als PDF - Flüchtlingsrat Niedersachsen
Transcription
als PDF - Flüchtlingsrat Niedersachsen
Inhaltsverzeichnis • Matthias Lange: Vorwort • Europa • Hans Branscheidt: Rette sich, wer kann • UNHCR: Asylsuchende in Westeuropa • Komitee für Grundrechte und Demokratie Forschungsges. Flucht u. Migration: • • • • • Ortsbestimmung menschenrechtlich-demokratischer Politik • Italien 1995 • Kum'a Ndumbe III.: Afrika fordert das Recht auf Überleben • amnesty international: Mindeststandarts für Asylverfahren Bürgerkriegsflüchtlinge aus Jugoslawien • Bethscheider/ Koller/ Berwig: ... zur Rückkehr kroatischer Flüchtlinge • Michael Eberstein: Katholische Bosnier zurück ins Ungewisse • Victor Pfaff: ... zur rechtlichen Behandlung von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen • Niedersächsisches Innenministerium: Verteilung von Bürgerkriegsflüchtlingen aus Bosnien-Herzog. Flüchtlingsfrauen • Abschlußber. AG 8 Basso-Tribunal: Flüchtlingsfrauen in der BRD • Susanne Lipka: Zur Situation von Frauen in den ZASten Asylrecht • Statistik: Ausländische Flüchtlinge in der BRD • Heiko Kaufmann: Das neue Asyl(un)recht • Kai Weber: Gruppenverfolgung von Kosovo-Albanern • EKD: ... zum Asylrecht • Vera Gaserow: Kritik des Bundesverfassungsgerichts • Bundesamt: Anerkennung Armenien nach § 51 AuslG • Victor Pfaff: Anerkungen zur Drittstaatenregelung in Artikel 16 a II GG • Kai Weber: VG Berlin: Polen kein "sicheres Drittland" Kurdistan • Ulrike Hennemuth: Überall ist Kurdistan • Corinna Guttstadt: Diyabakir: Hauptstadt der Flüchtlinge • Dokumentation: Abschiebungen aus der BRD in die Türkei • medico international: Menschenrechtsdelegationen nach Kurdistan Newroz 1995 Schiebung und Abschiebung • Flüchtlingsrat: Abschiebung von Kurden trotz Abschiebungsstopps • George Hartwig: Abschiebung eines behinderten Mädchens • Roma-Union Frankfurt: Offener Brief an den Landkreis Osnabrück • Ellis Huber: Umgang mit Flüchtlingen von ärztlicher • Schiebung und Abschiebung (Fortsetzung) • Aktion Zuflucht: Verhindert Abschiebungen von Roma! • Niedersächsisches Innenministerium: Kein Abschiebungsstopp für zairische Flüchtlinge • Kai Weber: Keine Abschiebungshaft bei russischem Flüchtling aus Lettland • Kai Weber: VG Würzburg: Ausländerbehörde für Abschiebungshindernisse doch • • • • zuständig • Kai Weber/ Charles Keutel Abschiebungshaft nach 10-jährigem Aufenthalt • BMI/Statistiken: Abschiebung von Flüchtlingen • Kai Weber: Keine Abschiebungen nach Algerien? • Jens Voitel: Ehescheidung von Staats wegen • Heribert Prantl: Abschiebung nach Vietnam? • Dr. Thilo Weichert: ... zurPaßbeschaffung vor Abschluß des Asylverfahrens • Günther Haverkamp: Flughafen-Demonstration gegen Abschiebung • Dokumentation: Roma im Bürgerasyl Diskriminierung • Joseph Stanlay/ Red Faye: Gedächtnisprotokoll von 2 liberianischer Flüchtlingen • Erdem Anvari: Psychologische Auswirkungen ethnischer Diskriminierung Kinderflüchtlinge • IIK, Flüchtlingsrat und Koord. Flüchtl.sozialarb.: Presseerklärung: Unbegleitete Minderjährige • Petra Nolte-Ngom: Minderjährige Flüchtlinge in Hannover Unterbringung und Verteilung von Flüchtlingen • Weserkurier 03.12.94: Ein Regierungsdirektor macht Furore • Flüchtlingsrat Niedersachsen: Aufsichtsbeschwerde über die Bez.Reg. Weser-Ems • Nds. Innenministerium: Antwort: Mindeststandarts der Unterbringung dürfen im Einzelfall unterschritten werden • Werngard Binsch-Terner: ZASt Langenhagen: Flüchtlinge klagen über unzumutbare Lebensbedingungen • Dokumentation: Forderungen der Bewohner/-innen der ZASt Langenhagen • Niedersächsisches Innenministerium: Kabinettsvorlage: Zentrale Anlaufstellen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) • Kai Weber: Umsetzung des AsylbLG in Niedersachsen (Tabelle) • AK Asyl Arnum: Brief zum AsylbLG • Georg Classen: Absichten des nds. Innenministeriums zum AsylbLG • Eckhard Spoo: Gutscheine u. Sammellager • Ausländerkommission • Erdem Anvari: 3. Sitzung der Ausländerkommission • Materialien, Broschüren und Bücher Vorwort von Matthias Lange Mit diesem Heft geht unser Rundbrief in den vierten Jahrgang. Wegen der Fülle an aktuellen Informati onen und politischen Ent-wicklungen in der niedersäch-sischen Flüchtlingspolitik wird dieses Schwerpunktheft zum Thema Europa als Doppelheft e rscheinen. Unsere Rundbriefe haben in den letzten Jahren zunehmende Resonanz bei den ehren- und hauptamtlich in der Flüchtlingsarbeit Engagierten gefunden; erfreulich ist auch die Rezeption in der politisch interessierten Öffentlichkeit und die Nutzung zu Weiterbildungszwecken in der Erwachsenenbildung. Wir hoffen, durch eine stärkere thematische Bündelung von Themen, - wie im vorliegenden Heft -, noch mehr Nutzungsmöglichkeiten für unsere Rundbriefe zu eröffnen. Schwerpunktthema E UROPA Das offenkundige Demokratiedefizit bei der Durchsetzung der gegenwärtigen europäischen Flüchtlings- und Asylpolitik scheint niemanden in Bonn zu interessieren. Was bisher an europäischer Harmonisierung der Einwanderungs- und Asylpolitik geschah, war nicht das Werk eur opäischer Institutionen, schon gar nicht des Europäischen Parlaments, sondern nationaler Regierungen und ihrer Bürokratien. - Dabei haben die gewählten europäischen Gremien in den letzten Jahren immer wieder ihren häufig entgegeng esetzten politischen Standpunkt deutlich zum Ausdruck gebracht. So drängte z.B. das Europäische Parlament die EG-Kommission in ve rschiedenen Entschließungen zu einer Harmonisierung der nationalen Einwanderungs- und Asylpolitiken unter Wahrung menschenrechtlicher Normen, sozialrechtlicher und humanitärer Gesichts25/26-1995 RUNDBRIEF 3 punkte - beispielsweise in seiner Entschließung vom 18.11.1992, in der das EP u.a. forderte: - die Erarbeitung eines Status für Armutsund Kriegsflüchtlinge, die nicht durch die Genfer Konvention und das New Yorker Protokoll geschützt werden; - die Einrichtung eines Europäischen Fonds für Flüchtlinge und die Erarbeitung eines Notplans für die Aufnahme und ausgewogene Verteilung von Flüchtlingen auf die Mitgliedsstaaten; - die Anerkennung, daß die Roma und Sinti in Mittel- und Osteuropa "stark diskriminiert sind und besondere Aufmerksamkeit verdienen"; - die Durchführung von Informationskampagnen innerhalb der EU, um Verständnis für die Beweggründe der Zuwanderer zu wecken und ihre schwierige Lebenssituation besser zu begreifen, sowie eine entschlossene Unterbindung ausländerfeindlicher Gewalttaten; - die Erteilung eines Visums an "alle Bürger aus Nicht-EU-Staaten, die ein EU-Visum beantragen"; - die Gewährung "derselben sozialen Rechte" an legal in der EU ansässige Bürger aus Drittländern wie sie zu- und abwandernde Gemeinschafts-bürger besitzen; - die Ausarbeitung einer europäi-schen Einwanderungscharta. Die Maßnahmen zur Abschottung der "Festung Europa" haben sich, wie wir täglich erleben, weit von den Forderungen des Europäischen Parlaments entfernt. Künftige Konzeption Eine wichtige Aufgabe des Flüchtlingsrats in diesem Jahr muß meiner Ansicht nach in der Erarbeitung einer Konzeption für die künftige Flüchtlingsarbeit in Niedersachsen sein. Eines der Standbeine der Flüchtlingsarbeit sind die hauptamtlichen FlüchtlingssozialarbeiterInnen, die für die dezentral in Niedersachsen lebenden Flüchtlinge zuständig sind. Die Diskussionen über massive Kürzungen in diesem Bereich haben im letzten Jahr zu einer spürbaren Lähmung dieser Arbeit geführt. Heute kann von einer "flächen-deckenden Versorgung" der Flüchtlinge nicht mehr gesprochen we rden. Es muß unser Interesse sein, hier zu einer Diskussion über mögliche Umstrukturierungs- und Effektivierungsmaßnahmen zu kommen. Aus diesem Grunde haben wir mit dem letzten MitgliederRundschreiben eine Umfrageaktion gestartet: Ich hoffe, daß wir durch einen Austausch über die Erfahrungen mit dieser Arbeit in den letzten Jahren dahin kommen, daß wir ein fachlich qualifiziertes und politisch ausgewiesenes Konzept zur Neustrukturierung von Flüchtlingsarbeit in Niedersachsen werden ausarbeiten können. Darum hier zunächst einmal der Aufruf: Beteiligt Euch bitte an der Umfrage. ben wir dabei dem dreiköpfigen Vorstand einen Beirat an die Seite gestellt. Insgesamt gesehen eine ziemlich große und "reprä-sentative" Gruppe. Dies verdeutlicht in meinen Augen eine sehr positive Entwicklung, die die Verankerung des Flüchtlingsrats in wesentlichen der für unsere Themen zentralen gesellschaftlichen Bereichen dokumentiert. Diese Tragfähigkeit wird angesichts der zu erwartenden Umstrukturierungen im flüchtlingspolitischen Bereich und des massiven ROLL BACK in der offiz iellen niedersächsi-schen Flüchtlingspolitik dringend b enötigt. Um die Präsenz des Flüchtlingsrat im Flächenland Niedersachsen zu verbessern, haben wir auf der Jahreshauptve rsammlung die Einrichtung eines neuen Büros im Nordteil des Landes ins Auge gefaßt; Vorschläge dazu sind sehr willkommen. Jahreshauptversammlung 95 Auf der hannoverschen Mitgliedervollversammlung im Januar haben wir einen neuen Vorstand gewählt; erstmals ha- Rette sich, wer kann von Hans Branscheidt1 Was hier sich ereignet, signalisiert uns, daß Gefahr 1Hans Branscheidt ist Geschäftsführer von medico-international. Der folgende Text ist eine um die Einleitungspassage gekürzte Fassung des Eröffnungsvortrags vor dem Basso-Tribunal. 4 im Verzuge ist. Daß elementare Rechte verletzt werden und Menschen bedroht sind. Dafür haben wir erklärungsstiftend aushilfsweise einige rechtliche und politische Kategorien zur Verfügung, bei deren sicher notwendigen Anwendung wir alsbald merken, daß sie begrifflich nicht für eine umfassende Erkenntnis der Vorgänge ausreichen. „Die Grenzen auf!“ Ich lese ein aktuelles Memorandum des Auswä rtigen Amtes anläßlich der Außenministerkonferenz zu Südafrika in Berlin. Es ist RUNDBRIEF 25/26-1995 überschrieben mit: „Die Grenzen auf!“ - und fordert in diesem Tenor ungehi nderte cross border Initiativen von Wirtschaft, Tourismus und Handelsve rkehr, beschränkungslos in seiner Radikalität bezü glich der Forderung auf Öffnung aller Grenzen. nicht auszog. Er hatte die neurotische Krankheit wohl von seinem Vater, der als einer der Stifter der modernen Kolonialmedizin und Chef des französischen Hygienewesens den Begriff vom Cordon sanitäre erfunden und brutal exekutiert hatte. „Die Grenzen zu!“ Je ungerechter die Verhältnisse zwischen den Menschen der Erde, um so mehr muß sortiert, klassifiziert, erfaßt, gekennzeich-net, separiert, parzelliert und interniert werden. Ich lese den Jahresbericht des Bundesinnenm inisteriums aus 93, metaphorisch überschrieben mit dem Titel: „Die Grenzen zu!“ und dem Hinweis darauf, daß allein 230 Milli onen DM zur Sicherung der deutschen Ostgrenzen veranschlagt werden, um diese vor unerwünschten Eindringlingen zu schließen. Der Gesundheitsgürtel Begrifflich taugt wohl nur das komplexe Wort vom Cordon sanitaire, vom Gesundheitsgürtel, als Stichwort der Beschreibung dieser modernen Welt: Die „gesunden“ und die „maladen“ Parteien der Erde sollen immer deutlicher markiert und identifiziert werden, wo es um den eigenen Schutz und die Sicherung der Interessen geht. Daher gleicht auch das Bild der zeitgenössischen Menschen der reichen Länder immer mehr dem der hypersensiblen Leiden des Begründers der modernen Romanthe orie, Marcel Proust, der aus Furcht vor ungewollten Berührungen und Infektionen auch bei öffentlichen Anlässen seine Handschuhe und den dicken Pelzmantel 25/26-1995 RUNDBRIEF 5 Die traditionellen Sicherheitssysteme werden heute auf hochtechnisierte Weise im Weltmaßstab verwirklicht. Das Wirtschaften und die Politik der Reichen haben in einem so verheerenden Maße „gesiegt“, daß für dieses fragile System nahezu alles anfällig und unsicher geworden ist. Dauernde Prävention ist deshalb ang esagt in Form von Siche rheits- und Identifizierungschleusen für alle Menschen. Die Aufteilung der Welt in sicher-kompatible und unsichernichtkompatible Terrains folgt der einen einzigen Logik der durchgreifenden Gestaltung von Siche rheitskordonen. Nach Außen wie nach Innen werden ganze Kataloge von Merkmalen aufg estellt, die das „Gute“ vom „Bösen“ oder „Verdächtigen“ und „Unsicheren“ scheiden halfen sollen. Das oberste Sicherheitsprin-zip lautet: „Isolierung“ der Risiko-menschen. Schon heute lebt die Gruppe der Führungspersönlichkeiten der west-lichen Welt unendlich weit von allen anderen entfernt. Sie residieren in Hochsiche rheitsbüros, umgeben von Identitätsschleusen und mehrfach sicherheitsüberpüften Wächtern. Aber auch ganz allgemein wächst der isolierte und isolierbare Raum in uns eren Gesellschaften. Überall wird die Trennung in autorisierte und nichtautorisierte Personen eingeführt. Die Auswahlkriterien für die Eignung greifen dabei immer mehr in die Intim-sphäre des Einzelnen ein, in die soziale Verfaßtheit und in die Befindlichkeit seines Körpers und sei-nes Geistes. Die „Unverdächtigen“ schließen sich in keimfreie Bezirke ein: alles Äußere, so es nicht positiv identifizierbar ist, wird generell zum potentiellen Risiko. Die Spitzelsysteme konzentrieren sich in diesem Klima auf ganz neue Observationsgebiete: begehrt sind die Dateien von Krankenkassen, Sozial- und Gesundheitsämtern. Es erläutert dies die angstgeladene Zerbrechlichkeit der grenzenlosen Weltwarengesellschaft, die in ihrer aseptischen Sens ibilität gegenüber der sozialen und menschlichen Infektion immer progressiver zum Mittel der Isoli erung und Internierung, der Aus- und Einschließung greift; es sei denn, etwas geschehe zu ihrem Nutzen, - dann haben die Grenzen weit offen zu sein. Klar und konkret erkennbar ist das am Vollzug der deutschen Entwicklung spolitik, die an die Verwirklichung menschenrechtlicher Bedingungen in den Vertragsländern gebunden ist. Das sogenannte Kohärenzgebot für die Vergabe staatlicher Mittel wird dabei um so strenger eing ehalten, je kleiner und ärmer-unbedeutend ein afrikanisches Staatswesen ist. Gegenüber den wirtschaftlich relevanten Partnern Türkei, Volkschina oder dem Iran werden solche Auflagen routiniert rücksichtslos verletzt. Der soziale Krieg auf dem Weg in das Jahr 2000 Der soziale Kriegszustand, auf den die auf der Wanderschaft begriffenen Armen reagieren, das ist die ungeheure einseitige Akkumulation von Reichtum, Wissen und Macht, die uns instandgesetzt hat, den Angriff gegen die Natur, und damit auch gegen uns selbst, auf allen Ebenen und mit allen Kons equenten zu führen. 200 Jahre Freie Marktwirtschaft haben den Globus sturmreif geschossen. 200 Jahre haben selbst zu relativen Friedenszeiten ergeben, daß der Zusammenhang von Ökonomie und Moral, der den Individuen bis ins 18. Jahrhundert gegenwärtig ist, vollständig zerrissen wurde. 