test + technik

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test + technik
T E S T + T E C H N I K
Fahrbericht: Polaris-Modelle 2015
WASSER
MARSCH!
Ein neues BaggerModell von Victory
und ein Luxus­
tourer von Indian –
der amerikanische Polaris-Konzern erweitert seine MotorradModellpalette. Und schockt die Konkurrenz zusätzlich mit einem
wassergekühlten Power-Cruiser mit dem Namen Scout.
Von Rolf Henniges; Fotos: Hersteller
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E
rst vor einem Jahr präsentierte der
Polaris-Konzern seine zwei IndianModelle, die Chief und die Chieftain. Beide Motorräder waren nach
Kauf des Firmennamens Indian in nur 33
Monaten Entwicklung aus dem Nichts heraus entstanden. Angetrieben von einem
mächtigen, 1811 Kubik großen, luftgekühlten Motor, der von der Tochterfirma Swissauto entwickelt wurde. Jetzt legt Polaris
nach: Die Scout mit 1133 Kubik ist ein weiteres Modell. Und eine klare Kampfansage
an den direkten Konkurrenten Harley und
dessen Sportster-Modelle.
Die Indian Scout-Modelle früherer
Dekaden erwarben sich einen Ruf als sport­
w w w. m otor r ad onl i ne.d e
liche, leichte und zuverlässige Motorräder.
Sie bewiesen sich nicht nur im Krieg, sondern auch auf den Rennstrecken der Welt
und – legendär – bei den Steilwandfahrern
in der „Wall of Death“. Charakteristische
Merkmale der Scout-Modelle waren die
niedrige, bequeme Sitzposition sowie großvolumige V2-Viertakt-Motoren mit seitlicher
Ventilsteuerung, auch als stehende Ventile
bezeichnet. Bei dieser Bauart arbeiten im
Zylinderkopf keine Teile der Ventilsteuerung, weshalb er besonders flach ausgeführt ist. Aber machen wir es kurz: 94 Jahre
sind vergangen, seit die erste Scout präsentiert wurde. Die neue hat mit der alten nur
noch den Namen gemein. Und – falls man
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Zwischen dem luftgekühl­ten Flathead-Antrieb
im Stahlchassis und dem
wassergekühlten dohc-V2
im Alu-Rahmen liegt ein
knappes Jahrhundert
Polaris-Modelle 2015
das Motorrad so ordert – auch die legendäre Farbe Indian-Red. Als am 2. August
2014 im Rahmenprogramm der weltbekannten Sturgis Rallye in South Dakota das
rote Tuch von der Maschine fiel, waren
nicht nur die eingeladenen Journalisten
überrascht.
Alles hatte man erwartet. Einen luftgekühlten Motor. Einen Rahmen aus Stahlrohren. Vor allem aber ein Bike, das sich
stark an der Historie anlehnt und die Bezeichnung „Modern Classic“ verdient. So,
wie es Polaris im Vorjahr auch mit den ChiefModellen gemacht hatte. Pustekuchen!
Die neue Scout ist ein modernes Motorrad. Der wassergekühlte V2 hat 60 Grad
Zylinderwinkel, vier Ventile und zwei obenliegende Nockenwellen pro Zylinder. Eine
Ausgleichs­welle bemüht sich darum, Vibrationen zu eli­minieren, und im Gegensatz
zur Harley-Konkurr­enz ist das Triebwerk mit
einem Bohrung-Hub-Verhältnis von 99 zu
73,6 Millimetern kurzhubig ausgelegt. Der
Rahmen besteht aus fünf massiven Aluminium-Gussteilen, die drei großen Hauptteile
­werden oberhalb des Motors mit Stahlrohren verbunden und sind verschraubt. Das
­Ganze sieht aus wie aus einem großzügigen
Guss, hinter dem auch viele Schläuche,
Kabel und Bowdenzüge verschwinden.
­Clever gemacht. Und unkonventionell. Beispielsweise versteckt sich auch der riesige
Wasserkühler im vorderen Rahmenteil und
ist von der Seite überhaupt nicht erkennbar. Klingt mutig und clever. Und wie fährt
sie sich?
