Wenn mir alles über den Kopf wächst
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Wenn mir alles über den Kopf wächst
Ratgeber extra 8 NUMMER 91 DIENSTAG, 21. APRIL 2009 Psychologie So vermeide ich Stress im Leben (Serie 2) Eckart von Hirschhausen ● Eckart von Hirschhausen (41) ist für viele der lustigste Arzt Deutschlands. Seine Bücher „Die Leber wächst mit ihren Aufgaben“ und „Glück kommt selten allein“ (Rowohlt. 384 Seiten, 18,90 Euro) wurden Bestseller. ● Seine Auftritte als Kabarettist sahen Tausende begeisterter Besucher, Fernsehzuschauer kennen ihn aus der ARD-Sendung „Schmidt & Pocher“. In der eröffnete er die „Hirschhausen-Akademie“ und tat das, wofür er bekannt wurde: Er vermittelt unterhaltsam und anschaulich medizinisches Wissen. ● Sein Markenzeichen: Wissenschaft mit Wortwitz, Spontanität und Aha-Erlebnissen. ● Vor seiner Bühnen-Karriere arbeitete Eckart von Hirschhausen als Arzt in der Neurologie und bildete sich zum Wissenschaftsjournalisten weiter. Fünf Jahre lang moderierte er eine Medizinsendung im Hessischen Fernsehen. ● Eckart von Hirschhausen unterstützt den Verein Rote Nasen – Clowns im Krankenhaus. Dessen Anliegen: Speziell ausgebildete Clowns bringen kranken Kindern ein bisschen Fröhlichkeit in den oft sehr traurigen und tristen Klinikalltag. Sie wecken Humor und Hoffnung der jungen Patienten, stärken ihren Lebensmut und unterstützen so das Gesundwerden. Im Internet www.rotenasen.de I Eckart von Hirschhausen lässt sich nicht stressen. Fotos: Markus Hauschild Der tägliche Kampf am Arbeitsplatz: Das E-Mail-Postfach läuft über, eine Konferenz jagt die andere, das Telefon klingelt ohne Unterlass, immer neue Aufgaben flattern auf den Schreibtisch: Wie soll ich das nur schaffen? Gegen Stress helfen oft scheinbar banale Dinge – Bewegung oder Sonnenlicht zum Beispiel. Foto: Jupiterimages Wenn mir alles über den Kopf wächst Entspannen Erst die Arbeit, dann das Vergnügen? Völlig falsch! Der Arzt und Autor Eckart von Hirschhausen rät: Mehr Pausen einlegen Eckart von Hirschhausen ist glücklich, selbst im Stress. Als Arzt weiß er, was im Körper passiert – bei Glücks- und Stresszuständen. Als Bestsellerautor gelingt es ihm, dieses Wissen unterhaltsam an den Mann und die Frau zu bringen. Das war wieder ein Tag. Ich bin ganz schön im Stress. Geht’s Ihnen ähnlich? Hirschhausen: Ja. Ich habe heute mein Handy verloren. Und ich kann jedem Ihrer Leser nur raten: Sichern Sie Ihre Daten! Sie klingen dennoch recht entspannt. Hirschhausen: Ich halte viele Seminare über Stressmanagement und Humor. Die Quintessenz ist: Gestresst ist man dann, wenn man sich hilflos fühlt und von außen gesteuert, wenn man nicht weiß, wie lange die Belastung geht, und wenn man sich als Opfer empfindet. Das kann ich nicht behaupten. Ich habe 15 Jahre gearbeitet, um Erfolg zu haben. Jetzt ist er da, und da kann ich nicht sagen: Ich bin gestresst. In Ihrem Buch „Glück kommt selten allein“ steht gleich zu Beginn ein Satz, den ich ein klein wenig verändert habe – verbunden mit einer Bitte: „Stellen Sie sich vor, Sie selbst wären der Stress!“ Hirschhausen: Wenn ich Leute stressen will, ist das relativ einfach. Nimm Leuten eine Stunde weg, und sie werden den ganzen Tag gestresst sein! In der Schule habe ich mal gelernt, dass es auch guten Stress gibt: Eustress. Hirschhausen: Jeder versteht unter Stress ein bisschen was anderes. Im medizinischen Sinne ist Stress eine natürliche Reaktion, um mit Belastungen zurechtzukommen. Stress sollte uns ursprünglich fit machen für den Überlebenskampf. Die Fra- „Stress sollte uns fit machen für den Überlebenskampf.