rede 60 Jahre Ulmer Gemeinderat
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rede 60 Jahre Ulmer Gemeinderat
60 Jahre Ulmer Gemeinderat Anmerkungen von Markus Kienle für die Grüne Fraktion Sehr geehrte Damen und Herren, wenn man die Geschichte des Ulmer Rates beginnend, mit dem sogenannten Vogtvertrag vom 21. August 1255 bis heute betrachtet, wird man leicht feststellen, dass die Bildung, die Zusammensetzung und die Aufgaben der jeweiligen kommunalen Verfasstheit und die Stellung des Bürgermeisters immer auch ein Spiegelbild der jeweiligen gesellschaftlichen Entwicklungen im gesamten Land und in der Stadt war. Da war der Ulmer Rat dessen zünftische und patrizische Mitglieder sich im 14. Jahrhundert noch weitgehend als Interessenvertreter ihres Standes verstanden und der sich zur Regierung der Bürgerschaft entwickelte, bei der alle drei staatliche Gewalten vereinigt wurden. Da war die Veränderung des Rates nach dem Verlust der reichsstädtischen Selbstständigkeit vom Regierungs- zum Verwaltungsorgan nach 1802, in dem auch Mitglieder des Rathauses gegen Honorierung versteht sich, Verwaltungsaufgaben übernahmen. Erst die zunehmende Schaffung von Fachämtern in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts befreite den Gemeinderat von administrativen Aufgaben und bildete die Voraussetzung des Rates auch als Kontrollfunktion gegenüber der Verwaltung. Genau dieses wurde im März 1933 wieder zurückgedreht – der Gemeinderat gleichgeschaltet und missliebige Mitglieder entfernt. Ab Mai 1946 wird der Gemeinderat wieder in freien Wahlen gewählt . Aber die Betrachtung der wechselvollen Geschichte des Ulmer Rates über die Jahrhunderte ist auch und vor allem eine Geschichte der Beteiligung- oder Nichtbeteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Lenkung der Geschicke ihrer Stadt. Während zu Beginn das Amt des Ratsherrn, nur von wohlhabenden Männern ausgeführt werden durfte, die schon immer in den Stadtgrenzen lebten – und auch diese nur wählen durften, wurden aktives und passives Wahlrecht in der Folgezeit auf alle Männer ausgeweitet. Erst mit dem württembergischen Gemeindegesetz vom März 1919 erhielten auch die Frauen zum ersten Mal aktives und passives Wahlrecht. All dies fand 1933 wieder ein Ende. Warum erzähle ich Ihnen was Sie auch dem hervorragende Faltblatt „Ratsdemokratie in Ulm“ entnehmen können – weil der erstmalige Einzug der Grünen in den Ulmer Gemeinderat im Jahr 1980 mit Thomas Oelmayer als erstem grünen Gemeinderat und vor allem das Anwachsen auf Fraktionsstärke 1984 mit Sigrid Räkel- Rehner, Peter Langer, Jutta Oesterle Schwerin, Gert Rehner und Thomas Oelmayer gefolgt von Werner Niedernhöfer und Karin Pfalzer ihren Ursprung in der Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger am Gemeinderat findet. Diese dauerhafte Etablierung einer neuen politischen Kraft in Ulm - zum ersten und bis dato auch letzten mal seit dem demokratischen Neubeginn nach dem zweiten Weltkrieg hatte ihre Begründung darin, dass sich viele Bürgerinnen und Bürger Ulms durch die bis dato im Rat befindlichen Parteien, CDU, SPD, FWG und FDP nicht mehr beteiligt sahen. Getragen von der damals starken Ökologie, Friedens- und Frauenbewegung sorgte der Einzug von Thomas Oelmayer und das Anwachsen auf die fünfer Fraktion 1984 für Überraschung und Irritation, konfrontierten die neuen Gemeinderätinnen und Gemeinderäte die Alteingesessenen doch mit neuen Vorschlägen in der Energiepolitik, die Einführung der Biotonne oder dem Ausbau des Straßenbahnnetzes, die Einführung von Streetworkern und dem Bau von Jugendhäusern und brachten Themen wie Atomenergie, Friedenspolitik und die Themen der Frauenbewegung in den Ulmer Gemeinderat ein. Unsere Vorschläge in den ersten Jahren stießen vielfach auf Ablehnung oder wie in den Protokollen der ersten Jahre nachzulesen ist, auf Unverständnis und Gelächter- sie waren vielfach ihrer Zeit voraus und doch haben sie die Politik des Ulmer Gemeinderates und das damit verbunden Verwaltungshandeln nachhaltig beeinflusst, wie wir heute unschwer erkennen können. Nicht angenommen von den Wählerinnen und Wählern wurde des Angebot mit einer reinen Frauenliste mehr Frauen als bisher in den Gemeinderat zu entsenden und das Thema der Beteiligung von Frauen an stadtpolitischen Entscheidungen Verwaltungshandeln in den Vordergrund zu