Serotonin im Überschuss PZ 02/2015
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Serotonin im Überschuss PZ 02/2015
Pharmazie N e b e n w i r k u n g v o n A n t i d e p r e s s i va Serotonin im Überschuss Von Peter Schweikert-Wehner / Das Serotonin-Syndrom – ein Zuviel des Neurotransmitters im zentralen Nervensystem – ist eine seltene, aber oft verkannte Nebenwirkung der Behandlung mit Antidepressiva. Apotheker sollten sie im Kopf haben, wenn weitere serotonerge Stoffe wie Johanniskraut im Rahmen der Selbstmedikation verlangt oder vom Arzt verordnet werden. Verursacht wird das Serotonin-Syndrom durch eine erhöhte SerotoninKonzentration im zentralen Nerven system. Da es keinen Labortest gibt, muss die Diagnose anhand der vielfältigen Symptome gestellt werden. Typisch sind mentale Störungen wie Ängstlichkeit, Agitiertheit bis zum Delir, Ruhelosigkeit, Verwirrung und Desorientiertheit. Zudem können vegetativ-autonome Dysfunktionen wie Übelkeit, Diarrhö, Herzrasen, Hypertonie und Hyperthermie auftreten. Auf neuromuskulärer Ebene können sich krampfartige Muskelzuckungen (Myoklonus) sowie neuromuskuläre Hyperaktivität mit Zittern (Tremor) und überschießende Reflexe abspielen. Wie können nun Antidepressiva ein Serotonin-Syndrom auslösen? Das Risiko für das Entstehen liegt in ihrem Wirkmechanismus: Die Hemmung der Serotonin-Wiederaufnahme aus dem synaptischen Spalt kann ein Überangebot an Serotonin verursachen, wodurch die postsynaptischen Rezeptoren überstimuliert und die überschießenden toxischen Effekte verursacht werden. Als Auslöser kommen sowohl selektive Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer (SSRI) wie Fluoxetin, Paroxetin und Citalopram ebenso wie die SerotoninNoradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer (SNRI), zum Beispiel Venlafaxin und Duloxetin infrage. Auch Johanniskraut und manche Trizyklika wie Clomipramin und Imipramin haben serotonerge Effekte (Tabelle 1). Das Risiko steigt in Kombination mit anderen Arzneistoffen, die selbst das Syndrom hervorrufen können (Tabelle 2). Die Gefahr ein Serotonin-Syndrom durch Triptane Arzneimittel Gruppe/ Wirkungstyp Johanniskraut (Hyperforin?) Phytopharmakon Mirtrazapin tetrazyklisches Antidepressivum Maprotilin klinisch relevantes Abbauenzym CYP 2D6 CYP 2D6 Amitriptylin CYP 2D6 Clomipramin CYP 2D6 Doxepin CYP 2D6 Trimipramin CYP 2D6 Duloxetin SNRI CYP 2D6 Trazodon CYP 3A4 Venlafaxin CYP 2D6 Citalopram SSRI CYP 2C19 Fluoxetin CYP 2D6 Fluvoxamin CYP 2D6 Sertralin CYP 2C19 Tabelle 1: Antidepressiva, die ein Serotonin-Syndrom auslösen können. 22 612 | PHARM. ZTG. | 160 JG. | 26. 2. 2015 | 9. AUSG. Mydriasis – die geweitete Pupille ist ein Zeichen für ein Serotonin-Syndrom Foto: Fotolia/ASK_H wie Sumatriptan und Zolmitriptan zu entwickeln, wurde lange Zeit überbewertet. Das Risiko gilt heute als gering. Sie können jedoch in der Kombination einen Beitrag dazu leisten. Kombination mit Fluoxetin und Paroxetin kritisch Vorsicht ist auch geboten bei der gleichzeitigen Anwendung mit Hemmstoffen von Cytochrom P450 (CYP) 2D6, die zu einem Anstieg der Plasmaspiegel und dementsprechend zu einem erhöhten Risiko für ein SerotoninSyndrom führen. Das sind vor allem Amiodaron, Bupropion, Clomipramin, Chinidin, Chlorpheniramin, Duloxetin, Fluoxetin, Levomepromazin, Methadon, Nicardipin, Paroxetin, Propafenon und Ritonavir. Da Fluoxetin und Paroxetin sowohl den Abbau der meisten Anti depressiva hemmen, als auch selbst als Auslöser infrage kommen, ist eine Kombination besonders kritisch zu sehen. Der Polymorphismus von CYP2D6 ist mit unterschiedlichen Abbaugeschwindigkeiten der Antidepressiva assoziiert und kann bei langsamen