälern Tirols zeigen die weite, teils mündliche Verbreitung des Liedes bis ins 20. Jahrhundert auf.20 Mit Sicherheit zählt der (falsch datierte) Tirolergsang vom Jahr 1809, dessen Verfasser unbekannt ist, zu den bekanntesten und meistgesungenen Liedern mit politischem, sich auf die Ereignisse von 1809 beziehenden Inhalt. Ein Lied auf Speckbacher – oder doch Hofer? Im Mittelpunkt eines weiteren Liedes, das kurz nach dem Aufstand 1809 entstanden sein dürfte, steht Josef Speckbacher (1767–1820), einer der wichtigsten Mitstreiter Andreas Hofers: Lied auf Speckbacher. 1. Frisch auf, frisch auf Tirolerbue, Geh, richt dir jetzt dein Stutz’n zu. Hast du ihn nit im Hause mehr, So hol ihn nur vom Wald daher. 2. Franzos’n und Bayern, kommt nur herein, Mier wöll’n eure Begleiter seyn, Solang mier hab’n Pulver und Bley, Bleib’n mier dem Kaiser Franz getreu. Franz Friedrich Kohl (Hg.): Echte Tiroler-Lieder, Wien 1899, S. 251f. Siehe auch Kapitel 14 in diesem Band. 16 TVA, A 3381. 17 „Die Baiern und d’Antn / Habts uns a alls zamm gstohln / Jetz möchte enk der Teufel / Lebendig glei holn. / Er holet enk wohl, / Aber d’Häll wur’n z’voll. / 2. Es habt senk sogar / über’s Heiligste traut, / Die Türn eingschlagn, / Die Fenster einghaut’s / Ciborium gstohln. / Ist wohl des a Reschu [Raison]? / Koa Türk hatt’s nit tu“ (TVA, A 6710, aus der Sammlung von Adolf Dörler, 1896). 18 Sinwel: „Das ‚Boarlied‘“ (wie Anm. 12). 19 Pauli Kiem (Hg.): Sammlung Oberbayrischer Volkslieder, München 1962 (11934), S. 172–174. 20 Sinwel: „Das ‚Boarlied‘“ (wie Anm. 12), S. 9. 15 184 Kapitel 9 3. Der Kaiser Franz, der liebt uns wohl, Das wissen mier alle in Tyrol, Drum hab’n mier uns aufs neu erwählt Den Speckbacher zum Kriegsheld! 4. Den Speckbacher zum Kriegesheld, Als Obrist ist er b’stellt in’s Feld, Er lebet noch, er lebet noch Im Volderthal auf einem Joch. 5. Von dorten kommt er glei hervor Mit lustigem Tyrolerkor, Er fangt a wieder z’schlagen an Und schwingt aufs neu den Kriegesfahn. 6. Tyroler streiten fürs Östreicher Haus Und zeichnen sich als Sieger aus, Damit sie werden einst befreit Von ihrer harten Dienstbarkeit.21 Das Lied auf Speckbacher wirkt durchwegs so, als wäre es noch während des Aufstandes gedichtet worden. Nur der Hinweis auf Speckbachers Versteck im Voldertal (vierte Strophe) verrät, dass der Text erst nach der Niederschlagung der Erhebung im November 1809 entstanden sein dürfte. Auch wenn der Krieg bereits beendet war, so schwingen doch agitierende Töne mit. Die Hoffnung, dass Speckbacher wiederkehren und zum Weiterkämpfen aufrufen würde, ist deutlich erkennbar. Die Hinweise auf eine Rezeptionsgeschichte dieses Liedes sind spärlich. Flugblattdrucke sind keine bekannt, doch einige Volksliedsammler des 19. Jahrhunderts fanden das Lied des Druckes wert.22 Im Jahr 1884 veröffentlichte es Ludwig August Frankl in seiner Sammlung Andreas Hofer im Liede, die in erster Linie Gedichte, die nach Hofers Tod entstanden waren, enthält, doch in der von ihm festgehaltenen Version rückt Andreas Hofer in den Mittelpunkt der Geschehens. So lautet die vierte Strophe: „Den Hofer zum Kriegesheld! / Als Anführer ist er bestellt in’s Feld! / Er lebt noch, er lebt noch / Im Passeier auf einem Joch.“23 Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun – die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des politischen Vereines in Wien XI), S. 269f.; außerdem in: Ludwig August Frankl (Hg.): Andreas Hofer im Liede, Innsbruck 1884, S. 114f. Siehe auch Liedindex, Nr. 95. 22 Heinrich Rudolf Hildebrand (Hg.): F. L. Soltau’s Deutsche Historische Volkslieder, Zweites Hundert. Aus Soltau’s und Leyer’s Nachlaß und anderen Quellen, Leipzig 1856, S. 445–447; Franz Wilhelm von Ditfurth (Hg.): Historische Volkslieder der Zeit von 1756 bis 1871. 1. Band, 2. Heft: Die historischen Volkslieder vom Ende des siebenjährigen Krieges, 1763, bis zum Brande von Moskau, 1812, Berlin 1872, S. 352f.; Franz Wilhelm von Ditfurth (Hg.): Historische Volkslieder des österreichischen Heeres von 1638– 1849, o. O. 1849, S. 83; Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 21), S. 269f. 23 Frankl (Hg.): Andreas Hofer im Liede (wie Anm. 21), S. 114f. 21 Lied über die Vorfälle im August im Ober-Innthale 185 Fröhliche Kampflieder und ein melancholisches Soldatenlied In Volksliedarchiven lassen sich noch einige Strophen finden, die inhaltlich zum Jahr 1809 passen, aber nicht eindeutig datierbar sind. So könnte folgendes Lied, dessen Melodie ebenfalls im Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg i. Br. vorliegt, ebenso aus den Jahren 1859 oder 1866 stammen: Auf auf ihr Tiroler, wir müssen in das Feld. Für uns giebt der Kaiser das Brod u. das Geld, Wir müssen marschieren zum Feinde hinaus, und müssen uns streiten fürs Kaiserliche Haus. /: Juheirasasa, Tiroler stehn da. Sie tragen grüne Hütchen und sauber stehn sie da. :/24 Nur mündlich überliefert ist das Lied Net zum Spiel, nåh zum Kampf, das der deutsche Volksmusikforscher Alfred Quellmalz im Rahmen seiner Südtiroler Feldforschungen von 1940–1942 auf Band festhielt und 1968 im ersten Band seiner Südtiroler Volkslieder veröffentlichte (siehe Abb. 3): 1. Net zum Spiel, nåh zum Kåmpf, außer geaht’s im Pulverdåmpf ! Nur Kurasch, dö Bagasch hauts glei auf die Tåsch! 2. Boarn, Sachsn und Franzosn, blowe Röck und rote Hosn, treibts die Bånde mitanånd lustig aus ’n Lånd! 3. Unser Lebm in der Schånzn schlågn mir für den Kaiser Frånzn, wenn i fåhr, tüat ’s lai wåhr, kriagst du ’s auf die Påår. 4. Mit dem Drischl, mit die Stutzn wölln mir geahn dös Gsindl putzn: Hauts glei drein, weard wohl sein, seids lai net so fein. 5. Gschumpfn håbm s’ üns Weib und Kinder, gstohln håbm s’üns Roß und Rinder; auf ’n Altår der Herrgott går selbst ist in Gfåhr. 6. Kastelruther, Pseirer, Sarner, Vintschger, Pustrer, Lüsner, Vahrner, jedes Tål von Tirol gibt zum Kåmpf sein Soll. Deutsches Volksliedarchiv, Freiburg i. Br. (im Folgenden: DVA), A 73972, mit Melodie; Anmerkung: „Lieder der Brienzer Mädchen, Bern, Schweizerisches Archiv, keine Datierung“. Siehe auch Liedindex, Nr. 8. 24 186 Kapitel 9 7. Kommåndieren tuat der Ander, folgen müassn ihm åll die Mander; Herr im Lånd, Kommandånt sei der Wirt von Sånd. 8. Weiber, Kinder tüats net rearn, weardn mir decht erst wiederkeahrn, betet ös üns indes, håltet euer Gfreß! 9. Wenn für’s Våterlånd mir fålln, weard’s üns Gott im Himmel zåhln! Haut dem Gsindl auf die Grind. Auß mit die Hünd!25 Mit derben Phrasen versucht der anonyme Dichter, sein Publikum zum „Dreinschlagen“ zu bewegen. Es könnte sich rein inhaltlich – auch wenn jegliche weiteren Zeugnisse fehlen – um ein authentisches Lied aus dem Jahr 1809 handeln und zu einer Zeit entstanden sein, als man Hofer schon offiziell „Oberkommandanten“ nannte (Juni 1809).26 Auch ein 1909 aufgezeichnetes, im Deutschen Volksliedarchiv aufbewahrtes und ebenfalls von Quellmalz dokumentiertes Lied (siehe Abb. 4) lässt sich kaum datieren: 1. Lustig wir Tiroler, wir ziehen auf das Feld, wir sein für den Glauben zum Streiten bestellt. 2. Vater und Mutter, seid doch nicht betrübt, und macht mir kein schweres Herz, wenn i fort muß in Krieg. 3. Kohlschwarzbraune Äugelein fließen von Tränen, wenn i von mein Vaters Haus Urlaub muß nehmen. 4. Urlaub muß i nehmen, muß auf und davon, und die Boarn und Franzosn, die ziagn schon ån. 5. Denn der uan nimmt den Sabl, der ånder die Büchs, und nur hear, ihr Franzosn, mir fürchten uns nix. 6. Jetzt bin i blessiert und mein Leben ist aus, muß mein Schatz verlassen und meines Vaters Haus. 7. „Liebe Kameraden, ich bitte euch all, ach, schreibt mir den Todesschein und meinen Nam. 8. Wenn meine Liebste tut fragen nach mir und dann sagst: ‚In der Ewigkeit und nicht mehr hier.‘ 9. Und wenn sie tut fragn und dann sagst, i bin gstorbm, und wenn sie recht übel tut, sagst, i kimm morgn.“27 Alfred Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder. 1. Band: Balladen, Schwankballaden, Moritaten, historische Lieder, ältere Soldatenlieder, Ständelieder, Bauern und Knechte, Kassel u. a. 1968, S. 154; vgl. TVA, Süd tirolsammlung Quellmalz, Tonaufnahme Nr. 1911 vom 15. Februar 1942. Siehe auch Liedindex, Nr. 49. 26 Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe“ (wie Anm. 5), S. 527. 27 Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder (wie Anm. 25), S. 155, siehe auch DVA, A 188213. Siehe auch Liedindex, Nr. 48. 25 Lied über die Vorfälle im August im Ober-Innthale 187 Abb. 3: „Net zum Spiel, nåh zum Kåmpf“, in: Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder, 1. Band (wie Anm. 25), S. 154. Transkription. Abb. 4: „Lustig wir Tiroler“, in: Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder, 1. Band (wie Anm. 25), S. 155. Transkription. 188 Kapitel 9 Der Quellmalz-Mitarbeiter Fritz Bose hatte das Lied am 29. August 1940 in St. Jakob in Pfitsch in Südtirol aufgenommen und Quellmalz datierte es mit 1809.28 Allerdings ist seine Datierung aus zwei Gründen fragwürdig: Einerseits fällt ins Auge, dass leicht dialektal gefärbte und hochdeutsch formulierte Strophen einander abwechseln, was man als Hinweis auf ein nachträgliches „Hineindichten“ in ein bereits bestehendes Lied werten könnte, andererseits ist der Inhalt des Liedes – der Abschied eines zum Militär eingezogenen jungen Mannes von seiner Familie, seine im Krieg erlittene tödliche Verletzung und seine Anweisung an die Kameraden, seiner Geliebten die Nachricht von seinem Tod „schonend“ beizubringen – absolut untypisch für jene tirolischen Lieder, die sich auf die Kämpfe von 1796/1797 oder 1809 beziehen. Während üblicherweise in diesen Liedern der Tod, wenn überhaupt, heldenhaft verklärt und das Leben des Einzelnen Gott, Kaiser und Vaterland untergeordnet wird, trägt dieses Lied eher den Charakter eines melancholischen Soldatenliedes, das den Schmerz des Abschieds von der Heimat und vom Leben thematisiert.29 Hofers frühe Verehrung im Lied … Für die Spätphase des Aufstandes von 1809 finden sich nur mehr wenige Lieder. Es fällt auf, dass Andreas Hofer, der nur wenige Jahrzehnte später als der Kopf der Erhebung, als „Bauernführer“, „Tiroler Volksheld“ und „Rebell“ in die Historiografie einging, in den Liedern aus der Anfangszeit des Aufstandes faktisch kaum eine Rolle spielt und in jenen Liedern, die zwischen der dritten und vierten Bergiselschlacht entstanden, nicht einmal erwähnt wird. Diese Feststellung deckt sich mit der Tatsache, dass Andreas Hofer erst durch die deutschnationale Idealisierung ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zum Helden stilisiert wurde, nicht aber schon zu seinen Lebzeiten. In der Tat muss zwischen jenen Liedern, die zur Zeit der Landesverteidigung 1796/1797 und des Aufstandes von 1809 entstanden und jenen, die ab den 1830er-Jahren im In- und Ausland verfasst wurden, unterschieden werden. In den späteren Liedern steht eindeutig Andreas Hofer als „Held“ im Mittelpunkt. Die relativ früh erschienenen Abhandlungen und Sammlungen von Ludwig August Frankl (1884), Emil Karl Blümml (1910) und Oswald Menghin (1912) beinhalten fast keine „authentischen“, d. h. zeitgenössischen Texte, sondern in erster Linie heroisierend-national verklärte Gedichte und Lieder über Hofer, wie sie im 19. Jahrhundert in großen Mengen geschrieben wurden.30 Hofers Heroisierung ent- Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder (wie Anm. 25), S. 155. Vgl. TVA, Südtirolsammlung Quellmalz, Tonaufnahme Fritz Bose Nr. 119. Zu den musikalischen Feldforschungen des SS-Ahnenerbes in Südtirol siehe Thomas Nußbaumer: Alfred Quellmalz und seine Südtiroler Feldforschungen (1940–42). Eine Studie zur musikalischen Volkskunde unter dem Nationalsozialismus, Innsbruck – Wien – München; Lucca 2001 (Bibliotheca Musicologica VI). 29 Zu den üblichen Charakteristika von Kriegsliedern siehe Hannjost Lixfeld: „Soldatenlied“, in: Rolf Wilhelm Brednich / Lutz Röhrich / Wolfgang Suppan (Hg.): Handbuch des Volksliedes. 1. Band: Die Gattungen des Volksliedes, München 1973 (Motive. Freiburger folkloristische Forschungen 1/I), S. 833– 862. 30 Frankl (Hg.): Andreas Hofer im Liede (wie Anm. 21); Emil Karl Blümml: „Andreas Hofer-Lieder“, in: Die Kultur Wien 10 (1909), S. 91–94; Menghin: „Andreas Hofer“ (wie Anm. 8). Siehe außerdem Oswald Menghin: „Die historischen Volkslieder über Andreas Hofer“, in: Wiener Zeitung, Nr. 44, 28 Lied über die Vorfälle im August im Ober-Innthale 189 stand genau genommen nach der dritten Bergiselschlacht, wie der Heimatkundler Ludwig von Hörmann 1910 feststellte: Überhaupt finden die tirolischen Helden im Volksliede wenig Berücksichtigung […] Was nun aber speziell Hofer betrifft, so darf man nicht vergessen, daß seine Person, obschon sie von Anfang an als die Seele des ganzen Aufstandes galt, nicht so sehr in den Vordergrund trat, besonders nicht im Kampfe, worauf es beim Volke am meisten ankommt. Erst als er nach der dritten Berg-Isel-Schlacht als Sieger in Innsbruck eingezogen war, die provisorische Regierung des Landes übernommen hatte und vom Kaiser durch Überreichung einer goldenen Gnadenkette ausgezeichnet worden war, gelangte sein Ansehen auch zum äußeren Ausdruck.31 Dieser „äußere Ausdruck“, auf den Ludwig von Hörmann anspielt, manifestierte sich unter anderem auch in einem öffentlich, noch zu Andreas Hofers Lebzeiten vorgetragenen Loblied auf ihn selbst, das einen singulären Stellenwert einnimmt. Die dritte Bergiselschlacht markierte bekanntlich den Beginn einer übergangsmäßigen tirolischen Zivilverwaltung unter Hofers Führung. Am 4. Oktober 1809 erhielt er im Rahmen eines feierlichen Aktes in der Innsbrucker Hofkirche nicht nur eine große Summe Geld, das für die weitere Landesverteidigung gedacht war, sondern auch eine Kette mit einer goldenen Medaille. Beides hatte der österreichische Kaiser Franz I. von Wien nach Tirol schicken lassen, um Hofer Dank für dessen Verdienste auszusprechen.32 Dieser 4. Oktober 1809, der als Namenstag des Kaisers ein Feiertag war, bot auch einem Schützen der zweiten Meraner Kompanie, Georg Hofer, die Gelegenheit, sein selbst gedichtetes Ehrenlied 33 auf den neuen Landesregenten Andreas Hofer einem größeren Publikum darzubieten (siehe Abb. 5).34 Dass das Lied auch tatsächlich vorgetragen wurde, vermuten Hörmann35 und Josef Hirn: Abb. 5: Flugblatt: „Die halbe Welt spricht von dem Helden“ (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 2518/VIII). 24. Februar 1910, S. 4; ders.: „Das erzählende Volkslied in Tirol“, in: Urania. Illustrierte populärwissenschaftliche Wochenschrift 11 (1909), Nr. 35, 28. August 1909, S. 549–553. 31 Ludwig von Hörmann: „Andreas Hofer im Volksliede“, in: Innsbrucker Nachrichten, Nr. 40, 19. Februar 1910, S. 1. 32 Pizzinini: Andreas Hofer (wie Anm. 4), S. 210–214. 33 Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck (im Folgenden: TLMF), FB 245/107. 34 Hirn: Tirols Erhebung (wie Anm. 2), S. 711. 35 Hörmann: „Andreas Hofer im Volksliede“ (wie Anm. 31), S. 1. 190 Kapitel 9 „Georg Hofer, ein bäuerlicher Tyrtäus [stimmte] an diesem Tage seine Harfe zu einem ‚Ehrenlied‘ auf Vater Hofer“.36 Nicht einmal einen Monat später, am 1. November 1809, wurden die Tiroler Aufständischen in der letzten Bergiselschlacht geschlagen und Hofer ergriff die Flucht.37 Ehrenlied dem Tyroler Helden Andreas Hofer Oberkommandanten. [Georg Hofer] 1. Die halbe Welt spricht von dem Helden; Singt nun Brüder, um zu melden, Was Altär und uns beschützt. Man sah Blut für Glauben fließen, Waffen sich an Waffen schließen, Welche der Arm Gottes schützt. 2. Was wär’ Tyrol, von ihm verlassen? Menschen zitterten, erblassen, Und der Feind zog ohne Kampf Nach von ihm erdichten Lügen Durch das Land in schnellen Zügen Ohne Rauch und Pulverdampf. 3. Um keine tiefe Wund’ zu reissen, Sucht man uns zurück zu weisen, Priester stimmten furchtsam ein: Unser Glück lag auf den Fluten, Niemand wollt’ für Gott mehr bluten, Und die Waffen schliefen ein. 4. Lefebers Stolz bedroht uns brausend, Glaubt sich stark bey zwainzig tausend, Den ein Herzogthum belohnt; Fodert gleich von uns Gewehre, Schreibt den Sieg zu seiner Ehre, Der im Siegen schon gewohnt. 5. In diesen kummervollen Stunden War der Hoffnungsstrahl verschwunden. Sterzing, das in Thränen floß, In der Waffenflut ersäufet, Die bis Pusterthale streifet, Schreckt der Feinde Kriegsgeschoß. 6. Nein Christ! hier darfst noch nicht verzagen, Denn die Stundt hat nicht geschlagen, Daß es schon an Rettung fehlt: Gott zieht nicht die Hand zurücke, Und sie weckt zum schnellen Glücke, Die der Held Tyrols beseelt. Hirn: Tirols Erhebung (wie Anm. 2), S. 711. Pizzinini: Andreas Hofer (wie Anm. 4), S. 220–241. 36 37 Lied über die Vorfälle im August im Ober-Innthale 7. Von dem gemeinen Bauern-Stande Und ein Bergsohn in dem Lande, Ordnet gleich den kleinen Rest; Trotzet mit entschloßnen Waffen, Die zuvor kaum eingeschlafen, Stellt sich vor die Feinde fest. 8. Der nie den Musen war gewogen, Übertriebnen Witz gesogen, Niemals eine Schul studiert: Spricht im lauten Kugelregen Herzhaft einem Feind entgegen, Den die Kunst zum Siegen führt. 9. Von jedem Baum und Felsenritzen Sah’ man Feuer, Steine spritzen, Die die Wuth der Feind’ erstickt; Und er zog mit schnellen Schritten Halb so stark, bevor sie stritten Bis zum Isel hingedrückt. 10. Hier glaubt er sich ergrimmt zu rächen, Läßt die großen Stück’ erbrechen, Der sich noch mit Sturme deckt: Doch er wird mit Gegenblitzen Von dem Hügel, von den Spitzen Blutig vor dem Berg gestreckt. 11. Hier zog mit umgekehrtem Glücke Ganz beschämt der Feind zurücke In der stillen Mitternacht; Der mit eignem Blut gekühlet, Mehr als halbe Volk verspielet, Hat sich aus dem Staub gemacht. 12. So kann in unsern Vatersgränzen Der getreue Held jetzt glänzen, Welches bloß der Mißgunst quällt; Weil sie mit sehr schlimmen Augen Kein gerades Licht kann schauen, welches ihr zur Schande fällt. 13. Er dient dem König zum Exempel, Blankes Geld fliegt von dem Stempel, Gießet neue Stück zum Streit, Setzet Reuter auf den Pferden; Unterthänig muß ihm werden Selbst die kluge Obrigkeit. 14. O Gott! erhalte unsern Treuen, Dessen Ruhm wir Lorber streuen, Stäts bewaffnet mit Geduld; Daß er kann der Kirche nützen, Unser Vaterland beschützen Durch Mariä Gnad und Huld. 191 192 Kapitel 9 15. Wo die Gottes Mutter thronet, Wird ihr Pflegkind gleich belohnet; Rufet ihren Namen an; Fest und rein sey das Vertrauen, Und ihr könn’t auf Hilfe bauen Durch die Macht des Gottes Sohn.38 „Partien von großer Plattheit und einer fast unheimlichen Naivität“ fand Hörmann in diesem Lied, selbst wenn es seiner Meinung nach auch einige „wirkungsvolle Stellen“ aufweise;39 ein „Text, der in seiner unbehilflichen Grandezza und naiven Mischung volkstümlich-schlichter Art mit literarischer und gelehrter Prätension eine Leistung von fast komischer Wirkung darstellt“, urteilte Oswald Menghin etwas amüsiert.40 In den fünfzehn Strophen des Liedes wird Hofer als christlicher Retter und Held dargestellt, der mit tirolischer Tapferkeit dem zahlenmäßig überlegenen Feind entgegentritt und trotz seiner mangelhaften Bildung schlauer ist als die „kluge Obrigkeit“. Der religiöse Charakter des Textes ist dabei kaum zu übersehen. Dieses Lied, auf einer unbekannten Melodie wahrscheinlich sogar in Hofers Anwesenheit vorgetragen, ist das einzige bis dato bekannte gesungene Zeugnis einer zeitgenössischen Hofer-Huldigung, die auch zeitlebens auf Flugblättern verbreitet wurde.41 Eine einzige weitere Liedstrophe, in der Hofer als „Held“ tituliert wird, findet sich im Lied der Tyroler Insurgenten, das zwar mit 13. April 1809 datiert ist, aber aus späterer Zeit stammen dürfte: O Sandwirth du getreuer Held Ein Sieh[g]er auf dem Feld Dein Ruhm ist weit und breit bekannt Faßt in der ganzen Welt.42 Hofers Beliebtheit und Verehrung als Freiheitsheld zeigte sich auch fern von Tirol am Verkauf von gedruckten Hofer-Bildern,43 an der Art und Weise, wie vor allem in den deutschen Staaten und in Großbritannien über ihn berichtet wurde,44 und in der Tat sache, dass einer der führenden Dichter der englischen Romantik, William Wordsworth, dem Tiroler Insurgenten vier Gedichte widmete.45 Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 21), S. 261–263. Als Flugblatt im TLMF, FB 245/107 bzw. FB 2518/VIII. Siehe auch Liedindex, Nr. 147. 39 Hörmann: „Andreas Hofer im Volksliede“ (wie Anm. 31), S. 2. 40 Menghin: „Andreas Hofer“ (wie Anm. 8), S. 28. 41 Von der Verbreitung zeugen mehrere Flugblattdrucke, siehe TLMF, FB 245/107, FB 2518/VIII, FB 1383/107. 42 Verzeichnis der Archivalien aus dem Insurrectionskampf in Tyrol im Jahre 1809, entnommen 1879 aus den Criminal-Akten der Commandatur München (Österreichisches Staatsarchiv, Kriegsarchiv, Wien, Feld akten AFA HR Akten 1394, I-50Ad). Siehe Kapitel 8 in diesem Band. Siehe auch Liedindex, Nr. 111. 43 Klaus Nutzenberger: Das Bild Andreas Hofers in der historischen, literarischen und künstlerischen Rezeption des 19. und 20. Jahrhunderts, Dissertation, Universität Münster 1998, S. 82. 44 Laurence Cole: „Echos von 1809: Der Tiroler Aufstand in der britischen Erinnerungskultur des 19. Jahrhunderts“, in: Brigitte Mazohl / Bernhard Mertelseder (Hg.): Abschied vom Freiheitskampf? Tirol und ‚1809‘ zwischen politischer Realität und Verklärung, Innsbruck 2009 (Schlern-Schriften 346), S. 295–324, hier S. 299–301. 45 Ebd., S. 304f. 38 Lied über die Vorfälle im August im Ober-Innthale 193 Abb. 6: „Nun hört uns, ihr Bayern!“, in: August Hartmann / Hyacinth Abele (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert. 3. Band: Von 1756 bis 1879, München 1913, S. 114. … und seine Demontage als Held Am 25. Oktober 1809 sahen sich die Einwohner Innsbrucks erneut der französischen und bayerischen Besatzung gegenüber. Hofer hatte die Hofburg bereits vier Tage zuvor verlassen, Napoleon hatte in den Tagen davor den Befehl erteilt, mit 56.000 Soldaten das Land endgültig zu unterwerfen. Nach der für die tirolischen Kompanien desaströsen vierten und letzten Bergiselschlacht am 1. November war die Einnahme Tirols nicht mehr zu stoppen, Hofer unterzeichnete eine Unterwerfungserklärung und suchte sein Versteck im Passeiertal auf.46 Um dieses Kapitel über die zeitgenössischen Lieder des Aufstandes und die Rolle Hofers zu einem Abschluss zu bringen, darf ein Lied nicht vorenthalten werden, für das es nur einen einzigen Beleg gibt, nämlich in August Hartmanns und Hyacinth Abeles Historischen Volksliedern und Zeitgedichten. Es stammt vermutlich aus jenen Wochen des Jahres 1809, in denen sich Hofer versteckt hielt (siehe Abb. 6): 1. Nun hört uns, ihr Bayern! wir wolln euch was sagn. Nur tuts uns beim König nöt gar z’verklagn! Wir sehen den Irrtum, bekennen den Fall Und schämen uns selbsten. Verzeiht uns diesmal! Georg Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe“ (wie Anm. 5), S. 533–536. 46 194 Kapitel 9 2. O wäre der Sandwirt, der Anderl nöt g’wen! Kein Anderer tät sich zum Kriegführn verstehn. Er aber ist tückisch und tamisch vor Wuat; Drum – ging ’s ihm im Anfang und lang aussi guat. 3. Die G’sandten von Östreich die hamb uns betrogn; Sie haben von Truppen- und Geldschicken g’logn. Sie hamb uns brav aufg’hetzt zu streiten fürn Glaubn. Die Worte seind schön g’west, doch lauter faul Traubn. 4. Die Oberländer Schützen seind lauter Wildleut; Sie habn nur zum Spreizen und Beutmachen Schneid. Die Höttinger Lumpen, das Schwazer Gesind, Die Kothlackler Spitzbuam, nehmts diese bein Grind! 5. Es gibt auch wohl Manche im Unterland hier, Die grad so rebellisch wie würflige Stier’. Wer ihnen ein Wort sagt von Frieden und Ruh, Den wollten sie packen und greifen g’schwind zu. 6. Und wollt ihr sie kennen, so muaß i enk sagn: Es seind meistens Solche, die Razenbärt tragn. Im Beutel kein Geld – hamb doch Schulden genug Und lieber spaziern gehn, als hinter dem Pflug. 7. Die sackrischen Lumpen habn glaubt, sie sei’n Herrn, Es wird sie der Kaiser zu Ratsherrn begehrn, Er wird ihnen schicken ganz Truchen voll Geld; Jetzt aber, weil keins kommt, jetzt hat er weit g’fehlt. 8. Nun also, ihr Nachbarn, das Kriegführn ist aus; Wir bleiben bein Weibern und Kindern zu Haus. Wir wollen in Frieden recht nachbarlich lebn; Nur müßts uns Tirolern die Dummheit vergebn! 9. Und du, lieber König, sieh gnädig herab! Wir wollen dir treu sein stets bis in das Grab. Das sei nun beschlossen! Wer nochmals versucht Mit Bayern zu streiten, der sei uns verflucht!47 Diese Strophen beweisen im Gegensatz zu Georg Hofers Versen, dass es offenbar auch kritische Stimmen gegen Hofer gab. Der Dichter schuf ein beschwichtigendes Entschuldigungslied an die Bayern und zugleich ein „Schuldlied“ auf Andreas Hofer. Wäre Hofer nicht gewesen, wäre es nie zu dieser Kriegskatastrophe gekommen. All jene, die sich am Aufstand beteiligten, diffamiert er als Taugenichtse und Kriminelle. Leider wissen wir nicht, wer der Urheber dieses Liedes war – ein Tiroler, oder möglicherweise ein Bayer? Ist es ein Beleg dafür, dass es in Tirol eine Opposition gegen den Aufstand gab, oder ein Zeugnis für besonders großen Opportunismus gegenüber August Hartmann / Hyacinth Abele (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert. 3. Band: Von 1756 bis 1879, München 1913, S. 114–116, laut Hartmann mündlich aus Sachrang (südlich von Hohenaschau, an der Tiroler Grenze) überliefert. Siehe auch Liedindex, Nr. 50. 47 Lied über die Vorfälle im August im Ober-Innthale 195 dem Sieger, oder gar ein bayerisches Propagandalied? Der Mangel an Informationen erschwert jede weitere Interpretation. Das Lied würde jedenfalls gut in die negative Rezeption Hofers und des Aufstands fallen, die spätestens mit 1810 einsetzte und besonders von bayerischer Seite betrieben wurde.48 Fazit Die politische Lyrik des ereignis-, verlust- und entbehrungsreichen Jahres 1809 ist nicht so ausgeprägt wie jene anlässlich der Landesverteidigung von 1796/1797. Trotzdem verfügen viele der teils aufmunternden, teils spöttischen, teils gebetsartigen, aber ebenso erzählenden Lieder aus der Phase des Aufstandes von 1809, von denen wir heute noch Kenntnis besitzen, über eine merkbar längere Rezeptionsgeschichte als die meisten Lieder von 1796/1797. Manche Lieder wurden noch Jahrzehnte später gesungen, einige fanden, aus welchen Gründen auch immer, bereits fünf Jahre nach ihrer Entstehung Eingang in Jakob Levi Salomo Bartholdys geschichtliches Werk über „Anno Neun“ von 1814. Angesichts unterschiedlicher Liedvarianten, die lange unpubliziert blieben und erst um die Wende zum 20. Jahrhundert in Feldforschungen aufgezeichnet wurden, lässt sich die Vermutung äußern, dass politisches Singen im Jahr 1809 in erster Linie auf der Basis der mündlichen Überlieferung erfolgte – nicht verwunderlich bei der prekären, instabilen politischen Situation, die erst in der Phase der Zivilverwaltung Hofers in Innsbruck kurzzeitig Beruhigung fand. Bezeichnenderweise stammt aus dieser Zeit der einzige Beleg für eine politisch intendierte Liedaufführung mit halb-offiziellem Charakter und dem dazugehörigen Flugblattdruck. Andreas Hofer, der „Nationalheld“ Tirols, spielte aber in den zeitgenössischen politischen Liedern von 1809 eine auffallend geringe Rolle, was die Geschichtsforscher um das Jahr 1909, als der Hofer-Mythos in Tirol einen neuen Bedeutungsschub erlebte,49 noch stutzig machte: [Die Kriegslieder von 1809] sollten doch billigerweise den Mittelpunkt der ganzen historischen Volksliederforschung in Tirol bilden und in demselben Maße in den Vordergrund gestellt werden, als der Heldenkampf des Jahres Neun an Ruhm alle früheren Kriegstaten der Tiroler überflügelt hat.50 Florian Kern: Der Mythos Anno Neun. Andreas Hofer und der Tiroler Volksaufstand von 1809 im Spiegel der Geschichtsschreibung (1810–2005), Frankfurt a. M. 2010 (Konsulat und Kaiserreich. Studien und Quellen zum Napoleonischen Zeitalter 1), S. 38. 49 Siehe dazu beispielsweise Irmgard Plattner: „‚Heil Sondwirt! Grüaß di’! … ’s geaht schun un, sie sein schun oll’ beinond.‘ Inszenierungsstrategien und Inszenierungsreflexionen zum Jubiläumsjahr 1909“, in: Mazohl/Mertelseder: Abschied vom Freiheitskampf? (wie Anm. 44), S. 393–409; David Schnaiter: „‚Immobiles Sicut Patriae Montes‘. Die Rezeption des Tiroler Aufstandes von 1809 im Tirol des beginnenden 20. Jahrhunderts – dargestellt anhand des Volksdichters Bruder Willram“, in: Mazohl/Mertels eder (Hg.): Abschied vom Freiheitskampf ? (wie Anm. 44), S. 409–434, sowie Bernhard Mertelseder: „Die Zentenarfeier von 1909 – der Höhepunkt der Hofer-Euphorie“, in: Brigitte Mazohl / Bernhard Mertelseder / Johannes Weber (Hg.): 1809 – und danach? Über die Allgegenwart der Vergangenheit in Tirol, Bozen – Innsbruck – Wien 2009, S. 189–204. 50 Menghin: „Andreas Hofer“ (wie Anm. 8), S. 6. 48 196 Kapitel 9 Diese Forderung ist für uns aus zeitlicher Distanz sehr verständlich. Die Annahme, Hofer sei schon zu seinen Lebzeiten während des Aufstandes als großer Held verehrt worden, ging auf die Verzerrung seines Stellenwerts und die Idealisierung des „Freiheitskampfes“ etwa ab den 1830er-Jahren zurück. Laurence Cole resümiert über die nicht sehr ausgeprägte Rezeption des Sandwirts in zeitgenössischen Liedern und Gedichten zutreffend: „[…] kaum hatte sich der Ruf des ‚Sandwirts‘ zu verbreiten begonnen, ging er in der dem Aufstand unmittelbar folgenden Enttäuschung der breiten Bevölkerung unter“.51 Laurence Cole: „Für Gott, Kaiser und Vaterland“. Nationale Identität der deutschsprachigen Bevölkerung Tirols 1860–1914, Frankfurt a. M. – New York 2000 (Studien zur Historischen Sozialwissenschaft 28), S. 237. 51 Kapitel 10 „Was doch der Arme leiden muss für Leute, die nichts tun“. Die liebe Feyerstunde schlägt Sandra Hupfauf Den 19. September. Ich stehe als Ordonnanz beim Herrn Vater [Andreas Hofer]. Er speist mit 10 andern im kleinen Saale, wo die französ. Offiziers speisten. An der Wand ließ er ein Crucifix und ein Marienbild hängen. Das Tischtuch war äußerst beschmutzt; der Tisch mit Weinflaschen ganz bedeckt. Gester[n] sollen die Herren in der Burg besonders wohlgemuth gewesen seyn; sie sangen sogar das Lied: die liebe Feyerstunde schlägt.1 Anton Knoflach (1783–1842), zur Zeit der Aufstände Rechtspraktikant bei Appella tionsrat Andreas Alois Di Pauli von Treuheim (1761–1839) in Innsbruck, beschreibt in seinem Tagebuch die Ereignisse von 1809. Während der Abwesenheit seines Gastgebers notierte er zwischen dem 23. April und dem 5. Dezember, was er großteils vom Fenster und Dach des Hauses Di Paulis in der Maria-Theresien-Straße in Innsbruck beobachtete. Am 17. September besuchte er die Hofburg und hielt fest: „Die Bauern nennen den Sandwirth durchaus Herr Vater!“,2 und als Vater bezeichnet auch er Andreas Hofer, wie das Eingangszitat vom 19. September 1809 zeigt. Knoflach identifiziert das von Hofer und seinen Getreuen gesungene Lied eindeutig als „Die liebe Feyerstunde schlägt“, woraus man auf eine größere Popularität dieses Liedes schließen kann, das auch unter dem Titel Der Tag(e)löhner bekannt ist. Als Josef Hirn in seiner Studie Tirols Erhebung im Jahre 1809 (1909)3 die eingangs zitierte Passage aus Knoflachs Tagebuch übernimmt, gibt er die sieben Strophen des Liedes wieder. In der Fußnote merkt er an: „Herrn Prof. Wackernell, dem unermüdlichen Liederforscher, verdanke ich die Angabe, dass dieses von den Bauern Hofers gesungene Lied abgedruckt ist in dem ‚Neuen Volksliederbuch‘, VI. Aufl. Reutlingen 1832, p. 53.“4 Der Ursprung des Liedes „Die liebe Feyerstunde schlägt“ ist unbekannt. Als Verfasser kommen sowohl Johann Friedrich Schlez (1759–1839)5 als auch Anton Grolzham[m]er (Geburtsjahr unbekannt, gest. 1786)6 in Frage.7 Grolzhammer war einer der ständigen Autoren des Wiener Musenalmanachs 8 und auch J. P. Kaltenbeck verweist auf den Franz Schumacher (Hg.): Anton Knoflach’s Tagebuch über die Ereignisse in Innsbruck im Jahre Neun, Innsbruck 1909 (Anno Neun XIII), o. Sz. 2 Ebd. 3 Josef Hirn: Tirols Erhebung im Jahre 1809, Innsbruck 1909, S. 636. 4 Diese Quellenangabe von Hirn ist mit Sicherheit fehlerhaft, denn die 5. Auflage des Buches erschien 1849, weshalb die 6. Auflage nicht 1832 veröffentlicht worden sein kann; siehe dazu J. J. Algier (Hg.): Neues Volks-Liederbuch. Eine Sammlung der in den mittleren und niedern Ständen geliebtesten Lieder und Gesänge, Reutlingen 51849, S. 35. 5 Rudolf Zacharias Becker (Hg.): Mildheimisches Liederbuch. Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1815. Mit einem Nachwort von Günter Häntzschel, Stuttgart 1971, S. 43. 6 Josef Bitsche: „Alte Liederhandschriften aus dem hinteren Bregenzerwald“, in: Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes 11 (1962), S. 122–139, hier S. 123. 7 Für diese Auskunft danke ich Frau Dr. Waltraud Linder-Beroud, Deutsches Volksliedarchiv, Freiburg i. Br. 8 Siehe Sidney Whitman: The Story of the Nations – Austria, New York – London 1901, S. 387. 1 198 Kapitel 10 Abb. 1: Der Feierabend, in: Fritz Gleichauf (Hg.): Mädchen-Liederbuch, Regensburg 81911, S. 307f. Transkription. Abb. 2: Lied eines alten Taglöhners am Feierabend (Anfang), in: Max Friedlaender: Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert: Quellen und Studien, 1. Band, 1. Abteilung: Musik, Stuttgart – Berlin 1902, S. 384. Die liebe Feyerstunde schlägt 199 Musenalmanach aus dem Jahr 17869 als älteste Quelle für den Druck des Liedes, gibt die sieben Strophen des Liedes wieder und schreibt Grolzhammer die Autorenschaft zu.10 Der möglicherweise erste gedruckte Melodiebeleg stammt aus dem Jahr 1789, Leopold Schmidt11 fand ihn bei Max Friedlaender,12 der ihn wiederum aus J. M. Wieses (Vornamen nicht überliefert) Musikalischen Abwechslungen oder Liedern, mit Mel. für das Klavier (2. Heft, Hamburg 1789, S. 2.) übernommen hatte. Titel und Melodie (drei Takte sind bei Friedlander abgebildet; siehe Abb. 2) weichen hier von der später gängigen Variante des Liedes ab. Eine der wichtigsten älteren Quellen13 für das Lied „Die liebe Feyerstunde schlägt“ (ohne Melodie) ist das Mildheimische Liederbuch. In der Ausgabe von 1799 findet es sich unter der Rubrik „Für Gesinde und Taglöhner“ und hat, abweichend von Kaltenbecks Wiedergabe des Liedes, nur sechs Strophen: 1. Die liebe Feyerstunde schlägt: wie sehn’ ich mich nach ihr! Ach nun im Schatten hingelegt, Wie schmeckt die Ruhe mir! 2. Es war auch heute gar zu heiß, und immer floss so hell Von meiner Stirn ein Strohm von Schweiß, Als wär im Kopf ein Quell. 3. Da sinn’ ich und gesteh’ es euch Oft manchmal her und hin: Warum ich doch nicht auch so reich Wie andre Leute bin? 4. Da fällt mir ein: der liebe Gott Fand dieses so für gut: Und dem nur schmeckt ein Stückchen Brot; Der nach der Arbeit ruht. 5. Auch währt nur alles kurze Zeit In dieser Welt, und dann geht zu der langen Ewigkeit Der Feyerabend an. 6. Dann sind wir Menschen alle gleich, Das Tagewerk ist aus: Und jeder gehet, arm und reich, Mit seinem Lohn nach Haus.14 Joseph Franz Ratschky: Wienerischer Musenalmanach auf das Jahr 1786, Wien 1786, S. 27. J. P. Kaltenbeck: „Zur Kultur- und Sittengeschichte. Der erste Wiener Musenalmanach (1777–1796)“, in: Ignaz Klang (Hg.): Austria oder Österreichischer Universal-Kalender für das gemeine Jahr 1845, Beilage: Vaterländische Denkwürdigkeiten, Wien 1845, S. 2f. 11 Leopold Schmidt: Volksgesang und Volkslied. Proben und Probleme, Berlin 1970, S. 246. 12 Max Friedlaender: Das deutsche Lied im 18. Jahrhundert: Quellen und Studien, 1. Band, 1. Abteilung: Musik, Stuttgart – Berlin 1902, S. 384. 13 Eine weitere Quelle neben dem Wiener Musenalmanach (1786) und dem Liederheft von J. M. Wiese (1789) ist das Neue Liederbuch für junge Leute zur Aufmunterung in Gesellschaften (um 1790). 14 Rudolph Zacharias Becker (Hg.): Mildheimisches Lieder-Buch von 518 lustigen und ernsthaften Gesängen über alle Dinge in der Welt und alle Umstände des menschlichen Lebens, die man besingen kann, Gotha 1799, S. 304. 9 10 200 Kapitel 10 Auch in den Ausgaben von 1801 (S. 303) und 1815 (S. 462) finden sich sechs Strophen. In einer Besprechung der 1971 veröffentlichten Faksimile-Ausgabe des Mildheimischen Liederbuches verdeutlicht Heinz Rölleke dessen Breitenwirkung:15 Das Mildheimische Liederbuch von Rudolph Zacharias Becker wurde erstmals 1799 gedruckt, umfasste 518 Lieder und wurde bis 1810 ganze sechs Mal nachgedruckt. In einer neu bearbeiteten und erweiterten Ausgabe von 1815, die 800 Lieder enthält, erreichte es bis 1837 noch vier Auflagen. Im Vergleich dazu wurde von der viel berühmteren WunderhornSammlung nur der erste Teil im Jahr 1819 neu aufgelegt.16 Das Mildheimische Liederbuch erfüllte vor allem „volksbildnerische“ Zwecke und diese erzieherische Intention war wahrscheinlich auch der Grund dafür, warum Becker eine Strophe des Liedes, nämlich die dritte, die Kaltenbeck nach Grolzhammer folgendermaßen zitiert, wegließ: 3. Was doch der Arme leiden muss Für Leute, die nichts tun, Und die in ihrem Überfluss Wohl gar sich müde ruhn!17 Durch diese Strophe verändert sich die Aussage des Liedes: Das besinnliche Abendlied, das dem hart arbeitenden Volk rät, sich seinem Schicksal zu fügen und auf die Erlösung im Jenseits zu hoffen, erhält plötzlich einen sozialkritischen Aspekt, indem das „Nichtstun“ der gehobenen Schichten angeprangert wird. Das Lied ist mit Melodie auch in Tirol belegt, etwa im Musikarchiv des Stiftes Stams. Hier sind zwei Notate mit den Titeln Die Feierstunde bzw. Feyer-Abend aus der Zeit um 1800 vorhanden. Für beide ist kein Verfasser zu bestimmen, in der ersten Quelle wer- Abb. 3: Die liebe Feyerstunde schlägt, Zisterzienserstift Stams, Bibliothek und Musikarchiv, A-ST/ohne Signatur, nach: http://opac.rism.info/search?documentid=650006278 (15. 03. 2012). Abb. 4: Die liebe Feyerstunde schlägt, Zisterzienserstift Stams, Bibliothek und Musikarchiv, A-ST/ohne Signatur, nach: http://opac.rism.info/search?documentid=650010369 (15. 03. 2012). Heinz Rölleke: „Review: Rudolf Zacharias Becker, Mildheimisches Liederbuch. Faksimiledruck nach der Ausgabe von 1815. Mit einem Nachwort von Günter Häntzschel, Stuttgart 1971. IV, VIII, 552, 52 S. (Deutsche Neudrucke)“, in: Jahrbuch für Volksliedforschung 1973 (18), S. 113f. 16 Mehr zum Mildheimischen Liederbuch: siehe Kapitel 4 in diesem Band. 17 Kaltenbeck: „Zur Kultur- und Sittengeschichte“ (wie Anm. 10). 15 Die liebe Feyerstunde schlägt 201 den alle sieben Strophen angegeben, die zweite enthält nur eine Strophe. Die Melodie führung ähnelt in beiden Notaten der späteren Version des Liedes, die sich anscheinend durchgesetzt hat (siehe Abb. 3 und 4). Diese Melodie des Liedes ist auch in anderen deutschsprachigen Quellen der Zeit überliefert, wie in der Abtei Metten18 oder in der Bibliothek der Stadtpfarrkirche St. Martin in Kaufbeuren.19 Bekannter ist allerdings die Bearbeitung des Liedes durch Johann Michael Haydn mit dem Titel Die Feierabendstunde von 1803.20 Leopold Schmidt fand das Lied in den von unbekannten Verfassern stammenden Auserlesenen Gesellschafts liedern (1815),21 und schließlich ist das Lied auch in der Sonnleithner-Sammlung von 1819 zweimal vertreten.22 Für das Jahr 1809, als Andreas Hofer das Lied mit seinen Gefährten sang, gibt es einen weiteren interessanten Nachweis für das Lied in Binabiburg in Niederbayern. Der Priester Simon Zollbrucker erwähnt es in seiner Lebensgeschichte: Im Jahr 1809 nach der Schlacht bey Neumarkt schlug ein französischer Trupp sein Lager nächst Binabiburg auf des Pfarrers Aeckern auf. Alle Einwohner des Dorfes waren voll banger Erwartung dessen, was da kommen würde. Da sprengte auf einmal ein vornehmer Offizier durch’s Thor, eilte mit vorschneller Freude in’s Haus, und begann – beym ersten Tritt’ in des Pfarrers Zimmer leise zu singen: „Was doch der Arme leiden muß! u. s. w.“ Der erstaunte Pfarrer erkannte sogleich seinen Freund, den er vor neun Jahren lange Zeit im Quartiere gehabt, und mit dem er oft die herrliche „Feyerstunde“ gesungen hatte. – Es war abermals ein rührender Auftritt. – „Herr Pfarrer“, sagte der Offizier nach dem ersten Freudenergusse des Wiedersehens, oft war dieß Lied in machen Stunden mir süsser Trost und ich konnte nie ohne Dank der seligen Abendstunde gedenken, an denen Sie mir vor neun Jahren in Ihrem Garten dieß Lied vorgesungen haben. – Lassen Sie Ihnen danken dafür! – Ich bin Kommandierender über diesen Trupp Soldaten: seyen Sie ruhig, es wird weder Ihnen noch Ihrer Gemeinde etwas Leides geschehen.“ – Wem hatte Zollbrucker nächst Gott diesen Schutz abermal zu verdanken, als eben seiner Gastfreundschaft und seiner unbefangenen Munterkeit sogar gegen Kriegsgäste?23 Der Offizier zitiert den ersten Satz der „sozialkritischen Strophe“ des Liedes, was darauf hindeutet, dass er gemeinsam mit dem Pfarrer einst die vollständige Fassung des Liedes sang. Eine weitere Erwähnung des besonderen Effekts des Liedes stammt aus dem Jahr 1819. Ein unbekannter Autor erörtert die Frage, ob das Rosenkranzbeten oder doch der gemeinsame Gesang die allgemeine Andacht der Kirchengemeinde besser unterstützen würde. An einen nicht bekannten Adressaten gerichtet, ergreift er mit folgenden Worten enthusiastisch Partei für den Gesang: Abtei Metten, Bibliothek, D-MT/Mus.ms. 307; http://opac.rism.info/search?documentid=454010410 (15. 03. 2012). 19 Stadtpfarrkirche St. Martin, Kaufbeuren, D-KFm/ Mus. Ms. 157; http://opac.rism.info/search?document id=453004938 (15. 03. 2012). 20 Bayerische Staatsbibliothek, München, Musikabteilung, D-Mbs/ Mus.ms. 3745; http://opac.rism.info/ search?documentid=455016838 (15. 03. 2012). 21 Anon. (Hg.): Auserlesene Gesellschaftslieder, Heidelberg 1815, S. 114. 22 Sonnleithner-Sammlung: Unterösterreich/VII/41, 23; Sonnleithner-Sammlung: Oberösterreich/XI/2, 3, siehe Walter Deutsch / Gerlinde Hofer: Die Volksmusiksammlung der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (Sonnleithner-Sammlung), 1. Teil, Wien 1969 (Schriften zur Volksmusik 2), S. 84, S. 99. 23 Franz Seraph Häglsperger: Simon Zollbrucker, Pfarrer und Rural-Dekan zu Binabiburg in seinem Leben und Wirken, München 1823, S. 62f. 18 202 Kapitel 10 Den Gesang finden Sie zerstreuend. Nein! Psychologie haben sie nicht studirt, Hr. Bruder! Beobachten Sie doch einen Gassengesang: hören und sehen Sie doch, mit welcher Aufmerksamkeit und Genauigkeit die Sänger zusammen halten, wie deutlich sie nach ihrem Dialekt jedes Wort aussprechen! Lesen Sie, wie sich unsre christlichen Dichter bemühen, durch erbauliche, unterrichtende, moralische Lieder die zottenhaften Gesänge der Vorzeit zu verdrängen; hören und sehen Sie, wie gerührt sich der Sänger bey einigen angreifenden Strophen fühlt – was er fühlt, wenn er z. B. das Lied: Die liebe Feyerstunde schlägt – auf der Gasse singt!24 Die schlichte Schönheit des „herrlichen“ Liedes, das dem Soldaten oft „süsser Trost“ war und dessen erbaulicher Inhalt Sänger rührt, ist auch einem fremdsprachigen Touristen aufgefallen. Der britische Reiseschriftsteller Joseph Moyle Sherer, der 1826 durch Deutschland, die Schweiz, Oberitalien und schließlich Tirol reiste, berichtet in seinen Notes and Reflections During a Ramble in Germany 25 über seine Begegnung mit einem Priester und einem Studenten aus Tirol, die er auf einer Reise in der Kutsche in Richtung Salzburg kennenlernte: My companions sung for me, again and again, The Evening Hymn of the Tyrolese peasants, beginning, „Der lieben feiierstunde schleckt“; „The loved hour of repose is striking“, or, as our English bard has it, „The curfew tollst he knell of parting day“. The burdon of this song, or hymn, as they brokenly and imperfectly rendered it for me, is beautiful, the ideas poetical, and the lesson, content. Even thus prosaically given, the reader will admit its beauty: – „The loved hour of repose is striking; let us come to the sun-set tree; let us lie down in the pleasant shade. Oh! How sweet is rest after labour! How I pity those who lie all day on the couch of down, and are fatigued with doing nothing! They know not the sweetness of rest like ours: sweet is this hour of repose, and sweet is the repose of the Sabbath day; but sweeter will be the repose of that long Sabbath, when we all rest from our labours, in the presence of our Heavenly Father! There will be no sun to burn us; there will be no toil, no pain, no poverty, no sorrow, no sin, but sweet and ling will be our rest in heaven.“ Relying upon the assurance of these good friends that I should procure both the words and air at Vienna, and upon my own memory to enquire for them, I neglected to take them down at the time, and have since repeatedly searched for them in music shops, but in vain. The air is uncommonly simple, and I doubt whether even in Vienna, where, amid new objects, I forgot it altogether, I could have procured the same unadorned melody which the peasants sing, each evening, at the sunset tree. I was more pleased with it every time I listened; it is devotional, and, sung from and with the heart, by men who rise early to labour, and late take rest, is an evening sacrifice, accepted, surely, at the gates of heaven.26 Sherers Reisefreunde sangen „Die liebe Feyerstunde schlägt“, um sich auf der Fahrt in der Kutsche die Zeit zu vertreiben. Sherer behält manche Zeile des Liedes im Gedächtnis und schreibt sie später nieder. Er versteht das Lied offensichtlich als ein rein religiö ses Lied, das die Tugenden der harten Arbeit und des Fleißes hochhält, die im Himmel schließlich „vergolten“ werden. Er bedauert, das Lied nicht gleich aufgezeichnet zu Anon.: Vertheidigung des Herrn Coadjutors Freyherrn v. Wessenberg und des kath. Klerus im Großherzogthum Baden, von einem Layen, gegen das Sendschreiben eines Layen aus dem Bisthum Konstanz an den dortigen Klerus, Rottweil 1819, S. 74. Beim erwähnten „Coadjutor“ handelt es sich um Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774–1860), Generalvikar des Bistums Konstanz, der für seine aufgeklärte, reform katholische Haltung bekannt war und dessen Wahl zum Koadjutor von Papst Pius VII. nicht anerkannt wurde. 25 Joseph Moyle Sherer: Notes and Reflections During a Ramble in Germany, London 1826. 26 Ebd., S. 217–219. 24 Die liebe Feyerstunde schlägt 203 haben und schwärmt von seiner schlichten und sanften Melodie, die ihm lange nicht aus dem Kopf ging und die er in den Wiener Musikaliengeschäften vergeblich suchte. Sherers Reisebericht dürfte in Großbritannien bekannt gewesen sein, denn auch James Robinson Planché, der Librettist der Oper Hofer, the Tell of the Tyrol, hat ihn für seine Hintergrundrecherchen konsultiert. Die Oper ist eine Adaptierung von Rossinis Guillaume Tell (1829) und bezieht sich auf den Tiroler Aufstand von 1809. In der dritten Szene wird ein Kirchweihfest auf dem Innsbrucker Marktplatz dargestellt, bei dem bayerische Soldaten von zwei Frauen verlangen, ein Lied zu singen. Bertha und Josephine, zwei der Hauptpersonen, tragen daraufhin ein Abendlied vor, von dem Planché behauptet, es sei ein originales Tiroler Volkslied aus Sherers Reisebericht, nämlich die von ihm beschriebene Evening Hymn of the Tyrolese peasants.27 Und tatsächlich hat Planché Sherers fragmentarische Übersetzung und Charakterisierung des Liedes „Die liebe Feyerstunde schlägt“ in sein Opernlibretto integriert, denn die Gesangsnummer „At close of day“ (siehe Abb. 5) passt zur Beschreibung des Abendliedes. Allerdings stimmt darin nur ein einziges Wort mit Sherers Evening Hymn of the Tyrolese peasants überein, nämlich das Wort „sun-set tree“. Planché hat sich von Sherers Aufzeichnung also nur dahingehend inspirieren lassen, dass er die Idee eines „Abendliedes“ übernahm, insbesondere das Bild des Baumes bei Sonnenuntergang. Ansonsten findet sich im Lied die typische Tirol-Verklärung jener Zeit: At close of day, When the evening’s star Its gentle ray Shall shine afar Beneath the sun-set tree, Bold hunter come dance with me, Till high in Heav’n shall be, The moon’s pearly car […]28 Einige Nummern dieser Oper wurden übrigens recht populär, laut Ilse Wolfram beispielsweise das Lied von Bertha „To her mother’s heart she hath press’d him“, das unter dem Titel Beautiful war auch als Notendruck erhältlich war.29 Weitere Gesangsnummern, die Bekanntheit erlangten, sind Glory to our Father Land 30 und Green Hills of Tyrol.31 Letzteres ist noch gegenwärtig ein sehr populäres Stück bei nordeuropäischen Dudelsackspielern. Die Nationalsänger Rainer hatten für ihre Amerika-Tournee ebenso ein Stück aus dieser Oper einstudiert.32 Ilse Wolfram: 200 Jahre Volksheld Andreas Hofer auf der Bühne und im Film, München 2009 (Münchener Universitätsschriften Theaterwissenschaft 16), S. 92. Mehr zu Planché bei Hildegard Herrmann-Schneider: „Andreas Hofer und die Tiroler Freiheitskämpfe als musikalisches Sujet. Ereignisse – Heldentum – Erinnerung“, in: Der Schlern 83 (2009), Heft 7: Juli, S. 4–52, hier S. 10f. 28 Gioachino Rossini: At Close of Day, Tyrolien duetto […] Arranged and adapted by Henry R. Bishop, London 1840 [British Library, Music Collections G.809.cc.(2.)]. 29 Gioachino Rossini: Beautiful war, [song.] Sung in the historical Opera of Hofer, the Tell of the Tyrol. The Poetry by J R Planche Arranged and adapted for the English stage by Henry Bishop, London 1830 [British Library, London, Music Collections H. 1650.g.(32.)]. 30 Gioachino Rossini: Glory to our father land, chorus of the Tyrolese [from] Hofer, The Tell of the Tyrol. The Poety [sic] by J R Planche Composed by Rossini Arranged by Henry R. Bishop, London [1870?] [British Library, London, Music Collections I.653.j.(16.)]. 31 Gioachino Rossini: Green hills of Tyrol. Tyrolienne from Guillaume Tell. The words by George Linley. Music by G. Rossini, London [1880?] [British Library, Music Collections I.653.k.(6.)]. 32 Siehe dazu auch Kapitel 14 in diesem Band. 27 204 Kapitel 10 Abb. 5: Gioachino Rossini: At Close of Day, Tyrolien duetto, Arrangement: Henry R. Bishop, London 1840 [British Library, London, Music Collections G.809.cc.(2.)]. Die liebe Feyerstunde schlägt 205 Auch die im frühen 19. Jahrhundert sehr geschätzte britische Dichterin Felicia Dorothea Browne Hemans (1793–1835), die ihre ersten Gedichte bereits im Alter von 14 Jahren schrieb, ließ sich von Sherers „Tiroler Abendlied“ inspirieren. So verfasste sie einen lyrischen Text mit dem Titel Tyrolese Evening Hymn, der von ihrer Schwester Augusta Browne vertont wurde. Die frühesten Drucke des Liedes, das anscheinend insbesondere in den Vereinigten Staaten beliebt war, erschienen um 1828 (siehe Abb. 6).33 Nachfolgend ein Textauszug: 2. Sweet is the hour of rest! Pleasant the wind’s low sigh, And the gleaming of the west, And the turf whereon we lie. When the burden and the heat Of labour’s task are o’er, And kindly voices greet The tired one at his door, Come to the sunset tree! 3. Yes; tuneful is the sound That dwells in whispering boughs, Welcome the freshness round! And the gale that fans our brows. But rest more sweet and still Than ever nightfall gave, Our yearning hearts shall fill In the world beyond the grave. Come to the sunset tree! 4. There shall no tempest blow, No scorching noontide heat; There shall be no more snow, No weary wandering feet. So we lift our trusting eyes, From the hills our fathers trod, To the quiet of the skies, To the Sabbath of our God! Come to the sunset tree!34 Auch Hemans spielt mit dem Bild des „sun-set tree“, das Sherer in seinen Erinnerungen an das Lied erfunden hat, denn in der deutschen Version des Liedes kommt weder ein Baum noch ein Sonnenuntergang vor. Die Dichterin hält sich zwar eng an Sherers Ausgangstext, aber gleichzeitig lässt sie ihrer Fantasie freien Lauf und beschreibt die harte bäuerliche Arbeit mit Holzfällen, Mähen und müden Füßen am Ende des Tages, sowie die Wetterkapriolen in den Bergen mit Gewittern, brennender Mittagshitze und Schnee. Vgl. dazu auch Julius Mattfeld: Variety music cavalcade, 1620–1969: a chronology of vocal and instrumental music popular in the United States, Englewood Cliffs, New Jersey 1971. 34 Felicia Dorothea Browne Hemans: The works of Mrs. Hemans; with a Memoir of her life, by her sister, Vol. VI, London 1839, S. 170f. 33 206 Kapitel 10 Abb. 6: Felicia Dorothea Browne Hemans / Augusta Browne: Tyrolese Evening Hymn (Johns Hopkins University, Baltimore, Levy Sheet Music Collection, Box 043, Item 162). Die liebe Feyerstunde schlägt 207 In Felicia Hemans gesammelten Werken findet man noch ein anderes Tirolerlied, allerdings ein vermeintliches: Swiss Home-Sickness. Translated from the last of the Melodies sung by the Tyrolese Family. Bei diesem Lied „Mein Herz mein Herz, warum so traurig“35 handelt es sich um das Lied Schweizer’s Heimweh, das Johann Rudolf Wyss 1812 in seiner Sammlung von Schweizer-Kühreihen und alten Volksliedern 36 veröffentlichte. Laut Armin W. Hadamer schrieb Wyss das Lied ursprünglich im Berner Dialekt, die Melodie stammt jedoch von Friedrich Glück. Der Topos des vor Heimweh kranken Schweizers war auch in den USA Mitte des 19. Jahrhunderts überaus beliebt.37 Hemans war aber nur eine von vielen, die sich durch Sherers Aufzeichnung zu einer Nachdichtung inspirieren ließen. Immer wieder findet man unter dem Titel Evening Hymn of the Tyrolese Peasants Gedichte von meist unbekannten Verfassern, in denen ein Baum im Licht des Sonnenuntergangs im Mittelpunkt steht, der zum Ausruhen nach einem harten Arbeitstag einlädt. Hin und wieder wird der Titel, wie bei Sherer, unfreiwillig verballhornt auf Deutsch wiedergegeben, wie folgende Nachdichtung zeigt: Evening Hymn of the Tyrolese Peasants „Der lieben feür stunde schleckt“ Hark! ’tis the hour of lov’d repose, ’Tis sunset – and our toils we close; We’ll lie down in the pleasant shade, How sweet is rest by labour made!38 Etwa zur gleichen Zeit, also in den 1830er-Jahren, finden wir auch im Tiroler Raum wieder Belege für das Lied. So scheint „Die liebe Feyerstunde schlägt“ in einer der drei Liederhandschriften des „Volkssängers“ Christian Blattl (1805–1865) aus Fieberbrunn bzw. St. Johann in Tirol auf.39 Auch aus späterer Zeit existieren Hinweise auf die weite Verbreitung und Popularität des Liedes, wie der historische Roman Mein Eden des bayerischen Dramatikers Hermann von Schmid zeigt. Schmid (1815–1880) interessierte sich besonders für das „Volksleben“ und da er von Beruf Jurist war, inspirierten ihn vor allem Gerichtsakten zu seinen Romanen und Erzählungen.40 Mein Eden handelt von einem jungen Adeligen, der vorhat, unstandesgemäß eine Wirtstochter zu heiraten, was die korrupte Obrigkeit aber verhindern möchte. Der Heirat wird nicht zugestimmt, da der in Finanznöten steckende Servitinnenorden die wohlhabende Wirtstochter anwerben will, um durch ihre Mitgift als „Braut Christi“ die Ordenskassa aufzubessern. Im Roman tauchen einige historische Gestalten auf, wie der Jesuitenpater Ignaz Frank (1725–1795) und der GeFelicia Dorothea Browne Hemans: The poetical works of Mrs. Felicia Hemans: Complete in one Volume, Philadelphia 1841, S. 432. 36 Johann Rudolf Wyss / Friedrich Meissner (Hg.): Sammlung von Schweizer-Kühreihen und alten Volks liedern, Bern 1812, Nr. 24. Siehe dazu auch Kapitel 14 in diesem Band. 37 Armin W. Hadamer: Mimetischer Zauber. Die englischsprachige Rezeption deutscher Lieder in den USA 1830–1880, Münster 2008 (Volksliedstudien 9), S. 175. 38 Anon.: The Christian Pioneer: Intended to uphold the Great Doctrines of the Reformation […], Vol. VI, September 1831 – August 1832, Glasgow 1832, S. 330. 39 Schmidt: Volksgesang und Volkslied (wie Anm. 11). 40 Hyacinth Holland: „Schmid, Hermann von“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 31 (1890), S. 664– 670 (Onlinefassung); http://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Schmid,_Hermann_von&oldid= 1222638 (18. 05. 2011). 35 208 Kapitel 10 heimrat Georg Kaspar Lippert (1729–1800). Frank war der Beichtvater des Kurfürsten Karl Theodor in Bayern (1724–1799) und gelangte zu einigem politischen Einfluss.41 Der Jurist Georg Kaspar Lippert wurde im 19. Jahrhundert als „schurkischgrausamer Großinquisitor der Illuminatenverfolgung“ angesehen und zusammen mit Frank in der bayerischen Historiografie dahingehend „überschätzt“.42 In diesem Kontext ist auch der besagte historische Roman Mein Eden zu sehen, in dem das Lied „Die liebe Feyerstunde schlägt“ eine wichtige Rolle spielt. Die diesbezügliche Passage beginnt mit dem Morgenspaziergang des Geheimrats von Lippert zu seinem Freund, dem Jesuitenpater Frank: Er schritt durch das enge Gäßchen dem Anger zu, als kräftiger Gesang ihn vermochte, einen Augenblick anzuhalten. Der Gesang kam aus einer Schusterwerkstatt, in welcher einige Gesellen d’rauflos hämmerten und sich die Arbeit mit dem Gedanken an den Feierabend versüßten. Lippert kannte das Lied längst, denn „Die liebe Feyerstunde schlägt“ war damals auf allen sangeslustigen Lippen, dennoch blieb er stehen, denn der sonst unbeachtete Inhalt des Liedes war ihm noch nie so sehr aufgefallen. Die Gesellen sangen eben die letzten Strophen zu Ende: „Es währt nur alles kurze Zeit auf dieser Welt, und dann fängt mit der langen Ewigkeit der Feierabend an! Dann sind wir alle wieder gleich, das Tagewerk ist aus, und jeder gehet, Arm und Reich um seinen Lohn nach Haus!“ „Wie tief das aufrührerische Gift sich überall schon eingefressen hat!“, sagte der Lauscher für sich. „In den harmlosen Genuß der Ruhe muss sich als würzender Zusatz der Gedanke der Gleichheit mischen, und des gehofften Lohnes freuen sie sich nur, weil ihnen dabei die Vorstellung der Wiedervergeltung, die Rache vorschwebt! Die Censur ist noch viel zu nachsichtig – man wird die Überwachung auch in dieser Richtung ausdehnen müssen!“ Lippert wollte weiter, aber der Wiederbeginn des Gesanges machte, daß er noch einmal seine Schritte anhielt. Diesmal waren es nur ein paar Stimmen, welche nach der Melodie des vorausgegangenen Liedes in komisch-pathetischem Tone eine weitere Strophe sangen. Sie lautete: „Und kriegt ein Jeder seinen Lohn, Vergiß dann nicht den ‚Edlen von‘, Gieb doppelt ihm die Portion. Ach lieber Gott, du kennst ihn schon!“ Lautes Gelächter folgte dem Liede: Lippert, der nur zu gut wußte, wer unter dem ‚Edlen von‘ gemeint war, biß die Zähne übereinander und eilte mit zornglühendem Gesichte weiter, nachdem er einen Blick nach dem Schilde geworfen hatte, auf welchem der Name des hier wohnenden Schumachermeisters angemalt stand. „Übermüthiges Geschmeiß!“ knirschte er. „Du sollst an mich denken. Der ‚Edle von‘ wird Euch schon noch dahin bringen, daß Euch die Luft zum Spotten und Singen vergeht!“43 „Die liebe Feyerstunde“, oder besser: die Kontrafaktur des Liedes, erscheint hier als aufklärerischer, sozialkritischer Spottgesang. Da Schmid sich bevorzugt von Gerichtsakten zu seinen Erzählungen inspirieren ließ, ist es durchaus möglich, dass auch diese Passage des Romans auf einen konkreten Fall zurückzuführen ist. Karl Theodor von Heigel: „Frank, Ignaz“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 7 (1878), S. 252f. (Onlinefassung); http://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Frank,_Ignaz&oldid=1012573 (18. 05. 2011). 42 Peter Fuchs: „Lippert, Johann Kaspar Edler von“, in: Neue Deutsche Biographie 14 (1985), S. 657f. (Onlinefassung); http://www.deutsche-biographie.de/pnd117044350.html (11. 09. 2012). 43 Hermann von Schmid: Gesammelte Schriften. Volks- und Familien-Ausgabe. 