200 Jahre Wirtschaftsliberalismus haben vollbracht, daß dem Menschen die Natur, die äußere wie seine eigene, so gleichgültig geworden ist, daß er sie 6 als reine Sache des Verzehrs zu betrachten gelernt hat. Daß solche kannibalistische Biologik sich heute gegen ihrer triumphialistischen Verursacher selber kehrt, - das erleben diese nun als Bedrohung ihrer apartheitdähnlichen Privilegien, weswegen sie gegen den bedrohlichen Flüchtling, wie die USA an den Grenzen zu Mexiko, ein System von Stahlbarrieren und Elektrozäunen errichten, wogegen sich die dunklen Mauern des Erich Honecker wie unb edeutende Vorarbeiten ausnehmen. Wieviele Erwachsene der Weltmarkt jährlich auf dem „Gewissen“ hat, weiß man nicht genau, fest steht die Zahl von 500 Millionen Menschen, die an Hunger leiden. Seuchen und Bürgerkriege sind nicht allein Sache der Ökonomie aber ohne die vom Weltmarkt produzierten Slums von Lima gäbe es keine Choleraepidemie, ohne den mörderischen Verfall der Produktpreise kein Gemetzel in den Monokulturen Ruandas oder Burundis, und der Aids-Genozid in Afrika würde ohne die Millionen Wanderarbeiter eher seine Grenzen fi nden. Die UNO erklärte die 80er Jahre zum „Jahrzehnt der Entwicklung“. Am Ende des Jahrzehnts war die Zahl der „ärmsten Länder“ von 31 auf 41 angestiegen. Ganz Lateinamerika ist wirtschaftlich auf das Niveau von 1970 zurückgefallen; Afrika ist heute so arm wie 1960 - oder noch viel ärmer. Gleichzeitig gibt es keinen Winkel der Erde, in dem nicht für den Weltmarkt produziert wü rde, in dem dieser nicht über Lohn, Preis und Gewinn herrschte. Der Siegeszug der Freien Marktwirtsdchaft hat nicht nur bisherige auf Selbstversorgung und Sozialwirtschaft gegründete Struk-turen vernichtet, sondern auch die letzten Versuche kollektiver Selbstb ehauptung mittels Preispolitik beendet. Diese Bestandsaufna hme spricht eindeutig für die Betroffenen: und in der Tat ist das „Gefährliche“ daran, daß sie als Flüchtlinge alle Beweise gegen uns in den Händen haben, ganz gleich zu welcher Asylgesetzgebung man sich seitens der Politik entschließt, die Mensche nrechte ohnehin immer nur dann kennt, wenn diese marktförmig passabel sind. Da aber auf dem Markt, der Menschenrechte propagiert, Menschen per Prinzip nur dann Recht erhalten, wenn sie am Wirtschaftsprozeß teilnehmen können, steht den meisten von ihnen die konkrete Humanität verbindlich nicht zur Verfügung. Weil sie hier nichts anzubieten haben und immer weniger anbieten können, werden sie per Definition überzä hlig und überflüssig. Um so gefährlicher erscheint ihr aus Armut geborenes Wachstum - und der Gedanke an ihre massenhafte Abschaffung liegt schon wieder in aller Munde. Wenn man nämlich nur die Armut aus der Armut und den Reichtum aus dem RUNDBRIEF 25/26-1995 Reichtum erklärt - ist man niemandem etwas schuldig. Und die Armut ist dann am einfachsten abzuschaffen, wenn man die Armen a bschafft. weltweiten direkten wie indirekten Zwangs zur Mobilität in den künstlich neu gezogenen Grenzen einer zugleich grenzenlos gewordenen Welt. Solidarische Welt oder absolute Barbarei Die Menschenrechte verstehen sich keineswegs von selbst Am Ende des Jahrta usends stellt sich die Alte rnative klarer als je zuvor: Solidarische Welt oder absolute Barbarei! Das Stä ndige Tribunal der Völker, das nun beginnt, präsentiert Beweise für das Unrecht reicher Länder, es untersucht, begutachtet, würdigt rechtlich - und wird zu seinem Ergebnis kommen. Das ist gut so - und muß unbedingt auch so sein. Doch versäumen wir nicht, das Urteil begle itend, auch unsere menschenrechtliche Position zu bestimmen hinsichtlich des 25/26-1995 RUNDBRIEF 7 Die menschenrechtliche Orientierung versteht sich bei uns allen schon fast von selbst, von den Vereinten Nationen bis zu den Einzelregierungen hinunter - nur die Menschenrechte verstehen sich keineswegs von selbst. Sie müssen nicht nur ergänzt werden, sozial und kollektiv, weil sie Gruppen wie Individuen zur Verfügung zu stehen haben, sie sind nicht nur zu erweitern für Kriegs- und Katastrophenflüchtlinge, sie müssen nicht nur Binnenflüchtlingen auch im Namen des UNHCR zuste- hen, und nicht nur unbedingt geschlechtsbedingte Gründe der Flucht und Wanderung würdigen. Menschenrechte bedürfen vor allem ihrer sozialen Unterkellerung. Sie sind materielle wie historische Aktivrechte, keine passiven Ornamente. Würdig ist der Mensch nur dann, wenn er sich selbst seine Würde entsprechend bewahren, ja schaffen kann. „Zur Würde gehört die Ekstase des aufrechten Gangs“ (Ernst Bloch). Die Aufforderung zur radikalen Veränderung zielt auf das Leben, das Wesen und das Produzieren der Menschen in den reichen Ländern. Diese Erkenntnis muß zum wichtigen Teil unserer Erkenntnis und Urteilsfindung werden. Asylsuchende in Westeuropa die Zahlen auf Erwachs ene, auf Hauptantragsteller (“Fälle”) oder auf alle Personen beziehen. In manchen Staaten 1. Einleitung werden Asylsuchende nicht zu den normalen AnerkenDieser Text gibt einen Über- nungsverfahren zugelasblick über die Asylanträge und sen, weil sie aus einen -ver-fahren in Westeuro- Land kommen, das als “sipa[S1][S2] (EU-Staaten ohne cher” eingestuft ist, oder Irland und Luxemburg; Schweiz durch ein solches gereist und Norwegen) von 1987 bis sind. Andere werden an der Grenze als undocuSeptember 1994. Die Analyse der nationalen mented migrants zurückgewiesen oder es wird Statistiken über Asylsuchende durch die Auflagen der und Asylverfahren wirft hierbei Transportunternehmen eine Reihe von Fragen auf. bereits die Reise verhi nErstens gibt es keinen dert. In den meisten Fällen allgemeine Standards für ist es unklar, ob diese die Aufnahme, Zusammen- Asylsuchenden, denen der stellung und Verbreitung Zugang zu den Verfahren dieser Statistiken. Daraus aus diesen oder ähnlichen resultiert, daß sie in Hä u- Gründen verwehrt wird, in figkeit, Form und Band- die Statistiken einbezogen breite sich von Staat zu werden. Staat erheblich variieren. Da die Länder in unte rZum Beispiel fließen in ei- schiedlichen Abständen nigen Ländern, darunter berichten, wurden die DaDänemark und Frankreich, ten für 1994 durch die Wiedereingliederungen in Verwendung monatlicher die Asylstatistiken ein und Durchschnittszahlen zu beeinflussen so die Zahl 1993 vergleichbar geder Anträge und der positi- macht. Das heißt, die Geven Entscheidungen. samtzahl aller Asylsuche nZweitens ist es oft nicht den seit dem 01.01.1994 klar, wer gezählt wird und wurde durch die Zahl der wer nicht. So können sich Monate geteilt, für die Daten vorlagen. So wurde 1 Dieser Text wurde am 1. November 1994 ein Wert für 1994 extrapovom UNHCR veröffentlicht; Originalsprache: liert. Da jedoch die Zahlen Ein statistischer Überblick des UNHCR1 für 1994 von einigen wenigen Ländern bei der Erstellung dieses Berichtes noch nicht vorlagen, sind die Beobachtungen für 1994 vorläufig. Die Statistiken ve rschiedener Länder zu ve rgleichen wird noch schwi eriger, wenn man zu den Zahlen für die Asylverfa hren kommt. Da das procedere eines jeden solchen Verfahrens zur Anerkennung auf nationalem Recht basiert, sind die Vergleichsmöglichkeiten beschränkt. Zum Beispiel werden in Schweden die Anträge von Bürgern ExJugoslawiens individuell behandelt, während einige andere europäischen Staaten ihnen als Gruppe zeitweisen Schutz gewä hren. Also tauchen ExJugoslawen, eine der größten Gruppen von Asylsuchenden in den letzten Jahren, in den schwedischen Statistiken auf, wä hrend sie das in anderen Länder oft nicht tun. Im folgenden wurden die Anerkennungsraten errechnet, indem die Zahl der Anerkennungen durch die Summe der Anerkennungen und Ablehnungen geteilt wurde. Englisch, Übers.: Gunnar Lott. 8 RUNDBRIEF 25/26-1995 2. Trends bei den Asylanträgen Von 1987 bis 1993 stieg die Zahl der Asylsuche nden in Europa von 179.000 auf 549.000 pro Jahr, wobei die Spitze 1992 mit 684.000 Personen erreicht wurde. Die Zahlen für 1994 liegen (soweit sie vorli egen) ca. 40% unter denen von 1993: pro Monat kamen 26.300 Asylsuchende gegenüber 45.700 1993. Danach liegt die Gesamtzahl 1994 bei ca. 310.000 - 320.000. Wie in früheren Jahren entfällt auf Deutschland 1994 der zahlenmäßig größte Anteil. Dennoch ist der prozentuale Anteil Deutschlands seit 1992, als auf die Bundesrepublik 64% aller Asylsuchenden in Europa entfielen (438.000 von 684.000), stark gesunken. Zur Zeit liegt der Anteil Deutschlands bei 41% und damit etwa in der Größenordnung der Jahre 1988-91 und signifikant niedriger als 1993 (59%). Auf die Niederlande entfällt der zweitgrößte Anteil: durchschnittlich 4.400 von monatlich 26.300, oder 17%, was dreimal mehr ist als 1993. Nach Großbritannien, Frankreich und Schweden kamen je ca. 7-9% aller Asylsuchenden im Jahr 1994. Die Zahlen für Großbritannien basieren jedoch auf Fällen; die ta tsächliche Zahl dürfte um den Faktor 1,5 höher li egen. Die wesentlichsten Veränderungen bezüglich der 25/26-1995 RUNDBRIEF 9 Asylanträge 1994 zu 1993 kann man wie folgt zusammenfassen: - Belgien, Dänemark, Finnland, Deutschland, Norwegen und Schweden erlebten einen überdurchschnittlichen Rückgang der Zahlen (minus 42%) - in Österreich, Frankreich und Spanien gingen die Zahlen unterdurchschnittlich zurück, und - Italien und besonders die Niederlande und Großbritannien erfuhren eine Steigerung der monatlichen Durchschnittsza hlen. 3. Trends in den Asylverfahren Von 1989 bis 1993 erhielten etwa 171.000 Asylsuchende den Status Flüchtling nach der Konvention der UN von 1951. Die jährliche Zahl von Anerkennungen stieg von 27.500 (1989-90) auf 47.000 (1993). Die größte Zahl der Anerkennungen entfiel auf Frankreich: ca. 59.000 oder 35% aller Anerkennungen in Europa; gefolgt von Deutschland (50.000 oder 29%) und den Niederlanden (18.000 oder 10%)[S3]. Die Zahlen für die restlichen europäischen Staaten liegen jeweils unter 10.000. Im gleichen Zeitraum wurden etwa 1,4 Millionen Asylanträge in Europa abgelehnt. Von diesen wurden 59% in Deutschland abgelehnt, 15% in Frankreich, 7% in der Schweiz und je 5% von Österreich und den Niederla nden. 1989 bis 1993 wurde 11% aller Asylanträge in Europa stattgegeben. Die Anerkennungsrate fiel dabei von etwa 15% 1989 auf 10% 1993. Obwohl die Anerkennungsraten sich von Land zu Land signifikant unte rscheiden, sollte man bei deren Bewertung aus den in der Einleitung ang eführten Gründen Vorsicht walten lassen. Die Ane rkennungsraten 1989-93 la gen über dem Durchschnitt in Belgien (32%), Schweden (29%), Frankreich (22%), den Niederla nden(20%) Portugal und Großbritannien (je 16%), und Norwegen (12%). Unter dem Durchschnitt lagen sie in Italien (8%), der Schweiz (7%), Deutschland und Griechenland (je 6%), Spanien (2%) und Finnland (1%). In Österreich lagen der Anteil der positiven Entscheidungen ungefähr im europäischen Durchschnitt und für Dänemark kann die Rate nicht berechnet werden, da keine Zahlen über die Ablehnun- ELIKYA (Hoffnung ) Null - Nummer frz. - dt. Zeitung von zairischen Flüchtlingen in und für Niedersachsen Preis (28 Seiten): 2,50 DM zu beziehen bei: ELYKIA, c/o Asyl e.V., Lessingstr. 1, 31134 Hi ldesheim gen vorliegen. ciale Spaziokamino hi nkommen, deren Zentrum wurde ja von den Naziskins abgebrannt. Obwohl der Ort ja ziemlich groß ist, reichte er bald nicht mehr aus, um alle ankommenden Migranten unterzubringen. Wir wußten von diesen Wohnblocks und haben die dann einfach besetzt. Bevor wir reinkonnten, mußten wir allerdings die Malavita-Banden vertreiben, die die Gebäude für ihre Geschäfte genutzt haben. Diese Gegend liegt ja ziemlich ab von anderen Siedlungen, die Polizei kam nie hierher, die hatte Angst. Nicht aus Zufall waren hier die Dealer und Glatzköpfe, die in Ostia recht stark und gut organisiert sind. Wir hatten mit denen auch richtige Zusammenstöße, aber zum Schluß ist es uns gelungen, sie zu vertreiben." Amina, in Block "C", ist eine ca. 50jährige Frau aus der marokkanischen Stadt Fes. Nach der Rä umung des Zentrums Prenestino wurde sie von der Stadtteilverwaltung in ein Aufnahmelager in der Gegend von San Giovanni verlegt. Aber der "Aufenthalt" dort war für sie immens teuer. "Für ein Bett in einem Raum, den ich mir mit fünf anderen Personen teilte, mußten wir jeweils 350.000 Lire (ca. 350 DM) zahlen. Ich habe fünf Kinder, wir konnten das nicht zahlen. Hier nach Ostia bin ich im Sommer 93 gekommen. Eine Freundin hatte mir von anderen Personen erzählt, die dieselben Probleme hatten, und die habe ich dann häufiger besucht..." Die Frau wohnt seit 14 Jahren in Italien, fast alle ihre Kinder sind in Italien geboren. Alle Anträ- ge auf eine Sozialwohnung wurden abgelehnt. Weitere Informationen zur Februar- Demonstration, zu Erfahrungen der MigrantInnenbewegung und zur Legalisierungsdiskussion in: - il mese, 1/95. suppl al n. del manifesto und- il manifesto, 5.2.95. Lesehinweise: caffé (Rom), Senzaconfine (Rom), Mondialità (Brescia), Terzo Mondo informazioni (Torino), Confronto (Fonte), Terra nuova Forum (Rom), Sud/sud (Teggio Calabria), Amanecer (Calvagese), Sial (Verona), Il Calendario del Popolo (Mailand), Partecipazione (Lungro), La Terra vista dalla Luna (Rom). Afrika fordert von Europa das Recht auf Überleben von Kum´a Ndumbe III. 1 Von meinem chinesischen Freund lernte ich und beherzigte dieses Sprichwort aus seinem Land: ”Von dreißig Möglichkeiten, ei1 Kum´a Ndumbe III. ist Professor an der Université de Yaounde und Gastprofessor FU-Berlin. 1981-1991 Präsident des Schriftstellerverbandes Kameruns. Der folgende Text wurde als Vortrag am 9.12.1994 im Rahmen des Basso Tribunals in Berlin gehalten. 22 ner Gefahr zu entkommen, ist wegrennen die beste.” Viele von uns rennen und rennen weg von der He imat, und finden doch ni rgends wieder eine Heimat. Und doch sehnt sich jeder Mensch nach Geborgenheit in der vertrauten Heimat. Fluchtwellen aber überfluten fremde Staatsgrenzen bei uns in Afrika. Lassen Sie mich hauptsächlich von diesem Kontinent reden, da über 40% der Flüchtli n- ge aus dem Süden sich hier konze ntrieren. Von 300.000 im Una bhängigkeitsjahr 1960 sprang die Zahl der Flüchtlinge auf 3 Millionen 1980 und 1990 waren es schon knappe 5 Millionen Menschen, die innerhalb Afrika von Land zu Land wegrennen, um überleben zu können. Die katastrophale Situation in den meisten afrikanischen Staaten berechtigt RUNDBRIEF 25/26-1995 zu einer Frage, die immer wieder gestellt wird: Wieso schaffen es diese Afrikaner nicht in den eigenen Staaten Recht und Ordnung zu schaffen und Wohlstand für die Bevölkerung zu gewährleisten, da sie seit über 30 Jahren doch selbständig geworden sind und ihre Geschäfte selbst ve rwalten? Beantworten wir diese Grundsatzfrage, so werden die Fluchtgründe aus diesem Kontinent des Südens auch ersichtlich. Afrika ist ein Konzept Europas Seit Mitte des neunzehnten Jahrhunderts und bis zur Stunde ist Afrika hauptsächlich ein strukturelles Konzept Europas und seiner Verbündeten. Gebündelt ausgedrückt heißt es also: Afrika ist ein Konzept Europas. Dies bedeutet: Es ist den Afrikanern seit der massiven Begegnung mit Europa im 19. Jahrhundert nicht gelungen, aus Afrika ein Konzept der Afrikaner zu machen. Mit anderen Worten: Seit der kolonialen Invasion, die selbst eine konsequente Folge des über dreihundertjährigen transatlantischen Sklavenhandels war, ist es den Afrikanern bis zur Stunde nicht gelungen, die Herrschaft Europas über Afrika wesentlich abzuschütteln und das Schicksal ihres Kontinents in entscheidendem Maße selbst in die Hand zu ne hmen. Um diese These zu diskutieren, möchte ich mich heute nur auf die wirt25/26-1995 RUNDBRIEF 23 schaftspolitische Dimens ion beschränken. Ich kenne sehr gut die Reaktion vieler Europäer, die darauf allergisch reagieren, wenn es darum geht, historische Hinte rgründe der katastrophalen Situation in Afrika zu analysieren. Thesen, die sich auf die 30 Jahre Unabhä ngigkeit afrikanischer Länder beschränken und we lche die angeblich bessere wirtschaftliche Situation in der Kolonialzeit, verglichen zu heute hervortun, oder jene Erklärungsmuster, welche auf die Unfähigkeit afrikanischer Eliten pochen, genießen in Europa die Gunst der Medien und der breiten Öffentlichkeit. Die Unzulänglichkeit dieser Thesen und Erklärungsmuster besteht darin, daß sie sich mit Teilanalysen begnügen und sich bewußt oder unbewußt vor einer Auseinandersetzung drücken. Eine Globalanalyse bedingt jedoch, daß