Straube an Oscar Walcker
Transcription
Straube an Oscar Walcker
walckerorgel.de www.walckerorgel.de präsentiert am 26.Juni 2004 : KARL STRAUBE, Thomaskantor a) Brief nach Essen Werden 1905 b) Brief an Oscar Walcker 1948 wegen Hildebrandorgel Naumburg c) Brief an Holtschneider von 1911 wegen Walcker-Orgel in Reinoldi Dortmund d) Bild von Straube e) Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Straube, Montgomery Rufus Karl Siegfried Karl Straube Leipzig, den 13.August 1905 Dorotheenplatz 1 III. Sehr geehrter Herr, durchaus ist es richtig, dass die Firmen E.F.Walcker & Co. in Ludwigsburg (Württemberg/ und Wilhelm Sauer in Frankfurt an der Oder heutigen Tages konkurrenzlos die leistungsfähigsten deutschen Orgelbauanstalten sind. - In kleinen, nebensächlichen technischen Finessen mögen andere Orgelbauer ihnen gleich sein. Was aber Schönheit und Adel in der Intonation der einzelnen Register angeht, so stehen die beiden genannten Meister unerreicht da. Damit ist gesagt, dass eine Sauer –wie eine Walcker-Orgel dem spielenden Künstler Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung stellt, wie ich sie bei einem Instrument einer anderen Bauanstalt bisher nicht wieder gefunden habe. Beide Meister intonieren ja ganz verschieden, aber jedes einzelne Orgelwerk, das aus ihren Händen hervorgeht, ist in sich ein vollendetes Meisterstück. Mir persönlich ist Wilhelm Sauers Art lieber, sie steht in organischen Beziehungen zu der gesamten Entwicklung, welche das moderne Klangempfinden genommen hat. Sauers Tonfarbe ist diffenrencierter, ich möchte fast sagen feinfühliger, als die eines Walcker. Walcker entschädigt dafür eine grosse Klangpracht & Klangwucht. Ich bin der Überzeugung, wenn es Ihnen gelingen sollte, eine Walckerorgel für die Abteikirche zu Werden zu erhalten, so werden Sie gerade eine Orgel erhalten, welche mit der überwältigenden Fülle des Orgeltones in einem rechten Verhältnis zu den grossen Gottesdiensten des katholischen Cultes steht. Mir sind die beiden Orgelbaumeister in ihren Werken deshalb ganz besonders sympathisch, weil ihre Art des Erbauens nicht experimentelles mehr an sich hat. Ihr Schaffen ist das reife Ergebnis einer reichen und langjährigen Erfahrung. Bei den Firmen Seiffert-Köln und Stahlhut Aachen kann ich mich, trotz vieler höchst anerkennenswerten Eigenschaften namentlich der zuerst genannten Firma, nicht des Eindrucks erwehren, als seien sie noch in der Entwicklung begriffen, als wären die gesamten Erfahrungen nicht ausgereift genug um einem ganze abgerundeten künstlerischen Resultat dienen zu können. So erkläre ich mir gewisse Mängel in der Intonation beider Firmen, die sonst nicht im Verhältnisse zu dem technischen Können der Herren stünden. Denn es bleibt bestehen, dass bis zum heutigen Tage Wilhelm Sauer und E.F.Walcker die ersten Namen unter den deutschen Orgelbauern tragen. Mit vorzüglicher Hochachtung sehr ergebenst! gez. Karl Straube Organist zu St. Thomä Brief des Thomaskantor Prof. Dr. Dr. Karl Straube an Herrn Dr. Oskar Walcker am 15.6.1948 Hochverehrter Herr Dr. Walcker ! Durch Ihre Güte habe ich Kenntnis bekommen von der Existenz der Hildebrandtorgel in der Stadtkirche von Naumburg / Saale. Für meine Ausgabe der Orgelwerke von Johann Sebastian Bach ist die mir zugegangene Mitteilung von grosser Wichtigkeit. Einmal ist es die letzte Orgel, die von dem grossen Meister geprüft worden ist. Dann aber kommt die Gestaltung in der Disposition der Klangmittel meinen Ideen über die Zukunft der Orgel als Klangträger entgegen. Wir können nicht dabei stehen bleiben, die Wiedererweckung der norddeutschen Barockorgel in ihrem Klange