6. Band: Mein Eden. Eine Münchener Geschichte aus den Zeiten Karl Theodor’s, 1. Teil, Leipzig 1868, S. 70f. 41 Die liebe Feyerstunde schlägt 209 Resümee „Die liebe Feyerstunde schlägt“ (auch: Der Feierabend, Die Feierabendstunde oder Der Tagelöhner) ist das schönste Lied im Umfeld der politischen Wirren in Tirol um 1809: keine knallenden Stutzen, kein grölendes Kampfgeschrei. Ein tiefsinniges und ruhiges Lied, immer noch aktuell und berührend. Die Zeitzeugen, die das Lied schildern, lässt es nicht kalt, weder Anton Knoflach in Innsbruck, der sich wundert, dass Hofer und seine Gefährten so besinnlich gestimmt waren, dass sie „sogar“ dieses Lied sangen, noch den Offizier in Binabiburg, für den es oft „süsser Trost“ war. Dem britischen Reisenden Moyle Sherer ging das Lied, obwohl deutsch, tagelang nicht aus dem Kopf und er gab seinen Inhalt und Charakter nach seinem Gedächtnis wieder, was schließlich dazu führte, dass britische und amerikanische Dichter sich inspiriert fühlten, das Lied nachzudichten, so z. B. James Robinson Planché, der Librettist der Oper Hofer the Tell of the Tyrol (1829), oder Felicia Dorothea Browne Hemans mit ihrer Version Tyrolese Evening Hymn (ca. 1828). Was die Rezeptionsgeschichte des Liedes angeht, so entstanden infolge von Sherers Aufzeichnung aus einem populären deutschsprachigen Lied des frühen 19. Jahrhunderts, oder vielmehr: aus der Idee dieses Liedes, englischsprachige Lieder, deren Titel immer auf Tirol verweisen und von denen eines, nämlich jenes der britischen Dichterin Hemans, sehr populär wurde. Die politische und religiöse Vereinnahmung des Liedes im deutschsprachigen Raum ist von besonderem Interesse. Hofer und seine Kameraden sangen es als besinnliches und religiöses Lied am Ende eines Tages. Für den „Volksaufklärer“ Rudolf Zacharias Becker zählte es zu den moralisch wertvollen Liedern, weshalb er es in sein Mildheimisches Liederbuch aufnahm. Becker vermied allerdings den „sozialkritischen Beigeschmack“ des Liedes, indem er jene dritte Strophe, die die „Faulheit“ der „Reichen“ anspricht, wegließ. Die bewusste Aussparung dieser Strophe zeigt, dass man das revolutionäre Potential des Liedes durchaus verstand. Nicht zuletzt Hermann von Schmids historischer Roman Mein Eden unterstreicht diese Annahme: Womöglich durch Gerichtsakten inspiriert, dient hier das Lied als Grundlage für einen gegen die Aristokratie gerichteten Spott gesang. Kapitel 11 „Often hab’n wir herzlich g’flent, daß man uns von Oestreich trennt“. Wann i in der Früh aufsteh Sandra Hupfauf Das um 1800 populäre Tiroler Lied „Wann i in der Früh aufsteh“ diente Verfassern von Tiroler Kriegsliedern zwar auch als Melodiegrundlage, zu einem „Tiroler Freiheitslied“ wurde es allerdings vor allem durch den irischen Dichter Thomas Moore. Er dichtete um 18121 das Lied um und schuf mit seinem Tyrolese Song of Liberty einen internatio nalen Schlager, dessen Titel auf die „Tiroler Freiheit“ anspielt. Anhand der Rezeptionsgeschichte des Liedes und seiner verschiedenen Varianten sind der Freiheitsbegriff und der Patriotismus als bedeutende und durchaus politisch verstandene ideelle Aspekte der Tyrolienne-Mode zu erkennen. Über den Ursprung des Liedes „Wann i in der Früh aufsteh“, seine Bearbeitungen für verschiedene Instrumente und seine Verbreitung wurde schon ausführlich geschrieben. Thomas Nußbaumer vermutet, dass das Lied aus dem Singspiel Der Lügner stammt, das 1785 in Pressburg aufgeführt wurde, und dass höchstwahrscheinlich František Xaver Tost (1754–1829) die Melodie komponierte.2 Schon zur Zeit der Tiroler Aufstände dürfte es ein „Hit“ gewesen sein, was im Folgenden anhand einer Neutextierung mit kriegerischem Inhalt gezeigt werden kann. Wenig später wurde das Lied wahrscheinlich in das Repertoire der ersten fahrenden Tiroler Sängergruppen aufgenommen und noch heute gilt es als eines der bekanntesten „Nationalsängerlieder“ und als das Aushängeschild der Tyrolienne-Mode3 schlechthin. Der leichtlebige und durchaus zweideutige Inhalt des Textes rund um eine schöne Sennerin und das heitere Almleben ist für das Liedrepertoire der Nationalsänger typisch.4 Um 1812 bearbeitete Ludwig van Beet hoven das Lied,5 und etwa zeitgleich erfolgte die erwähnte englische Umdichtung des Liedes durch Thomas Moore, was dem Lied Bekanntheit und Verbreitung im englischen und deutschen Sprachraum gleichermaßen einbrachte. Schließlich wurde es 1827 unter Lord John Russell (Hg.): Memoirs, Journal, and Correspondence of Thomas Moore, Vol. 1, London 1853, S. 282f. (No. 176). 2 Thomas Nußbaumer: „‚Wann i in der Früh aufsteh‘ – ein ‚air tirolien‘ in künstlerischen und populären Bearbeitungen und Überlieferungen“, in: Thomas Nußbaumer (Hg.): Volksmusik in den Alpen: interkulturelle Horizonte und Crossovers, Anif/Salzburg 2006 (Innsbrucker Hochschulschriften, Serie B: Musikalische Volkskunde 6), S. 177–206. Siehe auch Liedindex, Nr. 65. 3 Walter Salmen: „Die weltweite Verbreitung von ‚Airs tiroliens‘“, in: Kurt Drexel / Monika Fink (Hg.): Musikgeschichte Tirols. 2. Band: Von der frühen Neuzeit bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, Innsbruck 2004 (Schlern-Schriften 322), S. 799–818. 4 Tobias Widmaier: „Salontiroler – Alpiner Musikfolklorismus im 19. Jahrhundert“, in: Reto Furter / Anne-Lise Head-König / Luigi Lorenzetti (Hg.): Cultures alpines / Alpine Kulturen, Zürich 2006 (His toire des Alpes / Storia delle Alpi / Geschichte der Alpen 11), S. 61–72. 5 Georg Kinsky / Hans Halm (Hg.): Das Werk Beethovens. Thematisch-bibliographisches Verzeichnis seiner sämtlichen vollendeten Kompositionen, München – Duisburg 1955, S. 663. 1 212 Kapitel 11 dem Titel When The Matin Bell (Übersetzung: William Ball) nochmals in London veröffentlicht, und zwar in der Sammlung Tyrolese Melodies 6 von Ignaz Moscheles, die aus Arrangements von Liedern für Singstimmen und Klavier der Nationalsängerfamilie Rainer aus dem Zillertal besteht. Durch regen Notenhandel zwischen Großbritannien und den USA wurde das Lied bald danach auch in den USA beliebt, wie Armin W. Hadamer in seiner Abhandlung über die Rezeption deutschsprachiger Lieder in den USA anhand zahlreicher Belege für amerikanische Kontrafakturen nachweisen kann.7 Nationallieder Ein wichtiger Hintergrund der „Tirolerlied-Mode“ war die politische Lage in Tirol um 1800. Bisher wurden die historisch-politischen Umstände als prägender Faktor für die Entstehung von „Nationalliedern“ und der Tiroler Nationalsängergesellschaften kaum beachtet, obgleich schon die Begriffe „Nationallied“ und „Nationalsänger“ politische Dimensionen implizieren. Im Allgemeinen werden insbesondere die Alpenbegeisterung des 18. Jahrhunderts und die Volksliedbewegung im deutschen Sprachraum seit Johann Gottfried Herder als Ursachen für die musikalische Tirolermode angesehen, als deren erster Höhepunkt das Wiener Singspiel Der Tyroler Wastel von Johann Jakob Haibel (1762–1826) und Emanuel Schikaneder (1751–1812) gilt.8 Natürlich traf die Thematik des Stücks, das von einem Tiroler handelt, der in der Wiener Großstadt mit rustikalen Methoden für Ordnung sorgt, den Nerv der Zeit. Trotzdem sollte man nicht außer Acht lassen, dass das Singspiel im Mai 17969 mitten in die Zeit des ersten Koalitionskrieges fällt und einen Monat, nachdem Tirol in Kriegsbereitschaft versetzt worden war, uraufgeführt wurde. Die zahlreichen nachfolgenden Aufführungen des Tyroler Wastel fanden in einer Periode der politischen Wirren und Stimmungsmache statt. Besonders kennzeichnend für diese Phase ist die „Musikalische Spendenaktion für die Tiroler“ von 1799. Damals veröffentlichte die Wiener Zeitung eine „Nachricht an die edeln Mitbürger aller Stände von den gesammten österreichischen Staaten“ mit dem Ziel, „eine Sammlung für die während dieser unglücklichen Kriegsepoche auf vielfache Art zu Schaden gekommenen Tyroler und Vorarlberger“10 durchzuführen. Der künstlerisch bedeutungsvollste und auch finanziell erfolgreichste Beitrag dieser sehr modern anmutenden achtmonatigen Spendenaktion war die so genannte „Landsturmkantate“ (Tyroler Landsturm)11 des Wiener Hofkapellmeisters Antonio Salieri (1750–1825).12 Ignaz Moscheles (Hg.): The Tyrolese Melodies Arranged for One or Four Voices with an Accompaniment for the Piano Forte, London 1827. 7 Armin W. Hadamer: Mimetischer Zauber – die englischsprachige Rezeption deutscher Lieder in den USA 1830–1880, Münster 2008 (Volksliedstudien 9), S. 53, S. 176. 8 Z. B. ebd., S. 800; Nußbaumer: „Wann i in der Früh aufsteh“ (wie Anm. 2), S. 181, und Widmaier: „Salontiroler“ (wie Anm. 4), S. 63. 9 Siehe dazu Nußbaumer: „Wann i in der Früh aufsteh“ (wie Anm. 2), S. 181. 10 Wiener Zeitung, Nr. 30, 13. April 1799, Anh., S. 1122f. 11 Antonio Salieri: Das [sic!] tyroler Landsturm. Cantata 1779 [recte 1799] (Österreichische National bibliothek, Wien, Mus. Hs. 16426.1 Mus.). 12 Mehr dazu in: Josef Gmeiner: „‚Zum Vortheil der durch feindliche Verheerungen verunglückten Tyroler und Vorarlberger Landeseinwohner‘ – Salieris ‚Landsturmkantate‘ als Beitrag zu einer Aktion Nachbar in Not des Jahres 1799“, in: Helmut Lang / Hermann Harrauer (Hg): Mirabilia Artium libro6 Wann i in der Früh aufsteh 213 Schikaneders Der Tyroler Wastel läutete nicht nur die Tirolermode ein, er schuf auch das Bild des lustigen Tirolers („Die Tiroler sind lustig, die Tiroler sind froh“), der naturverbunden, urwüchsig, hart arbeitend und trotzdem immer sorglos sein Leben bewältigt. Das Singspiel war in vielerlei Hinsicht stilprägend, unter anderem auch sprachlich. Dies erkennt man beispielsweise an einem Freudenlied, das 1809 auf die Weise von „Wann i in der Früh aufsteh“ „bey der Ankunft seiner kaiserlichen Hoheit des Erz herzogs [Johann] in Tyrol“ gesungen wurde. Diese frühe Tiroler Kontrafaktur des einstigen Bühnenliedes ist auf einem gedruckten Flugblatt erhalten. Die im Lied verwendete Mundart wird von den Literaturforschern Robert Franz Arnold und Karl Wagner zutreffend als „vermeintlicher Tiroler Dialekt, wie ihn die Wiener z. B. aus Schikaneders Tiroler Wastl kannten“, bezeichnet:13 Freudenlied der tapfern Tyroler, gesungen bey der Ankunft seiner kaiserlichen Hoheit des Erzherzog [sic] in Tyrol nach gehaltener Anrede. Zu Singen nach der lustigen Alpen-Melodie: „Wann ich in der Fruh aufsteh etc.“ 1. Brüder! ruft aus Herzensgrund Und vereint mit einem Mund, Lasset uns recht wacker freuen Und mit lautem Jubel schreyen, Unser Glück ist ja gemacht. 2. Often hab’n wir herzlich g’flent, Daß man uns von Oestreich trennt, Doch Tyroler thun nicht zagen, Können oft gar viel vertragen, Hoffen auf ein bessre Zeit. 3. Still blieb jeder in sein Haus, Denn das Liedl war nicht aus – Aber! wie die Bayrn seyn können, Habn uns wolln Rekruten nehmen, Ah da hab’n wir schel drein g’schaut. 4. Der Tyroler ist Soldat, Kommt zum raufen niemal z’spat; Nimmt er in die Hand sein Stutzen, Kann er gleich ein weggaputzen, Daß er’s Aufstehn a vergisst. 5. Alle, alle streiten gern, Doch nur für ihr’n alten Herrn; Aber merkts euch’s ihr Franzosen, Da dürfts ös noch länger losen, Für eng spannen wir kein Hahn. 6. Drum hab’n wir auch kaum gehört, Daß der Kaiser Franz sich wehrt; rum Recreat Te tuosque Ebriant, Dona natalicia Ioanni Marte oblata, Wien 2001 (Biblos-Schriften 177), S. 73–90, hier S. 80. 13 Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun – die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des Literarischen Vereins in Wien XI), S. 448. 214 Kapitel 11 Sackerlot! die Alt und Jungen Sind die gleich für Freuden g’sprungen Und habn’s Stutzerl füri g’sucht. 7. Künstlich sind wir nicht im Streit, Doch ward unser Land befreyt, Ja der Feind wird auf das Essen Schwerlich wohl sobald vergessen, Ang’schlagen hat’s ihm gar nicht gut. 8. Und itzt ruft Viktoria! D’ Kaiserlichen sind schon da, Kaiser Franz hoch sollst du leben, Die Tyroler alle geben Dir mit Freuden Gut und Blut! 9. Was der Gastwirth Straub gethan, Wagt für Dich ein jeder Mann, Laß Prinz Johann Dich begrüßen Unter tausend Herzensküssen, Hoch leb dieser wackre Held. 10. Hoch leb ’s ganze Kaiserhaus! Ruhet freudenvoll nun aus, Nichts soll uns von Euch mehr trennen, Unser aller Herzen brennen Nur von Lieb für Oestreichs Haus. 11. Treulich schütteln wir die Hand Deutscher Krieger hier im Land, Laßt nun Brüder euch umarmen, Treue Herzen nur erwarmen In der Lieb fürs Vaterland. 12. Gut und treu ist stets Tyrol, Und so lebt es froh und wohl, In der G’schicht von unsern Tagen Wird die spätste Nachwelt sagen: Nur der Feind fürcht das Tyrol.14 Das Freudenlied entstand allem Anschein nach nicht in Tirol, sondern höchstwahrscheinlich in Wien, worauf neben dem Textstil vor allem der Druckort Wien des Flugblattes schließen lässt. Ergänzt man die für das Lied „Wann i in der Früh aufsteh“ eigentümlichen Jodlersilben nach den ersten beiden Versen und dem letzten Vers jeder Strophe, so wird ersichtlich, dass der Text bestens zur Melodie unseres Liedes passt. Dass das Lied wirklich gesungen wurde, liegt darum durchaus im Bereich des Möglichen. Der für die damalige Zeit typische Nationalismus in der Kunst resultierte aus der politischen Lage und dies gilt auch für die Tyrolienne-Mode. So ist Beethovens oft zitierter Ausspruch, „Ich denke, eine Volkslieder-Jagd ist besser als eine Menschen-Jagd Ebd., S. 251–253. – Siehe auch Freudenlied (Zum Singen nach der lustigen Alpen-Melodie: Wann ich in der Früh aufsteh) [Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck (im Folgenden: TLMF), FB 2071]. Siehe auch Liedindex, Nr. 13. 14 Wann i in der Früh aufsteh 215 der so gepriesenen Helden“,15 auch ein politisches Statement, wie die Einteilung seiner Volkslied-Arrangements nach „Nationen“ ebenso diesem Zeitgeist entsprach.16 Ohne den Heldenmythos Andreas Hofer wäre die Tyrolienne-Mode sehr bald im Sande verlaufen und auch nie derart bedeutend geworden. Zur Verbreitung der Tyrolienne-Mode im englischsprachigen Raum trug der bereits genannte irische Poet Thomas Moore entscheidend bei. Durch seine Neutextierung von „Wann i in der Früh aufsteh“ schuf er den Prototyp des englischsprachigen „Tiroler Freiheitsliedes“, was nicht zufällig geschah, wie Thomas Moores Arbeit und Umfeld erkennen lassen. Thomas Moores „Freiheitslied“: Tyrolese Song of Liberty Thomas Moore war ein leidenschaftlicher Sänger von traditionellen irischen Liedern und schrieb neue Texte für irische Melodien. Sie wurden, versehen mit instrumentaler Begleitung von Sir John Stevenson, ab ca. 1808 bei den Verlegern William und James Power unter dem Titel Irish Melodies 17 veröffentlicht. Die Irish Melodies waren ein Riesenerfolg und erschienen bis 1834 in zehn Bänden. Politisch bewegte sich Moore als Katholik und ehemaliger Unterstützer der Französischen Revolution mit seiner Sammlung auf einem schmalen Grad, denn sowohl in Irland als auch in Großbritannien war man mit den Inhalten einzelner Lieder oft nicht einverstanden. Der Erfolg der Edition ist natürlich auch ein Zeichen für die starke Besinnung auf das Nationalgefühl und die wachsende Volksliedbegeisterung der Zeit. Moore achtete besonders darauf, dass seine Lieder auch gesanglich ansprechend waren. Er war musikalisch gebildet, doch interessierte er sich primär für populäre Musik und stand den aus seiner Sicht allzu gelehrten Formen der Kunstmusik skeptisch gegenüber. Als Sänger konzentrierte er sich mehr auf den persönlichen Ausdruck als die korrekte Ausführung des Notentextes, ein „deklamatorischer“ Stil war sein Ideal. Als er 1821 schweren Herzens eine Ausgabe der Irish Melodies 18 ohne Melodien autorisierte, da seine Verleger William und James Power darauf bestanden hatten, betonte er, dass die Verse ohne Musik nur die halbe Aussagekraft besäßen.19 Besonders mit James Power stand Moore in regem Briefkontakt und diskutierte auch über passende Titel für seine Lieder, wie 1812 im Fall des Tyrolese Song of Liberty: The title of „Merrily oh!“ I would have as follows: „the Tyrolese Song of Liberty; a national air, arranged with English words, and dedicated to Miss Rawdon“: but I should like to see it as arranged for a single song before you print it, if that be not already done, or at least a proof of it.20 Alfred Christlieb Kalischer (Hg.): Beethovens Sämtliche Briefe: kritische Ausgabe, Band IV, Berlin – Leipzig 1908, S. 86. 16 Siehe dazu Salmen: „Die weltweite Verbreitung von ‚Airs tiroliens‘“ (wie Anm. 3), S. 802. 17 Thomas Moore (Hg.): Irish Melodies, London 1808–1834, z. B. Irish Melodies. With Symphonies and Accompaniments by Sir John Stevenson, Mus. Doc, and Sir Henry Bishop, London 1859. 18 Thomas Moore (Hg.): Irish Melodies, London 1821. 19 Hoover H. Jordan: „Thomas Moore: Artistery in the Song Lyric“, in: Studies in English Literature, 1500–1900 2 (1962), Heft 4, Herbst: Nineteenth Century, S. 403–440. 20 Thomas Moore an James Power, 1812, in: John Russell (Hg.): Memoirs, Journal, and Correspondence of Thomas Moore, London 1853, S. 282f. (No. 176). 15 216 Kapitel 11 Abb. 1: Thomas Moore (Hg.): The Tyrolese Song of Liberty (Johns Hopkins University, Baltimore, Levy Sheet Music Collection, Box 113, Item 053). Moore passte den Text seines Tyrolese Song of Liberty perfekt der Melodie von „Wann i in der Früh aufsteh“ an. Das „Merrily oh“ ersetzt den Jodler, der Affekt steigert sich im Laufe der Strophen (siehe Abb. 1). 1. Merrily ev’ry bosom boundeth, merrily oh! Merrily oh! Where the song of freedom soundeth, merrily oh! Merrily oh! There the warrior’s arms, Shed more splendor, There the maiden’s charms, Shine more tender: Ev’ry joy the land surroundeth, merrily oh! Merrily oh! Merrily, merrily […] 2. (Slow and Melancholy.) Wearily ev’ry bosom pineth, wearily oh! Wearily oh! Where the bond of slavery twineth, wearily oh! Wearily oh! There the warrior’s dart, Hat ho fleetness; There the maiden’s heart, Hath no sweetness: Ev’ry flow’r of life declineth, wearily oh! Wearily oh! Wearily, wearily […] 3. (Quick and Spirited). Cheerily then from hill and valley, cheerily, oh! Cheerily oh! Like your native fountains sally, cheerily oh! Cheerily oh! If a glorious death Won by bravery, Wann i in der Früh aufsteh 217 Sweeter be than breath Sigh’d in slavery: Round the flag of freedom rally, cheerily oh! Cheerily oh! Cheerily, cheerily […].21 Eine Rechnung im Nachlass des Verlegers von Moore belegt, dass der Tyrolese Song of Liberty spätestens 1813 fertiggestellt wurde, also bald nach den kriegerischen Aufständen in Tirol. Anhand der in dieser Rechnung aufgelisteten Lieder sind Moores Lied themen gut erkennbar: A Finland Song for three voices ist ein „Nationallied“, From life without freedom und The Song of War thematisieren Krieg und Freiheitskampf, der Tyrolese Song of Liberty verbindet beides: Stamped receipt for £ 500 in Mr. Moore’s autograph, folio, 6th March 1813. This receipt was given to Mr. James Power for an annual payment according to deed of 1811, for the copyright of the 5th number of the Irish Melodies, and the following songs. „Oh see those Cherries.“ A Ballad „Oh fair! Oh purest.“ A sacred Song „Joys that pass away.“ A Duett „Oh forget that you ever were mine.“ A Ballad „A Finland Song for three voices.“ „Oh remember the time.“ A song „The Tyrolese Song of Liberty.“ „From life without freedom.“ A Song And „The Song of War.“22 Dass Moores Lieddichtungen vor allem politisch gemeint sind und seiner nationalen Überzeugung entsprechen, ist nicht zu übersehen. Sowohl er als auch sein Umfeld waren politisch interessiert oder auch engagiert.23 Zu seinen engsten Freunden gehörten der Dichter Lord Byron (1788–1824) und das Ehepaar Mary und Percy Shelley. Letzterer schrieb sozialkritische Gedichte und Lord Byron kam 1824 im so genannten „Griechischen Freiheitskampf“ ums Leben, nachdem er geschworen hatte, die Griechen in ihrem Kampf gegen das Osmanische Reich zu unterstützen. Das Ehepaar Shelley verbrachte mit Lord Byron 1816 einen Sommer in der Schweiz, wo die Shelleys zeitweise lebten. Mary Shelley erzählte Thomas Moore später, als dieser seine Biografie über Lord Thomas Moore (Hg.): The Tyrolese Song of Liberty, Philadelphia o. J. (Johns Hopkins University, Baltimore, Levy Sheet Music Collection, Box 113, Item 053). 22 Thomas Crofton Croker: Notes from the letters of Thomas Moore to his Music Publisher with an introductory letter from Thomas Crofton Croker ESQ., London 1854, S. 11. 23 In einem Brief vom 29. April 1808, in dem es um Moores bevorstehenden Umzug von Dublin nach London geht, schickt er an seine langjährige Freundin Lady Donegal folgende amüsanten Zeilen, die von seiner umfassenden politischen Bildung zeugen: „How happy when the two objects are reconciled! Well, against these motives of pleasure and ambition, I had a sad array of most cooling considerations; indeed, many of the reasons why Austria should not go to war, were the very reasons why I should not go to London – an exhausted treasury, dilapidated resources, the necessity of seeking subsidies from those who would fleece me well for it in turn, the unprepared state of my capital […].“ Moore bemerkt hier, dass die gleichen Gründe gegen seinen Umzug nach London sprechen wie gegen einen Eintritt Österreichs in den Krieg: eine leere Kasse und die Notwendigkeit, Unterstützung von denen zu erbitten, von denen man im Gegenzug „übers Ohr gehauen“ wird; zit. nach Russell (Hg.): Memoirs, Journal, and Correspondence (wie Anm. 20), S. 236f. 21 218 Kapitel 11 Byron verfasste, wie sie den Tyrolese Song of Liberty, gesungen von Byron, auf dem Genfer See zum ersten Mal hörte. Moore darüber in seiner Byron-Biografie: After passing a fortnight under the same roof with Lord Byron at Sécheron, Mr. and Mrs. Shelley removed to a small house on the Mont-Blanc side of the Lake within about ten minutes walk of the villa which their noble friend has taken, upon the high banks, called Belle Rive, that rose imme diately behind them. During the fortnight that Lord Byron outstaid them at Sécheron, though the weather had changed and was become windy and cloudy, he every evening crossed the Lake with Polidori, to visit them; and, „as he returned again (says my informant [Mary Schelley]) over the darkened waters, the wind, from far across, bore us his voice singing your Tyrolese Song of Liberty, which I then first heard, and which is to me inextricably linked with this remembrance“.24 Mary Shelley verarbeitete dieses Erlebnis später in ihrem Roman The last man (1833): Suddenly, unannounced, Lord Raymond entered my apartment. He came in gaily, singing the Tyrolese song of liberty; noticed me with a gracious nod, and threw himself on a sofa opposite the copy of the Apollo Belvidere.25 Aber Mary Shelley lebte nicht nur gern in den Alpen, sie unternahm wenig später auch eine Reise durch Deutschland, Österreich und Italien und schrieb darüber in ihrem Reisebericht Rambles in Germany and Italy in 1840, 1842 and 1843.26 Ausgerüstet mit Reiseliteratur und historischen Berichten war sie bestens über die politische Lage und die Aufstände in Tirol informiert und schildert diese ausführlich auf mehr als zwanzig Seiten. Über Andreas Hofer etwa notiert sie folgende sehr kritische Zeilen, die ihre intensive Beschäftigung mit der Thematik verdeutlichen: Hofer is no silken hero. Many portions of his character militate against the laws of romance; he had the German defects joined to their nobler qualities. He was born in the station of an innkeeper, a position rather of distinction in the Tyrol, since bringing the publican into contact with travelers, he acquires knowledge and civilization. He is said to have been indolent, as well as convivial, even to intemperance, in this habits. He was often to be found carousing in a way-side inn, while his companions in arms were in the field. With all this, this countrymen idolized him.27 Auch wenn Moore und sein Umfeld vielleicht nicht für die gesamte europäische Aristokratie und die Intellektuellen typisch sind, so zeigen sie doch zumindest, wie tief verankert der Nationalgeist im Lebensgefühl dieser Jahre war. Durch dieses Nationalgefühl und das generelle politische Interesse wurde man auf die Vorkommnisse in Tirol aufmerksam und wollte neben dem politischen Bild, das man sich durch Berichte und Artikel in Zeitungen schaffen konnte, auch einen kulturellen Eindruck von der Alpenregion bekommen. Die Tyrolienne-Mode kann also nie von den politischen Geschehnissen der Zeit getrennt werden, sie ist eine unmittelbare Reaktion auf sie. So sind auch alle patriotischen Lieder mit Tirolbezug in erster Linie politische Lieder, egal ob wirklich authentisch, neu komponiert oder umtextiert, wie Moores Tyrolese Song of Liberty. Dieser ist ein spezieller Fall: Nur der Titel und die Melodie verweisen auf Tirol, der Text ist auf alle Arten von Kampf gegen Unterdrückung anwendbar und enthält auch keinerlei alpine Klischees. 26 27 24 25 Thomas Moore: Letters and journals of Lord Byron: with Notices of his life, Vol. II., New York 1831, S. 20. Mary W. Shelley: The last man, Vol. I, Philadelphia 1833, S. 58. Mary W. Shelley: Rambles in Germany and Italy, in 1840, 1842, and 1843, Vol. II, London 1844. Ebd., S. 51. Wann i in der Früh aufsteh 219 „The Rainer Family“ und „When the matin bell is ringing“ Als Ignaz Moscheles und William Ball 1827 die Tyrolese Melodies der Tiroler National sängergesellschaft Rainer bearbeiteten, durfte auch das populäre Lied „Wann i in der Früh aufsteh“ bzw. „Wann i morgens früh aufsteh“ nicht fehlen und William Ball übersetzte den Text beginnend mit „When the matin bell is ringing“ (siehe Abb. 2). Die deutschsprachige Version, die dort ebenfalls aufscheint, ist humorvoll, „bodenständig“ und höchst zweideutig: 1. Wann i Morgens früh aufsteh juhe! hudl di he! hudl di he! und zu meine Schwagrin geh juhe! hudl di he! hudl di he! und so nimm i halt mei Sichel, und geh gras mit meinen Michel, draussen in den grünen Kleh juhe! Hudl di he! Hudl di hudl di hudl di […] 2. Auf der Alm da ist gut Leben, hudl di he! hudl di he! da thuts schöne Sendrin geben, hudl di he! hudl di he! Bald thun mir milcha, bald thun mir grasa bald thut die Senderin in’s Horn nein blasen, d’Sendrin schreit juhe juhe juhe! Hudl di he! Hudl di hudl di hudl di […] 3. Senderin du bist meine Freud, hudl di he! hudl di he! Wenn man’s Kuh’l auf die Alma treibt, hudl di he! hudl di he! treibt man’s öfter auf die Alma bekommt man öfter schöne Kalma (Kalba), Treibt mans Kuhla zu dem Bach juhe! hudl die he! hudl di he! treibt man’s öfter auf die Alma bekommt man öfter schöne Kalma, Hudl di hudl di hudl di […]28 Gleich nach Erscheinen von Moscheles’ und Balls Tyrolese Melodies wurde die Ausgabe rezensiert, unter anderem in der britischen Zeitschrift The Kaleidoscope. Darin geht der Rezensent insbesondere auf die Gemeinsamkeiten von „When the matin bell is ringing“ mit dem Tyrolese Song of Liberty ein: With the exception of one, the melodies are all new to the English ear; at least they are so to ours. That one is the Tyrolese Song of Liberty, rendered so familiar to our ears by the charming words and adaptions of Mr. Moore. When we say that this air must give way to several in the Tyrolese Melodies, it is, we conceive, paying a very high compliment to the volume; but certainly not a greater one than it deserves. Mr. Moore’s song is well known. It may be curious to compare his words with a literal translation from the Tyrolese, as it appears in this volume.29 Der Rezensent weist auf die große Bekanntheit der Moore-Version hin, findet, dass sich einige weitere Lieder der Sammlung hinsichtlich der Eingängigkeit ihrer Melodien When the Matin Bell, in: Moscheles (Hg.): The Tyrolese Melodies (wie Anm. 6), S. 53–61. Egerton Smith (Hg.): The Kaleidoscope; or, Literary and Scientific Mirror, Vol. VII, No. 387, Liverpool, 27. November 1827, S. 171. 28 29 220 Kapitel 11 Abb. 2: „When the matin bell is ringing“, in: Ignaz Moscheles (Hg.): The Tyrolese Melodies, Arranged for one or Four Voices with an Accompaniment for the Piano Forte, London 1827, S. 53. durchaus mit dem bekannten Tyrolese Song of Liberty messen können und stellt fest, dass zwischen den Liedinhalten von „When the matin bell is ringing“ und Thomas Moores Version erhebliche Unterschiede bestehen. Im Vergleich zu Moores Umdichtung zu einem Freiheitslied ist William Balls Übersetzung in der Tat eine Überarbeitung des ursprünglichen Liedstoffes: „When the matin bell is ringing“ schildert zwar das friedliche ländliche Arbeitsleben und die Schönheit der Natur, doch alle erotischen Anspielungen wurden entfernt: When The Matin Bell 1. When the matin bell is ringing, Ureli ureli ho! ureli ho! From my rushy pallet springing, Ureli ureli ho! ureli ho! Fresh as morning light, Forth I sally, With my Sickle bright, Through the Valley. To my dear one, gaily singing Ureli ho! Ureli ureli ureli ureli […] 2. When the day is closing o’er us, Ureli ho! ureli ho! And the landscape fades before us, Ureli ho! ureli ho! Wann i in der Früh aufsteh 221 When our merry men leave their mowing, And along the glen Horns are blowing, Sweetly there we lead the Chorus, Ureli ho! Ureli ureli ureli […] 3. Oh, my chosen Maiden treasure, Ureli ho! ureli ho! How my bosom beats with pleasure Ureli ho! ureli ho! When we thus, by Vale, Hill or mountain, Rock or hollow dale, Rill or fountain, Mingle in the tuneful measure! Ureli ho! Ureli ureli ureli […]30 Es ist durchaus möglich, dass Ball das Lied gar nicht bewusst „entschärfte“, denn mundartliche Zweideutigkeiten sind für einen Briten schwer erkennbar, und auch im Falle, dass einer der Rainer-Sänger den Übersetzer bei seiner Arbeit unterstützt hätte, wird er ihm wohl kaum die subtilen Anspielungen zwischen den Zeilen erklärt haben. Der Rezensent im Kaleidoscope bevorzugt Moores Adaption und vergleicht den Tyrolese Song of Liberty mit Balls Fassung „When the matin bell is ringing“ folgendermaßen: Mr. Moore’s music bears a very close resemblance to The Matin Bell, the chief difference is in the conclusion of each verse. Mr. Moore’s repetition of the word „Cheerily,“ „Merrily,“ &c. is much softer, and we think more harmonious than the „Ureli, Ureli,“ &c. of the above, which sounds rather harshy to us.31 Ihm fallen die unterschiedlichen Schlussphrasen der Verse auf, die seiner Meinung nach bei Moore besser gestaltet sind als bei Ball. Von besonderem Interesse ist sein Hinweis, dass schon kurz nach Erscheinen der Tyrolese Melodies in Großbritannien nicht autorisierte Notenausgaben der Rainer-Natio nalsänger auf dem Markt waren: Several spurious editions of the airs sung by the Rainers have made their appearance; they are, however, very incorrect. Mr. Willis is the only person authorized by the Tyrolese family to publish their music, and The Tyrolese Melodies have the fac-simile signatures of the minstrels. We have mentioned this as an act of justice to both singers and publisher as well as the public, who ought to be cautioned against the piracies of needy and unprincipled publishers.32 Es dürften immerhin so viele gewesen sein, dass der Rezensent gebeten wurde, darauf hinzuweisen, oder dass er sich selbst dazu verpflichtet fühlte, denn auch in einer Fußnote betont er noch einmal: „It is necessary here to state, that the copyright of The Tyrolese Melodies, as arranged and sung by the Rainer family has been purchaised of them by Mr. Willis.“33 32 33 30 31 Moscheles (Hg.): The Tyrolese Melodies (wie Anm. 6), S. 53–61. Ebd., S. 171. Ebd. Ebd. 222 Kapitel 11 Eine „zweigleisige“ Rezeptionsschiene in den USA: Das Freiheitslied The Tyrolese Song of Liberty, das Tiroler Lied „When the matin bell is ringing“ und die „Trittbrettfahrer“ Dass der Tyrolese Song of Liberty auch in den USA, weitab von den politischen Wirren in Europa, nicht nur ein populärer Schlager der Zeit war, sondern durchaus auch als politisches Lied verstanden wurde, lässt ein Brief des amerikanischen Politikers, Rechtsanwalts und Sympathisanten der Französischen Revolution William Wirt erkennen, in dem er sich über den neapolitanischen Aufstand des Jahres 1821 äußert. Auch in Neapel waren, wie an anderen Orten Italiens, zu Beginn der 1820er-Jahre Unruhen ausgebrochen, die auf einen politischen Systemwechsel zielten. Die europäischen Mächte hatten einander allerdings bereits im Rahmen der so genannten „Heiligen Allianz“ und darauf folgend beim Kongress von Laibach 1821 gegenseitige Unterstützung im Falle von revolutionären Unruhen zugesagt. Österreichische Truppen rückten daher im Auftrag des Kongresses in Neapel ein und stellten die Königsherrschaft wieder her. Wirt schreibt am 14. Mai 1821, also am Vorabend der Niederschlagung des neapolitanischen Aufstandes, an seinen Freund, den Richter Carr: By-the-bye, did you ever see such a miserable fist as the Neapolitans have made of it? Are these the descendants of Brutus and Cato? O shame and disgrace unspeakable and indelible, in such a cause! I had begun to feel the same sort of throbbing with which my heart beat, near thirty years ago, in the cause of France – and was already panting to go to Naples, and take a hand with them – was chaunting every morning, as soon as I awoke, Merrily every bosom boundeth, Merrily oh, merrily, oh! Where the song of Freedom soundeth, Merrily oh, merrily oh!34 Wirt beurteilt den Aufstand der Neapolitaner zwar als armselig, räumt aber ein, dass er sich trotzdem vom Freiheitsdrang hatte anstecken lassen und jeden Morgen den Tyrolese Song of Liberty anstimmte. Er verwendete das im Jahr 1821 auch in den USA schon bekannte Lied also im Sinne eines politischen Liedes. Während in Großbritannien die früher erschienene Moore-Version weitaus bekannter blieb als die Ball-Version, ist dies für die USA nicht so klar. Dort wurde „When the matin bell is ringing“ im Jahr 1841 von Oliver Ditson, einem der Gründerväter des Musik verlagswesens in Amerika, in Boston gedruckt.35 Die Lieder der Rainer-Familie rangierten unter den frühesten seiner Notenausgaben. Durch Ditsons Geschäftstüchtigkeit erlebten sie eine derart große Verbreitung, dass sie noch heute in sämtlichen SheetmusicBeständen der USA zu finden sind. Die Titelblätter sind meist mit Lithographien der Ur-Rainers gestaltet, also der älteren Generation der singenden Familie, die aber nie in die USA reiste. Die von Ditson publizierte Notenausgabe von „When the matin bell is John P. Kennedy: Memoires of the Life of William Wirt, Attorney-General of the United States, A New and Revised Edition, Vol. II, Philadelphia 1856, S. 108. 35 Ditson schaffte es früh, die Grundsteine für ein Imperium zu legen, indem er kleine Verlage aufkaufte und sich u. a. auf diese Weise nach und nach einen enormen Notenbestand sicherte. Siehe dazu William Arms Fisher: One Hundred and Fifty Years of Music Publishing in the United States: a Historical Study with Special Reference to the Pioneer Publisher, Oliver Ditson Co., 1783–1933, Boston 1933. 34 Wann i in der Früh aufsteh 223 ringing“ kostete nur 25 Cents und ist ein Teil eines Sammelbandes, der auch die Lieder The Alpine horn, The Sweetheart, The Tyrolese in America, The Miller’s Maid und The Free Country enthält. Der musikalische Satz unterscheidet sich von seinem britischen Vorbild, indem anstelle eines vierstimmigen Satzes hier nur die Singstimme wiedergegeben ist, Abb. 3: George Alexander Lee: Hark! Hark! through the wild Wood! The Celebrated Tyrolese War Song (Johns Hopkins University, Baltimore, Levy Sheet Music Collection, Box 042, Item 042). 224 Kapitel 11 Abb. 4: John Barnett: The Tyrolese Woodman’s Song (Johns Hopkins University, Baltimore, Levy Sheet Music Collection, Box 117, Item 091). Wann i in der Früh aufsteh 225 die deutschen Texte fehlen und die Klaviereinleitung um zwei Takte länger ist als jene der Moscheles-Ausgabe. Der Hauptgrund für die Publikation dieser Ausgabe war mit Sicherheit die zwischen 1839 und 1843 stattfindende Amerikatournee der Rainer-Familie. „When the matin bell is ringing“ dürfte zu ihren beliebtesten Liedern gezählt haben.36 Die Popularität des Tyrolese Song of Liberty und von „When the matin bell is ringing“ brachte findige Köpfe dazu, ähnliche Lieder zu schreiben, um vielleicht selbst ein wenig von Moores „Hit“ und der allgemeinen Rainer-Begeisterung zu profitieren. Besonders deutlich erkennbar ist dies am Beispiel des Celebrated Tyrolese War Song des britischen Musikers George Alexander Lee (1802–1851), der, ebenso wie Moore in seinem Tyrolese Song of Liberty, das Kriegsgeschehen vor dem Hintergrund einer romantischen Natur beschreibt, dabei allerdings Erinnerungen an die Kindheit, wilde Wälder, klare Quellen, liebliche Täler und mächtige Berge heraufbeschwört: They come through the wild wood, I hear their warrior strain; The haunts of their childhood, Allure their steps again; I see their glittering spears afar, I hail the glorious voice of war, Hark! hark! Through the wild wood, I hear the martial strain. […]37 Das Lied gehörte zu den Paradenummern der beliebten britischen Sängerin Lucia Vestris („Madame Vestris“) und wurde durch sie bekannt und verbreitet. Auf dem Deckblatt der Notenausgabe des Liedes posiert sie in Tanzbekleidung im Wald (siehe Abb. 3). Der Titel The Celebrated Tyrolese War Song erinnert auch an den Tyrolese War Song der Familie Rainer, ein völlig anderes Lied, dessen Titel im Original Der Tiroler Landsturm lautet.38 Ein weiteres Lied, das mit Anklängen an Moores Tyrolese Song of Liberty kokettiert, ist The Tyrolese Woodman’s Song des britischen Sängers und Komponisten John Barnett. Es ist textlich eng an Moores Hit angelehnt: „Oh! How merrily, / Oh! How cheerily, / Ere the sun awakes him, / The peasant goes o’er mountain snows […]“ (siehe Abb. 4). Die Worte „merrily“ und „cheerily“ wurden eindeutig von Thomas Moore übernommen, allerdings lässt Barnett den politischen Inhalt, den Kampf um Freiheit, vollkommen beiseite und thematisiert stattdessen das Leben eines Försters. Ein idealisiertes Tirolerbild steht dabei im Vordergrund: „He labours on and all his wealth / are peace of mind and ruddy health, / Nor cares the hardy tyrolese / for riches, whilst possess’d of these […]“.39 Dass der Tyrolese song of liberty nachhaltig im allgemeinen Bewusstsein verankert war, sehen wir auch an Kontrafakturen in Liederbüchern, von denen z. B. Armin W. Hadamer einige erwähnt. Siehe Hadamer: Mimetischer Zauber (wie Anm. 7), S. 378. 37 George Alexander Lee: Hark! Hark! through the wild Wood! The Celebrated Tyrolese War Song, o. O. o. J. (Johns Hopkins University, Baltimore, Levy Sheet Music Collection, Box 042, Item 042). 38 Sandra Hupfauf: „Der Tyroler Landsturm: Ein Nationalsängerlied und seine Reise durch die amerikanische Popularmusik des 19. Jahrhunderts“, in: Thomas Nußbaumer (Hg.): Volksmusik in den Alpen – Standortbestimmungen. Festschrift für Josef Sulz zum 80. Geburtstag, Innsbruck 2011 (Schriften zur musikalischen Ethnologie 1), S. 255–279. 39 John Barnett: The Tyrolese Woodman’s Song, o. O. o. J. (Johns Hopkins University, Baltimore, Levy Sheet Music Collection, Box 117, Item 091). 36 226 Kapitel 11 Ein weiteres Lied, das mit dem tapferen und patriotischen Tiroler wirbt, ist Tyrol! Tyrol! My Fatherland (1854) des Amerikaners George W. Hewitt, der wahrscheinlich dem Ditson-Umfeld angehörte: „Tyrol! Tyrol! My Fatherland! / Again thy smiling woods I see, / Where first I tasted happiness, / In that lov’d home, so dear to me […]“.40 „When the matin bell is ringing“ als Studentenlied in Yale Während der Tyrolese Song of Liberty für einige modische Salonschlager vorbildgebend war, fand im Gegensatz dazu das Lied „When the matin bell is ringing“ Eingang in das amerikanische Studentenliedrepertoire und wurde weit über die 1840er-Jahre hinaus in der Studentenszene rezipiert, was eine literarische Quelle aus dem Bereich der Jugendliteratur belegt. Im Tip Top Weekly, der populärsten Wochenzeitschrift für junge Amerikaner, erschienen zwischen 1896 und 1912 die „Abenteuer des Frank Merriwell“, verfasst von Gilbert Patten unter dem Pseudonym Burt L. Standish. Die Geschichten begleiten den jungen Frank durch seine Schul- und Studienkarriere und wurden von Jugendlichen gerne gelesen, da die Hauptperson – sportlich, ehrlich, treu und Lastern wie dem Alkohol oder unmoralischen Beziehungen gänzlich abgeneigt – das männliche Ideal der Zeit propagiert.41 In der Folge „Frank Merriwell at Yale or Freshmen against Freshmen“ (1897) beschreibt der Autor Franks ersten Tag in Yale. Als dieser am Abend am offenen Fenster seinen ersten Eindrücken nachhängt, hört er ein Studentenlied, das ihm seinen Eintritt in das Studentenleben eindringlich nahebringt: As Frank sat by his window listening to the singing, on the evening that this story opens, he was wondering where Harry could be, for his roommate had been away since shortly after supper. Frank knew the merry singers were sophomores, the malicious and unrelenting foes of all freshmen. He would have given not a little had he been able to join them in their songs, but he knew that was not to be thought of for a moment. As he continued to listen, a clear tenor voice struck into that most beautiful of college songs when heard from a distance: „When the matin bell is ringing, U-ra-li-o, U-ra-li-o, From my rushy pallet springing, U-ra-li-o, U-ra-li-o, Fresh as the morning light forth I sally, With my sickle bright thro’ the valley, To my dear one gayly singing, U-ra-li-o, U-ra-li-o.“ Then seven or eight strong musical young voices came in on the warbling chorus, and the boy at the window listened enchanted and enraptured, feeling the subtle charm of it all and blessing fortune that he was a youth and a student at Yale. The charm of the new life he had entered upon was strong, and it was weaving its spell about him – the spell which makes old Yale so dear to all who are fortunate enough to claim her as their alma mater. He continued to listen, eagerly drinking in the rest of the song as it came through the clear evening air: George W. Hewitt: Tyrol! Tyrol! My Fatherland!, New York 1854 (Library of Congress, Washington D. C., Music Division, Music for the Nation: American Sheet Music, Call Number: M1.A12Z vol. 48). 41 Mehr dazu bei Ryan K. Anderson: What would Frank Merrywell do? Middle-class readers and the Progressive Era Roots of All-American Boyhood, Dissertation, Purdue University, Lafayette, Indiana 2006. 40 Wann i in der Früh aufsteh 227 Abb 5: „When the matin bell is ringing“, in: Charles S. Elliot (Hg.): Songs of Yale: A New Collection of College Songs, New Haven 1870, S. 92–94. „When the day is closing o’er us, U-ra-li-o, U-ra-li-o, And the landscape fades before us, U-ra-li-o, U-ra-li-o, When our merry men quit their mowing, And along the glen horns are blowing, Sweetly then we’ll raise the chorus, U-ra-li-o, U-ra-li-o.“42 Und wie zu erwarten, findet sich das Lied im Studentenliederbuch Songs of Yale (1870)43 der Universität unter dem Titel Warble No. 2, und der „Jodler“ wurde hier besonders ausgedehnt (siehe Abb. 5). Auch in anderen amerikanischen „College Songsters“44 findet man das Lied als Studentenlied. Interessant dabei ist, dass nicht der Tyrolese Song of Liberty von Thomas Moore als Vorbild diente, sondern das „unpolitische“ Lied „When the matin bell is ringing“. In diesem Zusammenhang scheint von Bedeutung, dass auch an deutschen Universitäten „gejodelt“ wurde. Zur Zeit der französischen Fremdherrschaft und während der Befreiungskriege brachten einige Studentengruppen auf diese Weise ihre Solidarität mit den aufständischen Tirolern zum Ausdruck.45 Burt L. Standish [Gilbert Patten]: „Frank Merriwell at Yale or Freshmen against Freshmen“, in: Dime Novel Club (Hg.): Tip Top Library, Vol. 1, Nr. 40, New York 1897, S. 1–31, hier S. 3. 43 Charles S. Elliot (Hg.): Songs of Yale: A New Collection of College Songs, New Haven 1870, S. 92–94 (http://archive.org/details/songsyaleanewco00elligoog, 14. 07. 2013). 44 Siehe bspw. S. C. Andrews (Hg.): The American College Songster. A Collection of Songs, Glees, and Melodies, sung by American Students; containing also popular American, English, Irish and German Songs, Negro Melodies, Etc. compiled for the Use of Students and Lovers of Student Music Generally, Ann Arbor 1876, S. 48. 45 Siehe dazu Kapitel 17 in diesem Band. 42 228 Kapitel 11 Resümee Das Tiroler Lied „Wann i in der Früh aufsteh“ war zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein „Hit“ im deutschsprachigen Raum, was auch zu einer Neutextierung des Liedes in Tirol mit kriegerischem Inhalt führte. Thomas Moore gestaltete „Wann i in der Früh aufsteh“ zu einem international erfolgreichen Tiroler Freiheitslied um, indem er seiner Umdichtung von ca. 1812 den Titel Tyrolese Song of Liberty gab. Durch Thomas Moore und sein Umfeld ist ersichtlich, dass sein Lied auch ein politisches Statement war. Zu seiner Verbreitung trug nicht nur die offenbar eingängige „Tiroler Melodie“ bei, sondern vor allem Moores aktueller Text, der den Wunsch nach Freiheit und somit einen zentralen Topos der damaligen Zeit in den Mittelpunkt stellt. Die englische Version des Liedes „Wann i in der Früh aufsteh“ (gesungen von den Rainer-Nationalsängern) von William Ball trägt den Titel „When the matin bell is ringing“. Sie wurde in Großbritannien etwa 15 Jahre nach der Moore-Version veröffentlicht und war bei weitem nicht so erfolgreich wie diese. In Amerika entwickelte sich hingegen eine zweigleisige Rezeptionsschiene, die auch im Zusammenhang mit dem Aufstieg des Musikverlagswesens steht. Die Drucke des Tyrolese Song of Liberty, die man in amerikanischen Sheetmusic-Beständen findet,46 gehören zu den ältesten amerikanischen Musikdrucken überhaupt. Die Popularität des Liedes ist auch durch zahlreiche Kontrafakturen und seine oftmalige Veröffentlichung in (oft aus Großbritannien importierten) Liederbüchern belegt. Die Verbreitung der neuen, amerikanischen Ball-Version des Liedes (wieder mit dem Incipit „When the matin bell is ringing“) ist in den USA einerseits auf die Amerikatournee der zweiten Generation der Nationalsänger Rainer von 1839–1843 und andererseits auf den damaligen Erfolg der Musikdruckbranche zurückzuführen.47 Trotz Moores früher Veröffentlichung erreichte die Ball-Version große Breitenwirkung, was nicht zuletzt ihr Eingang in das Studentenliedrepertoire zeigt. Bemerkenswert ist, dass zur gleichen Zeit viele Musiker versuchten, vom Tyrolienne-Boom zu profitieren und „neue“ Tirolerlieder komponierten. Natürlich handelten viele von jenen Themen, die die Rainer-Familie in den USA etabliert hatte. Neben der Liebe und dem Heimweh waren dies vor allem die Natur, wie in The Cuckoo (Tyrolese),48 oder Jägerfreuden, wie in Hunter of Tyrol.49 Viele Liedschaffende versuchten aber tatsächlich, Moores Tyrolese Song of Liberty zu imitieren, um an dessen Erfolg anzuknüpfen, wie die Lieder The Tyrolese Woodman’s Song, The Celebrated Tyrolese War Song, Tyrol! Tyrol! My Fatherland! und andere zeigen. Die „Tiroler Freiheit“ wurde durch die politischen Ereignisse und den Erfolg der Rainer-Familie und nicht zuletzt durch Thomas Moores berühmten Text auch in den USA ein Topos. Siehe z. B. Sheetmusic Consortium der University of California, Los Angeles, http://digital2.library.ucla. edu/sheetmusic (11. 06. 2012). 47 Siehe dazu die Rainer-Lieder in den Beständen des Sheetmusic Consortium der University of California, Los Angeles. 48 Cuckoo (Tyrolese) (Library of Congress, Washington D. C., Music Division, Music for the Nation: American Sheet Music, Call Number: M2.3.U6A44). 49 Hunter of Tyrol (Johns Hopkins University, Baltimore, Levy Sheet Music Collection, Box 027, Item 056). 46 Kapitel 12 „Er hat als vagöß’n, er liebt das Tyrol, und mier lieb’n von Herz’n unsern Voda“. Tyrola-Liedl 1810 Silvia Maria Erber Nach der Hinrichtung Andreas Hofers und der Besetzung Tirols durch französisches Militär erfolgte eine Neuordnung der Herrschaftsverhältnisse in Tirol. Acht Tage nach Hofers Tod, am 28. Februar 1810, entschied Kaiser Napoleon in Paris, Tirol nicht, wie vor 1809, gänzlich dem Königreich Bayern wieder anzugliedern, sondern das Land stattdessen in drei Teile zu teilen. Der nördliche Teil Tirols wurde mit dem Innviertel und Salzburg vereint und wieder dem bayerischen König Maximilian I. zugeschlagen. Bis 1814 firmierte dieser Teil unter dem Namen „Innkreis“. Die südlichen Teile Tirols mit Bozen und Welschtirol wurden vom neu geschaffenen Königreich Italien, die öst lichen Teile von den Illyrischen Provinzen annektiert.1 Wie kann man sich die Stimmung wenige Monate nach Hofers Tod und der endgültigen Niederschlagung des Aufstandes in Tirol vorstellen? In den meisten geschichtswissenschaftlichen Untersuchungen liest man von „verbreiteter Lethargie“2 und „all gemeiner Erschöpfung und Resignation des Landes nach dem Befreiungskampf “.3 Der Forschungsstand über die zweite Phase der bayerischen Regierung (1810–1814) ist wesentlich schlechter als jener über die Jahre vor dem Aufstand. Nur schwer lässt sich ein Bild von der Stimmung in der Bevölkerung, von den ökonomischen Verhältnissen und den neuen politischen Gegebenheiten anhand der wissenschaftlichen Sekundärliteratur zeichnen.4 Die Tiroler Bevölkerung war vom Krieg wirtschaftlich schwer getroffen. Deshalb verwundert es nicht, dass die Erinnerungen an das Jahr 1809 zunächst keineswegs positiv waren. Männer, die sich in den Kämpfen einen Namen gemacht hatten, wurden oftmals gemieden, ja sogar angefeindet, sodass nicht wenige ins österreichische Ausland auswanderten. Der österreichische Kaiserstaat subventionierte sogar ein Ansiedelungsprojekt für tirolische Flüchtlinge in Ungarn unter der Führung von Josef Speckbacher, das allerdings mit nur bescheidenem Erfolg gesegnet war.5 Georg Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe (1665–1814)“, in: Josef Fontana / Peter W. Haider / Walter Leitner / Georg Mühlberger / Rudolf Palme / Othmar Parteli / Josef Riedmann (Hg.): Geschichte des Landes Tirol. 2. Band: Die Zeit von 1490 bis 1848, Bozen – Innsbruck – Wien 1986, S. 289–579, hier S. 537. 2 Reinhard Heydenreuter: Tirol unter dem bayerischen Löwen. Geschichte einer wechselhaften Beziehung, Regensburg 2008, S. 210. 3 Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe“ (wie Anm. 1), S. 539. 4 Ein neuerer Beitrag dazu: Bernhard Mertelseder: „Kriegsfolgenbewältigung und der öffentliche Umgang mit dem ‚Freiheitskampf ‘ bis 1848“, in: Brigitte Mazohl / Bernhard Mertelseder (Hg.): Abschied vom Freiheitskamf ? Tirol und ‚1809‘ zwischen politischer Realität und Verklärung, Innsbruck 2009 (SchlernSchriften 346), S. 223–240. 5 Ebd., S. 228–231. 1 230 Kapitel 12 Schriftliche Dokumente aus den Jahren unmittelbar nach 1809 lassen erkennen, wie man sich in Tirol mit dem Geschehenen und dessen Folgen auseinandersetzte. Hier ist mitunter von Reue, den Aufstand angezettelt zu haben, und vom Glauben an eine verdiente göttliche Strafe zu lesen.6 Eine 1810 publizierte Flugschrift des Beamten Niklaus Ferdinand Högwein gibt uns Einblicke in seine negative Erinnerung: Heute vor einem Jahre, was war noch? – Mit Schmerz und tief ergriffenem Gefühle erinnert sich noch der Vaterlandsfreund der schauerlichen Scenen, die sein Herz gewaltsam ergriffen, und ihn zu Thränen zwangen. Von empörten Leidenschaften zerrissen blutete das Vaterland, und im wilden Sturme wogten die Gräuel der Empörung mit ihrem verderblichen Gefolge über uns hin. […] Wildes Jauchzen tönte durch die Lüfte nach begangenen Verbrechen, und der Kanonendonner brüllte fürchterlich über unsere Thäler hin um Verbrechen zu verhindern.7 Keinesfalls ist davon auszugehen, dass „Anno Neun“ unmittelbar danach in Tirol auch nur auf eine annähernd so positive Weise erinnert wurde wie dies etwa ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart der Fall war. Bernhard Mertelseder urteilt anhand von Berichten über die Volksstimmung, dass die ersten beiden Jahrzehnte nach 1809 von einer Distanzierung zum „angestammten Herrscherhaus“, dem Haus Habsburg, geprägt waren und die Wahrnehmung der Kriegsfolgen auch aufgrund der massiv verschlechterten ökonomischen Lage in schroffem Gegensatz zur späteren Idealisierung des „Freiheitskampfes“ stand.8 Der volksnahe Kronprinz Ludwig Im Oktober 1810 erhielten die Bewohner jenes Teiles Tirols, das zum Königreich Bayern gehörte, einen neuen unmittelbaren „Stellvertreter“ des Königs, nämlich dessen Sohn Kronprinz Ludwig. Erst zwei Wochen zuvor hatte er Therese von Hildburg-Sachsenhausen geehelicht und sich sodann mit seiner Gemahlin auf den Weg gemacht, seine neue Position als Generalgouverneur im Inn- und Salzachkreis mit Sitz in Innsbruck anzutreten.9 In der populären Literatur wird Kronprinz Ludwig oft als ausgewiesener Tirol-Freund bezeichnet. Ein Grund dafür dürfte seine offene Aversion gegen Napoleon Bonaparte gewesen sein.10 Dass er nun als „volksnaher“ Generalgouverneur die Geschicke im Land leiten sollte, wurde in Tirol offenbar sehr gut aufgenommen. Die Regierung in München versuchte durch die Einsetzung des Kronprinzen Ludwig eine Politik der „Gewinnung der Herzen des Volkes“ in Gang zu setzen,11 um einer erneu- Martin P. Schennach: Revolte in der Region. Zur Tiroler Erhebung von 1809, Innsbruck 2009 (Veröffentlichungen des Tiroler Landesarchivs 16), S. 614–620. 7 Niklaus Ferdinand Högwein: An die Bewohner des Innkreises bey der höchst erfreulichen Ankunft Seiner königlichen Hoheit des durchlauchtigsten Kronprinzen von Baiern Ludwig Karl August und Seiner durchlauchtigsten Gemahlin Therese Karolina. Von Niklaus Ferdinand Högwein, k. b. Polizey-Aktuar, Innsbruck 1810. 8 Mertelseder: „Kriegsfolgenbewältigung“ (wie Anm. 4). 9 Heydenreuter: Tirol (wie Anm. 2), S. 211. 10 Ludwig Hüttl: Ludwig I. König und Bauherr, München 1986; Meinrad Pizzinini: Andreas Hofer. Seine Zeit – sein Leben – sein Mythos, Innsbruck – Wien – Bozen 2008, S. 107, S. 258; Michael Forcher: Bayern – Tirol. Die Geschichte einer freud-leidvollen Nachbarschaft, Innsbruck 1993, S. 168. 11 Heydenreuter: Tirol (wie Anm. 2), S. 210. 6 Tyrola-Liedl 1810 231 ten Entfremdung zwischen den Tiroler Untertanen und dem Herrscherhaus entgegen zu wirken.12 Das militärische Oberkommando über die in Tirol stationierten Truppen sowie das Informations- und Vorschlagsrecht betreffend alle Agenden Tirols zählten zu den wenigen konkreten Funktionen des Generalgouverneurs im Inn- und Salzachkreis. Ludwig selbst sprach von der „Nullität“ seines Amtes.13 Auch wenn die Vereinheit lichung der Verwaltung für die Regierung in München nach wie vor im Zentrum stand, ließ man fürs erste die kirchenpolitischen Reformmaßnahmen, die vor dem Aufstand breiten Raum eingenommen hatten, weitestgehend ruhen. Die Herabstufung der Universität Innsbruck zu einem bloßen Lyzeum, erneute Steuerforderungen und Rekrutierungsmaßnahmen bewirkten allerdings, dass die Skepsis der Tiroler gegenüber der bayerischen Herrschaft auch in den Jahren nach 1810 aufrecht blieb.14 Der bayerischen Regierung in München war durch den Aufstand jedoch klar geworden, dass es zur „mentalen Integration“ der Tiroler Bevölkerung weitreichenderer Bemühungen bedurfte. Minister Maximilian Graf von Montgelas hoffte, dass sich der junge Kronprinz Ludwig, ganz anders als sein Vater, als „überregionale Identifikationsfigur“ schnell großer Beliebtheit erfreuen würde.15 Wissend um die Gefahr eines neuen Aufstandes legte Ludwig im Umgang mit der Bevölkerung und ihren Traditionen Sensibilität an den Tag, selbst wenn es darum ging, Tirol in finanz- und religionspolitischer Hinsicht an das bayerische System anzupassen.16 Eine Inszenierung von politischer Macht Ende Oktober 1810 stattete, wie bereits erwähnt, Kronprinz Ludwig Tirol mit seiner Gemahlin seinen ersten längeren Besuch ab. Man könnte nun vermuten, dass es eine schwierige, möglicherweise sogar ernüchternde Angelegenheit war, als neuer Stellvertreter des bayerischen Königs in eine Region zu reisen, in der die Bevölkerung nur Monate zuvor erbittert Widerstand geleistet hatte. Die von dieser Reise erhaltenen schriftlichen Quellen vermitteln aber ein völlig anderes Bild. Von diesem Herrscherbesuch existiert ein Lied in Form eines gedruckten Flugblattes, das die Tiroler Bevölkerung als reumütig und ergeben präsentiert: Tyrola-Liedl, welches, als Ihre Königl. Hoheiten der Kronprinz und die Kronprinzessin von Baiern einer Bauernhochzeit in Kematen königl. Landgerichts Innsbruck am 30sten October 1810 beywohnten, abgesungen wurde von F. v. Eisank. Gedruckt mit Wagner’schen Schriften. 1. Seyd’s uns recht willkomma Herr Kronprinz in Tyrol, Und a Encka Thresal von Herz’n wißt’s wohl, Bueb’n stöckts dö schö Födan auf, d’Gambsbart dazua; Und göbt’s nu von Juhatz’n gar kainen Ruha. Margot Hamm: Die bayerische Integrationspolitik in Tirol 1806–1814, München 1996 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 105), S. 157. 13 Ebd., S. 157f. 14 Mühlberger: „Absolutismus und Freiheitskämpfe“ (wie Anm. 1), S. 539. 15 Hamm: Integrationspolitik (wie Anm. 12), S. 157. 16 Ebd., S. 158–160. 12 232 Kapitel 12 2. Da Ludwig sein Thres’l dö köma heut her, Und göb’n uns auf unsara Hochzeit dö Ehr Des wißt’s ös ja selba das Heurath’n ist fein, Und heut trift da Fall a bey uns a so ein. 3. Des liebt’s uns von Herz’n, dös söch ma jezt wohl, Kain sollani Hochzeit war nie in Tyrol, Wo so a groß’ Fürstenpaar selbst war dabey; Jezt Buebma rieft’s Vivat! – Und das a mal gley. 4. Da Voda da Kinig, wie gua’t ist krat der, Er schickt uns jezt selba’ den Kronprinz’n her, Er hat als vagöß’n, Er liebt das Tyrol; Und mier lieb’n von Herz’n unsern Voda wißt’s wohl. 5. Dös wöll ma jezt gley unsarn Kindarn schö sag’n, Und soll’n auch unsare Kindskinda frag’n Das uns unsa Kinig sein’ Kronprinz’n göb’n, Und dö liebe Thres’l als Fürstin danöb’n. 6. Dö Hochzeitleut buß’n Enk alle jezt s’Klaid, Für das große Glück und dö Gnad ja mei Naid, Sie wünsch’n viel Sög’n viel Glück, und viel Hail; Des ward’s ja beym Sagara gar kainen fail. 7. Bleib’s Oes nu recht lang bey uns, aft ist uns wohl, Denn Oes kent’s uns helf ’n beym Kinig recht doll; Seyd’s uns nu gewog’n, spröchts Öes für üns s’ Wort, Mier laß’n Enk aus unsara Mitt nimma fort. 8. Jezt laßt’s uns krat lustig seyn, froh und wohlauf, Und aft a klain’s Tanzl schadt a nit darauf, Jezt Buebma riefts Vivat! Der König soll löb’n, Weil Er uns den Ludwig und Theres hat göb’n.17 Das Lied ist ein typisches Loblied auf einen Herrscher bzw. in diesem Falle auf den Sohn des Souveräns. In mehreren Strophen wird die Güte und Milde des Königs Maximilian betont, die sich angeblich vor allem darin ausdrückt, dass er seinen Sohn und Nachfolger Ludwig nach Tirol entsandte. Darin, so impliziert der Text, sei ein persönliches Interesse an Tirol und seiner Bevölkerung zu erkennen. So zeichnet der Liedtext durchgängig das Bild eines fröhlichen, dem Anlass entsprechend festlich gelaunten Volkes, das in Zuneigung und Demut seinen beiden Herrscherpersönlichkeiten Maximilian und Ludwig verbunden ist. Die Ereignisse, die nur ein knappes Jahr davor ganz Tirol in Aufruhr versetzt hatten, werden bloß in einem einzigen kleinen Satz angemerkt: „Er hat als vagœß’n, er liebt das Tyrol; / Und mier lieb’n von Herz’n unsern Voda wißt’s wohl.“ Aus literaturwissenschaftlicher Sicht gehören Loblieder, die zu einem bestimmten Anlass verfasst werden und danach ihren Zweck verlieren, zur Gelegenheitsdichtung Als Flugschrift am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck (im Folgenden: TLMF), FB 535/29; abgedruckt bei August Hartmann / Hyacinth Abele (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert 3. Band: Von 1756–1879, München 1913, S. 116–118. Siehe auch Liedindex, Nr. 132. 