Metabolisierern zu stark erhöhten Plasmaspiegeln und häufig zu Therapieänderungen führen. Klinische Daten zeigen, dass bei Patienten mit Homozygotie, bei nicht-funktionalen CYP2D6Allelen, deutlich erhöhte Plasmaspiegel auftreten können. Klinisch relevante Hemmstoffe für CYP2C19, die die Plasmaspiegel von Pharmazie Citalopram und Sertralin erhöhen, sind vor allem Chloramphenicol, Fluvoxamin und Moclobemid. Somit sind auch hier zwei Antidepressiva für die Erhöhung der Plasmaspiegel verantwortlich, die selbst ein Risikopotenzial aufweisen. Poor Metabolizer von CYP2C19 führen analog zu CYP2D6 poor Metabolizern zu vermindertem Abbau der Arzneistoffe. Hemmstoffe von CYP3A4, das für Trazodon relevant ist, sind unter anderem Azolantimykotika, HIV-Proteasehemmer, Makrolidantibiotika. Behandlung des Syndroms Das HTR2A-Gen kodiert für einen Serotonin-Rezeptor, der vor allem im zentralen Nervensystem, aber auch in Zellen des kardiovaskulären Systems und des peripheren Nervensystems lokalisiert ist. Er vermittelt zahlreiche Wirkungen des Neurotransmitters Serotonin. Variationen in diesem Gen beeinflussen durch Veränderung des Rezeptors die Wirksamkeit und Verträglichkeit von Antipsychotika und Antidepressiva. Das kann mit einem geringeren Ansprechen der Antidepressiva einhergehen. Dosiserhöhungen, als Folge mangelnden Ansprechens, steigern das Risiko eines Serotonin-Syndroms. Das Serotoninsyndrom entwickelt sich typischerweise innerhalb kurzer Zeit nach der ersten Gabe, nach Dosiserhöhung oder nach Hinzufügen einer weiteren entsprechenden Substanz. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch nach Absetzen solcher Substanzen im Falle langer Halbwertszeiten (zum Beispiel Fluoxetin: vier bis sechs Tage) oder wirksamer Metaboliten noch über längere Zeit kritische Plasmakonzentrationen bestehen können. Die Therapie erfolgt durch sofortiges Absetzen aller serotoninergen Substanzen, was in der Regel zu raschem Abklingen der Symptomatik innerhalb von sechs bis zwölf Stunden führt. Die Behandlung sollte unter stationären Bedingungen, bei Hyperreflexie und Myoklonien mit Benzodiazepinen, bei Hyperthermie mit fiebersenkenden Mitteln, Kühldecke oder Ventilator erfolgen. Nichtspe- Johanniskraut hat serotonerge Effekte und kann daher ein SerotoninSyndrom verstärken. Foto: Shutterstock/Scisetti Alfio zifische 5-HT1-und 5-HT2-Antagonisten wie Cyproheptadin oder Methysergid (nicht mehr im Handel) wurden zum Teil klinisch erfolgreich zur medikamentösen Therapie eines SerotoninSyndroms eingesetzt. Cyproheptadin soll in einer Dosis von 4 bis 8 mg alle zwei Stunden helfen. Wenn nach 16 mg kein Effekt eintritt, sollte die Gabe eingestellt werden, sonst können bis zu 32 mg/Tag gegeben werden. / Wirkstoff Wirkstoffgruppe Mechanismus Tryptophan Aminosäure Bildung von Serotonin (5-HT3): Vorstufe Levodopa / Carbidopa Antiparkinsonmittel gesteigerte Serotonin-Freisetzung Tramadol Analgetikum gesteigerte Serotonin-Freisetzung und Hemmung der 5-HT3-Wiederaufnahme Cocain Suchtstoff Hemmung der 5-HT3-Wiederaufnahme Dextromethorphan Antitussivum Pethidin Analgetikum Ondansetron /Granisetron Antiemetikum Linezolid /Tranylcypromin MAO A u. B Hemmer Moclobemid MAO A Hemmer Selegelin / Rasagelin MAO B Hemmer Methylenblau Antidot Procarbazin Zytostatikum Buspiron Anxiolytikum Ergotamin / Dihydroergotamin Vasokonstriktoren Fentanyl Analgetikum Lysergsäurediethylamid Suchtstoff Lithium Psychopharmacon inhibierter 5-HT3-Metabolismus direkter Serotonin-Agonist Tabelle 2: Arzneistoffe, die ein Serotonin-Syndrom auslösen oder eines in Kombination mit Antidepressiva verstärken können. 24 614 | PHARM. ZTG. | 160 JG. | 26. 2. 2015 | 9. AUSG.