alle wesentlichen Aspekte in die Untersuchung miteinbezogen werden. Warum behaupte ich, daß Afrika seit der massiven Begegnung mit Europa ein Konzept Europas war und geblieben ist? Fangen wir mit dem 19. Jahrhundert an. Die Zeit der ausgeglichenen Beziehungen Im Bewußtsein vieler Menschen fangen die Beziehungen zwischen Afrika und Europa im 19. Jahrhundert an. Es sei nur kurz daran erinnert, daß unsere Beziehungen schon zur Zeit des altägyptischen Re iches besta nden. Hier einige Beispiele: Platon, der 348 vor Christi Geburt starb, verbrachte dreizehn Jahre in Heliopolis, um in Geometrie und Theologie eingeweiht zu werden. Pythagoras blieb über zwanzig Jahre in den Tempeln Ägyptens, um Geometrie und Astronomie von afrikanischen Priestern zu studieren. Nach der ptolemäischen Eroberung Ägyptens im Jahre 146 v. C. wurde der Weg für den römischen Einfluß in Afrika im Jahre 100 n. C. geebnet. Äthiopien wurde sogar schon im Jahre 333 christianisiert. Erst als die Araber im Jahre 622 Ägypten unterwarfen und sich dort ansiedelten, wurde der europäische Einfluß wesentlich eingedämmt. Die Beziehungen mit Europa wurden dennoch in den darauffolgenden Jahren ausgebaut. So wurden nicht nur Verträge unte rzeichnet, sondern auch Botschafter zwischen Staaten des Mittelmeerraums ausgetauscht. Deshalb konnten z.B. Handelsverträge zwischen Aragon und Marokko im Jahre 1274, zwischen Pisa und Tunis 1157, zwischen Venedig und Tripolis 1251, zwischen Mallorca und Bidjaha 1302 unterzeichnet werden. Handelsrouten, welche vor der Entdeckung der Seewege durch Vasco da Gama Afrika mit Europa verbanden, führten durch die Sahara von Tripolis nach Gao, von Tunis nach Timbuktu, von Tlemcen nach Jene oder von Kairo nach Ife und Massawa. Der Dreieckshandel und die Europabestimmtheit der afrikanischen Wirtschaft Die wesentliche Änd erung in den Beziehungen zwischen Afrika und Eur opa kam mit der technologischen Erneuerung in Eur opa, welche eine regelmäßige Schiffahrt zwischen Afrika und Europa seit dem 15. Jahrhundert ermöglichte. Europa gewann einen ungeheuren Vorsprung im geographischen Wissen über die gesamte Erdoberfläche. Die erste große Konsequenz war die Invasion des amerikanischen Kontinents, die fast völlige Vernichtung der einheimischen Bevölkerung und die uneingeschränkte Übernahme der politischen und wirtschaftlichen Macht. Die Wirtschaft Amerikas wurde neu strukturiert und nach den Bedürfnissen europäischer Nationen orientiert. Das System der Ri esenplantagen wurde eingeführt, um Zucker Baumwolle und Tabak anzubauen und Rum für den europäischen Markt zu erze ugen. Zum ersten Mal wurde die Wirtschaft Afrikas in ihren Beziehungen zu Europa schwer erschüttert. Diese Plantagen wurden über drei Jahrhunderte lang mit Sklaven aus Afrika beliefert. Afrika verlor an die hundert Millionen Arbeitskräfte, die an den diesbezüglichen Raubzügen, Krankheiten, Transportschwierigkeiten sta rben oder bis nach Amerika gelangten und dort als Sklaven arbeiteten. Nicht nur das gesellschaftliche und politische System afri24 kanischer Königreiche wurde entscheidend destabilisiert, die Wirtschaft geriet in diesem Dreieckshandel allmählich in eine starke Abhängigkeit von E uropa. Mit dem transatlantischen Sklavenhandel wurde die Wirtschaft Afrikas vom 16. bis zum 19. Jahrhundert nicht nur europaorientiert, sondern auch europabestimmt. Gerade diese Europabestimmtheit der Wirtschaft verursachte seinerzeit kriegerische Auseinandersetzungen zwischen Nationen Eur opas und den europäischen Emigranten in Amerika, die dann zu Bildung und Unabhängigkeit amerikanischer Staaten führte. Die europäischen Emigranten restrukturierten die Wirtschaft des eroberten Amerikas nun zu ihren eigenen Gunsten und wiesen Europa die Tür. Die USA wurden 1776 unabhängig, Brasilien 1822, Uruguay 1828 usw. Aber Europa hatte sich ungeheuer bereichert und Kapital akkumuliert. Die technischen Entdeckungen von Watt, Cugnot, Fulton, Stephe nson und anderen im 18. und frühen 19. Jahrhundert machten die Stahlverarbeitung möglich, sie brachten mit den industriellen Maschinen und den neuen Transportmöglichkeiten per Schiff und Bahn neue Bedürfnisse für die Wirtschaft Europas und eine weitere wesentliche Änderung der Beziehungen zwischen Afrika und Eur opa. Mit der industriellen Revolution, die vielen Staaten in Europa erlaub- te, mit Maschinen zu produzieren, mußten enorme Rohstoffe heran, die in Europa nicht oder nicht genügend vorhanden waren. Das 19. Jahrhundert in Europa war aber von einem extremen Nationali smus mit chauvinistischen Zügen geprägt. Jeder wollte soviel wie nur möglich produzieren, aber nicht vom Nachbarn kaufen. Jeder Staat in Europa empfand die Notwendigkeit, über eigene souveräne Rohstoffquellen und Absatzgebiete außerhalb des Kontinents zu verfügen. Nach den Unabhängigkeitskriegen in Amerika kam dieser Kontinent für Europa nicht mehr in Frage. Die in Amerika gesammelte Erfahrung von der Ausrottung und unwiderrufliche Entmachtung der Ureinwohner bis zur völligen Beherrschung des Kontinents durch Europäer konnte woanders erprobt werden, um die neuen Bedürfnisse der Wirtschaft Europas zu stillen. Der technologische Vorsprung, den die industrielle Revolution auch in der Waffe nherstellung festnagelte, ermöglichte den europäischen Staaten, durch eine zunächst einsame, dann in eine konzertierte Aggression Afrika und Asien zu besiegen und zu kolonisieren. Kolonialexpansion als Alternative für die Wirschaft Europas Die Europaorientiertheit und Europabestimmtheit der Wirtschaft Afrikas, die mit dem Sklavenhandel RUNDBRIEF 25/26-1995 angesetzt hatte, wurde durch die Kolonialisierung nun systematisch ausgebaut. Da im politischen System die Afrikaner als Besiegte im eigenen Land völlig entmündigt wurden und keinerlei Teilnahme an politischen oder wirtschaftlichen Entscheidungen haben durften, konnte die Wirtschaft nach den Bedürfnissen Europas uneingeschränkt umstrukturiert werden. Die Plantagen, die die Europäer früher in Amerika eingerichtet hatten, wurden nun in den afrikanischen Kolonien eingeführt. Im großen Stil und oft in Monokultur wurden Produkte angebaut, die von der europäischen Industrie gefordert wurden, die aber in Afrika überhaupt nicht gebraucht wurden. Wir kennen ja bis heute noch die Kolonialprodukte Baumwolle, Kautschuk, Kaffee, Kakao, Bananen usw. Mein Land Kamerun baut sehr viel Kaffee an und hängt auch vom Kaffeeve rkaufspreis stark ab, und dies seit der Kolonialzeit. Aber wenn Sie heute nach Kamerun fahren, werden sie merken, daß Werbung dafür gemacht wird, daß die Kameruner endlich mal Kaffee trinken! Wir trinken nämlich eher verschiedene Kräutertees. Dafür aber wurden keine Plantagen eingerichtet. Die Plantagen waren nicht für Lebensmittel der afrikanischen Bevölkerung gedacht. Mit den Plantagenprodukten und den Bodenschätzen versorgte Afrika 25/26-1995 RUNDBRIEF 25 die europäische Wirtschaft fast ein ganzes Jahrhundert und wurde zum einträglichen Absatzmarkt europäischer Industrieerzeugnisse. Diese koloniale Arbeitsteilung zwischen Europa und Afrika wurde uns radikal von 1884 bis nach 1960 mit militärischer Gewalt aufgezwungen. Afrika konnte zu dieser Zeit weder eine Wirtschaft zum Nutzen der eigenen Bevö lkerung aufbauen, noch die Spielregel der Wirtschaftsbeziehungen mit Europa oder der von Europa damals völlig beherrschten Außenwelt mitbestimmen. Produktion, Märkte und Preise afrikanischer Waren im In- und Ausland wurden ausschließlich von Europa diktiert. Europäische Wirtschaftsexperten schrieben, Afrika wäre der natürliche, koloniale oder tropische Ergänzungsraum Europas. 1960: Das Jahr der afrikanischen Unabhängigkeiten 1960 erwähnte ich schon. Endlich bin ich zu dem berühmten Jahr der afrikanischen Unabhängigkeiten gelangt! Ich habe weit ausgeholt. Aber dadurch konnten wir die Europaorientierung und Europabestimmtheit der afrikanischen Wirtschaft seit dem 16. Jahrhundert nachvollziehen. Nun ließen die beiden Weltkriege den Afrikanern die Schwächen und die Verwundbarkeit europäischer Staaten erkennen. Die Unabhängigkeitsbewegungen und Kriege zwangen die Kolonialmetropolen zum Nachgeben. Die afrikanischen Staaten wurden nach diesen Auseinandersetzungen in den Sechzigern und späten siebziger Jahren unabhä ngig. Gefahr drohte für Europa, nach den Unabhängigkeiten amerikanischer Staaten im 18. und 19. Jahrhundert zum zweiten Mal die Loslösung eines kolonialisierten Kontinents ertragen zu müssen, zumal auch Asien sich loszulösen vermochte. Nun ist aber Afrika der unmittelbare Nachbarkontinent. Darüber hinaus wurde er nach dem zweiten Weltkrieg von der NATO als seine Südflanke und natürliche Einflußsphäre eingestuft. Die weltweit ausgebeuteten Rohstoffe, die nach Europa verfrachtet werden, nehmen den Weg des Suez-Kanals im Norden oder des Kaps der Guten Hoffnung im Süden, um nach Europa zu gela ngen. Afrika wurde nach dem zweiten Weltkrieg, und vor allem im Ost-West-Konflikt, als lebenswichtige und unumgängliche strategische Route für die Rohstoffve rsorgung Europas versta nden. Und solchen Ländern soll das koloniale Weste uropa es gönnen, eine eigene starke, von Europa nicht abhängige Wirtschaft aufzubauen, und dies zu einer Zeit der unerbittlichen Auseinandersetzung mit dem Ostblock? Dies entsprach keiner Realpolitik. Wenn die Unabhängigkeiten in Afrika nicht aufzuhalten waren, dann mußte eine politische Alternative g efunden werden. Der NATO-Rat empfahl deshalb den Mitgliedern 1957, afrikanische Kolonien nur unter einer Bedingung in die Unabhängigkeit zu entlassen: strategische Einrichtungen müssen unter Kontrolle Europas, und ganz Afrika muß NATOEinflußgebiet bleiben. In den meisten Ländern wurden viele Führer der Befreiungsbewegungen, die eine Loslösung von Europa amstrebten, entweder ermordet oder kaltgestellt. Europa wohlgesinnte oder von der Kolonialmetropole aufgepäppelte Politiker wurden zu Staatspräsidenten der neuen Republiken gemacht. Sie mußten ihre Funktion als die eines Statthalters Europas ve rstehen, sonst wurden sie durch einen Militärputsch entfernt und ersetzt. Die wenigen Poitiker, die für eine Unabhängigkeit ohne Bevormundung Europas plädierten und doch an die Macht kommen konnten, waren im afrikanischen Kontext isoliert, internati onal als Extremisten ve rschrien und zu Kommunisten abgestempelt. Wie sah nun die Wirtschaftsstruktur nach der Unabhä ngigkeit aus? Die Europabestimmtheit in der nachkolonialen Ära Es genügt nicht, von einer generellen Europabestimmtheit oder Europaorientierung zu sprechen. Die Europäer hatten die Unabhängigkeiten Afrikas so vorbereitet, daß diesen Ländern keine Möglichkeit 26 der Loslösung von der absoluten Abhängigkeit Europas gegeben wurde. Im Oktober 1955 und im Oktober 1956 trafen sich französische und deutsche Experten in Neuenahr bei Bonn, um über die Struktur der wirtschaftlichen Bezi ehungen zwischen Afrika und Europa im Falle einer Europäischen Einigung und einer poitischen Unabhä ngigkeit afrikanischer Länder zu beraten, und eine konzertierte Aktion abzustimmen. Das Ergebnis war die Assoziierung der französischen Kolonien Afrikas, laut Artikel 101 und 131 des EWGVertrags, der am 25. März 1957 in Rom unterzeichnet wurde. Die Anbindung Afrikas an die europäische Wirtschaft geschah, bevor diese Länder unabhängig wurden und entscheiden konnten. Visionäre Politiker wie Kwame Nkrumah, Staatspräsident von Ghana , Sekou Toure, Staatspräsident von Guinea, Sir Abubakar Tafawa Balewa, Nigerias Premier Minister oder Kaiser Haile Selassie von Äthiopien werteten diese Anbindung als Gefahr für die afrikanischen Bestrebungen, sich nach der Unabhängigkeit zu einigen und eine gemeins ame Wirtschaft aufzubauen. Sie befürchteten, Europa werde durch diese EWGAssoziierung eine indirekte, aber kollektive Koloni alisierung Afrikas vorne hmen. Die Strategie der Europäer erwies sich als nachhaltig für die Anbindung Afrikas. Als diese Länder unabhängig wurden und neue Staaten bilden konnten, wurden zusätzlich andere bindende bilaterale Wirtschaft- und Finazverträge mit den ehemaligen Metropolen unterzeichnet. Nachdem England 1973 der EWG beitrat, wurden 1975 die ehemaligen britischen Kolonien Afrikas mit dem Lome´-I- Abkommen auch an die EWG assoziiert. Deshalb spricht man heute von 69 AKP-Staaten. Das Ergebnis ist, daß ein afrikanischer Staat, der nicht zu dieser Gruppe gehören würde, in und außerhalb Afrikas völlig isoliert wäre. Infolgedessen gehören sämtliche Staaten südlich der Sahara der AKPGruppe an, Südafrika wird womöglich bald folgen. Dieses Ergebnis will, daß nach 34 Jahren Unabhä ngigkeit die ehemaligen französischen Kolonien noch über keine eigen Währung verfügen, und sich bis heute noch in der von Paris bestimmten Franc-Zone bewegen. Die Arbeitsteilung mit Europa ist im wesentlichen die gleiche wie zur Kolonialzeit geblieben. Die interne Wirtschaftsstruktur der afrikanischen Länder ist immer noch landwirtschaftlich angelegt und so aufgebaut, daß sie haup tsächlich nach europäischen Bedürfnissen gerichtet ist. Dies führt zu Absurditäten. Agrarländer müssen Nahrungsmittel importieren, weil sie Kolonialwaren für den Export bereitstellen müssen. Die Afrikaner liefern Rohstoffe und Edelmetalle, die Eur opäer produzieren Ind uRUNDBRIEF 25/26-1995 striewaren. Die Märkte für diese Waren werden von den Europäern und ihren Verbündeten geführt und von ihnen werden die Import- und Exportpreise bestimmt. Da die Wirtschaftsstruktur trotz Unabhängigkeit so geblieben ist, daß afrikanische Staaten bis Ende der Achtziger Jahre untereinander zu kaum 7% wirtschaftlich verkehren, mit der Eur opäischen Union aber zu etwa 60% , kann die disproporionale Europaorientierung und Europabestimmtheit der afrikanischen Wirtschaft nicht geleugnet werden. Die Internationalisierung der Europabestimmtheit Afrikas Manche preisen diese Abhängigkeit von Europa, denn sie soll Entwicklung shilfe und Investitionen nach Afrika bringen, sie soll sogar die schlechten Ha ndelsverhältnisse (Terms of Trade) durch Sondermaßnahmen wie Stabex oder Sysmin auffangen. Afrika ist ein Konzept Europas - auch, und vor allem wirtschaftlich, so lautet meine Hauptthese. Die Anbindung an Europa nach den Unabhängigkeiten war kein afrikanisches, sondern ein europäisches Konzept. Begriffe wie Entwicklung, Entwicklungshilfe entsprangen nicht einer afrikanischen Diskussion, welche Wege bahnen sollte, um das eigene Schicksal wieder in den Griff zu bekommen. Diese Begriffe und die dazu erarbeiteten Programme entstanden im Westen, zur Zeit des Ost25/26-1995 RUNDBRIEF 27 West-Konfliktes, als es darum ging, die Welt aufzuteilen und in Einflußsphären zu sichern. Der Osten reagierte und stellte auch eigene Programme auf. Hatten denn die Afrikaner nach dem zweiten Weltkrieg Europa gebeten, Afrika zu entwickeln? So viel ich weiß, forderten die Afrikaner die Loslösung der kolonialen Ketten und der dazugehörigen wirtschaftlichen Ausbeutung. Stattdessen wurden aber wirtschaftliche und fina nzielle Mechanismen erdacht, welche die den afrikanischen Völkern aufg ezwungenen Statthalter des Westens, und dann des Ostens noch fester im Sattel halten sollten. Diese überließen den euroamerikanischen Experten die Wirtschaftsplanung und sorgten hauptsächlich dafür, daß sie persönlich und ihre Klientel zu einer unkontrollierten maßlosen Bereicherung gelangen konnten. Die wirtschaftliche Zukunft ihres Landes war nicht ihre Hauptsorge, zumal sie wußten, daß ihr Verweilen an der Macht nicht vom Willen ihres Volkes, sondern vom Wohlwollen fremder Mächte abhing. Deshalb konnte die Investionsstruktur in Afrika drei Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit sich wesentlich auf die Rohstoffsicherung Europas konze ntrieren. Diese Art der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Afrika und Europa führte zu dem Paradoxon, daß im Endeffekt mehr Geld vom armen Afrika zum reichen Europa und zu anderen Industrienationen floß als umgekehrt. Von 1979-89 erhielt Afrika insgesamt an Krediten, Entwicklungshilfe und Investitionen 128 Mrd.