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Die zwei per Kontermuttern in der Basis
verstellbaren Federbeine sind sehr schräg
angestellt und wirken
ziemlich schlicht
Für Techniker ein
optischer Leckerbissen,
für Liebhaber klassischer Motoren eine
Katastrophe: Der wassergekühlte 60-Grad-V2
ist zwar verschnörkelt,
aber nicht zeitlos
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Keine Anzeigen für Drehzahl und Gang,
keine automatische Blinkerrückstellung –
hier wurde offensichtlich gespart
Der No-Name-Bremssattel erweist
sich als perfekter Begleiter – mit satter
Verzögerung und gutem Feedback
Sanftes Dahingleiten ist die
Paradedisziplin der Scout.
Doch wer die Drosselklappen
aufreißt, den torpediert die
100-PS-Maschine ordentlich
vorwärts
Trotz beachtlicher 1562 Millimeter Radstand ist die Indian Scout ein extrem nied­
liches, weil flaches Motorrad geworden, das
jedermann schon beim Anblick als handlich
einstuft. Der zierliche Solo-Ledersitz endet
in 643 Millimetern Höhe, und der Lenker
liegt gut in der Hand. Angeblich sollen sich
Menschen zwischen 1,60 und 1,80 Meter
hier zu Hause fühlen, mit zusätzlichen
Accessoires (Sonderzubehör) wie vorverlegten Fußrasten und niedrigerer Sitzbank
sogar auch Piloten zwischen 1,50 bis 1,90
Meter. Eines muss man jedoch wissen: Jeder
über 1,75 Meter sieht auf der flach geratenen Scout albern aus. Leider standen für die
Weltpresse nur Motorräder mit amerikanischer Homologation zur Probefahrt bereit.
Was auf der einen Seite bedeutet: Sie waren
nicht mit ABS ausgestattet. Auf der anderen Seite aber auch: Sie hatten Sound. Ein
wenig mehr als sie es haben werden, wenn
sie ab Januar 2015 auf europäischen Straßen rollen. Polaris rechnet übrigens damit,
ein Drittel der Gesamtproduktion in Europa
verkaufen zu können. Nach dem Druck
aufs Knöpf­chen blubbert der Motor erwartungsfroh im Leerlauf um die 1100/min.
­Leider sind die Handhebel nicht verstellbar.
Ansonsten gibt sich das 255 Kilogramm
schwe­­re Motorrad durch seinen niedrigen
Schwer­punkt bereits im Stand handlich. Ein
Eindruck, der sofort einen kleinen Dämpfer
erhält, denn der Lenkeinschlag ist nicht
besonders groß.
Schon auf den ersten Metern fasst
man grenzenloses Vertrauen. Tiefer Schwerpunkt, niedrige und sehr relaxte Sitzposi­
tion – und ein Antrieb, der perfekt am Gas
hängt. Bereits ab 2000/min lässt der Kurzhuber seine Muskeln spielen und legt sich
ab 3500/min ins Zeug. Dabei läuft er äußerst
kultiviert, vibriert kaum, aber pulsiert angenehm. Das Gangwechseln ist präzise, die
Schaltwege sind knackig kurz mit gutem
Feedback. Zierliche Frauenhände werden
beim innerstädtischen Gebummel vielleicht
fluchen: Die Kupplungsbetätigung verlangt
eher vier statt zwei Finger. Selbst bei zügigen Überholvorgängen braucht man nie
über 5500/min zu drehen. Bei 100 km/h
Ja, sie kann auch schräg!
Gut sogar. Obwohl sie
aus Amerika kommt, wo
vor jeder Kurve stark
abgebremst werden soll
Polaris-Modelle 2015
dreht der V2 rund 3300/min im sechsten
Gang. Gefühlt liegt der optimale Schaltpunkt beim zügigen Cruisen um die 4000
Touren. Doch der Kurzhuber kann mehr:
Wer möchte, kann ihn bis 8700/min drehen.
Durch das letzte Drehzahlviertel kämpft
sich der Antrieb allerdings zäh vorwärts
und vibriert ab 6000/min nervig. Seine
Höchstleistung von 100 PS (US-Version)
liegt bei 8000/min an, das maximale Drehmoment von 98 Nm stemmt er bereits ab
5900/min. So viel zu den Daten. Und so
fühlt sich das an: Der Antrieb ist absolut
handzahm, hängt super am Gas und vermittelt in jedweder Situation das Gefühl
von Lässigkeit. Egal ob man mit 2000/min
im sechsten Gang durch Orte bummelt
oder dem Twin bei 3500/min über das Rideby-Wire die Sporen gibt, um zu überholen.