rücken- Sigrid Räkel-Rehner und Sibylle Huff, gefolgt von Karin Pfalzer ließen sich nicht unterkriegen und stritten wider den Bau einer Müllverbrennungsanlage, gegen Straßenbaugroßprojekte wie die Blautalbrücke und sahen ihre Rolle als Anwältinnen der mittlerweile immer stärker gewordenen freien Initiativen und Vereine im sozialen und kulturellen Bereich- durchaus erfolgreich, die Fraktion wuchs wieder, Adi Hübel und Siegfried Häussler waren zwischen 1994 und 1999 streitbare Geister in Sachen Soziales, Ökologie und Frauenpolitik. Aber nicht nur wir haben die Politik des Gemeinderates und das Verwaltungshandeln beeinflusst – auch wir wurden beeinflusst – unsere Meinungen wurden differenzierter neue Themen und Schwerpunkte sind hinzugekommen– und wir streiten mittlerweile leidenschaftlich innerhalb der Fraktion, ob Ulm eine Multifunktionshalle braucht oder ob dies nur zu Lasten anderer wichtigerer Projekte zu verwirklichen ist. Die Grünen im Ulmer Gemeinderat haben sich mit mittlerweile 7 Stadträtinnen und Stadträten zu einer festen Größe im Ulmer Gemeinderat entwickelt. Nach diesem kurzen Rückblick in die Geschichte meiner Fraktion lassen Sie mich im zweiten Teil einige Ausführungen zum zukünftigen Verhältnis von Bürgerbeteiligung, gemeinderätlichem Handeln und der Stellung des Oberbürgermeisters machen. Demokratie gerade auch in der Stadt ist derzeit häufig von zwei scheinbar gegenläufigen Tendenzen geprägt- auf der einen Seite schwinden die Wahlbeteilungen bei Kommunalwahlen und noch mehr bei der Wahl des Oberbürgermeisters, auf der anderen Seite engagieren sich nicht wenige Menschen in allen Bereichen städtischen Lebens in Vereinen und Initiativen. Ulmer Bürgerinnen und Bürger wollen Mitwirken - allerdings reicht ihnen dabei das periodenhafte Setzen eines Kreuzes nicht aus – viele wollen ihre Stimme nicht abgeben – um dann fünf Jahre ihre Stimme nicht mehr erheben zu dürfen. Unsere repräsentative kommunale Demokratie, auch und gerade nach 1945 eine Errungenschaft nach 12 Jahren Nationalsozialismus wandelt sich schon seit der Mitte der siebziger Jahre zu einer Beteiligungsdemokratie und nicht wenige Initiativen der Bürgerinnen und Bürger vor allem im sozialen Bereich wie die Gründung von Elterninitiativkindergärten oder die Übertragung städtischer Aufgaben auf Vereine wie Frauen helfen Frauen haben ihre allgemeine auch finanzielle Anerkennung nicht zuletzt mit unserer tatkräftigen Unterstützung in der Stadt gefunden. Entgegen langläufiger Meinung engagieren sich auch die Bürgerinnen und Bürger Ulms mehr denn je. Warum tut sich der heutige Rat und der Oberbürgermeister also so schwer mit dem bürgerschaftlichen Engagement und empfindet den Protest einer bürgerschaftlichen Gruppe, die sich über Jahre hinweg in der Planung eines Stadtteilparkes engagiert hat, der nun nicht verwirklicht und nun sehr enttäuscht ist, als Angriff auf die souveräne Stellung des Gemeinderates und seines Obersten Herrn, des Oberbürgermeisters ? und was muss geschehen, damit sich bürgerschaftliches Engagement entfalten kann und der kommunalen Demokratie und ihren Akteuren nicht der Boden unter den Füßen weggezogen wird ? Lassen Sie mich einige Anmerkungen zum Verhältnis von Rat, Bürgerschaft und Oberbürgermeister machen, da ich glaube, dass es eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Jahre sein wird, hier Formen zu finden, die unserer repräsentative Demokratie weiterentwickelt und den durchaus vorhanden Willen vieler Bürgerinnen und Bürger sich in ihrem Gemeinwesen zu engagieren, aufnimmt und fördert. 1. Der Standpunkt auf den sich Oberbürgermeister und viele Kolleginnen und Kollegen stellen, der da lautet jeder kann mitreden, aber entschieden wird alleinig im Rat ist falsch und macht engagierte Bürgerinnen und Bürger zu Politikverdrossenen. Bürgerschaftliches Engagement muss auch damit einhergehen, den beteiligten Bürgerinnen und Bürgern begrenzte Mittel auf Zeit für klar definierte Projekte zur Verfügung zu stellen. Dabei ist Verlässlichkeit und die Zusage, dass der eigene Beitrag für die Gemeinschaft nicht anderswo zur Verschwendung führt, wichtige Handlungsmaxime. 