17 Tyrola-Liedl 1810 233 bzw. Kasuallyrik, da ein Loblied stets in einem politischen Kontext entsteht und eingesetzt wird und immer eine immanent politische Botschaft transportiert. Die Funktion der herrschaftlichen Panegyrik beschreibt Jan Andres als „kommunikative Handlung des Preisens“ und damit als Medium von symbolischer Kommunikation im politischherrschaftlichen Kontext.18 Während viele Lobgedichte oder -lieder einen performativen Sprechakt beinhalten („wir schwören dir“), ist unser Liedbeispiel eine reine Aufforderung, den Kronprinzen freudig willkommen zu heißen. Die politische Botschaft, wie glücklich sich die Tiroler schätzen, zu Bayern zu gehören, wird damit deutlich zum Ausdruck gebracht. Betrachtet man dieses Kasuallied ohne seinen Kontext, stellt es bloß ein mäßig interessantes, wenig aussagekräftiges Beispiel für politische Lyrik dar. Bringen wir aber in Erfahrung, in welchem Kontext dieses Lied tatsächlich aufgeführt, ja geradezu inszeniert wurde, ergibt sich ein neues Bild der Quelle als Teil eines zeremoniell gestalteten Staatsbesuchs.19 Mehrere Zeitungsartikel, die in der Münchener politischen Zeitung und in der Innsbrucker Zeitung erschienen, geben Einblicke in diesen königlichen Besuch aus Bayern und seine „Propagandamaschinerie“. Eine etwas später publizierte Sammlung von „Gesängen, Reden und Volksliedern“20 anlässlich des Besuchs des Kronprinzenpaares in Innsbruck sowie eine „vollständige Beschreibung aller öffentlichen Feierlichkeiten“21 und der anschließenden Reise von München nach Innsbruck in Briefform beweisen, wie wichtig bereits um 1800 die mediale Nachbearbeitung eines Staatsbesuchs war. Die Zeitungsartikel wurden fast wortgleich, nur wenige Tage nacheinander, veröffentlicht. Sie sprechen in einem emotionalen Ton von einem „wahren Freudenfest“ und dass sich die Einwohner Tirols „nach der Ankunft der Erhabenen“, des Kronprinzenpaares, gesehnt hätten. Auffallend oft wird hervorgehoben, dass die zur Schau getragene Freude der Tiroler Bevölkerung beim königlichen Besuch freiwillig und ungezwungen gewesen sei und dass die Tiroler und Tirolerinnen „tanzend ihre Huldigungs- und VersühnungsOpfer“ dargebracht haben. Aufmärsche, militärische Paraden und Festumzüge, Empfänge, Bälle, Gottesdienste – all dies stand auf der Tagesordnung für Ludwig von Bayern und seine Gattin. Vor allem die Beschreibung des Empfangs am Rennplatz, dem damals großzügigen Platz vor dem Landestheater am heutigen Rennweg, zeigt, dass es sich um eine sehr propagandistische Aktion handelte, überladen mit politischer Symbolik; Jan Andres: „Auf Poesie ist die Sicherheit der Throne gegründet.“ Huldigungsrituale und Gelegenheitslyrik im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2005 (Historische Politikforschung 4). 19 Über das Musikleben zur Zeit des bayerischen Königs Maximilian I. und die Musik im patriotischen Dienst siehe Robert Münster: „Das Musikleben in der Max-Joseph-Zeit“, in: Hubert Glaser (Hg.): Krone und Verfassung: König Max I. Joseph und der neue Staat. Beiträge zur Bayerischen Geschichte und Kunst 1799–1825, München 1980 (Wittelsbach und Bayern 3/1), S. 456–471. 20 Anon.: Der schöne Bund. Oder Gemälde des festlichen Einzugs Ihrer Königlichen Hoheiten des Kronprinzen u. der Kronprinzessin von Baiern, in Tirol und Innsbruck. In einer vollständigen Sammlung aller Gesänge, Reden und Volkslieder, welche jene Feierlichkeit schildern. Als Anhang zu der Schrift: Denkmäler der Liebe und Ergebenheit von treuen Bürgern, München – Innsbruck 1810 [Bayerische Staatsbibliothek, München, Bavar. 629#Beibd.1; http://www.bsb-muenchen-digital.de (25. 03. 2013)]. 21 Jakob Beiel: Denkmäler der Liebe und Ergebenheit von treuen Bürgern. Geweiht Ihren königlichen Hoheiten von Baiern, Ludwig und Therese. Oder: vollständige Beschreibung aller öffentlichen Feierlichkeiten, welche von der Abreise Ihrer königlichen Hoheit der Kronprinzessin aus Sachsen-Hildburghausen bis zum festlichen Einzuge des hohen Fürstenpaares in Innsbruck stattgefunden haben. In Briefen aus München an einen Freund aus Innsbruck, 2. vermehrte Auflage, München 1810 [Bayerische Staatsbibliothek, München; http://www.bsb-muenchen-digital.de (25. 03. 2013)]. 18 234 Kapitel 12 Von da begab sich der Zug [des Kronprinzenpaares etc.] nach dem Rennplatze, in dessen Mitte ein reich beleuchteter Tempel stand. […] Zunächst den Coulissen spielten fruchttragende Orangen das Kolorit der Hoffnung auf uns zu. Auf beiden Seiten dieses mit einem künstlichen Wäldchen eingefaßten Tempels standen 12 Knaben und 12 Mädchen von allen Ständen, als lieblich gekleidete Genien im Griechen-Kostume auf Piedestalen, Quirlanden haltend von weiß und blauer Farbe. Im Hintergrunde desselben Tempels lächelte Gott Hymen und auf einem Opferaltar brannten die Farben des Regenbogens, glänzend umgeben von den Namenszügen Ihrer Königl. Hoheiten im Brillanz-Feuer. Zwei andere Genien, über deren Oberkleid sich ein langer himmelsblauer Mantel schwang, standen freudig gerührt am Fußgestelle jenes lichtumflossenen Opferaltars. […] da schwebten zwei Genien im bescheidenen Anstande herbei. Der eine als Sprecher der Knaben hielt ein vaterländischblaues Band von silbernen Enden, auf welchem ein Gedicht gedruckt war; der zweite als Sprecherin der Mädchen trug ein schön geschmücktes Füllhorn, welchem der Flora mannichfaltige Spatblumen mit aromatischem Dufte entquollen. […] Mild ruhte Ihr Blick [des Kronprinzenpaares] auf allen Genien, die gestärkt durch diese schöne Bundesfeyer, die Liebe zum Könige und Vaterland fortpflanzend in sich tragen werden […].22 Besonders ins Auge fielen die vielen dekorativen Spruchbänder, die entweder von Kindern hochgehalten wurden oder an den Fassaden der Häuser angebracht waren. Die darauf zu lesenden Sprüche propagierten die Zugehörigkeit Tirols zu Bayern: „Sind wir gleich noch jung und klein, können wir doch dankbar seyn, und das Glück für uns erkennen, dass wir uns jetzt Baiern nennen“, war etwa auf einem Schulgebäude zu lesen. Manche Sprüche spielten offenbar auch auf den Aufstand des Vorjahres an: „Auf Regen folgt Sonnenschein. Heil dem edlen Fürstenpaar, Wonne dem beglückten Lande.“ Der in den Berichten spürbare Blick von außen auf Tirol verrät, dass der Verfasser höchstwahrscheinlich kein Tiroler war, denn Begriffe wie „Bergvolk“ und „Gebirgsbewohner“ für die Einwohner Tirols oder Attribute wie „naiv“, „originell“ und „nationell“ sind wohl eher Fremdbezeichnungen. Aufgrund der Tatsache, dass sich große Teile der in Briefform gehaltenen Beschreibungen „aller öffentlichen Feierlichkeiten“23 mit jenen in den Zeitungsartikeln der Münchener politischen Zeitung sowie der Innsbrucker Zeitung decken, ist anzunehmen, dass alle Texte von ein und demselben Verfasser stammen. Jakob Beiel, Mitarbeiter an der königlichen Hofbibliothek in München, gilt als der Autor der Festpublikation und verfasste wohl auch die Zeitungsartikel.24 Das Tyrola-Liedl selbst wurde am 30. Oktober 1810, am dritten Tag des Besuches, dargeboten, und zwar im Dorf Kematen, nur wenige Kilometer westlich von Innsbruck. Dort wurde zu Ehren des Kronprinzenpaares ein „ländliches Fest“ in Form einer inszenierten Bauernhochzeit ausgerichtet. Kronprinz Ludwig und seine Gattin wohnten nicht nur dem Gottesdienst bei, sondern auch dem anschließenden Essen und Umtrunk in einem Gasthof. Nach dem Empfang der Gesandten mehrerer Landgerichte und der Überreichung kleinerer Geschenke der Untertanen wurden die Gäste Zeugen zweier musikalischer Darbietungen, die beide „das Gepräge der Originalität, und des nationellen [sic]“ hatten. Zuerst sang ein junges Mädchen, die Tochter des Innsbrucker Landrichters, als Bauernmädchen verkleidet ein von diesem selbst komponiertes (jedoch unpolitisches) Lied. Zum Abschluss des Festes aber gab der „Königlich Bayerische Polizei-Officiant“ Franz von Eisank das Tyrola-Liedl „Seyd’s uns recht willkomma Innsbrucker Zeitung 12 (1810), Nr. 88, 31. Oktober 1810. Beiel: Denkmäler der Liebe (wie Anm. 21). 24 Vgl. Fürstenhochzeit und bürgerliche Repräsentation: http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/ oktoberfest-1810 (13. 01. 2012). 22 23 Tyrola-Liedl 1810 235 Herr Kronprinz in Tyrol“ im Dialekt der Unterländer zum Besten. In der dazu passenden Unterländer Tracht gekleidet, erhielt Eisank „wegen seiner naiven und rührenden Ausdrücke allgemeinen Beifall“.25 Der Besuch des Kronprinzenpaares in Tirol ist ein Beispiel für eine politische Inszenierung von Herrschaft, die von den Machthabern bis ins Detail geplant worden war. Neuere Ansätze zur Erforschung von Öffentlichkeitswirksamkeit und der Konstruktion und Erinnerung von Ereignissen werden im Rahmen der Performanz- bzw. Performativitätsforschung geleistet, deren Schlüsselbegriffe „Performanz“ bzw. das englische „performance“26, „Ritual“27 und „Inszenierung“ auch für den Kronprinzenbesuch in Innsbruck Anwendung finden können. Eine Inszenierung bringe, so die Kulturwissenschaftlerin Erika Fischer-Lichte, etwas Unsichtbares zur Erscheinung, es geht darum, etwas, das nicht mit den Sinnen wahrgenommen werden kann, überhaupt erst in Erscheinung treten zu lassen. Unsichtbares, Imaginäres soll durch den Prozess der Inszenierung in der Aufführung wahrnehmbare Gegenwart annehmen.28 Innsbrucker Zeitung 12 (1810), Nr. 90, 7. November 1810: „Auszug der merkwürdigen Begebenheiten“. Performanzen lassen sich üblicherweise als einmalig beschreiben und stehen damit im Kontrast zu den Ritualen: „Performanzen erlangen ihre Wirkung im Zusammenspiel aller Sinne; was zur Aufführung kommt, wird gesehen, gehört, gefühlt und gerochen und erhält in dieser Gleichzeitigkeit der Sinneseindrücke seine Bedeutung“. Für die Geschichtsforschung bedeutet die Performanzforschung ein Abrücken vom reinen textlichen Arbeiten hin zu einer vermehrten Beachtung des Körpers, seiner Sprache und ihrer Konstruktion in Aufführungen; siehe Frank Bösch: „Ereignisse, Performanz und Medien in historischer Perspektive“, in: Frank Bösch / Patrick Schmidt (Hg.): Medialisierte Ereignisse. Performanz, Inszenierung und Medien seit dem 18. Jahrhundert, Frankfurt a. M. – New York 2010, S. 7–29, hier S. 12f. Zur vertieften Erklärung und Distinktion der Begriffe siehe außerdem Erika Fischer-Lichte: „Performance, Inszenierung, Ritual. Zur Klärung kulturwissenschaftlicher Schlüsselbegriffe“, in: Jürgen Martschukat / Steffen Patzold (Hg.): Geschichtswissenschaft und „performative turn“. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln – Weimar – Wien 2003 (Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit 19), S. 33–54. 27 Rituale sind laut Erika Fischer-Lichte eine „bestimmte Gattung von Aufführungen, die der Selbstdarstellung und Selbstverständigung, Stiftung bzw. Bestätigung oder auch Transformation von Gemeinschaften dienen und unter Anwendung je spezifischer Inszenierungsstrategien und -regeln geschaffen werden“ [Fischer-Lichte: „Performance“ (wie Anm. 26), S. 47]. Etwas konkreter und besser auf Geschichtswissenschaft anwendbar ist die Definition von Gerd Althoff und Barbara Stollberg-Rilinger: „Unter Ritualen verstehen wir feierliche demonstrative Handlungen, die aus einer Reihe relativ fester Formen bestehen: Bestimmte Personen vollziehen bestimmte Gesten und Gebärden, und zwar meist in besonderer Kleidung, mit besonderen Gegenständen und sprachlichen Formeln, an einem besonderen Ort, zu einer besonderen Zeit und vor einem besonderen Publikum. Man kann Rituale nicht zufällig und nebenbei vollziehen. Sie werden vielmehr demonstrativ aus dem Alltag herausgehoben und gleichsam wie auf einer Bühne vor Zuschauern inszeniert“; siehe Gerd Althoff / Barbara Stollberg-Rilinger: „Spektakel der Macht? Einleitung“, in: Barbara Stollberg-Rilinger / Matthias Puhle / Jutta Götzmann / Gerd Althoff (Hg.): Spektakel der Macht. Rituale im alten Europa 800–1800. Katalog [Kooperationsausstellung des Sonderforschungsbereiches 496 der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und des Kulturhistorischen Museums Magdeburg, 21. September 2008 – 4. Januar 2009 im Kulturhistorischen Museum Magdeburg], Darmstadt 2008, S. 15–20, hier S. 15. Rituale sind letztlich „komplexe Formen symbolischen Handelns“ aufgrund ihrer Normierung, ihres Aufführungscharakters, so Stollberg-Rilinger an anderer Stelle; siehe Barbara Stollberg-Rilinger: „Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Begriffe, Thesen, Forschungsperspektiven“, in: Zeitschrift für historische Forschung 31 (2004), S. 489–527, hier S. 502. 28 Erika Fischer-Lichte lehnt sich in ihrer Definition an Edward Gordon Craig an: Über die Kunst des Theaters, Berlin 1969, S. 101, S. 106; siehe Fischer-Lichte: „Performance“ (wie Anm. 26), S. 42. 25 26 236 Kapitel 12 Der Begriff der „Inszenierung“ beinhalte im Gegensatz zur „Performanz“ / „performance“ den „besonderen Modus der Herstellung von Aufführungen“.29 Jeder Besuch eines politischen Souveräns ist auf eine Weise inszeniert, die mit medialen Komponenten angereichert sein kann. Die Zeitungsberichte über den Besuch von Kronprinz Ludwig und seiner Gattin in Innsbruck und Kematen veranschaulichen das Maß der Inszenierung. Das Unsichtbare, Imaginäre, das mithilfe von Spruchbändern, Darbietungen von Kindern in griechischen Kostümen, Feuerwerken, festlicher Beleuchtung, Musikeinlagen, Aufmärschen, Wappen in den bayerischen Nationalfarben Weiß und Blau vom Publikum wahrgenommen werden sollte, war Macht – die politische Macht des bayerischen Königreichs über die „Provinz“ Tirol, die ein Jahr zuvor noch, in den Frühlings- und Sommermonaten 1809, einen Krieg ausgelöst hatte, zu dem sogar Frankreichs Truppen zu Hilfe eilen mussten. Nun galt es, patriotische Gefühle zu beschwören, ja sie überhaupt erst zu initiieren, und innerhalb der Bevölkerung ein Zugehörigkeits gefühl zur bayerischen Dynastie zu wecken. Die Darbietung des Liedes erscheint in diesem Kontext als Teil eines Zeremoniells, so wie es panegyrische Gedichte und Lieder vor allem im Rahmen höfischer Festivitäten schon seit der Antike waren.30 Besondere Ereignisse wie Eheschließungen, Geburtstage, Krönungen, Erbhuldigungen oder Todesfälle wurden zum Anlass genommen, um meist am Hof angestellte Dichter mit dem Verfassen von Lobgedichten bzw. -liedern zu beauftragen.31 Inhaltlich bedienten sich die Dichter gerne antiker, mythologischer Themen, die „die zeitlose, übermenschliche, ja gottähnliche Stellung des gerühmten Herrschers“ bezeugen sollten. Dabei wird in der Darstellung des Charakters und der Fähigkeiten des zu besingenden Herrschers maßlos übertrieben.32 Seinen neuzeitlichen Höhepunkt erlebte die Panegyrik an den absolutistischen Höfen des 18. Jahrhunderts.33 Der Musik in unterschiedlichen Formen, wie sie auch beim Besuch des Kronprinzenpaares eingesetzt wurde, kann dabei ebenso ein zeremoniell-inszenierter Charakter zugewiesen werden. Einerseits gestalteten Tiroler Abordnungen militärische Paraden mit Musik („Jede Gemeinde hatte ihre besondere Musik“,34 „Musikaufzüge vermehrten den erhabenen Eindruck in allen Gemüthern“35), andererseits waren die Empfänge und offiziellen Feiern musikalisch untermalt („Töne der Musick in der Halle harmonirten lieblich mit diesem wirklich reich illuminirten Gebäude“36), und im Innsbrucker Theater wurde zu Ehren des hohen Besuches sogar eine von Einheimischen geschaffene „Cantate“37 Ebd., S. 36. Peter Pütz: „Aufklärung“, in: Walter Hinderer (Hg.): Geschichte der politischen Lyrik in Deutschland, Stuttgart 1978, S. 114–140, hier S. 120. 31 Ebd., S. 121. 32 Ebd. 33 Jan Andres / Matthias Schwengelbeck: „Das Zeremoniell als politischer Kommunikationsraum: Inthronisationsfeiern in Preußen im ‚langen‘ 19. Jahrhundert“, in: Ute Frevert / Heinz Gerhard Haupt (Hg.): Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung, Frankfurt a. M. 2005 (Historische Politikforschung 19), S. 27–81, hier S. 71. 34 Beiel: Denkmäler der Liebe (wie Anm. 21), S. 75. 35 Ebd., S. 80. 36 Ebd., S. 79. 37 Karl Horst / J. Scheibel (Vorname nicht überliefert): Cantate bey der höchsterfreulichen Ankunft Ihrer königlichen Hoheiten, des Kronprinzen und der Kronprinzessinn von Baiern, ehrfurchtsvollest dargebracht in dem königlichen Nationaltheater von Innsbruck, von dem Unternehmer Anton Ferrari. Verfasst von Karl 29 30 Tyrola-Liedl 1810 237 aufgeführt. Die musikalischen Darbietungen trugen ganz bewusst einen Tiroler Stempel. In Kenntnis der unterschiedlichen sozialen Schichten, die es anzusprechen galt, wurden ausgerechnet zwei Vertreter des Beamtenstandes – die Tochter des Innsbrucker Landrichters und der Innsbrucker „Policey-Officant“ – auserwählt, um in bäuerlicher Tracht Lieder zu singen. Bei Franz von Eisank, so die Angabe seines Namens in den Primärquellen, dürfte es sich um Franz Salesius Eisank von Marienfels gehandelt haben, der sich als höherer Beamter im österreichischen wie auch im bayerischen Dienst seinen Unterhalt verdiente.38 Diese Tatsachen verdeutlichen den Grad der „Volkstümlichkeit“ der Inszenierung, auf die man bei diesem Besuch in Tirol offensichtlich von offizieller, königlicher Seite besonders viel Wert legte. Die Musikwissenschaftlerin Hildegard Herrmann-Schneider verglich, anspielend auf die kurz zuvor stattgefundene Hochzeit des Kronprinzenpaares, die die Tradition des Münchener Oktoberfestes begründete, die Bauernhochzeit in Kematen gar mit dem Münchener Oktoberfest selbst: War der Tod Andreas Hofers, nur wenige Monate zuvor, schon aus dem Gedächtnis? Oder war inkognito von München aus auch ein Hochzeitstaumel in Tirol inszeniert worden, um bei der Bevölkerung hier die Vergangenheit vergessen zu machen. […] Sollte unter Umständen im ‚Fest‘ von Kematen gar ein zweites freilich einmaliges Oktoberfest zu sehen sein?39 Die erste Frage ist schnell beantwortet: Der Tod Hofers war zwar nicht vergessen, aber wurde eben ungern öffentlich erinnert.40 Die Frage nach den Verantwortlichen für die Inszenierung hingegen lässt sich weniger klar beantworten. Briefliche Konversationen zwischen der königlichen bayerischen Hof-Commission und den Innsbrucker Beamten zeigen, dass die Beleuchtung allgemeiner Gebäude, etwa der Triumphpforte und des Landhauses, von oberster Instanz, nämlich vom Minister Maximilian Graf von Montgelas, angeordnet worden war. Wer aber über die musikalischen Aufführungen entschied, ist anhand der spärlichen, im Tiroler Landesarchiv liegenden Quellen zu den Feierlich keiten zu Ehren des Kronprinzen nicht ersichtlich.41 Horst, Mitglied dieses Theaters, in Musik gesetzt von J. Scheibel, Musikdirector des königl. Nationaltheaters in Salzburg, Innsbruck 1810 (Prolog und 10 Gesangsnummern) (TLMF, FB 627/11). 38 Siehe Instanzenschematismus für Tirol und Vorarlberg, 1805 (TLMF, FB 3547), S. 106: „K. K. Kreisamt im Unterinn- und Wippthale zu Schwatz“. Dort bekleidete Franz Salesius Eisank von Marienfeld die Funktion eines „Kreisamts-Accessisten“. In den Jahren 1816 und 1817 war er wieder österreichischer Beamter; siehe Johann Georg Heinrich Hassel: Allgemeines Europäisches Staats- und Address-Handbuch für das Jahr 1816, 1. Band, I. Abtheilung, welche die vollständige Genealogie und die Staatskunde der sämmtlichen Teutschen Bundesstaaten mit Einschlusse von Oesterreich und Preussen enthält, Weimar 1816/17. 39 Hildegard Herrmann-Schneider: „Andreas Hofer und die Tiroler Freiheitskämpfe als musikalisches Sujet. Ereignisse – Heldentum – Erinnerung“, in: Der Schlern 83 (2009), Heft 7: Juli, S. 4–53, hier S. 36. 40 In einem vor Kurzem erschienenen kommunikationsgeschichtlichen Beitrag von Brigitte Mazohl, Manfred Schwarz und Eva Werner wird darauf hingewiesen, dass über den Tod Andreas Hofers am 20. Februar 1810 weder in der Innsbrucker Zeitung noch in der Wiener Zeitung berichtet wurde; vgl. dies.: „Die Tiroler Erhebung von 1809 und die zeitgenössische Presse in Wien und Innsbruck“, in: Johann Holzner / Brigitte Mazohl / Markus Neuwirth (Hg.): Triumph der Provinz. Geschichte und Geschichten 1809–2009, Innsbruck 2012, S. 143–175. 41 Tiroler Landesarchiv, Innsbruck (im Folgenden: TLA), Bayerisches Archiv, Generalkommissariat des Innkreises, 1/I/C-II/5. 238 Kapitel 12 Abb. 1: Das Tyrola-Liedl als Flugblatt (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 535/29). Abb. 2: Das Lied Passeirer Landsturm, erste Seite der Abschrift des Liedes von Claudia Heslingerin (Staatsarchiv München, MA 7022/1,51). Die Rezeption von Kasuallyrik ist meist sehr bescheiden. Auch das Tyrola-Liedl von 1810 erlebte keinen weiteren nennenswerten Druck und dürfte höchstwahrscheinlich auch nur einmal – nämlich in Kematen – gesungen worden sein. Dass das Lied aber zumindest anlässlich der Aufführung eine gewisse Auflage erreichte, bezeugen mehrere noch erhaltene Flugblattdrucke in Sammlungen (siehe Abb. 1).42 Abseits der geschickten Inszenierungen Wenn uns diese Liedquelle auch ein harmonisches Bild der bayerischen Regierung im Herbst 1810 vermittelt – ganz so unproblematisch und ruhig dürfte die Stimmung im Lande nicht überall gewesen sein, zumal die prekäre wirtschaftliche Lage eine Verschlechterung der allgemeinen Lebensverhältnisse mit sich brachte.43 Vom April 1811, also nur Siehe TLMF, FB 535/29; FB 657/13; FB 379/3. Mertelseder: „Kriegsfolgenbewältigung“ (wie Anm. 4) S. 224–227. 42 43 Tyrola-Liedl 1810 239 wenige Monate nach dem festlichen Einzug des Kronprinzen Ludwig, existiert eine Akte des königlichen Landgerichts Meran, die uns Auskunft über den Fall der Claudia Heslingerin gibt. Diese verbreitete offensichtlich unter ihrem Pseudonym Jana „aufrührerische Lieder“, wurde festgenommen und „zwei Tage bei Wasser und Brod“ eingesperrt. Auch drohte man ihr, „ihre Person für immer unschädlich zu machen“, sollte sie nochmals bei der Verbreitung von Liedern oder Flugschriften ertappt werden. Die Strenge des Gerichts zeigt auf, dass sich die Behörden der Wirkung von Liedern mit aufrührerischem Inhalt durchaus bewusst waren. Der Akte ist eine Abschrift jenes Liedes beigelegt, das Claudia Heslingerin ins Gefängnis brachte. Es handelt sich um ein zwanzigstrophiges Lied, das später unter dem Titel Passeirer Landsturm mehrmals in auf 1809 bezogenen Gedicht- und Liedsammlungen veröffentlicht wurde.44 Die Version der Gefängnisinsassin unterscheidet sich von den später gedruckten Versionen textlich an mehreren Stellen, der Inhalt bleibt jedoch im Großen und Ganzen derselbe. Das Lied enthält Aufrufe zum Kampf gegen die bayerischen und französischen Feinde, Lob für Erzherzog Karl, Erzherzog Johann, für den „Kommandant vom Sand“, also Andreas Hofer, und für Joseph von Hormayr, ferner Eindrücke vom „Wüten“ der bayerischen Regierung in Tirol und gebetsartige Verse. Das Lied dürfte inmitten der Bergiselgefechte von 1809 verfasst worden sein, nämlich zu einem Zeitpunkt, als die Lage für die Tiroler Aufständischen noch nicht aussichtslos erschien. Besonders interessant ist die Notiz am Ende der zwanzig Strophen: „Dieses Lied gehört der Juliänä Menjegerin [?] allso singes nur Recht schön.“45 Wir haben hiermit einen der sehr seltenen Belege, dass zwischen 1796 und 1848 auch Frauen politische Lieder dichteten. Die „Heslingerin“ war sicherlich eine einfache, wenig gebildete Frau, was nicht nur an den teilweise ungehobelten Reimen, sondern vor allem an der Orthographie des Textes erkennbar ist. Frisch auf ihr Diroler iez kombt jene Stund, so macht eich frisch auf Sonst gein wir zu grunt Es laßt uns iez Rufen ein Parteter mann Weill ehr schon die nachricht von Kaiser Bekamb 1 Der neinte Apr= il und das ist jener Tag Wo uns der kaiser sein Hilf Bietet dar erlast uns an Sagen durch den wirt von dem Sand das ehr uns wolt Helfen er Röten das Land 2 So gein mir iez alle mit Christlicher muet und wollen zerstören die höllische Bruet. So fleichen mir hin zu unseren lieb follen Gott ehr wirt uns gebis Helfen aus der gefahr follen Not Zum Beispiel in: Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik im Kriegsjahr, Wien 1909 (Schriften des politischen Vereins Wien XI), S. 235–240; Josef Feichtinger (Hg.): Tirol 1809 in der Literatur. Eine Textsammlung, Bozen 1984 (Literarische Zeugnisse aus Tirol 4), S. 22f. Über das Lied Passeirer Landsturm siehe Kapitel 8 in diesem Band. 45 Staatsarchiv München (im Folgenden: StAM), MA 7022/1, 51. 44 240 Kapitel 12 3 So gein mir iez eilentz stolen uns hin for den Feind Gott Helfe uns Sigen und Beschitz unsere leidt fil nemen mir gefangen fihl schies schiesen mir zu dot. das haben mir zu danken dem liebfollen Gott. 4 In Audie [?] meine Bäuern und Freimaurerey jetz wöllen mir schon zeugen wie gedrey man euch Sey was Ihr uns aus gemessen das mesen wir Euch ein und So schlagen wir iezt hurtig und dapfer darein 5 Ihr habt uns fihl geschadet zu Seel und zu Leib So sind wir gezwungen zu brechen die Drey ihr höt uns das ganze Land arm gemacht und auch fihle Sellen Zur Höllen gebracht 6 Maria foll der gnaden du Reine jungfrau wir fliehen zu dir auf uns her ab schau Preite aus dein schutz mantel und steh uns jetz bey und hilf das mir werden von Franz osen frey 7 Ihr dapfern Passeirer ihr wart Sehr geriencht weil ihr dort auf Stör zing und auch hin nachher Trient So dapfer gestriten für leben und dodt So wart ihr Von Kaiser auch Sehr hoch gelobt 8 So denken wir auch hin auf der blutigen schlacht die dort auf den bergisel bei Insbrug geschah der Feind Rückt dort an mit viel Stick und geschiz So Zeigen mir uns tapfer und förchten uns nie 9 Wer hat uns dort geben So frisch helden Muth wo auch Viel geben ihr leben und blut Maria dort Von Absam durch ihr Starke Hand Hilfet den Feind dort be Sigen und Ver dreiben aus dem Land 10 Zum Fifat Soll leben der Erzherzog Karll er hat schon die Baiern aus Minchen gschlagen Gott Segne ihm die Wafen schwöche ihn seine Feind das mir auf all hier werden ganz los und befreid 11 Zum Fifät Soll leben der Reichsprinz Johan ehr schlagt die Franzosen und baiern zusamb So wöllen wir Gott danken ietz alle zugleich das mir wider gefunden das Haus Österreich 12 Zum Fifät Soll leben derr Hofkomiser Der Hormair der schon jns Tirol Kommt her. durch christlichen Eufer zeugt er helden Muth es durstet ihn Sehr nach dem bairischen bluet. Tyrola-Liedl 1810 241 13 Zum Vifät Soll leben der Komedänt hier von Sant ehr last Sich Vill kosten zuer Röten das land mier winschen dir glik und das geben mir zum lohn und Gott wird dir schon geben die himlische Kron 14 Yhr dapeferen diroler ich hab noch ein Bitt diet eich nicht Fill brallen Ver gesset Gott nit Gott kan uns noch Strafen wie er gestraft Hat vorher So bleibet fein Ruhig und gebt gott die Ehr. 15 Durchleichtister Keiser Von Haus Österreich, mier winschen dir glik und von uns nicht mehr weich due uns Christlich Regieren Von Feind uns bewahr und So werden mir Kommen zur himlischen Schar 16 Eins miasen wir noch bitten und gott Rüefen an Das ehr uns [unleserlich] er röten den dort auf Rom er ist unser Vatter fir uns hier bestält und die Kirch zu regieren von Gott auser wälth 17 Karll Rudolf der Bischof unser gedreie ster Hirt dich hat man ver driben ins öllent Sie gestiert Gott hat uns auf gewöcket von bairischen Schlaf und So kom dan, o Bischof und Suche die schaf. 18 Viel werst du jetz finden So Sehr Sindt Verbaudt Weil sie schon gepisen die Wölfischen Hundt Gott lob das Sie gefangen Die wölfischen Hundt und Sonst wehren Mier gangen fast alle zu grundt. 19 Kombt alle ihr Hirrten dies nicht Ver weilen und diet die gebisen jetz wider heilen So mießen wir ietz weinen vor Freid e So sehr das wier euch Sechn komen Von Öllent daher 20 So wöllen mier gott danken mit Herz Und mit mundt das mir noch erlebt die Guldene Stund So Singen wir Laudam us Ietz alle zugleich und Gott wird euch auch geben das himmlische Reich. Dass der Verbreitung von Liedern mit bayernkritischen Inhalten ein Ende bereitet wurde, indem man die Dichter oder Dichterinnen möglichst mundtot machte, beweist ein weiterer ganz ähnlicher Fall, ebenso vom April 1811. In Lana wurde die Polizeibehörde auf Agathe Singert aufmerksam, die „schädliche und aufrührerische Volkslieder“ verbreitet haben soll. Ob sie die Lieder, die unter anderem die „baldige Wiederkehr des Sandwirts“ zum Inhalt hatten, bloß abschrieb, weiterreichte, nachsang oder selbst dichtete, geht aus der Akte nicht hervor. Zur Fahndung ausgeschrieben, wurde die Verdäch- 242 Kapitel 12 tige schließlich in Meran festgenommen und „nach gehöriger Bestrafung entlassen“.46 Beide Fälle sind nicht nur bemerkenswert wegen der weiblichen Täterinnen, sondern auch deshalb, weil sie eindrücklich darlegen, dass politische Lieder offensichtlich in der Bevölkerung eine Wirkung ausübten, die es seitens der bayerischen Regierung zu bekämpfen galt, und dass es in den Tälern Tirols offensichtlich auch nach Andreas Hofers Tod noch rumorte. Fazit Auch wenn die propagandistische Inszenierung des Besuchs des Kronprinzenpaares in Innsbruck ein Bild der Reue über den Aufstand von 1809 und Hoffnung auf Vergebung durch den bayerischen König vermittelte, so waren ab und zu, meist fernab vom Zentrum, oppositionelle Stimmen zu vernehmen. Allgemein wurde in den Jahren 1810–1814, der zweiten Phase der bayerischen Regierung in Tirol, wenig politische Lyrik gedichtet und vertont. Die Gelegenheiten für Loblieder blieben aus, weitere große Festivitäten wie jene im Oktober 1810 fanden nicht statt. Insgesamt ist die zweite Phase der bayerischen Regierung unter Max von Lerchenfeld, dem Generalkommissar im Innkreis, und dem Kronprinzen Ludwig als Generalgouverneur als eine Zeit der Veränderung zu sehen. Die vor 1809 teils rigoros durchgeführten Zentralisierungsmaßnahmen wurden ab 1810 etwas gemildert. Hinzu kam, dass die Jahre zwischen 1810 und 1814, als das nördliche Tirol dem bayerischen Königreich angeschlossen war, wesentlich von außenpolitischen Vorgängen bestimmt wurden, die eine allzu engagierte politische Umstrukturierung in Tirol verunmöglichten. Die wechselnde europäische Bündnispolitik angesichts der französischen Expansionspolitik und Napoleons missglückter Russlandfeldzug brachten die bayerische Regierung damals mehr in Schwierigkeiten, als der Widerstand, der den bayerischen Beamten gegen die Rekrutierungsmaßnahmen und Steuerforderungen in Tirol entgegenschlug.47 Die Historikerin Margot Hamm beurteilt die zweite Phase der bayerischen Regierung aus diesen Gründen treffend als eine Phase der „Vermeidungsverwaltung“. Fest steht, dass es wiederum nicht gelang, innerhalb der Tiroler Bevölkerung ein Zugehörigkeitsgefühl zum bayerischen Königreich zu entwickeln, was sicherlich auch an der relativ kurzen Zeitspanne der bayerischen Herrschaft lag. Am 26. Juni 1814 endete die bayerische Herrschaft in Tirol, die napoleonischen Kriege fanden ein Ende und am Wiener Kongress versuchte man Stabilität im post napoleonischen Europa zu erreichen. Dem Kongress waren neuerliche militärische Auseinandersetzungen von einer bis dahin unbekannten Dimension vorangegangen (die Leipziger Völkerschlacht im Oktober 1813, die Schlacht bei Paris im März 1814, der Kampf in Waterloo im Juni 1815), die Napoleons Niederlage besiegelten. Das drei geteilte Tirol wurde wieder eine Einheit und unter österreichische Herrschaft gestellt. Der Konflikt um die Verteidigung der regionalen Autonomie und den schon von bayerischer Seite forcierten gesamtstaatlichen Zentralismus, der sich vor allem in der Frage der StAM, MA 7022/1, 49. Hamm: Integrationspolitik (wie Anm. 12), S. 331–344. 46 47 Tyrola-Liedl 1810 243 landständischen Verfassung manifestierte, blieb auch nach der Rückkehr zu Österreich bestehen.48 Erst im Mai 1816, nachdem Tirol wieder unter habsburgische Herrschaft und damit zu Österreich gelangt war, erlebten die Bewohnerinnen und Bewohner ein ähnliches politisch inszeniertes Spektakel beim Besuch des österreichischen Kaisers Franz I.49 Dieser nahm in der neu gestalteten Provinz Tirol und Vorarlberg die Huldigung der Stände Tirols entgegen, nachdem er ihnen im März desselben Jahres eine landständische Verfassung zugestanden hatte. Aus diesem Anlass wurde dem Kaiser wiederum im Dorf Kematen ein Gedicht bzw. ein Lied50 vorgetragen: 1. Willkumm, lieber Kaiser, willkumm in Tirol, Dich wieder zu söchen, dös thuet ins so wohl. Hat ins ja schon verten das Herz im Leib g’lacht, Wie du ins aus Frankreich den Frieden hast bracht. 2. Jez kümst Du zum zwayten Mal weit über Meer, Und stöllst unsre Stend und die Freiheiten her. So gibst Du dem Landl sein vorigen Glanz, Mier seyn mehr Tiroler, vergelt Dirs Gott, Franz. 3. Mier seyn freyla nöthig, dös waißt wohl ameh’, Es geit nicht als Alben und Schröfen und Schnee. Wenn aber Sein Maj’stet Verlieb damit nähm: Da wär frischer Butter und köstlicher Rähm. 4. Sünst hab’n mir a’Hääslen und Gamsen und Rech, Sie frössen das kräftigste Zeug af der Höch’. Ebd., S. 343, bzw. S. 345–349; Bernhard Mertelseder: „Die Wege zur Rückkehr Tirols unter österreichische Herrschaft“, in: Bernhard Mertelseder / Brigitte Mazohl / Johannes Weber (Hg.): 1809 – und danach? Über die Allgegenwart der Vergangenheit in Tirol, Bozen – Innsbruck – Wien 2009, S. 97–111. Wesentlich detaillierter: Josef Fontana: „Von der Restauration bis zur Revolution (1814–1848)“, in: Fontana/Haider/Leitner/Mühlberger/Palme/Parteli/Riedmann (Hg.): Geschichte des Landes Tirol (wie Anm. 1), S. 583–732, hier besonders S. 583–627. 49 Aus diesem Anlass wurden mehrere Jubellieder gedichtet: Ferdinand Josef Gruber: Jubellied der Einwohner Tyrols und Vorarlbergs auf die allerglorreicheste Ankunft Seiner Majestät Franz I. Kaisers von Oesterreich, Königs von Jerusalem, Ungarn, Böheim u. u. unsers allgeliebtesten Landesvaters. Den 27sten Mainmonats 1816. Den hochverehrlichen vier Ständen meines Vaterlandes von mir den unterzeichneten Verfasser unter thänigst geweiht. Ferd. Jos. Gruber, aus Meran, Innsbruck 1816 (TLMF, FB 968/43); Leopold Philipp Graf von Künigl (1764–1851) / Johann Baptist Gänsbacher: Cantate. Zur Jubelfeyer der für das ganze Land Tyrol so höchst erfreulichen Wiederkunft Seiner Majestät unsers allerdurchlauchtigsten Kaisers von Oesterreich, und König von Hungarn und Böheim etc. Franz den Ersten! der [sic] deutschen Heros, dem Wiederhersteller Teutoniens Freiheit, Austriens Stolz; und den von den treuen Ständen Tyrols dem erhab’nen Kaiser, dem Vater des Vaterlandes ehrfurchtsvollst geleisteten Erbhuldigung. Von L. Gr. V. K. ***. In Musik gesetzt vom Herrn Johann Baptist Gänsbacher, Oberlieutenant des K. K. Jäger-Regiments Kaiser, Innsbruck 1816 (13 Nummern) (TLMF, FB 307/5). Allgemein auf die „Wiedervereinigung Tirols mit Österreich“: Anon.: Lied, Abgesungen in der musikalischen Akademie, welche von den Professoren des kaiserl. Königl. Lyceums zu Innsbruck zur Feyer der glücklichen Wiedervereinigung Tyrols mit dem Erlauchten Kaiserhause Oesterreich den 29. July gegeben wurde, Innsbruck 1814 (TLMF, FB 379/7). Siehe auch Liedindex, Nr. 125. 50 Zu Recht wird der Text dem Dichter Franz Karl Zoller zugeschrieben, ließ er doch sein Lustspiel Der Tiroler Kirchtag aus dem Jahr 1819 mit der ersten Strophe genau dieses Gedichts bzw. Liedes ausklingen; Franz Karl Zoller: Der Tiroler Kirchtag. Ein National-Lustspiel mit Gesang in zwey Aufzügen, Innsbruck 1819, S. 103. 48 244 Kapitel 12 Ä Spiel- und a Schnechuhn darzue und darnach Die bösten Forellen, frisch her aus dem Bach. 5. Dös all’s und no mehr, wenn man’s anbringen kunnt, Dös wär Dir vom Grund ünsers Herzens vergunnt. Und ist ünser ainziges Wünschen, daß decht Dein Brueder, der Hannes, no herkemmen mecht. –51 Der Text trägt, ebenso wie das Hochzeitslied von Kematen aus dem Jahr 1810, die Charakteristika eines Lobliedes auf den Herrscher. Der Dichter bringt die Freude über die „Wiederherstellung“ der Stände und der alten Privilegien des Landes Tirol zum Ausdruck. In Wahrheit aber bedeutete die neue landständische Verfassung Tirols, laut dem Urteil des Reichsratsabgeordneten Joseph Greuter, eine „Verböserung“: Die Verfassung war eine „Schale ohne Kern, eine alte Form ohne den alten Inhalt“, denn de facto hatte der Monarch in jeglicher Hinsicht das letzte Wort und den Ständen gestand man bloß beratende Funktion zu.52 Die bedingungslose Verehrung von Kaiser Franz I., aber auch seines Bruders, des Erzherzogs Johann, so wie sie in diesem Loblied zum Ausdruck gebracht wird, bezeichnet Margot Hamm als einen der Hauptgründe, warum der österreichischen Regierung letztlich das gelang, was dem Königreich Bayern in den Jahren seiner Herrschaft über Tirol nicht vergönnt war: „das wilde Fleisch von Tirol … in den großen Körper hinein zucuriren.“53 Symbolische Akte wie die Erbhuldigung ermöglichten es der Tiroler Bevölkerung, ihre Bindung an das habsburgische Kaiserhaus zu vertiefen und erzeugten das Gefühl, „in der besonderen Huld des Kaisers zu stehen“.54 TLMF, FB 2037; publiziert in: Egon Koler: Die Wiedereinrichtung der österreichischen Herrschaft in Tirol und Vorarlberg in den Jahren 1814–1821, Dissertation, Universität Innsbruck 1937, S. 23. Siehe auch Liedindex, Nr. 140. 52 Mertelseder: „Die Wege zur Rückkehr“ (wie Anm. 48), S. 111. 53 Adam Müller an Friedrich von Gentz, zit. nach Hamm: Integrationspolitik (wie Anm. 12), S. 349. 54 Ebd., S. 350. 51 Kapitel 13 „Das Blut aus meiner Wunde fließt strömenweis hindann“. Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern und volkstümlichen Biedermeierliedern Sandra Hupfauf Zwei Tiroler Komponisten bekundeten ihren Patriotismus sowohl in kriegerischen Einsätzen als auch musikalisch: Johann Baptist Gänsbacher und Josef Abenthung. Beide beteiligten sich an den Tiroler Aufständen und verfassten politische Lieder, die sich an deutsche Vorbilder des frühen deutschen Männergesangs, wie etwa an Werke von Carl Maria von Weber, anlehnen. Etwas später, um 1840 und teilweise danach, entstanden in Tirol volkstümliche und zugleich politische Lieder einer völlig anderen Art: die Kompositionen und Dichtungen des „Volkssängers“ Christian Blattl. Sie zählen stilistisch wohl eher zur Nationalsängertradition. Als Vorbild für Blattls Lieder im stilisierten Tiroler „Volkston“ dienten vor allem Theaterlieder, wie „Die Tiroler sand often so lustig“ (aus dem Singspiel Der Tyroler Wastel von Johann Jakob Haibel und Emanuel Schikaneder) oder auch „Wann i in der Früh aufsteh“ (aus Franz Xaver Tosts Der Lügner).1 Einfluss kam aber auch hier wieder aus dem deutschen Männergesang, wo sich zur Mitte des 19. Jahrhunderts eine sehr manierierte, künstlerisch ambitionierte Form, der so genannte „Liedertafelstil“, entwickelte. Er umfasste ebenso Lieder im „Volkston“, die mit viel Pathos und übersteigerter Empfindsamkeit vorgetragen wurden.2 Der Volkskundler Leopold Schmidt versuchte die Stilpluralität der „Blattl-Lieder“ mit der Gattungsbezeichnung „volkstümliche Biedermeierlieder“ zu erfassen.3 Zeitlich, stilistisch und auch inhaltlich haben die Lieder Gänsbachers und Abenthungs also wenig mit den Liedern von Christian Blattl gemeinsam. Die drei Persönlichkeiten verbindet allerdings, dass sie als einzige Tiroler künstlerische und zugleich politische Lieder komponierten, die nicht im Auftrag einer Obrigkeit verfasst wurden und auch keine rein funktionalen Kampflieder waren, sondern dem eigenen künstlerischen Ausdruck dienten.4 Nichtsdestotrotz wurden auch diese Lieder zur politischen Agitation eingesetzt, waren auch von Zensur betroffen (Gänsbacher), widmeten sich der grau Siehe auch Tobias Widmaier: „‚Salontiroler‘ – Alpiner Musikfolklorismus im 19. Jahrhundert“, in: Reto Furter / Anne L. Head-König / Luigi Lorenzetti (Hg.): Cultures alpines / Alpine Kulturen, Zürich 2006 (Histoire des Alpes / Storia delle Alpi / Geschichte der Alpen 11), S. 61–72. – Zum Lied „Wann i in der Früh aufsteh“ siehe Kapitel 11 in diesem Band. 2 Dietmar Klenke: Der singende „Deutsche Mann“. Gesangsvereine und deutsches Nationalbewusstsein von Napoleon bis Hitler, Münster 1998; Christian Fastl: „Waldigen Hang, grünendes Tal durchtön’ deutscher Sang mit mächtigem Schall!“. Das Gesangvereinswesen im südlichen Wiener Raum, Dissertation, Universität Wien 2003. 3 Siehe Leopold Schmidt: Volksgesang und Volkslied. Proben und Probleme, Berlin 1970, S. 238–274 (Kapitel „Das volkstümliche Biedermeierlied“). 4 Zu Auftragswerken und Kontrafakturen siehe Kapitel 4 in diesem Band. 1 246 Kapitel 13 samen Wirklichkeit des Krieges (Abenthung) oder setzen sich mit speziellen politischen und gesellschaftlichen Begebenheiten auseinander (Blattl) und sind deswegen auch als politische Lieder zu bezeichnen. Politische Lieder nach dem Vorbild der deutschen Befreiungskriegslyrik: Gänsbacher und Abenthung Die politischen Lieder der Komponisten Gänsbacher und Abenthung unterscheiden sich schon sprachlich völlig von den populären Mundartkampfliedern der Zeit um 1809. Die bekanntesten Verfasser dieser Kampflieder waren Peter Paul Staudacher (1757–1806), Johann Friedrich Primisser (1757–1812) und Franz Karl Zoller (1748– 1829?). Sie schufen einen „Tiroler Stil“ der Kriegs- und Kampflyrik, deren Lieder man vielleicht am ehesten mit „umfunktionierten Wildschützenliedern“ vergleichen kann. Die Figur des Wildschützen galt als furchtlos, frei und edel. Er lässt sich nicht von der Obrigkeit, deren Stellvertreter der Jäger ist und mit dem er todesmutig in den Wäldern „Katz und Maus“ spielt, unterdrücken. Der Wilderer wird vom Volk geachtet, Bauern und Sennerinnen gewähren ihm Unterschlupf, da sie mit seinem Widerstand sympathisieren.5 Diese Widerstandshaltung entspricht in gewisser Weise dem Geist der Tiroler Aufstände und ist laut Gerlinde Haid ein Grund dafür, dass sich große Teile der Bevölkerung mit der „Robin Hood-Figur“ Andreas Hofer identifizieren konnten.6 Lieder wie „Den Stutzen hear, beym Soggara“ oder das Spingeser Schlachtlied, die sich durch Mundart, Kaltschnäuzigkeit und schwarzen Humor auszeichnen, kann man auch als „umfunktionierte Wildschützenlieder“ betrachten. Die Vorbilder für die Lieder Gänsbachers und Abenthungs liegen in der Lyrik der deutschen Befreiungskriege. Die Gedichte Christian Friedrich Daniel Schubarts waren um 1800 enorm populär,7 weshalb viele von zeitgenössischen Komponisten vertont wurden. Die berühmteste Schubart-Vertonung ist wohl Franz Schuberts Forelle. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass sich auch Johann Baptist Gänsbacher mit SchubartTexten beschäftigte. Er komponierte die Lieder Vom sterbenden Patriot 8 und An mein Klavier,9 zudem „Di più bel lume adorna“; laut dem Komponisten Abbé Georg Joseph Vogler stammt auch zu Letzterem die Musik „del Sig[no]re Gaensbacher“.10 Gänsbachers Lehrer Abbé Vogler war mit Schubart sehr gut bekannt und besuchte ihn sogar während seiner Einkerkerung auf dem Asberg. Schubart wiederum hielt Vogler für einen der besten Organisten und Pianisten Europas11 und bezeugte diese Siehe dazu auch Krista Ruehs: „Auch ‚böse‘ Menschen haben ihre Lieder: Zur Rezeption von Wilderern in österreichischen Volksliedern des 18. bis 20. Jahrhunderts“, in: Jahrbuch für Volksliedforschung 29 (1984), S. 32–57. 6 Gerlinde Haid: „‚O trauervolle Zeit‘. Oppositionelle Lieder von 1809“, in: Sturzflüge 1984, S. 73–76. 7 Zu Schubarts populären Liedern in Tirol siehe Kapitel 4 in diesem Band. 8 Tiroler Landeskonservatorium, Innsbruck, Bibliothek, A-lk ohne Signatur. 9 Ebd. 10 Georg Joseph Vogler: Aria con accopagnamento di Piano-Forte. Del Sig[no]re Gaensbacher, o. O. o. J. (Tiroler Landeskonservatorium, Innsbruck, Bibliothek, A-lk ohne Signatur). 11 „[…] unstreitig einer der ersten Orgel- und Flügelspieler in Europa […]“; siehe Ludwig Schubart (Hg.): C. F. D. Schubart’s Ideen zu einer Aesthetik der Tonkunst, Stuttgart 1839, S. 141. 5 Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern 247 Abb. 1: Johann Baptist Gänsbacher, Vom sterbenden Patriot von Schubart (Anfangstakte) (Tiroler Landes konservatorium, Innsbruck, Bibliothek, A-lk ohne Signatur). Verehrung auch in Gedichtform.12 Mit Sicherheit kannte auch Gänsbacher Schubarts politische Ansichten, doch besaß die Idee der Freiheit, um die sehr viele Gedichte Schubarts kreisen, für jeden der beiden offensichtlich eine ganz andere Bedeutung. Schubart verband mit „Freiheit“ revolutionäres Gedankengut und Auflehnung gegen die absolutistische Obrigkeit, Gänsbacher hingegen die Befreiung von fremden „Besatzern“ und die Rückkehr zur alten Ordnung. Das Gedicht Der sterbende Patriot von Schubart dreht sich um den Untergang des „deutschen Vaterlandes“, war also nicht unmittelbar auf die politische Lage Tirols bezogen, konnte aber im Sinne des Tiroler Aufstandes von 1809 durchaus so verstanden werden. Gänsbachers Vertonung von 1812 gehört zur Gattung des durchkomponierten Klavierliedes und zeichnet sich durch Gefühlstiefe und kühne Harmonik aus. Als frühromantisches, qualitativ anspruchsvolles Klavierlied hält es durchaus dem Vergleich mit Franz Schuberts Liedern stand – doch leider wurde es nie gedruckt (siehe Abb. 1 und 2).13 „[…] Halt inn’ in deinem Cherubsfluge, / Halt Inne, du gekosteter Sohn der Harmonie […]“; siehe Ludwig Schubart (Hg.): C. F. D. Schubart’s, des Patrioten, gesammelte Schriften und Schicksale, 2. Band, Stuttgart 1839, S. 262. 13 Eine Einspielung des Liedes befindet sich auf folgendem Tonträger: Institut für Volkskultur und Kulturentwicklung (Innsbruck) / Institut für Musikerziehung in deutscher und ladinischer Sprache (Bozen) / 12 248 Kapitel 13 Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern 249 Abb. 2: Johann Baptist Gänsbacher, Vom sterbenden Patriot von Schubart (Anfangstakte) (Tiroler Landeskonservatorium, Innsbruck, Bibliothek, A-lk ohne Signatur). Transkription. 250 Kapitel 13 Der sterbende Patriot Todtengräber schaufle mir ein Grab. Immer tiefer Sinkt mein liebes Vaterland hinab. Todtengräber, schaufle mir ein Grab. In den alten Eichenwäldern stand Einst die Größe, Schüttelte ein Wetter in der Hand. Schreckbar warst du, deutsches Vaterland. Aber nun – wie schrümpft die Riesin ein! Buben lichten Unsrer alten Größe Schattenhain; Und das graue Heldenvolk wird klein. Auslandsliebe, Weiberweichlichkeit, Freches Knien Vor dem Modegötzen unsrer Zeit Hat dich, armes Vaterland, entweiht. Vaterland, das mir mein Leben gab, Sieh mich weinen; Ach wie tief, wie tief sinkst Du hinab! Todtengräber, schaufle mir ein Grab.14 Alle drei Schubart-Vertonungen Gänsbachers wurden am 16. August 1812 von einer Zensurbehörde (ohne Ortsangabe) begutachtet. Das Lied Vom sterbenden Patriot wurde nicht zum Druck zugelassen (siehe Abb. 3), da die politische Aussage des Liedes wohl zu offensichtlich war. Bemerkenswert ist allerdings, dass Gänsbacher sein Lied vom Sterbenden Patriot trotz der negativen Zensur im Jahr 1814 in Anwesenheit des bayerischen Präsidenten des Appellationsgerichts Innsbruck, Konstantin Ludwig Freiherr von Welden (1771–1842), vortrug. Er wollte auf diese Weise seiner „Erbitterung“, die sich nach der Niederschlagung der Aufstände seiner bemächtigt hatte, Luft machen – und wurde in diesem Moment von jenen, die seine Ansichten und Gefühle teilten, verstanden, wie Gänsbacher selbst berichtet: Mein Aufenthalt in Innsbruck wurde unter andern durch manche musikalische Abende im gräflichen Hause Tannenberg versüßt. […] An einem Abend sang ich bey ihm meinen sterbenden Patrioten mit Klavierbegleitung, Poesie von Schubart, im Beiseyn des bayrischen Vicepräsidenten, Baron von Veln, mit solchem Eifer, ich möchte sagen Erbitterung (das Gedicht ergoß sich eben gegen den damaligen Zeitgeist), die durch dessen Gegenwart noch mehr gesteigert wurde, dass sich alle Zuhörer, wie sie mich nachher sub rosa versicherten, wie von einem kalten Schauer durchbebt fühlten.15 Ein anderer Tiroler Komponist und Zeitgenosse Gänsbachers, Josef Abenthung (1779– 1860), schrieb ebenfalls mehrere Kampf- und Kriegslieder, die wieder an deutsche Vorbilder des politischen Liedes und nicht an die in Tirol beliebten Mundartkampflieder Institut für Geschichte und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck (Hg.); Sandra Hupfauf / Bernhard Sieberer (Zusammenstellung): Lieder der „Freiheit“ (1796–1848). „Treue Tyroler reckn’s Prazl nit“, CD, mit einem Booklet von Sandra Hupfauf und Silvia Maria Erber, Innsbruck 2008, Pro Cultura und RCR, CD Nr. 0875, Track 8. 14 Johann Christian Herrmann (Hg.): Sämmtliche Gedichte von Chr. Fr. Dan. Schubart, 3. Band, neue verbesserte Auflage, Frankfurt a. M. 1829, S. 32f. 15 Walter Senn (Hg.): Johann Baptist Gänsbacher. Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, Thaur 1986, S. 30. Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern 251 Abb. 3: Johann Baptist Gänsbacher, Vom sterbenden Patriot von Schubart, letzte Seite mit der Anmerkung des Zensors: „Non excudatur. 16 Aug [1]812“ (Tiroler Landeskonservatorium, Innsbruck, Bibliothek, A-lk ohne Signatur). anknüpften. Abenthung vertonte aber keine Texte deutscher Dichter, sondern schrieb seine Lieder selbst. Als der Literat und Literaturforscher Adolf Pichler 1854 erstmals generell die Qualität der Tiroler Kriegslieddichtung um 1809 beurteilte, äußerte er sich über die in Tirol verfassten hochsprachlichen Lieder sehr abschätzig. Während er die Mundartkampflieder als „noch erträglich“16 bezeichnete, waren die Gedichte und Lieder der „Gstudierten“ (Gebildeten) für ihn nicht viel mehr als Clownerien der vaterländischen Begeisterung: „Als wahre Don Quixotes nehmen sich aber die ‚Gstudierten‘ aus, wenn sie den Pegasus besteigen und als ächte Ritter der Hippokrene zu buhudieren anfangen“.17 Stilistisch zählen auch die Texte Abenthungs zu dieser Kategorie, doch wie immer man auch über ihren literarischen Wert denken mag, als Quelle sind sie sehr wertvoll, denn sie eröffnen uns bisher unbekannte Facetten der Kriegslieddichtung um 1800. Adolf Pichler: „Tirolische Kriegslieder – ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Volksdichtung“, in: Karl Gödeke (Hg.): Deutsche Wochenschrift 17, Hannover 1854, S. 522–530, hier S. 527f. 17 Ebd. – Hippokrene ist die zum Dichten begeisternde, Apoll und den Musen heilige Quelle. 16 252 Kapitel 13 Josef Abenthung wurde 1779 in Götzens (nahe Innsbruck) geboren und früh von seinem Vater, einem Mesner, musikalisch gefördert. Bereits 1793, also im Alter von nur 14 Jahren, gründete er in seinem Heimatdorf Götzens eine der ersten Blasmusikkapellen Tirols. Abenthung schlug die berufliche Laufbahn seines Vaters ein und betätigte sich auch als Lehrer, ehe er im Jahr 1805 Kommandant der Götzener Schützenkompanie wurde, die er bei den Kämpfen von 1809 anführte. Im Jahr 1823 wurde ihm die Ehre zuteil, als Sargträger für Andreas Hofer zu fungieren, als dessen sterbliche Überreste in die Innsbrucker Hofkirche überführt wurden. Nach den Aufständen widmete er sich wieder der Musik. Er komponierte bis zu seinem Abb. 4: Josef Abenthung: „Auf ! auf ! nur auf ! TyroTod im Jahr 1860 etwa 500 Werke.18 ler auf !“ (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, In Abenthungs Nachlass finden sich Innsbruck, Musiksammlung, M 9228/1). sechs lose Blätter mit insgesamt sieben Liedtexten bzw. Liednotizen, die zur Zeit der Aufstände entstanden und sich auch auf diese beziehen.19 Leider sind zu den Liedern keine Melodien vorhanden, doch aus Abenthungs Notizen ist ersichtlich, dass er die Lieder selbst vertont hat. Eine der Liednotizen umfasst nur wenige Zeilen, ist fragmentarisch und nicht weiter zuordenbar, ein weiteres Lied Abenthungs dürfte eine Auftragsarbeit zur Begrüßung eines „Statthalters“ gewesen sein (M 9232 und M 9231). Zwei von Abenthungs Liedern sind typische Kampflieder, die sich von den anderen überlieferten hochsprachlichen Liedern jener Zeit kaum unterscheiden, eines davon beginnt mit „Auf! auf! nur auf ! Tyroler auf !“ (siehe Abb. 4) und erinnert mit seinem Eingangsruf „Auf! auf!“ sehr an Schubarts Kaplied: Auf ! auf ! nur auf ! Tyroler auf ! 1. Dem Adler reicht die Hand, der jetzt will wieder fliegen In unser Vaterland. Nur auf ! und helft ihm siegen! Auf ! auf ! wie oben. Nur auf ! nur auf ! zum Kampfe auf Dazu und für weitere Literatur über Josef Abenthung siehe Franz Gratl: „Josef Abenthungs Pracktisches Handbuch für Cantor und Organisten: Eine neu entdeckte Quelle zur kirchenmusikalischen Praxis in Tiroler Dorfkirchen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“, in: Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum 86 (2006), S. 223–244. 19 Mein großer Dank für die Hilfe bei der Recherche und Transkription der Texte gilt Herrn Dr. Franz Gratl, Kustos der Musiksammlung im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck. Die politischen Lieder Abenthungs waren bis März 2012 unter der Sammelsignatur A-lmf M 3348 archiviert, nun scheinen sie unter den Signaturen M 9228–9232 auf. M 9231 und M 9232 werden wegen ihres fragmentarischen Charakters im Folgenden nicht erörtert. 18 Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern 253 2. Wir wollen ganz vereint Aus unseren Hochgebirgen Den starken Östreichsfeind Versagen oder wirgen Nur auf ! wie oben Nur auf ! nur auf ! Zum Kampfe auf 3. Ein Volk, das stehts bereit Für altes Recht zum Kriegen Das stärkt der Herr alzeit Der Feind muß unterliegen Nur auf ! wie oben20 Das zweite Kampflied mit dem Incipit „Für Gott Regent u. Vaterland“ begnügt sich nicht mit allgemein gehaltenen Formulierungen, sondern nennt die Dinge beim Namen. Die Bayern, bezeichnet als „verfluchte Klösterstürmer“, sollen „zertretten“ werden „wie Würmer“, um die alte Ordnung und Herrschaft des Kaisers wiederherzustellen. Für Gott Regent u. Vaterland Wolln wir zum Kampfe eilen Nehmt eure Stutzen in die Hand Und euch nicht lang verweilen Die Baiern sind schon lange Zeit Verfluchte Klösterstürmer Tyroler seyd zum Kampf bereit Zertrettet sie wie Würmer Schlagt auf die Bairen tapfer zu Ohn längeres Verweilen Daß sie gleich ohn Rast u. Ruh Schnell aus dem Lande eilen. Dann sind wir alle wieder treu Bekommen unsern Kaiser Mit Lieb gehorchen wir getreu Denn er regiret uns weiser.21 Ein weiteres Lied mit dem Titel Auf die dreymalige Befreiung Tyrols ist ein Danklied an Gott („Jehofa“). Es entstand wahrscheinlich nach der dritten Bergiselschlacht und weist darauf hin, dass die siegreichen Tiroler Aufständischen das „erzwungen“ haben, was den viel zahlreicheren Deutschen nicht gelungen sei: Nun Dank! Und Lob! Jehofa dir Was Teutschland’s Milion Im Kampf nicht war gelungen hat unsre Nation das hat Tyrol erzwungen Nun dank! […] Handschriftlich in der Musiksammlung des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum, Innsbruck (im Folgenden: TLMF), Musiksammlung, M 9228/1. Siehe auch Liedindex, Nr. 87. 21 TLMF, Musiksammlung, M 9229. Siehe auch Liedindex, Nr. 98. 20 254 Kapitel 13 Auch Abenthungs Notiz am Ende des Liedes ist aufschlussreich, weil sie zeigt, dass auch die Dorfkirche, hier die Pfarrkirche von Scharnitz, ein Ort politischer Kundgebung sein konnte: Text u. Aria componiert u. [sic] Dieses habe ich selbst gesungen, mit von mir mit prezision gespielte Orgelbegleitung, während des Patailions Gottesdienst in der Scharnitz Im Jahr 1809.22 Aber nicht nur bei Gottesdiensten zu Ehren der Kämpfer wurden politische Lieder gesungen, sondern auch bei Totenfeiern für Gefallene, wie der Titel des nachfolgenden Liedes von Abenthung, verfasst in seiner Funktion als Götzener „Landesschützen Hauptmann“, verdeutlicht. Zugleich mit dem Totengedenken ergeht ein Appell an die Jugend: „Ahme nach der Ahnen Tugend / Wann es für den Glauben gilt“: Lied zur Todesfeyr für die im Jahr 1809 aus der Gemeinde Götzens 8 Gefallenen Landes-Vertheidiger verfaßt von Josef Abentung [sic], Landesschützen Hauptmann. Laßt uns zum Altar hin tretten Für gefallne Krieger bethen Mit ein[em] frommen Herz zu Gott Die so gar ihr Blut und Leben Für das Vaterland gegeben Und gekämpfet bis in Todt Merk es dir o liebe Jugend Ahme nach der Ahnen Tugend Wann es für den Glauben gilt Solltest du in künft’gen Jahren Schwäre Kriegeskämpf erfahren Eintracht sey dein Starker Schild Unsers Kaisers Treu zu wahren Wollen wir uns zusammen schaaren Wie die Ahnen sich geübt Uns’re Treue darzubringen Wollen wir die Hymne singen Da Franz Josef uns auch liebt.23 Die politische Vereinnahmung von liturgischen Feiern ist übrigens auch durch die Anordnung von Te Deum-Gesängen durch die Obrigkeit belegt.24 Eines der Lieder Abenthungs hebt sich von allen anderen erhaltenen Liedern der „Tiroler Aufstände“ ab: „Wie schnell bist du verschwunden / geträumtes Waffenglück“. Es entstand offensichtlich nach der letzten Schlacht am Bergisel, die die Bayern und Franzosen für sich entscheiden konnten. Josef Abenthung wurde dabei von einer Kugel getroffen, floh nach Grinzens und kurierte dort seine Verwundung aus. Hier, angeblich direkt auf seinem „Schmerzenslager“, schrieb er dieses Lied über das „verschwundene Waffenglück“ und jene schmerzvollen Seiten kriegerischer Auseinandersetzungen, wie Tod, Verlust, Angst und Verzweiflung, die üblicherweise in Kriegsliedern selten vorkomTLMF, Musiksammlung, M 9228/2. Siehe auch Liedindex, Nr. 121. TLMF, Musiksammlung, M 9227. Siehe auch Liedindex, Nr. 115. 24 Siehe dazu auch Kapitel 4 in diesem Band. 22 23 Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern 255 men. Für Tirol ist dieses Lied Abenthungs das einzige Lied der Zeitspanne 1796–1848, das eine Verwundung thematisiert. Verfaßt als ich schwer verwundet im Schmerzenlager in Grinzes [sic] auf der Flucht mich befand im Jahr 1809. 1. Wie schnell bist du verschwunden geträumtes Waffenglück in schwarzen trauer Stunden endet sich dein Geschick 2. Von dem Berg Isls Fuße Ach Gott wehr hätts geglaubt Anstatt des Feindes Schluße Wurd unser Land geraubt 3. Da nun auf Wiltens Feldern Kanon donner kracht Der Feind gleich dicken Wäldern Aufstellet seine Macht 4. Die Baiern gleich in Mitte In unsere Schanzen ziehn So muß mit schnellen Schritte Gleich unser Landmann fliehn 5. Ach Jammer und Erbarmen, jetz geht es auf mich loß Da wirklich auf mich armen ergrimmt ein Kriger schoss 6. Das Blut aus meiner Wunde fließt strömenweis hindann Daß ich so gleich zur Stunde nicht weiter gehen kann 7. Nun seht was wahrer Freund für seinen Freund fermagd Da er gar vor dem Feind für ihm sein Leben wagd 8. Ich liege also schwer in Schmerzen tief darnieder Und fühle mehr und mehr die schmwerzverwunden Glieder 9. Da dachte ich bey mir daß mich mein Gott so liebt Er meint es gut mit mir da er mir Schmerzen gibt. 10. Entreißt mich dem Tod ganz mutig aus den Klauen Ich kann in schwerer Noth ganz sicher auf ihn bauen.25 TLMF, Musiksammlung, M 9230. Siehe auch Liedindex, Nr. 139. 25 256 Kapitel 13 Bereits im Jahr 1813 wurde aus dem einstigen Widerstandskämpfer Josef Abenthung ein loyaler Anhänger des bayerischen Königs. Ein Jahr, bevor Gänsbacher 1814 sein Lied Vom Sterbenden Patriot vor einem führenden bayerischen Beamten sang, führte Abenthung seine Feder für die ehemals gegnerische Seite und schrieb eine Missa pro omnibus vocibus für das königlich-bayerische Militärbataillon Larosche in Innsbruck.26 Im Jahr 1854 hingegen war er längst wieder Österreicher geworden und schrieb ein Huldigungsgedicht auf den Feldherrn Graf Joseph von Radetzky.27 Ungefähr zu dieser Zeit begegnete der Wiener Dichter Ignaz Franz Castelli dem Götzener Komponisten und charakterisierte ihn folgendermaßen: Der alte Schullehrer, welcher schon 60 Jahre das Schul- und Organistenamt versieht, ist ein merkwürdiger Kauz. Man nennt ihn seiner musikalischen Kenntnisse wegen in der Umgegend den zweiten Mozart; und er muss sich wohl selbst dafür halten, weil er zu einer Messe des ersten Mozart 2 Flöten hinzucomponiert hat und behauptet, dass die jetzt viel bessere Wirkung mache. Er hat sich als Schützenhauptmann tapfer ausgezeichnet, er wurde verwundet und auf der Erde liegend commandierte er noch immer fort, bis er die Sprache verlor. Er nennt sich Josef Abenthung.28 Christian Blattls „Volkstümliche Biedermeierlieder“: Liedertafelstil und Tiroler Volkston als Vorbild für politische Lieder um 1840 Der Tiroler „Volksdichter“ und Sänger Christian Blattl (1805–1865) aus Fieberbrunn bzw. St. Johann in Tirol verfasste in den 1840er-Jahren einige zeitbezogene Lieder, die er an seine Tochter Elisabeth weitergab. Die kriegerischen Auseinandersetzungen von 1796/1797 und 1809 liegen weit zurück und der „Kampf um Tirol“ steht auch nicht im Mittelpunkt von Blattls politischen Liedern. Blattl verurteilt in seinen Liedern die Revolution von 1848, huldigt dem Kaiser, spricht aktuelle gesellschaftspolitische Probleme an und verleiht nicht zuletzt seinem Stolz auf das „Tirolertum“ Ausdruck. Von Andreas Hofer ist in Blattls Liedern keine Rede, denn statt eines einzelnen Helden werden hier „die Tiroler“ oder „die Tiroler Schützen“ allgemein, die angesichts der revolutionären Tendenzen in den Nachbarländern ihren Kaiser nicht im Stich lassen und sich der angeblichen Tiroler Tugenden wie Redlichkeit, Tapferkeit und „Biederkeit“ besinnen, heroisiert. Der Einfluss des deutschen Männergesangs der Liedertafeln und Studentenchöre wird durch die teilweise in den Texten eingestreuten „Vivat!