Neu 2015: Victory Magnum
Bagger mit Stil und Sound
B
ei uns in Deutschland kaum ein Thema, in den USA der Megatrend:
Bagger. Wie, Sie wissen nicht, was das ist? Bagger sind Custombikes mit integrierten Packtaschen, niedriger Windscheibe und gro­
ßen Vorderrädern. Mit der Magnum springt Victory auf genau diesen
Zug auf. Im Grunde genommen ist die neue eigentlich eine Victory
Cross Country, die
in einigen Details
geändert
wurde:
Vorn rotiert jetzt
ein mächtiges 21Zoll-Rad, angeblich
das größte, das in
einem Bagger serienmäßig je verbaut
wurde. Hierzu muss
man wissen: In den
USA rollen CustomMehr Sound-Power als der direkte Konkurrent
bagger mittlerweile
Harley Street Glide: Das verbaute Stereo-Sound- mit bis zu 30-Zollsystem mit sechs Lautsprechern hat 100 Watt
Vorderrädern. Weitere Unterschiede
zur Cross Country: Bei 640 Millimetern Sitzhöhe hockt man 25 Millimeter tiefer, im Frontscheinwerfer ist LED-Licht integriert, der Frontfender
ist geändert, die Federwege sind zehn Millimeter kürzer, und serienmäßig gibt es ein 100-Watt-Soundsystem. Das funktioniert übrigens
prächtig. Auch bei 100 km/h pro Stunde wird der Fahrer noch so beschallt, dass er Lieder locker mitsingen kann. Aber auch die Schräg­
lagenfreiheit ist für ein 309-Kilo-Motorrad mit Trittbrettern überraschend groß, sodass einem zügigen Ritt über die Hausstrecke nichts
im Weg steht. Das Lenkverhalten ist trotz des großen Vorderrads völlig
Die Magnum gibt’s nicht nur im abgebildeten Limettengrün, sondern
auch in Schwarz, Grau und im zweifarbigen (rot-weißen) Arlen-Ness-Look okay. Die Magnum lässt sich überraschend agil und präzise bewegen.
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Nie wirkt irgendwas stressig, alles geschieht wie aus dem viel gerühmten Ärmel
geschüttelt.
Dasselbe gilt übrigens auch fürs Bremsen. Die beiden jeweils vorn wie hinten
verbauten Scheiben mit 298 Millimetern
Durchmesser lassen sich nie lumpen. Der
Druckpunkt beider Bremsen ist fantastisch
knackig, die Verzögerung trotz No-NameHerstellers der Bremssättel völlig überzeugend. Gleiches gilt fürs Lenkverhalten:
Die Scout lenkt sich ebenso lässig wie
prä­zise und entspannt. Reifenseitig setzen
die Ame­rikaner auf Kenda K 673 – made
in Taiwan. Abrollverhalten und Grip dieser
Pneus sind unauffällig, allerdings fehlt es
den Reifen ein wenig an Eigendämpfung.
Diesen Job muss dann wohl oder übel die
Federung übernehmen. Sowohl die 41erGabel als auch die sehr mickerig wirkenden
und leidlich verchromten Stoßdämpfer
führen ihn befriedigend aus. Ein wenig
mehr Dämp­fung könnte dem Fahrwerk
allerdings nicht schaden. Von wenigen
Detaillösungen abgesehen, ist die Scout
gut verarbeitet und macht einen wertigen
Eindruck. Und das sollte sie auch, denn
mit einem Preis von 12 990 Euro liegt sie
geringfügig über den 1200er-SportsterModellen vom Erzkonkurrenten Harley.
Die Prognose? Schwer zu sagen, wie
Kunden auf die Scout reagieren. Objektiv
gesehen ist sie ein prima Motorrad, mit
Indian Scout
M OTO R
Wassergekühlter Zweizylinder-Viertakt-60-GradMotor, eine Ausgleichswelle, zwei obenliegende, kettengetriebene Nockenwellen, vier Ventile
pro Zylinder, Trockensumpfschmierung, Einspritzung, 2 x Ø 60 mm, geregelter Katalysator,
Lichtmaschine 420 Watt, Batterie 12 V/12 Ah,
mechanisch betätigte Mehrscheiben-Ölbadkupplung, Sechsganggetriebe, Zahnriemen.