als das Ziel der deutschen Orgelbewegung zu proklamieren. Es ist aus musikalischen Gründen notwendig eine Synthese mit den Klangmitteln der Orgeln aus der Zeit der Klassik herbeizuführen. Das Vorbild ist die Hildebrandorgel, ohne die gegebene Auswahl der einzelnen Register des Instrumentes " ex cathedra" zu verkündigen. Wird dieser Weg nicht eingeschlagen, so wird wie es im XIX. Jahrhundert der Fall war, das Forte des Barocks den Menschen auf die Nerven fallen und die Königin der Instrumente wird wiederum zum Aschenbrödel, das kzu haben. Sie macht mir den Weg frei zu dieser Ausgabe, die wohl des ewigen Kantors Zustimmung gefunden haben dürfte. Er wollte von dem Geschmack der alten Zeit nichts wissen, wie uns der Satz belehrt aus dem Memorial an den Rat der Stadt Leipzig vom 23.8.1730 : " Da nun aber der itzige status musices ganz anders wie der ehedem beschaffen, die Kunst um sehr viel gestiegen, der gusto sich verwunderns-würdig geändert, dahero auch die ehemalige Art von Music unseren Ohren nicht mehr klingen will..." In Verehrung und Ergebenheit Ihr gez. Karls Straube aus MGG : Straube,Mont g ome r yRuf usKa r lSi e g f r i e d,*6.J a n.1873i nBe r l i n,†27. Apr .1950i n Leipzig. Straubes Vater, Org. der Hl. Kreuzkirche in Berlin und Harm.-Bauer, entstammte einer märkischen Pastorenfamilie; der Urgroßvater war Propst, der Ururgroßvater bekannter Cemb.-Bauer in Berlin; seine Mutter Sarah geb. Palmer kam aus hochgebildeter engl. Familie. Straubes Lehrer waren sein Vater, Otto Dienel, Albert Becker und Heinrich Reimann; als dieser 1895 an die neue Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche kam, wurde Straube sein ständiger Vertreter. 1897 wurde Straube zum Domorg. von Wesel gewählt; als solcher entwickelte er sich zum ersten Org. Deutschlands und entfaltete eine intensive Konzerttätigkeit. 1897/98 begann seine Lebensfreundschaft mit M. Reger mit der Auff. von dessen op. 16, bzw. einer Begegnung in der Frankfurter Paulskirche. 1902 berief ihn Leipzig zum Nachf. des Thomasorg. Carl Piutti (Amtsantritt 6. Jan. 1903). 1903 übernahm er als Nachf. von Hans Sitt den Leipziger Bachver. Am 4./5. Mai dess. Jahres verheiratete er sich mit Johanna Josefine Christine genannt Hertha Küchel aus Wesel. 1907 wurde Straube als Nachf. von Paul Homeyer Orgellehrer am Kons. und 1918 als Nachf. von Gustav Schreck und 11. Amtsnachf. Bachs Thomaskantor. Reisen mit dem Thomanerchor führten ihn in die Schweiz, nach Österreich, Dänemark, Schweden, Norwegen, Holland, Belgien und Frankreich. Auf sein Betreiben wurde 1919 am Kons. ein km. Institut der Ev.Luth. Landeskirche Sachsens aufgebaut, dessen Vorsteher er wurde. Infolge Zusammenlegung von Bachver. und Gewandhauschor wurde er Dgt. der Chorvereinigung des Gewandhauses (bis 1933). 1922 gab er das erste Konzert auf der von W. Gurlitt und O. Walcker rekonstruierten »Praetoriusorgel« der Univ. Freiburg (Breisgau). 1923 wurde er Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät der Univ. Leipzig. 1925 führte er auf dem Deutschen Händelfest Händels Salomo in eigener Einrichtung auf. 1927 dirigierte er die Urauff. der Kunst der Fuge von J. S. Bach in W. Graesers Instrumentation. Nach 25jähr. Tätigkeit in Leipzig wurde er Ehrendoktor der dortigen Theologischen Fakultät. Zu seinen Freunden zählten Männer wie M. Brockhaus, W. Furtwängler, J. Haller, S. von Hausegger, A. Kippenberg, A. Mendelssohn, H. Mitteis, M. Seiffert und B. Weber, zu seinen Schülern W. Auler, F. Brinkmann, H. Boell, L. Doormann, G. Fjelrad, H. Haag, H. J. Haller, A. Hamm, K. Hasse, F. Högner, K. Hoyer, P. Isolfsson, Lady Susi