“-Rufe TLMF, Musiksammlung, M 3359. Franz Joseph Adolf Schneidawind (Hg.): Radetzky-Lieder. Ein Album zu Ehren des Feldherrn, seiner Paladine und seiner Tapfern, Leipzig – Wien 1854, S. 54. 28 Ignaz Franz Castelli: Memoiren meines Lebens: Gefundenes und Empfundenes, Erlebtes und Erstrebtes. 1. Band: Vom Jahre 1781 bis zum Jahre 1813, Wien – Prag 1861, S. 60. – Der überaus angesehene Wiener Biedermeierdichter Ignaz Franz Castelli (1780–1862) war u. a. mit Antonio Salieri (1750– 1825) befreundet. Er schrieb selbst mehrere Kriegslieder, über die er berichtete: „Sie waren populär und meist auf bekannte Volksmelodien zu singen, daher fanden sie leicht Eingang“ (Ignaz Franz Castelli: Sämmtliche Werke, „Gefundenes und Empfundenes, Skizzen aus meinem Leben.“, 16. Band, Wien 1848, S. 221). Sein bekanntestes Kriegslied war das Kriegslied für die österreichische Armee aus dem Jahr 1809. 26 27 Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern 257 deutlich. Auch den Nationalsängerliedern und ihren Themen, wie beispielsweise dem „In-die-Ferne-Wandern“, stehen Blattls Lieder nahe. Nicht nur der erzählende Charakter der Texte verweist auf das Wiener Theaterlied, sondern auch die Thematik. Humor und Gemütlichkeit und das „gute Glaserl Wein“ fehlen in fast keinem der politischen Blattl-Lieder. Als der Volksliedforscher Josef Pommer im Jahr 1910 das Liedrepertoire der BlattlTochter Elisabeth festhielt, notierte er auch Blattls politische und auf die Revolution von 1848 bezogene Lieder für seine Edition der Blattl-Lieder.29 Christian Blattl schrieb laut seiner Tochter fünf Lieder, die sich um politische Themen rund um das Revolutionsjahr 1848 drehen: Das biedere Tirolerlandl, Tiroler und Österreicher, Die deutsche Treu und Redlichkeit, Der åchtundvierz’ger Schütz und das Tiroler Schützenlied aus den vierziger Jahren.30 Zu Blattls politischen Liedern dürfte auch das Lied O edler Greis, o Wundermann mit dem Titel Vater Radetzky zählen (siehe Abb. 5), obwohl Elisabeth Blattl behauptete, dass das Lied von Christian Blattl d. Ä., dem Vater des „Volksdichters“, stamme, der als Scharfschützenhauptmann bei den Tiroler Aufständen mitgekämpft hatte: Vater Radetzky. 1. O edler Greis, o Wundermann! O großer Held Radetzky! Dich staunt die ganze Erde an, Denn deinesgleichen trägt sie nie. Denn fünfundsechzig Jahre schon Beschützest du den Kaiserthron. Nicht Ruhmsucht war für dich der Trieb, Wohl aber Pflicht und Ordnungslieb. 2. Wo fang ich an, wo ende ich, Vom Süden bis zum Norden, Wo groß ich deine Taten sich [sehe] Unbeschreibbar mit Worten? Italiener, Franzos, Türk, Haben dich in jedem Schlachtbezirk Noch als Besiegte hochgeschätzt, Weil niemals du die Pflicht verletzt. 3. Mit Brudersinn und Vaters Trieb Umschlingt dein Herz die Heldenschar, Die du befehligst nur mit Lieb’, Vergißt auf deinen Rang sogar. Nie höret man von Kriegsgespanen Schmähen deinen hohen Namen. Voll Ehrfucht alle rufen sie: Hoch lebe Vater Radetzky. Josef Pommer (Hg.): Blattl-Lieder. Nach Wort und Weise verfaßt von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl, Saalfelden 1910. Zu Blattl siehe auch Kapitel 14 in diesem Band. 30 Ebd., S. 24–46. 29 258 Kapitel 13 4. Die Perle in des Kaisers Kron’ Bist du, verdienter Heldengreis, Du milderprobter Kriegessohn Für Österreich der höchste Preis. Dies zeigen deine Orden an, Die nur gebühren solchem Mann; Doch nicht so sehr die Brust geschmückt, Wie sie in Seel’ und Herz gedrückt. 5. O hochbeglücktes Böhmerland, Wie muß man dich beneiden, Wo einst des Helden Wiege stand, Dein Ruhm für späte Zeiten. Stolz darfst du sein auf diesen Mann, Der einst aus deinem Schoße kam. Und außer dir in keinem Land Ist uns ein solcher Sproß bekannt. 6. Herr, höchster Gott vom Himmelsthron, Erhöre unser Flehen, Und laß ihn uns als schönen Lohn Noch lange als Marschall sehen, Gib noch zu vielen viele Jahr, Der Staat und’s Land bedarf ’s sogar Zum Volkes Wohl und in betreff Des guten Kaisers Franz Josef.31 Vater Radetzky wurde auch schon vor Josef Pommers Sammlung der Blattl-Lieder (1910) veröffentlicht, nämlich in Franz Joseph Adolf Schneidawinds bereits erwähnter Gedichtesammlung zu Radetzkys Ehren (1854), in der auch ein Lied Abenthungs zu finden ist.32 Schneidawind und Pommer weisen darauf hin, dass das Lied im Nordtiroler Unterland so häufig gesungen wurde, dass man es als „Volkslied“ bezeichnen könne. Pommer ist allerdings der Meinung, dass „O edler Greis, o Wundermann“ wohl eher von Christian Blattl d. J. stamme, auch erinnert ihn der Anfang des Liedes sehr an das Weihnachtslied „O Tannenbaum“ (siehe Abb. 5). Er datiert es mit 1849, wobei er fälschlicherweise dieses Jahr als das Jahr der Thronbesteigung Kaiser Franz Josephs I. bezeichnet; diese war allerdings bereits am 2. Dezember 1848 erfolgt.33 Trotzdem dürfte 1849 als Entstehungsjahr stimmen, denn in der ersten Strophe wird Radetzky, der 1784 in den Soldatenstand eingetreten war, dafür gerühmt, dem Kaiserthron schon 65 Jahre gedient zu haben. Ein weiteres historisch-politisches Lied von Christian Blattl trägt den Titel Das biedere Tirolerlandl (siehe Abb. 6). Blattls Tochter „Lisei“ (Elisabeth) erzählt dazu, dass Kaiser Ferdinand auf dem Weg nach Innsbruck, auf seiner Flucht am 17. Mai 1848, in St. Johann in Tirol im Dechanthof eine Zwischenstation eingelegt habe. Die Dorfbewohner haben daraufhin ihren Vater gebeten, zum Anlass dieses nicht alltäglichen Ebd., S. 24–26, S. 186. Siehe auch Liedindex, Nr. 51. – Zu Christian Blattl d. Ä. siehe P. Adjut Troger: Anno Neun. Geschichtliche Bilder aus der Ruhmeszeit Tirols. Bände 8 und 9: Christian Blattl, Scharfschützenhauptmann von Pillersee, Innsbruck 1909. 32 Schneidawind (Hg.): Radetzky-Lieder (wie Anm. 27), S. 38. 33 Pommer (Hg.): Blattl-Lieder (wie Anm. 29), S. 186. 31 Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern 259 Abb. 5: „O edler Greis, o Wundermann“ (Anfang), in: Josef Pommer (Hg.): Blattl-Lieder. Nach Wort und Weise verfaßt von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl, Saalfelden 1910, S. 24. Besuchs ein Lied zu dichten, um es dem Kaiser als Ständchen darbringen zu können. Blattl selbst trug mit seinen Sängern das Lied vor und erhielt dafür als Belohnung fünfzig Gulden.34 Das biedere Tirolerlandl. 1. Tirol, du edles, biedres Landel Zwischen hohen eisbedeckten Bergen, Du weißt dir durch so edle Handel Alle Zeit viel Ruhm und Ehr zu erwerben. Ja, schon seit deinen alten Ahnen her Bist du gekrönt mit vieler Ruhm und Ehr, Soviel die Geschichte weisen kann Viele beispiellose Wunder dann. 2. Schon eh man’s Pulverkraft erhoben, Und da zu Rudolf von Habsburgs Zeit, Schoß’s Landvolk schon auf Feind mit Bogen, Bewiesen ihre Treu und Tapferkeit. Ebd., S. 38–41. 34 260 Kapitel 13 Graf Meinhart widmet sich dem Kärntner Land Durch wackere Tirolers Volkeshand. Drum blüht dem biedren Alpensohn Durch Jahrhunderte die Ehr zum Lohn. 3. Als Friedrich mit der leeren Tasche Ward so schmählich seines Reichs verbannt, Sein’ Unterhalt sich kaum erhaschte, Stritt für ihn das treue Volk im Land. Genoß für ihn das Recht der Landesständ’, Damals noch nicht das ganze Deutschland kennt, Was noch zum Zeugnis der Geschicht, ’s goldne Dachel in der Hauptstadt spricht. 4. Als Kaiser Max sich hat verstiegen, Dort bei Innsbruck an der Martinswand, Kam ein Bauernsohn mit kühnen Schritten, Führte ihn als wie eine Engelshand. Für diesen Kaiser blitzte öfter schon Der Stutzen des Tiroler Biedermann. Drum hat er auch ’s Tirol genannt Das Herz und Schilde seines Land. 5. Der dreißigjähr’ge Krieg bleibt Zeuge Von Tiroler Treu und Tapferkeit, Als Claudian mit größter Freude Ward stets seines Sieg bereit. Ja, wo sie stritten, ward stets Sieg erkämpft, Wenn Pulverrauch in ihren Tälern dämpft. Da blieben sie von den Feinden frei, Und das Volk stets ihrem Fürsten treu. 6. Die drei Ferdinand hab’n viel gesprochen Von Tiroler Treu und Redlichkeit. Nie wird sie auch von uns gebrochen, Für den Kaiser sind wir stets bereit. Ja, unser Stolz liegt in der Fürstentreu, Solang es unser wahrer Herrscher sei. Nur fremde Herrschaft woll’n wir nicht, Weil unser Herz für Habsburg spricht. 7. Oft haben’s die Bayern schon erfahren, Siebzehnhundertdrei zum erstenmal, Daß Tiroler keine Hasen waren, Schlagefertig allzeit, überall. Der Maria-Theres soll es noch ruhmvoll sein, Sie nahmen auch die Hauptstadt München ein. Nur Tiroler san geübt, Daß es nirgends ihresgleichen gibt. 8. Was alte Zeiten groß gesehen Nahmen die Jungen auch nicht minder groß. Tiroler Mut steigt bis zum höchsten, Unter Kaiser Franz gings wieder los. Tiroler Schützen, lauter Herkules, Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern 261 Besiegen den Feind stets ihrem Recht gemäß, Wenn der Tiroler Stutzen ruft, Nimmt der Franzos, wo er kann, die Flucht. 9. Von Anno neune die Geschichteschronik Bleibet Zeugnis noch für alle Zeit, Jung und alt schwor zur Kriegesfahne, Knaben und Weiber sind sogar bereit. Stolze Helden und gewohnte Krieger Fliehen oder leg’n die Waffen nieder, Das tat Leféber, Worte und Bisson, Und wer nicht, hat kein Pardon. 10. Durch solche Beispiel’ angesporen Bleibet noch der alte Mut im Land. Ja, es ist uns schon angeboren, Wollt’ es unser Kaiser Ferdinand; Wir sind von ihm also hochgeacht, Zur freie Schützen hat er uns gemacht. Drum üb’n wir uns in Friedenszeit, Daß wir in Krieg fest schußbereit. 11. Von Tirolertreu wird viel gesprochen, Was ’s Achtundvierzger Jahr bewiesen hat, Wo viele Völker ihre Treu gebrochen, Selbst auch in des Reiches Kaiserstadt. Der Tiroler, der lauft gleich an Berg und Tal, Gerufen von dem ersten Waffenschall, Voll Kaisertreu, den Stutzen in der Hand, Bis an die Grenze seines Land. 12. Drum Vivat! Alle Schützen sollen leben, Noch mehr unser Kaiser Ferdinand. Groß Gnaden hat er uns gegeben, Glücklich schätzt sich jeder Schütz’ im Land. Wie genießen stets die Gnad mit Lust, Und wir rufen all’ mit heller Brust, Beim Glasel Wein recht jubelvoll: Hoch leb’ Franz Josef und Tirol.35 Josef Pommer datiert das Lied mit 1848 und vermutet, dass es nach der Wiener Revolution im März und vor der Abdankung Kaiser Ferdinands im Dezember entstanden sei. Blattls ideologische Intention ist klar erkennbar: Ihm geht es um den historischen „Nachweis“ der Habsburgertreue und Wehrhaftigkeit der Tiroler. Zahlreiche Herrscher des Landes werden aufgezählt: Rudolf von Habsburg, Graf Meinhard von Görz-Tirol, Friedrich IV. „mit der leeren Tasche“, Kaiser Maximilian I., die „drei Ferdinande“, Maria Theresia, die Kaiser Franz, Ferdinand I. und Franz Joseph I. Auch wichtige historische Ereignisse finden in dieser Lobeshymne auf den Patriotismus des „Tiroler Biedermanns“ Erwähnung: der Dreißigjährige Krieg, der so genannte „Bayerische Rummel“ im Zuge Ebd. Siehe auch Liedindex, Nr. 58. 35 262 Kapitel 13 Abb. 6: Das biedere Tirolerlandl, in: Josef Pommer (Hg.): Blattl-Lieder. Nach Wort und Weise verfaßt von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl, Saalfelden 1910, S. 38–41. Transkription. Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern 263 des Spanischen Erbfolgekrieges 1703, die Einnahme von München, das Jahr 1809 und schließlich auch das Jahr 1848.36 Ein weiteres Lied mit dem Titel Tiroler und Österreicher behandelt ein bewährtes Nationalsängerthema, nämlich das Motiv des weit gereisten Tirolers, hier im Fall eines Wanderhändlers, der über die Kaiserstadt Wien und die Unterschiede zu seiner Tiroler Heimat reflektiert (siehe Abb. 7): Tiroler und Österreicher. 1. Liebe Leute neigt mir ein geneigtes Ohr; Es ist nur ein ålmerisch Tiroler-Chor: Schon voñ långer Zeit, dås wißt’s jå, meini Herrn, håmt Tiroler d’Österreicher gern. 2. O ös Weana Leut’ ös seid’s dem Kaiser guat, die Tirola opfern fürn Franz Josef ’s Bluat. Wån’s hoaßt d’Österreicher sind in Kampf und Streit, sind Tiroler a schoñ bei da Schneid. 3. Enka Kaiser Franzel dort in Österreich, er stellt Ruh und Fried’, es ist ihm alles gleich. Er stellt Ruh und Friede, åll’s zu seiner Ehr, sågst’s, ös Weana Leut’, wås wollt’s no mehr? 4. Über oans hån i mi åba recht beschaut: enka Kaiserstadt is går so prächti(g) baut; es steht alles da in schönster Pracht und Glånz, dånkt no åll’s dem ålten Kaiser Franz. 5. Über oans muaß i mi åba recht beschwern: daß die Weana Madeln hå(b)m die Buam so gern; kaum daß oanö erst amål den zweiten håd, is der erst’ schoñ wieda aus da Gnåd. 6. Då send mir an (in) unsern Landel besser drån, wenn oane liabt an Buam, so schaut’s koan åndern ån. Unsre Madel bleib’n uns ålle fest getreu, es geht uns koañ åndra nid ins Gäu. 7. Adjes, meine Herrn, lebt’s wohl åll beianånd, i muaß wieda ins Tirol mit meiner Kråm, dort will i auf euer G’sundheit ’s Glasel leer’n, lebet wohl, ihr Frauen und ihr Herrn!37 Pommer bezeichnet das Lied als ein „besseres Tiroler Volkssängerlied“, da der Jodler qualitativ höher einzuschätzen sei als die allgemein üblichen „Salonjodler“ der National sängerlieder. Der Tiroler Händler ermahnt die „Weana Leut’“, also die Wiener Bevölkerung, den Kaiser zu ehren und ihm „guad zu sein“, denn immerhin sorge dieser für „Ruh und Fried“ in der prächtigen Kaiserstadt. Ein kleiner Seitenhieb auf die „Weana Madeln“, also den weiblichen Teil der Wiener Bevölkerung, folgt, indem der Protago Ebd., S. 188f. Ebd., S. 45f. Siehe auch Liedindex, Nr. 47. 36 37 264 Kapitel 13 Abb. 7: Tiroler und Österreicher, in: Josef Pommer (Hg.): Blattl-Lieder. Nach Wort und Weise verfaßt von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl, Saalfelden 1910, S. 45–47. Transkription. Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern 265 nist ihnen unterstellt, sie würden im Gegensatz zu den treuen Tiroler Mädchen ihr Herz öfter als nur einmal verschenken. Diese kleine Zweideutigkeit erinnert wieder an den Humor der Wiener Theaterlieder. Auch die letzte Strophe, in der Abschied genommen wird, animiert beinahe zur szenischen Darstellung: Der Tiroler erhebt das „Glasel“ auf das Wohl der Allgemeinheit. Pommer gibt an, dass das Lied auch in der Ausseer Gegend gesungen wurde, wo es Konrad Mautner im Jahr 1897 aufzeichnete.38 Die Vorbilder für das nächste Lied, Die Deutsche Treu und Redlichkeit (siehe Abb. 8), liegen offensichtlich im deutschen Männergesang, denn in den Tiroler Mundartliedern findet man die Worte „deutsch“ oder „Deutschtum“ nur äußerst selten. Wieder erfolgen kritische Äußerungen über Nachbarländer, in denen angeblich „nichts als Krieg und Streit und Revolution“ herrsche. Ihnen wird die eigene Heimat lobend gegenüber gestellt. Die Tiroler Bevölkerung wird idealisiert, „der Tiroler håltet åll’s wås er verspricht“, bei ihm „lebt noch das alte Christentum“ und er tue, was der „Papst verlangt und was der Kaiser spricht“: Die deutsche Treu und Redlichkeit. 1. Wer die alte deutsche Treu und Redlichkeit in dem Landel finden will, der geht nicht weit, denn das kleine Landel kennt a jeda wohl, es ist das liabe Vaterland Tirol. 2. Der Tiroler håltet åll’s wås er verspricht. Glaub es sicherlich, daß er sein Wort nicht bricht, denn der Handschlag gilt, ja, Bruder, glaub es nur, es ist bei ihm so viel als wie ein Schwur. 3. Geh ich nach Welschland, Frankreich oder in die Schweiz, ja, was seh’ ich da, es ist a wahres Kreuz: nichts als Krieg und Streit und Revolution, Haß und Neid und Zweitracht trifft man ån. 4. Besser is bei uns ja noch als ummadum, denn bei uns lebt noch das alte Christentum; was der Papst verlangt und was der Kaiser spricht, dås tuat a jeder gern, ist seine Pflicht. 5. Also lustig, Brüder schenkt die Gläser ein; trinkt dem Kaiser Vivat mit Tirolerwein! Wenn die ganze Welt in Unfried kema soll, so bleibt doch das Felsenland Tirol.39 Der Melodie des Liedes liegt laut Pommer jene des Volksliedes „Wann der Schnee von der Alma weggageht“ zugrunde. Für Niederösterreich und die Steiermark sind weitere Varianten mit einer anderen Melodie belegt. Das Lied enthält Anklänge an den deutschen Männergesang, wie das „Zuprosten“ in der Schlussstrophe mit dem bei Blattl schon fast obligatorischen „Vivat“ und dem Trinken von „Tirolerwein“. Pommer kritisiert, auf derartige Formulierungen Bezug nehmend, dass „die Sprache der ‚höher Gebildeten‘, das Ebd., S. 189. Ebd., S. 36–38. Siehe auch Liedindex, Nr. 66. 38 39 266 Kapitel 13 Abb. 8: Die deutsche Treu und Redlichkeit, in: Josef Pommer (Hg.): Blattl-Lieder. Nach Wort und Weise verfaßt von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl, Saalfelden 1910, S. 36–38. Transkription. Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern 267 Volkssängertum und selbst das Gesangsvereinswesen“ auf das aus seiner Sicht natürliche „volksmäßige bäuerliche Denken und Dichten“ zu großen Einfluss ausgeübt habe.40 Unter den Blattl-Liedern finden sich auch zwei „Schützenlieder“, die der Gattung des Soldatenliedes zugerechnet werden können und sich auf das Revolutionsjahr 1848 beziehen: Der åchtundvierz’ger Schütz und das Schützenlied aus den vierziger Jahren (siehe Abb. 9 und 10). Das erste Lied entspricht dem auch in manchen Soldatenliedern ver arbeiteten Abschiedsmotiv: Der in den Krieg ziehende junge Mann verabschiedet sich von seiner traurigen, sorgenvollen Geliebten. Im Lied vom Åchtundvierz’ger Schütz, dessen propagandistische Aussage unübersehbar ist, spricht sie ihm Mut zu. Den Interessen Kaiser Ferdinands I. werden die eigenen Bedürfnisse untergeordnet, wird das ungestörte Liebesglück geopfert. Für den Kaiser würde der junge Schütze „Haus und Hof, Guat und Bluat“ hingeben, das Wohl des geliebten „Diandel“ ist schicksalshaft an die Absichten des Kaisers und des Vaterlandes allgemein gebunden. Die junge Frau bekämpft ihre Sorgen und meint ergeben: „ruck nar aus, liaba Bua, b’schütz an Kaisa sein’ Thron, / denn wås ma für’n Kaiser tuan, is uns an Ehr“ (3. Strophe). Das Schützenlied aus den vierziger Jahren trägt hingegen Merkmale eines Trinkliedes. Die Schützen sind in diesem identitätsbestärkenden Gruppenlied wahrhaft mutige, trinkfeste, aber unerschütterlich kaisertreue Kampfgenossen. Man kann sich durchaus Pommers Meinung, dass das Lied „noch unter Kaiser Ferdinand I., also vor 1849“ gedichtet [wurde]“, anschließen. Der åchtundvierz’ger Schütz 1. ’s Diandel håt gwoañt und sågt: Bua, wo gehst hin? Håst dö Bix auf dar Åxel, wås håst denn im Sinn? Gehst gwis a mit dö Schützen, denkt hun i ma’s an eh und mi låßt alloañ dahåm, ’s Herz tuat ma weh. Denn wån s’ di daschiaßen, i gram mi um di und wån da Feind dåher kimt, wer b’schützt åft mi? Tra-ra la la […] 2. Diandel hö(r) nur auf z’woun und vagiß ’n dein Schmerz, gram di du nöt um mi, bei dir bleibt schoñ meiñ Herz. Gram di um den guaten Kaiser Ferdinand! Er steht in der Gfåhr um dös gånz Våterlånd. Der liegt mir im Herzen, der liegt mir im Sinn, für den gib i Haus und Hof, Guat und Bluat hin. Tra-ra la la […] 3. ’s Herza(r)l is schwar, åber sei’s in Gott’s Nåm, ruck nar aus, liaba Bua, b’schütz an Kaisa sein’ Thron, denn wås ma für’n Kaiser tuan, is uns an Ehr. Mir send ihms jå schuldig, er gibt uns no mehr! I wer(d)’ beten für di, für en Kaiser Ferdinand, für di [sic] Kaiserin und fürs gånz Våterlånd. Tra-ra la la […] 4. Du Diandel, a treu’s, da Gedånken wa(r)’ recht. Tuat a jed’s Diandel dås, geht’s uns Schützna nöt schlecht. I denk ma für’n Kaisar an Stutzen zun wåg’n, Ebd., S. 187. 40 268 Kapitel 13 fürs Diandel, fürs Våterland, für’n Kaiser sein Thron. Hun an Feind auf en Rohr, und er måg ma nid aus, denn pums! is er tot, nåcha lebt’s Kaiserhaus. Tra-ra la la […] 5. Geh hin und sei tåpfer, Gott b’schütz’ di, meiñ Bua, und wånnst hinkimst zån Feind, nåchher schlåg na brav zua. Låßt’s Büchsei frisch schnållen, die Kugeln pfeifen, woaß wia. Sei getrost, liaba Bua, meiñ Herz kämpft schon mit dir! Wånnst z’ruck kumst als Sieger, dås hoff i ma(r) gånz, nåcha herz’ mar uns wieder, i bind dar an Krånz. Tra-ra la la […]41 Tiroler Schützenlied aus den vierziger Jahren 1. Ei, das Leben ist so schön, holarädiå holarädiå, laßt das Fläschchen weiter gehn, holarädiå håliå! Schenket ein bis oben voll und trinket auf des Kaisers Wohl! holarädiå holarädiå […] 2. Unser Kaiser Ferdinand, holarädiå holarädiå, wählt sich Schützen aus dem Land, holarädiå håliå! Nehmen ihm das Land in Schutz Und bieten stets dem Feinde Trutz, holarädiå holarädiå […] 3. Hat der Feind was Schlecht’s im Sinn, holarädiå holarädiå, stellt man ihm gleich Schützen hin, holarädiå håliå! Macht er einen Überfall, wir Schützen sind gleich überall. holarädiå holarädiå […] 4. Grünbelaubt ist unser Hut, holarädiå holarädiå, zeigt Tiroler Schützenmut, holarädiå håliå! Rufte all’ aus heller Brust: Wir sind ja voller Kriegeslust! holarädiå holarädiå […] 5. Schaffet euch Gurasch und Kraft, holarädiå holarädiå, durch Tiroler Rebensaft, holarädiå håliå! Sparet nicht das Pulver und Blei, vivat! und bleibt dem Kaiser treu! holarädiå håliå!42 Ebd., S. 26–29. Siehe auch Liedindex, Nr. 53. Ebd., S. 29–31. Siehe auch Liedindex, Nr. 21. 41 42 Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern 269 270 Kapitel 13 Abb. 9: Der åchtundvierz’ger Schütz, in: Josef Pommer (Hg.): Blattl-Lieder. Nach Wort und Weise verfaßt von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl, Saalfelden 1910, S. 26–29. Transkription. Politische Inhalte in Tiroler Kunstliedern 271 Abb. 10: Tiroler Schützenlied aus den vierziger Jahren, in: Josef Pommer (Hg.): Blattl-Lieder. Nach Wort und Weise verfaßt von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl, Saalfelden 1910, S. 29–31. Transkription. 272 Kapitel 13 Resümee Die zwei Tiroler Komponisten Johann Baptist Gänsbacher und Josef Abenthung beteiligten sich an den Tiroler Aufständen und verliehen ihrem Patriotismus auch musikalisch Ausdruck. In ihren politischen Liedern orientierten sie sich an den Vorbildern des frühen deutschen Männergesangs, etwa an Werken von Carl Maria von Weber. Ihre Lieder unterscheiden sich deutlich von den populären Mundartkampfliedern der Zeit um 1809. Unter Gänsbachers Vertonungen von Texten von Christian Friedrich Daniel Schubart ragt das Lied Vom sterbenden Patriot hervor. Obwohl es wegen seiner deut lichen politischen Bezüge nicht gedruckt werden durfte, trug Gänsbacher selbst dieses durchkomponierte Klavierlied im Jahr 1814 in Anwesenheit eines hohen bayerischen Beamten in einer Innsbrucker Privatgesellschaft vor. Von Josef Abenthung sind sieben politische Lieder bzw. Liedtexte, teilweise fragmentarisch, überliefert, die im Jahr 1809 u. a. im Rahmen von Gottesdiensten, etwa bei Totengedenken für gefallene Aufständische, gesungen wurden. Besonders bemerkenswert ist das Lied „Wie schnell bist du verschwunden“, das den verlorenen Krieg und Abenthungs eigene Kriegsverletzung zum Inhalt hat. In den 1840er-Jahren und später entstanden fünf (bzw. möglicherweise sechs) „volkstümliche Biedermeierlieder“ (Leopold Schmidt) des „Volkssängers“ Christian Blattl aus Fieberbrunn bzw. St. Johann in Tirol. Sie kommen dem Nationalsänger- und Wiener Theaterliedstil nahe und sind auch vom deutschen Männergesang beeinflusst. Ihre Kenntnis verdanken wir der Edition Blattl-Lieder des Volksliedforschers Josef Pommer von 1910. Blattl zeigt sich in diesen Liedern als Gegner der Revolution von 1848 und Anhänger des Kaiserhauses und eines stolzen „Tirolertums“. Zeitlich, stilistisch und auch inhaltlich haben die Lieder Gänsbachers und Abenthungs mit den Liedern von Christian Blattl wenig gemeinsam. Was sie verbindet ist der Umstand, dass die Genannten als einzige Tiroler politische Lieder schrieben, die in erster Linie dem eigenen künstlerischen Ausdruck dienten. Nichtsdestotrotz wurden auch diese Lieder zur politischen Agitation (Gänsbacher, Abenthung) oder Stärkung der herrschaftlichen Ideologie (Blattl) eingesetzt. Kapitel 14 „Und es reicht die threie Hand gern die Jungfrau einen Siger“. Das Freyheits-Lied Sandra Hupfauf 1. Jauchzet singet frohe Lieder Fest geschlossen ist das Band Alle sind wir Freind und Brider Frey ist unser Land. 2. Leibzigs Felder blien wider Wo der wilde Haufen stand Stat Kanonen schalen Lider Frey ist unser Land. 3. Er hat unser Kraft empfunden An der Elbe wilden Strand Seine Herrschaft ist verschwunden, Frey ist unser Land. 4. Stat dem Fluch der wilden Feinde Den so ser das Herz entpfand Schalt das Lob der treyen Freinde, Frey ist unser Land. 5. Lengst zurick sind schon die Kriger Und es reicht die threie Hand Gern die Jungfrau einen Siger Frey ist unser Land.1 1. „Jauchzet singet frohe Lieder“ und andere Kriegs- und Kampflieder in den Handschriften des „Volkssängers“ Christian Blattl Das Siegeslied „Jauchzet singet frohe Lieder“ spielt auf die so genannte Völkerschlacht bei Leipzig vom 16.–19. Oktober 1813 an. Im Jahr 1812 hatten mit Napoleons Russland-Feldzug die Befreiungskriege begonnen. Die Schlacht bei Leipzig endete ein Jahr später mit der entscheidenden Niederlage Napoleons. Seine Heere standen den zahlenmäßig weit überlegenen verbündeten Truppen Österreichs, Preußens, Russlands und Schwedens gegenüber. Leopold Schmidt: Volksgesang und Volkslied. Proben und Probleme, Berlin 1970, S. 254f. Siehe auch Liedindex, Nr. 40. 1 274 Kapitel 14 Zum Anlass des Sieges über Napoleon entstanden im ganzen deutschen Sprachraum Napoleon-Lieder, einige auch in Tirol.2 „Jauchzet singet frohe Lieder“ ist ein typisches historisch-politisches Lied dieser Zeit und unterscheidet sich stilistisch und inhaltlich von den sonst gängigen regionalspezifischen Tiroler „Freiheitsliedern“. Der Text handelt von Einheit und Freundschaft („Alle sind wir Freind und Brider“), man erfreut sich des wieder erblühenden Landes („Leibzigs Felder blien wider / Wo der wilde Haufen stand“), der einkehrende Friede macht sich bemerkbar („Stat Kanonen schalen Lider“) und nicht zuletzt wird die gewonnene Freiheit bejubelt: „Frey ist unser Land“. In der letzten Strophe erfahren die tapferen Krieger schließlich Anerkennung in der Heimat: „Und es reicht die threie Hand / Gern die Jungfrau einen Siger“. Der Text ist hochsprachlich und schlägt nach den Kriegswirren versöhnliche und vor allem pathetische Töne an, wogegen die mundartlichen Siegeslieder aus Tirol aggressiv wirken. Hochsprachliche Lieder dieser Art finden sich in den Sammlungen von Leonard von Soltau, Franz Wilhelm von Ditfurth und August Hartmann3 größtenteils ohne Melodien. Doch genau dieses Lied ist in keiner dieser Sammlungen zu finden, sondern im Nachlass des Tiroler Bauern und „Volkssängers“ Christian Blattl (1805–1865).4 Für die Lieder Blattls existieren zwei Quellen. Zu nennen sind zunächst drei handschriftliche Liedersammlungen der Familie Blattl, die der Volkskundler Leopold Schmidt im Nachlass des Volksliedforschers Emil Karl Blümml (1881–1925) fand und 1970 eingehend neu sichtete. Er datierte sie mit ca. 1830 und erstellte ein kommentiertes Verzeichnis dieser Lieder.5 „Jauchzet, singet frohe Lieder“6 findet sich in zwei dieser Handschriften. Insgesamt enthalten die drei handschriftlichen Quellen noch zwei weitere hochsprachliche Lieder mit kriegerischen Inhalten: „Bei Weiters der Aufgang der Sonnen“ und „Weit entfernt von dir in den Regionen“. Für beide konnte Schmidt keine anderen Quellen als diese Liedersammlungen der Familie Blattl ausfindig machen. Außerdem wurden ein Loblied auf Kaiser Ferdinand („Schützen auf es ruft der Kaiser“) und ein Lied, das schon zur Zeit Andreas Hofers gesungen wurde („Die liebe Feyerstunde schlägt“) dort festgehalten.7 Bei der zweiten Quelle für politische Lieder aus dem Repertoire von Christian Blattl handelt es sich um Aufzeichnungen des Volksliedsammlers und -pflegers Josef Pommer, der sich um 1910 die Lieder des „einfachen Tiroler Bauern“ (Pommer) von dessen Tochter Elisabeth („s blinde Lisei“) vorsingen ließ. Als Pommer Elisabeths Lieder niederschrieb, Für Tirol sind insgesamt elf Napoleon-Lieder belegt (siehe Liedindex, Nr. 4, 5, 26, 34, 36, 37, 38, 61, 84, 104, 108), darunter z. B. der Text des Liedes „Holt gelt, Bonapartl / S’Blatt’l håt si g’wend’t, / Du håst dier bei Moskau / Die Nås’n verbrennt. / Die Nås’n verbrennt / Und die Zech’n derfreart / Holt, gelt, Bonapartl, / S’Blatt’l håt sie g’wend’t, / Gfoahrn bist du a’f der extra Post / A’fn Jolischen Schlitten / Der håt nöt viel kost’“ (Tiroler Volksliedarchiv, Innsbruck, A 7079, mitgeteilt von Maria Ganner aus Wildermieming, aufgezeichnet von Josephus Weber, ca. 1910; siehe auch Liedindex, Nr. 104). 3 Friedrich Leonard von Soltau (Hg.): Einhundert Deutsche Historische Volkslieder, Leipzig 1836; Franz Wilhelm von Ditfurth (Hg.): Historische Volkslieder der Zeit von 1756 bis 1871, 2 Bände in 6 Heften, Berlin 1871–1872; August Hartmann / Hyacinth Abele (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis zum neunzehnten Jahrhundert. 3. Band: Von 1756 bis 1879, München 1913. 4 Zu Christian Blattl siehe auch Kapitel 13 in diesem Band. 5 Schmidt: Volksgesang und Volkslied (wie Anm. 1), S. 238–274. 6 Ebd., S. 254. 7 Siehe ebd., S. 245f., S. 264, S. 268f. Zu „Die liebe Feyerstunde schlägt“ siehe auch Kapitel 10 in diesem Band. 2 Freyheits-Lied 275 notierte er auch fünf politische Lieder Christian Blattls, die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden waren: Das biedere Tirolerlandl, Tiroler und Österreicher, Die deutsche Treu und Redlichkeit, Der åchtundvierz’ger Schütz und das Tiroler Schützenlied aus den vierziger Jahren. Auch das Lied Vater Radetzky stammt wahrscheinlich von ihm.8 Pommer veröffentlichte die Lieder und kommentierte sie. Aus seinen Ausführungen geht hervor, dass Blattl vor allem durch seinen Vater Christian Blattl d. Ä., laut Pommer ein flammender Patriot und Kriegsveteran, mit politischem Gedankengut in Berührung gekommen war: Der Scharfschützenhauptmann vom Pillersee gleichen Namens, der Zeitgenosse Andreas Hofers und dessen Mitkämpfer aus dem Jahre 1809, war sein Vater. Schon im ersten und zweiten Feldzug gegen die Franzosen, 1796–1797 und 1799–1801, hatte sich Blattl d. Ä. hervorgetan; er wurde beide Male durch die Silberne Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet. 1805 kämpfte er als Korporal in der Gegend von Kössen und im Passe Strub bei Lofer. Im Jahre 1809 wählten ihn die Pillerseer zu ihrem Hauptmann. Sie hatten eine gute Wahl getroffen. Ihr Führer bewährte sich aufs beste und war besonders an der Vertreibung der feindlichen Eindringlinge aus den Loferer Pässen 1809 hervorragend beteiligt.9 Christian Blattl d. Ä. starb 1856, neun Jahre vor seinem Sohn. Von einem tatsächlichen „Freiheitslied“ der unmittelbaren „Andreas-Hofer-Zeit“ im Blattl-Umfeld wissen wir durch Franz Friedrich Kohl, dessen Gewährsfrau ebenfalls Elisabeth Blattl war.10 2. Das Freyheits-Lied und andere politische Lieder im Repertoire der Rainer-Familie Das Freyheits-Lied „Jauchzet singet frohe Lieder“ wurde im Besonderen durch die Nationalsänger Rainer aus dem Zillertal verbreitet und gelangte durch sie in englischen Übersetzungen nach Großbritannien und in die USA. Anhand weiterer politischer Lieder im Programm der Rainer-Nationalsänger kann man die Bedeutung der Tiroler „Freiheitskriegthematik“ für die internationalen Auftritte der Nationalsänger Rainer nachvollziehen. Die Lieder und Auftritte zweier Generationen dieser Familie, der so genannten „Ur-Rainers“ (ca. 1827–1838) und der ihnen nachfolgenden Sängergesellschaft unter Ludwig Rainer (1839–1893), sind prototypisch für die Repräsentationsfunktion Josef Pommer (Hg.): Blattl-Lieder. Nach Wort und Weise verfaßt von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl, Saalfelden 1910, S. V, S. 24–46. Mehr zu Blattls selbst komponierten Liedern siehe Kapitel 13 in diesem Band. 9 Ebd., S. V. 10 Kohl veröffentlichte in seinen Echten Tiroler-Liedern unter dem Titel Lied aus der Zeit der Tiroler Freiheitskämpfe das als Boarlied („Bayernlied“) bekannte Lied mit dem Incipit „Jatz soll i oans singa, jå wenn i na mecht’“ [siehe Franz Friedrich Kohl: Echte Tiroler-Lieder, Wien 1899, S. 251f. Siehe auch Tiroler Volksmusikverein / Südtiroler Volksmusikkreis (Hg.): Echte Tiroler Lieder. Ergänzte und kommentierte Neuausgabe der Tiroler Liedersammlungen von Franz Friedrich Kohl, 1. Band, Innsbruck – Wien 1999, S. 152f.]. Das Boarlied gehört zu den wenigen Liedern aus der Zeit der Tiroler Aufstände, denen man eine Melodie zuordnen kann. Der Historiker und Heimatforscher Rudolf Sinwel (1865–1947) gibt es mit eingehender Beschreibung einer dreizehnstrophigen Version wieder, vergleicht Varianten und führt auch einige Indizien für die mögliche Verfasserschaft von Christian Blattl d. Ä. an [Rudolf Sinwel: „Das ‚Boarlied‘ und dessen mutmaßlicher Verfasser“, in: Tiroler Heimatblätter 2 (1924), Heft 3: September, S. 9–12; der vollständige Text und die Noten sind in Kapitel 9 in diesem Band wiedergegeben]. Die Urheberschaft ist jedoch nicht geklärt. Siehe auch Liedindex, Nr. 39. 8 276 Kapitel 14 von Tiroler Sängergruppen im Ausland, die infolgedessen auch als „Nationalsänger“ bezeichnet wurden. Dabei trugen die dargebotenen politischen Lieder wesentlich zur Klischeebildung des „wehrhaften“ Tirolers bei. Das Freyheits-Lied Das Lied „Jauchzet singet frohe Lieder“ scheint auf den ersten Blick thematisch nicht mit den Tiroler Aufständen verbunden, doch muss es in Tirol einigermaßen verbreitet gewesen sein, denn es wurde nicht nur im Blattl-Nachlass gefunden, sondern auch im dritten, 1829 erschienenen Heft der Tyrolese Melodies 11 von Ignaz Moscheles als FreyheitsLied abgedruckt. Die erste Generation der Nationalsängergesellschaft Rainer feierte im Jahr 1827 große Erfolge in London und ließ daraufhin ihre Lieder vom Klaviervirtuosen Ignaz Moscheles herausgeben. Seine Ausgaben mit dem Titel Tyrolese Melodies erreichten große Bekanntheit, da sie der damaligen „Alpenmode“ entsprachen, die auch durch den Andreas-Hofer-Mythos bedeutende Impulse erhalten hatte. Besonders das Jodeln, das als etwas Tirolspezifisches angesehen wurde, entwickelte sich zur Publikumsattraktion und so wurde auch dem Freyheits-Lied, wie vielen anderen Liedern, ein Jodelrefrain angehängt. Natürlich musste man die Liedtexte der besseren Verständlichkeit für das britische Publikum wegen auch in englischer Sprache wiedergeben. Das Freyheits-Lied wurde unter dem Titel Free is this dear land von T. H. Baily (Vornamen nicht überliefert) übersetzt: Free is this dear land Battle steeds no more are bounding, Chiefs in arms no longer stand; Songs in Leipzigs plain are sounding, Free is this dear land. Sing the song of joy no other suits our gay united band. Hail the smile of friend and Brother Free is this dear land. Shout! For Freedom breathes upon us, By our mountain breeze we’re fann’d. Brothers hail us Tyrants shun us Free is this dear Land. Vaunting foes no more assemble On the Elbs romantic stand; There we made the Tyrant tramble, Free is this dear land. Sing the song of joy no other suits our gay united band. Hail the smile of friend and Brother Free is this dear land. Shout! For Freedom breathes upon us, By our mountain breeze we’re fann’d. Brothers hail us Tyrants shun us Free is this dear Land.12 Im Gegensatz zu William Ball, dem Übersetzer der ersten beiden Hefte der Tyrolese Melodies, entfernte sich Baily in seinen Bearbeitungen der Liedtexte im dritten Heft deutlich weiter von den Originalvorlagen. Er versuchte, die Lieder durch eine gehobene Ignaz Moscheles (Hg.): Tyrolese Melodies Sung by the Tyrolese Family Rainer with the original German Words and an English Translation By T. H. Bayly Esq.re Arranged for two or four Voices, with Symphonies and Accompaniments for the Piano Forte, Vol. 3, London 1829, S. 17–23. 12 Ebd. 11 Freyheits-Lied 277 Sprache aufzuwerten. Das Freyheits-Lied bereitete ihm wohl noch am wenigsten Arbeit, er stellte aber im Vorwort zur Ausgabe klar, warum eine Übersetzung der Lieder nicht in seiner Intention lag: „indeed, the extreme simplicity of the German words almost devies poetical translation“.13 Der Jurist, Schriftsteller und Tirolkenner Ludwig Steub charakterisiert Bailys Leistungen als Übersetzer folgendermaßen: Im dritten Hefte, das dem Earl of Stanhope gewidmet ist, tritt übrigens ein neuer Übersetzer ein, Herr T. H. Baily, der sich aber, wenn möglich, noch mehr Freiheiten herausnimmt als sein Vorgänger, doch ist er auch noch aufrichtiger als dieser, denn er erklärt im Vorwort ganz offen: „Es mag nothwendig sein, zu bemerken, daß der Verfasser des Textes dieser Sammlung keineswegs eine Übersetzung der Originale geben will, denn die außerordentliche Einfachheit der deutschen Worte trotzt fast jeder poetischen Übersetzung. Der Autor hat jedoch versucht, dem Geist der Originale treu zu bleiben. Er hat den Gedanken der Worte wiedergegeben, soweit es möglich war, und er glaubt in keinem Falle von dem Sinne der Worte abgewichen zu sein.“14 Im Jahr 1839 brach die zweite Generation der Nationalsänger Rainer zu einer Amerikatournee auf, die bis 1843 dauerte. Ihre wichtigste Station war Boston. Die Stadt hatte 1840 etwa 90.000 Einwohner (New York zur gleichen Zeit etwa 300.000) und wurde gerade an das Eisenbahnnetz angeschlossen.15 Damals lebte eine Reihe von musikkundigen und engagierten Persönlichkeiten in Boston, wie etwa der berühmte Musikpädagoge Lowell Mason (1792–1872). Mit der Handel and Haydn Society bestand ein Musikverein, der sich der Pflege anspruchsvoller Musik widmete. Aber vor allem im Musikaliendruck war die Stadt zu dieser Zeit amerikaweit tonangebend, wozu der Musikverleger Oliver Ditson (1811–1888) maßgeblich beitrug. Nachdem er einige Jahre Erfahrungen in anderen Musikverlagshäusern gesammelt hatte, begann er im Jahr 1835, selbständig Musik zu verlegen und war spätestens ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts durch die Expansion seines Verlages der führende Musikverleger der USA. Er verlegte nicht nur Werke europäischer Meister, sondern druckte auch viele populäre Liedersammlungen der Zeit. Da man sich in Boston geschmacklich vor allem am „Mutterland“ Großbritannien orientierte, war dort das Interesse an der in England beliebten Rainer Family besonders groß. Das Freyheits-Lied „Jauchzet singet frohe Lieder“ gelangte spätestens 1839 mit den Rainers in die USA. Ditson übernahm die Moscheles-Ausgaben der Nationalsänger lieder und bearbeitete sie für den amerikanischen Markt nochmals neu. Er veröffentlichte das Lied 1841 im Rahmen seiner Tyrolese Melodies-Reihe (siehe Abb. 1–3) unter dem Titel The Free Country. Seine Version unterscheidet sich maßgeblich von jener bei Moscheles in London: The Free Country Shout and sing glad songs together, Firmly woven is our band, All are friends and all are brothers, Free now is our land. La la la […] Ebd., o. Sz. Ludwig Steub: Kleinere Schriften. 3. Band: Tirolische Miscellen, Stuttgart 1872, S. 262f. 15 W. A. Fisher: One Hundred and Fifty Years of Music Publishing in the United States: A Historical Study with Special Reference to the Pioneer Publisher, Oliver Ditson Co., 1783–1933, Boston 1933, S. 54. 13 14 278 Kapitel 14 Abb. 1: Anon. (Hg.): The celebrated Melodies of the Rainer Family, adapted for the Piano Forte, Boston: Oliver Ditson, 1841 (Johns Hopkins University, Baltimore, Lester Levi Sheet Music Collection, Box 020, Item 020.149). Abb. 2: Anon. (Hg.): Tyrolese Melodies. As sung by the Rainer Family. Arranged with symphonies and accompaniments by Friedrich F. Müller, Boston: Geo. P. Reed, 1841 (Johns Hopkins University, Baltimore, Lester Levi Sheet Music Collection, Box 018, Item 005). Diese Lithographie zählt zu den wenigen, die die anfängliche Besetzung der Rainers während ihrer Amerikatournee zeigt. Abb. 3: Anon. (Hg.): The Celebrated Melodies of the Rainer Family, Adapted for the piano forte, Boston: Oliver Ditson, 1841 (Johns Hopkins University, Baltimore, Lester Levi Sheet Music Collection Box 020, Item 020.150). Freyheits-Lied 279 Leipsic’s fields again are blooming, Where we saw rude armies stand; Where we heard the cannons booming, Free now is our land. La la la […] He has tried our power and felt it, On the Elbe’s fresh blooming strand; And his proud dominion’s melted: Free now is our land. La la la […] They’ve come back with glory laden, Our brave youths to Elbe’s bright strand; There s a victor for each maiden; Free is all our land! La la la […] Ditsons Version The Free Country orientiert sich sehr am deutschen Original, wie es in der Moscheles-Sammlung aufscheint. Warum man es für nötig befand, den Text erneut zu übersetzen, ist nicht bekannt – vielleicht fand Bailys geschliffene Sprache nicht genügend Anklang in den USA. Die amerikanische Ausgabe von Ditson enthält ferner eine Strophe mehr und der Jodler wurde nicht, wie bei Baily, textiert, sondern mit der Silbe „la“ unterlegt. Der Lieddruck ist in mehreren Ausgaben in verschiedenen Archiven vorhanden. Auf dem Titelblatt des Notendrucks befindet sich meist eine ältere Lithographie der ersten Generation der Geschwister Rainer, die aus fünf Mitgliedern bestand, aber nie in die USA reiste. Es war natürlich weitaus billiger, eine alte Lithographie zu übernehmen, als eine aktuelle anfertigen zu lassen. Die zweite Generation der Familie Rainer, die, wie erwähnt, ab 1839 in den USA auftrat, setzte sich aber nur aus vier Mitgliedern zusammen und wurde von Ludwig Rainer (1821–1893) geleitet. Anfangs bestand die Gesellschaft aus zwei Männern und zwei Frauen, doch bald schon wurde Helene Rainer, die die Gruppe nach ihrer von den übrigen Gruppenmitgliedern nicht goutierten Hochzeit mit dem Tourmanager der Rainer-Familie verlassen hatte, durch den jungen Iren John Hagter ersetzt. Auf einigen Notendrucken der Rainer Family ist er abgebildet. Der Junge war den Tiroler Sängern von seinen mittellosen Eltern zur Verfügung gestellt worden, nachdem Ludwig Rainer angeblich bei ihm eine „Anlage zum Jodeln“ entdeckt hatte.16 Im Jänner 1841 trat Hagter zum ersten Mal mit den Rainers auf, doch bereits im Juli musste man die Zusammenarbeit beenden,17 da sich beim jungen „Aushilfs-Rainer“ der Stimmbruch bemerkbar machte. Während dieser Zeit trat die Gesellschaft dem Anschein nach nicht mehr als Rainer Family, sondern als Lewis Rainer and Company auf,18 was in den Medien aber nicht differenziert vermittelt wurde. John Hagter schlug übrigens später, als er seine eigene Sängerkarriere startete, Kapital aus Steub: Kleinere Schriften (wie Anm. 14), S. 235f. Martin Reiter: Die Zillertaler Nationalsänger im 19. Jahrhundert (Egger-Rieser, Fiechtl, Gänsluckner, Hauser, Holaus, Leo, Rainer, Stiegler, Strasser und andere …), St. Gertraudi 1989, S. 132. 18 Scott Gac: Singing for Freedom: The Hutchinson Family Singers and the Nineteenth Century Culture of Antebellum Reform, New Haven – London 2007, S. 137. 16 17 280 Kapitel 14 Abb. 4: The Free Country, in: Edward L. White / John E. Gould (Hg.): Tyrolian Lyre, Boston 1847, S. 94 (in Privatbesitz). seinem kurzen Engagement, indem er sich auf seinen Erfolg mit der Rainer-Gesellschaft berief.19 Hinweise auf den Übersetzer des Freyheits-Liedes fehlen, doch das Lied wurde auch in andere amerikanische Liedersammlungen übernommen, wie in das Gesangsbuch Tyrolian Lyre aus dem Jahr 1847 (siehe Abb. 4). Politische Lieder im Repertoire der „Ur-Rainers“ in den 1830er-Jahren The Free Country ist nicht das einzige politische Lied im Repertoire der Nationalsänger Rainer, das in der englischsprachigen Welt rezipiert wurde. Ein weiteres Lied, dessen „Reise“ noch überraschender anmutet, trägt den deutschen Titel Der Tyroler Landsturm, oder englisch: The Tyrolese War Song. Es wurde von den „Ur-Rainers“ (der ersten Generation der Sängergruppe) um 1827 nach Großbritannien gebracht und in Moscheles’ Hans Nathan: „The Tyrolese Family Rainer and the Vogue of Singing Mountain-Troupes in Europe and America“, in: The Music Quarterly 32 (1946), Nr. 1, S. 63–79, hier S. 75: „Hagter is doubtless identical with J. R. Hector, ‚formerly of the Rainer Family‘, who gave concerts in 1844 and later“. 19 Freyheits-Lied 281 Tyrolese Melodies publiziert. Das Lied erlebte daraufhin im Windschatten des Tyrolese Song of Liberty,20 der überaus populären Adaption des Liedes „Wann i morgens früh aufsteh“ in der Übersetzung bzw. Nachdichtung des irischen Dichters Thomas Moore (1779–1852), weite Verbreitung in Großbritannien. Wenig später wurde The Tyrolese War Song auch in den USA populär, als die zweite Generation der Rainers durch Amerika tourte und das Lied, ebenso wie The Free Country, von Oliver Ditson in Boston verlegt wurde. Damals traten zahlreiche „Trittbrettfahrer“ in Erscheinung, die ihre Lieder ähnlich dem Tyrolese Song of Liberty betitelten, um von dessen Erfolg zu profitieren. Der Tyrolese War Song der Rainer-Familie war in diesem Kontext eines der bekanntesten und am häufigsten bearbeiteten Lieder. Es wurde nach seiner Veröffentlichung in den USA in Minstrel Shows – Unterhaltungsspielen, bei denen Weiße auf eine stereotype Weise Schwarze als ständig fröhliche, singende und naive Sklaven darstellen – karikiert, zu einem „Mäßigungslied“ der amerikanischen Temperance-Bewegung umgestaltet, als Kriegslied sowohl für die Nordstaaten als auch für die Südstaaten verwendet und von der die Nationalsänger Rainer imitierenden Hutchinson Family gesungen.21 Das dem Tyrolese War Song zu Grunde liegende Tyroler Landsturm-Lied war nicht, wie das Freyheits-Lied, ein authentisches politisches Lied, sondern wurde im Stil eines Tiroler Kampfliedes vom Tiroler Sänger, Schauspieler und Regisseur Max Johann Seidel (ca. 1795–1855) geschrieben.22 Seidel, engagiert am Weimarer Hoftheater, gehörte zu Siehe dazu Kapitel 11 in diesem Band. Vgl. Sandra Hupfauf: „Der Tyroler Landsturm: Ein Nationalsängerlied und seine Reise durch die amerikanische Popularmusik des 19. Jahrhunderts“, in: Thomas Nußbaumer (Hg.): Volksmusik in den Alpen – Standortbestimmungen. Festschrift für Josef Sulz zum 80. Geburtstag, Innsbruck 2011 (Schriften zur musikalischen Ethnologie 1), S. 255–279. 22 Max Johann Seidel (betreffend die Lebensdaten siehe Ernst Pasque: Goethe’s Theaterleitung in Weimar. An Episoden und Urkunden dargestellt, 1. Band, Leipzig 1863, S. 311) entschloss sich früh für eine Schauspielerkarriere und spielte ab 1814 in mehreren großen und kleineren Theatern „mimisch-plastische Tableaux nach Gemälden der berühmtesten Meister, deren Skizzen er in den ersten Gallerien Teutschlands gesammelt hatte, und in lebende Bilder umwandelte“ (Gräbner). 1822 gab er auf Einladung des Großherzogs Carl August in Weimar einige Gastvorstellungen, worauf er ein Engagement erhielt. 1829 wurde ihm das Pensions-Dekret verliehen. Karl Gräbner berichtet über Seidel: „Er ist blos für das komische Fach engagiert und ergötzt das Publikum besonders durch seinen Staberl und andere ähnliche Rollen“ (Karl Gräbner: Die Großherzogliche Haupt- und Residenz-Stadt Weimar nach ihrer Geschichte und ihren gegenwärtigen gesammten Verhältnissen dargestellt. Ein Handbuch für Einheimische und Fremde, Erfurt 1830, S. 271). Der „Staberl“ war eine typische komische Figur des Wiener Volkstheaters zur Zeit Ferdinand Raimunds. Die Rolle des bankrotten Kaufmannes Chrysostomos Staberl wurde 1813 von Adolf Bäuerle erfunden und zum Vorbild für viele ähnliche Kaufmannsrollen [Dorothy James Prohaska: „Raimund’s Contribution to Viennese Popular Comedy“, in: The German Quarterly 42 (1969), Nr. 3, S. 352–367, hier S. 352f.]. Von Ernst Pasque (S. 311) erfahren wir auch, dass Seidel in Weimar am 2. November 1822 als Paul im Singspiel Die Schweizerfamilie von Joseph Weigl (1766–1846) debütierte, und auch er lobt sein komisches Talent: „Hr. Seidel macht sich am liebsten in der niedern Komik geltend, wozu ihn seine bewegliche Figur und sein launig karrikirtes Spiel besonders berufen zu haben scheint. Seine Hauptrollen sind die Staberliaden, wo freilich von Kunst und Kunstjüngerschaft nicht die Rede seyn darf, und wir können nur berichten, daß Hr. Seidel stets sein Ziel erreicht, indem er das Zwerchfell erschüttert“ (Zeitung der Ereignisse und Ansichten, Beilage zum 132sten Blatte des Gesellschafters 1826, S. 665). Das Singspiel Die Schweizerfamilie wurde im 19. Jahrhundert an vielen Orten des deutschsprachigen Raumes aufgeführt und war äußerst populär. Das Stück handelt von einer Liebes- und Familiengeschichte im alpinen Raum, das Libretto schrieb Ignaz Franz Castelli. Die Uraufführung fand am 14. März 1809 im Wiener Kärntnertortheater statt [siehe Elizabeth Norman McKay: „Schweizerfamilie, Die“, in: Stanley Sadie (Hg.): The New Grove Dic20 21 282 Kapitel 14 jenem erlesenen Kreis, der im Salon der Goethe-Schwiegertochter Ottilie verkehrte. Er war sowohl für die Nationalsänger Leo als auch für die Nationalsänger Rainer die erste Kontaktperson in Weimar. Beide erzählen, Seidel habe ihnen Lieder beigebracht23 oder „Lieder für sie komponiert“24 und sie auch sonst unterstützt. Seidels Lied Der Tyroler Landsturm (auch: „Hui auf“) wirkt derart realistisch, dass man es für ein Tiroler Kriegslied halten könnte. Allerdings fehlen im Liedtext die generell für historisch-politische Lieder typischen Erwähnungen von kriegswichtigen Personen oder Orten, auch besitzt das Lied einen Jodelrefrain, was für ein authentisches politisches Lied sehr untypisch ist. Die Lieder der Sängergesellschaften wurden im Allgemeinen als „Nationallieder“ oder „Nationalgesänge“ bezeichnet. Diese Begriffe sind nicht verwunderlich, hatten die Konzerte der Nationalsänger doch durchaus auch einen repräsentativen Charakter. Als Kulturträger Tirols und später Österreichs besuchten die Sängergesellschaften Fürstenhöfe und sogar das englische Königshaus. In einem Tagebucheintrag der jungen Victoria von England scheint mit „Gott erhalte unsern Kaiser“ ein weiteres „Nationallied“ bzw. politisches Lied aus dem Repertoire der „Ur-Rainers“ auf. Kurz bevor sich diese erste Rainer-Nationalsängergruppe zur Ruhe setzte, reiste sie im Februar 1838 ein zweites Mal nach London. Victorias Krönung zur Königin am 28. Juni 1838 stand bevor und offenbar erhofften sich die Rainers zu diesem Anlass Engagements bei den diversen Festivitäten. Am 10. Februar 1838 notiert Victoria Folgendes in ihr Tagebuch: After dinner I sat on the sofa with the Duchess of Gloucester and Lady Tankerville; the Duchess of Sutherland sitting near me, and several of the other Ladies and gentlemen being round the table. After my band had played one piece, the Tyrolese Family called Rainer, 4 brothers and a sister, who were here 9 years ago, sang one of their National Airs; they always sing without any accompaniment, and I did not think their voices much changed. They sung alternately, as my band played. The two last pieces they sang: „Herz mein Herz warum so traurig“, and „Gott erhalte unserer Kaiser“ were very beautiful; some of the other songs were very pretty. They used formerly to sing very often at Kensington and I used to know them very well. They were dressed in the dresses George IV gave them; they (the Rainers) [Ergänzung von Lord Esher], are much changed in appearance – grown old, and the woman very fat and out of shape. I spoke to her, when she came into the room; she kissed my hand; she said to Ma. „Ich würde die Victoria gewiss nit wider erkennt [haben], sie ist so gross geworden“. They told Lehzen that they had taken home £ 1200 before, and that they had only come „Die Victoria wieder zu sehen“, meaning me.25 Die erwähnte Baronesse Luise Lehzen (1784–1870) war Hofdame und Erzieherin der Königin und eine gebürtige Deutsche (wie übrigens auch die Königin Mutter, hier als „Ma.“ bezeichnet), weshalb sich die Rainers mit ihr verständigen konnten. Victoria tionary of Opera, Grove Music; (Online); http://www.oxfordmusiconline.com/subscriber/article/grove/ music/O010008 (18. 06. 2012)]. Die Zeitgenossen reduzierten Seidel auf sein komisches Talent, er schrieb allerdings auch Libretti zu mehreren Opern und Singspielen, z. B. Die Kirmes (1832, komische Oper in einem Akt, Musik: August Ferdinand Häser), Die Ball-Nacht (1836, Musik: Daniel François Esprit Auber) und Der Verräther in den Alpen (1833, Musik: Eduard Franz Genast). 23 Siehe Tagebuch der Nationalsänger Leo: Sebastian Leo [?]: Tagebuch über die Reisen, welche ich von Zeit in Jahre 1826 an, durch Deutzland, England, Belgien, Holand, Dänemark, Norwegen und Schweden durch Reißt habe, und was ich Merkwürdiges sah und was wir für Bekanntschafeten gemacht haben (handschriftl.) (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 48518), o. Sz [20]. 24 Steub: Kleinere Schriften (wie Anm. 14), S. 256. 25 Queen Victorias Journals, Saturday 10th February 1838 (Principal Royal Residence) Buckingham Palace, Lord Esher’s typescripts, Vol. 4, S. 96–99 [Bodleian Libraries (University of Oxford / Royal Archives)]. Freyheits-Lied 283 selbst lernte erst in späteren Jahren Deutsch, scheint aber die Grundkenntnisse der Sprache gut beherrscht zu haben. Interessant ist, dass die „Ur-Rainers“ bei diesem Besuch wieder dieselben „dresses“ (wohl: Trachten) trugen, die George IV. ihnen bei ihrem ersten Besuch zum Geschenk gemacht hatte, und dass sie nach wie vor „without any accompaniment“, also a cappella, sangen. Die wenig schmeichelhaften Worte der Königin Victoria für Maria Rainer weisen darauf hin, dass diese mit der Größe ihres Kostüms nach zehn Jahren so ihre Probleme hatte. Eine der zwei Gesangsnummern, die Victoria besonders gut gefielen, war die österreichische Kaiserhymne.26 Interessant ist, dass sie durch die Niederschrift des Titels („Gott erhalte unserer [sic] Kaiser“) genau vermerkt, welche Fassung der Hymne die Rainers sangen: die wenig beliebte „Holtei-Hymne“ auf Kaiser Ferdinand aus dem Jahr 1835, die umgehend durch eine Neutextierung durch Joseph Christian Freiherr von Zedlitz abgelöst wurde.27 Die Kaiserhymne wurde lange auch als „Nationallied“ bezeichnet, wie sämtliche Nationalsänger-Lieder verschiedenen Inhalts, was für die gemeinsame Intention dieser Lieder steht. Beim zweiten von Victoria erwähnten Lied „Herz mein Herz, warum so traurig“ handelt es sich um das Lied Schweizer’s Heimweh, das Johann Rudolf Wyss 1812 in seiner Sammlung von Schweizer-Kühreihen und Volksliedern veröffentlichte. Siehe dazu auch Kapitel 10 in diesem Band. 27 Als Joseph Haydn Ende des 18. Jahrhunderts zweimal London besuchte, war er von der durchschlagenden Wirkung der britischen Hymne God save the King/Queen! begeistert. Zurück in Österreich wollte er für seine Heimat einen ähnlichen „Nationalgesang“ schreiben. Zusammen mit einflussreichen Befürwortern am österreichischen Hof wurde die Idee 1797 in die Tat umgesetzt. Damals standen Napoleons Truppen schon in der Steiermark und man sah in der Schaffung einer Kaiserhymne so etwas wie eine „vertrauensbildende Maßnahme“. Als Texter wurde Lorenz Leopold Haschka (1749–1827) verpflichtet, ein Ex-Jesuit und Freimaurer, der antirevolutionäre Oden verfasste. Am 12. Februar 1797 wurde das Lied zum ersten Mal öffentlich gesungen. Einer der ersten, der Haydns Melodie zitierte, war Antonio Salieri, und zwar in seiner Ouvertüre zur Kantate Der Tyroler Landsturm (1799) [siehe Josef Gmeiner: „‚Zum Vortheil der durch feindliche Verheerungen verunglückten Tyroler und Vorarlberger Landeseinwohner‘ – Salieris ‚Landsturmkantate‘ als Beitrag zu einer Aktion Nachbar in Not des Jahres 1799“, in: Helmut Lang / Hermann Harrauer (Hg): Mirabilia Artium librorum Recreat Te tuosque Ebriant, Dona natalicia Ioanni Marte oblata, Wien 2001 (Biblos-Schriften 177), S. 73–90]. Der Text wurde auch schnell in Großbritannien bekannt, nämlich durch Charles Burneys Übersetzung God perserve our Emp’rer Francis. Haschkas Text erfuhr zahlreiche Umdichtungen und so waren schon zu Lebzeiten von Kaiser Franz mehrere verschiedene Textversionen in Gebrauch. Als dieser 1835 starb, erforderte der dreisilbige Name seines Nachfolgers Ferdinand eine Änderung des Liedes. Bald lagen ca. zwanzig verschiedene Versionen vor, doch keine konnte überzeugen. Da man die neue Hymne zum Geburtstag des Kaisers (im April 1835) präsentieren wollte, wurde schließlich der Schauspieler Karl von Holtei (1798–1880), ein Publikumsliebling des Theaters in der Josefstadt, der einige Lieder verfasst hatte, mit der Aufgabe betraut, einen passenden Text zu schreiben. Holtei war allerdings ein gebürtiger Preuße, was man bei der Auftragsvergabe nicht bedacht hatte und was ihm später einige Schwierigkeiten bescherte. Denn als sein Text angenommen wurde, beging Holtei den Fehler, noch vor der ersten öffentlichen Präsentation „seiner“ Hymne mit seiner Leistung zu prahlen, was bei den Wiener Literaten schlecht ankam und Neid und Vorurteile schürte. Holtei wurde in der Öffentlichkeit gemieden, weshalb er später versuchte, seinen Text zurückzuziehen. Im Original lag der musikalische Schwerpunkt bei „Unsern g u t e n Kaiser Franz“, was nun bei „Unsern Kaiser Ferdinand“ etwas holprig anmutete. So bat man umgehend Joseph Christian Freiherr von Zedlitz (1790–1862), eine neue Fassung zu schreiben, die dann von 1835 bis 1854 in Verwendung war. Als Kaiser Franz Joseph I. im Jahr 1848 den Thron bestieg, begannen viele Dichter, die Hymne erneut umzutexten. Schließlich wurde 1854 der Text von Johann Gabriel Seidl (1804–1875), beginnend mit „Gott erhalte, Gott beschütze“ als Hymnentext autorisiert [siehe Andrew Barker: „Setting the Tone: Austria’s National Anthems from Haydn to Haider“, in: The Modern Humanities Research Association (Hg.): Words and Music, Leeds 2009 (Austrian Studies 17), S. 12–28]. 26 284 Kapitel 14 Politische Sujets in Liedern der „Rainer Family“ (2. Generation) und der „Tyrolese Minstrels“ Die zweite Generation der Rainer-Familie, die mit ihrem Leiter Ludwig Rainer eine ausgedehnte Amerikatournee unternahm (1839–1843), sang bei der Mehrzahl ihrer Auftritte ebenso politische Lieder. Wie erwähnt, fanden durch sie die Lieder The Free Country und The Tyrolese War Song in Amerika weite Verbreitung. Während ihrer Amerikatournee war Boston mit seinem aufstrebenden Musikleben einer der Stützpunkte der Rainer Family. Ein Konzertprogramm aus Worcester bei Boston vermittelt einen Eindruck von der Programmgestaltung von 1841: Die Rainers sangen Tiroler Lieder wie Die Nachtigall (in Übersetzung: The Nightingale) oder Das Alpenhorn (The Alpine Horn), gaben aber auch einen Walzer von Johann Strauß zum Besten und das bekannte Lied „Oh du lieber Augustin“. Außerdem finden sich im Programm zwei politische Lieder: Bertand’s farewell to Napoleon – Tenor Solo und March of Hofer & Tell. Um welches Lied es sich bei ersterem handelte, ist nicht zu ermitteln, da zu dieser Zeit mehrere Lieder mit ähnlichen Titeln kursierten: Funeral of Napoleon,28 Napoleon’s Grave 29 (in einer Übersetzung von William Ball) oder auch The Grave of Bonaparte der amerikanischen Sängerfamilie The Hutchinsons.30 Der March of Hofer & Tell entstammt der Oper Hofer, the Tell of the Tyrol von Gioachino Rossini.31 Die Rainer Family kehrte 1844 nach Tirol zurück. Die weite Reise der Tiroler Sängerfamilie erregte Aufsehen und man versuchte in Tirol, von ihren Erfahrungen in der weiten Welt auch musikalisch zu profitieren. So wurde 1847 das nachfolgende „Schützenfrühlingslied“ angeblich auf der Grundlage eines „Matrosenliedes“ gedichtet, das Ludwig Rainer aus Amerika mitgebracht hatte: Schützenfrühlingslied. (Gedichtet von St – auf die Arie des vom Sänger Ludwig Rainer aus Amerika mitgebrachten Matrosenliedes.) – Es werfen die Berge all’ Die Mäntel von Hermelin Herab ins bunte Thal Und kleiden sich wieder grün; Mit Veilchen verziert den Hut Der Schütze und nimmt’s Gewehr, Es kam ja das junge Blut Der Frühling wieder her. Schon künden von Bergesrand Ihn rings auf seiner Bahn Druch’s ganze Alpenland Viel Telegraphen an; John M. White: Funeral of Napoleon, Boston 1845 (Library of Congress, Washington D. C., Music Division, Music for the Nation: American sheet music, 1820–1860, M1.A12V vol. 12). 