Bohrung x Hub
99,0 x 73,6 mm
Hubraum
1133 cm³
Verdichtungsverhältnis10,7:1
Nennleistung
Max. Drehmoment
74,0 kW (100 PS)
bei 8000/min
98 Nm bei 5900/min
FA H R W E R K
Aluguss/Stahl-Verbundrahmen, Motor mittragend, Telegabel, Ø 41 mm, Zweiarmschwinge
dem selbst Fahranfänger gut bedient sind.
Im Vergleich zu den 1200er-Sportster-Modellen bietet sie für wenig mehr Geld den
besseren, moderneren und kultivierteren
Motor mit mehr Leistung. Aber Letzteres
­offerieren auch einige japanische Cruiser.
Vielleicht sollte man die amerikanischen
Konkurrenten menschlicher beschreiben:
aus Aluminium, zwei Federbeine, verstellbare
Federbasis, Doppelscheibenbremse vorn, Ø 298
mm, Doppelkolben-Schwimmsattel, Scheibenbremse hinten, Ø 298 mm, Einkolben-Schwimm-­
sattel.
Alugussräder
3.50 x 16; 3.50 x 16
Reifen
130/90 H 16; 150/80 H 16
M Aß E + G E W I C H T E
Radstand 1562 mm, Lenkkopfwinkel 61,0 Grad,
Nachlauf 120 mm, Federweg v/h 120/76 mm,
Sitzhöhe 643 mm, Gewicht vollgetankt 255 kg,
zulässiges Gesamtgewicht 449 kg, Tankinhalt
12,5 Liter.
Garantie
5 Jahre
Farben
Schwarz, Rot, Mattschwarz, Grau
Preis
12 990 Euro
Nebenkosten
k. A.
Die Scout wirkt emotional gefestigt, durchtrainiert, strebsam und konservativ. Eine
Harley Forty Eight dagegen anrüchig, un­
gehobelt und rebellisch. Einen schöneren
Gegensatz hätte man nicht produzieren
kön­nen. Bleibt nur zu hoffen, dass er aus­
reichend Fans ­findet.
www.motorradonline.de/neuheiten
Neu 2015: Indian Roadmaster
Der pure Luxus
Bei einem Trockengewicht von 408 Kilogramm und ohne Rückwärtsgang sollte manch einer aufpassen, wo er diese Maschine parkt
D
ie neue Roadmaster zielt ganz klar auf eins der meistverkauften
Harley-Modelle in den USA ab, die Electra Glide. Mit allen Mitteln
versucht ­Indian der Konkurrenz das Wasser abzugraben. Das neue Indian-Flaggschiff basiert auf dem Modell Chieftain, bietet aber eine größere Windscheibe und ein luxuriöses Topcase mit integrierter Rücken-
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lehne. Dieses Topcase ist so schwer,
dass es sich beim
Handling gegenüber der Chieftain
negativ bemerkbar
macht. Die neue
Scheibe hingegen
ist besser als die des
Schwes­termodells.
Der Fah­rer hockt ultrakomfortabel wie
Alles Serie: Griffheizung, Soundsystem, hohe
auf ­Uromas gutem
Windscheibe, schützende Beinschilder, beheizte Sonntagssofa, und
Sitzbank und 143 Liter Stauraum
die großen Beinschilder sorgen für
sehr guten Wetterschutz. Zudem schützen sie trotz integrierter Klap­
pen, die sich für Kühlzwecke öffnen lassen, sehr stark vor Fahrtwind.
Kurz gesagt: Der mächtige, luftgekühlte 1811-Kubik-Motor strahlt seine Hitze direkt an die Beine. Beim innerstädtischen Stop-and-Go wird’s
richtig heiß. Aber auch der Passagier sitzt im Vergleich zur Chieftain
komfortabler, denn hier ist nicht nur die Sitzbank breiter und beheizbar, die Trittbretter können auch in drei Positionen angeschraubt werden. Trotz seiner riesigen Ausmaße fährt sich der Luxus­tourer relativ
leichtfüßig. Die Sitzhöhe ist mit 673 Millimetern schön niedrig, sodass
auch Kurzbeinige mit dem Flaggschiff zurechtkommen.
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