$. Die von Afrika bezahlten Zinsen und der Rohstoffpreisve rfall betrugen 183 Mrd.$. Der minimale Nettoverlust für Afrika in diesem Wirtschaftssystem betrug 55 Mrd.$. Berücksichtigt man angemessene Rohstoffpreise, so betrug der Verlust sogar 250 Mrd $, also doppelt soviel wie der gesamte Netto-Zufluß an Mittel in dieser Zeitspanne nach Afrika. Anstatt daß sich Afrika entwickelte, entwickelte sich die Unte rentwicklung in Afrika. Dieses Ergebnis darf auch nicht verwundern, denn ohne den zweifelhaften Begriff ”Entwicklung” hier diskutieren zu wollen, kann ein Land ein fremdes nicht ”entwickeln”, vor allem, wenn dieses fremde Land nicht einmal in der Lage war, ein eigenes Konzept seines Schicksals in diesen bilateralen Beziehungen durchzusetzen. Die afrikanischen Führer, die noch in den Sechziger Jahren für die Pri orität des Aufbaus eien afrikanischen Binnenmarktes mit regionalen Wirtschaftszentren als Alternative zur Anbindung an Westeuropa plädierten, wurden zu jener Zeit als Extremisten und Kommunisten verschrien. Ihr Konzept paßte nicht in das Modell der Weltwirtschaft mit der internati onalen Arbeitsteilung. Afrikanische Staatspräsidenten wurden in Europa um so mehr gefeiert, als sie ihr Land Wirtschaftslobbies aus dem Westen uneing eschränkt zur Verfügung stellten und für dieses Wohlwollen sich Gelder auf Konten im Ausland überweisen ließen. In der ve rzweifelten wirtschaftlichen Situation angelangt, die von Afrika immer größere Leistungen für einen immer niedrigeren Erlös abve rlangte, geriet der Kontinent in eine noch schlimmere wirtschaftliche Lage als zur Zeit der absoluten Kolonialherrscahft. Neue Konzepte wurden dann von internationalen Organisati onen, die im wesentlichen von Europa und Amerika kontrolliert sind, erdacht. Man sprach dann von Strukturanpassungsmaßnahmen. Wiederum Begriffe, Konzepte und Programme, die nicht aus einer Afrika-internen Diskussion entstanden. Die Lösung soll nun wiederum von draußen kommen, von Konzepten, die von and eren zum Heil Afrikas erfunden wurden. Über Europa hinaus wird Afrika nun zu einem Konzept internationaler Organisationen, die in entscheidendem Maße von Europa und seinen Verbündeten kontrolliert we rden. Daher propagieren europäische Experten die Treuhandstellung afrikanischer Staaten unter inte rnationale Gremien. Wirtschaftskonzepte und Programme der Afrikaner wie 28 der ”Aktionsplan von Lagos” oder ”Die afrikanische Wirtschaftsgemeinschaft in 6 Etappen bis 2025” sind in der europäischen Öffentlichkeit kaum erwähnenswert. Das Ende des Ost-WestKonfliktes, die Möglichkeit der Rohstoffsicherung in Osteuropa, die Überwi ndung des Nationalismus in Europa durch den Trend zur europäischen Einigung mit der Bildung der stärksten Wirtschaftszone der Welt, all diese Faktoren lassen die Europäer zu dem Traum verleiten, das ”europäische Haus” könnte die wesentlichen Bedürfnisse stillen und Europa von anderen Kontinenten weitgehend unabhängig machen. Und wenn sie wirklich noch etwas brauchen sollten, dann holen sie es sich einfach, dank ihrer Wirtschaftsmacht und ihrer militärischen Stärke. Afrika als ”tropische Ergänzung” wird irrelevant als verpflichtender Partner. Afrika in seiner jetzigen Misere kann also abgekoppelt werden. Deshalb reden die europäischen Medien schon von der Abkoppelung Afrikas, wie man damals von der Entdeckung Afrikas sprach. Diese Abkoppelung bedeutet nämlich, daß die katastrophale wirtschaftliche Situation in diesen Ländern für Europa, ihren Hauptwirtschaftspartner, unattraktiv geworden ist, daß die Menschen dort mit den Folgeerscheinungen der Beziehungen zu Eur opa selbst fertig werden sollen, und daß Europa jederzeit dort intervenieren wird, um seinen Vorsprung zu sichern und seine Übermacht zu demonstri eren. ”Von dreißig Möglichkeiten, einer Gefahr zu entkommen, ist wegrennen die beste.” Die Menschen überleben nur durch eine große ”Von dreißig Möglichkeiten, einer Gefahr zu entkommen, ist wegrennen die beste.” - Wenn Sie in einem solchen Land leben würden, würden nicht auch Sie versuchen, wegzurennen, um in der Metropole Europa Asyl zu beantragen, sich hier anzusie deln und als Mensch würdig le ben zu dürfen? Kunst. Aber viele sterben. Begräbnisse sind zu einer Wochenpflicht für jeden geworden. Und diese Menschen sehen nicht, wann sie endlich die Freiheit haben werden, ihre Konzepte für sich zu entwickeln, ihre Programme für sich durchzuführen, ihre Führer dafür zu wählen, daß sie diese Programme durchsetzen und Rechenschaft ablegen. Haben Sie schon mal die Erfahrung gemacht, daß Sie ihr Kind tragen, und es stirbt aus Hunger in ihren Händen, und Sie sehen machtlos zu. Sie schaffen es nicht einmal mehr, einen Schrei auszustoßen? RUNDBRIEF 25/26-1995 erneute, kaum zu verkraf- tende Belastung bedeuten. Katholische Bosnier mit kroatischem Paß werden ins Ungewisse zurückgeschickt1 Beamte befolgen den Erlaß des Landes ganz penibel von Michael Eberstein Bosnien droht im Bürgerkrieg vollends zerrieben zu werden. Die Flüchtlinge versuchen nicht nur Leib und Leben zu retten, sondern sich auch eine Staatsbürgerschaft zu sichern. Bei der Flucht durch Kroatien lassen sie sich deshalb - zumindest die Katholiken unter ihnen auch einen kroatischen Paß ausstellen. Jedoch: In Deutschland werden sie so zu Kroaten und müssen ausreisen. In Kroatien erwartet sie aber kein soziales Netz, manchmal nicht einmal ein Flüchtlingslager. Viele müssen, um nicht zu verhungern, zurück in den Bürgerkrieg in ihrer Heimat. Fast 300 Bosnier leben im Landkreis, mindesten 20 von ihnen wurde schon mitgeteilt, daß sie das Land verla ssen müssen. „Eine unübliche Praxis“ kritisieren FlüchtlingsHilfsorganisationen. „Wir befolgen nur einen Erlaß“, sagen die Behörden. „Der Landkreis Hildesheim entwickelt in dieser Frage ein geradezu detektivisches Gespür“, moniert Kai Weber vom Niedersächs ischen Flüchtlingsrat. Ihm sei kein anderer Landkreis im Lande bekannt, der generell bei der kroatischen Botschaft nachfrage, ob ein katholischer Bosnier eventuell auch einen kroatischen Paß habe, nur damit der Mann (oder die Familie) so schnell wie möglich wieder abgeschoben werden kann. Dr. Friedrich Kappey gibt zu, daß der Landkreis Hildesheim regelmäßig nachfrage, wenn sich die Sachbearbeiter der He rkunft der Antragsteller nicht sicher seien. Doch, so der Ordnungsamtdezernent, das entspreche nur der Erlaßlage. Das bestätigt auch Volker Benke, Sprecher des Niedersächs ischen Innenministeriums. Der Erlaß sei eindeutig und müsse von allen 47 Ausländerbehörden des Landes befolgt werden. Allerdings, so räumt Benke ein, gebe es durchaus unterschiedliche Beamte. „Der eine ist eben penibler als der and ere.“ Grundsätzlich aber gelte für Kroaten, daß sie wi eder in ihre Heimat zurück könnten und müßten. Darüber gebe es mehrere Abkommen. Sie gerieten ja dort auch nicht in Gefahr. Das sehen FlüchtlingsHilfs-organisationen wie Asyl e.V. Hildesheim oder der Verein Mosaik durchaus anders. Sie verweisen auf die Feststellung des UNOFlüchtlingskommissars. Der hatte festgestellt: „Diese Personen (mit kroatischen Paß, aber Wohnsitz in BosnienHerzegowina) werden trotz der Aussstellung eines kroatischen Passes in der Regel nicht als kroatische Staatsbürger“, sondern vielmehr „als Flüchtlinge angesehen und registriert“. Es seien Fälle bekannt, in 1HAZ 16.2. 95 25/26-1995 RUNDBRIEF 37 denen jedoch selbst eine Registrierung als Flüchtli nge verweigert wurde.“ Die Folge: Bosnische Kroaten erhalten in der Regel keine Sozialleistungen in Kroatien. Um ihr Überleben zu sichern, gehen sie zurück in derzeit von Kroatien kontrollierte Gebiete der Bosnischen Förderation. „Damit sind sie wieder da, wo ihr Fluchtweg begann“, beklagt Karin Hansum von der Caritas, die sich ebenfalls mit den bosnischen Katholiken befaßt. Karin Loos vom Asyl e.V. ergänzt, daß auch Kroatien kein sicheres Land sei. Es zeichne sich ab, daß es dort bald wieder Kriegshandlungen geben dürfte. Umso unverständlicher sei, jetzt noch auf Ausreise zu drängen. Die Haltung des Landkreises Hildesheim, der als „aufnehmender Landkreis“ gilt, weil er sein Flüchtlingskontigent nur zu 60 Prozent erfüllt und damit weit unter dem Landesdurchschnitt liegt, ist auch schon bei der Bezirksregierung aufgefallen. Das Zurückweisen bosnischer Flüchtlinge mit dem Hi nweis „zweifelhafte He rkunft“ wurde dem Innenministerium gemeldet. Das Ministerium muß sich auch mit einer Fachaufsichtsbeschwerde befassen, weil der Landkreis und die Stadt Hildesheim mit einer bosnischen Flüchtlilngsfamilie „Pingpong“ gespielt hätten. Für die FlüchtlingsHilfsorgani-sationen sind zwei Forderungen klar: Der Landkreis müsse seinen detekivischen Spürsinn beim Herausfinden der Doppelstaatsbürgerschaft eindämmen, und das Innenministerium müsse seinen Erlaß überarbeiten. Zumindest den katholichen Bosniern mit kroatischen Paß müsse ein Bleiberecht zugebilligt werden. „Mir ist kein Fall eines Moslems aus Bosnien bekannt, der vom Landkreis ang eschrieben wurde“, sogt Edith Raue vom Mosaik Verein. Die Ausklammerung der Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Schutzsystem der Genfer Konvention und des Protokolls von 1967 durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes Von Rechtsanwalt Pfaff 1 Victor Die Beschlüsse der IMK vom 25./26. November 1994 haben das Schicksal der Kriegsflüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina, Kurdistan, Afghanistan und anderswoher nicht er1Leicht gekürzter Vortrag, gehalten auf der Tagung der Evangelischen Akademie Mülheim/Ruhr am 3.Dezember 1994 38 leichtert. Nach BosnienHerze-gowina wird zwar derzeit nicht abgeschoben, der Status der Flüchtlinge aus diesem Gebiet ist aber trotz mehrjährigem Aufenthalt nicht einmal legalisiert; die Aussetzung der Abschiebung vermittelt keinen legalen Aufenthalt. Die Kurden sind der Abschi ebung in die Hände der Verfolger ausgesetzt. Die rechtliche Behandlung der Afghanen ist - insgesamt gesehen - nicht weniger chaotisch als die Verhältnisse im Heimatland. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Schutzb ereich der Genfer Konve ntionen ausgeschlossen, sofern keine der kämpfe nden Parteien die effektive RUNDBRIEF 25/26-1995 Wohnung bzw. des Arbeitsplatzes keinen Anspruch auf Wohngeld oder Unterbringung in einer Sozialwohnung der Wohnsitzgemeinde haben, sondern zur Vermeidung der Obdachlosigkeit in einer Gemeinschaftsunterkunft des Landes untergebracht werden, und daß kein Anspruch darauf besteht, daß diese Unterbringung in der bisherigen Wohnsitzgemeinde erfolgt. Im Auftrage gez. Middelbeck Fluchtgründe von Frauen Situation der Flüchtlingsfrauen in der Bundesrepublik Deutschland 1. Fluchtgründe Frauen1 von Nach Schätzungen der Hohen Flüchtlingskommi ssarin der Vereinten Nati onen (UNHCR) befinden sich gegenwärtig ca. 20 Millionen Menschen auf der Flucht. Waren es vor 20 Jahren erst 2,5 Millionen, so hat sich ihre Zahl seit Anfang der 80er Jahre mehr als verdreifacht. Hi nzu kommen etwa 25 Milli onen Palästinenser, die nicht unter das Mandat des UNHCR fallen. Insgesamt wird die Zahl der Flüchtli nge weltweit etwa bei einer halben Milliarde Menschen angesetzt. Basierend auf einer angenommenen Zahl der Weltbevölkerung von 5,5, Milliarden Menschen wurde eine/r von je 130 zur Flucht gezwungen (UNHCR: Stand 12.11. 1993). Vor diesem Hinte r1Abschlußbericht der Arbeitsgruppe 8 des Basso-Tribunals 25/26-1995 RUNDBRIEF grund seien einige wohlb ekannte Fakten genannt, die oft allzusehr verdrängt werden: Frauen bilden über 50% der Weltbevölk erung und leisten 66% der Arbeitsstunden, bekommen aber lediglich 10% des Welteinkommens und ve rfügen über nur 1% des Weltvermögens (UNICEF 1983). In zwei weiteren Bereichen stehen sie jedoch auf dem ersten Platz: Frauen bilden zwei Drittel der AnalphabetInnen sowie, zusammen mit ihren Kindern, zwei Drittel der weltweiten Flüchtlinge. Wieso gerade Frauen? Weil sie durch ihre Zug ehörigkeit zu einer „bestimmten sozialen Gruppe“ im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Genfer Flüchtlingskonvention durch ihre Rechtlosigkeit ausgezeichnet sind. Weil sie „aus der begründeten Furcht vor Verfo lgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität ...oder wegen ihrer politi- schen Überzeugung“ als Angehörige des weiblichen Geschlechts zusätzlich zu Menschenrechtsverletzungen einer frauenspezifischen Verfolgung ausgesetzt sind. Da Asylpolitik und -recht immer noch in erster Linie den männlichen, wegen seiner oppositionellen Tätigkeit ve rfolgten Flüchtling im Auge haben, stellt sich die Frage: Was bedeutet Verfo lgung für die betroffenen Frauen? Was treibt sie zur Flucht? Das derzeit in Europa bekannteste Beispiel ist gewiß der Krieg in Bosnien-Herzegowina. Eine der dort eingesetzten Methoden, die vom Sonderberichterstatter der UNMenschenrechtskommission noch im Februar 1993 spezifisch verurteilt wurde, ist die systematische Vergewaltigung von Frauen. Vergewaltigungen und andere Formen sexueller Gewalt werden als Kriegsstrategie eingesetzt und 45 sind Mittel zum militärischen Zweck des Völkermords und der Vertreibung, von den Kriegsparteien als Mittel zum militärischen Zweck des Völkermords und der Vertreibung, von den Kriegsparteien als „ehtnische Säuberung“ tituliert. Betroffene Frauen berichten, wie ihr Leidensweg von der Verschleppung aus ihren Heimen, aus öffentlichen Verkehrsmitteln etc., zu massiven sexuellen Übergriffen führt. Angefa ngen mit den menschenve rachtenden Umständen der Gefangenschaft, dem demütigenden Zusammengedrängtsein in engen Rä umen ohne Einrichtungen für die Notdurft oder die Hygiene, dem teilweise eingesetzten Zwang, ohne Kleidung zu leben, auch während der Menstruation, bis hin zu den gezielten sexuellen Foltermethoden wie dem Einführen von Gewehrläufen/Flaschen in die Vagina mit gleichzeitigen Todesdrohungen, dem Einführen von erhitzten Metallgegenständen in die Vagina, erzwungenen oralen und analen sexuellen Handlungen und Vergewa ltigungen oft durch mehrere Männer, wird der Frau das letzte Recht über ihren eigenen Körper genommen. Diese sexuellen Übergriffe sind nicht als individuell motivierte Gewalttaten anzusehen, sondern sind die individuelle Ausführung von oben erteilter Befehle und Teil einer politischen Vertreibungs- und Vernichtungsstrategie. Sie sind Kriegsverbrechen gegen Frauen. Diese Tatsache wird auch durch die äußer46 lichen Umstände der Vergewaltigungen selbst belegt. Die Gewaltakte we rden häufig bewußt vor den Augen anderer Gefangener vollzogen: Die Kinder der Frau, ihr Verlobter/ Ehemann sowie andere Familienangehörige werden gleichzeitig mitgefoltert, indem sie gezwungen we rden, das Verbrechen hilflos mitanzusehen. Der Psychoterror richtet sich auch gegen die anwesenden Frauen, die diese `B ehandlung` noch vor sich haben. Die Wirkung ist so effektiv wie möglich: Frauen werden in Verknüpfung von sexistischen und rassistischen Motiven systematisch wiederholt vergewa ltigt, um sie zu schwängern und damit ihre eigene und die