29 William Ball: Napoleon’s Grave, o. O. o. J. (Johns Hopkins University, Baltimore, Levy Sheet Music Collection, Box 120, Item 028). 30 L. Heath: The Grave of Bonaparte, Boston 1850 (Library of Congress, Washington D. C., Music Division, Music for the Nation: American sheet music, 1820–1860, M1.A12V vol. 37). 31 Programme of the Rainers’ Concert, Tuesday eve, Mar. 2, at Brinley Hall, o. O. o. J. (Earl Gregg Swem Library, Williamsburg, Virginia, American broadsides and ephemera, Nr. 5909). 28 Freyheits-Lied 285 Gewiegt in der linden Luft Sind dies die Tannenäst, Ihr Rauschen aber ruft Die Schützen auf zum Fest. Die sonnigen Thäler entlang Sind grüne Matten gelegt, Drauf knospet manch Blättergang Der gothische Wölbung trägt; Auf blumigen Teppich steht Der Schießstand mit Scheiben geschmückt, Vom Giebel die Fahne weht, Da wird jetzt eingerückt. Und mit dem Frühlichtschein, Der an die Berge streift, Erwacht der Sängerverein, Der durch die Wälder schweift: Ein Brautlied singet der Fink, Die Nachtigall Liebesweh, Drein schwegelt die Amsel flink, Die Lerche durchwirbelt die Höh. Dann wirbelt der Schützentambour, Es pfeift wie der Vogel im Busch Der Pfeifer am Stand, hört nur! Die Schützen sie geben den Tusch; Doch singen ganz sicherlich Die Kugeln den reinsten Ton, Den trägt das Echo mit sich Wohl über’s Gebirg davon. Wie Alles in Luft so singt Und jauchzt, musizirt und schallt, Der Zieler fünf Kreise springt Und macht vor der Scheibe Halt. Ein Freischuß! geschossen zur Ehr Dir Frühling! Du lieblicher Gast, Weil Wonne und Glanz der Wehr Du wieder entfaltet hast. Drauf ziehen die Schützen im Schritt Durch’s blühende Revier, Es schimmert in ihrer Mitt’ Die Bestfahn mit goldner Zier. Jetzt werden die Pöller gelöst, Hört Ihr die Lawine wohl? Das sind die Bässe zum Fest Zur Lenzfei’r in Tirol.32 Tiroler Schützen-Zeitung, Nr. 15, 15. April 1847. Siehe auch Liedindex, Nr. 24. S. 113–115. Im Jahr 1848, also ein Jahr nach der Veröffentlichung des Schützenfrühlingsliedes, kämpfte Ludwig Rainer in den „heißen Kämpfen von Mezzolago“. Als die Truppen Garibaldis im Süden Tirols einfielen, war er Leutnant der Rattenberger Schützenkompanie unter dem Hauptmann Dr. Johann Sterzinger. Rainers Zeitgenosse Emil Auer folgerte daraus im Alpenfreund: „Ist ihm ja heute noch der Knall der Büchse ein 32 286 Kapitel 14 Über den Textdichter „St“ ist nichts in Erfahrung zu bringen, auch ist unbekannt, welche amerikanische Matrosenweise dem Schützenfrühlingslied unterlegt wurde. Das Matrosenthema war in der Popularmusikszene Amerikas dieser Zeit übrigens sehr modern, weshalb Ludwig Rainer, um dem Zeitgeschmack zu entsprechen, bereits während seiner Amerikatournee ein „Alpen-Matrosen-Lied“ sang. Dieses Lied wurde übersetzt und unter folgenden zwei Titeln in Boston veröffentlicht: The sailor boy’s carol (The Alpine Horn) und The alpine Horn (Sailor Boys Carol). Alle damals erfolgreichen Sänger in Übersee, wie The Hutchinsons (The sailorboy’s last dream)33 oder der britische Balladensänger Henry Russell (Sailor Boy),34 führten Lieder über das Matrosenleben und die Seefahrt im Repertoire. Das Schützenfrühlingslied wurde in die Nationalsängertradition übernommen, wie eine Liedersammlung der Pustertaler Sängerfamilie Schöpfer35 aus dem späten 19. Jahrhundert zeigt. Dort findet man eine dreistrophige Version, deren Text sich allerdings erheblich von der Version aus dem Jahr 1847 unterscheidet: Nicht mehr das Scheibenschießen der Schützen im Frühling steht im Mittelpunkt, sondern deren patriotische Gesinnung und das historische Vorbild Andreas Hofer. Ein Schützenlied wurde so nachträglich zu einem bekenntnishaften „Freiheitslied“ umgestaltet. Ob die Pustertaler Sängerfamilie Schöpfer auch die Melodie des amerikanischen Matrosenliedes verwendete, ist unbekannt. Die Melodiestimme wird in der Sammlung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder (ca. 1890)36 überliefert (siehe Abb. 5), ebenso der neue Text: 1. Es werf ’n die Berge ab die Mänt’l von Hermelin hinab ins bunte Tal und kleid’n sich wieder grün, mit Veilchen ziert den Hut, ergreift der Schütz das G’wehr, es schreit das junge Blut den Frühling wieder her. Es werf ’n die Berge ab die Mänt’l von Hermelin hinab ins bunte Tal und kleid’n sich wieder grün. La la la la […] 2. So lang von unsern Ahnen noch ein Gedächtnis lebt, So lang auf unsern Fahnen der rothe Adler schwebt, So lang auf unseren Bergen ein Vogellied erklingt, So lang aus unsern Röhren die heiße Kugel singt, Es werfen die Berge ab […] 3. So lang Tiroler Schützen auf treuem Schirme stehn, So lang die Stutzen blitzen und grüne Fahnen weh’n. So lang Andreas Hofer in unseren Herzen lebt, So lang auf seinem Grabe die Tiroler Fahne schwebt. Es werfen die Berge ab […]37 ebenso lieber Thon als der Jodler und Triller!“ [siehe Emil Auer: „Ludwig Rainer. Ein Tiroler Sänger leben“, in: Eduard Amthor (Hg.): Der Alpenfreund 3, Gera 1871, S. 39–108, hier S. 45]. 33 Hutchinson Family: The Sailor Boy’s last dream, Boston 1846 (University of North Carolina at Chapel Hill. Music Library, 19th Century American Sheet Music). 34 William Cumming Peters / Henry Russell: Sailor Boy, Luisville 1842 (University of North Carolina at Chapel Hill. Music Library, 19th Century American Sheet Music). 35 Anon. (Hg.): 40 National-Gesänge der Pusterthaler Sänger-Gesellschaft Schöpfer, Bruneck [ca. 1878], S. 15. 36 Anon. (Hg.): Sammlung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder für eine Singstimme mit Begleitung des Piano forte oder der Guitarre, 6. Band, Innsbruck [ca. 1890], S. 22 (Bayerische Staatsbibliothek, München, 4 Mus.pr. 47033-1/6). 37 Anon. (Hg.): 40 National-Gesänge (wie Anm. 35), S. 15. Freyheits-Lied 287 Abb. 5: Schützenfrühlingslied („Es werf ’n die Berge ab“, Singstimme), in: Anon. (Hg.): Sammlung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte oder der Guitarre, 6. Band, Innsbruck [ca. 1890], S. 22 (Bayerische Staatsbibliothek, München, 4 Mus.pr. 47033-1/6). Noch heute wird eine regionale Version des Schützenfrühlingsliedes mit variiertem Text und variierter Melodie als „Wirtshauslied“ von Sängern im Tiroler Bezirk Landeck und im Obervinschgau (Südtirol) gesungen.38 Das Repertoire der Sängergesellschaften änderte sich über die Jahre. Lieder wie das Freyheits-Lied „Jauchzet singet frohe Lieder“ wurden durch aktuellere und modernere „vaterländische“ Lieder ersetzt. Im Jahr 1851 brach eine Tiroler Sängergesellschaft mit Siehe Aufzeichnungen des Liedes am Abteilungsbereich Musikalische Volkskunde (Innsbruck) der Universität Mozarteum Salzburg. 38 288 Kapitel 14 Ludwig Rainer nach London auf, um bei der Weltausstellung aufzutreten. In einem Zeitungsbericht der Illustrated London News vom 6. Dezember 1851 wurden Ludwig Rainer, Simon Holaus, Veit Rahm, Maria Margreiter und Simon Klier folgendermaßen beschrieben: „Nothing can be more pictoresque than the costume of the Tyrolese Minstrels, and nothing can be more curious and original than the harmonised melodies which they interpret.“ Simon Holaus hatte nach der Amerikatournee mit Ludwig Rainer im Jahr 1844 eine eigene Truppe zusammengestellt und zog sehr erfolgreich durch ganz Europa. Die Tournee durch England absolvierten Rainer und Holaus als „Tyrolese Minstrels“ bzw. „Royal Tyrolese Singers“ aber wieder gemeinsam. Am 21. Oktober 1851 schreibt Königin Victoria in ihr Tagebuch: We only got out late for an hour. – Dinner just as yesterday. The 3 elder Children came afterwards to hear some Tyrolese singers, 5 in number, 4 men + a woman, just like those who where here 20 years ago + whom we used to hear so often. They sang 11 pieces together, beautifully + touchingly. One man had a splendid bass voice + the woman a very fine high one. They also played the zither. The men wore their fine national dress + the woman her’s.39 Das Kompliment für die Bassstimme galt Simon Holaus. Am Geburtstag von Victoria, am 24. Mai 1852, sangen die „Tyrolese Minstrels“ wieder vor der Königin. Sie hielt das Konzert in ihrem Tagebuch fest, denn offensichtlich hatte ihre Mutter sie mit dem Geburtstagsständchen der Tiroler überrascht: After remaining a little while in the room, we went to breakfast + just as we sat down the Tyrolese began to sing, a kind surprise of Mama’s. We went for them into the Hall, where they sang 5 of their songs very well including the instrumental one, and a laughing chorus, which was very pretty and gay. After this, the Children – all played very nicely – also duets. […] George arrived, who stays till tomorrow. At 3 we all went to the Council Room, where the Ladies + Gentlemen meet us, + we again heard the Tyrolese sing + they danced.40 Victorias ziemlich differenzierter Darstellung ist zu entnehmen, dass die Tiroler nicht nur sangen, sondern sich auch auf Instrumenten selbst begleiteten (z. B. auf der Zither), einen lustigen „laughing chorus“ vortrugen und sogar tanzten. Rund eine Woche später, am 2. Juni 1852, gaben die „Tyrolese Minstrels“ ein Konzert auf der Milton Terrace. Dem noch vorhandenen Programmzettel (siehe Abb. 6) ist zu entnehmen, dass sie viele Tiroler Lieder („national songs“) sangen, die auf nicht näher bezeichneten „national instruments“ begleitet wurden. Aus dem selben Jahr stammt ein handgeschriebenes Notenbuch von Ludwig Rainer, das er auf seiner Tournee durch Großbritannien und Irland verfasste. Das Buch enthält 49 Lieder, darunter einige Tiroler Lieder, aber auch damals populäre Salonschlager und „klassische Stücke“, wie etwa eine „Arie aus der Zauberflöte“ (die Arie des Sarastro „In diesen heil’gen Hallen“). Viele Lieder sind zweisprachig, deutsch und englisch, textiert. Ludwig Rainer hat offensichtlich, in fein säuberlicher Schrift und so gut wie fehlerlos, Lieder aus Notendrucken kopiert. Unter den 49 Liedern findet sich nur ein politisches Queen Victorias Journals, Tuesday 21st October 1851 (Principal Royal Residence) Windsor Castle, Princess Beatrice’s copies, Vol. 32, S. 161f. [Bodleian Libraries (University of Oxford / Royal Archives)]. 40 Queen Victorias Journals, Monday 24th May 1852 (Principal Royal Residence) Osbourne House, Princess Beatrice’s copies, Vol. 33, S. 240–243 [Bodleian Libraries (University of Oxford / Royal Archives)]. 39 Freyheits-Lied Abb. 6: Programmzettel: Milton Terrace, Wednesday, the 2nd of June 1852 (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 13360-9). 289 Abb. 7: Die Fahnenwacht, in: Ludwig Rainer: Liederalbum, handschriftl., während seines Aufenthaltes in England 1852. 75 Blatt und 7 lose Halbbogen, 23,5 x 29 cm (Tiroler Volkskunstmuseum, Innsbruck, 26570). Lied, nämlich Die Fahnenwacht von Peter Josef von Lindpaintner (1791–1856), ein Lied mit einem Text im Stil der Lyrik der deutschen Befreiungskriege, das auch in vielen Studentenliederbüchern aufscheint. Rainer trug es am 28. Februar 1852 in Cambridge, zusammen mit Liedern von Felix Mendelssohn-Bartholdy und Franz Abt, in sein Liederbuch ein (siehe Abb. 7). In den 1860er-Jahren kehrte Simon Holaus mit seiner Gesellschaft wieder nach London zurück und sang erneut vor der Königin, diesmal unter anderem ein Lied, das später die Tiroler Landeshymne werden sollte: „Zu Mantua in Banden“.41 Noch 1870 sang die Gesellschaft von Ludwig Rainer politische Lieder, wie eine Rezension von Emil Auer zeigt. Er nennt die Lieder Des Kriegers Abschied und Lied von der Tann von Franz Trautmann (1813–1887).42 Siehe dazu Kapitel 17 in diesem Band. Auer: „Ludwig Rainer. Ein Tiroler Sängerleben“ (wie Anm. 32), S. 51. 41 42 290 Kapitel 14 Resümee Das Freyheits-Lied „Jauchzet singet frohe Lieder“, ein hochsprachliches Siegeslied auf die Schlacht bei Leipzig 1813, war in Tirol verbreitet und wurde von Tiroler Berufssängern in ihre Repertoires aufgenommen. Es vermittelt die Dramatik der Befreiungskriege ohne schaurige Details, stellt den Gedanken der Freiheit in den Mittelpunkt und kommt in den Handschriften der Familie des „Volkssängers“ Christian Blattl genauso vor wie in den Tyrolese Melodies der Nationalsängergesellschaft Rainer von 1829. Die Rainer-Sänger sangen das Freyheits-Lied in englischer Übersetzung mit dem Titel The Free Country. In den 1840er- und 1850er-Jahren wurde es durch seine Rezeption in den USA zu einem der international verbreitetsten Tiroler „Freiheitslieder“ (neben dem Tyrolese War Song). Die in Boston verlegten Lieddrucke der Rainer-Familie geben nebenbei auch Aufschluss über die Veränderung der Gruppe während ihrer Amerikatournee. Verfolgt man die Entwicklung des Repertoires der Rainers, kann man beobachten, dass historisch-politische Lieder wie The Free Country zwar zugunsten modernerer Lieder immer mehr in den Hintergrund rückten, doch bestritt auch die wohl berühmteste Nationalsängergesellschaft ihre Programme nie gänzlich ohne politische Lieder. Andere politische Lieder im Repertoire der Rainers zeigen, inwieweit Lieder „nachträglich“ zu Tiroler „Freiheitsliedern“ umgestaltet wurden, wie etwa das Schützenfrühlingslied, oder Soldatenlieder wie Die Fahnenwacht, Kriegers Abschied usw. Obwohl (historisch-) politische Lieder bei den Auftritten der Familie Rainer nicht im Mittelpunkt standen, waren sie doch von Bedeutung und aus dem Programm nicht wegzudenken, da sie das Bild des „wehrhaften Tirolertums“ im Ausland vermittelten. Besonders anschaulich belegen dies die Beschreibungen von Darbietungen der Rainers in Großbritannien (z. B. vor Königin Victoria), bei denen sie in ihren Trachten („national costumes“) mit „national songs“ (zu denen auch die Kaiserhymne zählte), begleitet auf „national instruments“, glänzten. Kapitel 15 „Doch der Kaiser war b’zwungen und mir durften halt nichts sag’n“. Anno neun bin i g’standen Sandra Hupfauf Die Erinnerung an das Jahr 1809 Anno neun bin i g’standen Zu allererst bei Inspruck glei, War’n glei Buben gnug vorhanden, Schaut’s halt i war a dabei. Nachher bin i abi gangen Dort nach Kufstein in die Stadt, Doch bald hätten’s mi dort g’fangen, Hätt’ i nit mei Stutzrl g’habt. Bin in’s Zyllerthal a kimma, Stand ja bei der Zyllerbruck, Doch lang konnt’n wir uns nicht stemma, Denn mir hatten gar kein Stuck. Bin in Achenthal a g’wesen, Hab’ den Arko oans ausgwischt, Hab’ bei ihm a Brief ’l g’lesen, Hab sein Schimmel a wegg’fischt. Hab’n bei Störzing gnug wir g’schossen Und bei Oberau wohl a, Hab’n den Feind dort ganz eing’schlossen, Baiern, Sachsen waren da. Nie wär’s wohl den Feind g’lungen Unsern Sandwirth zu erschlag’n, Doch der Kaiser war b’zwungen Und mir durften halt nichts sag’n. Doch der Hofer is gefallen, Wie a Held für seinen Herrn, Und so stirbt ja von uns Allen Ein Jeder für sein’ guten Kaiser gern. Doch forbei sind all die Stunden, Wo der Tod mir war so nah, Längst sind g’heilt die tiefen Wunden, Und die Erinnerung, die freut mi ja. 292 Kapitel 15 Ueberall lebt sich’s treu und bieder, Wo der Adler abi schaut, Und jetzt g’hören wir unserm Franzl wieder, Weil wir halt auf Gott und ihn vertraun.1 Das Lied „Anno neun bin i g’standen“ oder auch Die Erinnerung an das Jahr 1809 findet sich in keiner der einschlägigen Liedersammlungen aus der Zeit der kriegerischen Aufstände in Tirol um 1800 und auch nicht in anderen Ausgaben historischer Lieder.2 Es ruft wie im Zeitraffer Episoden des Jahres 1809 in „Erinnerung“, wie schon der Titel verrät. Orte von Scharmützeln werden aufgezählt: Innsbruck, Kufstein, Achental, Sterzing und Oberau, und auch der Name einer historischen Persönlichkeit fällt, der des „Grafen Arco“. Carl Graf Arco war einer der bedeutendsten bayerischen Beamten in Tirol. Seine Familie stammte aus Arco nördlich des Gardasees und er war eine äußerst einnehmende, anscheinend geradezu schillernde Persönlichkeit. So erlag die 21-jährige bayerische Kurfürstin Maria Leopoldine (geborene von Österreich-Este, 1776–1848) seinem Charme, was ihrem Mann, dem 72-jährigen Kurfürsten Carl Theodor (1724– 1799), verständlicherweise gar nicht behagte, und er versetzte Carl Graf Arco 1797 für einige Zeit nach London. In Innsbruck engagierte sich Arco später im Großen und Ganzen durchaus für die Belange Tirols und trat auch als Vermittler zwischen Tirol und der Münchener Regierung auf.3 Die Arco betreffende Strophe des Liedes Anno neun könnte auf ein bestimmtes Ereignis im Jahr 1809 anspielen, das der Priester Josef Daney (1782–1826), Andreas Hofers Feldkaplan und Vertrauter, überliefert: Nun wurde jener berüchtigte Ausfall nach Baiern gewagt. Der ganze Obervinschgauer und Oberinntaler Landsturm hatte sich schon bei Ehrwald und Mittenwald gesammelt. Die weizene Kompanie von Schlanders war bereits auch schon eingetroffen und wurde bestimmt, die Avant- und unmittelbare Leib-Garde des Majors Teimer zu machen. Die Baiern hatten sich in stürmischer Eile bis Kochel zurückgezogen. Das Pferd des Kommandeurs Grafen Arco wurde verwundet, erbeutet und von den Schlandersern, wenn mir mein Bruder, der auch dabei war, recht erzählt hat, nachdem es krepiert, gegessen.4 Das Lied Anno neun taucht ab den 1850er-Jahren vermehrt im Nationalsängerrepertoire auf und wurde in verschiedenen Sammlungen von „Tiroler Liedern“ publiziert. Daher liegt die Vermutung nahe, dass es ausschließlich für die kommerziellen Zwecke Anon. (Hg.): Tiroler Nationalgesänge. Gesungen von den Gebrüdern Franzl, Balthasar und Anton Leo, genannt das Kleeblatt aus dem Zyllerthale, Zell am Ziller 1829, S. 4f. (Stadtbibliothek Lübeck, Bl. 10602). Siehe auch Liedindex, Nr. 6. 2 Z. B. Ludwig August Frankl (Hg.): Andreas Hofer im Liede, Innsbruck 1884; Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909; August Hartmann (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert, München 1907; Ludwig von Hörmann: „Die tirolischen Kriegslieder aus den Jahren 1796, 1797 und 1809“, in: Bote für Tirol und Vorarlberg, 2.–5. April, 17., 18., 21., 23. April 1879, o. S.; Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896; Tiroler Volksmusikverein / Südtiroler Volksmusikkreis (Hg.): Echte Tiroler Lieder. Ergänzte und kommentierte Neuausgabe der Tiroler Liedersammlungen von Franz Friedrich Kohl, 3 Bände, Innsbruck – Wien 1999. 3 Eberhard Weis: Montgelas. Der Architekt des modernen bayerischen Staates 1799–1838, München 2005, S. 434f. 4 Josef Steiner: Der Tiroler Volksaufstand des Jahres 1809. Erinnerungen des Priesters Josef Daney, Hamburg 1909, S. 112. 1 Anno neun bin i g’standen 293 Abb. 1: Die Erinnerung an das Jahr 1089 [recte: 1809], in: Johann Fuchs (Hg.): Sammlung ächter Tiroler National-Lieder für vierstimmigen Männerchor, 4. Heft, München 1862, S. 4f. (Bayerische Staatsbibliothek, München, Mus.pr. 96-1, 6#1_00010.9). der Nationalsänger komponiert wurde, und auch der Text scheint darauf hinzuweisen, da der Ich-Erzähler in der Vergangenheitsform von den Kriegsgeschehnissen spricht. Das Lied stammt aber tatsächlich aus der unmittelbaren Zeit nach den Aufständen in Tirol. Der älteste Textbeleg findet sich in einem kleinen Liederbuch aus dem Jahr 1829, das Lieder der Nationalsänger Leo beinhaltet: Tiroler Nationalgesänge. Gesungen von den Gebrüdern Franzl, Balthasar und Anton Leo, genannt das Kleeblatt aus dem Zyllerthale. Leider sind darin ausschließlich Texte abgedruckt, doch immerhin geben diese uns seltene Einblicke in das Repertoire einer Nationalsängergruppe des frühen 19. Jahrhunderts. Auch das Lied Anno Neun gehörte dazu. Aus dem Jahr 1837 ist ein weiteres Liederbuch der Nationalsänger Leo erhalten, das aus zwei Heften besteht, wobei das erste in Kopenhagen und das zweite in Aarhuus gedruckt wurde: Tyroler National-Gesänge. Gesungen von der Gesellschaft Leo: Balthasar, Sebastian, Anton, Matthies und Crescentia, aus dem Zillerthale in Tyrol.5 Auch hier, näm- Anon. (Hg.): Tyroler National-Gesänge. Gesungen von der Gesellschaft Leo: Balthasar, Sebastian, Anton, Matthies und Crescentia, aus dem Zillerthale in Tirol, 1. Heft, Kopenhagen 1837, 2. Heft, Aarhuus 1837 (Bergen Offentlige Bibliotek, Lokalsamlingen, Kassett 1). 5 294 Kapitel 15 lich als Nummer 5 in Heft 2, findet sich das Lied Anno neun. Zwischen dem ersten Liederbüchlein aus Zell und dem zweiteiligen aus Kopenhagen/Aarhuus liegen acht Jahre. Die Geschwister Leo unternahmen ihre ersten kurzen Reisen im Jahr 1826, und zwar zunächst in Süd- und Mitteldeutschland. Zwei Jahre später legten sie bereits weitere Strecken zurück und kamen dabei auch nach Weimar, wo sie ein Ständchen für Goethe sangen. Im Jahr 1829 folgte ein kurzer Abstecher nach Dänemark. Dort traten sie vor Prinz Christian von Dänemark auf. In den Jahren 1830 und 1831 gaben sie Vorstellungen in Deutschland und Holland, im Jahr 1833 reisten sie nach Großbritannien und Belgien, ein Jahr später tourten sie wieder nach Norddeutschland und Holland und von 1836–1838 schließlich durch Skandinavien. Wieder war ihr erstes Ziel Kopenhagen, wo sie erneut vor Prinz Christian von Dänemark sangen, der sie anscheinend ins Herz geschlossen hatte. Er veranstaltete sogar ein Konzert für sie, erwirkte für die Gruppe eine landesweite „Singgenehmigung“ durch den dänischen Justizminister von Stemann und vermittelte sie an andere Höfe weiter. Im Jahr 1837 weilten die Geschwister Leo zuerst in Kopenhagen (Druckort des ersten Liederheftes von 1837), und dann auf Einladung von Prinz Ferdinand von Dänemark in seiner Sommerresidenz in Aarhuus (Druckort des zweiten Liederheftes von 1837).6 Die Zeitspanne zwischen dem ersten Heft aus Zell und den zwei Heften aus Kopenhagen/Aarhuus umfasst daher genau die „Entwicklungsjahre“ der Leos, in denen aus den Laiensängern professionelle „Berufssänger“ wurden. Anhand der zwei Liedersammlungen und ausgehend vom Lied Anno neun kann man die Bedeutung von politischen Liedern im Repertoire der Nationalsänger Leo gut erkennen. Die Erscheinungsjahre 1829 und 1837 liegen zudem zeitlich noch relativ nahe bei den Aufständen in Tirol. Im Gegensatz zu den bekannten Tyrolese Melodies, jener Sammlung, die Ignaz Moscheles zusammen mit den Nationalsängern Rainer 1827 herausgab,7 ist für die Liedersammlungen der Leos hinsichtlich der Liedauswahl oder Edition kein Einfluss von außen belegt. Man kann mit gutem Recht vermuten, dass das veröffentlichte Repertoire allein von der Sängerfamilie Leo zusammengestellt wurde. Ihr tatsächlich gesungenes Repertoire war allerdings vielseitiger als das gedruckte. Ein Bericht, der darüber Aufschluss gibt, stammt aus Goethes Eckermann-Gesprächen und handelt vom Besuch der Nationalsänger Leo in Weimar 1828: Wir hatten nicht lange am Tisch gesessen, als Herr Seidel mit den Tirolern sich melden ließ. Die Sänger wurden ins Gartenzimmer geführt, so daß sie durch die offenen Türen gut zu sehen und ihr Gesang aus dieser Ferne gut zu hören war. Herr Seidel setzte sich zu uns an den Tisch. Die Lieder und das Gejodel der heiteren Tiroler behagte uns jungen Leuten; Fräulein Ulrike und mir gefiel besonders der „Strauß“ und „Du, Du liegst mir im Herzen“, wovon wir uns den Text ausbaten. Goethe selbst erschien keineswegs so entzückt als wir anderen. „Wie Kirschen und Beeren behagen“, sagte er, „Muss man Kinder und Sperlinge fragen“. Zwischen den Liedern spielten die Tiroler allerlei nationale Tänze auf einer Art von Liegenden Zithern, von einer Querflöte begleitet.8 Martin Reiter: Die Zillertaler Nationalsänger im 19. Jahrhundert (Egger-Rieser, Fiechtl, Gänsluckner, Hauser, Holaus, Leo, Rainer, Scheiring, Stiegler, Strasser und andere …), St. Gertraudi 1989, S. 53–66. 7 Ignaz Moscheles (Hg.): The Tyrolese Melodies Arranged for One or Four Voices with an Accompaniment for the Piano Forte, London 1827. 8 Franz Deibel (Hg.): Goethes Gespräche mit J. P. Eckermann, 2. Band, Leipzig 1908, S. 26 (15. Juni 1828). 6 Anno neun bin i g’standen 295 Das Lied „Du, du liegst mir im Herzen“, in Berlin belegt seit 1821, war zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein sehr populäres Liebeslied, das später auch internationale Verbreitung fand.9 Die Leo-Gesellschaft gab also auch Salonschlager zum Besten, die gerade modern waren und gerne gehört wurden. Sie reagierte, ebenso wie volkstümliche Musikgruppen noch heute, auf musikalische „Trends“. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch eine Stelle aus den Leo-Tagebüchern, in der Balthasar Leo erzählt, man habe sich in Weimar vom dort am Hoftheater angestellten Schauspieler und Sänger Max Johann Seidel neue Lieder beibringen lassen: Wir reißten weiter nach Waimar die Residenz des Großherzog von Waimareschen Lande eine hibsche Stadt mit 1000 Einw. Hat ein schönes Großherzogliches Schloß, ein schönes Theater ein schönen Barck und Gärten, wir hilten uns hir einige Tage auf und lernten den Landsmann Seidl [sic] kennen, der uns vil im Singen Unterricht gab und einige Lieder gelerent hat, welches für uns ein Glück war.10 Seidel verkehrte im Umfeld von Goethe und sein Name taucht auch in Verbindung mit der Nationalsängergesellschaft Rainer auf, für die er anscheinend zwei Lieder schrieb.11 Insgesamt kann man davon ausgehen, dass das Repertoire in den Leo-Liederbüchern im Großen und Ganzen jenen Grundstock an Liedern enthält, mit denen die Sängergruppe zumindest identifiziert werden wollte: Tiroler Nationalgesänge. Schon dieser Titel vermittelt einen offiziöseren Eindruck als etwa „Tiroler Lieder“ oder „Alpenlieder“. Die Idee der „musikalischen Nation“ schwingt mit, zu der neben Heimat, Liebe, Natur und dem einfachen Leben auch der Patriotismus gehört. Das Repertoire wurde immer wieder durch neue, modernere Lieder ergänzt, doch zählten bestimmte Lieder zum „Standardrepertoire“, so auch patriotische und politische Lieder, wie man aus den Sammlungen der Sängergesellschaft Leo von 1829 und 1837 ersehen kann. Das Liederheft von 1829 Die Sammlung der Nationalsängergesellschaft Leo aus dem Jahr 1829 beinhaltet überwiegend allerlei für Tiroler Sängergesellschaften typische Lieder,12 doch die ersten drei Siehe dazu Armin Hadamers Beitrag im Liederlexikon des Deutschen Volksliedarchivs, Freiburg i. Br.: http://www.liederlexikon.de/lieder/du_du_liegst_mir_am_herzen (05. 04. 2012). 10 Siehe Tagebuch der Nationalsänger Leo: Sebastian Leo [?]: Tagebuch über die Reisen, welche ich von Zeit in Jahre 1826 an, durch Deutzland, England, Belgien, Holand, Dänemark, Norwegen und Schweden durch Reißt habe, und was ich Merkwürdiges sah und was wir für Bekanntschafeten gemacht haben (handschriftl.), o. Sz. [S. 20] (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 48518). 11 Siehe dazu Kapitel 14 in diesem Band. 12 1. Die Liebe der Tyroler zu ihrem Kaiser, 2. Die Erinnerung an das Jahr 1809, 3. Jubelruf eines Tirolers bei der Siegesnachricht von Varna’s Eroberung, 4. Der Tiroler Teppichhändler, 5. Der Duxer, 6. Der Alpenjäger („Heisa’, geh’ außi in Wald, / Ist’s glei heut rauh und recht kalt“), 7. Des Tirolers Heimweh („Herz, moan Herz, warum’ so traurig“), 8. Senner-Lied („I bin a Senner-Bue“), 9. Alpen-Lied („Es is a Freud’, wann man sieht die Sonn’ aufgehn“), 10. Gemsenjäger-Lied („Auf den Bergen lebt ma frei“), 11. Tirolerlied (Von Göthe) („Af ’m Bergli bin i g’sässe“), 12. Der Hans mit den blauen Augen („Auf der Alp’n, da finden die Küh’ das beste Gras“), 13. Der Tiroler und sein Schatzerl („Herzig’s Schatzerl, laß die herzen“), 14. Das Häusl am Roan [Ignaz Franz Castelli] („I hab’ enk a Häus’rl am Roan“), 15. Der verlorene Strumpf („Zu Lauterbach hab’ i mein Strumpf verloren“), 16. Das schöne Schatz’rl („Ei, mein Schatz 9 296 Kapitel 15 Lieder stechen hervor, da es sich um historisch-politische Lieder handelt: Die Liebe der Tyroler zu ihrem Kaiser, Die Erinnerung an das Jahr 1809 (Anno Neun) und Jubelruf eines Tirolers bei der Siegesnachricht von Varna’s Eroberung. Auch fällt am Liederheft auf, dass das Jodeln keinerlei Erwähnung findet. Diese Gesangstechnik besaß aber bei den Geschwistern Leo mit Sicherheit einen zentralen Stellenwert, wie auch beispielsweise bei den Nationalsängern Rainer – man denke nur an die erste Ausgabe von Ignaz Moscheles’ Tyrolese Melodies 13 von 1827, die eine Einführung ins Jodeln und zahlreiche ausgedehnte Jodelpassagen enthält. Im Gegensatz dazu finden sich im Liederheft der Geschwister Leo relativ viele Schnaderhüpfeln, auch sang die Gruppe gerne mit verteilten Rollen, so etwa beim Lied Der Tiroler und sei Schatzerl, wo im ersten Teil der männliche Protagonist spricht: Mit koaner Feder kann ich’s beschreiben, Was i deinetwegen mußte leiden, Denn du woaßt es gar zu wohl, Daß i di ewig lieben soll. Worauf in einem anderen Metrum seine Angebetete antwortet, was im Text auch durch Anführungszeichen kenntlich gemacht wird: „Den i so gerne hätt’, Der is so weit hinweg, Und den i gar nit mag Seh i fast alli Tag.“14 Da die Sängergesellschaft Leo um 1829 noch ohne weibliche Verstärkung sang, wird hier (und auch in einigen anderen Liedern) wohl ein Mann den Frauenpart des Liedes übernommen haben. In der Sammlung von 1829 dominieren noch nicht das Alpenleben verklärende und romantisch-affektierte Liebeslieder, sondern Stoffe, die durchaus dem Alltagsleben entstammen könnten. Wenn etwa im Lied Hans mit den blauen Augen die weibliche Prota gonistin von den blauen Augen ihres Nachbarn Hans schwärmt und hofft, „dass bald die Zeit kommt, wo wir z’sammen dürfen bleiben, wo statt unser die Kindern das Vieh aufi treiben“,15 oder der Gemsenjäger seine Geliebte und seine Ehefrau im selben Lied besingt, so wirkt dies durchaus lebensnah. Natürlich haben bereits Salonlieder Eingang in das Repertoire der Leos gefunden, z. B. das angebliche „Göthe“-Lied „Af ’m Bergli Bin i g’sässe“, Das Häuserl am Roan von Ignaz Franz Castelli16 und ein selbst komponiertes Abschiedslied. Für jedes dieser Lieder werden aber die jeweiligen Autoren und Komponisten angeführt, sodass man davon ausgehen kann, dass die Geschwister Leo alle selbst verfassten Lieder auch als solche ausgewiesen haben. Welche Lieder wirklich der mündlichen Überlieferung entstammten und welche Lieder zurecht gesungen, adaptiert oder neu erfunden wurden, ist nicht mehr nachzuvollziehen. is gar schön“), 17. Das fröhliche Brautpaar („Geh nur hoam Bue“), 18. Abschiedslied der Gebrüder Leo („Lebt wohl, lebt wohl, bald geh’n wir fort“). 13 Moscheles (Hg.): The Tyrolese Melodies (wie Anm. 7). 14 Anon. (Hg.): Tiroler Nationalgesänge (wie Anm. 1). 15 Ebd., S. 15. Anno neun bin i g’standen 297 Die Liederhefte von 1837 Die zweite Liedersammlung der Nationalsänger Leo aus dem Jahr 1837 besteht, wie bereits ausgeführt, aus zwei Heften, wobei das erste in Kopenhagen und das zweite in Aarhuus gedruckt wurde.17 Aus den ursprünglich drei Mitgliedern Franzl, Balthasar und Anton war mittlerweile eine „Gesellschaft“ von vier Männern und einer Frau geworden. Von den in Heft 1 enthaltenen Liedern sind die meisten neu im Repertoire, außer das Lied Nummer 7, das schon 1829 gedruckt wurde: Die Liebe der Tyroler zu ihrem Kaiser. In der zweiten Ausgabe wurde der Text auf den neuen Kaiser zugeschnitten, denn anstelle von: „Oes setzt ihm auf ’en Kranz, / Und wir, wir schrein aus voller Brust Hoch! Vivat Kaiser Franz!“ heißt es nun holprig: „Oes setzt ihm auf ’en Kranz, / Und wir, wir schrein aus voller Brust: ’s leb Kaiser Ferdinand!“. Am Anfang des Heftes steht das weit verbreitete Lied „Wann i’s Morgens früh aufsteh“,18 wobei in der zweiten Strophe umständlich und von der üblichen, etwas zweideutigen Textversion abwei- Abb. 2: Titelseite der Sammlung Tyroler NationalGesänge. Gesungen von der Gesellschaft Leo: Balthasar, Sebastian, Anton, Matthies und Crescentia, aus dem Zillerthale in Tirol, 2. Heft, Aarhuus 1837. Laut August Heinrich Hoffmann von Fallersleben [„V. Unsere Volksthümlichen Lieder“, in: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben / Oskar Schade (Hg.): Weimarisches Jahrbuch für Deutsche Sprache Litteratur und Kunst, 6. Band, 1. Heft, Hannover 1857, S. 85–216, hier S. 150] wurde das Gedicht Das Häuserl am Roan des populären Wiener Biedermeierdichters Ignaz Franz Castelli erstmals 1822 in der Wiener Zeitschrift gedruckt. Zu Castellis wichtigsten Werken gehört auch das Kriegslied für die öster reichische Armee, das vervielfacht und unter den Truppen verteilt wurde und ihn schließlich zu einem der ersten Dichter der Befreiungskriege machte (siehe dazu Kapitel 13 in diesem Band). 17 Inhalt von Heft 1: „Wann i’s Morgens früh aufsteh“, 2. Die Alpenrose („Wie a Rösal so schön“), 3. Das Liebespaar („Senn’rin schau! Wann’s wird grau, Kim i zu dir“), 4. Der Alpenschnee („Wann der Schnee von der Alma wega geht“), 5. Der Saubere Jägersmann („I kenn’ ein’ saubern Jägersmann, juchhe!“), 6. „Du herzig schön’s Dirnd’l“, 7. Die Liebe der Tyroler zu ihrem Kaiser („Oes Buben stellt’s enk her, wißt’s wohl“), 8. Der Gemsenjäger („Auf den Bergen lebt ma frei“), 9. Das Echo im Gebirge („In unserm Tyrol und im Land’l“), 10. „Gute Nacht! Sey Euch Allen nun gesagt“. Inhalt von Heft 2: 1. Der Tyrolerbue („Und i bin a frischer Tyrolerbue“), 2. Die Freyer („I möchte’ halt zum Weib di hab’n“), 3. Schön Hannchen („Die Mädchen in Deutschland sind blühend und schön“), 4. „Du herzig schön’s Dirnd’l“, 5. Die Erinnerung an das Jahr 1809 („Anno neun bin i g’standen“), 6. Das Instrumentenlied („Schönstes Mädchen! Schermantes Gredchen!“), 7. Das freye Land („Jauchzt und singet frohe Lieder!“), 8. Die Tiroler in Dänemark („Wir sind glei aus Tyrol roasen gar weit“), 9. Das Gebet für den Kaiser („Mir ist halt so lustig im Tyroler Land d’rinn“), 10. Der Postknecht („Ein Postknecht ist ein armer Wicht“), 11. Das Echo im Gebirge („In unserm Tyrol und im Land’l“), 12. Das Abschiedslied der Gebrüder Leo („Lebt wohl, lebt wohl, bald gehen wir fort“). 18 Siehe dazu Kapitel 11 in diesem Band. 16 298 Kapitel 15 chend die Verbindung zwischen Alm, Kuh, Milch und Kalb erklärt wird, was sich auch keineswegs reimt: Wann i’s Kuhla af d’Alma treib, juhe! Thun m’r Kuhla nimma melka, Aft’n krieg’n m’r gute Kalma s’ Kuhla gibt uns Mili mehr, juhhe!19 Gründe der „Sittlichkeit“ können dabei nicht ausschlaggebend gewesen sein, denn in einem anderen Lied mit dem Titel Das Echo im Gebirge wird (ebenfalls in der zweiten Strophe) sehr ungeniert über die Tirolerinnen angemerkt: Die Weiber sind a nit so g’naschig, Sie bleib’n getreu ihrem Mann¸ Sie mach’n kua Witscharl, kua Watscharl, und schau’n kuan’ Andern mehr an.20 Im zweiten Heft, erschienen in Aarhuus, ist eine Lobeshymne auf die Dänen und ihr Königshaus mit dem Titel Die Tyroler in Dänemark veröffentlicht: Wir sind glei aus Tyrol roasen gar weit, Wir seyn ja in Dännemark, weil’s uns da freut. Copenhagen das ist ein Ort stadtlich und groß, Da sieht man schön’ Wag’n, prächtigen Roß, Und die Leut seyn so fein, löbn recht fidell; Sie roasen auf große Schiff um die ganz’ Welt […] Hört! Und der König das ist ja ein Herr: So freundlich wie Franzl, der Kaiser auf Ehr’! Und auch die Prinzen sind’ recht gute Herrn; Drum hat sie ein Jeder so sagerisch gern. Wir sind Tyrolerleut, rufen laut aus: Es leb’ König Friedrich! Es lebe sein Haus!!21 Im zweiten Heft finden sich zwei Lieder, die auch im ersten Heft aufscheinen: „Du herzig schön’s Dirnd’l“ und Das Echo im Gebirge. Das zweite Heft enthält bei gleicher Seitenanzahl zwei Lieder mehr als das erste, dementsprechend eng gedrängt erscheint das Druckbild. Über den Grund für die erneute Veröffentlichung dieser beiden Lieder kann nur gemutmaßt werden. Vielleicht handelt es sich hierbei um Lieblingslieder des dänischen Publikums oder einer wichtigen Person am Königshof, so dass man die Entscheidung traf, dass diese Lieder auch im zweiten Heft nicht fehlen dürfen. Zudem sind im zweiten Heft noch zwei weitere Lieder zu finden, die nicht zum ersten Mal veröffentlicht wurden, weil sie schon in der Sammlung von 1829 aufscheinen: Die Erinnerung an das Jahr 1809 und Das Abschiedslied der Gebrüder Leo. Das Abschiedslied war mit Sicherheit ein Fixpunkt im Programm der Gruppe. Anon. (Hg.): Tyroler National-Gesänge (wie Anm. 5), 1. Heft, S. 2. Zum Lied siehe Kapitel 11 in diesem Band. 20 „Gnaschig“: lüstern, „kua Witscharl, kua Watscherl“: setzen ihren Männern keine Hörner auf; Anon. (Hg.): Tyroler National-Gesänge (wie Anm. 5), 1. Heft, S. 8. 21 Ebd., 2. Heft, S. 6f. 19 Anno neun bin i g’standen 299 Die Tatsache, dass auch Anno neun nach acht Jahren ein weiteres Mal Eingang in die neue Liedersammlung der Geschwister Leo fand, zeigt den großen Stellenwert des Liedes im Repertoire auf. Zusammenfassend sei festgehalten: Im Jahr 1829 wurden 18 Lieder veröffentlicht, von denen drei politische Themen behandeln. Sie stehen am Anfang des Liederheftes. Zwei dieser drei politischen Lieder wurden 1837 erneut abgedruckt: Anno neun und Die Liebe der Tyroler zu ihrem Kaiser (in einer aktualisierten Version). Insgesamt wurden in den zwei Heften von 1837 22 Lieder veröffentlicht, von denen sich vier – neben den zwei genannten Das freye Land und Das Gebet für den Kaiser – auf politische Themen beziehen. Unter den Liedthemen überwiegen bei weitem Heimat, Natur, Liebe usw., jedoch waren patriotische und politische Lieder offenbar ein nicht wegzudenkender Teil der Auftrittsprogramme. „Freiheitslieder“, Kampflieder und Huldigungslieder im Repertoire der Geschwister Leo Die insgesamt fünf politischen Lieder in den Liedersammlungen der Geschwister Leo aus den Jahren 1829 und 1837 sind neben dem Lied Anno neun die Lieder Die Liebe der Tyroler zu ihrem Kaiser, Jubelruf eines Tirolers bei der Siegesnachricht von Varna’s Eroberung, Das Gebet für den Kaiser und Das freye Land. Letzteres wird an anderer Stelle genauer erörtert, da es schon früher bei den Nationalsängern Rainer zu finden ist.22 Für „Anno neun bin i g’standen“ und Die Liebe der Tyroler zu ihrem Kaiser sind in Johann Fuchs’ Sammlung ächter Tiroler National-Lieder (1862) erstmals Melodien überliefert.23 Das zuletzt genannte Lied, Die Liebe der Tyroler zu ihrem Kaiser, in der Sammlung von 1829 ist ein Loblied auf Kaiser Franz I. (siehe Abb. 3): Oes Buben stellt’s enk her, wißt’s wohl, I mus enk eppas sag’n, Der Kaiser kimmt bald nach Tyrol, Kimmt in a’n großen Wag’n, Oes aus der Stadt, ös laßt’s enk sag’n, Oes spannt’s ihm aus die Roß, Und wir vom Land, wir zieh’n den Wag’n Durch d’Stadt bis ’neun in’s Schloß. In Wildau und in Inspruck is Schon All’s mit Blumen g’schmückt; Denn jeder Tyroler, das is g’wiß, Der fühlt si hoch beglückt. Die Wach am Schloß, die halten wir Bei Tag und a bei Nacht, Die Aeltesten an seiner Thür, Das is schon abgemacht. Siehe dazu Kapitel 14 in diesem Band. Johann Fuchs (Hg.): Sammlung ächter Tiroler National-Lieder für vierstimmigen Männerchor, 4. Heft bzw. 1. Heft, München 1862 (Bayerische Staatsbibliothek, München, Mus.pr. 96-1, 6#1_00010.9). 22 23 300 Kapitel 15 Abb. 3: Liebe der Tiroler zu ihrem Kaiser, in: Johann Fuchs (Hg.): Sammlung ächter Tiroler NationalLieder für vierstimmigen Männerchor, 1. Heft, München 1862, S. 1–3 (Bayerische Staatsbibliothek, München, Mus.pr. 96-1, 6#1_00010. 9). Anno neun bin i g’standen 301 Der Kaiser kimmt in unser Land, Dös is für uns an Ehr’, Ja wär’ ihm unsre Treu bekannt, Er käm’ schon öfters her. Der Kaiser moant’s mit uns so gut, Und a die Kaiserin, Drum für die Franzl Gut und Blut Gibt gern a Jeder hin. Oes Buben, wenn der Kaiser kimmt, So habt’s fein auf ihn Acht, I woas, daß er’s nit übel nimmt, Wenn unser Herzl lacht. Oes Madl’n, heut hab’s auch a Lust, Oes setzt ihm auf ’en Kranz, Und wir, wir schrein aus voller Brust Hoch! Vivat Kaiser Franz!24 Das Lied wurde offensichtlich für einen bestimmten Anlass verfasst, der aber nicht mehr zu eruieren ist. Es war ein „offizielles“, wahrscheinlich in Auftrag gegebenes Lied. Außer dem heutigen Innsbrucker Stadtteil Wilten, hier noch „Wildau“ genannt, finden wir weder Ortsbezeichnungen noch die Namen von Persönlichkeiten. Wir erfahren lediglich, dass die Stadt Innsbruck für die Ankunft des Kaisers mit Blumen geschmückt wird und man ihn freudig erwartet. Das Lied ist in keiner der einschlägigen Sammlungen von politischen Liedern in Tirol seit 1796 wiedergegeben,25 scheint aber trotzdem älter zu sein. „Kaiser-Loblieder“ dieser Art nahmen wahrscheinlich einen fixen Platz im Repertoire vieler Nationalsänger dieser Zeit ein,26 wie noch an einem weiteren Beispiel zu zeigen ist. Die Liebe der Tiroler zu ihrem Kaiser wurde auch von anderen Sängergruppen gesungen, wie das folgende Zitat aus einem Konzertbericht aus dem Jahr 1829 beweist: Tiroler Nationalgesänge hörten wir am 5ten November von den gebornen Tirolern Willmoser, Ebster und Gander aus dem Zillerthale, z. B. die Lieder: der Tiroler Teppichhändler, Liebe der Tiroler zu ihrem Kaiser, Schweizerlied und Tirolerlied.27 Ein weiteres historisch-politisches Lied im Leo-Repertoire trägt den Titel Jubelruf eines Tirolers bei der Siegesnachricht von Varna’s Eroberung: Juchhe! Juchhe! Jetzt geht’s schon g’recht! Springt’s in die Höh Herr oder Knecht! Anon. (Hg.): Tiroler Nationalgesänge (wie Anm. 1), S. 3f. Siehe auch Liedindex, Nr. 52. Siehe dazu Anm. 2. 26 Siehe dazu Silvia Maria Erber / Sandra Hupfauf: „‚S’Zibori ausserg’rissn, die Hostien umher g’schmissn‘. – Die Religion als bestimmendes Moment in der politisch verwendeten Musik Tirols zwischen 1796 und 1809“, in: Norbert Haag / Gabriele Haug-Moritz (Hg.): Musik in Neuzeitlichen Konfessionskulturen, Stuttgart (in Druck). 27 Johann Nepomuk Hummel: „Nachrichten. Bremen, den 26sten November 1829“, in: Allgemeine musikalische Zeitung 31 (1829), Nr. 51, Leipzig, 23. Dezember 1829, S. 843. 24 25 302 Kapitel 15 Denn i g’loab bald ist’s vorbei Mit dem Krieg in der Türkei, Denn die Russen sind schon Leut’ Aften haben’s sackrisch Schneid’. Juchhe! Juchhe! Kimmt’s nur herbei! I will enk sag’n Gar Mancherlei! Schaut’s, die Türken alliweg Kriegen von den Russen Schläg, In Ahalzick und Askutz seyn Die Russen schon gezogen ein. Horcht’s auf ! Horcht’s auf ! Und glaubt es mir, Denn ei die Post Bracht an Courir, Warna is ja über jetzt Und dös hat mi hoch ergötzt, Drum bring’ i a Vivat aus Dem tapfern Kaiser Nikolaus. Juchhe! Juchhe! Jetzt geht’s schon gut; Schwingt’s Hüt’ in d’ Höh Und faßt’s nur Muth! Macht der Türk nit Frieden gleich, Jag’n ’en d’ Russen aus sein’ Reich! Gott verleih’ in diesem Krieg Nur den Wackern Christen Sieg.28 Varna’s Eroberung bezieht sich nicht auf die Schlacht bei Varna während der Türkenkriege im 15. Jahrhundert, sondern auf die Eroberung von Varna am 29. September 1828 während des Russisch-Türkischen Krieges (1828/29). In diesem Zusammenhang stehen der im Text erwähnte „Kaiser Nikolaus“, also Zar Nikolaus I. (1796–1855), und der Ort „Ahalzick“, eigentlich Achalziche. Der Jubelruf ist somit ein authentisches historisch-politisches Lied unbekannter Urheberschaft. Es ist erstaunlich, dass die Geschwister Leo das Lied in ihre Liedersammlung aufnahmen, hat es doch vordergründig mit Tirol nichts zu tun. Es enthält allerdings Aspekte, die für Tiroler der damaligen Zeit ein gewisses Identifikationspotenzial bargen: Der Russisch-Türkische Krieg stand in engem Zusammenhang mit den nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen der Griechen gegenüber dem Osmanischen Reich. Russland als „christliche Schutzmacht“ unterstützte diese Bestrebungen, um seinen Einflussbereich auf dem Balkan auszudehnen. Propagandistisch wurde der „griechische Freiheitskampf “ – vergleichbar den Aufständen in Tirol – zum „christlichen“ Kampf gegen die Ungläubigen hochstilisiert. – Somit war das Lied im Jahr 1829, als die Sammlung der Geschwister Leo in Druck ging, äußerst aktuell. Anon. (Hg.): Tiroler Nationalgesänge (wie Anm. 1), S. 5f. Siehe auch Liedindex, Nr. 109. 28 Anno neun bin i g’standen 303 Die zwei patriotischen und dezidiert auf politische Ereignisse anspielenden Lieder Anno neun und Jubelruf weisen typische Merkmale des historisch-politischen Liedes auf. Sie vermitteln Informationen über historisch bzw. politisch relevante Orte, Personen oder Geschehnisse, der Textinhalt steht im Vordergrund und nicht die Musik oder der Vortrag. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass auch „Anno neun bin i g’standen“ ein zwar populäres, aber historisch-politisches Lied und kein kommerzielles, neu komponiertes Nationalsängerlied ist. Als Nummer 9 der Sammlung finden wir ein zweites Loblied auf Kaiser Ferdinand I., eigentlich ein Gebet an Gott für den Kaiser: Das Gebet für den Kaiser. Mir ist halt so lustig im Tyroler Land d’rin Schön off’n und freundlich Ua Herz und Ua Sinn. Mir hab’n nur Uan Gott, und wir leb’n für’ Uan Herrn. Wir hab’n halt, wir hab’n halt den Kaiser so gern. O, Vater im Himmel, erhör unse’re Bitt! Erhalt unsern Kaiser in Ruh und in Fried! Allmächtiger Schöpfer! Thu du uns erhör’n Wir hab’n halt, wir hab’n halt den Kaiser so gern. Unser Haus, unser Hof, unser Vih auf der Woad, Das geb’n m’r mit Freud’n es ist ins nit load. Wir leg’n ihm’s zu Füßn, und vertraun unserm Herrn. Mir hab’n halt, wir hab’n halt den Kaiser so gern. Beschütz a die Kaiserinn, die Beste der Frau’n Sie bet’t ja wie wir a mit größt’n Vertraun. Sie be’t ja und sagt ja (mi ziemt, i thu’s hör’n): „I hab halt, i hab halt mei Ferdnl [sic] so gern.“29 In fast kindlicher Manier, in einer für ein Huldigungslied an einen Kaiser unpassend erscheinenden naiven Sprache, wird Gott angerufen, den Kaiser für die Tiroler zu erhalten. Doch wie auch andere, vielfach „von oben“ befohlene Huldigungsgesänge an den Kaiser, etwa zu Auftritten des Kaisers in der Öffentlichkeit oder zu seinem Geburtstag,30 verdeutlichen, war das religiös anmutende Besingen von „Gott, Kaiser und Vaterland“ sehr üblich. Dass Gelegenheitsdichtungen dieser Art Eingang in das Nationalsängerrepertoire fanden, ist durchaus nachvollziehbar. Sie sind ein Beleg dafür, dass die religiös überhöhte Untertanenliebe und Verehrung des Kaisers auch im Ausland durch die Nationalsänger zelebriert wurden. Neben der Naturverbundenheit, der Tapferkeit und dem Patriotismus gehörte auch die Kaisertreue zum Tirol-Klischee und wurde folkloristisch-kommerziell eingesetzt. Das Gebet für den Kaiser wurde möglicherweise für ein ausländisches Publikum geschaffen und als Huldigungsgesang „inszeniert“. Vieles deutet darauf hin, dass historisch-politische Lieder vom Publikum gewünscht wurden. So veranschaulicht etwa eine Prager Konzertkritik aus dem Jahr 1835, welche Nationalsängerlieder im Konzertsaal besonders gut ankamen: Anon. (Hg.): Tyroler National-Gesänge (wie Anm. 5), 2. Heft, S. 7. Siehe auch Liedindex, Nr. 118. Siehe Erber/Hupfauf: „S’Zibori ausser g’rissn“ (wie Anm. 26). 29 30 304 Kapitel 15 Die […] Alpensänger trugen ihre Lieder ohne alle Begleitung vor, und fanden doch nach den meisten Nummern lebhaften Beifall; vorzüglich sprachen die beiden Lieder „Andreas Hofer“ und „Der Kaiser“ auch wegen des Textes an.31 Die Aufnahme politischer Lieder ins Standardrepertoire von Nationalsängergesellschaften und die damit einhergehenden Veränderungen der Funktionen der Lieder hatten mit Sicherheit auch den Nebeneffekt, dass die Lieder erhalten blieben und im Inland weiterhin rezipiert wurden. Die beiden Lieder Gebet für den Kaiser und Anno neun finden sich beispielsweise im Jahr 1851 in der literarischen Tiroler Zeitschrift Der Phönix, die im deutschen Sprachraum einen sehr guten Ruf genoss. Hier erschien im Jahr 1851 eine vierteilige Erzählung mit dem Titel „Aus dem Tirolerleben 1848“ von Tobias Wildauer von Wildhausen (1825–1898), eines Professors für Philosophie an der Universität Innsbruck und Historikers, der im Jahr 1848 auch bei der Verteidigung im Süden Tirols gegen die Garibaldischen Truppen mitwirkte.32 Der gebürtige Zillertaler bedient sich in seiner Erzählung, in der es um eine unglückliche Liebe, das traditionelle Scheibenschießen und die Mobilmachung der Schützen geht, gängiger Tirol-Klischees. Seine Schützen marschieren „kühn und todesmuthig […] unter Singen und Jodeln“: Ein Schurzfell als Fahne auf einer Stange marschirten sie kühn und todesmuthig einen „Zaun stecken“ oder auch einen Stutzen im Arme durch die Waldlichte auf und ab, machten allerlei Bewegungen, wie sie die Schützen am Antlastage brauchten und dergleichen Dinge mehr. Zum Schlusse ging der Uebungsmarsch der kleinen Schaar unter Singen und Jodeln immer in das Dorf hinab und wohl alle Abende klang es durch die Gassen: Unser Haus, unser Hof, Unser Vieh auf der Woad, Das geb’n mir dem Kaiser, Das macht uns nit load. Wir leg’n ihm’s zu Füaßn Und vertraun auf ’n Herrn, Mir ham halt, mir ham halt Den Kaiser so gearn. Gerne sang der Hannes, dessen Kehle vorzüglich schöne Jodler trug, das zwar alte, aber beliebte Lied: Anno Neun da bin i g’standa Zallererst bei Innsbruck glei, Da war’n viele Bub’m bananda, Schauts und i war a dabei.33 Der erste zitierte Liedtext ist ein Auszug aus dem Gebet für den Kaiser, beim zweiten Lied handelt es sich um Anno neun. Der Zusatz „das zwar alte, aber beliebte Lied“ spricht dafür, dass das Lied noch um 1850 durchaus gängig gewesen sein dürfte. Siehe Rubrik „Theater und geselliges Leben“, in: Bohemia, ein Unterhaltungsblatt, Nr. 10, Prag, 23. Jänner 1835. Da Julius Mosens Text „Zu Mantua in Banden“ von Leopold Knebelsberger erst um 1844 vertont wurde, könnte es sich beim Lied Andreas Hofer um „Ach Himmel, es ist verspielt“ handeln. 32 Ludwig Fränkel: „Wildauer von Wildhausen, Tobias“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 44 (1898), S. 521–524 (Onlinefassung); http://www.deutsche-biographie.de/pnd117379735.html?anchor=adb (04. 10. 2012). 33 Tobias Wildauer von Wildhausen: „Aus dem Tirolerleben 1848“, in: Ignaz V. Zingerle / Tobias Wildauer von Wildhausen (Hg.): Der Phönix. Zeitschrift für Literatur, Kunst, Geschichte, Vaterlandskunde, Wissenschaft und Theater 2 (1851), Nr. 27, S. 201–212, S. 218–220, S. 225–228, S. 242–245, hier S. 227. 31 Anno neun bin i g’standen 305 Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden weitere Nationalsängerlieder, die ebenfalls den „Helden von 1809“ – Andreas Hofer und seine Gefährten – gewidmet waren. Die politischen Ereignisse lagen schon weiter zurück, aber es bestand offensichtlich immer noch Nachfrage nach dieser Art von Liedern.34 Noch 1905 belegt ein Aufsatz über „Lieder im Tiroler Dialekt unter den hamburgischen Straßenliedern“, dass man Tiroler Nationalsänger im Ausland mit den Tiroler Aufständen und insbesondere mit Andreas Hofer in Verbindung brachte. Der Autor des Aufsatzes, H. R. Felber (Vorname nicht überliefert), veranschaulicht darin die geschichtlichen Hintergründe von Tiroler Sängergesellschaften und Wanderhändlern in Hamburg: Dann kam die Franzosenzeit, während welcher wohl nicht viel gesungen ward. Aber nach den Kriegsjahren tauchten durch ganz Deutschland die herumziehenden Tiroler Sängergesellschaften auf. Zuerst erschien in Hamburg 1824 die Gesellschaft Hauser, dann trat am 24. August 1827 im Stadttheater die Familie Rainer unter Beifall auf und 1829 die ursprünglich aus drei Mitgliedern (daher das Kleeblatt genannt) bestehende Gesellschaft Leo aus dem Zillerthal. Alle drei Gesellschaften, die damals etwas ganz Neues waren, hat uns Otto Speckter in Steinzeichnung erhalten, freilich in etwas langweiliger Weise. Die Mitglieder dieser Gesellschaften zeigten sich nicht nur auf der Bühne, sondern auch überall auf der Straße in ihrem Tiroler Kostüm. Schon das erregte die allgemeine Aufmerksamkeit im Volke, dem damals sicherlich auch der Sandwirt Hofer eine bekannte Persönlichkeit war, manche der vorgetragenen Lieder verherrlichten denselben. So wurden die Tiroler bei uns volkstümlich.35 Resümee Das 1829 veröffentlichte Liederheft der Sängergesellschaft Leo ist die älteste bekannte Quelle für das Lied „Anno neun bin i g’standen“. Obwohl es in keiner einschlägigen Sammlung historisch-politischer Lieder Tirols aus der Zeit um 1810 angeführt ist, dürfte es zeitlich kurz nach den Tiroler Aufständen entstanden sein. Auch stilistisch könnte es sich um ein authentisches politisches Lied der Zeit handeln. Es werden kaum Tiroler Klischees bedient, dafür kriegsbedeutende Persönlichkeiten und Orte in Erinnerung gerufen. Nachdem es im 19. Jahrhundert fast nur im Repertoire von Nationalsängergruppen aufscheint, findet man das Lied zur Zeit des Ersten Weltkrieges auch unter den „Soldatenliedern“.36 Anno neun und ähnlich geartete politische Lieder im Repertoire der Geschwister Leo (Die Liebe der Tyroler zu ihrem Kaiser, Jubelruf eines Tirolers bei der Siegesnachricht von Varna’s Eroberung, Das Gebet für den Kaiser) zeigen, dass patriotische Tiroler Lieder, Lieder zum Jahr 1809 und Kaiserloblieder bereits sehr früh, nämlich im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts, zum fixen Repertoire von Tiroler Nationalsängergruppen zählten, da sie das vom Publikum gewünschte Tirol-Klischee bestens transportierten. Siehe dazu z. B. Tiroler Schützenlied, Der Soldat auf der Wacht (evt. von Leopold Knebelsberger), Gruß an Deutschland, in: Anon. (Hg.): 40 National-Gesänge der Pusterthaler Sänger-Gesellschaft Schöpfer, Bruneck [ca. 1878]; Spingeser Schlachtlied, Speckbacher, Wirth vom Sand, Anno Neun, Tyroler Landsturm, in: Anon. (Hg.): 120 Original-Tiroler Lieder gesungen von der beliebtesten Tiroler National-Sänger und SchuhplattlTänzer-Gesellschaft Toni Eder aus Andrian, Meran o. J. (Tiroler Volksliedarchiv, Innsbruck, IAc59). 35 H. R. Felber: „Lieder im Tiroler Dialekt unter den hamburgischen Straßenliedern“, in: Mitteilungen des Vereins für Hamburgische Geschichte 25 (1905/06), Band 9/1, S. 21f. 36 Z. B. in: Anon. (Hg.): Das deutsche Soldatenlied und wie es heute gesungen wird. Auswahl von Klabund. Mit vielen Bildern von Emil Preetorius, München 1915, S. 10. 34 Kapitel 16 „Sie führen mich aus dem Land mit größtem Spott und Schand’“. Ach Himmel, es ist verspielt Silvia Maria Erber Da in den vorangegangenen Ausführungen bereits festgestellt wurde, dass der „Natio nalheld“ Andreas Hofer in den zeitgenössischen Liedern eine nur mäßige Rolle spielte und es in den Liedern nur geringe Anzeichen für eine Hofer-Verehrung zu seinen Lebzeiten gibt, sei nun der Blick auf die weitere Entwicklung des Mythos Hofer in Liedquellen ab 1810, dem Jahr seines Todes, gerichtet. Die Bemühungen der bayerischen Regierung, Hofer in Vergessenheit geraten zu lassen und in Tirol ein Zugehörigkeitsgefühl zu Bayern aufzubauen, wurden hier bereits ebenso erörtert wie die schwierige wirtschaftliche Lage und die daraus resultierende schlechte Stimmung in der Bevölkerung unmittelbar nach der Niederschlagung des Aufstandes. Abgesehen von den Liedtexten der beiden Frauen Claudia Heslingerin und Agathe Singert, die 1811 bzw. 1812 aufgrund der Verbreitung aufrührerischer, mit Hofer assoziierter Lieder strafrechtlich verfolgt wurden,1 besitzen wir heute kaum weitere aussagekräftige Liedquellen, die uns Aufschluss über Hofers Bild in der Gesellschaft in den ersten Jahren nach dem Aufstand geben können. Hofer – ein singender Märtyrer? Die große Ausnahme bildet hierzu ein Lied, das zwar heute fast denselben Stellenwert wie die Tiroler Landeshymne „Zu Mantua in Banden“2 besitzt, bei näherer Betrachtung aber eine auffällig lückenhafte Rezeptionsgeschichte aufweist: Hofer vor dem Tode. 1. Ach Himmel es ist verspielt, Ich kann nicht länger leben, Der Tod steht vor der Thür, Will mir den Abschied geben; /: Meine Lebenszeit ist aus, Und hab doch nichts verschuld’t. :/ 2. Hier liegt mein Säbel und G’wehr Und alle meine Kleider, Ich bin kein Kriegsmann mehr, Ach Himmel ich bin leider [sic], /: Weil ich verlassen ganz Von meinem Kaiser Franz! :/ 1 2 Siehe Kapitel 12 in diesem Band. Siehe Kapitel 17 in diesem Band. 308 Kapitel 16 3. Die großen Herr’n im Land, Die sind mit mir verfahren; Sie bringen’s noch so weit, Bis man mich thut begraben. /: Tilgt Haß und Ketzerei, Und macht den Sandwirt frei! :/ 4. Die Hauptstadt in Tirol Die haben sie mir genommen, Es ist kein Mittel mehr, Sie wieder zu bekommen. /: Es ist kein Mittel mehr, Kommts nicht von oben her. :/ 5. Mich, General vom Sand, Den führen sie itz gefangen, Meinen harten, blutigen Schweiß Hat man nicht angenommen, /: Sie führen mich aus dem Land Mit größtem Spott und Schand. :/ 6. O trauervolle Zeit, Was soll daraus noch werden? Der Waffen ist schon hier, Erschossen muß ich werden, /: Es ist schon lang bekannt Im ganzen römischen Kaiserland. :/ 7. O große Himmelsfrau, Zu der ich hab’ vertrauet, Weil du in unserm Land Dein’ Wohnung hast gebauet, /: O Himmelsfrau, ich bitt’, Verlaß den Sandwirt nit. :/3 Der Ich-Erzähler dieses Liedes ist Andreas Hofer selbst: Sein Leben ist zu Ende, er nimmt Abschied von der Welt und ergreift ein letztes Mal die Möglichkeit, nicht nur seine Schuldlosigkeit zu beteuern („Und hab doch nichts verschuld’t“), sondern auch die österreichische Regierung wegen der offensichtlich zu geringen Hilfestellung bei der Auseinandersetzung mit dem bayerischen und französischen Heer anzuklagen – ohne jedoch auf die besonders innige Verbindung zwischen dem Tiroler Hofer und dem Kaiser zu vergessen („Weil ich verlassen ganz / Von meinem Kaiser Franz!“). „Ach Himmel, es ist verspielt“ ist ein berührend-melancholischer poetischer „Sterbegesang“ eines zum Tode Verurteilten, der sein Schicksal letztlich in die Hände der Maria Muttergottes (Strophe 7) legt. Der Heimatkundler Ludwig von Hörmann (1837–1924) bezeichnete „Ach Himmel, es ist verspielt“ als „ein Volkslied, so echt, wahr und tief, wie es wohl wenige gibt“4 Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des politischen Vereines in Wien XI), S. 270f.; Josef Feichtinger (Hg.): Tirol 1809 in der Literatur. Eine Textsammlung, Bozen 1984 (Literarische Zeugnisse aus Tirol 4), S. 31. Siehe auch Liedindex, Nr. 1. 4 Ludwig von Hörmann: „Andreas Hofer im Volksliede“, in: Innsbrucker Nachrichten 57 (1910), Nr. 40, 19. Februar 1910, S. 1. 3 Ach Himmel, es ist verspielt 309 Abb. 1: „Ach, Himm’l, es ist verspielt“, in: Franz Friedrich Kohl (Hg.): Echte Tiroler-Lieder, Wien 1899, S. 253f. 310 Kapitel 16 und nährte in entscheidender Weise die Legende, dass das Lied (angesichts seiner IchForm wenig überraschend) vielleicht von Hofer selbst oder jedenfalls in seinem näheren Umfeld verfasst wurde: Ich hörte es zuerst in den sechziger Jahren [1860er-Jahren] vom alten Sweth singen, der es mir auch als von Hofer herrührend hinstellte, was wohl schwerlich richtig ist. Später fand ich es fast überall im Lande, stets nach der gleichen Weise gesungen […]. Daß das Lied dem Hofer zugeschrieben wird, erklärt sich wohl daraus, daß erstlich darin der Sandwirt selbstredend eingeführt ist und dann, weil es die Stimmung desselben so unmittelbar wiedergibt, daß es fast schwer wird, zu begreifen, wie sich ein Fremder so in sie hineinzufinden vermochte. Jedenfalls setzt das Gedicht einen mit den Verhältnissen vollständig Vertrauten voraus und ist unter dem unmittelbaren Eindruck der damals sich abspinnenden Ereignisse entstanden, und zwar, wenn nicht gleichzeitig, so doch kurze Zeit nach Hofers Tod.5 Hörmann glaubte, dass der Verfasser des Liedes ein Andreas Hofer Nahestehender oder sogar ein Augenzeuge seiner letzten Stunden im Gefängnis von Mantua gewesen war: Ein ferner Stehender hätte sich wohl schwerlich so tief in die Stimmung des dem Tode Geweihten hineinversetzen können. Am wahrscheinlichsten war es einer der mit Hofer in den Kasematten von Mantua gefangen gehaltenen Soldaten, die Zeugen von dessen Todesgang waren.6 Als Gewährsmann für die Authentizität des Liedes diente Hörmann Cajetan von Sweth (1785–1864), der eine besondere Rolle in den letzten Lebensmonaten Hofers eingenommen hatte.7 Sweth war nicht nur Hofers Sekretär während seiner „Amtszeit“ in Innsbruck, sondern begleitete ihn auch als einziger in sein Versteck auf der Pfandleralm (Passeiertal), auf der sich beide zwischen Ende November 1809 und Ende Jänner 1810 verborgen hielten. Sweth wurde ebenso von italienischen Soldaten, die Napoleons Befehl zur Ergreifung Hofers ausführten, gefangen genommen und nach Mantua gebracht. Dort erlebte er die letzten Stunden des Oberkommandanten des Aufstandes und seine Erschießung mit.8 Wortgewaltig und in blumiger Sprache brachte er später seine Erlebnisse zu Papier.9 Sweth war zwar genauso wie Hofer zum Tode verurteilt worden, wurde aber begnadigt und starb erst 1864.10 Wenn wir Ludwig von Hörmann Glauben schenken wollen, so haben wir mit seiner Aussage vor allem ein Zeugnis davon, dass das Lied um 1860 gesungen wurde. Schenken wir auch der (allerdings nur von Hörmann tradierten) Aussage von Cajetan von Sweth Glauben, so wäre Andreas Hofer der Verfasser von „Ach Himmel, es ist verspielt“. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde aber von namhaften Volksliedforschern nachgewiesen, dass die Melodie des Liedes Parallelen zu einer französischen Tanzweise aus Ebd. Ebd. 7 Anton Peter: Kajetan Sweth, der Leidensgefährte Andreas Hofers, Innsbruck 1908 (Anno Neun 5). 8 Meinrad Pizzinini: Andreas Hofer. Seine Zeit – sein Leben – sein Mythos, Innsbruck – Wien – Bozen 2008, S. 242–257. 9 Anon. [Cajetan v. Sweth]: „Gefangennehmung des Andreas Edlen von Hofer und seine letzten Tage. Von seinem Leidensgefährten erzählt“, in: Oesterreichisches Archiv für Geschichte, Erdbeschreibung, Staatenkunde, Kunst und Literatur II (1832), S. 10–16, S. 18f., S. 23f. 10 Georg Kierdorf-Traut: „Erinnerung an Cajetan Sweth“, in: Der Schlern 56 (1982), Heft 7/8: Juli/ August, S. 407. 5 6 Ach Himmel, es ist verspielt 311 dem 16. Jahrhundert aufweist und sein Text auf einem ursprünglich niederländischen Lied aus dem späten 18. Jahrhundert basiert. Die älteste deutsche Variante des niederländischen Liedes trägt den Titel Gespräch zwischen einem Korporal und dem Tode und beginnt mit „O Himmel! Ich verspühr, / dass ich nicht mehr kann leben; / der Tod steht vor der Thür, / will mir kein Pardon geben. / Mein’ Lebenszeit ist aus, / womit hab ich’s verschuldt“ und weist somit eine eklatante Ähnlichkeit mit Hofers Abschiedslied auf. Im Jahr 1793 erstmals in einem Amsterdamer Liederbuch veröffentlicht, handelt es vom Tod eines 22-jährigen deutschen Korporals, der in Suriname, im Norden Südamerikas, starb.11 „O Himmel! Ich verspühr“ erlebte eine vielfältige, variantenreiche Rezeption insbesondere in Deutschland, mit veränderten Ortsangaben (statt Amerika Frankenland, Sachsenland, Bayern oder Österreich) und in manchen Varianten mit einem veränderten lyrischen Ich.12 Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts ist das Lied im deutschen Sprachraum auch unter dem Incipit „Hier liegt ein junger Soldat“ bzw. „Ich bin ein junger Soldat“ bekannt.13 Und 1860 findet sich bei August Heinrich Hoffmann von Fallersleben erstmals eine schlesische Fassung des Liedes, in der der Beginn „Ach Himmel, ich verspühr“ durch „Ach Himmel, es ist verspielt“ ersetzt ist und die somit den selben Anfang aufweist wie Hofers Abschiedslied.14 Aus mehreren Gründen ist ersichtlich, dass das ursprünglich niederländische Lied in seinen deutschsprachigen Versionen schon um 1800 erstaunlich beliebt war. Der Volksliedforscher John Meier wies darauf hin, dass Friedrich Leonard von Soltau eine Variante des Liedes gesammelt hatte, in der Ferdinand von Schill (1776–1809), ein preußischer Offizier, der 1809 im Kampf gegen die Franzosen 1809 gefallen war,15 die Hauptrolle spielt.16 Auch der Volksliedsammler Franz Wilhelm von Ditfurth (1801–1880) publizierte dieses Lied.17 Diese Informationen sind konkrete Hinweise auf die Popularität des ursprünglich niederländischen Liedes. Wie beurteilen wir aber die noch immer nicht gänzlich verschwundene Legende, dass Andreas Hofer selbst während seiner Gefangenschaft im Kerker von Mantua „Ach Himmel, es ist verspielt“ gedichtet haben soll? John Meier war skeptisch und beharrte darauf, dass es nicht ein Lied von Hofer, sondern ein Lied auf Hofer sei.18 Aber selbst im Jahr 2009 konnte sich auch die Musikwissenschaftlerin Hildegard Herrmann-Schneider nicht gänzlich vom Mythos des leidenden, dichtenden und singenden Hofer in seinen letzten Stunden befreien und schrieb in ihrem Aufsatz über Andreas Hofer als musikalisches Sujet: Johannes Bolte: „Zum deutschen Volksliede“, in: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 26 (1916), S. 178–193. 12 Die starke Umformung des Liedes im deutschsprachigen Raum lässt sich anhand seiner vielfältigen Varianten im Deutschen Volksliedarchiv, Freiburg i. Br., darstellen. 13 Bolte: „Zum deutschen Volksliede“ (wie Anm. 11), S. 184. 14 August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Findlinge. Zur Geschichte deutscher Sprache und Dichtung, 1. Band, Leipzig 1860. 15 Veit Veltzke (Hg.): Für die Freiheit – gegen Napoleon. Ferdinand von Schill, Preußen und die deutsche Nation, Köln – Weimar – Wien 2009. 16 „Zu Wesel auf der Schanz“ (Das Kriegsgericht zu Wesel), in: Heinrich Rudolf Hildebrand (Hg.): F. L. Soltau’s Deutsche Historische Volkslieder, Zweites Hundert. Aus Soltau’s und Leyer’s Nachlaß und anderen Quellen, Leipzig 1856, S. 445–447. 17 Franz Wilhelm von Ditfurth (Hg.): Historische Volkslieder der Zeit von 1756 bis 1871. 1. Band, 2. Heft: Die historischen Volkslieder vom Ende des siebenjährigen Krieges, 1763, bis zum Brande von Moskau, 1812, Berlin 1872., S. 353–355. 18 John Meier: „Zum Lied von Andreas Hofer“, in: Das Deutsche Volkslied 38 (1936), S. 153–156. 11 312 Kapitel 16 Warum sollte ein enger Vertrauter Hofers, der ihn schließlich bis in die Todesstunde begleitete, kein glaubwürdiger Gewährsmann sein? Selbst wenn Motive aus Hofers fraglichem Schwanengesang schon in älterer Dichtung vorkommen und die Melodie von „Ach Himmel ich bin […]“ bzw. „[…] es ist verspielt“ auf eine französische Tanzweise von 1540 bzw. ein niederländisches Lied des 18. Jahrhunderts zurückgeht, in dem ein Korporal mit dem Tod einen Dialog hält, könnte nicht ein Adaptieren, ein Zurecht-Singen von etwas Bekanntem auf eine bestimmte Situation hin durch Andreas Hofer vorliegen? Immerhin war dies im usuellen Singen und Musizieren durchaus üblich. Warum sollte Andreas Hofer als Passeirer, aus einer musizierfreudigen Gegend und als ehemaliger Wirt nicht des Singens kundig gewesen sein? Warum sollte er in Wien im Januar 1809 in der schwierigen Situation seiner Mission ausgerechnet die Oper besucht haben, zum Leidwesen des Josef Freiherrn von Hormayr, des Beraters von Erzherzog Johann, wenn er nicht musikalisch interessiert oder gar verständig war?19 Sweth als Gewährsmann unbedingten Glauben zu schenken, halte ich für unvorsichtig. Wie Herrmann-Schneider könnte man demgegenüber fragen, warum ein enger Vertrauter Hofers ein glaubwürdiger Informant sein sollte? Und, wie Meinrad Pizzinini schon feststellte, mag Cajetan von Sweth Hörmann tatsächlich das Lied vorgesungen und ihm gegenüber behauptet haben, dass es von Hofer herrühre, aber aus welchem Grund fand Sweth es in seiner ausführlichen Darstellung der letzten Lebenstage Hofers nicht erwähnenswert?20 Ist es gar denkbar, dass er das Lied erst im Nachhinein, als es schon populär war, dem von ihm so verehrten Andreas Hofer zuschrieb? Die zwei anderen Argumente Hildegard Herrmann-Schneiders, dass Hofer aus einer musizierfreudigen Gegend stammte und in Wien eine Oper besuchte (eine Tatsache, die sein musikalisches Interesse unterstreichen soll), mögen zutreffen, können jedoch meines Erachtens nur wenig zur Klärung der Urheberschaft des Liedes beitragen. Vorausgesetzt, die Melodie und der Text des Liedes „O Himmel! ich verspühr“, dessen Beliebtheit um 1800 ja nachweisbar ist, wäre Andreas Hofer bekannt gewesen – wäre es ihm zuzutrauen, dass er in den Tagen seiner Gefangenschaft, die er in erster Linie betend zugebracht haben soll, die Muße hatte, einige Liedverse auf sein eigenes Schicksal umzudichten? Handelt es sich bei Hofers Bildungsstand nicht eher um eine Frage der poetisch-kreativen Möglichkeiten? Denn die schriftliche Hinterlassenschaft des Sandwirts offenbart den Bildungsstand eines Menschen, der nur wenige Jahre Schulbildung genossen hat und dessen Schriftstücke sich stets im Bereich des alltäglich Gebräuchlichen und Umgangssprachlichen bewegten. Hofers Briefe sind in einem knappen Tonfall gehalten und im Dialekt verfasst. Andreas Oberhofer, der sich mit Hofers schriftlicher Hinterlassenschaft beschäftigte, spricht dem „Sandwirt“ jegliche poetische Begabung ab.21 Hofer, von dem übrigens kein einziger Reim bekannt ist, ist als poetischer (Um-) Dichter eines (ihm bereits bekannten) Liedes nur äußerst schwer vorstellbar. Hildegard Herrmann-Schneider: „Andreas Hofer und die Tiroler Freiheitskämpfe als musikalisches Sujet. Ereignisse – Heldentum – Erinnerung“, in: Der Schlern 83 (2009), Heft 7: Juli, S. 4–52, hier S. 26. 20 Pizzinini: Andreas Hofer (wie Anm. 8), S. 297. 21 Andreas Oberhofer: Weltbild eines „Helden“. Andreas Hofers schriftliche Hinterlassenschaft, Innsbruck 2008 (Schlern-Schriften 342). 19 Ach Himmel, es ist verspielt 313 Lückenhafte Überlieferung Wann das Lied „Ach Himmel, es ist verspielt“ nun tatsächlich entstanden ist und ob es wirklich bloß eine Umdichtung des genannten niederländischen Liedes ist, ist unbekannt. Ludwig von Hörmann gibt in seiner Abhandlung zum Thema „Andreas Hofer im Volksliede“, die er in den Innsbrucker Nachrichten 1910 veröffentlichte, an, den ältesten Beleg des Textes in einem Brief aus dem Jahr 1818 gefunden zu haben.22 Da das Original verschollen ist, müssen wir uns auch in dieser Sache auf Hörmanns Schilderung verlassen. Er fand auf einem Blatt Papier, das zu einem Kuvert zusammengefaltet war, den Text des Liedes, wie er auch heute noch bekannt ist. Der Absender war ein unbekannter Mann, die Adressatin möglicherweise dessen Geliebte, eine „Jungfrau Anna Waldner, Dienstmagd bei Herrn Michel Bescheider, in Graun [im Vinschgau, Anm. d. Verf.]“. Der Brief wurde mit dem Vermerk „sehr dringet“ in Bozen aufgegeben. Dass es sich um einen Liebesbrief handelte, bezeugt der kurze beigefügte Spruch: „Und ich liewe dich so vest, wie der Bäum (seine Äst).“ Der in einer anderen Handschrift als die Adresse geschriebene Text weist nur unerhebliche Abweichungen vom eingangs zitierten Liedtext auf. Das Lied beginnt mit „Ach Himmel! Ich bin verspielt“. Hörmann gibt an, dass er erst mit Hilfe eines k. k. Postamtsvizedirektors das auf dem Brief angegebene Datum, den 18. November 1818, entziffern konnte. Nun könnte man an dieser Stelle schon Zweifel daran hegen, ob denn die Datumsangabe richtig gelesen wurde. Und angesichts der weiteren Überlieferungsgeschichte von „Ach Himmel, es ist verspielt“ mag dieser Zweifel auch gar nicht unangebracht erscheinen, denn die nächsten Belege für das Lied stammen erst aus dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. Im Jahr 1870 veröffentlichte Ludwig von Hörmann erstmals das Lied im Alpen-Freund, einer Zeitschrift für Alpenkunde, und merkte an: Es ist dies das einzige bekannte volksthümliche Andreas-Hofer-Lied, angeblich von ihm selbst in der Gefangenschaft verfaßt. Man hört es jetzt nur noch von alten Leuten, da das Mosen’sche Lied [„Zu Mantua in Banden“, die Verf.] größtentheils Eingang gefunden.23 Im Jahr 1884 fand „Ach Himmel, es ist verspielt“ als „Volkslied“ Eingang in Ludwig August Frankls Sammlung Andreas Hofer im Liede, aber ohne jegliche weitere Information.24 Im Jahr 1899 nahm der Tiroler Volksliedsammler Franz Friedrich Kohl (1851– 1924) das Lied in seine Sammlung Echte Tiroler-Lieder auf, und zwar mit dem Kommen tar: „Dieses schöne Lied wird heute noch da und dort gesungen, der Herausgeber fand es in so manchen handschriftlichen Textaufzeichnungen im Volke vor.“25 Im Jahr 1909 war das Lied auch Robert Franz Arnold und Karl Wagner bekannt. Sie veröffentlichten Hörmann: „Andreas Hofer im Volksliede“ (wie Anm. 4), S. 1. Eduard Amthor (Hg.): Der Alpen-Freund. Monatshefte für Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären und unterhaltenden Schilderungen aus dem Gesammtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genussvollen Bereisung derselben. In Verbindung mit hervorragenden Alpenkennern, 1. Band, 2. Heft, Gera 1870, S. 73. 24 Ludwig August Frankl (Hg.): Andreas Hofer im Liede, Innsbruck 1884, S. 110f. 25 Franz Friedrich Kohl (Hg.): Echte Tiroler-Lieder, Wien 1899, S. 253f. Siehe auch Tiroler Volksmusikverein / Südtiroler Volksmusikkreis (Hg.): Echte Tiroler Lieder. Ergänzte und kommentierte Neuausgabe der Tiroler Liedersammlungen von Franz Friedrich Kohl, 1. Band, Innsbruck – Wien 1999, S. 154f. 22 23 314 Kapitel 16 es in ihrer Sammlung von Kriegsliedern aus dem Jahre 1809 unter dem Titel Hofer vor dem Tode.26 Oswald Menghin hält 1912 fest, dass das Lied in vielen Varianten überliefert ist und sieht dies, wohl richtig, als Beweis für dessen Popularität an: „Es ist selbstverständlich, das bei einem Liede, das noch im Munde des Volkes allgemein lebt, eine Unzahl kleinere und größere textliche Abweichungen vorkommen müssen […]“.27 Seine unterschiedlichen Strophenmengen und die leichten Abwandlungen könnten tatsächlich auf ein oftmaliges variierendes Umsingen des Liedes und damit auf einen hohen Bekanntheitsgrad und eine längere Lebensdauer hinweisen. Fast alle oben genannten Autoren geben zudem an, dass „Ach Himmel, es ist verspielt“ in vielen Tälern Tirols „nach wie vor“ gesungen werde bzw. in Konkurrenz mit dem als neu empfundenen Lied „Zu Mantua in Banden“ stehe.28 Warum aber fehlt uns zwischen 1818 und 1870 jeglicher Hinweis auf Hofers Abschiedslied, wenn es doch angeblich so beliebt war und von der Bevölkerung gerne gesungen wurde? Warum findet sich keine einzige Aufzeichnung davon im Tiroler Volksliedarchiv, das ab 1905 infolge des Sammelunternehmens Das Volkslied in Österreich aufgebaut wurde und zahlreiche Liedaufzeichnungen aus der mündlichen Überlieferung des 19. Jahrhunderts enthält? Inhaltlich hätte sich das Lied zudem auch für die Darbietungen der Nationalsängergesellschaften geeignet, und trotzdem wurde „Ach Himmel, es ist verspielt“ nie in das Repertoire der fahrenden Tiroler Sängergruppen aufgenommen. Und warum kannte keiner der Volksliedsammler ab den 1830er-Jahren, wie Soltau, Ditfurth oder Hoffmann von Fallersleben, das Lied, obwohl sie von anderen Tiroler Liedern aus der Zeit um 1809 sehr wohl Kenntnis besaßen? Letztlich können wir diese Fragen nicht klären, bloß Mutmaßungen anstellen. Wenn wir davon ausgehen, dass Hörmanns Datierung des frühest bekannten Beleges von 1818 stimmt, d. h. Hofers Abschiedslied tatsächlich schon wenige Jahre nach seinem Tod als Volkslied kursierte, dann liegt es nahe, dieses Lied zu den Beispielen für die frühe Verehrung Hofers in Tirol zu zählen. Auch wenn es nur wenige Anhaltspunkte für eine Verehrung des Sandwirts als (National-)Helden so bald nach seinem Tod oder gar noch zu seinen Lebzeiten gibt, so können diese doch nicht gänzlich verschwiegen werden. Eine gezeichnete Apotheose auf Hofer als göttliche Figur vom Pater Benitius Mayr aus dem Jahr 1809 könnte zwar, wie der Historiker Bernhard Mertelseder anmerkt, auch als Karikatur interpretiert werden, aber ebenso als ein Beispiel für die frühe Verherrlichung Hofers.29 Die Rezeptionsgeschichte von Andreas Hofer und die Schritte der Wandlung seines Bildes vom aufständischen Rebellen zum „wehrlosen Opfer für höhere Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 3), S. 270f. Oswald Menghin: „Andreas Hofer im volkstümlichen Liede“, in: Anon. (Hg.): Anno Neun. Volkslieder und Flugschriften, Brixen 1912 (Bücherei des Österreichischen Volksschriftenvereins 5), S. 5–62, hier S. 50. 28 „Tirol hatte sich seine eigenen Lieder über den tragischen Untergang des Volkshelden geschöpft. Eines vor allem besteht heute noch rühmlich den Kampf mit Mosens Ballade. Es wird in allen Tälern Tirols, im letzten Winkel, wo vielleicht auch noch nicht einmal ‚Zu Mantua in Banden‘ hingedrungen ist oder nur zwischen den dumpfen Wänden der Notschulstube erklingt, gesungen“, schreibt Oswald Menghin in: „Andreas Hofer“ (wie Anm. 27), S. 47. Schon 1870 schrieb Ludwig von Hörmann: „Man hört es jetzt nur noch von alten Leuten, da das Mosen’sche Lied größtentheils Eingang gefunden hat“; siehe Amthor (Hg.): Der Alpen-Freund (wie Anm. 23), S. 73. 29 Bernhard Mertelseder: „Frühe Erinnerung an den ‚Freiheitskampf ‘“, in: Bernhard Mertelseder / Brigitte Mazohl / Johannes Weber (Hg.): 1809 – und danach? Über die Allgegenwart der Vergangenheit in Tirol, Bozen – Innsbruck – Wien 2009, S. 127–137, hier S. 128. 26 27 Ach Himmel, es ist verspielt 315 Ziele“, seine breitgefächerte politische Instrumentalisierung, seine Verehrung als großer „Nationalheld“ Tirols, die ohne Zweifel im hundertsten Jubiläum des Jahres 1809 ihren Höhepunkt erlebte, setzten rudimentär schon nach seinem Tod im Februar 1810 ein. Ein Beispiel dafür ist etwa die Schilderung des Priesters Giovanni Battista Manifesti, der bei der Erschießung Hofers zugegen war. Er bezeichnete Hofer als „unerschrockenen Märtyrer“, der als „wahrer christlicher Held“ in den Tod gegangen sei und förderte damit schon frühzeitig Hofers Märtyrer-Image, das ihm bis heute anhaftet.30 Später, als das Elend und die Schrecken des Kriegsjahres 1809 in Tirol nicht mehr so unmittelbar zu spüren waren, entwickelte sich – zumal ja Zeitzeugen immer noch lebten – eine auf Hofer bezogene Erzähl- und damit auch Erinnerungskultur, die sich anfangs auf den privaten Bereich beschränkte. Denn die Erinnerung an 1809, an den Aufstand und an Hofer war in der Öffentlichkeit unbeliebt. Der österreichischen Regierung galt Hofer als unliebsamer Unruhestifter, dessen Erinnerung in einer Zeit des politischen und gesellschaftlichen Umbruchs, neuer politischer Ideen und sich neu formierender politischer Kräfte zu revolutionären Handlungen anstiften könnte. Dementsprechend zensurierte die österreichische Regierung z. B. frühe idealisierende Theaterstücke über Hofer und favorisierte sehr viel mehr die ebenso gerne in Umlauf gebrachten negativen Gerüchte um Hofer: Er sei militärisch unfähig gewesen und habe einen Hang zum Alkoholismus gehabt. Klaus Nutzenberger und Bernhard Mertelseder konstatierten beide, dass die Erinnerung an 1809 von staatlicher Seite „verdunkelt“ wurde.31 Ersterer spricht gar von einer „damnatio memoriae“, der Verdammung der Erinnerung.32 Demgegenüber verbreitete sich schon 1809 ein positives Bild von Andreas Hofer im Ausland, das vor allem in den Jahren der deutschen Befreiungskriege von 1813–1815 an Popularität zulegen konnte.33 Dies verdeutlichen unter anderem die zahlreichen Gedichte und Lieder von deutschen Dichtern wie Theodor Körner, Friedrich Rückert, Max von Schenkendorf etc. Auch der Tourismus in Tirol, der spätestens in den 1820er-Jahren einsetzte, erhielt durch Hofers Popularität einen bedeutenden Schub. In dem seit 1835 geführten Gästebuch des Sandhofs, des Hauses von Andreas Hofer in St. Leonhard in Passeier, ist die eindrucksvolle Liste der in- und ausländischen Besucher dokumentiert.34 Zahlreiche überlieferte (teils auch übertriebene?) Episoden aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigen, wie das Bild Andreas Hofers den meist englischen35 und deutschen Touristen vermittelt wurde und dass die Art der Vermittlung auf den touristischen Markt ausgerichtet war.36 In diesem Zusammenhang stellt Bernhard Mertelseder fest, dass das Bild von „Anno Neun“, das man in Tirol für den Tourismus entwarf, letztlich auch für das Selbstbild der Tiroler nicht unerheblich war: Ebd. Ebd., S. 129. 32 Klaus Nutzenberger: Das Bild Andreas Hofers in der historischen literarischen und künstlerischen Rezeption des 19. und 20. Jahrhunderts, Dissertation, Universität Münster 1998, S. 140. 33 Siehe besonders Kapitel 17 in diesem Band. 34 Mertelseder: „Frühe Erinnerung“ (wie Anm. 29), S. 129. 35 Siehe dazu vertiefend Laurence Cole: „Echos von 1809: Der Tiroler Aufstand in der britischen Erinnerungskultur des 19. Jahrhunderts“, in: Brigitte Mazohl / Bernhard Mertelseder (Hg.): Abschied vom Freiheitskampf ? Tirol und ‚1809‘ zwischen politischer Realität und Verklärung, Innsbruck 2009 (SchlernSchriften 346), S. 295–324. 36 Mertelseder: „Frühe Erinnerung“ (wie Anm. 29), S. 132. 30 31 316 Kapitel 16 Die Wertschätzung und die Beachtung, die den Tirolern entgegengebracht wurden, erweckten sicherlich auch das Interesse an den Ereignissen von 1809 bei den Einheimischen selbst und gleichzeitig das Bedürfnis, sich den Erwartungen des „Publikums“ entsprechend zu produzieren und zu präsentieren. Doch andererseits wurde dieses Bild wiederum in einer Situation sozialer Interaktion von außen reflektiert, in einer Vis-a-vis-Situation quasi als Spiegelbild wieder auf die Tiroler zurückgeworfen.37 Mithilfe der Tiroler Nationalsänger, die ab den späten 1820er-Jahren Europa und Amerika bereisten, konnte sich das künstliche Bild des freiheits- und naturliebenden, jodelnden und gutgelaunten Tirolers noch weiter verbreiten.38 Zwei Ereignisse des Jahres 1823 zeigen, dass die Erinnerung an Hofer etwa ab diesem Zeitpunkt eine offiziösere Note erhielt als in den Jahren zuvor, als eine ungelenkte mündliche Erzählkultur von „Anno Neun“ dominierte. Zum einen ist dies die 1823 erfolgte Gründung des Tiroler Nationalmuseums in Innsbruck, das heute als Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum bekannt ist. Dort fanden sich von Beginn an unter den Ausstellungsstücken auch Gegenstände aus Hofers persönlichem Besitz („Hoferiana“). Mertelseder betont, dass die Präsentation dieser „Reliquien“ weniger einen mythischen als vielmehr eine „kuriosen“ Charakter hatte.39 Zum anderen wurden im selben Jahr Hofers Gebeine in Mantua durch Tiroler Kaiserjäger exhumiert, was zu einer offiziellen Stellungnahme seitens der österreichischen Regierung führte. Eine nur kurze zensurierte Zeitungsmitteilung, in der Hofer zwar als „Vaterlandsverteidiger“ bezeichnet wird, steht im Widerspruch zu der regen Anteilnahme an der Beisetzung seiner Überreste in der Hofkirche.40 Etwa zeitgleich kam die Idee auf, Andreas Hofer in der Hofkirche ein Denkmal zu setzen – 1834 fand seine Einweihung statt.41 Die weiteren Stationen der zur Mythifizierung werdenden Erinnerung an Hofer würden uns an dieser Stelle zu weit von der eigentlichen Thematik wegführen. Zusammenfassend sei aber festgehalten, dass die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts von einer weitreichenden, auch politisch instrumentalisierten Intensivierung des „Anno Neun-Mythos“ geprägt ist.42 In der Tiroler Literatur zwischen 1815 und 1848 spiegelt sich das zunehmende Interesse am Mythos 1809 ab den 1820er-Jahren wider. Josef Feichtinger spricht von einer auffallenden etwa zehnjährigen Lücke zwischen 1810 und 1820, in der Hofer und 1809 als literarischer Stoff verdrängt und von den österreichischen Behörden zensuriert wurde.43 Etwa zeitgleich mit der erzwungenen „Öffentlichkeitsarbeit“, die die Wiener Zentrale wegen des Begräbnisses von Hofers Überresten betreiben musste, trieb die tirolische patriotische Dichtung ihre ersten Blüten und scheute dabei den Topos des Sandwirts nicht. Viele Gedichte und Theaterstücke von Zeitgenossen wie Beda Weber, Ebd., S. 133. Siehe Kapitel 14 in diesem Band. 39 Mertelseder: „Frühe Erinnerung“ (wie Anm. 29), 136f. 40 Bernhard Mertelseder: „Beginn einer öffentlichen Gedenkkultur“, in: Mertelseder/Mazohl/Weber (Hg.): 1809 – und danach? (wie Anm. 29), S. 147–162, hier S. 151. 41 Ebd., S. 152–155. 42 Bernhard Mertelseder: „Vom Freiheits- zum Glaubenskampf“, in: Mertelseder/Mazohl/Weber (Hg.): 1809 – und danach? (wie Anm. 29), S. 163–173. 43 Feichtinger (Hg.): Tirol 1809 (wie Anm. 3), S. 46–63. Zu den Tätigkeiten der geheimen Staatspolizei im Tiroler Vormärz siehe Michael Forcher: Die geheime Staatspolizei im vormärzlichen Tirol und Vorarlberg, Dissertation, Universität Innsbruck 1966. 37 38 Ach Himmel, es ist verspielt 317 Kaspar von Wörndle, Alois Weißenbach, Johann Senn und vielen anderen geben eindrückliche Beweise dafür. Wohlgemerkt handelte es sich bei dieser Lyrik überwiegend um Gedichte mit vaterländischem Pathos, die für die österreichischen Behörden einen zu starken nationalistischen Beigeschmack trugen.44 Spätere Spuren des Tiroler Nationalhelden Die beiden Lieder „Ach Himmel, es ist verspielt“ und „Zu Mantua in Banden“ zählen zu den wenigen Liedern des österreichischen Vormärz, in denen das Bild des Heroen Hofer in seinen unterschiedlichen Dimensionen sichtbar wird. Im Tiroler Volksliedarchiv in Innsbruck liegen weitere Lieder auf, die um 1900 aufgezeichnet wurden, wohl aber schon älter sind. Aus dem Jahr 1894 stammt die Aufzeichnung eines Liedes, das inhaltlich sehr an „Ach Himmel, es ist verspielt“ erinnert: 1. So ist’s mit mir halt aus, Um 11 Uhr muaß i sterbn I muaß den Wall da drauß’ Mit meinem Herzblut färb’n. /: I muaß sterbn als wie in Schand So weit vom Heimatland. :/ 2. O liebes Jesuherz Steh bei mir armen Sünder, Und lindre du den Schmerz Von Weib und von die Kinder. /: Beim Sterbn thu beistehn mir Und nimm mein Seel zu dir. :/ 3. O liebes Land Tirol, Für den i oft gestritten, So leb ja tausend wohl! I werd schon den Herrgott bitten, /: Daß er stets eingedenkt, Daß du d’ ihm hast geschenkt. :/ 4. O lieber Koaser Franz, Wie thuet’s mir dein verschmochen! O lieber Herzog Hans, Bist a schon ganz gebrochen! /: Gott schütz’ Enk beide treu Und Frieden bald verleih’. :/ 5. Ös meine treuen Freund’ Und tapfre Kampfgenossen, Wenns derfragt, daß heunt Der Sandwirt ward derschossen: /: Vergeßt beim Rosenkranz In Anderle nit ganz. :/ Feichtinger (Hg.): Tirol 1809 (wie Anm. 3), S. 72. 44 318 Kapitel 16 6. O treastet’s Weib und Kind Und treastet die arme Nandl, Und treastet s’ Hausgesind, Sorgt’s für den Kajetanl /: Und sagt’s dem Raffel an Daß i ihm verziehen han. :/ 7. Dreiviertel ist es schon, Die Trummel wird schon g’rühret, Jetzt kommt das Batallion, Das mich zum Sterben führet /: Ade, o schnöde Welt, Jetzt fürschli und frisch ung’stellt. :/ 8. Grüß Gott, ihr Grenadier’, Müaßt ös mi gern derschießen, Geahts, sagt’s mir nur geschwind, Wo werd’ i hinstehn müaßen. /: Geaht’s reart nit, schamt’s Enk decht, Mir ist das Sterben recht. :/ 9. O liebe Himmelsfrau, O Königin Maria, Du gnädig niederschau Auf mich, den armen Sünder. /: Führ mich in Himmel ein, Dort werd’ ich glücklich sein. :/45 Inhaltlich schildert das Lied, das laut Arnold und Wagner 1894 von einem unbekannten Innsbrucker Professor aufgezeichnet wurde,46 dieselbe Situation wie das bekannte „Ach Himmel, es ist verspielt“: Hofers Gedanken vor seiner Erschießung in seiner Zelle, seine letzten Worte, die er an seine Frau, seine Kinder, seine Mitstreiter und sogar an seinen Verräter, Franz Raffl, richtet. Die Detailtreue der Strophen – tatsächlich wurde Andreas Hofer um 11 Uhr aus seiner Zelle geholt – fällt ebenso auf wie der fünfte Vers der siebten Strophe: „Ade, o schnöde Welt!“. Diesen Ausruf formulierte Andreas Hofer selbst in seinem letzten Brief an seinen Freund Vinzenz Pühler: „Ade mein schnede Welt, so leicht khombt mir das sterben vor, das mir nit die augen nasß werden.“47 In einem 1881 zusammengestellten Liederheft aus Sarnthein findet sich ein weiteres Andreas-Hofer-Lied, das den Titel Der Wirt vom Sand 48 trägt. Hierbei handelt es sich um ein stilisiertes Trauerlied über den Verlust des charismatischen Hofer und über sein unbescholtenes, bescheidenes Leben. Der anonyme Dichter zeichnete dabei ein idylArnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 3), S. 463f.; handschriftlich im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck (im Folgenden: TLMF), FB 2103/52 (hier die Notiz, dass das Lied am 10. September 1894 in Walten im Passeiertal aufgezeichnet wurde); erster Druck bei Emil Karl Blümml: „Andreas Hofer-Lieder“, in: Die Kultur Wien 10 (1909), S. 91–94, hier S. 93. Siehe auch Liedindex, Nr. 56. 46 Arnold/Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun (wie Anm. 3), S. 462. 47 Andreas Oberhofer: Weltbild eines „Helden“. Andreas Hofers schriftliche Hinterlassenschaft, Innsbruck 2008 (Schlern-Schriften 342), S. 613. 48 Tiroler Volksliedarchiv, Innsbruck (im Folgenden TVA), A 8172, Ort der Aufzeichnung: Sarnthein, Liederheft des Josef Kienzl, 1881, gesammelt von Klara Pölt-Nordheim. Siehe auch Liedindex, Nr. 133. 45 Ach Himmel, es ist verspielt 319 lisches Bild vom Passeiertal, der Lebensumgebung Hofers. Es verwundert nicht, dass dieses Lied Eingang in das Repertoire der Tiroler Nationalsängergesellschaften fand.49 Mit den oben angeführten Liedern, ebenso wie mit den weiteren Liedern Andreas-HoferMarsch,50 Tiroler Adler, flieg auf vom Nest 51 und Grüaß Gott Euch Herrn und Frauen all 52 lehnen wir uns schon ein Stück zu weit über den für diese Untersuchung gesteckten Zeitrahmen von 1796–1848 hinaus. Sie alle wurden mit größter Wahrscheinlichkeit erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gedichtet und gesungen. Der nachfolgende Liedtext, der erst im Laufe der Forschungen zur vorliegenden Publikation ans Tageslicht kam, stammt jedoch aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sein einziger bislang bekannter Beleg findet sich im Tiroler Volksliedarchiv in einem handschriftlichen anonymen Gesangbuch aus St. Johann in Tirol, das die Datierung 1852 trägt: Der Hofer, der Sandwirth. 1. Hört Freunde last uns singen, Von den Landsturm in Tirol Last dem Mann Ehr uns bringen, Wem es gilt weiß jeder wohl. 2. Unsern Hofer soll es gelten, Der, der Thaten Lohn genießt, Und nun Wohnt in bessern Welten, Wo kein Leidens Thräne flüßt. 3. Hoch in dem Passeier Thale, Lebt der Mann mit deutschem Sinn, Einfach wie die Alten alle, Nur den Sandwirth nent man ihn. 4. Er ein Mann mit Geist und D[?]egn Ohne Falsch und ohne List, Siehe Kapitel 5 in diesem Band. Handschriftliches Liederbuch des H. Hinterwalder, o. J. (TVA, A 8941). Siehe auch Liedindex, Nr. 94. 51 „Tiroler Adler, flieg auf vom Nest! / Flieg auf vom Sandwirtshaus. / Es zieht ein Tannwald / Stolz und fest / Passeirer Männer aus. / Die Trommel dumpf, die Schwegel laut; / Der Kaiser hat auf sie gebaut. / Die Fahne weiß auf Maiengrün, / Der Adler drauf ist rot, / Im Süden dunkle Bilder ziehn / Gilt’s Leben oder tot? / Klag nicht du stolzes Schützenweib, / Mir ist als gings zum Zeitvertreib“ (TVA, A 8323, aufgezeichnet von Josephus Weber, Schwaz, 9. November 1916, mitgeteilt durch Therese Lechner). Siehe auch Liedindex, Nr. 134. 52 „1. Grüaß Gott, euch Herrn und Frauen all, wir reichen euch die Hand. / Wir kommen aus dem Passeiertal, das ist euch wohlbekannt. / Da lebte Andreas Hofer einst, der treue Wirt von Sand, / er starb als Held für Gott und auch fürs liebe Vaterland. / 2. Was dieser Held einst hat getan, das wissen wir alle gut, / er gab für das Haus Österreich sein Leben und sein Blut. / Steht nicht im Tempel Gottes da sein Heldenehrenmal? / Zu diesem Bild, da ziehn wir hin; – treu bleibt das ganze Tal. / 3. Wir sind nicht wenig stolz darauf, daß wir Passeirer sind, / denn unsres Hofers Heldenlauf weiß fast ein jedes Kind. / Und ist er auch schon tot, sein Geist für uns noch immer lebt, / was uns, Passeirer, kräftig macht, zum Kampfe stets erhebt. / 4. Kommt einmal noch zum Krieg und Streit unser Volke mit dem Feind, / dann sind wir wiederum all bereit wie achtzehnhundertneun, / zu kämpfen und zu streiten dann ein jeder Hand in Hand, / der Tod für Kaiser und wohl auch fürs liebe Vaterland“; siehe Alfred Quellmalz: Südtiroler Volkslieder. Band 1: Balladen, Schwankballaden, Moritaten, historische Lieder, ältere Soldatenlieder, Ständelieder, Bauern und Knechte, Kassel u. a. 1968, S. 159 (mit Melodie); handschriftlich überliefert im TLMF, FB 2103/52 (Aufzeichnung aus Walten bei St. Leonhard in Passeier, 10. September 1894). Siehe auch Liedindex, Nr. 28. 49 50 320 Kapitel 16 Ging er stets auf graden Wegn, Wie es deutsche Sitte ist. 5. Und die wilden fränk’schen Krieger, Schlug er dreimal aus dem Land, Blieb bei Hall und Innsbruck Sieger, Stelte Manchen in den Sand. 6. Er schoß gut und zielte sicher, Wie einst Tell in seiner Schweitz, Und wie Friederich seinen Blücher Gab ihm Franz das Golden Kreuz.53 7. Und mit seinen treuen Bauern, Aller Weg und Steg bekant, Stürmt er über Schanz und Mauern, Unaufhaltsam durch das Land. 8. Und als nach dem Blut’gen Streite Franz mit Frankreich Friede schloß, Da gabs wieder frische Beute, nach Tirol gings wieder Los. 9. Zahlos über Feld und Auen Kamen sie nun nach Tirol, Siegestrunken Stolz wie Pfauen Dennoch war ihr Maas nicht voll. 10. Hofer sprach zum Volke: Brüder, Geht nach Haus, es thut mir Leid, Und legt eure Waffen [?] nieder, Bis zu einer bessern Zeit. 11. Auf der höchsten Berges Spitzen In ein Hütt mit Stein bedeckt, floh er hin der brafe Schütze, Und hielt dorten sich versteckt. 12. Doch ein Schurk hat ihn verrathen Für den Blutigen Gewinn, 26. Dzb. 80954 Und für Hundert Gold DukatenFrz Rfl55 Führt er die Franzosen hin. 13. Und nun schlebten sie den Brafen, Ueber Feld und Berge hin, Ketten tragent wie die Schlafen56 Muste er nach Mantua ziehen. Damit dürften zum einen der preußische König Friedrich Wilhelm III. (1770–1840) und Gebhard Leberecht von Blücher (1742–1819) gemeint sein. Letzterer spielte in den Befreiungskriegen in militärischen Führungspositionen eine bedeutende Rolle; siehe Hans Haussherr: „Blücher von Wahlstatt, Gebhard Leberecht Fürst“, in: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 317–319 (Onlinefassung); http:// www.deutsche-biographie.de/sfz35354.html (17. 07. 2013). Blücher wurde 1814 mit einem extra für ihn angefertigten Eisernen Kreuz mit goldenen Strahlen geehrt. 54 26. Dezember 1809. 55 Kürzel für Franz Raffl, der Soldaten zum Versteck von Andreas Hofer führte und ihn somit auslieferte. 56 Hier dürften wohl „Sklaven“ gemeint sein. 53 Ach Himmel, es ist verspielt 321 14. Voll vertrauen Gott ergeben, Und mit heiterem Gesicht, Wie in seinem ganzen Leben Stelt er sich vors Kriegsgericht. 15. Gern will ich von hinnen Scheiden Gern sprach er dem Tod mich weihe Lieber will ich zehnfach Leiden Als ein Sklave Frankreichs sein. 16. Jenseits find ich deutsche wieder, Frei vom fremden Joch und Schmerz Ohne Wanken kniet er nieder Und die Kugel traf das Herz. den 20. Jnner 81057 17. Nach der Zeit dem Schmerz zu lindern, Wohl gewogen unserm Land, Nahm ihn Franz nebst seinen Kindern Auf in Östreichs Adelsstand. 18. Franz ließ seine über Reste Bringen her von Mantua, Und in Innsbruck hielt man Feste die man nun gar selten sah.58 Mehrere Formulierungen ermöglichen Vermutungen über die Herkunft und den Entstehungszeitpunkt des Liedes. Die hochdeutschen Verse und die Begriffe „Schurke“ für den „Verräter Hofers“ Franz Raffl deuten meines Erachtens eher auf einen deutschen Verfasser hin, wobei eine Tiroler Verfasserschaft nicht auszuschließen ist. Die Vergleiche Hofers mit dem preußischen Feldmarschall Blücher und mit Wilhelm Tell, dem sagenhaften „Freiheitskämpfer“ der Schweiz im 14. Jahrhundert, sind weitere Indizien dafür, dass das Lied außerhalb Tirols entstanden ist. Hofer mit Tell gleichzusetzen ist keine Erfindung des anonymen Dichters, sondern war spätestens seit 1830 vor allem in Großbritannien ein gängiges Sujet. In diesem Jahr brachte beispielsweise James Robinson Planché ein Stück mit dem Titel Hofer, the Tell of the Tyrol auf die Bühne des Theatre Royal in London. Als Grundlage für seine Umarbeitung diente ihm die Oper Wilhelm Tell von Gioachino Rossini (1792–1868). Dass die Sagengestalt Wilhelm Tell und Andreas Hofer trotz ihrer zeitlichen Distanz aufgrund ihrer vergleichbaren politischen Ziele (nämlich der Kampf für Freiheit) gerne zueinander in Beziehung gesetzt werden, liegt mit Sicherheit auch an der alpenländischen Umgebung dieser beiden Heldenfiguren. Tirol und die Schweiz wurden nicht selten gleichgesetzt. Eine Verbindung zwischen Tell, Blücher und Hofer herzustellen lag einem Tiroler Dichter des 19. Jahrhunderts mit Sicherheit nicht sehr nahe. Tatsächlich war es aber der 20. Februar 1810. TLMF, FB 35387/3, S. 1–3. Siehe auch Liedindex, Nr. 105. 57 58 322 Kapitel 16 Abb. 2: Die handschriftliche Aufzeichnung des Liedes Der Hofer, der Sandwirth (Beginn) in einem Gesangbuch aus der späten ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 35387/3, S. 1). Ach Himmel, es ist verspielt 323 Fazit Kehren wir zum Ausgang unserer Überlegungen zurück. Wenn wir uns Ludwig von Hörmanns früher Datierung des Liedes „Ach Himmel, es ist verspielt“ mit 1818 anschließen, dann zählt es zu den frühesten „Erinnerungen“ an Hofer in Liedform. Möglicherweise ist der „Sterbegesang“ Hofers ein Beweis für eine mündliche Erzählkultur, in der sich bereits das Märtyrer- und Heldenhafte von Hofer in Ansätzen manifestierte, auf jeden Fall aber die Erinnerung an ihn weitergetragen wurde. Zieht man jedoch Hörmanns Datierung in Zweifel, dann entstand das Lied wahrscheinlich erst etwa zur Mitte des 19. Jahrhunderts, sicherlich vor 1870, als es zum ersten Mal gedruckt wurde. Für ein endgültiges Urteil über die Entstehungszeit reicht die Quellenlage nicht aus. Die in diesem Kapitel behandelten Lieder gehören nicht zur Kategorie der politischen Lieder von zeitgenössischer Relevanz, sondern stammen aus der Phase der Hochstilisierung Hofers und des im Laufe des 19. Jahrhunderts zum „Freiheitskampf “ idealisierten Aufstandes von 1809. Vor allem anhand literarischer Produktionen des Vormärz lässt sich Hofers Glorifizierung und die Mythifizierung seiner Taten und seines Charakters gut nachzeichnen. Auffallend ist dabei die große Menge an Gedichten, Dramen, Theaterstücken und Opern und im Gegensatz dazu die verschwindend geringe Anzahl von Liedern, wobei davon auszugehen ist, dass viele nur mündlich überlieferte Lieder der Vergessenheit anheimfielen. Die eigentliche Hochphase von Liedern über Hofer und den Aufstand von 1809 beginnt erst mit dem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einhergehenden Kult um Andreas Hofer, der mit der Jahrhundertfeier 1909 seinen Höhepunkt erreichte. Dutzende Schützenlieder wurden auf Hofers sagenhafte Tapferkeit, auf die Schlachten am Bergisel und den „Adler von Tirol“ gedichtet und gesungen. Nun liegen all diese Lieder aber nicht nur außerhalb des Untersuchungszeitrahmens dieses Forschungsprojektes, sondern es stellt sich auch die Frage, ob es sich bei ihnen um Lieder von politischem Charakter handelt. „Ach Himmel, es ist verspielt“ kann insofern zu dieser Kategorie gezählt werden, als es uns von einer politischen Figur, deren Bedeutung selbst 1809 nicht nur auf Tirol und Österreich beschränkt war, berichtet. Seine Rezeptionsgeschichte gewährt uns Einblick in die Erinnerungskultur eines für die Tiroler Gesellschaft bedeutenden politischen Ereignisses. Die bis heute am Leben erhaltene Legende, „Ach Himmel, es ist verspielt“ sei von Andreas Hofer in den letzten Tagen seines Lebens in Mantua im Gefängnis gedichtet worden, ist allerdings das Ergebnis einer Erinnerungskultur, die ein idealisiertes Bild von Hofer vermitteln wollte. Kapitel 17 „Mit dem verrathnen deutschen Reich!“. Das Andreas Hofer-Lied („Zu Mantua in Banden“) Sandra Hupfauf Andreas Hofer. Zu Mantua in Banden Der treue Hofer war, In Mantua zum Tode Führt in der Feinde Schaar; Es blutete der Brüder Herz, Ganz Deutschland, ach, in Schmach und Schmerz! Mit ihm das Land Tyrol! Die Hände auf dem Rücken Andreas Hofer ging Mit ruhig vesten Schritten, Ihm schien der Tod gering; Der Tod, den er so manchesmal Vom Iselberg geschickt in’s Thal Im heiligen Land Tyrol! Doch als aus Kerkergittern Im vesten Mantua Die treuern Waffenbrüder Die Händ’ er strecken sah, Da rief er laut: Gott sei mit euch, Mit dem verrathnen deutschen Reich Und mit dem Land Tyrol! Dem Tambour will der Wirbel Nicht unterm Schlägel vor, Als nun Andreas Hofer Schritt durch das finstre Thor. Andreas noch in Banden frei, Dort stand er vest auf der Bastei, Der Mann vom Land Tyrol. Dort soll er niederknien; Er sprach: das Thu’ ich nitt! Will sterben, wie ich stehe, Will sterben, wie ich stritt, So wie ich steh’ auf dieser Schanz Es leb’ mein guter Kaiser Franz, Mit ihm sein Land Tyrol! Und von der Hand die Binde Nimmt ihm der Korporal Andreas Hofer betet Allhier zum letztenmal; 326 Kapitel 17 Abb. 1: „Zu Mantua in Banden“, in: Friedrich Silcher / Friedrich Erk (Hg.): Allgemeines Deutsches Kommersbuch, Lahr 1858, S. 124f. (Onlinefassung); http://commons.wikimedia.org/wiki/File:De_Schauenburg_Allgemeines_Deutsches_Kommersbuch_063.jpg (16. 11. 2012). Andreas Hofer („Zu Mantua in Banden“) 327 Dann ruft er: nun so trefft mich recht! Gebt Feuer! Ach, wie schießt ihr schlecht! Ade, mein Land Tyrol!1 Die unterschiedlichen Facetten der Tiroler Landeshymne „Zu Mantua in Banden“ wurden schon von vielen Seiten beleuchtet.2 Es gibt mehr oder weniger ausführliche Biografien über den Textdichter Julius Mosen (1803–1867), der sein Gedicht Sandwirth Hofer (oder auch Andreas Hofer) laut eigenen Angaben im Jahr 1831 schrieb.3 Zudem erschienen mehrere Aufsätze über Leopold Knebelsberger (1814–1869), die viele Details aus dem Leben des Komponisten, der das Gedicht um 1844 vertonte, ans Licht brachten.4 Dazu kommen noch etliche Publikationen, die das Thema „Zu Mantua in Banden“ streifen, sich im Wesentlichen aber immer auf die gleichen Quellen stützen.5 Einzig Roland Girtler erregte Aufsehen, als er das Umfeld des ursprünglich jüdischen Julius Mosen in der Burschenschaft von Jena durchleuchtete und die deutschnationale Gesinnung unter den Studenten der Zeit beschrieb.6 Aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse griff erst Gerlinde Haid auf, als sie in einem Aufsatz von 2002 den Umstand thematisierte, dass die Tiroler Landeshymne im Bundesland Tirol zwar gesetzlich geschützt ist, seit jeher jedoch sozialistische Kontrafakturen des Liedes im Umlauf sind.7 Zwei Jahre später kommentierte sie in einem Artikel die Anbringung einer missverständlichen Gedenktafel für den Komponisten Leopold Knebelsberger in Innsbruck.8 In diesem Zusammenhang war kurz vorher ein Büchlein des Heimatkundlers Martin Reiter erschienen, in dem er behauptete, Knebelsberger habe „zum Kreis um die Nationalsänger Rainer“ aus dem Zillertal gehört, was nur äußerst bedingt den Julius Mosen: Gedichte, Leipzig 1836, S. 71f. Siehe auch Liedindex, Nr. 68. Kurt Drexel: „Von ‚Zu Mantua in Banden‘ bis ‚Zu Bantua in Manden‘“, in: Johann Holzner / Brigitte Mazohl / Markus Neuwirth (Hg.): Triumph der Provinz. Geschichte und Geschichten 1809–2009, Innsbruck 2012, S. 213–230; Sigurd Paul Scheichl: „Das Andreas-Hofer-Lied. Zum 200. Geburtstag des Dichters Julius Mosen“, in: Der Schlern 77 (2003), Heft 8/9: August/September, S. 115–122. 3 Brief von Julius Mosen an Ludwig Christian Erk, 8. Juni 1862 (Staatsbibliothek zu Berlin, Mus.MS.Erk A. 224,34). Erstveröffentlichung des Gedichts: Julius Mosen: Sandwirth Hofer, in: Adalbert von Chamisso / Gustav Schwab (Hg.): Deutscher Musenalmanach für das Jahr 1833, Leipzig 1833, S. 130f. 4 Dieter Seidel: Julius Mosen: Leben und Werk – eine Biographie, Lappersdorf 2003; Hans-Wolf Jäger: „Mosen, Julius“, in: Neue Deutsche Biographie 18 (1997), S. 171f. (Onlinefassung); http://www.deutsche-biographie.de/pnd118584375.html (13. 07. 2012); F. F. Stapf: Julius Mosen. Der Vogtländer Dichter des Andreas-Hofer-Liedes, Lappersdorf bei Regensburg 1995; Magda Strebl: „Der Komponist des Andreas-Hofer-Liedes Leopold Knebelsberger aus Klosterneuburg“, in: Heinz Hauffe (Hg.): Kulturerbe und Bibliotheksmanagement. Festschrift für Walter Neuhauser zum 65. Geburtstag am 22. September 1998, Innsbruck 1998 (Biblos Schriften 170), S. 393–405. 5 Z. B. Max Zschommler: „Julius Mosen, ein hervorragender Sohn des Vogtlandes“, in: Bunte Bilder aus dem Sachsenlande, 1. Band, Leipzig 1898, S. 275–282. 6 Roland Girtler: „Julius Mosen (1803–1867). Jüdischer Burschenschaftler in Jena und Dichter des Andreas Hofer-Liedes“, in: Alemannia Studens 10 (2000), S. 31–33. 7 Gerlinde Haid: „‚Zu Mantua in Banden …‘ – Eine Aufregung um die Tiroler Landeshymne aus dem Jahr 1993“, in: Gisela Probst-Effah / Wilhelm Schepping / Reinhard Schneider (Hg.): Musikalische Volkskunde und Musikpädagogik. Annäherungen und Schnittmengen. Festschrift für Günther Noll zum 75. Geburtstag, Essen 2002 (Musikalische Volkskunde – Materialien und Analysen 15), S. 91–107. 8 Gerlinde Haid: „‚Zu Mantua in Banden der treue Hofer war‘ – Bemerkungen zum Andreas Hofer-Lied“, in: Der Vinschger 4/04, 26. Februar 2004 (Onlinefassung); www.dervinschger.it/artikel.phtml?id_artikel =2796 (25. 08. 2013). 1 2 328 Kapitel 17 Tatsachen entspricht.9 Die Abhandlungen von Gerlinde Haid sind mit Sicherheit die aussagekräftigsten zum Thema „Tiroler Landeshymne“. Im „Gedenkjahr“ 2009 kam es zu einer Reihe von Publikationen, Projekten und Ausstellungen, die sich mit der Person Andreas Hofer und auch mit dem Andreas HoferLied befassten.10 Ein Jahr später wurde die Tiroler Landeshymne von Ulrike Aichhorn und Stefan Jeglitsch im Rahmen einer rechtswissenschaftlichen Abhandlung über Hymnen erörtert.11 Allerdings wird in keiner der erwähnten Veröffentlichungen das kul turelle oder politische Umfeld des Komponisten und des Autors gebührend berücksichtigt und in die Überlegungen zur Landeshymne mit einbezogen. Eher unterbelichtet ist die Tatsache, dass Leopold Knebelsberger zeitlebens als Berufssänger arbeitete und mit diversen Gesellschaften durch Europa zog, während Julius Mosen von der Ideologie der nationalen Bewegung in Deutschland geprägt war. Beide Hintergründe, das Phänomen der Nationalsängergesellschaften und die politische Vereinnahmung von Andreas Hofer durch die deutschnationale, vor allem studentische Bewegung prägen die Rezeptionsschienen des Liedes bis heute. Die studentische Bewegung in Jena – Julius Mosen und andere Dicher von Andreas-Hofer-Liedern Der heldenmüthige Kampf der Tyroler bewies, was selbst ein kleiner Haufen vermag, der sein Vaterland liebt. Die Thaten eines Dörnberg, Braunschweig, Schill, aus muthigem aufopferungsfähigem Patriotismus hervorgegangen, erweckten in allen vaterländisch fühlenden Herzen und insbesondere bei der deutschen Jugend die lebhafteste Sympathie und Begeisterung.12 Die Beteiligung der Studenten an den antinapoleonischen Befreiungskriegen 1813– 1815 war besonders im Norden Deutschlands enorm. Auch wenn die neuere historiografische Forschung den „Mythos vom Befreiungskrieg“ in Frage gestellt hat, so waren es doch vor allem die Studenten, die sich oft freiwillig zum militärischen Einsatz meldeten. Nach dem Sieg über Napoleon waren es auch wiederum Studenten, die ein freies „deutsches Vaterland“ und politische Mitsprache einforderten. „Freiheit und Einheit“ war das erklärte Ziel der Anhänger des liberal-revolutionären Lagers, das zur Vorbereitung der Revolution von 1848 maßgeblich beitrug. Der erfolgreiche Kampf der Tiroler wurde dahingehend gedeutet, dass auch eine kleine Gruppe Menschen etwas Großes bewirken könne, wenn nur die „Liebe zum Vaterland“ stark genug sei. Die „Vaterlandsliebe“ war ein grundlegender ideologischer Wert der deutschen Burschenschaft in Jena, in deren Kontext das oben angeführte Zitat der Jenaer Burschenschaftsforscher Robert und Richard Keil von 1883 entstand. Es zeigt sich hier in hohem Maße auch die Hinwendung zum Begriff des „deutschen Volkes“, der in Gegensatz zum französischen, nämlich Martin Reiter: Zu Mantua in Banden. Die Tiroler Landeshymne, Reith im Alpbachtal 2003. Einen Überblick dazu bietet Wolfgang Meighörner (Hg.): Hofer Wanted. Ausstellung Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum Innsbruck, 24. April 2009 – 15. November 2009, Innsbruck 2009. 11 Ulrike Aichhorn: „Landeshymne Tirol“, in: Ulrike Aichhorn / Stefan Jeglitsch (Hg.): Österreichische Hymnen im Spiegel der Zeit. Geschichte und Geschichten von Bundes-, Landes-, Europa- und inoffiziellen Hymnen, Wien 2010, S. 219–238. 12 Robert Keil / Richard Keil: Die Gründung der deutschen Burschenschaft in Jena, Jena 1883, S. 40. 9 10 Andreas Hofer („Zu Mantua in Banden“) 329 politischen „Volk“-Begriff („la nation“), letztlich ein romantisch geprägter völkischer Begriff war.13 Die studentische Bewegung in Jena wurde sehr von Intellektuellen und Literaten mitgetragen und gipfelte in der Gründung der „Urburschenschaft“ 1815, nach deren Vorbild viele weitere Burschenschaften entstanden. Bereits ein Jahr nach ihrer Gründung wurde ein studentischer Sängerchor eingerichtet. Ernst Moritz Arndt (1769–1860), Friedrich Rückert (1788–1866), Theodor Körner (1791–1813), Max von Schenkendorf (1783–1817) und viele andere fassten die aufgeladene Stimmung in Worte, die in gesungener Form zur politischen Mobilisierung beitrugen. Bald folgten Studenten vieler anderer Universitäten dem Vorbild des Jenaer Studentenchors und die Verbreitung der politischen Studentenlieder wurde durch das Allgemeine Commers- und Liederbuch,14 das Albert Methfessel (1785–1869) in enger Zusammenarbeit mit den Jenaer Studenten ausarbeitete und 1818 veröffentlichte, vorangetrieben. Das darin enthaltene Bundeslied von Ernst Moritz Arndt beschreibt in der Anfangsstrophe, wofür der „deutsche Männerchor“ stehen sollte:15 Sind wir vereint zur guten Stunde wir starker deutscher Männerchor, so dringt aus jedem frohen Munde die Seele zum Gebeth hervor: denn wir sind hier in ernsten Dingen mit hehrem heiligen Gefühl; drum muss die volle Brust erklingen ein volles, helles Saitenspiel.16 Arndts Lieder verherrlichen das „Vaterland“ und trafen ins Herz der aufkeimenden Nationalbewegung, er selbst wurde zum „Abgott der rebellischen Studenten“.17 In seinem Lied „Was ist des Deutschen Vaterland“, das die Studenten zum Abschluss des Gründungsaktes der Jenaer Urburschenschaft sangen, wurden im Sinne des damaligen deutschen Nationalbewusstseins auch die Schweiz und Tirol dem „deutschen Vaterland“ zugerechnet, wie die 4., 7. und 9. Strophe zeigen: 4. Was ist des Deutschen Vaterland? So nenne mir das große Land! Ist’s Land der Schweizer? Ist’s Tyrol? Das Land und Volk gefiel mir wohl, Doch nein, nein, nein! Sein Vaterland muss größer sein. Dietrich Heither / Michael Gehler / Alexandra Kurth / Gerhard Schäfer: Blut und Paukboden. Eine Geschichte der Burschenschaften, Frankfurt a. M. 1997, S. 16. 14 Vgl. Albert Methfessel (Hg.): Allgemeines Commers- und Liederbuch mit Melodien, enthaltend ältere und neue Burschenlieder, Trinklieder, Vaterlandsgesänge, Kriegs- und Turnlieder, Rudolstadt 1818. 15 Dietmar Klenke: Der singende „deutsche Mann“: Gesangsvereine und deutsches Nationalbewusstsein von Napoleon bis Hitler, Münster 1998, S. 28f. 16 Ernst Moritz Arndt: Gedichte, Leipzig 1840, S. 301. 17 Jost Hermand: „Eine Jugend in Deutschland. Heinrich Heine und die Burschenschaft“, in: Jost Hermand / Michael Niedermeier (Hg.): Revolutio germanica. Die Sehnsucht nach der „alten Freiheit“ der Germanen. 1750–1820, Frankfurt a. M. u. a. 2002 (Berliner Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte 5), S. 267–283 (Onlinefassung); http://www.burschenschaftsgeschichte.de/pdf/hermand_heine_und_die_ burschenschaft.pdf, S. 4 (19. 07. 2013). 13 330 Kapitel 17 7. Was ist des Deutschen Vaterland? So nenne endlich mir das Land! So weit die deutsche Zunge klingt Und Gott im Himmel Lieder singt, Das soll es sein! Das, wack’rer Deutscher, nenne Dein! 9. Das ist des Deutschen Vaterland Wo Zorn vertilgt den wälschen Tand, Wo jeder Franzmann heißet Feind, Wo jeder Deutsche heißet Freund. Das soll es sein! Das ganze Deutschland soll es sein!18 Arndts Abneigung gegen die Franzosen besaß eine rassistisch-völkische Komponente, die auch in seinem Pamphlet Über Volkshaß und über den Gebrauch einer fremden Sprache (1813) Ausdruck fand:19 Grade die Vermischung mit dem Ungleichen – das ist der Tod der großen Tugend und die Geburt der Eitelkeit. […] Ebenso ist es mit den Völkern. Jedes Volk behalte das Seine und bilde es tüchtig aus, hüte sich aber vor aller Buhlerei mit dem Fremden, weil es die Tugenden der Fremden dadurch nicht gewinnen kann, die eigenen Tugenden aber schwächt und verdunkelt: nur das Oberflächliche, Alberne, und Eitle gewinnt man von den Fremden […] Ich will den Haß, festen und bleibenden Haß der Teutschen gegen die Wälschen und gegen ihr Wesen, weil mir die jämmerliche Aefferei und Zwitterei mißfällt, wodurch unsere Herrlichkeit entartet und verstümpert und unsere Macht und Ehre den Fremden als Raub hingeworfen ward; ich will den Haß, brennenden und blutigen Haß, weil die Fremden laut ausrufen, sie seyen unsere Sieger und Herren von Rechtswegen, und weil wir das nicht leiden dürfen […] Die Gottheit, die Menschheit, und die Religion der Liebe und Barmherzigkeit werden durch meine Lehre nicht gefährdet, noch werden Wissenschaften und Kunst dadurch verdorben. Wo die Völker geschieden stehen, jedes in seiner vollen Eigenthümlichkeit, wo ein stolzer und edler Haß das Verschiedene und Ungleiche trennt oder getrennt hält, da wird jedes sich auf das volleste, würdigste, und eigenthümlichste ausbilden und also wird die große Aufgabe der Menschheit und der klare Wille der Gottheit am besten erfüllt werden.20 Arndt hatte ein Jahr zuvor in seiner Schrift Geist der Zeit Andreas Hofer als „den berühmtesten Namen Deutschlands“ bezeichnet.21 Er ließ sich hier gedanklich aber nicht von der üblichen romantischen Verklärung des „Tirolertums“ – gottergeben, kaisertreu und wehrhaft – leiten, sondern durchleuchtete vielmehr die militärische Strategie des Tiroler „Freiheitskampfes“ und führte ihn immer wieder als Beispiel dafür an, dass eine „Landsmannschaft“ bzw. „Wehrmannschaft“ viel effektiver, weil billiger und mehr „mit dem Herzen dabei“ sei als ein stehendes Heer.22 Andreas Hofer als „Held“ genoss überhaupt einen hohen Stellenwert unter den deutschen Studenten. So erzählt der Tiroler Komponist Johann Baptist Gänsbacher (1778– 1844) ohne genaue Datums- und Ortsangabe in seinen Memoiren von einer studentischen Kneipe, die er mit seinem Freund Carl Maria von Weber (1786–1826) besuchte: Carl Oltrogge (Hg.): Deutsches Lesebuch. Dritter Cursus, Hannover 1849, 564f. Mehr dazu z. B. in: Christian Staas: „Einheit durch Reinheit“, in: ZEIT Geschichte, Nr. 3, 24. August 2012, http://www.zeit.de/zeit-geschichte/2010/03/Nationalismus-Deutschland-Arndt (16. 07. 2012). 20 Ernst Moritz Arndt: Über den Volkshass und den Gebrauch einer fremden Sprache, o. O. 1813, S. 17–20. 21 Sieh dazu Josef Feichtinger (Hg.): Tirol 1809 in der Literatur. Eine Textsammlung, Bozen 1985, S. 32. 22 Ernst Moritz Arndt: Geist der Zeit, Berlin 1818, S. 223–295. 18 19 Andreas Hofer („Zu Mantua in Banden“) 331 Abends waren wir zu einer sehr fidelen Burschengesellschaft geladen. […] Wir verstanden uns bald, sangen kräftige Lieder und lebten äußerst jovial. Tyrol erschallten viele Vivats. […] Zum Andenken schickte ich von Mannheim aus der Burschengesellschaft ein Tyroler Zwanzgerstück vom Jahr 1809 und Sandwirths Portrait, in Kupfer gestochen. Die Burschen interessirten sich so sehr dafür, daß sie sich mit Säbl um den Besitz dieser Andenken schlagen wollten; aber Weber verhinderte es.23 In Jena wurde im Jahr 1813 laut Robert und Richard Keil aus Solidarität mit den Tirolern und zum Unmut der französischen Besatzer und des Universitätssenats gejodelt bzw. „tyrolisirt“: Wo, wie damals in Jena, 7–800 lebensfrohe Jünglinge auf engen Raum zusammengedrängt, sich tummelten, da konnte es an mancherlei Ausbrüchen jugendlichen Uebermuthes und burschikoser Fröhlichkeit nicht fehlen, die sich oft in lautem Singen, Jubeln und Jodeln auf den Straßen, in allerlei Tollheiten und genialen Schelmstücken […], in lautem Rufen zu den Fenstern Befreundeter hinauf oder quer über den Markt […] kund gab. Voran standen unter diesen Feinden der Schwermuth und Muckerei die Jodler, welche vorzüglich der Thüringer Wald erzeugt. Wie oft haben sie, wenn ihr Weg sie Abends durch die Straßen und über den Markt führte, mein Herz durch ihre wundervollen Stimmen und ihre Fertigkeit im Jodeln entzückt! – Emil Schwarzens, des einst eingesperrten Demagogen, Stimmritze war vor zwei Jahren noch nicht zugewachsen! Vor 1813 aber mußte der Senat dieses unschuldige Vergnügen fröhlicher Burschen bei dreitägiger, d. h. vom Sonnabend Abend 8 Uhr bis Montag Morgen 6 uhr dauernder Carcerstrave – expertae miserae mihi credite vulpeculae! – verbieten, denn die Franzosen sahen in dem Tyrolisiren von wegen 1809 einen Freiheitsruf und bewachten Jena durch ihre geheime Polizei von Erfurt aus mit Argusaugen. Der desfallsige von Eichstädt verfaßte Erlaß des Senates nennt diese Singweise: in modum Tirolinensum ululare.24 Zwar bildeten der Liberalismus und der nationale Einheitsgedanke zentrale Werte innerhalb der deutschnationalen Gesinnung der Burschenschafter, aber die im Code Napoleon festgelegte „Gleichheit aller Bürger“ war in ihren Kreisen unerwünscht. Ihrer Ansicht nach war die deutsche Nation die Gemeinschaft aller deutschen Christen, was vor allem die Juden ausschloss. Die neue französische Verfassung und der Toleranzgedanke auch in anderen europäischen Ländern hatte die Emanzipation der Juden eingeleitet; dadurch war eine jüdische Assimilierungsbewegung entstanden, durch die besonders intellek tuelle Juden versuchten, sich als gleichberechtigte Bürger zu etablieren.25 Die Deutsch nationalen traten dieser Entwicklung entschieden entgegen und stellten durch Zugangs beschränkungen bei Verbindungen, Turnerbewegungen, Universitäten usw. neue Grenzen für Juden auf. Beim Wartburgfest 1817 wurden neben dem genannten Code Napoleon auch „undeutsche“ Bücher verbrannt, wie beispielsweise ein Buch des deutsch-jüdischen Schriftstellers Saul Ascher mit dem Titel Germanomanie. Skizze zu einem Zeitgemälde, worin er vor übersteigertem Deutschnationalismus warnt. Es wurde mit der Drohung: „Wehe über die Juden, so da festhalten an ihrem Judenthum und wollen über unser Walter Senn (Hg.): Johann Baptist Gänsbacher. Denkwürdigkeiten aus meinem Leben, Thaur 1986, S. 35f. 24 Robert Keil / Richard Keil: Die burschenschaftlichen Wartburgfeste von 1817 und 1867. Erinnerungs blätter, Jena 1868, S. 64. 25 Z. B. auch Felix Mendelssohn-Bartholdy; vgl. Rainer Hauptmann: „‚Diese Musik wurde ermordet‘ – Felix Mendelssohn-Bartholdy oder eine Geschichte kulturellen Antisemitismus im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts“ (Onlinefassung); http://www.cavallerotti.de/html/projekt_set/projekte/ mendelssohn/mendelssohn_essay.html#no01 (15. 07. 2012). 23 332 Kapitel 17 Volksthum und Deutschthum schmähen und spotten!