und Abfallbeseitigung im Mittelalter und der frühen Neuzeit Zur

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und Abfallbeseitigung im Mittelalter und der frühen Neuzeit Zur
Abwasser- und Abfallbeseitigung im Mittelalter und der frühen Neuzeit
Zur Entsorgung von Abwässern dienten überwiegend die Flüsse und Bäche: Am Fluss und
am Stadtgraben wurde Wäsche gewaschen; Lederer, Gerber, Färber und andere Handwerke
benötigten viel Wasser für die Produktion und entsorgten das schmutzige Wasser gleich
wieder im Fluss. Die Fleischer hatten ihre Verkaufsbuden zumeist auf den Brücken und
warfen die Abfälle direkt in den Fluss, um die Ausbreitung von üblen Gerüchen und von Seuchen zu verhindern. Fäkalien wurden häufig einfach auf die Straße geschüttet, von wo sie
der nächste Regen oder eigens in der Straße angelegte kleine Bäche wegspülten. Solche
künstlichen Rinnsale sind bis heute etwa noch in Freiburg im Breisgau oder im französischen
Saint-Martin-Veribie erhalten.
Teilweise und vor allem ab dem 17. Jahrhundert wurden an den Bürgerhäusern die Abtritterker mit einem Fallrohr versehen, ursprünglich aus Holz, später aus Blech. In einem Haus in
Laufen am Hochrhein war dieser Abtritt noch in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts benutzt, mit direkter Einleitung Unter der Straße durch in den Rhein.
Abb. 1: Abtritt mit Fallrohr aus dem Murer-Plan von
Zürich (oben) und rechts in Laufen, 1983 noch in
Benutzung
Besonders beliebt waren die Ehgräben, d.h. die schmalen Zwischenräume zwischen den
Wohnhäusern zur Exkremententsorgung. Diese Ehgräben sind heute noch in alten Städten
und Dörfern zu sehen, aber nicht mehr in ihrer ursprünglichen Funktion, denn schon Boccaccio beschwerte sich über den „pestilenzialischen Gestank“. Da die Dächer der Häuser über
den Ehgräben nur selten soweit auseinander waren, dass genügend Regen zur Reinigung
dazwischen durchfiel. Die Reinigung der Ehgräben erfolgte entweder durch Spülen oder
durch Auslegen mit Mist, der dann der landwirtschaftlichen Verwertung zugeführt wurde. Wie
selten dies geschah, geht aus einer Schilderung des Nürnberger Stadtbaumeisters Endres
Tucher (1423 – 1507) deutlich hervor. In seinem "Baumeisterbuch" heißt es:
"Eine reihen, die da get zwischen der judenheuser herab an die Ledergass . . . pis an die
Newengass . . . hab ich räumen lassen im siebenzigsten jar (1470) zu Martini und gab
darzu auß . . . zwei und zweitzig pfunt alt. Die reihen war in 18 jaren nit geräumt worden."
Bei Regenereignissen wurden die Straßen der Stadt automatisch gereinigt, da das Wasser
von den Straßen in die tiefer liegenden Flüsse lief.
Abb. 2: Ehgraben in Ebermannstadt, Oberfranken (links und Mitte) und heute überdacht in Zürich (rechts)
Nicht nur der normale Straßenschmutz und die Exkremente wurden in die Flüsse entsorgt,
auch die Handwerker warfen ihre Abfälle auf die Straße oder arbeiteten sogar dort. A. Corbin
beschreibt sehr eindrucksvoll, dass noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Straßen
von Paris die Metzger schlachteten, das Blut lief auf die Gassen, die Gerippe lagen dort
herum und die nicht essbaren Teile wie Eingeweide wurden an Ort und Stelle verbrannt. Der
Gestank muss fürchterlich gewesen sein und der Straßendreck einschließlich der Metzgereiabfälle lag knöcheltief auf der Straße, bis alles in die Seine geschwemmt wurde. Andere
Handwerker, die für ihr Gewerbe viel Wasser brauchten, arbeiteten direkt am Fluss. In Murers Plan von Zürich 1576 sieht man einen Gerber, der im Wasser stehend die Fleischreste
von den Häuten in die Limmat schabt. In unmittelbarer Nähe gab es Waschhäuser am Ufer
der Limmat.
Abb. 3: Gerber, der im Wasser Häute entfleischt
Waschhäuser an der Limmat (aus Murer-Plan)
Trotz dieser Belastung waren die Gewässer – bis auf die oben erwähnten biologischen Katastrophen (Albertus Magnus, Leonhard Baldner) – in der Lage, die Verschmutzung zu verkraften, da es im Vergleich zu heute viel weniger Menschen gab und die Abfälle naturnah
waren, d.h. der eingetragene Schmutz wurde in Biomasse umgesetzt.
Wenn aber aus derart belasteten Flüssen Trinkwasser geschöpft wurde, ist es nicht weiter
verwunderlich, wenn alle möglichen Krankheiten über das Trinkwasser verbreitet wurden.
Bei einer Diskussion über Grimmelshausen, der seinen Helden Simplicius Simplicissimus
wegen Verstopfung einen Sauerbrunnen aufsuchte, stellte der Mikrobiologe Prof. Mrozek
(Henkel) fest, dass unsere Altvorderen durch den Genuss dieses Trinkwassers immer einen
so dünnen Stuhlgang hatten, dass sie einen Stuhlgang, den wir heute für normal halten,
schon als Verstopfung ansahen.
Weitaus schwerwiegender ist jedoch die Feststellung von Hildegard von Bingen (1098 –
1179) über die Qualität der Fische und des Wassers aus dem Rhein.
Hildegard von Bingen: Rheinwasser
Pisces vero ejusdem [fluminis] noviter capti ad
comendendum sani; sed inveterati cito putrescunt,
quia eadem asperitate contrivi sunt.
..., aliquantum asper est ut lixivia, et cruda sumpta
noxios et lividos humores in homine [consumit; sed si
noxios et lividos humores in hominenon reperit, cruda
[ejus aqua sumpta hominem sanum magis exulcerat,
quia in eo [non] invenit quod purget.
Sed tamen si eadem aqua in cibis aut in potibus
sumitur, ...,eam inflat et tumidam facit, et distortam
aut nigram facit,...
Die frischgefangenen Fische jenes [Flusses] sind
gesund zum Essen, faulen beim Lagern aber rasch,
weil sie durch diese Herbheit verdorben sind.
..., ist er etwas herb wie Lauge, und wenn man [das
Wasser] roh genießt, vertilgt es die schädlichen und
kankmachenden Säfte im Menschen; [aber wenn es
schädliche und krankmachende Säfte im Menschen]
nicht findet, schädigt es den gesunden Menschen
mehr, weil es [nichts]findet, was es abführen könnte.
Wenn jedoch dieses Wasser in Speisen oder Getränken genossen wird, ..., bläht es dieses(das Fleisch
des Menschen) auf und macht es geschwollen und
macht es (das Gesicht) verzerrt und dunkel...