ethnische Gruppenidentität zu zerstören. Es muß davon ausgegangen werden, daß viele Frauen (dies betrifft nicht nur die muslimischen, sondern auch die weiblichen Opfer der anderen Gruppen) stark patriarchalisch geprägten Regeln ihrer Gemeinschaften unterliegen und deren Schutz verloren haben, sind sie doch lebende Zeugnisse der Unfähigkeit ihrer männlichen Angehörigen, sie vor der Inbesitznahme seitens anderer Männer zu schützen. In kaum einem Krieg sind Vergewaltigungen von Frauen so publik geworden und durch die Zeugnisse vieler Frauen öffentlich gemacht worden wie in diesem. Dennoch ist die brutale Gewalt gegen Frauen in diesem Krieg nichts Neues. Die frauenspezifische Verfolgung in Bosnien-Herzegowina ist nur ein Beispiel für die Fluchtgründe von Frauen weltweit. Das gleiche Unrecht geschah und geschieht Frauen in anderen Teilen der Welt, allerdings meist fern dem Interessenhorizont der westlichen Medien. Um frauenspezifische Verfolgung besser erfassen zu können, seien im folgenden einige Grundmuster stichpunkta rtig angegeben. Es ist nicht der Versuch einer Typologisierung, denn oft verursacht ein Geflecht von mehreren Faktoren díe Verfolgung. Obwohl zur Veranschaulichung die Nennung von konkreten Beispielen sinnvoll wäre, hat sich die Arbeitsgruppe dagegen entschieden, da nicht einige wenige der zahlreichen Situationen, in denen Menschenrechte von Frauen mißachtet werden, hervorgehoben werden sollten. Wir verweisen hier auf die Berichte von amnesty international, terre des femmes und anderen. a) Eigene politische Tätigkeit als Verfo lgungsgrund: Frauen sind wie Männer aufgrund politischer Aktivitäten in Oppostionsgruppen und Befreiungsbewegungen gefährdet. Im Falle der Verhaftung droht der Frau nicht nur die Internierung wegen ihrer politischen Aktivität, sondern zusätzlich die Anwendung von sexueller Gewalt, die sich gegen sie als Frau richtet. b) Politische Tätigkeit von Familienangehörigen als Verfolgungsgrund:Der weltweite Trend, Minderheiten durch RUNDBRIEF 25/26-1995 Völkermord und Vertreibung auszulöschen, könnte als eine Hauptursache der Flucht von Frauen bezeichnet werden. Frauen sind insofern besonders betroffen, als der Angriff auf sie den männlichen Ang ehörigen der Gruppe ihre Schutzunfähigkeit demonstriert und ein Angriff auf ihre Gebärfähigkeit (seien es Zwangssterilisationen oder erzwungene Schwa ngerschaften) die Identität bzw. die Existenz der Gruppe angreift. c) Zugehörigkeit zu einer rechtlosen Gruppe als Verfolgungsgrund: Diese Art der Verfolgung betrifft besonders Frauen in Ländern, die durch eine sehr starke Kluft zwischen Armen und Reichen gekennzeichnet sind. Armee und Polizei arbeiten im Interesse der Oberschicht und verhaften vorwiegend Frauen aus den armen Schichten, um sie u.a. durch gezielte sexuelle Folter zu Scheingeständnissen zu zwingen. Diese Unterdrückung der Unte rprivilegierten hat eine la nge Tradition und richtet sich gegen Frauen als Ehrobjekt der Gemeinde und Familie. d) Zugehörigkeit zu einer aufgrund des Geschlechts diskriminie rten Gruppe als Verfo lgungsgrund: Bei der hier `diskriminierten Gruppe´handelt es sich ausschließ-lich um Frauen, die von der Gesellschaft mit impliziter Genehmigung des Staates oder direkt durch ihn ve rfolgt werden. z.B. werden Frauen in ihrer psychi25/26-1995 RUNDBRIEF schen Gesundheit, Bewegungs- und Existenzsicherungsmöglichkeiten ang egriffen, bis hin zur willkürlichen und oft grausamen Bestrafungen wegen der angeblichen Übertretung der nur für Frauen gelte nden Regeln (Bekleidungsund Verhaltensvorschri ften). Ähnliches gilt für Praktiken wie Mitgiftmorde, Zwangsheirat, Kinderehe, genitale Verstü mmelungen, Tötungen von Frauen aus Familienehre. Diese Praktiken werden zwar häufig nicht direkt vom Staat durchgeführt, aber geduldet und nicht verfolgt, so daß davon auszugehen ist, daß der Staat nicht willens oder in der Lage ist, die Frauen zu schützen. Häufig genug werden die spezifischen Leiden der Frauen hinter den globalen Fluchtursachen wie Krieg, Bürgerkrieg, autoritären Regimen, Menschenrechtsverletzungen, Umweltkatastrophen etc. nicht mehr wahrgenommen. Umgekehrt dürfen die Bemühungen um eine Flüchtlingspolitik, die Frauen berücksichtigt, nicht dazu führen, daß die Bekämpfung der globalen Fluchtursachen vernachlässigt wird. Darauf weisen gerade Frauen, die zu Flüchtlingen wurden, immer wieder hin. 2.Zugang weiblicher Flüchtlinge zum Asylverfahren 2.1 Zugangsbarrieren durch Einreiserestriktionen Nach Angaben von UNHCR betrug die Zahl der aufgenommenen Flüchtli n- ge pro Kontinent sechs Millionen in Europa, 5,7 Millionen in Asien, 7,4 Mi llionen in Afrika, 1,4 Milli onen in Amerika und 2,2 Millionen in der ehemaligen Sowjetunion (Stand 31.12.93). Dabei stellen Frauen nach Angaben des UNHCR weltweit die Mehrheit der Flüchtlinge. Frauen und Kinder zusammen machen ca. zwei Drittel der Weltflüchtlingsbevölkerung aus. In manchen Flüchtlingslagern in Erstaufna hmeländern der Dritten Welt wird der Anteil von Frauen und Kindern sogar mit 8090% angegeben Ein wachsender Anteil von Frauen wird auch im Hinblick auf Migrationsbewegungen nach Europa konstatiert. Galt die Arbeitsmigration der sechziger und siebziger Jahre noch als männerdominiert, so haben sich Anteil und Form der Migration von Frauen in den darauffo lgenden Jahren erheblich verändert. Ab Mitte der siebziger Jahre kamen im Rahmen der Familienzusammenführung ein großer Anteil Frauen in die Bundesrepublik. Für die zunehmende Ost-WestMigration im Verlauf der achtziger Jahre bis heute gilt, daß Frauen in einigen Herkunftsgruppen, etwa den nach Westeuropa wandernden Polen oder den deutschstämmigen Aussiedlern aus Osteur opa, die Mehrheit bilden. Diese deutliche Zuna hme weiblicher Migration hat jedoch nicht auch dazu geführt, daß mehr Frauen als Asylsuchende Schutz in der Bundesrepublik 47 Deutschland suchen. Ihr Anteil an den Asylsuche nden liegt hier bei weniger als einem Drittel: Nach Angaben aus dem Bundesministerium des Innern haben am Stichtag 31.12.92 in der Bundesrepublik 122.823 Frauen (ohne Kinder) einen Asylantrag gestellt. Damit stellen sie 27,6% der erwachsenen Asylbewerber.(1). Für die auf das Jahr 1992 bezogenen 10 Hauptherkunftsländer von Asylsuchenden läßt sich der Anteil der Frauen an den erwachsenen Asylbewerbern wie folgt ang eben: 1. Jugoslawien: 37,3% (1) 2. Rumänien: 24,4% 3. Bulgarien: 30,3% 4. Türkei: 27,9% 5. Vietnam: 36,0% 6. Ex-UdSSR: 34,7% 7. Nigeria: 8,5% 8. Zaire: 18,4% 9. Algerien: 8,7% 10. Ghana: 21,3% ---------------------------------(1) Da erst seit Sommer 92 beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge Asyla nträge getrennt nach Ländern des ehemaligen Jugoslawien gezählt werden, schätzt man die Zahl der 1In der Bundesrepublik werden veröffentlichte Statistiken zu Asylbewerbern nicht geschlechtsspezifisch aufgeschlüsselt. Die hier angegebenen Zahlen für das Jahr 1992 wurden freundlicherweise vom BMI zur Verfügung gestellt. Aktuellere Zahlen, die nach Geschlecht aufgeschlüsselt sind, liegen uns bisher nicht vor. 48 bosnischen AsylantragstellerInnen auf ca.: 24.000. Der Frauenanteil betrug Ende 1992 dabei 50,1%. Im Vergleich mit anderen westeuropäischen Staaten liegt die Bundesrepublik damit durchaus im Trend. In den Niederlanden stellten Frauen in den Jahren 1985-88 jeweils höchstens 15% der Antragsteller, in den Jahren bis 1990 erhöhte sich ihr Anteil auf knapp 30%. In Frankreich waren 1990 21,4% der Asylantragsteller Frauen. Zahlen aus Norwegen über Asylsuchende, die einen eigenen Antrag gestellt haben (also ohne mitbeantragende Familienangehörige) sprechen im Jahr 1989 von 20,71% Frauen, 1990 von 24,47% und 1991 von 25,85%. Auf der Basis dieser Angaben ist davon auszugehen, daß der Frauenanteil an den Asylantragstellern in nordwesteuropäischen Staaten zwischen 20-30% liegt, bei steigender Tendenz zum Ende der achtziger Jahre. Der eklatante Unte rschied zwischen dem Frauenanteil an den Flüchtlingen in Westeuropa und weltweit ist erklärungsbedürftig. Neben der Stellung von Frauen im Herkunftsland, ihrer sozi alen und geographischen Mobilität, beeinträchtigen offenbar auch die in den vergangenen Jahren von den europäischen Aufna hmestaaten errichteten Zugangsbarrieren die Cha ncen von Frauen,den Zugang zum Territorium und den Schutz eines westlichen Landes zu finden. Zu- gangshindernisse wie die Einführung der Visumspflicht für die Haup therkunftsländer von Flüchtlingen, verbunden mit der Androhung von Sanktionen gegen Transportunterne hmen, die Personen ohne gültige Papiere transportieren, scheinen für asylsuchende Frauen ungleich schwerer überwindbar. Diese Maßnahmen treiben die Kosten einer Flucht sei es für den Transport allein, sei es für die Bezahlung von Fluchthelfernenorm in die Höhe und verweisen die Mehrzahl der Asylsuchenden darauf, halblegale oder illegale Mittel in Anspruch zu ne hmen. Die generell für Weste uropa festgestellte Zunahme weiblicher Migration ist auf andere Kanäle als auf die Asylantragstellung verwi esen. Der hohe Anteil von Frauen an der Pendelmigration aus osteuropäischen Staaten sowie der blühende Heiratsmarkt mit Frauen aus Asien und Osteuropa legen nahe, daß auswanderungswillige Frauen mittels Touristenvisa und Heiratsagenturen die Barrieren auf dem Weg nach Westeuropa zu umgehen versuchen. Für Frauen auf der Flucht gilt, daß sie oftmals nicht über die benötigten Mittel verfügen, um ihre Flucht zu finanzieren, wenn sie diesbezüglich nicht von ihren Familien unterstützt werden. Sogar bei dem Versuch, wenigstens ihre Kinder in ein sicheres Land im Westen zu bri ngen, fallen Entscheidungen oft zugunsten der Jungen, RUNDBRIEF 25/26-1995 da sie während der Flucht weniger gefährdet sind als ihre Schwestern. Erste Beobachtungen an der Grenze zwischen der Bundesrepublik und ihren östlichen Nachbarstaaten lassen vermuten, daß seit Änd erung des Asylgrundrechts und massiver Erweiterung der Rückschiebungsmöglichkeiten der Anteil von Frauen und Kindern unter den Flüchtlingen zurückgegangen ist. Seit einigen Jahren we isen UNHCR und andere darauf hin, daß sich eine Frau (auch in männlicher Begleitung) auf der Flucht in einen völlig rechtlosen Raum begibt und vor sexuellen Übergriffen durch Schlepper, Grenzsoldaten, Polizei oder Mitflüchtende keine Schutzmöglichkeiten hat. Diese Gefahren gelten zunehmend auch für die Grenzen zu Industrieländern. Angesichts der Berichte von der Grenze zwischen Mexiko und den USA, wo Beobachter Davon ausgehen, daß die Mehrheit der Frauen, die mit Hilfe von Fluchthelfern die Grenze überqueren müssen, Opfer von Vergewaltigungen haben, muß die Lage an der deutschpolnischen und deutschtschechischen Grenze Besorgnis erregen. Bisher sind Übergriffe gegen Frauen auf der Flucht auf diesem Weg zwar nicht bekannt geworden. Jedoch ist die Gefährdung von Frauen, die sich auf illegalisierten Fluchtrouten befinden, von verschiedensten Grenzregionen weltweit d okumentiert. 25/26-1995 RUNDBRIEF 2.2. Zugangsbarrieren durch das Konzept der sicheren Dritt- und Herkunftsstaaten Seit der Änderung des Asylgrundrechts durch die Einführung von Art. 16a GG wird der Zugang zum Te rritorium und damit zum Asylverfahren in der Bundesrepublik wesentlich durch das Konzept der sogenannten „sicheren Drittstaaten“, in eing eschränktem Maß auch durch das Konzept der sogenannten „sicheren He rkunftsstaaten“ eing eschränkt. Nach § 19 Abs. 3 AsylVfG werden Asyls uchende, die aus einem sicheren Drittstaat im Sinne des §26a AsylVfG unerlaubt einreisen, ohne Prüfung des Asylantrages dorthin zurückgeschoben. § 26a schließt die Ane rkennung als Asylberechtigte aus, wenn die Betroffene über einen sogennanten sicheren Drittstaat (nach dem Grundgesetz sind dies die EG-Staaten sowie nach dem AsylVfG derzeit die Staaten Finnland, Norwegen, Österreich, Polen, Schweden, Schweiz und die Tschechische Republik) eingereist ist. Gegen das Konzept der sicheren Drittstaaten sind im wesentlichen folgende Argumente vorgetragen wo rden.: Die Einhaltung von Genfer Flüchtlingskonve ntion oder Europäischer Menschenrechtskonvention seien in den zu sicheren Drittstaaten erklärten Ländern nicht immer gewährleistet; die Asylverfahren in einigen der genannten Länder erreichten die vom internationalen Recht geforderten Mindeststa ndards nicht; dies gelte auch für EG-Staaten, die keineswegs als generell sicher erklärt werden könnten; insbesondere bestünde die Gefahr von Kettenabschi ebungen. Dem ist hinzuzufügen: Mag ein Drittstaat auch im allgemeinen als sicher in dem Sinne gelten, daß er ein zufriedenstellendes und faires Asylverfahren gewährleistet,so muß dies nicht generell für alle Asylsuchenden gelten. Der UNHCR hat z.B. in seinen „Richtlinien zum Schutz von Flüchtlingsfrauen“ darauf hingewiesen, daß weibliche Flüchtlinge in Erstasylländern häufig nicht sicher sind, obwohl das Erstasylland sie rechtlich gegen Zurückweisung in ihr Herkunftsland schützt. Ein weiteres Indiz für diese Annahme bilden die sog. „Women-at-Risk“Programme, die einige Aufnahmestaaten wie z.B. Kanada und Australien speziell Frauen aus Erstaufnahmestaaten vo rbehalten, die dort gefährdet sind. Die pauschale Vergabe des Kriteriums „Sicherheit“ in Bezug auf die Situation in einem anderen Land erscheint daher, wird die spezifische Lage einzelner Flüchtlingsgruppen oder auch Individuen berücksichtigt, problematisch. Dies gilt auch im Fall der sicheren Herkunftsstaaten. Art. 16a Abs. 2 GG fordert für die sicheren Herkunftsstaaten „daß dort weder politische Verfolgung noch un49 menschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet“. Derzeit gelten folgende Staaten dem Gesetzgeber als sicher: Bulgarien, Gambia, Ghana, Polen, Rumänien, Senegal, Slowakische Republik, Tschechische Republik, Ungarn. Asylsuchende aus diesen Staaten müssen individuell die Regelvermutung widerlegen, daß in ihrem Herkunftsstaat keine politische Verfolgung stattfinde. Abgesehen von den Argumenten der Kritiker, die keinen Staat als generell verfolgungsfrei betrachten würden, stellt sich die Frage, ob bei einer Entsche idung über die Sicherheit eines Herkunftslandes die Menschenrechtssituation von Frauen überhaupt berücksichtigt wird. Das Auswärtige Amt z. B. gibt im Lagebericht über Gambia die dort verbreitete Klitorisbeschneidung an, die insbesondere an jungen Mädchen vollzogen werde. Einer Mutter oder einem Vater aus Gambia, die oder der seine Tochter dem grausamen Eingriff entziehen will, dürfte es schwer fallen, am Frankfurter Flughafen eine Rückschiebung zu vermeiden und die Regelvermutung zu widerlegen, daß Gambia in jedem Fall ein sicheres Herkunftsland ist. 3. Chancen und Hindernisse der Asylgewährung an weibliche Flüchtlinge 3.1. Das Asylverfahren Die Neuregelung des Art. 16a GG vom 28.6. 1993 sowie die jüngste 50 Neufassung des Asylve rfahrensgesetzes (AsylVfG) vom 1.7. 1993 enthalten ausschließlich geschlechtsneutral formulierte Bestimmungen. Wie schon anhand früherer Asylverfahrensgesetze geschehen, lassen sich dennoch Benachteiligungen von Frauen im Asylverfahren festste llen: Folgende Kritikpunkte wurden immer wieder genannt: -Frauen sehen sich u.U. nicht in der Lage, ihr Verfolgungsschicksal männlichen Entscheidern bzw. Dolmetschern wä hrend der mündlichen Anhörung vorzutragen. Dies betrifft insbesondere Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden. Die Bundesregierung hat zugesagt, Asyla ntragstellerinnen auf Wunsch und im Rahmen des Möglichen Entscheiderinnen zur Verfügung zu stellen. Aus der Praxis ist jedoch bekannt, daß nicht in jedem Fall dem entsprechenden Wunsch dieser Frauen Rechnung getragen wurde. Ferner ist offenbar versäumt worden, beim Bundesamt für die Ane rkennung ausländischer Flüchtlinge einschließlich seiner 47 Außenstellen die organisatorischen Voraussetzungen dafür zu scha ffen, daß in Zukunft diesem Wunsch Rechnung getragen wird. Zusätzlich erschwert wird Frauen die Darlegung ihrer Asylgründe auch dann, wenn sie gemeinsam mit ihren Ehepartnern angehört werden. Um ihnen zu ermöglichen, auch sexuelle Gewalt als Verfolgungsgrund vorzutragen, sollten Anhörungen getrennt erfo lgen.