Jeans, H. Keller, H. Klotz, R. Liesche, K. Matthaei, E. Mauersberger, R. Mauersberger, H. A. Metzger, N. O. Raasted, G. Ramin, W. Reimann, A. Sandvold, M. Schneider, K. W. Senn, H. D. Smith, F. Stein, K. Utz, H. Wunderlich und E. Zillinger. Komp. wie J. N. David, H. Grabner, H. Kaminski, G. Raphael, F. Reuter, M. Rózsa und K. Thomas hat er durch fundierten mus. Rat und helfende Tat gefördert. Straube besaß, wie sein Vorbild H. v. Bülow, zugleich vitale Spontaneität und krit. Verstand. Die Werte des Lebens sah er begründet in der Lehre Jesu von Gott als dem Vater und begriff so den Menschen als Glied der kosmischen Ordnung. Die Einordnung in diesen Zusammenhang vollzog er im bewußten Erfassen seiner Lebensaufgabe, die er darin erblickte, Leistung und Ansehen der geistl. Musik zu heben und sie in den Strom des mus. Zeitgeschehens zu führen. Dazu setzte er unternehmerische Initiative, zähe Ausdauer und selbstlose Hingabe ein. Das Orgelspiel Straubes vereinte Kühnheit und Zartheit, Phantasie und Formkraft; seine Finger waren in Anschlag und Artikulation feinfühlig »wie der Bogen einer Geige, geführt von der Hand eines großen Meisters« (mit diesen Worten formulierte er selbst seine Forderung an den Spieler); in seiner Agogik manifestierten sich lebendige Rhythmik und starkes Empfinden. Strenges Legato galt ihm als Grundlage; für die Artikulation beim Spiel der Orgelwerke Bachs waren ihm dessen Angaben in seinen Orch.-St. Wegweiser. Unabdingbare Voraussetzung waren für ihn eindringendes Studium der Werke (Reger, op. 16: 1/2 Jahr, op. 46: 1/4 Jahr) und gewissenhafte Vorbereitung jedes Konzerts (23 Tage). Sein Repertoire war umfassend; besonders pflegte er neben den älteren ev.-luth. Meistern Bach und Reger. In der Registrierung hatte Straube sich mit zwei verschiedenen Orgeltypen auseinanderzusetzen: mit dem der Orgel von 1900 und dem der Schnitger- bzw. Silbermannorgel, der von 1922 an immer mehr für den deutschen Orgelbau maßgebend wurde. Die Orgel von 1900 orientierte sich am Klang des Wagner-Lisztorch. und ging auf flexible Dynamik aus. Um der älteren Orgelmusik den Ruf des Veraltetseins zu nehmen, interpretierte Straube sie im Stil emotional-expressiver Dynamik, wobei er alle Grade vom pp bis zum fff einsetzte. Gleichzeitig nutzte Straube die dynamische Abstufung der Man., um wichtige Mittelst. herauszuheben, was oft kunstvolles Spiel einer Hand auf zwei bzw. zweier Hde. auf drei Man. verlangte. Für die Orgelmusik Regers, der sich von op. 33 an ähnlicher dynamischer Flexibilität befleißigte, ergab sich zunächst kein Problem. Trotz der Vorherrschaft des Dynamischen nutzte Straube auch den Farbwert der Register, wobei er oft die Grundlabialen der unteren Man. mit den Zungen, Aliquoten oder Mixturen der oberen Man. kombinierte. Dieser Interpretationsart entsprachen Straubes Ausg. alter Meister, Bachs und Regers bis 1913. In der Auseinandersetzung mit der Praetorius-, der Schnitger- und der Silbermannorgel erkannte Straube das Organo Pleno dieser Instr. als den authentischen Klang für die älteren Präludien und Fugen und setzte nunmehr die Dynamik nicht expressiv, sondern architektonisch ein. In der Folge interpretierte Straube so auch das Werk Regers. Auf dieser Basis beruhen seine Ausg. alter Meister, Bachs und Regers seit 1929. - Ähnlich wie bei der Orgel hatte Straube es als Chorleiter mit zwei verschiedenartigen Chören zu tun. Die Auff. der Matthäuspassion mit dem Thomanerchor in der kleineren, orig. Besetzung war für ihn deshalb die authentischere, weil dabei mit den Partien von Christus, Evangelist und Soliloquenten das Evangelium optisch und ak. im Vordergrund bleibt. Im Orch. lehnte