2. Im Gegenzug muss die demokratische Legitimation der Nichtgemeinderätinnen und Nichtgemeinderäte beispielweise der RPG Sprecherinnen und Sprecher in den Stadtteilen wieder Thema werden. Engagierte Bürgerinnen und Bürger, die sich lautstark für die Interessen ihres Stadtteiles einsetzen, diese fehlende Legitimation vorzuwerfen, ohne über Strukturen nachzudenken, die demokratische Legitimation herstellen oder klar definierte Zuständigen für abgegrenzte Projekte vertraglich sichert ist fahrlässig und führt dazu, dass sich wieder weniger Menschen engagieren. 3. Auch wenn es für viele hier als alter Hut daherkommt – Sozialraumprinzip in der Jugendhilfe, der Altenhilfe der Behindertenhilfe, Stadtteilplanung und Dienstleistungszentren brauchen ihre Entsprechung in einem bürgerschaftlich getragenen und demokratisch legitimierten Gremium, das als kontinuierlicher Ansprechpartner für Bürgerschaft und Verwaltung dient und auf das der Rat klar definierte Aufgaben den Stadtteil betreffend delegieren und budgetmäßig ausstatten kann. Aus unserer Sicht können dies nur Bezirksbeiräte sein. Wir müssen eine Form finden, die guten Erfahrungen aus den Ortschaften, sicher modifiziert auf die unterschiedlichen Bedingungen in den Stadtteilen überträgt. Natürlich müssen Bezirkbeiräte – die das demokratisch legitimierte Kontinuum darstellen flankiert werden von vielfältigen auf Zeit angelegten Projekten in den sich Bürgerinnen und Bürger auf Zeit und ihren aktuellen Lebensbedingungen gemäß bürgerschaftlich engagieren können. Ein starker und souveräner Gemeinderat sollte nicht davor zurückschrecken, auch Aufgaben an andere Bürgerinnen und Bürger zu delegieren, denn wir sollten nicht vergessen, dass wir gerade von diesen Bürgerinnen und Bürgern auf Zeit gewählt wurden. 4. Aber nicht nur im Verhältnis des Gemeinderates zu den Bürgerinnen und Bürgern muss sich einiges ändern – auch im Verhältnis des Rates zur Verwaltung und zum Oberbürgermeister, der in seiner Zwitterstellung sowohl den Rat als auch die Verwaltung repräsentiert, bedarf es einiger Veränderungen. Wir haben den sich immer mehr verstärkenden Eindruck, dass der Rat zunehmend als Legitimationsorgan für die Entscheidungen und Vorstellungen des Oberbürgermeisters, aber auch der Bürgermeister, funktionalisiert wird. Dies und das sage ich ganz deutlich hat aber nicht nur was mit dem Selbstverständnis eines Oberbürgermeisters zu tun, es wirft auch ein Licht auf die Eigenständigkeit eines Gemeinderates. Wir plädieren dafür, mehr ergebnisoffene Diskussionen zu führen und die Verwaltung zu beauftragen, mehrere mögliche Lösungen eines Problems auch in eine offene Diskussion zu bringen, in der dann Gemeinderäte wirklich zwischen mehreren Varianten entscheiden können. Das heißt aber auch, es dann als normal anzusehen, dass Bürgermeister und Gemeinderat auch mal unterschiedlicher Meinung sein können – und dass dann aber der Gemeinderat entscheidet. Der Ulmer Gemeinderat ist kein Aufsichtsrat. Wir sind und sollten manchmal auch mehr, ein Gremium sein, dass nicht die Vorschläge des Aufsichtsratsvorsitzenden abnickt, sondern das Vorschläge diskutiert, eigene einbringt und dann einen Kompromiss oder eine Mehrheitsentscheidung herbeiführt. 5. In meinem letzten Punkt möchte ich für ein verändertes Verhältnis zwischen den, den jeweiligen Gemeinderat tragenden Fraktionen plädieren – und ich sage deutlich das gilt natürlich nicht nur für die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen, das gilt natürlich auch für uns selbst. Wir alle sollten mehr als bisher nicht nur prüfen und für gut oder schlecht befinden was uns die Verwaltung vorlegt, wir sollten mehr als bisher uns auch untereinander ernst nehmen in unserer unterschiedlichen Sicht auf die Dinge und überlegen, ob es nicht auch Mehrheiten jenseits der oberbürgermeisterlichen Vorgabe der Sicht auf die Dinge gibt. Gerade die noch Neuen in unserer größer gewordenen Fraktion knabbern bis heute an den offen geäußerten Aussagen aus anderen Fraktionen: Ihr habt ja recht, das wäre ja das beste, das ist ein vernünftiger Vorschlag..... und der darauf folgenden Ablehnung des Vorschlages. Das heißt nicht, und damit komme ich zum Schluss, dass die Fraktionen, die den Gemeinderat tragen nicht auch zukünftig und vielleicht sogar zukünftig mehr als bisher, eigenständige Positionen erarbeiten und im Rat vertreten sollen, nur wer eine klare eigene Haltung zu den Dingen hat, kann selbstbewusst mit andern um den besten Weg streiten und für die Entwicklung der Stadt sinnvolle Kompromisse suchen.