- Desgleichen ist zu berücksichtigen, daß Frauen aufgrund geringerer Bildungschancen häufiger als Männer Analphabetinnen sind und dann keinen Zugang zu schriftlichen Informationen über Asylverfa hren bekommen.Insbesondere NROs haben immer wieder gefordert, weiblichen Asylsuchenden müsse die Möglichkeit eröffnet werden, sexuelle Gewalt als Verfolgung sgrund auch zu einem späteren Zeitpunkt ins Asylverfahren einbringen zu können. Während diese Forderung bisher sich fa ktisch an das Bundesamt und die Gerichte richtete, ein späteres Vorbringen nicht als „gesteigertes Vorbringen“ und damit als widersprüchlich bzw. unglaubwürdig zu bewerten, ist nun festzustellen, daß bereits die Neufassung des AsylVfG vom Sommer 1992 diesem Anliegen entgegenwirkt. In § 25,3 AsylVfG heißt es nämlich: „Ein späteres Vorbringen des Ausländers kann unb erücksichtigt bleiben, wenn andernfalls die Entsche idung des Bundesamtes verzögert würde.“ Auch das Gericht kann diese Umstände in einem späteren Verfahren unberücksichtigt lassen (§36, 4). In der Neufassung des AsylVfG vom 1.7. 1993 heißt es dann in §30,3: „Ein unb egründeter Asylantrag ist als offensichtlich unb egründet abzulehnen, wenn ...das Vorbringen ...nicht substantiiert oder in sich widersprüchlich ist...“ oder wenn den Mitwirkung spflichten nicht entsprochen RUNDBRIEF 25/26-1995 wird (§ 25,1). Gegen eine Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ hat die Antragstellerin aber lediglich eine Klagefrist von einer Woche. Dieses Beispiel zeigt: Die Beschle unigung der Asylverfahren, wie sie durch Regelungen wie die oben genannte erreicht werden soll, läuft Empfehlungen zur Berücksichtigung frauenspezifischer Situationen im Asylverfahren entgegen, die bereits seit Jahren gestellt werden. Einen Teil dieser Empfehlungen hat der Bundestag in den aus der Großen Anfrage zu Menschenrechtsverletzungen an Frauen folgenden Entschließungsanträgen diskutiert und verabschiedet. Sollen die einmal formulierten Anliegen weiter verfolgt werden, müßte die Ebene der bisher vorherrschenden immanenten Kritik der Asylgesetzgebung verlassen werden. Denn während bisher die frauenpolitischen Forderungen zu Flüchtlingsfrauen zumeist ohne Bezug zu den parallel diskutierten Asylrechtsänderungen formuliert und beschlossen wurden, zeigt sich jetzt, daß das neue Asylrecht diese Forderungen ad absurdum führt. Es ist eine Situation erreicht, in der Politik für Flüchtlingsfrauen auch und gerade in den Details der Ausgestaltung des Asylverfa hrens Kritik der in jüngster Zeit beschlossenen Asylrechtsänderungen heißen muß, sollen die frauenpolitischen Forderungen nicht aufgegeben werden. Una bhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung des 25/26-1995 RUNDBRIEF Asylverfahrens kann jedoch auf den Umgang der Behörden mit asylsuchenden Frauen Einfluß genommen werden. Dies betrifft z.B. die Frage der Erstellung von Länderberichten durch das Auswärtige Amt, in denen die Mensche nrechtssituation von Frauen dargestellt wird. Erste Ansätze in dieser Richtung sind zu begrüßen und auszubauen. Ferner regierungsunabhängige Quellen sowie nach Schulung der Entscheider und Entscheiderinnen hinsichtlich der besonderen Belange von asylsuchenden Frauen. So ist z.B. zu prüfen, ob ein Leitfaden zur Befragung von Frauen entwickelt we rden kann, wie dies in den Niederlanden in Zusammenarbeit zwischen Ho lländischen Flüchtlingswerk und Justizministerium geschehen ist. 3.2 chung Die Rechtspre- Hinsichtlich der Ane rkennung frauenspezifischer Verfolgung im Asylrecht wird weithin die Auffassung vertreten, daß Geschlecht als Verfolgungsgrund explizit in die entspreche nden Rechtsgrundlagen aufgenommen werden müsse. Eine entsprechende Forderung fand Eingang in einen Entschließungsantrag des Bundestages zu „Menschenrechtsverletzungen an Frauen“ vom 24.3. 1988 (Bts-Drs. 11/4150). Während der Debatten zur Änderung des bundesdeutschen Asylgrundrechts hat das BMFJ unseren Info rmationen zufolge eine ent- sprechende Initiative erwogen, jedoch nach Rücksprache mit dem BMI wi eder verworfen. Während diese Strategie hinsichtlich der Genfer Flüchtlingskonvention, die in ihrem Art. 1 Verfolgungsgründe enumerativ aufzählt, gewiß von Bedeutung und sicher in ihrer politischsymbolischen Wirkung nicht zu unterschätzen wäre, ist die Effektivität einer solchen Regelung im bundesdeutschen Recht jedoch umstritten. Nach einem Urteil des Bundesve rwaltungsgerichts aus dem Jahre 1983 ist der politische Charakter von Verfo lgung danach definiert, daß Verfolgungsmaßnahmen sich gegen jene persönlichen Merkmale richten, deren Diskriminierung nach Art. 3 des GG untersagt ist und wozu Geschlecht explizit gehört (BVerwGE 67,184). Zumeist unabhä ngig von der Frage, ob Geschlecht als Verfolgung sgrund anerkannt werden kann, wird Frauen die Anerkennung oft verweigert wird mit der Begründung, daß die Verfolgungsmaßnahmen Ausdruck der Kultur eines Landes seien und das Ausmaß dessen, was die Bevölkerung des Landes allgemein zu erdulden hat, nicht überstiegen oder daß es sich nicht um staatliche, sondern um private Verfolgung handle. Frauen aus dem Iran, die Verfo lgungen wegen Übertretung von Kleidervorschriften geltend machen und Frauen, die Opfer von Vergewaltigungen werden, ve rhilft die Aufnahme von Geschlecht als Verfolgung s51 grund in die Rechtsgrundlagen daher nicht notwe ndigerweise zu einer Ane rkennung. Um zu einer menschenwürdigen Behandlung dieser von frauenspezifischer Verfolgung betroffenen Frauen zu gelangen und ihnen den notwendigen Schutz zu gewähren, sind weitere Maßnahmen vo nnöten. Die Problematik darf nicht allein auf die Rechtsprechung der Gerichte verlagert werden,die im übrigen noch sehr heterogen ist, aber auch in den letzten Jahren zunehmend auf die Frage geschlechtsspezifischer Verfolgung reagiert und in Einzelfällen Frauen Schutz gewährt. Was von Politikern getan werden könnte, zeigen Beispiele aus anderen Ländern. Ein Beispiel, wie die Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung im Asylrecht gefördert werden könnte, bietet die Schweiz. Dort wurde 1992 im Auftrag des Eidgenössischen Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann eine Studie zu „Frauenverfolgung und Flüchtlingsbegriff“ erstellt, die wegweisende Argumentationslinien für die asylrechtliche Anerkennung geschlechtsspezifischer Verfolgung enthält. Kanada hat im März diesen Jahres Richtlinien bezüglich weiblicher Flüchtlinge, die geschlechtsspezifische Verfolgung zu befürchten haben, erlassen. Sie sollen den Einzelfallentscheidern als Leitfaden dienen. Im bundesdeutschen Kontext ist es kaum denkbar, den weisungsunabhängigen Entscheidern des Bundes52 amtes (§5,2 AsylVfG) selbst unverbindliche Richtlinien an die Hand zu geben. Möglich wäre jedoch, dem Bundesbeauftragten, der gegen Entscheidungen des Bundesamtes klagen kann und der an die Weisungen des BMI gebunden ist (§6 AsylVfG), aufzutragen, gegen negative Entscheidungen des Bundesamtes bei Vorli egen geschlechtsspezifischer Verfolgung vorzugehen. Im übrigen muß endlich eine Lösung für Fälle wie die der bosnischen Frauen geschaffen werden, deren Asylanträge trotz erlittener Vergewaltigungen vom Bundesamt in Einze lfällen zunächst einfach auf Eis zu legen, wie es geschehen ist, kann keine Lösung für diese Frauen sein, die in der Bundesrepublik Deutschland Schutz vor Menschenrechtsverle tzungen gesucht haben. Eine solche Lösung darf sich nicht auf die bosnischen Frauen allein beschränken, sondern muß alle Frauen umfassen, die hierher kommen, um Schutz vor Vergewaltigung oder and eren Formen geschlechtsspezifischer Verfolgung zu suchen. 3.3 Frauen als DefactoFlüchtlinge Wie die Beispiele der Ablehnung geschlechtsspezifischer Verfolgung im Asylverfahren zeigen, we rden viele Frauen trotz Schutzbedürfti gkeit zu Defacto-Flüchtlingen. Hier gilt es zum einen, wenigstens vor einer geplanten Ab- schiebung eingehend zu prüfen, ob Frauen Gefahr für Leib und Leben oder grausamen, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht - eigentlich eine Selbstverständlichkeit, die aber in der Praxis nicht immer eingehalten wird. Auch generelle Regelungen zum Abschiebeschutz ganzer Gruppen von Flüchtlingen, wie sie z.T. von den Bundesländern allein, z.T. in Absprache mit dem BMI getroffen werden, müssen in Zukunft stärker berücksichtigen, daß in einigen Ländern bestimmte Gruppen von Frauen bei einer Rückkehr Gefahren drohen und ihnen daher Abschiebungsschutz zu gewähren ist. Hinzu kommen die Probleme alleinstehender Frauen nach einer Rückkehr. Frauen, die verwitwet sind, die ohne Familieangehörige und u.U. in einen ihnen fremden Landesteil abgeschoben werden sollen, stehen hä ufig ohne den Schutz ihrer Familie und damit ohne Rechte da. Auch dies sind Abschiebungshindernisse, die in jeder Entscheidung berücksichtigt werden müssen. Einen Sonder fall bilden ferner die Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien. Nach Schätzungen des Bundesministeriums des Innern halten sich z.-Zt. ca. 400.000 Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien mit unterschiedlichem Status in der Bundesrepublik Deutschland auf. Hiervon sind ca. 50% Frauen und Mädchen. Die Ane rkennungsrate ist bei bosnischen Asylsuchenden RUNDBRIEF 25/26-1995 derzeit extrem niedrig. Viele BosnierInnen sind aufgrund einer Verpflichtungserklärung nach §84 Ausländergesetz aufg enommen worden und haben eine Duldung. Sie haben keinen Anspruch auf Familienzusammenführung. Die meisten leben bei Verwandten und Bekannten in Bayern bzw. BadenWürttemberg. Im Einve rnehmen zwischen Bund und Ländern wurden im Sommer 1992 10.400 zumeist bosnische Frauen und Kinder im Rahmen eines Sonderkontingents in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. Sie sind im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis. Darüber hinaus wurden aufgrund eines weltweiten Appells der Flüchtlingshochkommissarin der Vereinten Nationen im Herbst 1992 seitens der Bundesrepublik Deutschland 7.000 Quotenplätze für ehemalige bosnische Inhaftierte und deren Familieangehörige zur Verfügung gestellt. Hiervon sind 3.542 bis zum 30.6.1994 eingereist (laut Internati onal Organisation for Migration). In diese Quote können auch Vergewaltigungsopfer, Kinder sowie einige Schwerverletzte einbezogen werden. Sie erhalten eine Aufenthaltsbefugnis. Der Gesetzgeber hat seit dem 1.7. 1993 mit dem §32a Ausländergesetz eine Möglichkeit gescha ffen, Bürgerkriegsflüchtli nge auch außerhalb des Asylverfahrens vorübergehend aufzunehmen. Bisher wurde von dieser Regelung nicht Gebrauch gemacht, da die Kostenübernahme 25/26-1995 RUNDBRIEF zwischen Bund, Ländern und Kommunen bisher nicht geklärt werden konnte. Für viele Flüchtling sfrauen aus Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten wäre diese Regelung jedoch eine sinnvolle Alternative zum Asylverfahren. 4. Zur sozialen Situation asylsuchender Frauen 4.1 Unterbringungssituation Menschen, die in der Bundesrepublik Asyl beantragen, sind verpflichtet, in den von den Bundeslä ndern errichteten Erstaufnahme-einrichtungen zu le ben. Dort bleiben sie für etwa drei Monate, manc hmal jedoch auch wesentlich länger. Diese Erstaufna hmeeinrichtungen sind in der Regel für ca. 500 Menschen konzipiert. Es ha ndelt sich dabei häufig um ehemalige Kasernen oder Baracken. In den neuen Bundesländern werden meist ehemalige Gebäude der Nationalen Volksarmee belegt. Einige der Einrichtungen befinden sich in abgelegenen Gebieten, die kaum mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sind. Nach ihrer Unterbri ngung in diesen Erstaufnahmeeinrichtungen we rden Asylsuchende weite rverteilt auf regionale und kommunale Gemeinschaftsunterkünfte. Nicht immer ist dies eine Verbesserung. Manche Asylsuchenden werden auf ausgedienten Schiffen oder in Hotels untergebracht. In Frankfurt beispielsweise leben viele Flüchtlingsfamilien in kle i- nen Zimmern in Hotels zwischen den Bordellen im Rotlichtviertel. Viele der Asylsuchenden, gerade auch der alleingeflüchteten Frauen, haben in der Bundesrepublik Verwandte, die sie gerne aufnehmen würden. Nicht selten haben sie mit dieser Perspektive eine Flucht in die Bundesrepublik auf sich geno mmen . Die gesetzliche Verpflichtung, in der Erstaufnahmeeinrichtung zu leben, die Umverteilung in oft weit vom Wohnort der Verwandten liegende Orte trifft sie daher hart. Hinzu kommt, daß sie das Gebiet, in dem ihr Asylantrag bearbeitet wird, nur in Ausnahmefällen mit Sondergenehmigung verlassen dürfen. Abgesehen von der Belastung für die Betroffenen selbst werden in diesem Bereich auch unnötig öffentliche Mittel ausgegeben. Die Unterkünfte bieten asylsuchenden, die hier auf engem Raum zusammenleben, sind Frauen eine Minderheit gegenüber den alleinstehenden Männern. Schlafräume und sanitäre Anlagen sind häufig nicht abschließbar. In einigen Fällen sind keine getrennten sanitären Anlagen für Männer und Frauen vorhanden. Nur in wenigen Fällen werden Familien und alleingeflüchtete Mädchen und Frauen in getrennten Häusern oder geschützten Etagen untergebracht. Aufenthaltsräume für Frauen sind in der Regel nicht vorgesehen. Gegenüber Beratungseinrichtungen klagen Frauen über sexuelle Belästigungen und über fehlenden 53 Schutz. In einigen Fällen besteht auch zum Wachpersonal kein Vertrauen. Es wurde in verschiedenen Einrichtungen beobachtet, daß sich Frauen und Mädchen unter den „Schutz eines Mannes in der Unte rkunft begeben, um die Bedrohung durch viele zu verhindern. Sexuelle Übergriffe und Vergewaltigungen gab es in mehreren dieser Einrichtungen. Sie wurden aber nur dann bekannt, wenn die Frauen medizinisch behandelt werden mußten. In der Regel schweigen die Frauen aus Scham oder Angst. Hinzu kommt, daß sie weiterhin in der Einrichtung leben müssen und nicht in einem Frauenhaus Schutz suchen dürfen. Asyls uchende erhalten in den ersten drei Monaten ihres Aufenthaltes keine Arbeitserlaubnis. Danach wird eine Arbeitsaufnahme gestattet, wenn sie eine Arbeitsstelle finden, die weder ein Deutscher noch ein bevorrechtigter Ausländer (z.B. EGAngehöriger) beansprucht. Das zuständige Arbeitsamt muß diese Bedingung in einem mehrwöchigen Verfahren prüfen. Die Arbeitsgenehmigung wird dann für maximal ein Jahr erteilt und ist an die entsprechende Arbeitsstelle gebunden. In vielen Gebieten kommt diese Regelung einem faktischen Arbeitsve rbot gleich. Der Zwang zur Passivität steigert jedoch wiederum die Spannung in den Massenquartieren. Es wurde beobachtet, daß einige Frauen der Prostitution nachgehen. Dies ist für 54 sie häufig die einzige Möglichkeit, Geld zu ve rdienen. In der Bundesrepublik herrscht eine hohe Nachfrage nach ausländ ischen Prostituierten. In einigen Orten wurde festg estellt, daß im Umfeld der Einrichtungen für Asylb ewerber gezielt Frauen angeworben wurden. Waren die für etwa 500 Menschen konzipierten Erstaufna hmeeinrichtungen im ve rgangenen Jahr