“ ins Feuer geworfen.26 Später schrieb Heinrich Heine (1797–1856) darauf anspielend in seinem Trauerspiel Almansor: „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen“. Heine hatte als Jude ein zutiefst gespaltenes Verhältnis zur Studentenschaft jener Tage. Obwohl ihm teilweise offener Antisemitismus entgegenschlug, suchte er die Nähe der Burschenschaft, da sie sich in seinen Augen als einzige politische Kraft für politische Freiheitsrechte einsetzte. Darüber hinaus besaß die Bewegung, die viele Sparten der Kunst und Kultur durchdrang, eine ungeheure Anziehungskraft. Jost Hermand vermittelt Einblicke in die Gedanken- und Erfahrungswelt des literarisch ambitionierten jüdischen Studenten Heine in jener Zeit27 und vieles davon trifft wohl auch auf den Werdegang von Julius Mosen zu, der zur gleichen Zeit und unter sehr ähnlichen Umständen lebte. Roland Girtler betont in seinem Aufsatz „Julius Mosen (1803–1867). Jüdischer Burschenschaftler in Jena und Dichter des Andreas Hofer-Liedes“, dass Mosen sowohl Jude als auch Burschenschafter war.28 Dieser Umstand muss aber differenziert betrachtet werden. Tatsache ist, dass die Familie Mosen (eigentlich „Moses“) ursprünglich jüdisch war und Julius Mosen selbst sich anscheinend auch als Jude wahrnahm oder sich zumindest mit seiner jüdischen Herkunft auseinandersetzte. Darauf deutet die Art und Weise hin, wie er jüdische Figuren in seinen literarischen Werken behandelt.29 So verarbeitet er etwa in der Ballade Ahasver 30 das Thema des „ewigen Juden“. In der christlichen Mythologie ist Ahasver jener Jude, dem Jesus als Strafe für eine bestimmte Untat, von der es mehrere Versionen gibt (z. B. dass er ihm auf seinem Gang nach Golgatha spöttisch auf die Schulter geklopft habe), aufbürdete, bis zum Jüngsten Gericht ruhelos auf der Welt umher zu wandeln. Dieser Mythos war in ganz Europa bekannt und galt lange als Ausdruck für den Sieg des „rechten Glaubens“, auch wurde er immer wieder literarisch bearbeitet. Im frühen 19. Jahrhundert erfuhr der Stoff eine Umdeutung. Junge Dichter erzählten die ursprünglich christliche Legende neu und interpretierten Ahasver als einen „edlen Unglücklichen“, „ungerecht Verfolgten“ und als „Personifikation der unterdrückten Revolution“ oder besonders häufig als Träger des damals beliebten „Weltschmerzes“. In kirchlichen Kreisen wurde diese „antichristliche Tendenz“ skeptisch gesehen. So äußerte sich etwa der Schriftsteller Wolfgang Menzel in seinem Buch Christ liche Symbolik über aktuelle literarische Verarbeitungen von Ahasver und insbesondere Mosens Ballade kritisch: Mehrere deutsche Dichter, wie Schubart, A. Schreiber, liessen den ewigen Juden selig sterben. Julius Mosen bringt ihn auch noch einmal mit Christus zusammen und lässt den Letztern nur sagen: „Zwischen uns beiden wird einst das allerletzte Weltgericht entscheiden,“ als ob der Jude Recht haben könnte, und Christus nicht selbst der ewige Richter wäre.“31 Hans Ferdinand Massmann: Kurze und wahrhaftige Beschreibung des großen Burschenfestes auf der Wartburg bei Eisenach am 18. und 19. des Siegesmondes 1817, o. O. 1817, S. 26. 27 Hermand: „Jugend in Deutschland“ (wie Anm. 17). Ein weiterer bedeutender Künstler, der auf eine ähnliche Weise mit dem Antisemitismus der Burschenschaften zu kämpfen hatte, war Felix Mendelssohn-Bartholdy (1809–1847); vgl. dazu Hauptmann: „Diese Musik wurde ermordet“ (wie Anm. 25). 28 Roland Girtler: „Julius Mosen“ (wie Anm. 6). 29 Vgl. Scheichl: „Das Andreas-Hofer-Lied“ (wie Anm. 2), S. 115. 30 Julius Mosen: Ahasver. Episches Gedicht, Dresden 1838. 31 Wolfgang Menzel: „Ahasver“, in: Wolfgang Menzel: Christliche Symbolik, 1. Teil, Regensburg 1854, S. 41–45, hier S. 45. Zu den Zitaten zuvor siehe ebd., S. 41–45. 26 Andreas Hofer („Zu Mantua in Banden“) 333 Hier wird Mosens Interpretation als letztlich „semitisch“ kritisiert: Nicht nur stehe Ahasvers „Weltschmerz“ im Mittelpunkt und nicht die Vorherrschaft des christlichen Glaubens, auch sei die letzte Entscheidung über den „rechten Glauben“ dem „Welt gericht“ überlassen. Immer wieder findet man in der Literatur den Hinweis, dass Mosen seinen Namen im Jahr 1844 durch einen Dresdener Ministerialerlass von „Moses“ in „Mosen“ ändern ließ.32 Die Gründe dafür sind nicht bekannt. Namen und eventuelle Namensänderungen waren ein allgegenwärtiges Thema innerhalb der jüdischen Bevölkerung im Spannungsfeld von Identität, Integration und Assimilation, wie auch Felix MendelssohnBartholdys Familiengeschichte zeigt.33 Mosens unmittelbares familiäres Umfeld war aber anscheinend protestantisch. Er selbst war trotz allem ein deutscher, nationalistischer Dichter und Burschenschafter, doch für Antisemitismus oder antijüdische Tendenzen gibt es keine Belege. Viele der heute noch bekannten Dichter der Zeit der Befreiungskriege wie Theodor Körner,34 Friedrich Rückert,35 Joseph Freiherr von Eichendorff oder auch die Dichterin Elisabeth Kulmann setzten dem „Tiroler Freiheitshelden“ Andreas Hofer ein literarisches Denkmal. Körner und Schenkendorf nahmen selbst an den Befreiungskriegen teil. Die Unterstützung des liberal-revolutionären, deutschnationalen Lagers durch junge Intellektuelle und Literaten führte zu einer großen Anzahl von Liedern und Gedichten, die im Gegensatz zu anderen, rein martialischen Kriegsgedichten draufgängerisch, frisch und jugendlich anmuten und deren Wirkung man sich nur schwer entziehen konnte. Carl Maria von Webers Lieder, wie seine Körner-Vertonungen Gebeth vor der Schlacht (1814), Lützow’s wilde, verwegene Jagd (1814)36 und Schwertlied (1814), bezeugen dies Z. B. Roland Girtler: „Julius Mosen“ (wie Anm. 6), S. 31. Moses Mendelssohn, Großvater von Felix Mendelssohn-Bartholdy, war Philosoph und ein Vordenker eines modernen deutschsprachigen Judentums. Seine sechs Kinder mussten sich allerdings entscheiden, ob sie jüdisch bleiben oder sich assimilieren wollten. Zwei Kinder blieben daraufhin Juden, zwei wurden Katholiken und zwei Protestanten. Für den Übertritt zum Protestantismus entschied sich auch Abraham, der Vater von Felix Mendelssohn-Bartholdy, der den Namen des Familiengutes „Bartholdy“ annahm. Felix verehrte seinen Großvater und nannte sich deshalb im Laufe seines Lebens immer öfter nur „Mendelssohn“, blieb aber Protestant. Der Berliner Komponist Karl Friedrich Zelter schreibt am 26. Oktober 1821 an Goethe in Weimar über das Wunderkind Felix Mendelssohn: „Er ist zwar ein Judensohn, aber kein Jude. Der Vater hat mit bedeutender Aufopferung seine Söhne nicht beschneiden lassen und erzieht sie, wie sich’s gehört; es wäre wirklich einmal eppes Rores [etwas Rares], wenn aus einem Judensohne ein Künstler würde“ [zit. nach Max Hecker (Hg.): Der Briefwechsel zwischen Goethe und Zelter, 2. Band: 1819–1827, Leipzig 1905, S. 139]. 34 „Treu hingst du deinem alten Fürsten an / Treu wolltest du dein altes Gut erfechten / Der Freiheit ihren ew’gen Bund zu flechten / Betrat’st du kühn die große Heldenbahn.“ [Theodor Körner: „Sein Tod“, in: Ludwig August Frankl (Hg.): Andreas Hofer im Liede, Innsbruck 1884, S. 90]. 35 „Aus Mantua von dem Walle / Komm’ ich geschritten her / Wohl noch von meinem Falle / Ein Fleck ist blutig sehr / Die Augen unverschlossen / Von der Franzosen Hand / Ward ich allda erschossen / Als Tirols Kommandant“ [Friedrich Rückert: „Tirols Kommandant“ in: Frankl (Hg.): Andreas Hofer im Liede (wie Anm. 34), S. 88]. 36 Eine tirolbezogene Umtextierung von Lützow’s wilde verwegene Jagd schrieb 1875 der Lyriker Wenzel Wenhart (1834–1912). In seinem Liedtext mit dem Titel Öst’reichs Falke 1810 verewigte er Andreas Hofer. Wenzel lebte in Steyr, war aber ursprünglich aus Böhmen und dort der deutschsprachigen, kaisertreuen Minderheit zugehörig. Als Mitglied der Liedertafel der Stadt Steyr war er mit dem Männerchorrepertoire gut vertraut. Wahrscheinlich schrieb er den Text als Reaktion auf die tschechischnationale Bewegung. Siehe dazu Adalbert Proschko / Franz Pammer (Hg.): Liederquelle. Ausgewählte 32 33 334 Kapitel 17 Abb. 2: Max von Schenkendorf / Ludwig Berger (1819), „Als der Sandwirth von Passeier“, in: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (Hg.): Deutsches Volksgesangsbuch, Leipzig 1848, S. 7f. Transkription. eindrucksvoll. Sie wurden zu wahren Hymnen der sich gerade formierenden Männer gesangsvereine und Studentenchöre. Etwa zur Zeit von Webers und Körners Liedersammlung Leyer und Schwerdt (1814) und lange vor Mosens und Knebelsbergers Lied „Zu Mantua in Banden“ fand ein anderes Andreas-Hofer-Lied Eingang in das Studentenliedrepertoire und auch große Verbreitung in Männergesangsvereinen: die Vertonung des Gedichtes Als der Sandwirth von Passeier (1814) von Max von Schenkendorf durch Ludwig Berger (1777–1839) aus dem Jahr 1819 (siehe Abb. 2).37 Lieder für österreichische allgemeine Volksschulen. 4. Heft: Lieder für das 7. und 8. Schuljahr, Linz 1885, S. 73. 37 Max von Schenkendorf: „Die Studenten“, in: Frankl (Hg.): Andreas Hofer im Liede (wie Anm. 34), S. 90. Andreas Hofer („Zu Mantua in Banden“) 335 Der Dichter Ludwig Rellstab (1799–1860) weiß über das Lied Folgendes zu berichten: Zu meinem Geburtstage (im Jahr 1819) nämlich, beschenkte mich Berger mit einem Liede, das durch ganz Deutschland gedrungen ist, dem wundervollen Sandwirth von Passeyer! […] Berger’s „Hofer“ ging sogleich in Abschriften von Hand zu Hand. Jeder wollte das Kleinod besitzen. Berger war nicht der Mann, der mit seinen Geisteserzeugnissen wie mit einer Waare marktete; so wurde denn das Lied bald in vielen Kreisen für Männergesang durch halb Deutschland gesungen, ohne gedruckt zu sein.38 Die enge Verquickung von Politik und Männergesang bei deutschen Studenten und in den Liedertafeln führte schließlich dazu, dass das Lied „Zu Mantua in Banden“ auch zur vaterländischen Bildung an Schulen eingesetzt wurde. Ob als Anhang zu geschichtlichen Erörterungen über Kaiser Franz,39 als Charakterisierung Tirols und der Tiroler40 oder als Beispiel für das Werk Julius Mosens,41 war es Bestandteil vieler deutscher Schullesebücher. „Vaterländische Bildung“, Religion, „Menschenkunde“ und „Naturgeschichte“ zählten in Deutschland zu den Basis-Schulfächern und fanden Eingang in die Schulbücher des 19. Jahrhunderts. Nachfolgend plädiert ein unbekannter Autor für das Singen „vaterländischer Lieder“ in der Schule, um patriotische Gefühle bei den Schülern wachzurufen. Ihm erscheint der Gesang wesentlich zielführender als eine theoretische Behandlung des Themas „Patriotismus“: Bei der Vaterlandsgeschichte benutze der Lehrer geradezu passende singbare vaterländische Lieder, um patriotische Gefühle in den jugendlichen Herzen zu wecken und zu nähren. Lieder wie „der alte Barbarossa, der Kaiser Friederich“ oder „Prinz Eugen, der edle Ritter“ oder „Zu Mantua in Banden“, oder „was blasen die Trompeten“ „preisend mit viel schönen Reden“ u. s. w. gelernt und frisch gesungen, müßten, dächte ich, mehr wirken als lange Expectorationen und umständliche Lobpreisungen.42 In Österreich, d. h. auch in Tirol, waren die Lehrerbildung und die Lehrpläne aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Wirren seit der mariatheresianischen Reformen nicht mehr weiterentwickelt worden, während in manchen deutschen Staaten und vor allem in der Schweiz die „ganzheitliche“ Pestalozzi-Pädagogik auf fruchtbaren Boden fiel. In Zürich beispielsweise, dem Ausgangspunkt einer modernen Schulpädagogik, diente der Schulgesang bald nach 1800 der moralischen und sittlichen Bildung.43 Ab 1850 wurden auch in Tirol die Lehrpläne langsam reformiert und der Gesang schrittweise Teil Ludwig Rellstab: Ludwig Berger: ein Denkmal, Berlin 1846, S. 103. Josef Schätz (Hg.): Lese-, Lehr- und Uebungsbuch für sämmtliche Klassen der Volksschule, Oberklasse. Fünftes Schuljahr, Regensburg 1862, S. 274. 40 W. J. G. Curtmann (Hg.): Das Vaterland, ein Lesebuch für die oberen Klassen der Volksschule, Darmstadt 1848, S. 303. 41 Ferdinand Seinecke (Hg.): Deutsches Lesebuch für die oberen Klassen der höheren Töchterschulen, Dresden 1861, S. 183; Thomas Scherr (Hg.): Freundlicher Wegweiser durch den deutschen Dichterwald für Gebildete außer dem Gelehrtenstande; zugleich ein Schulbuch für Lehrerseminarien, höhere Töchterschulen und für die obern Klassen deutscher Realschulen und schweizerischer Sekundarschulen, Winterthur 1842, S. 428; Alois Egger (Hg.): Deutsches Lehr- und Lesebuch für höhere Lehranstalten, 2. Teil: Literaturkunde, Wien 51882, S. 192. 42 Sächsisches Kirchen- und Schulblatt, Nr. 6, Leipzig, 6. Februar 1862, S. 49. 43 Pius Dietschy: Schulkind und Musik im 19. Jahrhundert. Darstellung der sozialen und bildungspolitischen Aspekte am Beispiel der Region Zürich, Basel 1983, S. 91. 38 39 336 Kapitel 17 des Schulunterrichts.44 Mit dem Reichsvolksschulgesetz von 1869 scheint schließlich auch in Österreich die „vaterländische Bildung“ als Pflichtfach an den Schulen auf und somit wurden dort nun auch vermehrt patriotische Lieder gesungen.45 Ludwig Hunrath (1853–1925) beispielsweise gibt in seinem Aufsatz „Der Komponist des Andreas-HoferLiedes und seine Bedeutung für Tirol“ aus dem Jahr 1913 an, dass er das Lied schon als Schuljunge (also in den sechziger und siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts) gekannt und gesungen habe.46 Karl Domanig hingegen klagt im Jahr 1879, also ungefähr zur selben Zeit, von der Hunrath spricht, darüber, dass man das Andreas Hofer-Lied „in aller Herren Länder“ singen höre, „nur nicht bei uns“: Dieß Lied vom Andrä Hofer (gedichtet von Jul. Mosen) – man kann es singen hören in aller Herren Länder, nur nicht bei uns! An vielen Orten in Deutschland und der Schweiz wird kaum ein Fest abgehalten, ohne daß dabei der Andreas Hofer gesungen wird: bei uns im Volke kennt man kaum das Lied. – Das sollte doch wohl anders werden!47 Das Lied war offensichtlich in der „vaterländischen Bildung“ präsenter als außerhalb der Schule. Neben Kommersbüchern und Liederbüchern für Männergesangsvereine war also auch das Schulbuch ein Medium zur Verbreitung des Andreas Hofer-Liedes. Nationalsänger und „Zu Mantua in Banden“ Während der Dichter des Andreas Hofer-Liedes bekannt war, wurde über die Identität des Komponisten lange gerätselt. Erst Ludwig Hunrath brachte mit seinem bereits erwähnten Aufsatz von 1913 Licht ins Dunkel.48 Trotzdem hielt sich lange die Meinung, die Melodie des Liedes sei eine „Kompilation“ aus Motiven verschiedener Volksmelodien und Werken klassischer Komponisten. So listete beispielsweise A. J. Friedrich Zieglschmid noch 1929 akribisch Melodien verschiedenen Ursprungs (traditionelle, mündlich überlieferte Lieder, Melodien von Mozart, Beethoven) auf, die für „Zu Mantua in Banden“ Pate gestanden haben könnten.49 Hunrath wurde bei seinen Nachforschungen zur Melodie in Tirol zunächst auf die Nationalsänger Ludwig Rainer und Simon Holaus aufmerksam, Rainers Namen fand er zudem im Lahrer Kommersbuch (siehe Abb. 1).50 Er glaubte aber nicht an die Autorenschaft von einem der beiden. Ludwig Rainer schloss er als Komponisten des Andreas Hofer-Liedes aus, weil er vermutete, dieser „hätte sicher sein Licht nicht unter den Scheffel gestellt“ und sich als Urheber zu Siehe dazu Monika Oebelsberger: Die Musik in der Lehrerbildung Tirols von der Maria-Theresianischen Schulreform bis zum Reichsvolksschulgesetz (1774–1869), Anif/Salzburg 1999 (Innsbrucker Hochschulschriften, Serie A: Musikpädagogik 2). 45 Ebd., S. 151–158. 46 Ludwig Hunrath: Der Komponist des Andreas-Hofer-Liedes und seine Bedeutung für Tirol. Sonderdruck aus den „Neuen Tiroler Stimmen“ Nr. 89 und 90 vom 19. und 21. April 1913, Innsbruck 1913. 47 Karl Domanig: Tyroler Kalender auf das gemeine Jahr nach der gnadenreichen Geburt unseres Herrn Jesu Christi 1879, S. 52. 48 Hunrath: Der Komponist des Andreas-Hofer-Liedes (wie Anm. 46). 49 A. J. Friedrich Zieglschmid: „Das Andreas-Hofer-Lied: Zur Geschichte seiner Melodie“, in: Modern Philology 26 (1929), Heft 3: Februar, S. 327–336. 50 Hunrath: Der Komponist des Andreas-Hofer-Liedes (wie Anm. 46), S. 4. 44 Andreas Hofer („Zu Mantua in Banden“) 337 erkennen gegeben.51 Simon Holaus kam für ihn als Komponist auch nicht in Frage, weil selbst dessen Söhne ihn nicht für den Komponisten des Andreas Hofer-Liedes hielten. Hunraths Recherche endete schließlich damit, dass er im Bremer Courier vom 11. November 1865 eine Konzertkritik fand, in der es heißt: […] u. a. [hat] namentlich das Tiroler Schützenlied von Andreas Hofers Tod sehr gefallen […] Es dürfte vielleicht nicht allgemein bekannt sein, daß Herr Knebelsberger der Compositeur dieses, in ganz Deutschland populären Volksliedes ist, der, wie nicht bald ein zweiter, den rechten Volkston getroffen hat. Hunrath sammelte daraufhin erstmals Informationen zur Biografie Leopold Knebelsbergers, über dessen Sängergesellschaft und Reisen und wurde dabei vom Tiroler Schriftsteller Karl Domanig (1851–1913) unterstützt, der in Klosterneuburg lebte und vor Ort pfarramtliche Urkunden und andere Dokumente durchsah. Leopold Knebelsberger (1814–1869) stammte aus Klosterneuburg in Niederösterreich und genoss in Wien eine klassische Musikausbildung bei den Komponisten bzw. Musikern Conradin Kreutzer (1780–1849) und Josef Mayseder (1789–1863). Später gründete er eine große Sängergesellschaft, die sich vorwiegend aus jungen Männern und Frauen aus Kärnten zusammensetzte. Um an den Erfolg bekannter Tiroler Sänger anzuknüpfen, traten derartige Gesellschaften, ungeachtet ihrer Herkunft, üblicherweise in vorgeblichen Tiroler Trachten auf. Konzertreisen führten die Gruppe nach Norddeutschland und sogar Russland. Knebelsberger beherrschte mehrere Instrumente, komponierte und war anscheinend ein attraktiver und einnehmender Mann. Er schrieb vor allem „Alpenlieder“, also kommerzielle Tiroler Lieder mit pathetischen Titeln wie Trost in der Ferne, „Wie lieb ich dich, mein Heimatland“, „Von der Alpe ragte ein Haus“ oder „Schaut der Jäger in das Tal“,52 wie das folgende Programm zeigt: Mit obrichkeitlicher Bewilligung werden heute Sonntag den 30. Juni 1844 die Wiener Sänger und Musiker Knebelsberger, Pöck, Virtuos auf dem chromatischen Posthorn und Weyer in Vereinigung mit dem beliebten Baritonisten und Jodler Fritzel, unter Leitung des Herrn Musik direktors Knebelsberger im Pferdegäßchen eine große musikalische National-Produktion zu geben die Ehre haben. Programm. Erste Abtheilung. 1. Ouverture von Knebelsberger, 2. Alpenquartett. 3. Die Rückehr in die Heimath (Arie für Bariton). 4. Pot-Pourri, der musikalische Blumenstrauß. Zweite Abtheilung. 1. Des Sennen Frohsinn (Alpenquartett von Fritzel.) 2. Steyrische Tänze fürs Posthorn. 3. Der Morgengruß auf der Alm (Jodler von Fritzel.) 4. Potpourri von Knebelsberger. Dritte Abtheilung. 1. Komische Wienerlieder (abwechselnd vorgetragen von Weyer und Fritzel.) 2. Erinnerung an den Rheinfall. (Walzer von Knebelsberger). 3. Natschi Watschi, großes GesangsPotpourri. 4. Variationen auf dem Holz- und Strohinstrumente. Vorgetragen vom Musikdirektor Knebelsberger.53 Das Nationalsänger-Phänomen wäre ohne die „Heldengestalt“ Andreas Hofer gerade in dieser Form nicht denkbar gewesen. Hofer war ein Anknüpfungspunkt für das ausländische Publikum, die Mythen rund um seine Person und die Aufstände in Tirol weckten erst das Interesse an Tirol und verstärkten die romantische Idealisierung des angeblich „tapferen und biederen Tiroler Volkes.“ Immer wieder betonten die Nationalsänger den Ebd., S. 6. Siehe ebd., S. 8, S. 13–15. 53 Augsburger Tagblatt, Nr. 178, Sonntag, 30. Juni 1844. 51 52 338 Kapitel 17 „wehrhaften Charakter“ der Tiroler, indem sie dementsprechende Lieder anstimmten. Die meisten davon waren simple Kampflieder oder neu verfasste „Freiheitslieder“, aber auch vor der Entstehung von „Zu Mantua in Banden“ hatten kommerzielle Alpensänger Heldenlieder auf Andreas Hofer gesungen, wie der nachfolgende Bericht eines britischen Touristen über eine singende Mädchengruppe in Innsbruck aus dem Jahr 1834 belegt. Bevor sich der Berichterstatter ihrer Darbietung zuwendet, beschreibt er ihren Jodelgesang und weiß interessanterweise auch über die bereits erwähnten Studenten in Jena Bescheid, die aus Solidarität mit den Tiroler Aufständischen jodelten. Er führt den Hang zum Jodeln allerdings rein auf den liederlichen Lebenswandel der Studenten zurück. Die Tatsache, dass dieser Sachverhalt aber über die Universität Jena hinaus bekannt war, ist bemerkenswert: In the evening we suddenly heard sweet female voices, and a melody that penetrated through bone and marrow. We followed the sound, and behold! Two young girls were singing popular Tyrolese songs at the table d’hote. […] The peculiar mode of singing them, that variation and fraction of sounds, celebrated all over Germany under the name jodeln or johlen […] requires such mar velous action of the voice, such springs and falls of tones, as cannot possibly be produced by other throats than such as have had the Alps for their singing school. They are imitated, hovever, as may be, especially at German Universities, where, as is well known, a sort of forester’s or hunter’s live is always led. Nay, at Jena, the Senatus Academicus was compelled to publish a prohibition „more Tyrolensium inconditos clamores edere“, (to utter rude clamours after the Tyrolese fashion,) because it happened that all the windows of a many-storied house, situate in a large market-place and entirely inhabited by students, were, for a considerable length of time, seen open from morning till night, and crammed full of shirt-sleeved sons of Minerwa, who jodled away all day long, on so full a chorus, that business was at a stand, and the whole town remained as if deaf and dumb. Der Berichterstatter fährt fort, von seinem Aufenthalt in Innsbruck zu erzählen, der ihm durch eine kleine Gruppe jodelnder und singender Tirolerinnen versüßt wurde. Die Mädchen sangen in Lokalen („table d’hote“ = Stammtisch) oder wurden von Hotels „gebucht“, um die Gäste zu unterhalten: But it was not by their lays only that the young songstresses afforded us poetic enjoyment; the story of their own live, which we had from the people of the inn, is highly poetical. They are properly three in number, orphan, in age from fifteen to twenty, live in a little cottage out of Insbruck, and support themselves by their singing. They visit the town daily, or are sent for, to sing their simple ditties to lovers of music and travellers. […] This last, who is the prettiest, we did not see till the following morning, when we had appointed them to come again and repeat their songs. They now sang in addition a ballad upon the Sandwirth Hofer and his feats; they stood before his portrait, and his blithe countenance seemed to listen with pleasure to his name, as it sounded so gratefully on the lips of the daughters of his country.54 Ein Detail des Berichts sticht hervor: Die Mädchen sangen eine „Ballade“ über Andreas Hofer und seine Kämpfe, während sie vor seinem Porträt standen – eine Szene, die sehr an inszenierte Folkloredarbietungen erinnert, aber darüber hinaus belegt, dass man im Jahr 1834 nicht nur politische Lieder und „Freiheitslieder“, sondern auch schon Heldenlieder über Andreas Hofer für Reisende darbot. Man könnte meinen, dass hier das Lied „Ach Himmel, es ist verspielt“ gesungen wurde, allerdings geht es darin nicht um Reuben Percy [Pseudonym f. Thomas Byerley] (Hg.): The Mirror of Literature, Amusement, and Instruction XXIII (1834), Nr. 666, London, Samstag, 14. Juni 1834, S. 399. 54 Andreas Hofer („Zu Mantua in Banden“) 339 Andreas Hofers Kämpfe, sondern um die Stunden vor seinem Tod. Jedenfalls stellt der Bericht von 1834 die früheste Quelle für das Singen eines Heldenliedes auf Andreas Hofer für kommerzielle, touristische Zwecke dar. Eine weitere frühe Quelle ist eine 1835 erschienene Konzertkritik aus Prag über den Auftritt eines Tiroler Nationalsängerensembles im „Unterhaltungsblatt“ Bohemia: Am 19. Jänner erschienen auf der hiesigen Bühne unter dem langen Titel „Tiroler Natur-NationalAlpensänger“ die Herren Johann Krell, Andreas Wildauer, Joseph Schwarz und Daniel Hauser aus Fügen in Tirol, und unterhielten das Publikum durch sechs Alpenlieder, deren nationale Aechtheit Referent verbürgen kann, indem er sie an Ort und Stelle gehört hat. Auch scheinen die vier genannten Sänger wirklich schlichte Landleute zu seyn, bei welchen das eigene Gehör mehr vermocht hat, als ein förmlicher Unterricht […] die oben genannten Alpen-Sänger trugen ihre Lieder ohne alle Begleitung vor, und fanden doch nach den meisten Nummern lebhaften Beifall, vorzüglich sprachen die beiden Lieder „Andreas Hofer“ und „der Kaiser“ auch wegen des Textes an.55 Auch die zweite Generation der Nationalsängergesellschaft Rainer unter Ludwig Rainer kannte ein Lied mit dem Titel Andreas Hofer.56 Sie trug es 1840 während ihrer großen Nordamerikatournee (1839–1843) in Albany, Kanada, vor. Beim Lied „Andreas Hofer“ handelte es sich mit Sicherheit nicht um Mosens und Knebelsbergers „Zu Mantua in Banden“, da dieses erst später entstand. Viel wahrscheinlicher ist es, dass die Rainers Max von Schenkendorfs Lied „Als der Sandwirth von Passeier“ oder vielleicht „Ach Himmel, es ist verspielt“ sangen. Letzteres kommt einer Heldenballade nahe, ist aber kein typisches heroisches Lied. „Ach Himmel, es ist verspielt“ wurde eigentlich nie in die Nationalsängertradition aufgenommen und ist auch in keinem der frühen Nationalsänger-Liederbücher zu finden. Die Prager Kritik belegt nicht nur die Darbietung eines kommerziellen „Freiheitsliedes“ durch Nationalsänger, sondern einmal mehr das Interesse des Publikums an politischen Liedthemen. Den Komponisten des Andreas Hofer-Liedes „Zu Mantua in Banden“ im Nationalsänger-Umfeld zu suchen, war also sehr naheliegend, was auch die falschen Verfasserangaben in den von Hunrath konsultierten Kommersbüchern zeigen. Tatsache ist, dass das Andreas Hofer-Lied schon früh im Repertoire mehrerer Tiroler Nationalsängergesellschaften aufscheint. Derjenige, der das Lied wirklich von Leopold Knebelsberger selbst übernommen haben könnte, war der Nationalsänger Peter Meister aus Stams (Geburtsjahr unbekannt, verstorben 1870), der immer wieder auch mit Simon Holaus auftrat; Simon Holaus wiederum sang mit Ludwig Rainer in der zweiten Generation der Nationalsänger Rainer.57 Im Jahr 1849 besuchten die Nationalsänger Meister zum ersten Mal in Klagenfurt,58 im Mai 1856 zum zweiten Mal, wobei sie diesmal am letzten Auftrittsabend von einer „lokalen“ Sängergesellschaft unterstützt wurden, aus der möglicherweise die spätere Kärntner Nationalsängergesellschaft Mischitz Gottlieb Haase Söhne (Hg.): Bohemia, ein Unterhaltungsblatt, Nr. 10, 23. Jänner 1835, Rubrik: „Theater und geselliges Leben“, Theaterbericht vom 19. und 20. Jänner 1835. 56 Vgl. Martin Reiter: Die Zillertaler Nationalsänger im 19. Jahrhundert (Egger-Rieser, Fiechtl, Gänsluckner, Hauser, Holaus, Leo, Rainer, Stiegler, Strasser …), St. Gertraudi 1989, S. 138. 57 Vgl. Münchner Fremden-Blatt. Organ für Kunst und Gewerbe, Nr. 22, Samstag, 5. August 1854. 58 Laut der Klagenfurter Zeitung, Nr. 68, 7. Juni 1849, zit. nach Günter Antesberger: „Historische Dokumente zu Volksmusik und Volkslied in Kärnten“, in: Gerlinde Haid (Hg.): Kärnten und seine Nachbarn: Brauchlied, Wien 2000 (Schriften zur Volksmusik 18), S. 23–34, hier S. 30. 55 340 Kapitel 17 hervorging.59 Auch in Kärnten schloss man sich ab ca. 1828 zu reisenden Sängergesellschaften zusammen (wie bereits erwähnt, bestand Knebelsbergers Sängergesellschaft aus Kärntnern) und bei den Besuchen von Meisters Sängergruppe dürfte es zu Kontakten zwischen Gästen und Einheimischen gekommen sein, denn Johann Mischitz schloss sich später für einige Zeit den Meister-Nationalsängern an, unter denen er auch seine spätere Frau Maria Haidegger kennenlernte. Höchstwahrscheinlich wurde das Andreas Hofer-Lied in Kärnten gesungen, denn vier Monate nach Peter Meisters Kärnten-Besuch sang er es selbst mit seiner Gesellschaft, wie die folgende Zeitungskritik belegt: Regensburg, 19. September [1856]. Nachdem uns erst vor wenigen Tagen von der Sängergesellschaft Meister und Consorten durch Vorführung herrlicher Männergesänge, z. B. Hofers Tod ec. ein überaus seltener Genuß geschafft worden, hatten wir gestern die Freude […].60 Ein Jahr später (1857) wurde das Lied Hofers Tod bzw. Andreas Hofer in München euphorisch angekündigt: Heute Dienstag in der Tonhalle mit brillanter Gasbeleuchtung u. Dekoration große musikalische Produktion der Tyroler Sängergesellschaft Gebrüder Meister […] Hochgeehrtes Publikum! […] Hr. Meister sen. wird auch den vielbeliebten und gerne gehörten „Andreas Hofer“ auf vielfaches Verlangen vortragen. Es ist kein Zweifel, daß die heutige Produktion durch ihre Seltenheit anziehen wird.61 Ein Bericht des Augsburger Tagblattes von 1857 verdeutlicht, dass „Zu Mantua in Banden“ zu Peter Meisters Glanznummern zählte. Gesungen wurde schon damals hauptsächlich vor ausländischen Touristen: Am verwichenen Samstag gaben sechs Tyroler National-Sänger, an ihrer Spitze die Gebrüder Meister, im Saale des Gasthofes zum „Mohrenkopf “ ein Concert. Das Programm enthielt eine Menge der anziehendsten Quartetten und Jodler-Lieder, welche auch reizend vorgetragen wurden und immer den lebhaftesten Beifall hervorriefen. Das Lied „Sandwirthhofer“ von J. Mosen, von Peter Meister meisterlich vorgetragen, wurde stürmisch wiederholt verlangt, und Meister, selbst ein dekorirter Kriegsmann und eine Figur, die lebhaft an Hofer erinnert, sang noch ein Mal mit ergreifendem Vortrag: „Und von der Hand die Binde nimmt ihm der Korporal, Andreas Hofer betet allhier zum letzten Mal, dann ruft er: nun, so trefft mich recht! Gebt Feuer! Ach, wie schießt ihr schlecht! Ade, mein Land Tyrol!“ – Die Cyther-Vorträge und schönen Tänze auf der Gigelira erfreuten ungemein. Trotz der nieder gestellten Preise war der Besuch schwach. Durchreisende Engländer und Franzosen bildeten den Kern auf den Plätzen wo dereinst unsere Haute-volee saß, und zeigten das größte Interesse an allen Liedern nach deren Inhalte sie sich fleißig erkundigen.62 Hildegard Herrmann-Schneider bildet in ihrem Aufsatz „Andreas Hofer und die Tiroler Freiheitskämpfe als musikalisches Sujet“ die „Meister-Variante“ des Liedes ab, die nach einer handschriftlichen Vorlage in den 1850er-Jahren im Druck erschien.63 Gerda Anderluh (Hg.): Anton Kollitsch: Forschungen und Beiträge zu Lied und Musik in Kärnten. Im Einvernehmen mit dem Kärntner Volksliedwerk, Klagenfurt 2005 (Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie 92), S. 56. 60 Augsburger Postzeitung, Nr. 260, Montag, 22. September 1856. 61 Neueste Nachrichten aus dem Gebiete der Politik 10 (1857), Nr. 279, Beilage zum Münchner Anzeiger, Dienstag, 6. Oktober 1857. 62 Augsburger Tagblatt, Nr. 252, Montag, 14. September 1857. 63 Hildegard Herrmann-Schneider: „Andreas Hofer und die Tiroler Freiheitskämpfe als musikalisches Sujet. Ereignisse – Heldentum – Erinnerung“, in: Der Schlern 83 (2009), Heft 7: Juli, S. 4–52, hier S. 22. 59 Andreas Hofer („Zu Mantua in Banden“) 341 In einer Programmaufstellung des Mischitz-Quintetts von 1857 findet sich ebenfalls ein Lied mit dem Titel Hofer’s Tod, Baß Solo mit Chor. Das Mischitz-Quintett änderte später seinen Namen und trat als „Tiroler Sängergesellschaft“ unter der Bezeichnung Radetzky-Verein Sänger auf, deren Mitglied nun zeitweise auch Leopold Knebelsberger war. Als sich Knebelsberger der Gruppe anschloss, hielt man dieses Ereignis für so wichtig, dass man sofort die Presse davon informierte und mit Stolz hervorhob, den Komponisten des Liedes „Zu Mantua in Banden“ in den eigenen Reihen zu haben: Unsere Sänger, die sich auf der zweiten Auslandsreise befanden, meldeten am 2. Jänner 1862 in die Heimat, daß seit Anfang November der Musikdirektor Leopold Knebelsberger aus Wien ihrer Gesellschaft beigetreten war. Wo und unter welchen Umständen diese Begegnung und Vereinigung stattfand, darüber spricht sich der Schreiber des Briefes nicht aus; er sagt u. a. nur, daß Knebelsberger der vorteilhafte Komponist von „Hofers Tod“ sei.64 Auch im Boten für Kärnten vom 31. August 1862 scheint Andreas Hofers Tod als Teil des Programmes auf.65 Knebelsbergers Autorenschaft stand also bereits 1862 fest, drei Jahre vor dem von Hunrath zitierten Bericht im Bremer Courier, in dem Knebelsberger ebenfalls als Komponist von „Zu Mantua in Banden“ bezeichnet wird. Anton Kollitsch zitiert überdies noch eine Konzertkritik aus der Memeler Bürger Zeitung von 1862, die den hohen Stellenwert des Liedes im Programm der Radetzky-Verein Sänger bezeugt: Von den anderen Gesangsstücken ist es schwer zu unterscheiden, welches das gelungenste war: „Der Wildschütz“ – „Der Kleeplatz“ – „Wein-Galopp“ – „Der Soldat auf der Wacht“66 (mit Chor). Alles war gut; am meisten aber packte „Andreas Hofer’s Tod“. Sei es daß die von Knebelsberger dazu komponierten Chöre so mächtig wirkten, oder daß das Sujet in jeder Brust mächtigen Widerhall fand, von Hofer bis zum wunden Helfen Aspromomontes [sic]. Wir können die Konzerte der Nationalsänger dem Publikum auf das angelegentlichste empfehlen und sind überzeugt, daß es niemand gereuen wird, dasselbe besucht zu haben.67 All die personellen Verstrickungen unter den verschiedenen Nationalsängergesellschaften sind nicht verwunderlich. Die Sängergesellschaften reisten viel, änderten häufig ihre Formationen, neue Mitglieder wurden aufgenommen, andere verließen eine Gruppe und gründeten eigene Gesellschaften, halfen aber durchaus bei der „alten“ Sängergesellschaft aus, wenn Not am Mann war. Deshalb gestalten sich die Nachforschungen über den Werdegang einzelner Sängergruppen heute oft als schwierig. Die Repertoireunterschiede zwischen den Gruppen waren oft unerheblich, denn neue Mitglieder brachten „neue“ Lieder in die Gesellschaft oder man übernahm besonders ansprechende Lieder anderer Sängerfamilien, die man auf den vielen Reisen kennenlernte. Man hatte nicht den künstlerischen Anspruch „einzigartig“ zu sein, das Singen war in erster Linie Einkommensquelle und Beruf. Die Unterhaltungsmusik der Nationalsängergruppen lässt sich vielleicht am ehesten mit der heutigen volkstümlichen Musik und Schlagermusik vergleichen, die für Bälle, Hochzeiten und andere Festivitäten „gebucht“ wird. Das Repertoire orientierte sich an aktuellen Trends. So wurde Knebelsbergers Vertonung Anderluh (Hg.): Kollitsch: Lied und Musik in Kärnten (wie Anm. 59), S. 60–64 und S. 72. Ebd., S. 64–68. 66 Siehe dazu Kapitel 15 in diesem Band. 67 Anderluh (Hg.): Kollitsch: Lied und Musik in Kärnten (wie Anm. 59), S. 69f. 64 65 342 Kapitel 17 von Mosens Sandwirth Hofer um 1856 wahrscheinlich vom Mischitz-Quintett und von den Nationalsängern Meister ins Programm aufgenommen und weiter verbreitet. In den frühen 1860er-Jahren finden wir das Andreas Hofer-Lied auch im Repertoire von Simon Holaus (1814–1895). Holaus hatte, wie erwähnt, mit Ludwig Rainer 1839 die zweite Generation der Nationalsänger Rainer gegründet und ihn nach Amerika begleitet. Er trennte sich wahrscheinlich Ende der 1840er-Jahre von Rainer und sang danach mit wechselnden Besetzungen, auch immer wieder mit den Nationalsängern Meister. Das Lied „Zu Mantua in Banden“ wurde für ihn so bedeutend, dass er mit seiner Gruppe sogar dem mittlerweile ins Alter gekommenen Textdichter Julius Mosen ein Ständchen darbot. In der Oldenburger Zeitung vom12. November 1862 heißt es dazu: Die Tyroler Sängergesellschaft Holaus aus dem Zillertale stattete gestern, den 11. November, unserem Julius Mosen einen Besuch ab. Sie hatte sich die Erlaubnis erbeten, dem gewaltigen deutschen Sänger in seinem schweren Leiden eines seiner unsterblichen Lieder, den „Andreas Hofer“, vorzutragen. Innig bewegt lauschte der Dichter dem Gesange, leise sprach er der Gesellschaft seinen Dank aus und schloß mit den Worten: Gruß und Handschlag den wackeren Tyroler Landsleuten in der Heimat!68 Konzerte der Sängergesellschaft Holaus am Krankenbett des verehrten Dichters werden auch in der Allgemeinen Deutschen Biographie erwähnt: Die namhaftesten und besten Vertreter des Deutschthums in Nordamerika sandten ihm ein Photographie-Album mit ihren Porträts als ein Zeichen ihrer Verehrung; in der Oldenburgischen Hafenstadt Brake an der Weser lief ein stolzes Seeschiff von Stapel, welches zu Ehren des Dichters den Namen „Julius Mosen“ erhielt, und die bekannte Tiroler Sängergesellschaft Holaus pflegte stets, wenn sie in Oldenburg concertirte, an das Krankenlager des Dichters zu treten, um ihn durch den Vortrag seines „Andreas Hofer“ zu erfreuen.69 Nicht jeder „lauschte innig bewegt“ der Sängergesellschaft Holaus und erfreute sich an ihrem Vortrag des Andreas Hofer-Liedes. Friedrich Nietzsche zählte zu jenen, die den Attitüden der Nationalsänger nichts abzugewinnen vermochten. Wie aus einem Brief an seine Mutter Franziska vom Juni 1865 aus Bonn ersichtlich, war für ihn der Vortrag des Andreas Hofer-Liedes durch die Sängergesellschaft Holaus Ausdruck reinster katholischer Bigotterie und gekünstelten Verhaltens: Sehr stößt mich hier ab die bigotte katholische Bevölkerung. Ich wundre mich oftmals daß ich wirklich im 19t. Jahrhundert lebe. Neulich war Frohnleichnamfest. Prozessionen nach der Art der Kirchfestaufzüge, alles sehr geputzt und daher eitel, und trotzdem krampfhaft fromm thuend, quäkende und krächzende alte Weiber, sehr große Verschwendung mit Weihrauch, Wachskerzen und Blumenguirlanden. Am Nachmittag desselben Tages gab eine echte Tyrolergesellschaft ein Conzert, mit der gewöhnlichen gemachten Natürlichkeit, mit der Stereotypen Rührung beim Andreas-Hoferlied.70 Die „stereotype Rührung“, die das Lied verursachte, war für Nietzsche zwar unerträglich, doch bot gerade sie die besten Voraussetzungen für eine spätere Landeshymne. Zit. nach Reiter: Zillertaler Nationalsänger (wie Anm. 56), S. 47. Vgl. A. Schwartz: „Mosen, Julius“, in: Allgemeine Deutsche Biographie 22 (1885), S. 359–368 (Onlinefassung); http://www.deutsche-biographie.de/pnd118584375.html?anchor=adb (11. 07. 2012). 70 Giorgio Colli / Mazzino Montinari (Hg.): Nietzsche Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe 1. 2. Band: Nietzsches Briefe 1864–1869, Berlin 1975, S. 65f.; Giorgio Colli / Mazzino Montinari / Norbert Miller / Annemarie Pieper (Hg.): Nietzsche Briefwechsel. Kritische Gesamtausgabe 1. 4. Band: Nachbericht zur ersten Abteilung, Briefe von und an Friedrich Nietzsche 1849–1869, Berlin – New York 1993, S. 367. Dass es sich bei dieser „Tyrolergesellschaft“ um die Sängergesellschaft Holaus handelte, ist unbestritten. 68 69 Andreas Hofer („Zu Mantua in Banden“) 343 „Zu Mantua in Banden“ zählte zeitweise offenbar zu Simon Holaus’ erfolgreichsten Nummern. Am 16. Mai 1868 gab er das Lied unter dem Titel Erinnerung an Hofers Tod in Beisein von Königin Victoria auch in Windsor Castle in London zum Besten. Sie hatte die Sänger zuletzt 1852 zusammen mit ihrer Mutter, Marie Luise Victoire von Sachsen-Coburg-Saalfeld (1786–1861), gehört,71 die mittlerweile verstorben war, und hielt die Erinnerung auch an dieses Konzert in ihrem Tagebuch fest: The Tyrolese singers sang in the Corridor, 5 in number + 2 of the same we had heard in 51 + 52, in happy times. Dearest Mama used to be so fond of these singers. They have still wonderfully good voices. The singing was charming, but it made me sad, with all so different to formerly, yet [unleser lich] liked it too. Listened for a while, the Ladies + Gentlemen joining us in The Corridor. Drove with Louise + Baby down to [unleserlich], where Lenchen + Christian72 gave us tea outside the house, the Tyrolese again sang. Two of the young ones danced their original, characteristic national dances.73 Königin Victoria dachte bei der Darbietung der Tiroler Sänger an „glückliche Tage“, als ihre Mutter noch lebte, denn diese hatte die Nationalsänger so „gern gehabt“. Sie fand die Stimmen der Sänger, die zuerst im Korridor und später zur „Teatime“ im Freien sangen, immer noch „wonderfully good“. Zwei der jüngeren Sänger tanzten traditionelle Tänze. Victoria erwähnt nicht, welches Lied des Konzertes ihr besonders gut gefallen hat, aber sie hörte an diesem Abend nachweislich die Erinnerung an Hofers Tod, wie ein Programmzettel vom 16. Mai 1868 verrät (siehe Abb. 3). Obwohl die Darbietungen des Andreas Hofer-Liedes durch Simon Holaus in der Presse hochgelobt wurden, konnte sich das Lied aus unerfindlichen Gründen nicht länger im Repertoire der Sänger gesellschaft Holaus halten. In den zwanzig Programmen aus dem Zeitraum zwischen 1852 und 1876,74 die im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum vorhandenen sind, scheint es nur dreimal auf. Abgesehen vom Auftritt vor Königin Victoria sang Simon Holaus das Lied 1867 in Baden- Abb. 3: Programmzettel des Konzerts der „Tyrolese Singers“ vom 16. Mai 1868 in Windsor Castle (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 13360-13). Siehe dazu Kapitel 14 in diesem Band. „Lenchen“ war Königin Victorias fünftes Kind Helene (1846–1923), später verheiratet mit Prinz Christian von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Augustenburg (1831–1917). 73 Queen Victoria’s Journals, Saturday 16th May 1868. (Principal Royal Residence) Windsor Castle, Princess Beatrice’s copies, Vol. 57, S. 141f. [Bodleian Libraries (University of Oxford) / Royal Archives]. 74 Programmzettel am Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck, FB 13360 – 09 bis 29. 71 72 344 Kapitel 17 Baden (Souvenir à la mort d’André Hofer) und 1871 in Titness Park (The Death of Hofer). Wesentlich häufiger finden wir ein anderes patriotisches Lied, das entweder mit Mein Österreich, Mein Vaterland oder Das ist mein Vaterland u. ä. betitelt wurde. Es könnte sich dabei um die Komposition Mein Vaterland, mein Oesterreich 75 von Josef Leiter, einem Mitbegründer der Innsbrucker Liedertafel, handeln, oder um Mein Österreich von Franz von Suppé, ein sehr populäres Lied, das in den 1840er-Jahren komponiert worden war und mit seinen hüpfenden Gämsen, schallenden Echos, sprudelnden Bergquellen und schönen „Dirndln“ im Text sehr gut ins Repertoire der Gruppe Holaus passen würde. Da „Zu Mantua in Banden“ ab 1856 im Repertoire von Peter Meister und ab 1862 bei Auftritten von Simon Holaus aufscheint, haben Tiroler Sänger also durchaus eine große Rolle bei der Verbreitung des Andreas Hofer-Liedes gespielt. Allerdings ist es doch um einiges zu weit gegriffen, Knebelsberger als einen „Komponisten aus dem Zillertaler Rainer Kreis“ zu bezeichnen, wie auf einer Gedenktafel an der Fassade eines Innsbrucker Traditionsgasthauses zu lesen ist.76 Knebelsberger reiste, wie viele Berufssänger, oft und war in wechselnden Ensembles tätig, die meist als „Tiroler Sängergesellschaften“ bezeichnet wurden, obwohl sie mitunter aus anderen Teilen Österreichs stammten. Unter den „Tiroler Nationalsängern“ war Peter Meister derjenige, der das Lied als erster sang. Höchstwahrscheinlich lernte er es im Umfeld von Knebelsberger kennen, was auch durch Quellen zum Kärntner Mischitz-Quintett belegt ist. Aufgrund der personellen Verbindungen ist ferner anzunehmen, dass Simon Holaus das Lied von Peter Meister übernahm. Im gut dokumentierten Repertoire der Rainer-Familie ist das Andreas HoferLied aber nur durch eine Quelle belegt.77 Infolge der Verbreitung des Liedes durch Nationalsängergruppen wurde „Zu Mantua in Banden“ schließlich zu einem populären Lied, was sich auch darin zeigt, dass es in bunt gemischte Liedersammlungen mit „beliebtesten Liedern“ unterschiedlicher Stilrichtungen aufgenommen wurde. So kommt es etwa in der Volksharfe (1868) neben „Kommt a Vogerl geflogen“, „Was ist des Deutschen Vaterland“ und „O Tannenbaum“ vor,78 oder in den Lieblings-Melodien (1862) neben Der Tiroler und sein Kind und einem Chinesischen Marsch.79 Auch im Octavenhasser (1875) ist „Zu Mantua in Banden“ zu finden, und zwar neben dem Menuett aus Don Juan (Don Giovanni) von Wolfgang Amadeus Mozart, dem Trauermarsch aus Georg Friedrich Händels Oratorium Samson und einem Berühmten Andante von Joseph Haydn.80 Ein weiteres Beispiel ist die Sammlung Die Geschwister. Rondinos und kleine Fantasieen über beliebte Opern-Melodien, Volksweisen und Lieder zu vier Händen, wo das Lied neben Felix Mendelssohn-Bartholdys „Es ist bestimmt in Gottes Rath“ und einer Nummer aus Giuseppe Verdis Oper Rigoletto aufscheint.81 Wenzel-Josef Meindl: Dr. Josef Alois Leiter, k. k Bezirkshauptmann und Compositeur, Gründer der Liedertafel, Innsbruck 1989, Anhang: „Bisher aufgefundene Kompositionen“, o. Sz.; siehe dazu auch Kapitel 5 in diesem Band. 76 Vgl. Reiter: Zu Mantua in Banden (wie Anm. 9), S. 27f. 77 Ebd., S. 184. 78 Rudolf Thoma (Hg.): Die Volksharfe. Sammlung der beliebtesten Lieder, 8. Heft, o. O. 1868, S. 98. 79 M. L. Blumenthal (Hg.): Lieblings-Melodien in Fantasien, Rondos u. Variationen, o. O. 1862, Nr. 10. 80 Anon. (Hg.): Der Octavenhasser. Auswahl beliebter u. schöner Melodien f. Pft. Leicht bearb., Heft 1, Nr. 4, o. O. 1875. 81 Anon. (Hg.): Die Geschwister. Rondinos und kleine Fantasieen über beliebte Opern-Melodien, Volksweisen […], Band 4, Breslau o. J. (Bayerische Staatsbibliothek, München, 4 Mus.pr. 31900). 75 Andreas Hofer („Zu Mantua in Banden“) 345 Resümee Schon Gerlinde Haid brachte es mit ihrem Begriff der „deutschnational begeisterten Geschichtsfälschung“ auf den Punkt: Der Text der heutigen Tiroler Landeshymne kann nur vor dem Hintergrund der deutschnationalen und burschenschaftlichen Ideologie des Textdichters Julius Mosen und seines Umfeldes richtig eingeschätzt werden. Da Mosen aus einer jüdischen Familie stammte, scheint sein Interesse am deutschnationalen Umfeld der ersten Burschenschaft in Jena auf den ersten Blick hin unverständlich und rückt seine Person vielleicht in ein unvorteilhaftes Licht, da durch die neuere Forschung einige Persönlichkeiten der damaligen Studentenbewegung in Hinblick auf antisemitische Tendenzen neu bewertet werden.82 Mosen hat sich aber durchaus mit seinen jüdischen Wurzeln beschäftigt und nichts in seinen Schriften deutet auf einen „radikalen Konvertiten“ hin, im Gegenteil. Mosen war nicht der einzige, der sich für den „Tiroler Freiheitskampf“ begeisterte. Viele deutschnationale Dichter der Zeit verarbeiteten den Andreas-Hofer-Stoff, der zu Propagandazwecken als Kampf von David gegen Goliath stilisiert wurde. Die Wege der Verbreitung des Liedes sind offensichtlich. Gesangsfreudige und politisch engagierte Männerbünde wie Gesangsvereine, Turnervereine und Studentenverbin dungen begünstigen diese durch ihre Kommersbücher und Liedersammlungen einerseits, andererseits eignete sich „Zu Mantua in Banden“ als „vaterländisches Lied“ auch für den Schulgesang. Der zweite bedeutende Rezeptionsweg des Liedes erfolgte über Nationalsänger gesellschaften, aus deren Reihen der Komponist der Melodie, Leopold Knebelsberger, stammte. Warum er sich Mosens Text zur Vertonung aussuchte, ist leicht erklärbar: Er rechnete mit der Publikumswirksamkeit eines Heldenliedes auf Andreas Hofer. Schon in den frühesten Programmen und Liedersammlungen von Tiroler Sängergesellschaften finden wir patriotische und kriegerische Lieder völlig anderer Art.83 Ob übernommene „echte“ politische Lieder oder für kommerzielle Zwecke neu geschaffene „Freiheits lieder“, vermitteln sie Informationen, erzählen Anekdoten, manipulieren und motivieren. Ihre Melodien sind leicht und beschwingt und sie thematisieren nie die Tragik kriegerischer Auseinandersetzungen. Der vielleicht wichtigste Unterschied zwischen authentischen Kampf- und Kriegsliedern in Tirol und nachträglich geschaffenen, wie dem späteren Andreas Hofer-Lied, besteht darin, dass in der Tiroler und auch der österreichischen Kriegslyrik aus der Zeit der Tiroler Aufstände sehr selten deutschnationale Tendenzen zu erkennen sind und selbst das Wort „deutsch“ so gut wie nie in Liedtexten vorkommt. Im Vielvölkerstaat Österreich waren rassistische oder nationalistische Parolen eigentlich unangebracht.84 Siehe dazu Staas: „Einheit durch Reinheit“ (wie Anm. 19). Z. B. Ignaz Moscheles (Hg.): The Tyrolese Melodies Arranged for One or Four Voices with Accompaniment for the Piano Forte, London 1827; Anon. (Hg.): Tiroler Nationalgesänge. Gesungen von den Gebrüdern Franzl, Balthasar und Anton Leo, genannt das Kleeblatt aus dem Zyllerthale, Zell am Ziller 1829, S. 4f. (Stadtbibliothek Lübeck, Bl. 10602). 84 Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des Literarischen Vereins in Wien XI); August Hartmann (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert, München 1913, Vorwort, S. XIXf.: „Und so zeigen sich denn in unserer Sammlung (immer von Friedrich Schlegel abgesehen) 82 83 346 Kapitel 17 Das im Jahr 1831 getextete und um 1844 vertonte Andreas Hofer-Lied ist ein Heldenlied, ein „säkularisiertes Märtyrerlied“,85 das voraussetzt, dass man Andreas Hofer als Helden sieht, ihn also mystifiziert. Diese Sichtweise ist in Tirol etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts gang und gäbe, während Hofer für die Jenaer Studenten schon vorher der „kämpfende David“ war. Abgesehen davon, dass „Zu Mantua in Banden“ also kein politisches Lied im engeren Sinn ist, sondern „nur“ ein Heldenlied, hat die heutige Tiroler Landeshymne zusätzlich auch nur sehr wenig mit Tirol, den Tirolern, Andreas Hofer und der historischen Realität der Tiroler Aufstände zu tun. Ein sächsischer Dichter schrieb lange nach den „Tiroler Freiheitskämpfen“ den Text, ein Niederösterreicher vertonte ihn, wobei die Tirol-Thematik für den ersten eine symbolische Rolle spielte und für den zweiten kommerzielle Bedeutung besaß. Erst durch Tiroler Sängergesellschaften erlangte das Andreas Hofer-Lied vor allem im Ausland Repräsentationscharakter und wurde so für die Tiroler Bevölkerung rückwirkend „traditionell“ und im Nach hinein identitätsstiftend. nirgendwo Spuren des so charakteristischen Stils, fast nirgend ein gedanklicher Zusammenhang mit Arndt’s ‚Geist der Zeit‘ oder Fichtes Reden an die deutsche Nation; es ist bezeichnend genug, dass in Collins Wehrmannsliedern das Wort ‚deutsch‘ nicht vorkommt. Allerdings entbehrte die damalige österreichische Politik, von Graf Philipp Stadion, einem wie Stein weiland Reichsunmittelbaren geleitet, keineswegs einer gewissermaßen deutschnationalen Tendenz; die Proklamationen Erzherzog Karls führen eine nicht mißzuverstehende Sprache, und eine Denkschrift des jüngeren Stadion bezeichnet das Hauptquartier des oberen Heerführers der k. k. Armee als die Hauptstadt Deutschlands und der deutschen Nation.“ Mehr dazu auch bei Hugo Schmidt: „Austrian National Anthem“, in: Kinley J. Brauer (Hg.): Austria in the Age of the French Revolution: 1789–1815, University of Minnesota, Minneapolis 1990, S. 175–177. 85 Hermann Kurzke: Kirchenlied und Kultur, Tübingen 2010, S. 69. Liedindex Der vorliegende Index ist eine nach Liedincipits alphabetisch geordnete Auflistung aller im Rahmen des Projekts recherchierten politischen Lieder aus Tirol oder mit starken Bezügen zu Tirol, die zwischen 1796 und 1848 entstanden sind. Nicht berücksichtigt wurden rein lyrische Texte (mit Ausnahme von gesanglich realisierten Liedtexten, deren Melodien jedoch nicht überliefert sind), Bühnenwerke, Kantaten u. ä. Eine Gewähr auf Vollständigkeit ist nicht gegeben. Die Einträge beginnen mit dem jeweiligen Liedincipit, gefolgt vom (kursiv gesetzten) Titel des Liedes (falls vorhanden), von einer Kategorisierung bzw. Gattungszuordnung, vom Jahr der Entstehung (falls eine Datierung möglich ist) und von Angaben zu Text, Melodie und den frühesten Drucken (z. B. in Liedersammlungen, auf Flugblättern u. ä.). – Hinweise auf Kapitel im vorliegenden Band erfolgen dann, wenn das jeweilige Lied dort vollständig oder auszugsweise zitiert wird. Abkürzungen anon.: anonym (ohne Verfasserangabe) BStB: Bayerische Staatsbibliothek, München Dip.: Dipauliana dt.: deutsch DVA: Deutsches Volksliedarchiv, Freiburg i. Br. engl.: englisch hs.: handschriftlich/-e/-es ident.: identisch Jh.: Jahrhundert m.: mit Mel.: Melodie ÖNB: Österreichische Nationalbibliothek, Wien ÖStA: Österreichisches Staatsarchiv, Wien StAM: Staatsarchiv München TLMF: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Innsbruck TVA: Tiroler Volksliedarchiv, Innsbruck undat.: undatiert urspr.: ursprünglich/-e/-er a) Lieder, deren Melodien überliefert sind (Nr. 1–69) 1. „Ach Himmel, es ist verspielt“, Andreas-Hofer-Lied, vermutlich Mitte 19. Jh., Text: anon. (oft Hofer selbst zugeschrieben), basiert textlich großteils auf „O Himmel! Ich verspühr“, Mel.: weist Parallelen zu einer französischen Tanzweise von 1540 auf; siehe Johannes Bolte: „Zum deutschen Volksliede“, in: Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 26 (1916), S. 178–193; John Meier: „Zum Lied von Andreas Hofer“, in: Das Deutsche Volkslied 38 (1936), S. 153–156, Druck: Eduard Amthor (Hg.): Der Alpen-Freund. Monatshefte für Verbreitung von Alpenkunde unter Jung und Alt in populären und unterhaltenden Schilderungen aus dem Gesammtgebiet der Alpenwelt und mit praktischen Winken zur genussvollen Bereisung derselben. In Verbindung mit hervorragenden Alpenkennern 1 (1870), S. 73; Druck mit Mel.: Franz Friedrich Kohl / Josef Reiter (Hg.): Echte Tiroler-Lieder, Wien 1899, S. 253f. – Siehe Kapitel 16 in diesem Band. 2. „Als der Sandwirth vom Passeier“, Andreas Hofer, Andreas-Hofer-Lied, Studentenlied, 1819, Text: Max von Schenkendorf (1783–1817), Mel.: Ludwig Berger (1777–1839), Druck m. Mel.: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Deutsches Volksgesangbuch, Leipzig 1848, S. 7. – Siehe Kapitel 17 in diesem Band. 348 Liedindex 3. „Als frühmorgen der Tag anbrach“, bayerische Kriegsballade, 1809, Text u. Mel.: anon., Druck: August Hartmann / Hyacinth Abele (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert. 3. Band: Von 1756 bis 1879, München 1913, S. 107f., laut Hartmann/Abele (S. 108) mehrfach aus dem Land Salzburg und Oberbayern mündlich überliefert. – Siehe Kapitel 8 in diesem Band. 4. „Als man das Jahr achthundert und dreizehn zählt“, Napoleon-Lied, um 1813, Text: anon., zwei Strophen übernommen von Peter Paul Staudacher: An die frischen Tyroler bey Gelegenheit des Franzosen Krieges (siehe Liedindex, Nr. 79), Mel.: anon., Beleg: DVA, A 186995. 5. „Als schwacher Souvenier“, Napoleon-Lied, um 1840, Text u. Mel.: anon., Beleg: DVA, A 187627. 6. „Anno neun bin i g’standen“, Die Erinnerung an das Jahr 1809, Nationalsängerlied, undat., Text u. Mel.: anon., Druck: Anon. (Hg.): Tiroler Nationalgesänge. Gesungen von den Gebrüdern Franzl, Balthasar und Anton Leo, genannt das Kleeblatt aus dem Zyllerthale, Zell am Ziller 1829, S. 4f. (Stadtbibliothek Lübeck, Bl. 10602); Druck m. Mel.: Johann Fuchs (Hg.): Sammlung ächter Tiroler National-Lieder für vierstimmigen Männerchor, 4. Heft, München 1862, S. 4f. (BStB, Mus.pr. 96-1, 6#1_00010.9). – Siehe Kapitel 15 in diesem Band. 7. „Auf, auf ihr Tiröla!“, Kriegslied, um 1809 (?), Text u. Mel.: anon., Druck m. Mel.: Franz Friedrich Kohl / Josef Reiter (Hg.): Echte Tiroler-Lieder, Große Neuausgabe, 1. Band, Leipzig – Zürich 1913, S. 173f. (große Ähnlichkeit mit: „Auf! Frische Tiroler! Auf spannt Eure Bichs!“, siehe Liedindex, Nr. 79). 8. „Auf auf ihr Tiroler, wir müssen in das Feld“, Kriegslied, um 1809 oder wesentlich später (?), Text u. Mel.: anon., Beleg: DVA, A 73972 (Anmerkung: „Lieder der Brienzer Mädchen, Bern, Schweizerisches Archiv, keine Datierung“). – Siehe Kapitel 9 in diesem Band. 9. „Auf die wonnevollen Tage folgen düstre schwarze Stunden“, Lied bei Gelegenheit des Sommer-Aufenthalts Seiner Exzellenz des Herrn General-Major Freyherrn von Loudon. Gesungen zu Oberbotzen in der Sommerfrist den 19 August 1797. In Musik gesetzt von H. n. Abbate F. Bihler, Loblied auf Laudon, 1797, Text (?) u. Mel.: Franz Bühler, Beleg: Südtiroler Landesarchiv, Bestand des Palais Toggenburg, A/I.48. 10.„Auf Tyrol! Nicht lang verweile“, Schützen-Lied von einem Bauern von Hötting gemacht, Kriegslied, 1796, Text u. Mel.: anon., Druck: Flugblatt, TLMF, FB 1197/83; Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 130–132. 11.„Bueben, schreyts enk müed und haiser“, Lied im Tiroler Dialekt, nach dem Ausbruche der Insurrektion im Jahre 1809, Kriegslied, 1809 (?), Text: Franz Karl Zoller (1748–1829?), Mel.: „Gott erhalte unsern Kaiser“ (Joseph Haydn), Druck: Flugblatt, ÖNB, 303.488-A; Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des Literarischen Vereins in Wien XI), S. 245–249. – Siehe Kapitel 8 in diesem Band. 12.„Brüder, Krieg bringt stillen Hütten“, Die Stimme der warnenden Freundschaft an die irregeführten Tiroler und Vorarlberger, von einem Freunde des Vaterlandes, München 1809, kritisches Lied über den Tiroler Aufstand, 1809, Text: anon., Mel.: „Schön ist’s, unter’m freyhen Himmel“, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 1383/91. – Siehe Kapitel 8 in diesem Band. 13.„Brüder! ruft aus Herzensgrund“, Freudenlied der tapfern Tyroler, gesungen bey der Ankunft seiner kaiserlichen Hoheit des Erzherzog in Tyrol nach gehaltener Anrede, Loblied auf das Kaiserhaus, um 1809, Text: anon., Mel.: „Wann i in der Früh aufsteh“ (siehe Liedindex, Nr. 65), Druck: TLMF, FB 2071 (Wien 1809); Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des Literarischen Vereins in Wien XI), S. 251–253. – Siehe Kapitel 11 in diesem Band. 14.„Dem Franzmann ist nie wohl zu Muth“, Lied zweyer Französischer Gensdarme bey dem Einrücken der K. K. Öster. Truppen in Tyrol 1814 nach der sogenannten, und bekannten Melodie des Alpenlurlers in 2 Stimmen, satirisches Lied, 1814, Text: anon., Mel.: angeblich nach dem Alpenlurler (Sonnleithner-Sammlung, Archiv der Gesellschaft für Musikfreunde, Wien, Kreis Pustertal, XI/5); weiterer Beleg: TVA, 6123. 15.„Den Adler traf mein sich’res Rohr“, Der Speckbacher, Josef-Speckbacher-Lied, Ende 19. Jh., Text u. Mel.: anon., Druck m. Mel.: Anon. (Hg.): Sammlung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte oder der Guitarre, 4. Band, Innsbruck [ca. 1890], Nr. 38, S. 14f. – Siehe Kapitel 5 in diesem Band. Liedindex 349 16.„Den Stutzen hear, bam Saggara“, A Liad zum Garibaldi-Rummel im Jahre 1866, Kriegslied, 1866, Text: anon., Mel.: „Den Stutzen hear bam Saggara“ (siehe Liedindex, Nr. 17), Druck: Die Dorflinde. Wochenblatt für tirolische Belletristik 32 (1866), S. 249f. – Siehe Kapitel 1 in diesem Band. 17.„Den Stutzen hear, beym Soggara“, A Lied im Franzosen-Rummel 1796, Kriegslied, 1796, Text: Johann Friedrich Primisser (1757–1812), hs. Fassung im TLMF, Dip. 1037/8, Mel.: anon.; weitere hs. Aufzeichnung mit Mel. in: Johann Baptist Gänsbacher (1778–1844): Denkwürdigkeiten aus meinem Leben (hs.) (TLMF, FB 15546), Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 145–147; Umdichtung auf die Tiroler Landesverteidigung 1866: A Liad zum Garibaldi-Rummel im Jahre 1866 (siehe Liedindex, Nr. 16). – Siehe Kapitel 1 in diesem Band. 18.„Der Tharerwirt von Olang“, Heldenlied, nach 1850, Text u. Mel.: anon., Druck m. Mel.: Alfred Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder. 1. Band: Balladen, Schwankballaden, Moritaten, historische Lieder, ältere Soldatenlieder, Ständelieder, Bauern und Knechte, Kassel u. a. 1968, S. 155f. 19.„Die liebe Feyerstunde schlägt“, Der Tagelöhner, politisch intendiertes Abendlied, in manchen Fassungen mit einer sozialkritischen Strophe, um 1786, Text u. Mel.: möglicherweise Johann Friedrich Schlez (1759–1839) oder Anton Golzham[m]er (gest. 1786), Druck: Wiener Musenalmanach 1786, S. 27, hs. auch bei Christian Blattl um 1830 (laut Leopold Schmidt: Volksgesang und Volkslied. Proben und Probleme, Berlin 1970, S. 246). Auf Tirol bezogene Umdichtungen m. anderen Mel.: Gioachino Rossini: At Close of Day, Tyrolien duetto […] Arranged and adapted by Henry R. Bishop, London 1840 [British Library, Music Collections G.809.cc.(2.)]; Felicia Hemans / Augusta Browne: Tyrolese Evening Hymn, London, um 1839 (Johns Hopkins University, Baltimore, Levy Sheet Music Collection, Box 043, Item 162). – Siehe Kapitel 10 in diesem Band. 20.„Die Trommel wirbelt! auf, ins Feld!“, Kriegslied der boznerischen tyrolischen Landes-VertheidigungsTruppen, Kriegslied, 1796, Text u. Mel: Franz Bühler (auch Bihler, 1760–1824), Druck m. Mel.: TLMF, Dip. 582/VIII, Nr. 3 (Graz 1796). – Siehe Kapitel 4 in diesem Band. 21.„Ei, das Leben ist so schön“, Tiroler Schützenlied aus den vierziger Jahren, Schützenlied, um 1848, Text u. Mel.: Christian Blattl (1805–1865), Druck m. Mel.: Josef Pommer (Hg.): Blattl-Lieder. Nach Wort und Weise verfaßt von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl, Saalfelden 1910, S. 29–31. – Siehe Kapitel 13 in diesem Band. 22.„Ein Falke blickt zürnend“, Öst’reichs Falke 1810, Andreas-Hofer-Lied, um 1875, Text: Wenzel Wenhart (1834–1912), Mel.: Carl Maria von Weber (1786–1826): Lützow’s wilde, verwegene Jagd (1814), Druck m. Mel.: Adalbert Proschko / Franz Pammer (Hg.): Liederquelle. Ausgewählte Lieder für öster reichische allgemeine Volksschulen. 4. Heft: Lieder für das 7. und 8. Schuljahr, Linz 1885, S. 73. 23.