“ Über den biologischen Sinn von Stress ge ist nicht so sehr: Worüber regen wir uns auf? Sondern: Wie schnell kommen wir wieder runter von negativen Gefühlen? Das ist der Unterschied zwischen gutem und schlechtem Stress. Stress verkürzt im schlimmsten Fall das Leben, oder? Hirschhausen: Klar! Umgekehrt kann positive Stimmung das Leben verlängern. Das ist zu tun Erste Hilfe Selbsterkenntnis ist wichtig Augsburg l wida l Sie haben Stress? Dann beherzigen Sie doch folgende vier Ratschläge. Für den Anfang genügt es bereits, wenn Sie sich an einen halten. Steigern können Sie sich ja jederzeit: ● Ursachenforschung Was stresst einen wirklich? Der tägliche Weg zur Arbeit? Die leidige Hausarbeit? Die Mehr Informationen ● Stefan Klein: Die Glücksformel. Rowohlt Tb. 320 Seiten, 9,95 Euro. – Ein Grundlagenbuch, von Hormonen bis Zeitmanagement. lärmenden Nachbarn? Erst wenn man genau weiß, wogegen man ankämpfen will, besteht Aussicht auf Erfolg. ● Entspannen Es gibt keine bessere Methode gegen Stress, als Pausen einzulegen. So einfach – und doch so schwierig! ● Sport Gut zur Vorbeugung, aber auch gut zum Abreagieren. Nur Spaß machen sollte einem Sport natürlich schon. ● Nein-Sagen Oft bürdet man sich viel zu viel auf, das Wörtchen „Ja“ geht einem allzu leicht über die Lippen. Doch wer glaubt, dass NeinSagen ein Zeichen von Schwäche ist, der irrt gewaltig. Das Gegenteil ist richtig. Thema „Stress am Arbeitsplatz“. Ständig klingelt das E-Mail-Postfach, eine Konferenz jagt die andere. Hirschhausen: Man denkt sofort an den gestressten Manager. In Wirklichkeit sind die Leute in den mittleren Positionen viel gefährdeter, weil Stress damit zu tun hat, wie sehr man über seine Zeit verfügen kann. Der Chef kann die Tür hinter sich schließen und sagen: Ich bin für eine halbe Stunde nicht zu erreichen. Das darf die Sekretärin nicht. Das heißt: Sie hat weniger Rückzugsmöglichkeiten und kann sich ihre Arbeit schlechter einteilen. Doping am Arbeitsplatz nimmt zu. Hirschhausen: Da gibt es Wachmacher wie Ritalin. So sehr ich als ehemaliger Kinderpsychiater davon überzeugt bin, dass das ein segensreiches Medikament sein kann bei der richtigen Diagnose, so sehr muss ich sagen: Man kann den Körper nicht künstlich wach halten. Das hat seinen Preis. Was kann man gegen Stress tun? Und sagen Sie bitte nicht: Pausen einlegen und entspannen! Hirschhausen: Manchmal sind es die einfachen Sachen, die große Wirkungen haben. Die Raucher sagen immer, sie sind besser drauf als die Nichtraucher. Das liegt daran, dass Raucher – gerade in Zeiten des Nichtraucherschutzes – regelmäßig vor die Tür gehen. Sie haben Licht, sozialen Kontakt und Bewegung. Das ist alles super, nur das Rauchen ist schädlich. Wir haben oft das Gefühl, durcharbeiten zu müssen, weil es angeblich effizient ist. Unsere Konzentration hat aber Spitzenzeiten. Nach 90 Minuten sollte man sich eine kleine Pause gönnen. Stressabbau ist also eine Frage der Organisation? Hirschhausen: Der Körper ist ein Spiegel der Seele. Wenn ich mich gestresst fühle, wird das meinem Körper vermittelt – von Anspannung bis hin zur Depression. Daher ist der Satz „erst die Arbeit, dann das Vergnügen“ nicht zeitgemäß. Wenn einem Dinge keine Freude mehr machen, die einem normalerweise Freude machen, ist das ein ernst zu nehmender Hinweis. Zweitens: Man sollte sich einen Ausgleich schaffen und körperlich Stress abbauen. Ich habe mir angewöhnt, beim Telefonieren zu laufen. Jetzt auch? Hirschhausen: Ich bin auf der Terrasse mit meinem Funktelefon. Es zwingt mich ja keiner, drin zu ho- HOHER TERMINDRUCK 67% UNFLEXIBLE/LANGE ARBEITSZEITEN 38% UNSICHERE ARBEITSVERHÄLTNISSE 34% STÄNDIGE VERFÜGBARKEIT 30% 28% 19% 13% E-MAIL-FLUT „Sonnenlicht ist ein großer Glücksbringer.