noch mit bis zu 1000 Personen überbelegt, so sind durch den Rückgang der Asylb ewerberzahlen nach der Änderung des Asylrechts im Juli 1993 viele Einrichtungen derzeit nicht voll belegt. In verschiedenen Ländern wird geplant, die kle ineren Einrichtungen zu schließen und die Unte rbringung von Asylsuche nden in großen Unterkünften zu zentralisieren. Gerade zwischen Asylsuchenden in kleineren, dezentralen Einrichtungen zu schließen und die Unterbringung von Asylsuchenden in großen Unterkünften zu zentralisieren. Gerade zwischen Asylsuchenden in kleineren, dezentralen Einrichtungen und der lokalen Bevölkerung waren jedoch in der Vergangenheit gute nachbarschaftliche Bezi ehungen entstanden. Diese werden durch die Zentralisierung wieder zerstört, in einigen Fällen gegen den ausdrücklichen Wunsch nicht nur der Asylsuche nden, sondern auch der deutschen Bevölkerung. Dagegen werden durch die zentrale Unterbringung Asylsuchende von der Deutschen Bevölkerung weitgehend isoliert, obgleich angesichts der zahlreichen Angriffe auf Asylbewerberheime gute Kontakte zur deutschen Bevö lkerung von zentraler Bedeutung wären. Ängste vor Übergriffen durch Rechtsradikale bewegen viele Frauen dazu, die Einrichtung gar nicht oder nur in Begleitung zu verla ssen. 4.2. Auswirkungen des Asylbewerberleistungsgesetzes Am 1.11.1993 trat das Asylbewerberle istungsgesetz in Kraft. Danach wird zum ersten Mal eine Gruppe von Sozialhilfebedürftigen aus dem Bundessozialhilfegesetz ausgeschlossen. Dabei gelten die Leistungen für Sozialhilfeempfänger in der Bundesrepublik als das Lebensminimum. Dieses Lebensminimum gilt für Asylsuchende nicht. Sie erhalten nur Leistungen, die zum Leben unerläßlich sind. Für Asylsuchende im ersten Jahr des Verfahrens gilt, daß die Leistungen, als Sachleistungen zu gewähren sind. Statt Bargeld erhalten viele Asylsuche nde inzwischen Essenspakete oder Kantinenversorgung. Für Frauen bedeutet dies, daß sie sich und ihre Familien im allgemeinen gar selbst versorgen können. Auf die Minderwerti gkeit dieser Versorgung wurde in den vergangenen Monaten in der Presse wiederholt hingewiesen. Schwangeren Frauen, die auf Sozialhilfe angewiesen sind, wird in der Bundesrepublik ein Mehrbedarf an Vitaminen u. a. zugesta nden. Sozialarbeiterinnen berichten, daß mit der RUNDBRIEF 25/26-1995 Einführung des Asylbewe rberleistungsgesetzes dieser Mehrbedarf für schwangere Asylbewerberinnnen nicht mehr erteilt wird, obwohl gerade diese Frauen nicht selten mangelhaft ernährt sind und aufgrund ihrer Lebensschicksale manchmal besondere Probleme in der Schwangerschaft haben. Erwachsene Asylsuchende erhalten pro Monat zusätzlich zu den Sachleistungen ein Taschengeld von 80,DM. Davon müssen u.a. Körperpflegeartikel bezahlt werden. Häufig wird das Taschengeld der Frauen dem Ehemann als „Familienvorstand“ ausgezahlt. Es wird beobachtet, daß Frauen ihr Taschengeld häufig dafür verwenden, frische, vitaminreiche Na hrungsmittel und gelegentlich auch Süßigkeiten für die Kinder zu kaufen. Auch im Hinblick auf Sachle istungen ist, neben den negativen Auswirkungen auf die Betroffenen, festzustellen: Sachleistungen sind wesentlich teurer als Barauszahlungen. Es ve rdienen die Privatunterne hmen, die Essenspakete ausliefern und Kantinen betreiben. Von den öffentlichen Mitteln, die für Asylsuchende ausgegeben werden, kommt so nur ein Teil bei den Betroffenen an. Was die medizinische Versorgung angeht, so steht Asylsuchenden laut Asylbewerberleistungsgesetz nur eine medizinische Versorgung in akuten Fällen zu. Was darunter zu verstehen ist, wird von den verschiedenen Ärzten und zahlungspflichtigen Behö r25/26-1995 RUNDBRIEF den sehr unterschiedlich ausgelegt und führt in vi elen fällen zu extremen Härten. Verhütungsmittel für Frauen sind in der Regel nicht vorgesehen. In einigen Einrichtungen für Asylbewerber werden Kondome zur Verfügung gestellt, in anderen Einrichtungen muß auch darum gekämpft werden. Durch die Einschränkung der Kostenübernahme herrscht auch Verunsicherung bei Schwangerschaftsabbrüchen. Es ist eine Tendenz zu beobachten, daß die Kostenübernahme für Schwangerschaftsabbrüche eher durchzusetzen ist als die Versorgung von Frauen mit Verhütung smitteln. Aus den neuen Bundesländern wird berichtet, daß asylsuchende Frauen bei erforderlichen Schwangerschaftsabbrüchen auch auf illegale Strukturen zurückgreifen, wie sie sich unter den vietnamesischen Arbeitnehm erinnen zu DDR-Zeiten für die Fälle entwickelt hatten, in denen aus rechtlichen Gründen (wegen der Unterschreitung der sechsmonatigen Wartefrist zwischen zwei Unterbrechungen nach DDR-Recht) ein Abbruch in einer Klinik nicht möglich war. Problematisch ist ferner die Handhabung der nach der Neugestaltung des §218 vorgeschriebenen Schwangerschaftskonfliktberatung. Es besteht gelegentlich Unklarheit darüber, wer die Kosten für Dolmetscherin übernehmen soll. Offenbar sind „Beratungen“ bereits ohne Dolmetscherinnen bei gro- ßen Verständigungsproblemen durchgeführt wurden. 4.3 Beratung und Betreuung Die meisten Wohlfahrtsverbände und kirchlichen Werke waren nicht bereit, die Trägerschaft von Erstaufnahmeeinrichtungen zu übernehmen, da sie die Einrichtung derartiger Massenunterkünfte teilwe ise heftig kritisiert hatten. In einigen Fällen unterhalten sie unabhängige Beratungsstellen in den von privaten Betreibern geführten Erstaufnahmeeinrichtungen oder in deren näherer Umgebung. Dort leisten sie Asylverfahrensberatung und übernehmen soziale Beratungsfunktionen. Zu vielen Erstaufnahmeeinrichtungen haben Beschä ftigte von Beratungsstellen, Ange-hörige von Initiati vgruppen und Besucher der Asylsuchenden jedoch keinen Zutritt. Umgekehrt wird der Zugang Asylsuchender zu unabhängigen Beratungsstellen oder zu Rechtsanwälten durch die oft weitab gelegenen He ime erheblich eing eschränkt. Dies ist ang esichts der kurzen Fristen, die bis zur Anhörung oder bis zum Einlegen von Rechtsmitteln zur Verfügung stehen, höchst problematisch. Für Frauen verschärft sich die Situation insofern, als sie in der Kürze der Zeit und ohne entsprechende Beratung kaum in der Lage sind, frauenspezifische Verfo lgungsgründe vorzutragen. Frauen, die Folter oder se55 xuelle Gewalt erfahren haben, sind nach den Erfa hrungen der Beratungsste llen und psychosozialen Zentren erst nach einiger Zeit in der Lage, über ihr Schicksal zu sprechen. Diese Zeit wird ihnen in den verkürzten Verfahren jedoch nicht mehr zug estanden. Besonders für die neuen Bundesländer gilt, daß das Beratungsangebot für das Asylverfahren im allgemeinen und für asylsuchende Frauen im besonderen unzureichend ist, da das Beratungsnetz unabhängiger Gruppen noch sehr großmaschig ist. Die soziale Beratung in den Erstaufnahmeeinrichtungen ist häufig unzureichend, da eine Betreuungsperson in der Regel für mehr als 100 Asylsuchende zuständig ist. In manchen Einrichtungen stehen nur männliche Betreuer zur Verfügung, denen sich Frauen in der Regel nicht anvertrauen. Viele Betreuer und Betreuerinnen arbeiten mit befristeten Verträgen bzw. im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen und sind, da sie häufig aus anderen Berufsgruppen kommen, nur unzureichend für die Arbeit mit asyls uchenden Frauen qualifiziert. Die 1990 unerwartet einsetzende Zuwanderung aus Osteuropa in die DDR sowie die Aufnahmeve rpflichtung der neuen Bundesländer für Asylbewe rber nach dem Beitritt führten dazu, daß sich das Augenmerk vorrangig auf die Schaffung von Erstunterbringungsmöglichkeiten sowie die Entschärfung von auftretenden Konflikten 56 zwischen Teilen der einheimischen Bevölkerung, die vorher kaum mit Zuwanderung konfrontiert war, und den Asylsuche nden richtete. Für die Beachtung der spezifischen Situation weiblicher Flüchtlinge blieb da kein Raum. Diese Betrachtungsweise hat sich bis heute nur geringfügig ve rändert. Für die gesamte Bundesrepublik gilt: Ein paternalistischer Betreuungsengagement anstelle von Beratungsangeboten bzw. Angeboten zur Selbsthilfe dominiert. Zu beobachten sind ferner Berührungspunkte zwischen Flüchtlingsfrauen und anderen Gruppen, z.B. den als Arbeitnehmerinnen in die DDR gekommenen Frauen und Frauen aus Osteuropa und der „Dritten Welt“, die illegal als Arbeitskräfte angeworben und in die Prostitution gedrängt werden. Einige dieser Frauen halten sich anfangs in den Asylbewe rberunterkünften auf, sind dann aber nach kurzer Zeit unauffindbar. Für diese Frauen gibt es kaum Beratungs- und Hilfsangebote. Die besondere Situation weiblicher Flüchtlinge wird sowohl von den Ausländerbeauftragten als auch von den Gleichste llungsbeauftragten bislang stark vernachlässigt. Es bedarf gemeinsamer Aktivitäten dieser Institutionen, um unter Einbeziehung der einheimischen Bevölkerung mittelfristig Veränderungen herbeizuführen. Allerdings ist es dazu nötig, die Kompetenzen der Ausländerund Gleichstellungsbeauf- tragten zu erweitern und zu stärken, um sie künftig in die Diskussion um den Umgang mit Asylsuche nden einzubeziehen. 5.Forderungen und Empfehlungen zur Unterstützung von Flüchtlingsfrauen Abbau von Fluchtu rsachen 1. Der Handel mit Rüstungsgütern muß einer konsequenten Kontrolle unterliegen. Es dürfen keine Waffen in Kriegs- und Krisengebiete geliefert werden. 2. Die wirtschaftliche, kulturelle und politische Zusammenarbeit der Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten darf nicht dazu beitragen, menschenverletzende Regierungen zu stabilisieren. 3. Es muß auf die Schaffung von gerechteren weltwirtschaftlichen Strukturen hingearbeitet we rden. 4. Das internationale System des Flüchtling sschutzes darf in seinem Wesensgehalt, wie er z.B. in den Beschlüssen des Executivkomitees des UNHCR zum Schutz von Asylsuchenden und Flüchtlingen zum Ausdruck kommt, nicht durch die restriktive Asylpolitik der Staaten der Europäischen Union in Frage gestellt werden. 5. Die Sicherheit und Versorgung der Binne nflüchtlinge muß stärker berücksichtigt und durch das Schutzmandat einer inte rnationalen Organisation aufgefangen werden. 6. Innenpolitisch sind die Rechte von Frauen zu stärRUNDBRIEF 25/26-1995 ken (z.B.Schutz bei Gewalttaten gegenüber Frauen, auch in der Ehe). Nur so können außenpolitisch Frauenrechte immer wi eder zum Thema gemacht werden. Zugang zum Asylverfahren 7.Flüchtlinge aus Kriegs-und Krisengebieten dürfen nicht durch Visum sbestimmungen daran gehindert werden, in der Bundesrepublik Deutschland oder einem anderen europäischen Land Schutz zu suchen. 8. Es wird empfohlen zu prüfen, wie von seiten der Bundesrepublik eine Situation an den Landesgrenzen vermieden werden kann, die Flüchtlinge und insbesondere Frauen physisch gefährden kann. 9. Solange die pauschale Anwendung des Konzeptes sicherer Drittund Herkunftsstaaten praktiziert wird, ist zumindest sicherzustellen, daß die spezifische Situation von Frauen in den als sicher erklärten Staaten berücksichtigt und ggf. das Konzept auf sie nicht ang ewandt wird. 10. Wie im Rahmen der Übernahme von Flüchtli ngen aus Bosnien bereits geschehen, sollten ve rstärkt Möglichkeiten erwogen werden, besonders bedrohte Frauen in die Bundesrepublik zu übernehmen. Es wird empfo hlen zu prüfen, ob die Bundesrepublik sich an dem „Women -at-Risk“Propaganda des UNHCR beteiligen kann. 25/26-1995 RUNDBRIEF 11. §32a AuslG sollte in der Praxis angewandt we rden. Die Finanzierungsfragen zwischen Bund und Ländern müssen schnellstens einvernehmlich geklärt werden. 12. Statistiken zu Flüchtlingen sollten in Zukunft getrennt nach Geschlecht erhoben werden, wie dies auch in anderen europäischen Staaten zunehmend geschieht. Vorhandene Daten sollten zugänglich gemacht werden. Asylverfahren und Asylgewährung 13.Geschlechtsspezifisc he Verfolgung ist als Asylgrund anzuerkennen. 14. Im Asylverfahren ist sicherzustellen, daß Frauen von Entscheiderinnen und Dolmetscherinnen angehört werden. 15. Frauen müssen auf Wunsch getrennt von Familienangehörigen ang ehört werden, um ihnen zu ermöglichen, ihre Situation (z.B. erlittene Vergewaltigungen) darzustellen. 16. Frauen müssen auch zu einem späteren Zeitpunkt nach der Anhörung noch die Möglichkeit haben, die Verfolgungsgründe zu benennen (in Ausnahmefällen auch über ihre Vertrauenspersonen). Diese Möglichkeit muß vor allem in Fällen sexueller Gewalt gegeben sein. 17. In den Lageberichten des Auswärtigen Amtes über Herkunftsländer müssen Informationen über die Menschenrechtssituation von Frauen enthalten sein. Erste Ansätze in dieser Richtung sind auszubauen. 18. Entscheiderinnen und Entscheidern müssen Informationen, auch von unabhängigen Organisationen, über die Mensche nrechtssituation von Frauen zur Verfügung gestellt we rden. 19. Entscheiderinnen und Entscheider sollten verstärkt auf die spezifischen Probleme asyls uchender Frauen im Verfa hren hingewiesen werden. Es wird empfohlen, Richtlinien zu erarbeiten, die es Befragerinnen und Befragern ermöglichen, das Vorliegen geschlechtsspezifischer Verfolgung zu erkennen. 20. Es müssen politische Wege gefunden we rden, wie Frauen bei geschlechtsspezifischer Verfolgung Asyl gewährt werden kann. Der Bundesinnenminister ist aufgefordert, über den Bundesbeauftragten die möglichen Rechtsmittel in diesem Sinne einzusetzen. Die Innenministerien von Bund und Ländern sind aufgefordert, Abschi ebungsschutz für Gruppen verfolgter Frauen zu gewähren, die bisher im Asylverfahren nicht anerkannt wurden und dafür zu sorgen, daß auch in den Einzelfallprüfungen geschlechtsspezifische Abschiebungshindernisse geprüft werden. 21. Es wird empfohlen, ähnlich der Initiativen der Schweiz und Kanadas, eine Studie über rechtliche Möglichkeiten der Ane rkennung frauenspezifischer Verfolgung zu erstellen und die Richtlinien der kanadischen Regierung zur Asyl57 gewährung bei geschlechtsspezifischer Verfolgung in den deutschen Kontext zu übertragen. 22. Frauen, deren Asylbegehren abgewiesen worden ist, dürfen nicht getrennt von ihren Familien in die Heimatländer zurückgeschickt werden. Ehepartner mit unte rschiedlicher Staatsangehörigkeit dürfen nicht in unterschiedliche Länder abgeschoben we rden. 23. Frauen, die alleinstehend sind und ohne fa miliären Schutz nach einer Rückkehr Anfeindungen und Übergriffen ausgesetzt sind, dürfen nicht abgeschoben werden. Ein besonderer Abschiebung sschutz muß auch für Frauen greifen, die durch Ereignisse in der Bundesrepublik Opfer sexueller Gewalt wurden und aufgrund dessen den Schutz ihrer Familie im Herkunftsland verloren haben. Die soziale Situation weiblicher Flüchtlinge 24. Die Nachteile der zentralen Unterbringung von Asylsuchenden sind problematisch und müssen überprüft werden. Der dezentralen Unterbringung in kleinen Einrichtungen muß Vorrang gegeben we rden. 25. Die Unterbringung ssituation weiblicher Flüchtlinge erfordert ein deutliches Engagement der Innen- und Sozialministerien der Bundesländer. Bereits für die Erstaufnahmephase müssen Männer und Familien, geschaffen werden. Für alleinflüchtende Frau58 en, strikt getrennt von denen alleinreisender Männer und Familien, geschaffen werden. Für alleinflüchte nde Frauen sollen auch für die weitere Unterbringung während des Asylverfa hrens gesonderte Unterbri ngungsmöglichkeiten eing erichtet und auf Wunsch der Betroffenen bei der Umverteilung eine Unterbri ngung in diesen Einrichtungen vorgenommen werden. Für alleinflüchtende Frauen, die in der Bundesrepublik von Familienangehörigen aufgenommen werden können, sollte die Pflicht zur Wohnsitznahme in Sammelunterkünften außer Kraft gesetzt werden. 