er stets die oft gebrauchten neudeutschen Übermalungen ab, was er in seiner Ausg. von Bachs Magnificat (um 1910) eingehend begründete; bei den Auff. mit dem Bachver. setzte er zur Erhaltung der Proportion vierfache Holz- und doppelte Blechbläser ein. In seiner ersten Auff. der Johannespassion räumte er mit der Auffassung auf, daß KM. mehr oder weniger getragen sein müsse, und musizierte dramatisch. Neben Bach pflegte er Händel und die großen nachbachschen Chw. bis hin zu den damals jüngsten Schöpfungen (Honegger, Kodály, H. Schubert, Proháska, Zilcher). Als Thomaskantor brach er mit der Tradition, daß der Kantor komp. müsse, und pflegte das Werk Bachs sowie die ältere und neuere Chormusik. In diesem Zusammenhang führte er Bachs sämtl. Kantaten auf und gab ihnen in den Gottesdiensten der Leipziger Hauptkirchen ihren festen Platz. Als Lehrer verlangte Straube von seinen Schülern zielsicheres, hartes Arbeiten im Kleinsten des Handwerks wie in den letzten Dingen der Kunst: den technischen Drill, die Treue gegenüber dem Text, Demut vor dem schöpferischen Genius, Fähigkeit, die Tradition weiterzugeben und zugleich der Gegenwart aufgeschlossen gegenüberzustehen, sowie starke künstlerische Empfindung, verbunden mit universaler geistiger Bildung. Werke. A. Schriften: Rückblick u. Bekenntnis in Bach-Gedenkschrift, Zürich 1950 (Abdr. in MuK III, 1950, u. Briefe eines Thomaskantors); Karl Straube. Briefe eines Thomaskantors, hrsg. v. W. Gurlitt u. H.-O. Hudemann, Stg. 1952; Ein Brief Karl Straubes über Johann Sebastian Bach in AfMw 14, 1957. B. Hrsg. (bei Peters, Lpz., ersch., wenn nicht anders angegeben): Alte Meister des Orgelspiels, 1904; Choralvorspiele alter Meister, 1907; Alte Meister des Orgelspiels, N. F., 1929; Ausgewählte Gsge. des Thomanerchors zu Leipzig, Lpz. 1924-1936, B & H; J. S. Bach, Magnificat, um 1910; ders., Sämtl. Orgelwerke II, 1913, Ia, Ib, IV, 6 u. 18 Choräle, nach Straubes Tod; ders., Acht kleine Präludien u. Fugen, 1934; ders., Kl.-Konz. d, Lpz. 1926, B & H; G. F. Händel, Salomo, ebda. 1925; F. Liszt, Sämtl. Orgelwerke, 1917; M. Reger, 3 Stücke aus op. 59, 1910; ders., 10 Präludien u. Fugen aus den op. 59, 65, 80 u. 85, nach 1910; ders., Fantasie über »Ein feste Burg ist unser Gott«, 1938; J. Schneider, Pedalstud. op. 48 u. 67; G. Ph. Telemann, Ino, Solokant. f. Mezzosopr. u. Orch. (Orch.-St. einger.), Lpz. 1926, B & H; A. Vivaldi, Conc. con Violino principale ed altro Violino per eco in lontano A, ebda. 1930; G. W. Körner, Der praktische Org., 1921. Literatur: Fs. Karl Straube zu seinem 70. Geburtstag, Lpz. 1943; K. Dreimüller, Karl Straubes Sauer-Orgel in Wesel in Beitr. zur rhein. Mg., H. 52, Köln 1962; ders., Karl Straubes Tätigkeit in Wesel, in Vorb.; U. Fischer, Straubes neue Ausg. der Bachschen Orgelwerke in MuK XXII, 1952; W. Gurlitt, Aus den Briefen Max Regers an Hugo Riemann in JbP f. 1936, Lpz. 1937; ders., Karl Straube zum 6. Jan. 1943 in MuK XV, 1943; E. v. Hase-Koehler, Max Reger. Briefe eines deutschen Meisters, Lpz. 1928; F. Högner, Karl Straube als Erzieher in ZfM 110, 1943; ders., Ein Leben f. Bach in Das Ev. Deutschland, 1943; H. Klotz, Karl St r a ube†i nMfI I I ,1950;H.Le hma nn,Di eThoma ne ra ufRe i s e n,Lpz .1937;S.Le i s t ne r , Ka r lSt r a ube†i nMuKXX,1950;H.J .Mos e r ,Or g e l -Romantik, Ludwigsburg 1961; H. J. Nösselt, Das Gewandhausorch., Lpz. 1943; G. Robert-Thor [Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Straube, Montgomery Rufus Karl Siegfried, S. 1 ff.Digitale Bibliothek Band 60: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 71741 (vgl. MGG Bd. 12, S. 1442 ff.) (c) Bärenreiter-Verlag 1986]