„Es ist schon wiedrum ein Jahr vorbei“, Kriegslied, um 1799, Text u. Mel.: anon., Druck m. Mel.: Alfred Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder. 1. Band: Balladen, Schwankballaden, Moritaten, historische Lieder, ältere Soldatenlieder, Ständelieder, Bauern und Knechte, Kassel u. a. 1968, S. 153. 24.„Es werfen die Berge all’“, Schützenfrühlingslied. Gedichtet von St – auf die Arie des vom Sänger Ludwig Rainer aus Amerika mitgebrachten Matrosenliedes, um 1847, Nationalsängerlied, Schützenlied, Text: anon., in: Tiroler Schützen-Zeitung, Nr. 15, 15. April 1847, S. 113–115. Mel.: angeblich nach einem amerikanischen Matrosenlied; ältester bekannter Melodiebeleg (der wohl nichts mit dem amerikanischen Matrosenlied zu tun hat) in: Anon. (Hg.): Sammlung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte oder der Guitarre, 6. Band, Innsbruck [ca. 1890], S. 22 (BStB, 4 Mus.pr. 47033-1/6); siehe auch DVA, Gr. II, Tirol-Bayern 1809, A 188411. – Siehe Kapitel 14 in diesem Band. 25.„Feinde ringsum“, Studentenlied, 1792, Text: Carl Gottlob Cramer (1758–1817), Mel.: Carl Ludwig Traugott Gläser (1747–1797); hs. mit Mel. in: Johann Baptist Gänsbacher (1778–1844): Denkwürdigkeiten aus meinem Leben (hs.) (TLMF, FB 15546), Druck m. Mel.: Carl Gottlob Cramer: Hermann von Nordenschild, 2. Teil, Weißenfels 1792, S. 146. – Siehe Kapitel 4 in diesem Band. 26.„Freut euch, ihr Wiener Bürger“, Friedenslied von Prinz Karl. An die Wiener Freiwilligen über des Französ. General Bonaparte Einfall in Italien, Tyrol und Steyermark, als die Franzosen nach Wien vorrücken wollten, nebst einem Lied von einem Tyroler Scharfschützen an seine tapfern Tyroler. Friede von Campo Formio, 17. Oktb. 1797 Das Erste. Im Ton: Ich Mädchen bin aus Schwaben, Lied gegen Napoleon, Siegeslied, 350 Liedindex 1797, Text: anon., Mel.: Christian Friedrich Daniel Schubart (1739–1791): „Ich Mädchen bin aus Schwaben“ (Schwabenmädchen), Druck: Franz Wilhelm von Ditfurth (Hg.): Historische Volkslieder der Zeit von 1756 bis 1871. 1. Band, 2. Heft: Die historischen Volkslieder vom Ende des siebenjährigen Krieges, 1763, bis zum Brande von Moskau, 1812, Berlin 1872, S. 224–228. 27.„Für den guten Vater Loudon“, Lied bei der Abreise der Frau Graefinn von Fünfkirchen Gemahlin des Herrn General-Major Freyherrn von Loudon Gesungen zu Oberbotzen in der Sommerfrist den 27. August 1797 in Musik gesetzt von H.n Abbate F. Bühler, Loblied auf Laudon, 1797, Text: anon., Mel.: Franz Bühler (auch Bihler, 1760–1824), Druck m. Mel.: Südtiroler Landesarchiv, Bestand des Palais Toggenburg, A/I.49. 28.„Grüaß Gott, euch Herrn und Frauen all“, Andreas-Hofer-Lied, 2. Hälfte 19. Jh., Text u. Mel.: anon., hs. überliefert im TLMF, FB 2103/52, Druck m. Mel.: Alfred Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder. 1. Band: Balladen, Schwankballaden, Moritaten, historische Lieder, ältere Soldatenlieder, Stände lieder, Bauern und Knechte, Kassel u. a. 1968, S. 159. – Siehe Kapitel 16 in diesem Band. 29.„Heil dem Tag, der aus den Wonneauen Welschlands uns den Vater wiederbringt“, Lied an den König, Loblied auf den bayerischen König, 1808, Text: Wilhelm Lechleitner (?), Mel.: Wilhelm Lechleitner (1779–1827), hs. in BStB, Mus. Ms. 161, Druck: Hildegard Herrmann-Schneider: „Andreas Hofer und die Tiroler Freiheitskämpfe als musikalisches Sujet. Ereignisse – Heldentum – Erinnerung“, in: Der Schlern 83 (2009), Heft 7: Juli, S. 52. – Siehe Kapitel 6 in diesem Band. 30.„Heil unserm König! Ewiger“, Loblied auf den bayerischen König, 1806, Text: Waldhauser („Professor“), Mel.: Abbé Georg Joseph Vogler (1749–1814), vertont ebenso von Wilhelm Lechleitner (1779– 1827) (hs. Partitur im Musikarchiv des Stiftes Neustift bei Brixen, Sign. W. L. Mx. 6), Text überliefert in: Innsbrucker Wochenblatt 8 (1806), 3. Februar 1806, S. 1f.; Allgemeine musikalische Zeitung VIII (1806), 12. Februar 1806, S. 320. – Siehe Kapitel 6 in diesem Band. 31.„He, Wirth, schenk uns die Flasche voll!“, Zuruf eines gedienten königl. baierischen Grenadiers an seine neugeworbenen Tyroler-Kameraden, Soldatenlied, Text: anon., Mel.: „Auf, auf ihr Brüder und seid stark“ (Kaplied) von Christian Friedrich Daniel Schubart (1739–1791), Druck: Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des Literarischen Vereins in Wien XI), S. 422–424. – Siehe Kapitel 4 in diesem Band. 32.„Heut kommet unser Kaiser Franz, der liebe gute Mann“, Huldigungslied auf die Vorbeyreise Seiner K. K. Majestät unsers Durchlauchtigsten Kaisers Franz / Innichen den 23. März 1816, Loblied, 1816, Text u. Mel.: anon., Beleg: Sonnleithner Sammlung, Archiv der Gesellschaft für Musikfreunde, Wien, Tirol / Kreis Pustertal, XI/2. 33.„Hui auf! Hui auf! Der Feind ruckt ins Land“, Der Tyroler Landsturm, Kriegslied, Nationalsängerlied, um 1825, Text u. Mel. (?): Max Johann Seidel, Druck dt. und engl. m. Mel.: „What ho! What ho! The cry wakes the land“ / „Hui auf ! hui auf ! schreit man durch’s Land“, in: Ignaz Moscheles (Hg.): The Tyrolese Melodies Arranged for one or Four Voices with an Accompaniment for the Piano Forte, London 1827, S. 46–52. Siehe Sandra Hupfauf: „Der Tyroler Landsturm: Ein Nationalsängerlied und seine Reise durch die amerikanische Popularmusik des 19. Jahrhunderts“, in: Thomas Nußbaumer (Hg.): Volksmusik in den Alpen – Standortbestimmungen. Festschrift für Josef Sulz zum 80. Geburtstag, Innsbruck 2011 (Schriften zur musikalischen Ethnologie 1), S. 255–279. 34.„I bin a blåaß löbfrischar Bua“, Napoleon-Lied, um 1809 (?), Text u. Mel.: anon., Druck m. Mel.: Franz Friedrich Kohl / Josef Reiter (Hg.): Echte Tiroler-Lieder, Große Neuausgabe, 1. Band, Leipzig – Zürich 1913, S. 162f. 35.„Ietz ist er gar der Kirchtatanz“, A Siegslied am heil. sant Isidoritag Anno 1797, Siegeslied, 1797, Text: Johann Friedrich Primisser (1757–1812), Mel.: „Den Stutzen hear, beym Soggara“ (siehe Liedindex, Nr. 17), Druck: Flugblatt, TLMF, FB 535/11; Franz Wilhelm von Ditfurth (Hg.): Historische Volkslieder der Zeit von 1756 bis 1871. 1. Band, 2. Heft: Die historischen Volkslieder vom Ende des siebenjährigen Krieges, 1763, bis zum Brande von Moskau, 1812, Berlin 1872, S. 229–231. 36.„Im Garten zu Schönbronnen“, Napoleon-Lied, um 1830, Text u. Mel.: anon., Druck m. Mel.: Alfred Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder. 1. Band: Balladen, Schwankballaden, Moritaten, historische Lieder, ältere Soldatenlieder, Ständelieder, Bauern und Knechte, Kassel u. a. 1968, S. 166. Liedindex 351 37.„In Wien macht man den Frieden“, Napoleon-Lied, um 1812, Text u. Mel.: anon., Beleg: DVA, A 187968. 38.„Ist es denn schon wirklich war“, Napoleon-Lied, um 1812, Text u. Mel.: anon., Druck m. Mel.: Alfred Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder. 1. Band: Balladen, Schwankballaden, Moritaten, historische Lieder, ältere Soldatenlieder, Ständelieder, Bauern und Knechte, Kassel u. a. 1968, S. 160–164. 39.„Jatz soll i oans singa, jå wenn i na mecht“, Boarlied, Lied gegen die Bayern, um 1809 (?), Text u. Mel.: anon., Druck m. Mel.: Franz Friedrich Kohl (Hg.): Echte Tiroler-Lieder, Wien 1899, S. 251f.; TVA, A 3381 (siehe auch „Jetzt hat si des Blattl auf oamal gewendt“, Liedindex, Nr. 41). 40.„Jauchzet singet frohe Lieder“, Freiheitslied, Nationalsängerlied, um 1815 (?), Text u. Mel.: anon., Druck dt. und engl. m. Mel.: Das freie Land / The free country, in: Ignaz Moscheles (Hg.): Tyrolese Melodies Sung by the Tyrolese Family Rainer with the original German Words and an English Translation By T. H. Bayly Esq.re Arranged for two or four Voices, with Symphonies and Accompaniments for the Piano Forte, Vol. 3, London 1829, S. 17–23, ohne Mel. hs. bei Christian Blattl, um 1830 (laut Leopold Schmidt: Volksgesang und Volkslied. Proben und Probleme, Berlin 1970, S. 254). – Siehe Kapitel 14 in diesem Band. 41.„Jetzt hat si des Blattl auf oamal gewendt“, Tirolergesang vom Jahr 1809 / Boarlied / Der boarische (auch: baierische) Einbruch / Unterinnthalisches Volkslied 1809 (unterschiedliche Liedanfänge über liefert), siehe auch „Jatz soll i oans singa“ (Liedindex, Nr. 39), Protestlied gegen die Bayern, 1809 (oder später), Text: anon., Mel.: siehe TVA, A 5408, Druck: Anton Peternader: Tirols Landes-Vertheidigung nebst interessanten Biografien und Skizzen merkwürdiger Tiroler Landesvertheidiger, 2. Teil, Innsbruck 1853, S. 54–56 (Incipit: „Jetzt sing’ ich noch eins, wenn ich gar nimmer möcht’“). – Siehe Kapitel 9 in diesem Band. 42.„Jetzt hört meine Bayern was ich euch will sing!“, Lied über die Vorfälle im August im Ober-Innthale, erzählendes Kriegslied, Zeitungslied, 1809, Text: anon., Mel.: Sterzingermooslied (siehe Ludwig von Hörmann: Tiroler Volksleben. Ein Beitrag zur deutschen Volks- und Sittenkunde, Stuttgart 1909, S. 21); TVA, A 8324, Druck: Jakob Levi Salomo Bartholdy: Der Krieg der Tyroler Landleute im Jahre 1809, Berlin 1814, S. 237. – Siehe Kapitel 9 in diesem Band. 43.„Jez wöll’n mår gien n’ Franzosen zu gög’n gien“, Spingeser Schlachtlied / Kriegslied eines Tyrolers im Landsturm An. 1797, Kriegslied, um 1797, Text: vermutlich von Franz Karl Zoller (1748–1829?), Druck: Flugblatt, TLMF, Dip. 134/5 (= ident. m. Dip. 134/30), Mel.: „Iatz wöll ma ge n heilig’n Geist singa wean ku“ (Heiliggeistlied; siehe Karl von Lutterotti, Gedichte im Tiroler Dialecte, Innsbruck 1854, S. 26–29; Druck m. Mel.: Karl Komzak / Josef Leiter (Bearb.): Das Spingeser Schlachtlied am 2. April 1797. Dem tiroler Landsturm gewidmet, Czichna: Innsbruck o. J. [1878] (ÖNB, MS27985-4.1 Mus). – Siehe Kapitel 5 in diesem Band. 44.„Juhe! Tiroler wäxe Schützn“, Die Tiroler Schützen in canone perpetuo, Kanon, Kriegslied, 1800, Text: Rogerius Schranzhofer (1746–1816), Mel.: Wolfgang Amadeus Mozart (1756–1791): „Oh du eselhafter Martin“ (KV 560b) (1788), hs. m. Mel. in der Musiksammlung des Zisterzienserstiftes Stams ohne Signatur, Druck: Walter Senn: „Mozartiana aus Tirol“, in: Hans Zingerle (Hg.): Festschrift Wilhelm Fischer. Zum 70. Geburtstag überreicht im Mozartjahr 1956, Innsbruck 1956 (Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft, Sonderheft 3), S. 53. – Siehe Kapitel 4 in diesem Band. 45.„König! Seit wir Dich gesehen“, Empfindungen der Tyroler beym ersten Anblick ihres Königs und Seiner durchlauchtigsten Familie, Loblied auf den bayerischen König, 1808, Text: Benitius Mayr (1760–1826) (?), Mel.: Pfarrorganist „Abbé Falk“ (?), Druck m. Mel.: Flugblatt, TLMF, Zeughaus, Sammlung für Drucke und Graphiken, o. Sign. – Siehe Kapitel 6 in diesem Band. 46.„La La La La La Laudon rückt an“, Gesungen von den Stadtmusikkanten [sic], als der Herr GeneralFeldwachtmeister Freyherr v. Loudon am 4ten April 1797 siegreich in Botzen einzog. Nach der Melodie des alten Liedes auf den Grafen Gideon v. Laudon / Nach dem siebenjährigen Preussenkriege, Loblied auf Laudon, 1797, Text: anon., Mel: „Nach der Melodie des alten Liedes auf den Grafen Gideon v. Laudon“, Soldatenlied, Druck: TLMF, Dip. 582/8 (= ident. m. Dip. 582/11); Wilhelm Edler von Janko (Hg.): Laudon im Gedicht und Liede seiner Zeitgenossen, Wien 1881, S. 137 (Druck m. Mel.); Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 112f. – Siehe Kapitel 4 in diesem Band. 352 Liedindex 47.„Liebe Leute neigt mir ein geneigtes Ohr“, Tiroler und Österreicher, Tiroler Lied, Nationalsängerlied, um 1845 (?), Text u. Mel.: Christian Blattl (1805–1865), Druck m. Mel.: Josef Pommer (Hg.): BlattlLieder. Nach Wort und Weise verfaßt von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl, Saalfelden 1910, S. 45–47. – Siehe Kapitel 13 in diesem Band. 48.„Lustig wir Tiroler, wir ziehen auf das Feld“, Soldatenlied, 1. Hälfte 19. Jh., Text: anon., Druck mit Mel.: Alfred Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder. 1. Band: Balladen, Schwankballaden, Moritaten, historische Lieder, ältere Soldatenlieder, Ständelieder, Bauern und Knechte, Kassel u. a. 1968, S. 155; DVA, A 188213. – Siehe Kapitel 9 in diesem Band. 49.„Net zum Spiel, nåh zum Kåmpf “, Kriegslied, 1809 oder später, Text u. Mel.: anon., Druck m. Mel.: Alfred Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder. 1. Band: Balladen, Schwankballaden, Moritaten, historische Lieder, ältere Soldatenlieder, Ständelieder, Bauern und Knechte, Kassel u. a. 1968, S. 154. – Siehe Kapitel 9 in diesem Band. 50.„Nun hört uns, ihr Bayern! wir wolln euch was sagn“, Versöhnungslied der Tiroler, 1809 oder später, Text u. Mel.: anon., Druck m. Mel.: August Hartmann / Hyacinth Abele (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert. 3. Band: Von 1756 bis 1879, München 1913, S. 114–116. – Siehe Kapitel 9 in diesem Band. 51.„O edler Greis, o Wundermann!“, Vater Radetzky, Loblied auf den Feldherrn Graf Joseph von Radetzky, 1848, Text u. Mel.: wahrscheinlich von Christian Blattl (1805–1865), Druck: Franz Joseph Adolf Schneidawind (Hg.): Radetzky-Lieder. Ein Album zu Ehren des Feldherrn, seiner Paladine und seiner Tapfern, Leipzig – Wien 1854, S. 38, Druck mit Mel.: Josef Pommer (Hg.): Blattl-Lieder. Nach Wort und Weise verfaßt von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl, Saalfelden 1910, S. 24–26. – Siehe Kapitel 13 in diesem Band. 52.„Oes Buben stellt’s enk her, wißt’s wohl“, Die Liebe der Tyroler zu ihrem Kaiser, Loblied auf den Kaiser, Nationalsängerlied, o. J., Text: anon., Druck: Anon. (Hg.): Tiroler Nationalgesänge. Gesungen von den Gebrüdern Franzl, Balthasar und Anton Leo, genannt das Kleeblatt aus dem Zyllerthale, Zell am Ziller 1829, S. 3f. (Stadtbibliothek Lübeck, Bl. 10602), Druck mit Mel.: Johann Fuchs (Hg.): Sammlung ächter Tiroler National-Lieder für vierstimmigen Männerchor, 1. Heft, München 1862, S. 1–3 (BStB, Mus.pr. 96-1, 6#1_00010. 9). – Siehe Kapitel 15 in diesem Band. 53.„’s Diandel håt gwoañt und sågt: Bua, wo gehst hin?“, Der åchtundvierz’ger Schütz, Abschiedslied, Soldatenlied, 1848, Text u. Mel.: Christian Blattl (1805–1865), Druck m. Mel.: Josef Pommer (Hg.): Blattl-Lieder. Nach Wort und Weise verfaßt von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl, Saalfelden 1910, S. 26–29. – Siehe Kapitel 13 in diesem Band. 54.„Singet, frohlocket, und jubelt laut“, Bey der Zurückkunft I. K. H. der Erzherzogin Maria Elisabeth, von Max. Anton Pontifeser, nach der Melodie: Freut euch des Lebens. Innsbruck 1797, Huldigungslied, 1797, Text: Max Anton Pontifeser („Kaiserl. Königl. Gubernial-Sekretär“) (?), Mel.: nach dem Lied „Freut Euch des Lebens“ (1793) [Text: Johann Martin Usteri (1763–1827), Mel.: Isaac Hirzel (1756– 1833)], Druck: Flugblatt, TLMF, Dip. 1037/13. – Siehe Kapitel 4 in diesem Band. 55.„Singt fröhliche Lieder, ihr Schützen, juchhe!“, Heimkehr. Bei der Zurückkunft der Jenbacher Schützen-Kompagnie am 25. Juni 1848, Siegeslied, Schützenlied, 1848, Text: Hans Obrist (1798–1882), Bauer aus Stans, Mel.: „Tiroler san lustig“, Druck m. Mel.: Vinzenz Goller (Hg.): Alte und neue Schützenlieder. Für Männergesang, Innsbruck, 1910, S. 85. 56.„So ist’s mit mir halt aus“, Andreas-Hofer-Lied, 2. Hälfte 19. Jh., Text: anon., Mel.: evt. nach „Ach Himmel, es ist verspielt“ (siehe Liedindex, Nr. 1), hs. im TLMF, FB 2103/52, Druck: Emil Karl Blümml: „Andreas Hofer-Lieder“, in: Die Kultur Wien 10 (1909), S. 93. – Siehe Kapitel 16 in diesem Band. 57.„Tief in Tirol drein wia von Gott bewacht“, Der Wirth vom Sand, Andreas-Hofer-Lied, Ende 19. Jh., Text u. Mel.: Josef Blumlacher (1827–1907), Druck m. Mel.: Anon. (Hg.): Sammlung der beliebtesten Tiroler Alpenlieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte oder der Guitarre, 5. Band, Innsbruck [ca. 1890], Nr. 54, S. 23f. – Siehe Kapitel 5 in diesem Band. 58.„Tirol, du edles, biedres Landel“, Das biedere Tirolerlandl, patriotisches Lied, 1848, Text u. Mel.: Christian Blattl (1805–1865), Druck m. Mel.: Josef Pommer (Hg.): Blattl-Lieder. Nach Wort und Weise verfaßt von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl, Saalfelden 1910, S. 38–41. – Siehe Kapitel 13 in diesem Band. Liedindex 353 59.„Tiroler, laßt uns streiten“, Sandwirth Hofers Leiblied, Kriegslied, Andreas-Hofer-Lied, 1809 (?), Text u. Mel.: anon., Druck m. Mel.: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben (Hg.): Deutsches Volks gesangbuch, Leipzig 1848, S. 140f. – Siehe Kapitel 8 in diesem Band. 60.„Tirolesi, Tirolesi! Presto all’armi: ecco i Francesi“, Canzonetta Patriotica al Bravi e Fedeli Tirolesi, Kriegslied, 1796/1797, Text: anon., Mel.: „Non sempre ride la moglie del Ladro“, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 152f. 61.„Und wir sitzen so fröhlich beisammen“, Napoleon-Lied, um 1812, Text u. Mel.: anon., Druck m. Mel.: Alfred Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder. 1. Band: Balladen, Schwankballaden, Moritaten, historische Lieder, ältere Soldatenlieder, Ständelieder, Bauern und Knechte, Kassel u. a. 1968, S. 163f. 62.„Versammelt euch im frohbelebten Kreise“, Volks-Lied, am Tage der Fahnenweihe des Bürgermilitairs von Innsbruck gesungen im königl. Nationaltheater, nach der bekannten Melodie: Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben, etc. Innsbruck am 10ten November 1808, patriotisches Lied auf die bayerische Regierung, 1808, Text: anon., Mel.: „Am Rhein, am Rhein, da wachsen unsre Reben“, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 2523/IV. – Siehe Kapitel 6 in diesem Band. 63.„‚Vielgeliebte‘ nennen mit Entzücken Bayerns Söhne, unsre Brüder, dich“, Lied an die Königin, Loblied auf bayerische Königin, 1808, Text u. Mel.: Wilhelm Lechleitner (1779–1827), hs. in BStB, Mus. Ms. 161, Druck: Hildegard Herrmann-Schneider: „Andreas Hofer und die Tiroler Freiheitskämpfe als musikalisches Sujet. Ereignisse – Heldentum – Erinnerung“, in: Der Schlern 83 (2009), Heft 7: Juli, S. 52f. – Siehe Kapitel 6 in diesem Band. 64.„Von meinem Berge muß ich scheiden“, Abschiedslied, Nationalsängerlied (?), nach 1850 (?), Text u. Mel.: anon., Beleg: TVA, A 938. 65.„Wann i in der Früh aufsteh“, Tiroler Lied, Nationalsängerlied, um 1785, Text: anon., Mel.: möglicherweise von František Xaver Tost (1754–1829), Librettist des Singspiels Der Lügner, 1785 in Pressburg aufgeführt. – Engl. Versionen: „Merrily ev’ry bosom boundeth“, Tyrolese Song of Liberty, Tiroler Lied, um 1813, Text: Thomas Moore (1779–1852); „When the matin bell is ringing“, 1827, Tiroler Lied, Nationalsängerlied, Druck dt. u. engl. m. Mel.: „Wann i in der Früh aufsteh“ / „When the Matin Bell is ringing“, in: Ignaz Moscheles (Hg.): The Tyrolese Melodies Arranged for One or Four Voices with an Accompaniment for the Piano Forte, London 1827, S. 53–61; Mel.: überliefert durch die Nationalsängerfamilie Rainer aus Fügen im Zillertal. – Siehe Kapitel 11 in diesem Band. 66.„Wer die alte deutsche Treu und Redlichkeit“, Die deutsche Treu und Redlichkeit, patriotisches Lied, um 1840, Text: Christian Blattl (1805–1865), Mel.: anon. (nach Volksliedern wie „Wann der Schnee von der Alma weggageht“), Druck m. Mel.: Josef Pommer (Hg.): Blattl-Lieder. Nach Wort und Weise verfaßt von dem Tiroler Bauerndichter Christian Blattl, Saalfelden 1910, S. 36–38. – Siehe Kapitel 13 in diesem Band. 67.„Wie ich den Erwählten liebe, bis zum Tode warm und treu“, Huldigungsjodler v. J. 1838, Loblied auf den österreichischen Kaiser, 1838, Text u. Mel.: anon., Druck m. Mel.: Johann Fuchs (Hg.): Sammlung ächter Tiroler National-Lieder für vierstimmigen Männerchor, 1. Heft, München 1862, S. 9–12 (BStB, Mus.pr. 96-1, 6#1_00010. 9). – Siehe Kapitel 5 in diesem Band. 68.„Zu Mantua in Banden“, Sandwirth Hofer, Andreas-Hofer-Lied, deutsches Studentenlied, Nationalsängerlied, Text: Julius Mosen (1803–1867), 1831, Mel.: Leopold Knebelsberger (1814–1869), um 1844, Druck: Julius Mosen: Sandwirth Hofer, in: Adalbert von Chamisso / Gustav Schwab (Hg.): Deutscher Musenalmanach für das Jahr 1833, Leipzig 1833, S. 130f., Druck mit Mel.: Friedrich Silcher / Friedrich Erk (Hg.): Allgemeines Deutsches Kommersbuch, Lahr 1858, S. 124f. – Siehe Kapitel 17 in diesem Band. 69.„Zum Kampf ‘, ihr Helden!“, Aufruf an die treuen vaterländischen Krieger, bei ihrem Kampfe gegen die Rebellen in Tirol und Vorarlberg, geschrieben am Begräbnißtage des auf dem Felde der Ehre gefallenen Helden: Königl. Obersten und Brigadiers Maximilian Grafen von Arco, Donnerstags, den 17ten August 1809, bayerisches Kriegslied, 1809, Text: anon., Mel: „Auf, auf ihr Brüder und seid stark“ (Kaplied) von Christian Friedrich Daniel Schubart (1739–1791), Druck: Flugblatt, TLMF, FB 1383/92. 354 Liedindex b) Lieder, deren Melodien nicht überliefert bzw. nicht auffindbar sind (Nr. 70–141) In diese Rubrik fallen alle Lieder, von denen wir Hinweise besitzen, dass sie gesungen wurden, zu denen aber keine Melodien ausfindig gemacht werden konnten. 70.„Ach, ihr Christen, zählt die Zeiten“, Ein anderes Bußlied aus Franzosenszeit, religiöses Lied, historisches Lied, undat., Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Lorenz Leitgeb: Mei Hoamat. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Tirols, Innsbruck 1909, S. 207. 71.„Aft heunt wohl a Liedl recht saggarisch doll“, Lied auf die Zurückkunft der zweyten Schützen-Compagnie von Schwatz, unter Anführung des Titl. Herrn Pet. Niklas Lergetporer. Vom Pet. P. Staudacher, Chorregent, Schwatz den 9. Mai 1797, Siegeslied, 1797, Text: Peter Paul Staudacher (1757–1806), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 416/9; Franz Wilhelm von Ditfurth (Hg.): Historische Volkslieder der Zeit von 1756 bis 1871. 1. Band, 2. Heft: Die historischen Volkslieder vom Ende des siebenjährigen Krieges, 1763, bis zum Brande von Moskau 1812, Berlin 1872, S. 231–233. – Siehe Kapitel 2 in diesem Band. 72.„Als Cäsar Dich auf seinem Throne“, Anmerkung: „Gesungen vor der Abreise Seiner Excellenz des K. K. Hof-Commissärs Grafen von und zu Lehrbach“, Siegeslied, 1797, Text: evt. Johann Friedrich Primisser (1757–1812), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, Dip. 1037/11. 73.„Auf, auf, ihr Tiroler!“, Passeirer Landsturm, Kriegslied, 1809, Text: Juliana Menjegerin (?, laut StAM, MA 7022/1,51), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar; hs. Version von Claudia Heslingerin 1811 (StAM, MA 7022/1, 51), Druck: Beda Weber: Das Thal Passeier und seine Bewohner. Mit besonderer Rücksicht auf Andreas Hofer und das Jahr 1809, Innsbruck 1852, S. 305–310 (hier unter dem Titel Sandwirthslied). – Siehe Kapitel 8 und 12 in diesem Band. 74.„Auf auf Tiroler Schützen und ladet eure Büchsen“, Schützenlied, 1859 oder später, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Beleg: DVA, A 91. 75.„Auf ! Auf ! wir Tiroler wir müssen ins Feld“, Kriegslied, 1796 oder 1809 (?), Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: August Hartmann / Hyacinth Abele (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert. 3. Band: Von 1756 bis 1879, München 1913, S. 84f.; weiterer Beleg: DVA, A 73972. Laut Hartmann/Abele (S. 85) mündlich überliefert aus Hallstadt, ferner als hs. Beilage zum Manuskript von Maria Vinzenz Süß: Salzburgische Volks-Lieder mit ihren Singweisen, Salzburg 1865 (Salzburg Museum, Hs 4055/1–3). 76.„Auf brave Tyrola, erhebet die Stimm“, Tyroler Liedel von P. P. Staudacher, Chorregent zu Schwatz. Abgesungen den neunten April 1797 zu Ehren des Generals Baron Loudon, Siegeslied, Loblied auf Laudon, 1797, Text: Peter Paul Staudacher (1757–1806), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 416/11; Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 113–115. 77.„Auf den Bergen Spingens, wird gar lustig gemäht“, Der Sensenschmied von Volders, Heldenlied, Kriegslied, um 1797, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Beleg: DVA, A188249. 78.„Auf, du schläfriges Tirol“, Schützen-Lied, Kriegslied, 1809 (?), Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Anton Peternader: Tirols Landes-Vertheidigung nebst interessanten Biografien und Skizzen merkwürdiger Tiroler Landesvertheidiger, 3 Teile in einem Band, Innsbruck 1853, S. 173f. – Siehe Kapitel 8 in diesem Band. 79.„Auf ! Frische Tyroler! Auf spannt eure Bichs!“, An die frischen Tyroler bey Gelegenheit des Franzosen Krieges. Verfaßt und abgesungen mit Begleitung der türkischen Musik vom P. P. Staudacher, Chorregent, den 3. Julius 1796, auf der Schießstatt zu Schwaz, Kriegslied, 1796, Text: Peter Paul Staudacher (1757– 1806), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 245/29; Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 156f. Liedindex 355 80.„Auf im Berge! auf im Thale!“, Kriegslied, 1809, Text: Graf Johann von Stachelburg (1778–1809), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des Literarischen Vereins in Wien XI), S. 254–256. – Siehe Kapitel 8 in diesem Band. 81.„Auf Tiroler auf zum Streit“, Tiroler Schützenmarsch 1848, Kriegslied, Nationalsängerlied, Innsbruck, 1857, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Beleg: TLMF, FB 43411/13c. 82.„Avanti, avanti, o Galli“, Canzonetta nuova die bersaglieri ai Francesi l’anno 1796, Kriegslied, 1796, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Lorenzo Dalponte: Uomini e genti trentine durante le invasioni Napoleoniche 1796–1810, Trento 1984, S. 31. 83.„Bei Weiters der Aufgang der Sonnen“, Kriegslied, vor 1830 (?), Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, hs. in der Handschrift C von Christian Blattl (1805–1865) (laut Leopold Schmidt: Volksgesang und Volkslied. Proben und Probleme, Berlin 1970, S. 245). 84.„Bonaparte, e Bavari uniti“, Canzoneta contro Bonaparte e Bavaresi dell’Anno 1809, Kriegslied, 1809, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Lorenzo Dalponte: Uomini e genti trentine durante le invasioni Napoleoniche 1796–1810, Trento 1984, S. 33f. 85.„Brüder, alle lustig auf “, Schützenlied der Kufsteiner Sturmmannschaft, Kriegslied, undat., Text: Simon Dagn (?), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des Literarischen Vereins in Wien XI), S. 242f. – Siehe Kapitel 8 in diesem Band. 86.„Dankbarkeit ist höchste Pflicht“, Gesang bey dem Seelenamte, religiöses Lied, 1797, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 116f. (Gesänge für die im Kriege umgekommenen Landesvertheidiger. Gehalten in Gegenwart einer zahlreichen löbl. Scharfschützen-Kompagnie in der Pfarre Axams den 1. May 1797, erstes Lied). 87.„Dem Adler reicht die Hand“, Auf ! auf ! nur auf ! Tyroler auf !, Kriegslied, um 1809 (?), Text: Josef Abenthung (1779–1860), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, hs. im TLMF, Musiksammlung, M 9228/1. – Siehe Kapitel 13 in diesem Band. 88.„Dem Himmel o sey Dank“, Gesang bey dem Lobamte, religiöses Lied, 1797, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 117–120 (Gesänge für die im Kriege umgekommenen Landesvertheidiger. Gehalten in Gegenwart einer zahlreichen löbl. Scharfschützen-Kompagnie in der Pfarre Axams den 1. May 1797, zweites Lied). 89.„Der Künig kümt aus Wälischland“, Der Tiroler Bauer an seinen König. Ein Lied in der Volkssprache auf die höchst erfreuliche Zurückkunft Ihrer königlichen Majestäten und Sr. königl. Hoheit des Kronprinzen aus Italien, Loblied auf den bayerischen König, 1808, Text: Franz Karl Zoller (1748–1829?), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Josef Feichtinger (Hg.): Tirol 1809 in der Literatur. Eine Textsammlung, Bozen 1984 (Literarische Zeugnisse aus Tirol 4), S. 11–14. – Siehe Kapitel 6 in diesem Band. 90.„Der Länges ist umer, der Summer ist do“, Tiroler Schützenlied auf das große Königliche Freyschießen zu Innsbruck, den 27. May im Jahre 1808, Loblied auf die bayerische Regierung, 1808, Text: Franz Karl Zoller (1748–1829?), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF FB 2523/V. – Siehe Kapitel 6 in diesem Band. 91.„Der sakrische Oberst und der ist tot!“, Erste Befreiung Innsbrucks, Kriegslied, Siegeslied, 1809, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Franz Wilhelm von Ditfurth (Hg.): Historische Volkslieder des österreichischen Heeres von 1638–1849, o. O. 1849, S. 82f. – Siehe Kapitel 8 in diesem Band. 92.„Dich grüßen wir, o liebvolla Kaisa“, Der Abschiedsstrauß an den Kaiser, Loblied auf den österreichischen Kaiser, 1838, Text: Christian Blattl d. Ä. (1776–1856), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Anton Peternader: Tirols Landes-Vertheidigung nebst interessanten Biografien und Skizzen merkwürdiger Tiroler Landesvertheidiger, 3 Teile in einem Band, Innsbruck 1853, S. 15. 356 Liedindex 93. „Erhört, Tyrol, ist deine Bitte“, Lied auf die Allerhöchste Anwesenheit Sr. k. k. apostol. Majestät Franz I. zu Innsbruck im October 1815, Loblied, 1815, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck.: Flugblatt, TLMF, FB 535/38. 94. „Es tönte weit und breit“, Andreas-Hofer-Marsch, Andreas-Hofer-Lied, 2. Hälfte 19. Jh., Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Beleg: TVA, A 8941 (Liederbuch des H. Hinter walder, o. J.). 95. „Frisch auf, frisch auf Tirolerbue“, Lied auf Speckbacher (in einer anderen Version ein Lied auf Andreas Hofer), erzählendes Lied, Loblied auf Josef Speckbacher (1767–1820), 1809 (?), Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des Literarischen Vereins in Wien XI), S. 269f. – Siehe Kapitel 9 in diesem Band. 96. „Frisch auf ihr Schorffschützen“, Passeirer Landsturmlied 1797, Kriegslied, 1797, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Beda Weber: Das Thal Passeier und seine Bewohner. Mit besonderer Rücksicht auf Andreas Hofer und das Jahr 1809, Innsbruck 1852, S. 301. 97. „Für brave Kameraden“, Der Soldat auf der Wacht, Soldatenlied, Nationalsängerlied, undat., Text u. Mel.: Leopold Knebelsberger (?) [laut Anderluh, Gerda (Hg.): Anton Kollitsch: Forschungen und Beiträge zu Lied und Musik in Kärnten. Im Einvernehmen mit dem Kärntner Volksliedwerk, Klagenfurt 2005 (Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie 92), S. 69], Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck (o. Mel.): Anon. (Hg.): 40 National-Gesänge der Pusterthaler Sänger-Gesellschaft Schöpfer, Bruneck [ca. 1878], S. 8. 98. „Für Gott Regent u. Vaterland“, Kriegslied, um 1809 (?), Text: Josef Abenthung (1779–1860), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, hs. im TLMF, Musiksammlung, M 9229. – Siehe Kapitel 13 in diesem Band. 99. „Ha lustig ihr Herrn und Schützen“, Aufmunterung an die tirolischen Scharfschützen und Landes vertheidiger zum Ausmarsch gegen die welschen Freischaaren 1848, Kriegslied, 1848, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Beleg: TVA, A 2149. 100.„Heil und Dank dem Sieger“, Empfindungen des Dankes der Stadt Botzen, als der k. k. GeneralFeldwachtmeister, Alexander Freyherr v. Loudon, nach Vertreibung der Franken am 4ten April 1797 in die Stadt einzog, Siegeslied, 1797, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 110f. 101.„He, lustig, ihr Herrn und Schützen!“, Aufmunterung an die Tyrolischen Scharfschützen und Landesvertheidiger, vom Peter Paul Staudacher, Chorregent zu Schwatz bey dem Ausmarsch der Scharfschützen unter Commando des Herrn Hauptmanns Harb, den 11. Hornung 1797, Kriegslied, 1797, Text: Peter Paul Staudacher (1757–1806), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 535/15; Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 87–92. 102.„He Nochba Lenz beym Soggara“, Volkslied in Tyrol über die Regierung Bayerns, Protestlied gegen die bayerische Regierung, 1808, Text: wahrscheinlich Franz Karl Zoller (1748–1829?), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 535/25; Josef Feichtinger (Hg.): Tirol 1809 in der Literatur. Eine Textsammlung, Bozen 1984 (Literarische Zeugnisse aus Tirol 4), S. 16f. 103.„Heut hab’n ma Poradi, heunt is ja recht doll!“, Lied zu Ehren des Kaiserl. Königl. Hof-Commissärs Herrn Grafen von und zu Lehrbach, und Herrn Gouverneur Grafen von Bissingen. Vom Pet. P. Staudacher, Chorregent in Schwatz. Abgesungen den 2. Juni 1797 bey Dero Anwesenheit in Schwatz, Loblied, Text: Peter Paul Staudacher (1757–1806), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 134–136. 104.„Holt Gelt, Bonapartl“, Spottlied auf Napoleon, um 1812, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Beleg: TVA, A 7079 (mitgeteilt von Maria Ganner aus Wildermieming, aufgezeichnet von Josephus Weber, ca. 1910). – Siehe Kapitel 14 in diesem Band. Liedindex 357 105.„Hört Freunde last uns singen“, Der Hofer, der Sandwirth, Andreas-Hofer-Lied, Ende 19. Jh., Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, hs. Version in einem Gesangbuch aus St. Johann in Tirol, 1852 (TLMF, FB 35387/3). – Siehe Kapitel 16 in diesem Band. 106.„Ihr deutschen Brüder seid gegrüßt“, Gruß an Deutschland, Nationalsängerlied, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Anon. (Hg.): 40 National-Gesänge der Pusterthaler SängerGesellschaft Schöpfer, Bruneck [ca. 1878], S. 29. 107.„Ja wir stehen hier wie Eichen“, Lied der wackeren Etschländer die zur Vertheidigung des Vaterlandes auf den Gränzen stehen, gesungen vom Landsmann J. P. v. Unterrichter, Kriegslied, 1796, Text: Johann Peter von Unterrichter (?), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, Dip. 193; Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 57–60. 108.„Jetzt kommt die längst gewünschte Stunde“, Napoleon-Lied, um 1812, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck (nur Text): Alfred Quellmalz (Hg.): Südtiroler Volkslieder. 1. Band: Balladen, Schwankballaden, Moritaten, historische Lieder, ältere Soldatenlieder, Ständelieder, Bauern und Knechte, Kassel u. a. 1968, S. 165f. 109.„Juchhe! Juchhe! / Jetzt geht’s schon g’recht!“, Jubelruf eines Tirolers bei der Siegesnachricht von Varna’s Eroberung, Siegeslied (Russisch-Türkischer Krieg 1828–1829), Nationalsängerlied, 1829, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Anon. (Hg.): Tiroler Nationalgesänge. Gesungen von den Gebrüdern Franzl, Balthasar und Anton Leo, genannt das Kleeblatt aus dem Zyllerthale, Zell am Ziller 1829, S. 5f. – Siehe Kapitel 15 in diesem Band. 110.„Juheisa, sa Schüzen, seyts alle wohl auf “, Danksagung von den Gemeinden Thierburg und Vollandsegg, bey hoher Anwesenheit Sr. Excellenz des Herrn Grafen von und zu Lehrbach, k. k. Hof-Commissär etc. etc. Wie auch Sr. Hochgräfl. Excellenz Herrn Grafen von Bissingen Gubernaer im Lande Tirol. Von Peter Paul Staudacher. Abgesungen den 14ten September 1797, Siegeslied, 1797, Text: Peter Paul Staudacher (1757–1806), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 416/7, Druck: Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 141–144. 111.„Kaiser Franz wie steht es dir“, Lied der Tyroler Insurgenten, 1809, den 13. April d. d. [sic] Zell in Zillerthal, Kriegslied, 1809, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, hs. überliefert (in einer Abschrift aus dem frühen 20. Jh.) im ÖstA, OeStA/KA FA AFA HR Akten 1394-I-50Ad. – Siehe Kapitel 8 in diesem Band. 112.„Kaiserlich! Kaiserlich!“, Schnaderhüpfel aus dem Kriegsjahre 1848, 1848, Text: Hans Obrist (1798– 1882), Bauer in Stans, Mel.: originale Melodie nicht überliefert / nicht auffindbar, Vertonung von Vinzenz Goller (1873–1953) in: Vinzenz Goller (Hg.): Alte und neue Schützenlieder. Für Männergesang, Innsbruck, 1910, S. 16. 113.„König Max Du graußigs Mandl“, urspr. Titel: Huldigung, Spottlied auf den bayerischen König, undat., Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Beilage der Innsbrucker Nachrichten 22 (1875), Nr. 180, 21. August 1875, S. 131, Beilage. – Siehe Kapitel 7 in diesem Band. 114.„Ladet eure Röhre scharf und flink“, Für die Tyroler Scharfschützen-Regimenter den 27n Mai 1796, Kriegslied, 1796, Text: Johann Baptist Primisser (1739–1815), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 143–145. 115.„Laßt uns zum Altar hin tretten“, Lied zur Todesfeyr für die im Jahr 1809 aus der Gemeinde Götzens 8 Gefallenen Landes-Vertheidiger verfaßt von Josef Abentung [sic], Landesschützen Hauptmann, Kriegslied, 1809, Text: Josef Abenthung (1779–1860), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, hs. im TLMF, Musiksammlung, M 9227. – Siehe Kapitel 13 in diesem Band. 116.„Laudon, o Laudon, du tapferer Held“, Heldenlied, um 1800, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: M. (?) Gsangl: Tiroler Heimatblätter 12 (1934), Heft 5/6: Mai/Juni, S. 256 (Anmerkung: „nach den Tiroler Freiheitskämpfen vielgesungenes Lied“). – Siehe Kapitel 4 in diesem Band. 358 Liedindex 117.„Mein Vater Karl! Noch bist du hier!“, Lied eines alten Grenadiers. Bey der Abreise Sr. königl. Hoheit des Erzherzogs Karls von der Armee, Loblied, 1800, Text: Alois Weissenbach (?), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 535/22. 118.„Mir ist halt so lustig im Tyroler Land d’rin“, Das Gebet für den Kaiser, Loblied auf das Kaiserpaar, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Anon. (Hg.): Tyroler National-Gesänge. Gesungen von der Gesellschaft Leo: Balthasar, Sebastian, Anton, Matthies und Crescentia, aus dem Ziller thale in Tirol, 2. Heft, Aarhuus 1837, S. 7. – Siehe Kapitel 15 in diesem Band. 119.„Nichts freiers könnt’s bald in der Welt nimmer geben“, Neues Tiroler-Schützen-Lied, Schützenlied, Lob des Schützenbrauchtums, 1847, Text: angeblich Christian Blattl (1805–1865), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Anton Peternader: Tirols Landes-Vertheidigung nebst interessanten Biografien und Skizzen merkwürdiger Tiroler Landesvertheidiger, 3 Teile in einem Band, Innsbruck 1853, S. 52–54. 120.„Nicht verzagt in dieser Not!“, Ein Bußlied vom Jahre 1809, Bußlied, 1809, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Lorenz Leitgeb: Mei Hoamat. Ein Beitrag zur Kulturgeschichte Tirols, Innsbruck 1909, S. 108. 121.„Nun Dank! Und Lob! Jehofa dir“, Auf die dreymalige Befreiung Tyrols, Danklied an Gott über den Sieg, Siegeslied, 1809, Text: Josef Abenthung (1779–1860), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, hs. in TLMF, Musiksammlung, M 9228/2. – Siehe Kapitel 13 in diesem Band. 122.„O Freudentag voll Seligkeiten“, Lied d. K. Zöglinge im Kassians-Haus zu Brixen bey Gelegenheit der Rückkehr der Allerhöchsten Königl. Bayerischen Majestäten aus Italien, Loblied auf die bayerische Regierung, 1808, Text: anon. (Wilhelm Lechleitner?), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 4011/4. – Siehe Kapitel 6 in diesem Band. 123.„O Jammer, o Elend und Schricken“, Mittenwalder Volkslied vom Jahre 1805, Kriegslied, 1805, Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, aufgezeichnet in einem hs. Liederbuch aus Kärnten (DVA, Gr. II. Tirol-Bayern 1809, B. 35531), Druck: Tiroler Heimatblätter 7 (1929), S. 172. 124.„O weh! O weh! / Die bayrische Armee“, Grabinschrift auf die Bayern. Vom Tiroler Volke Ende April 1809 gesungen, Siegeslied, 1809, Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Jakob Levi Salomo Bartholdy: Der Krieg der Tyroler Landleute im Jahre 1809, Berlin 1814, S. 87. – Siehe Kapitel 8 in diesem Band. 125.„Preis und Liebe Dir O Kaiser“, Lied, abgesungen in der musikalischen Akademie, welche von den Professoren des kaiserl. Königl. Lyceums zu Innsbruck zur Feyer der glücklichen Wiedervereinigung Tyrols mit dem Erlauchten Kaiserhause Oesterreich, den 29. July gegeben wurde, Loblied auf den österreichischen Kaiser, 1814, Text: angeblich Benitius Mayr (1760–1826), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 2523/VII. 126.„Putz’ mir das Seiteng’wehr“, Abschied eines Landstürmers 1848, Schützenlied, Abschiedslied, 1848, Text: Hans Obrist (1798–1882), Bauer in Stans, originale Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, vertont von Vinzenz Goller in: Vinzenz Goller (Hg.): Alte und neue Schützenlieder. Für Männergesang, Innsbruck, 1910, S. 64f. 127.„Schauts losts krad iatzunda, was i enk wül sagn“, Über das Abschaffen der Feiertage in unserm benachbarten Bayern, Protestlied gegen die Bayern, 1816, Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Leopold Schmidt (Hg.): Historische Volkslieder aus Österreich vom 15. bis zum 19. Jahrhundert, Wien 1971 (Wiener Neudrucke. Neuausgaben und Erstdrucke deutscher Literaturwerke 1), S. 133–136. 128.„Schreits, Bauan, enk hoasa!“, Loblied auf den österreichischen Kaiser, 1848, Text: anon., oder Christian Blattl (1805–1865), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: August Hartmann / Hyacinth Abele (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert. 3. Band: Von 1756 bis 1879, München 1913, S. 184–186; laut Hartmann/Abele aus einer hs. Liedersammlung in Oberndorf (Tirol). 129.„Schützen auf es ruft der Kaiser“, Schützenlied. Gesungen zu Innsbruck bey den großen Freyschießen und Huldigung unsers geliebten Kaisers Ferdinand, um 1830 (?), Loblied auf Kaiser Ferdinand, Schützenlied, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, hs. in der Handschrift C von Christian Liedindex 359 Blattl (1805–1865), Druck: Leopold Schmidt: Volksgesang und Volkslied. Proben und Probleme, Berlin 1970, S. 264. 130.„Schützen auf ! Es ruft der Kaiser“ (gleicher Liedincipit wie Nr. 129), Feldlied der Tiroler-Schützen 1848 gewiedmet der ersten Brunecker-Schützen-Kompagnie unter dem Hauptmanne Eduard von Grebmer bei ihrem Ausmarsche am 21. April 1848, Text: anon., Mel. („Arie nach dem bekannten Oberinnthaler Schützenliede vom Jahre 1838“; siehe Liedindex, Nr. 129): anon. und nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, W 5385/87. 131.„Sei gegrüßt zu tausendmalen“, religiöses Kampflied, zwischen 1796 und 1809, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: August Hartmann / Hyacinth Abele (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert, mit Melodien. 3. Band: Von 1756 bis 1879, München 1913, S. 81f. 132.„Seyd’s uns recht willkomma Herr Kronprinz in Tyrol“, Tyrola-Liedl, welches, als Ihre Königl. Hoheiten der Kronprinz und die Kronprinzessin von Baiern einer Bauernhochzeit in Kematen königl. Landgerichts Innsbruck am 30sten October 1810 beywohnten, abgesungen wurde von F. v. Eisank, Loblied, 1810, Text: Franz Salesius von Eisank (?), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 535/28; August Hartmann / Hyacinth Abele (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert. 3. Band: Von 1756 bis 1879, München 1913, S. 116–118. – Siehe Kapitel 12 in diesem Band. 133.„Tief im Tal drin, wie von Gott bewacht“, Der Wirt vom Sand, Trauerlied über Andreas Hofer, 2. Hälfte 19. Jh., Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Beleg: TVA, A 8172 (Liederheft des Josef Kienzl, 1881, gesammelt in Sarnthein von Klara Pölt-Nordheim). 134.„Tiroler Adler, flieg auf vom Nest!“, Andreas-Hofer-Lied, 2. Hälfte 19. Jh., Text: anon., Mel.: anon., Beleg: TVA, A 8323 (Aufzeichnung von Josephus Weber, Schwaz, 9. November 1916, mitgeteilt von Therese Lechner). – Siehe Kapitel 16 in diesem Band. 135.„Und ös, meine Boarn, derfts nöt triumphieren“, Protestlied gegen die Bayern, 1809 oder später (?), Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: TLMF, FB 1649/132; August Hartmann / Hyacinth Abele (Hg.): Historische Volkslieder und Zeitgedichte vom sechzehnten bis neunzehnten Jahrhundert, mit Melodien. 3. Band: Von 1756 bis 1879, München 1913, S. 84f. – Siehe Kapitel 8 in diesem Band. 136.„Vaterland du schönster Stern“, Andreas Hofer Lied, nach 1850 (?), Text: anon., Mel.: nicht über liefert / nicht auffindbar, Beleg: DVA, A 188433. 137.„Wax auf, beym Schlaggarar“, Duxer-Lied an die Tyrolischen Landesvertheidiger von P. P. Staudacher, Chorregent zu Schwatz 1797, Kriegslied, 1797, Text: Peter Paul Staudacher (1757–1806), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 416/8; Friedrich Leonard von Soltau (Hg.): Ein Hundert Deutsche Historische Volkslieder, Leipzig 1836, S. 570–574. – Siehe Kapitel 1 in diesem Band. 138.„Weit entfernt von dir in den Regionen“, politisches Lied, undat., Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, in der Handschrift B von Christian Blattl (1805–1865) (laut Leopold Schmidt: Volksgesang und Volkslied. Proben und Probleme, Berlin 1970, S. 268f.). 139.„Wie schnell bist du verschwunden“, Kriegslied, 1809, Text: Josef Abenthung (1779–1860), Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, hs. im TLMF, Musiksammlung, M 9230. – Siehe Kapitel 13 in diesem Band. 140.„Willkumm, lieber Kaiser, willkumm in Tirol“, Loblied auf den österreichischen Kaiser Franz I., 1816, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 2037. – Siehe Kapitel 12 in diesem Band. 141.„Wir zieh’n an unsre Gränzen hin“, Neues Lied der Sterzinger Scharfschützen. Gesungen bey dem Auszuge wider die Franzosen. 1796, Kriegslied, 1796, Text: anon., Mel.: nicht überliefert / nicht auffindbar, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 535/3; Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 141–143. – Siehe Kapitel 2 in diesem Band. 360 Liedindex c) (Lied-)Texte, die möglicherweise musikalisch realisiert wurden (Nr. 142–172) Nachfolgend sind die Incipits jener Texte aufgelistet, von denen anzunehmen ist, dass sie tatsächlich gesungen wurden bzw. dass ihre gesangliche Realisierung intendiert war, von denen wir aber keine Informationen über die Melodie und Hinweise auf Aufführungen besitzen. Deshalb ist die Möglichkeit, dass es sich hier auch um nicht gesungene Gedichte handeln könnte, nicht völlig auszuschließen. 142.„Auf ! Auf ! mein lieb’s Tirol, du Pflanzstadt wahrer Treu“, Aufmunterung des getreuen Tyrolers zum Vaterlands-Schutze; Verfasst von einem getreuen Patrioten zu Innsbruck 1796, Kampflied/-gedicht, 1796, Text: anon., Mel.: ?, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 123f. – Siehe Kapitel 3 in diesem Band. 143.„Auf! Mavors gebeut zur Fahne“, Erfahrung für gegenwärtige Lage den Bürgern Innsbrucks geweiht. Von einem patriotischen Freunde M. E. M. Den 12ten Juni. 1796, Kriegslied/-gedicht, 1796, Text: M. E. (?) Ment, Mel.: ?, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 535/2; Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 132–134. 144.„Auf tapferes Tirol! du Mutter selt’ner Schützen“, Empfindungen eines getreuen Patrioten bei Vertheidigung des Vaterlandes (1796), Kriegslied/-gedicht, 1796, Text: anon., Mel.: ?, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 163. 145.„Auf Bürger zu gerechten Waffen!“, Wahrheiten für gegenwärtigen Zeitpunct. An alle Tyroler und Freunde des Fürsten, Kriegslied/-gedicht, 1796, Text: Riedl (?), Mel.: ?, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 245/28, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 126–130. 146.„Das Vaterland ist in Gefahr!“, Volkslied den tapfern Tyroler-Schützen und Landleuten, welche im Begriffe stehen, ihr Vaterland wider die alleszerstörende Frankreicher muthig zu vertheidigen, Kriegslied/ -gedicht, 1796, Text: Joseph Freiherr von Hormayr zu Hortenburg (1782–1848), Mel.: ?, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 154–156. 147.„Die halbe Welt spricht von dem Helden“, Ehrenlied dem Tyroler Helden Andreas Hofer Oberkommandanten. Von Georg Hofer bey der zweyten Meraner Kompagnie. Im Herbstjahre 1809, Loblied/ -gedicht auf Andreas Hofer, 1809, Text: Georg Hofer, Mel.: ?, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 245/107 und FB 2518/VIII. Siehe Kapitel 9 in diesem Band. 148.„Die Kriegstrompette rufet euch“, Das höchste Geburtsfest Sr. Majestät des Kaisers Franz des Zweyten, Kriegslied/-gedicht, 1797, Text: anon., Mel.: evt. nach „Gott erhalte Franz den Kaiser“ (Joseph Haydn), Druck: Flugblatt, TLMF, FB 535/9; Franz Wilhelm von Ditfurth (Hg.): Historische Volks lieder der Zeit von 1756 bis 1871. 1. Band, 2. Heft: Die historischen Volkslieder vom Ende des siebenjährigen Krieges, 1763, bis zum Brande von Moskau, 1812, Berlin 1872, S. 218f. (hier unter dem Titel Aufruf der Tyroler). 149.„Die Muttererde weinet“, Trauer und Trost des Vaterlandes, Trauerlied/-gedicht, 1809, Text: anon., Mel.: ?, Druck: Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des Literarischen Vereins in Wien XI), S. 245f. 150.„Die Trommel wirbelt auf ins Feld!“, Kriegslied beym Abmarsche der Tyroler Scharfschützen im May 1796, Kriegslied/-gedicht, 1796, Text: Anton von Remich (?), Mel.: ?, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 137. 151.„Du kömmst – und unsre Hoffnung steigt“, An seine Excellenz dem Herrn Feldmarschall Grafen von Wurmser bey dessen Durchreise durch Botzen im Tyrol zur Uebernahme des Commando der k. k. Armee in Italien. 1796, Loblied/-gedicht, 1796, Text: Anton von Remich (?), Mel.: ?, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 627/1; Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 12f. Liedindex 361 152.„Fra le stragi superbo e la rapina“, Al Generale Barone di Loudon Liberatore del Tirolo. Sonetto Dell’ Ab. Carlo Tacchi, Siegeslied/-gedicht, Loblied/-gedicht auf Laudon, 1797, Text: Carlo Tacchi (?), Mel.: ?, Druck: Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 115f. 153.„Fröhlich auf ihr liebe Brüder!“, Lied verfaßt von einem der zu Linz auf Transport gewesenen freiwilligen Vertheidigungs-Compagnie aus Tyrol, Siegeslied/-gedicht, 1797, Text: anon., Mel.: ?, Druck: Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 67–71. 154.„Früh im Rosenschein des Morgens“, Die Erscheinung, Loblied/-gedicht, 1821, Text: anon., Mel.: ?, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 627/41 (Lieder zur Geburts-Feyer Seiner Excellenz des Herrn Landes gouverneurs Grafen von Chotek gedichtet von zwey Akademikern, erstes Lied). 155.„Gott, der du an Erbarmniß reich“, Aufmunterung zum Gebet mit Vertrauen um Rettung des Vaterlandes 1796, (religiöses) Kriegslied/-gedicht, 1796, Text: anon., Mel.: ?, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 117f. 156.„Ho! Vater Max! Viel tausendmal willkumm“, Loblied/-gedicht auf den bayerischen König, undat., Text: Johann Friedrich Primisser (1757–1812), Mel.: ?, hs. im TLMF, Dip. 1037/28. – Siehe Kapitel 6 in diesem Band. 157.„Ihr! Haller! Bürger! Und Schützen!“, Lied bey dem Abzuge der Haller Schützen, Kriegslied, Schützenlied, 1796/1797, Text: anon., Mel.: ?, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 139–141. 158.„Ihr Töchter des Landes vom Kummer gedrückt“, Waffen für die Töchter Tyrols oder Bethen ist auch gestritten. Gemacht von einem Patrioten. 1796, Kriegslied/-gedicht, 1796, Text: Pater Valentin Laubacher, Stams (?), Mel.: ?, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 535/4; Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 119f. 159.„Impugna furibanda“, Ode, Loblied/-gedicht, 1821, Text: anon., Mel.: ?, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 627/41 (Lieder zur Geburts-Feyer Seiner Excellenz des Herrn Landesgouverneurs Grafen von Chotek gedichtet von zwey Akademikern, zweites Lied). 160.„Ins Tirol samma groast“, bayerisches Spottlied/-gedicht auf Tirol, Text: anon., Mel.: ?, Druck: Uli Otto / Eginhard König: „Ich hatt’ einen Kameraden …“. Militär und Kriege in deutschen historischpolitischen Liedern in den Jahren von 1740 bis 1914, Regensburg 1999, S. 253. – Siehe Kapitel 8 in diesem Band. 161.„Nein Freyheit! Du bists nicht im Stande“, Aneiferung der an der Gränze stehenden Tyroler Scharfschützen zur Tapferkeit, Kriegslied/-gedicht, 1796/1797, Text: F. K. (?), Mel.: ?, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 147–149. – Siehe Kapitel 2 in diesem Band. 162.„O weh, was ist mit uns geschehen“, Lamentation eines Tyrolers unter der königlich bayerischen Regierung. Anno 1809, Protestlied gegen die bayerische Regierung, 1809, Text: D. Kerer (?), Mel.: ?, hs. im TLMF, FB 2103/70, Druck: Robert Franz Arnold / Karl Wagner (Hg.): Achtzehnhundertneun. Die politische Lyrik des Kriegsjahres, Wien 1909 (Schriften des Literarischen Vereins in Wien XI), S. 230–233. – Siehe Kapitel 7 in diesem Band. 163.„O, wie glorreich, groß und bieder“, Jubel der in Etsch-Innkreis und Illyrien verstückelten Alpen, da sie nunmehr als ein ganzes Land an das kaiserliche Erzhaus Oesterreich übergeben worden und wieder mit ihrem vollständigen Rahmen Tyrol benannt sind. Von Ignaz Schmidt, Jur. Lic. Jubilirten Lehrer der Hauptnormalschule in Innsbruck, Innsbruck, im Juni 1814, Loblied/-gedicht auf die österreichische Regierung, 1814, Text: Ignaz Schmidt (?), Mel.: ?, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 2518/VI. 164.„Rhätier! Helden auf !“, Aufgebot der Tyroler zur Rettung des Vaterlandes, Kriegslied/-gedicht, 1796, Text: J. (?) Mayr („Mediziner“), Mel.: ?, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 124–126. 362 Liedindex 165.„Sandwirthsbart, o welche Ehre“, Sandwirthsbart, satirisches Lied/Gedicht auf Andreas Hofer, 1848, Text: Johann Obrist (1798–1882), Bauer aus Stans, Mel.: ?, Druck: Ludwig August Frankl (Hg): Andreas Hofer im Liede, Innsbruck 1884, S. 17–19. 166.„Schon ferne erblick ich den muthigen Feind“, Kriegslied der Tyroler. Von einem eifrigen Patrioten B. G. G., Kriegslied/-gedicht, 1796/1797, Text: Josef Baron von Giovanelli (1750–1812), Mel.: ?, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 151f. – Siehe Kapitel 3 in diesem Band. 167.„Stolz auf so manch erschlich’nen Sieg“, Landes-Defensions-Zug und Abschied der Tiroler, Kriegslied/ -gedicht, 1796/1797, Text: A. A. (?) von Feldhofer, Mel.: ?, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 134–137. 168.„Unser der Sieg!“, Auf die Rettung Tyrols. Von Johann Bapt. Primisser. Den 19ten November 1796, Siegeslied/-gedicht, 1797, Text: Johann Baptist Primisser (1739–1815), Mel.: ?, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 167f. 169.„Was? Ins Land ist wieder der Franzos gedrungen?“, Lied für die tyrolischen Landesvertheidiger beym zweyten Einbruche der Franzosen. 1797, Kriegslied/-gedicht, 1797, Text: anon., Mel.: ?, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 535/10; Joseph Emanuel Bauer (Hg.): Tiroler Kriegslieder aus den Jahren 1796 und 1797. Gesammelt und zur Jahrhundertfeier herausgegeben, Innsbruck 1896, S. 83–87. 170.„Wenn uns die krachenden Donner von hohen“, Auf Wurmsers Siege in Italien. […] 1796, Siegeslied/-gedicht, 1797, Text: anon., Mel.: ?, Druck: Flugblatt, TLMF, FB 535/5; Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 149–151. 171.„Wie allverderbend wälzt sich die Höllenfluth“, An die Tyroler, Kriegslied/-gedicht, 1796/1797, Text: Johann Baptist Rinna (1764–1846), Mel.: ?, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 121f. – Siehe Kapitel 3 in diesem Band. 172.„Wir greifen muthvoll zu den Waffen“, Beym Abzuge der löbl. Bürgerlichen Schützen-Compagnie zu Innsbruck, Kriegslied/-gedicht, 1796/1797, Text: anon., Mel.: ?, Druck: Anton Emmert (Hg.): Almanach für Geschichte, Kunst und Literatur von Tirol und Vorarlberg, 1. Jahrgang, Innsbruck 1836, S. 138f. – Siehe Kapitel 2 in diesem Band. Literatur und Quellen a) Schriften (mit Ausnahme der Lieder- und Lyriksammlungen) Adam, Wolfgang / Dainat, Holger (Hg.): „Krieg ist mein Lied“. Der Siebenjährige Krieg in den zeitgenössischen Medien, Göttingen 2007 (Schriften des Gleimhauses Halberstadt 5). Adel, Kurt (Hg.): Joseph Freiherr von Hormayr und die vaterländische Romantik in Österreich. Auswahl aus dem Werk, Wien 1969 (Österreich Reihe 368/370). Aichhorn, Ulrike: „Landeshymne Tirol“, in: Aichhorn, Ulrike / Jeglitsch, Stefan (Hg.): Österreichische Hymnen im Spiegel der Zeit. 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Juni – 14. Oktober 1984, Innsbruck 1984. Anderluh, Gerda (Hg.): Anton Kollitsch: Forschungen und Beiträge zu Lied und Musik in Kärnten. Im Einvernehmen mit dem Kärntner Volksliedwerk, Klagenfurt 2005 (Archiv für vaterländische Geschichte und Topographie 92). Anderson, Ryan K.: What would Frank Merrywell do? Middle-class readers and the Progressive Era Roots of All-American Boyhood, Dissertation, Purdue University, Lafayette, Indiana 2006. Andres, Jan: „Auf Poesie ist die Sicherheit der Throne gegründet.“ Huldigungsrituale und Gelegenheitslyrik im 19. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2005 (Historische Politikforschung 4). Andres, Jan / Geisthövel, Alexa / Schwengelbeck, Matthias: „Einleitung“, in: Andres, Jan / Geisthövel, Alexa / Schwengelbeck, Matthias (Hg.): Die Sinnlichkeit der Macht. Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. – New York 2005 (Historische Politikforschung 5), S. 7–18. 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In Briefen aus München an einen Freund aus Innsbruck, 2. vermehrte Auflage, München 1810 [Bayerische Staatsbibliothek, München, digital: http://www.bsb-muenchen-digital.de (25. 03. 2013)]. Bellabarba, Marco / Forster, Ellinor / Heiss, Hans / Leonardi, Andrea / Mazohl, Brigitte (Hg.): Eliten in Tirol zwischen Ancien Régime und Vormärz. Akten der internationalen Tagung vom 15. bis 18. Oktober 2008 an der Freien Universität Bozen, Innsbruck – Wien – Bozen 2010 (Veröffentlichungen des Südtiroler Landesarchivs 31). Bendikowski, Tillmann: „Öffentliches Singen als politisches Ereignis. Die Herausforderung einer historischen Quelle für die Geschichtswissenschaft“, in: Bendikowski, Tillmann / Gillmann, Sabine / Jansen, Christian / Leniger, Markus / Pöppmann, Dirk (Hg.): Die Macht der Töne. Musik als Mittel politischer Identitätsstiftung im 20. Jahrhundert, Münster 2003, S. 23–37. Bendikowski, Tillmann / Gillmann, Sabine / Jansen, Christian / Leniger, Markus / Pöppmann, Dirk (Hg.): Die Macht der Töne. Musik als Mittel politischer Identitätsstiftung im 20. Jahrhundert, Münster 2003. Bergmann, Joseph: Die fünf gelehrten Primisser. Separatdruck aus den Berichten und Mittheilungen des Wiener Alterthums-Vereins, Wien 1861. Birtsch, Günter / Schröder, Meinhard (Hg.): Patriotismus in Deutschland. Öffentliche Ringvorlesung, Wintersemester 1988/89, Trier 1993 (Trierer Beiträge. Aus Forschung und Lehre an der Universität Trier 22). Bitsche, Josef: „Alte Liederhandschriften aus dem hinteren Bregenzerwald“, in: Jahrbuch des Österreichischen Volksliedwerkes 11 (1962), S. 122–139. Blaas, Mercedes: Die „Priesterverfolgung“ der bayerischen Behörden in Tirol 1806–1809: der Churer Bischof Karl Rudolf von Buol-Schauenstein und sein Klerus im Vinschgau, Passeier und Burggrafenamt im Kampf mit den staatlichen Organen. 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Wyss, Johann Rudolf / Meissner, Friedrich (Hg.): Sammlung von Schweizer-Kühreihen und alten Volksliedern, Bern 1812. c) Tonträger Institut für Volkskultur und Kulturentwicklung (Innsbruck) / Institut für Musikerziehung in deutscher und ladinischer Sprache (Bozen) / Institut für Geschichte und Europäische Ethnologie der Universität Innsbruck (Hg.); Sandra Hupfauf / Bernhard Sieberer (Zusammenstellung): Lieder der „Freiheit“ (1796–1848). „Treue Tyroler reckn’s Prazl nit“, CD, mit einem Booklet von Sandra Hupfauf und Silvia Maria Erber, Innsbruck 2008, Pro Cultura und RCR, CD Nr. 0875. Matter, Max im Auftrag des Deutschen Volksliedarchives (Freiburg i. Br.) (Hg.): 1848. „… weil jetzt die Freiheit blüht“. Lieder aus der Revolution von 1848/49, CD, mit einem Booklet von Jürgen Dittmar (Red.), Barbara Boock und Waltraud Linder-Beroud (Liedkommentare), Südwest Records, CD Nr. 104-98, Bad Krozingen 1998. Pressler, Gertraud im Auftrag des Wiener Volksliedwerkes (Hg.): Der Staat ist in Gefahr! Lieder zur Wiener Revolution 1848, CD, Extraplatte, CD Nr. EX-SP 004-2, Wien [1998]. Volksmusik in den Alpen Standortbestimmungen Festschrift für Josef Sulz zum 80. Geburtstag Herausgegeben von Thomas Nußbaumer Schriften zur musikalischen Ethnologie, Band 1 2011. 320 S. mit zahlr. Farb- und Schwarzweißabb. DVD-Beilage mit 45 Ton- und 9 Videobeispielen. ISBN 978-3-7030-0492-6, € 42,– „Schriften zur musikalischen Ethnologie“ heißt die neue Publikationsreihe des Abteilungsbereichs Musikalische Volkskunde an der Abteilung für Musikwissenschaft der Universität Mozarteum Salzburg. Sie beschäftigt sich mit der musikalischen Praxis und den Strukturen der Musik und interpretiert sie als soziale Interaktion und als Identitätssymbol gesellschaftlicher Gruppen. Die beiden großen Themenbereiche des ersten Band