“ Ein einfaches Mittel gegen Stress daneben. Es gibt auch keine Diät, die für alle funktioniert. Und es gibt unterschiedliche Stress-Typen. Ich bin zum Beispiel so einer: Wenn ich nicht einen bestimmten Druck bekomme, bin ich nicht gut. Erst unter Druck laufe ich zur Höchstform auf. Andere brechen unter Druck zusammen. Noch ein konkreter Tipp? Hirschhausen: Nicht pendeln! Ein Und am Feierabend geht es weiter: Freizeitstress. Hirschhausen: Die meisten Menschen sind in der Freizeit gar nicht zufriedener als im Job. Deshalb die Frage aller Fragen: Wie werde ich glücklicher? Hirschhausen: Freunde sind das Wichtigste. Glück ist ein merkwürdiges, ja was eigentlich, Ding? Hirschhausen: Es ist eine Form von Einklang. Manche Leute sagen: Schokolade macht glücklich. Mein Glücksbegriff ist weiter gefasst. Welchen Glücksmoment hatten Sie heute? Hirschhausen: Ich war heute beim Zahnarzt und habe gedacht: Was für ein Glück, dass es Narkosemittel gibt. Interview: Daniel Wirsching Test Fünf Fragen für jede Stress-Situation Die Hauptursachen: UNVEREINBARKEIT V. BERUF UND FAMILIE In der Ratgeberliteratur findet man die tollsten Tipps mit den tollsten Namen: Eisenhower-Prinzip, Pareto-Prinzip... Kann man solchen Prinzipien und Methoden trauen? Hirschhausen: Wer behauptet, dass eine Sache für alle richtig ist, liegt gewaltiger Stressfaktor ist der Straßenverkehr. Wenn Leute glauben, sie werden entspannter leben, wenn sie aufs Land ziehen, ist das zwar für die Zeit, die sie auf dem Land sind, richtig. Aber man verbringt zwangsläufig mehr Zeit im Auto – und das bedeutet Stress. Man hat ständig das Gefühl, dem Leben hinterherzuhecheln. Halb so wild Stress im Job - Ursachen und Strategien 44 Prozent der Beschäftigten leiden täglich oder mehrmals täglich unter Stress am Arbeitsplatz MOBBING cken. Und ich bin auf diese Weise automatisch beweglicher in Körper und Geist. Das sind Kleinigkeiten, die sich über den Tag hinweg summieren, und letztlich eine Menge ausmachen. Sonnenlicht ist ein großer Glücksbringer – und die Leute sind zu wenig draußen. Die Strategien zur Stressbewältigung: SPORT TREIBEN 57% ETWAS ESSEN 37% AUTOGENES TRAINING U. Ä. 30% KAUGUMMI KAUEN 20% ETWAS ANDERES 47% TNS-EMNID-UMFRAGE JULI/AUGUST 2008 IM AUFTRAG DER WRIGLEY GMBH (MEHRFACHNENNUNGEN) AZ-INFOGRAFIK Augsburg l wida l Eckart von Hirschhausen empfiehlt: „Vergesst mal eure eigene Wichtigkeit!“ Diese fünf Fragen würden helfen, ein humorvolles und weniger stressiges Leben zu führen, sagt er. Jeder, der sich in einer Stress-Situation befinde, sollte sie sich stellen. Ein Test mit Folgen: ● Befinde ich mich in Lebensgefahr? Wenn ja, sollte ich schnell handeln. Wenn nein: Alles halb so wild! ● Ist jemand, den ich liebe, in Lebensgefahr? ● Wenn ich noch drei Monate zu leben hätte, würde ich mich dann jetzt aufregen? ● Wenn ich meine Situation einem vierjährigen Kind erklären würde – würde es verstehen, was ich gerade schlimm finde? ● Und zu guter Letzt: Kann ich mir vorstellen, in fünf Jahren über meine eigene Situation vielleicht sogar zu lachen? Oder vielleicht in fünf Monaten? Warum nicht schon in fünf Minuten? Lesen Sie morgen So klappt es besser in der Partnerschaft – der Psychoanalytiker, Buchautor und Kolumnist Wolfgang Schmidbauer gibt Tipps für Paare.