26. Die Privatsphäre weiblicher Flüchtlinge ist zu schützen. Santärräume müssen für Frauen und Männer getrennt eing erichtet werden und abschließbar sein. 27. Eine effizientere Kontrolle der Betreiber von Flüchtlingsunterkünften durch die Behörden auf der Basis von Mindestanforderungen, wie sie z.B. für Alten- und Pflegeheime üblich sind, ist einzuführen. In den Einrichtungen sollte nur qualifiziertes Betreuungspersonal beschäftigt sein. Der BetreuerinnenSchlüssel sollte verbessert und berufliche Fortbildungen ang eboten werden. 28. Ehepartner und Partner aus dauerhaften Lebensgemeinschaftten sind, auch wenn sie zeitlich unabhängig voneinander eingereist sind, gemeinsam zu verteilen. 29 Wo Flüchtlinge unte rgebracht werden sollen, müssen Maßnahmen durchgeführt werden, um die Bevölkerung darauf vorzubereiten und in Entscheidungen einzubezi ehen. 30. Asylsuchende müssen Sozialhilfeempfängern gleichgestellt werden. Sie sollen die Leistungen für Verpflegung, Kleidung etc. in Bargeld erhalten und nicht die minderwertige Versorgung durch Kantinenverpflegung oder Essenspakete, die nicht ihren Bedürfni ssen entspricht. 31. Asylsuchenden Frauen sollten Verhütungsmittel zur Verfügung gestellt werden. Die Schwangerschaftskonfliktberatung muß auch für weibliche Flüchtlinge gewährleistet werden. Die notwendigen Kosten für Dolmetscherinnen sind in die Kostenplanung einzubeziehen. Die für die Za hlung von Sozialhilfe zuständigen Ämter sind durch die Länder darauf zu orientieren, daß die Finanzi erung des Schwangerschaftsabbruchs über §120 Bundessozialhilfegesetz ermöglicht wird. 32. Frauen, die im He rkunftsland oder auf der Flucht Vergewaltigung erlitten haben, sollte die Möglichkeit einer therapeutischen Behandlung angeboten werden. 33. Der privaten Hilfsbereitschaft bei der Aufna hme von Flüchtlingen sollten keine bürokratischen Hi ndernisse in den Weg gestellt werden. 34. In allen Bundeslä ndern müssen Initiativen, die Flüchtlingsfrauen beraten, gefördert werden. Insbesondere ist die EinRUNDBRIEF 25/26-1995 richtung von Beratungseinrichtungen für Frauen auf der Flucht in den neuen Bundesländern zu fordern. Bereits bestehende Beratungseinrichtungen dieser Art in den alten Bundesländern sind weiterhin zu fördern. 35.Gemeinsame Aktivitäten der Ausländer- und Gleichstellungsbeauftragten zu weiblichen Flüchtli ngen sind anzustreben. Die spezifische Situation weiblicher Flüchtl-inge muß Bestandteil der Aktivitäten diese Stellen werden. 36. Politiker und Politikerinnen werden aufgefo rdert, Flüchtlinge nicht als Gefahr und Bedrohung darzustellen, die es im nati onalen Interesse abzuwehren gilt. In der Öffentlichkeit muß vielmehr das Ausmaß der internationalen Flüchtlingsproblematik verdeutlicht werden und die Verantwortung aller Länder, zur Lösung beizutragen. 37. die Arbeit von NGOs, die sich einsetzen, um Begegnungen zwischen Flüchtlingen und dem sozialen Umfeld zu ermöglichen, soll unterstützt werden (finanziell, aber auch durch öffentliche Anerkennung der Arbeit). l Es sollte generell darauf geachtet werden, daß Flüchtlinge nicht in entmündigender Weise ve rwaltet werden, sondern daß sie die Chance erha lten, ihre Lebenssituation selbst zu gestalten und bei der Konzeption und Durchführung von Maßnahmen für Flüchtlinge mi tzuwirken. Dies gilt insbesondere für Frauen, die überwiegend die Kinder versorgen und die Familien zusammenhalten. -----------Arbeitsgruppe `Fluchtgründe von Frauen/Situation der Flüchtlingsfrauen in der Bundesrepublik Deutschland` Frau Margit Gottstein, Sprecherin, Freie Unive rsität Berlin, Forschung sstelle Arbeitsmigration - In der Arbeitsgruppe hat eine Asylbewerberin mi tgearbeitet. - Die weiteren Mitglieder der Arbeitsgruppe kommen aus folgenden Institutionen, Verbänden, Initiativen o.ä.: 3.Frauenhaus Hamburg e.V., Ha mburg Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR), Bonn Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V., Bonn Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen, Stuttgart Bundesministerium für Frauen und Jugend, Referat 118, Bonn Büro der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange der Ausländer, Bonn CABANA - Begegnungsund Beratungszentrum für Aus- und Inländerinnen, Ökumenisches Informationszentrum Dresden e.V. , Dresden Demokratischer Fraue nbund e. V., Berlin Demokratischer Fraue nbund e. V., Greifswald Deutscher Akademikeri nnenbund, Essen Deutscher Ärztinnenbund e.V. Wuppertal Evangelische Frauenarbeit in Deutschland e.V. YWCA, Frankfurt/M. Initiative Interkulturelle Frauen- und Familienarbeit (IIFF) e.V., Offenbach/M. Mihraban Frauen im Asyl e.V., Leipzig Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Frauen, Brandenburg, Büro des Ausländerbeauftragten des Landes Brandenburg, Potsdam Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen, Berlin Beitrittserklärung/Abonnement o Hiermit erkläre ich meinen Beitritt zum „Förderverein Niedersächsischer Flüchtlingsrate.V.“ Die Satzung habe ich zur Kenntnis genommen und erkenne sie an. Das Abonnement des FlüchtlingsratRundbriefs ist in dem Vereinsbeitrag enthalten (Mindestbeitrag: 10,-DM pro Monat für Einzelpersonen und Initiativgruppen, Organisationen usw. und 5,-DM für Erwerbslose) 25/26-1995 RUNDBRIEF 59 Das „neue Asyl(un)recht“ Bilanz und Ausblick von Heiko Kaufmann 1 Am 01.07.1993 hat der Bundestag mit Zweidritte lmehrheit das Grundgesetz geändert und damit ein neues Asylrecht gescha ffen, bzw. das bis dahin bestehende Asylrecht fast vollkommen abgeschafft. Am 01.11.1993 trat das dazugehörige novellierte Ausländer- und Asylverfa hrensgesetz in Kraft und das neugeschaffene Asylb ewerberleistungsgesetz. Die Auswirkungen des neuen Asylrechts werden von der Bundesregierung als großer Erfolg betrachtet. Statistisch hat es dazu geführt, daß die Zahl der Asylbewerber in 1994 gegenüber dem Vergleichszeitraum 1993 um fast zwei Drittel zurückgegangen ist. Schon im Vorfeld hatten viele Organisationen und Einzelpersonen vor dieser Grundgesetzänderung gewarnt - und nach über einem Jahr Abschiebungsund Asylverhinderungspraxis hat die Wirklichkeit viele Befürchtungen noch übertroffen. Wir haben: • exterritoriale Lager auf Flughafengeländen für 1 Heiko Kaufmann ist Sprecher der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl e.V. . Pro Asyl ist die Bundesarbeitsgemeinschaft, in der sich Flüchtlingsräte, Vertreter von Menschenrechtsorganisationen, Kirchen Gewerkschaften, Woohlfahrtsverbänden und Initiativen für die Verbesserung der Situation von Flüchtlingen und des Flüchtlingsschutzes zusammengeschlossen haben. 68 Flüchtlinge aus sog. sicheren Herkunftsländern und für die, deren Reisedokumente fehlen oder gefälscht sind, • sog. sichere He rkunftsländer, von denen viele nach den Belegen von amnesty international, Menschenrechtsorganisationen und der UN als solche überhaupt nicht eing estuft werden können, • die im Schnellverfa hren arbeitenden Außenstellen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit Anhörungen, die oftmals mit ungeeigneten Dolmetschern durchgeführt we rden, • immer mehr Lager und Sammelunterkünfte in Deutschland, • die Gutschein- bzw. Gemeinschaftsverpflegungspraxis, • eine rigorose Abschiebepraxis, flankiert durch neu eingerichtete Hafthäuser und spezielle Abschiebegefängnisse, in denen Menschen eing esperrt werden, ohne kriminell zu sein, • Rückübernahmeabkommen, die täglich Menschen ins Elend transportieren; Rückübernahmeabkommen, über die der Bundesinnenminister sagt, „es sei ihm egal, ob dieser Staat das Prüfungsverfa hren durchführt, oder ob er sich seiner Pflicht entledigt“, • von diesem Innenminister eingesetzte Spähhubschrauber gegen Flüchtli nge, Infrarot-Technik im Grenzüberwachungsgebiet -..., • nach wie vor Entsche idungen des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, die Asylsuchenden immer wi eder (etwa vergewaltigten Flüchtlingsfrauen aus Bosnien) die Anerkennung ve rsagen, ihnen darüber hi naus auch noch den Abschiebungsschutz versagen - ebenso wird Kurden, Palästinensern und anderen Bürgerkriegsopfern no twendiger Schutz regelmäßig vorenthalten und Menschen aus den Kriegs- und Bürgerkriegsgebieten in Afrika, wo die heftigsten und grausamsten Kämpfe toben, kommen laut entsprechender Bescheide aus Regionen, in die angeblich gefahrlos abgeschoben werden kann ... Was wir nicht haben und das sollte ja nun auch nach den Aussagen vieler VerfechterInnen der Asylrechtsänderung in der SPD ein positiver Effekt der Grundgesetzänderung sein - ist, • die versprochene Ble iberechtsregelung und der Sonderstatus für Flüchtli nge aus Bürgerkriegsgebieten, die dadurch weite rhin oftmals einer inhumane Verfahrenspraxis ausgesetzt sind. RUNDBRIEF 25/26-1995 Der Zustand der Republik Im Kern der Debatte über die Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes - und in der Art sie zu führen - ging es nicht vo rrangig um Flüchtlinge und ZuwanderInnen, sondern um uns selbst , den Zustand der Republik: • Die Demontage des Grundrechts auf Asyl war nur die erste Etappe in einem Verteilungskampf, dessen zweite Runde wir gegenwärtig im weiteren Abbau von Sozialleistungen, höheren Belastungen der ArbeitnehmerInnen und den Versuch erleben, we itere demokratische Rechte und Errungenschaften abzubauen. • Die Debatte um die Änderung des Asylrechts und die gebetmühlenartige Wiederholung der Aussage „die Bundesrepublik Deutschland sei kein Einwanderungsland“ hat mehr zur Entstehung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in diesem Lande beigetragen als alles and ere. Denn eine solche „Lebenslüge“ macht es kurzfristig einfacher, wegzus ehen, wegzudrängen, auszugrenzen, den anderen und die anderen nicht wahrnehmen zu wollen, sich über sie zu erheben und nur sich selbst, seine eigenen Rechte und sein Wohlergehen zu sehen. • Dem individuellen Rassismus der Rechtsradikalen und Verführten wird durch noch so viele pädagogischen Aufklärung sprogramme nicht erfolgreich begegnet werden 25/26-1995 RUNDBRIEF können, wenn die politischen Parteien nicht endlich bereit sind, den institutionellen Rassismus dieser Gesellschaft abzuschaffen, der sich in dieser Lebenslüge und den daraus abgeleiteten Maßna hmen, Asylbeschleunigungsgesetzen, Verfa hrensvorschriften, minderen Sonder-“Rechten“ und in der Verweigerung der Einleitung gesellschaftlicher Reformen mit dem Ziel der Herstellung weltweiter sozialer Gerechtigkeit ausdrückt. Der Norden ist verantwortlich Auch wenn sich die Asylgesetze und die Flüchtlingszahlen ändern die Fluchtursachen in den Herkunftsländern haben sich nicht geändert. Für sie tragen die Industrienati onen - an entscheidender Stelle auch Deutschland aus politischen und ökonomischen Gründen eine so hohe Verantwortung, wie sie selbst fortwährend Ursachenfaktor für die Verarmung der Dritten Welt, für ungerechte Wirtschaftsstrukturen, für Waffenexporte und für die Aufrechterhaltung von Terrorregimen sind. Die westliche, unsere Art zu wirtschaften, unser Lebensstil fordern täglich mehr Opfer und beschwören den ökologischen Kollaps herauf. So bringt der Verfall der Rohstoffpreise unserer Wirtschaft Vorteile in Milliardenhöhe. Dabei geht es - gemäß eines Berichtes von Pro Asyl - mit den verschärften rechtlichen Bedingungen einher eine zunehmende Leisetreterei der Bundesregierung gegenüber Staaten mit schweren Menschenrechtsverletzungen und einem innenpolitisch nur noch „kosmetischen Menschenrechtsschutz“ für Flüchtlinge. Viele Lageberichte des Auswärtigen Amtes legen die Vermutung „einer absichtsvollen Verharmlosung der Menschenrechtssituation in vielen Herkunftsländern“ nahe, die zur Nichtane rkennung vieler bedrohter Flüchtlinge führt. Es ist politische Heuchelei, den Krieg in „Ex-Jugoslawien“ zwar als „völkerrechtswi drig“ anzuprangern, aber denjenigen Zuflucht und Hilfe zu versagen, die ihm entfliehen. Auch der UNHCR hat wiederholt gefordert, Abschiebung sschutz auch für Flüchtlinge zu gewähren, die zum Zeitpunkt ihrer Flucht gezwungen waren oder bei ihrer Rückkehr gezwungen wären, an völkerrechtswidrigen Handlungen teilzunehmen und bei denen ins ofern eine potentielle Strafe für Desertion oder für Nichtbefolgung von Einb erufung als Verfolgung angesehen werden muß. Zusammengefaßt muß gesagt we rden: • Die deutsche Asyl- und Ausländerpolitik der letzten 30 Jahre, die sich vor allem in einer zunehmenden Verschärfung von Gesetzen ausdrückt, ist gründlich gesche itert; • eine glaubwürdige Flüchtlings- und Migrationspolitik kann und darf sich nicht auf administrati69 ve Abwehrmaßnahmen gründen; • ein rein juristisches Instrumentarium von asylund ausländerrechtlichen Maßnahmen ist untauglich, den Auswirkungen globaler Entwicklungen angemessen zu begegnen; • der übliche verengte Blick nationaler Egoismen und eine rein reaktive Asylpolitik, die vorrangig nur die für die westlichen Aufnahmeländer sich ergebenden Folgen und Kons equenzen der Flucht, nicht aber deren Wurzeln und Entstehungsbedingungen untersucht, wird nicht zur Lösung des weltweiten Flüchtlingsproblems beitragen, sondern es eher noch verschärfen und zu einer Zunahme von Ressentiments und Rassismus beitragen. Eine umfassende Flüchtlings- und Migrationspolitik muß vor allem die zunehmende Komplexität von Fluchtursachen, die Lebensrealität und die Bedingungen von Flüchtli ngen berücksichtigen, die sie zur Flucht treiben. Nicht die Flüchtlinge, sondern die Fluchtursachen sind zu beseitigen. Im Mittelpunkt unserer innergesellschaftlichen Herausforderung steht künftig die Aufgabe, die Würde des Menschen , und zwar aller Menschen in Deutschland zu wahren. Es geht um den Artikel 1 uns erer Verfassung und damit um die Substanz dieses Staates. Nicht mehr Einm ischung des Nordens, sondern Einmischung im No rden müssen die Bürgerund Menschenrechtsbewe70 gungen als zentrale Aufg abe erkennen. Ziel kann nur eine auf mehr Partizipation und Demokratie ausgerichtete Weltgemeinschaft sein, die alle überleben läßt und geeignete globale Umverteilungsprozesse in die Wege leitet. Mindestanforderungen an ein neues Asylrecht Die Organisation Pro Asyl hat auf der Grundlage der Erfahrungen eine Liste mit Mindestanforderungen an ein neues Asylrecht vo rgelegt: • Die Drittstattenregelung ist auszusetzen, denn sog. „sichere Drittstaaten“ haben sich in der Praxis als nicht sicher erwiesen. • Die Anhörung des/der Ausländer/in darf frühestens am 7. Tag nach der Einreise, nach einer Gelegenheit zur Verfahrensberatung in eigener Sprache und Gelegenheit zur schriftlichen Antragsbegründung durchgeführt werden. • Für Klagen und Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes sollte die Rechtsmittelfrist einheitlich einen Monat betragen. Die Ausreisefrist hat auf jeden Fall mindestens einen Monat zu betragen und darf erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist beginnen. • Die Regelungen über sog. „sichere Herkunftsstaaten“ und für Läger an Flughäfen sind ersatzlos zu streichen. • Sämtliche Sonderregelungen bezüglich der Zustellungsvorschriften sind ersatzlos zu streichen. • Die Institution des Bundesbeauftragten ist abzuschaffen. • Der gesetzliche Zwang zur Unterbringung in Sammellagern ist zu b eenden. • Dem/der Asylantragsteller/in ist Gelegenheit zu geben, in der Erstaufna hmeeinrichtung von der Möglichkeit einer unabhä ngigen Rechts- und Verfa hrensberatung Gebrauch zu machen. • Bei der Feststellung von Abschiebehindernissen ist eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. • Die Bundesländer müssen das Recht erha lten, Abschiebestopps in eigener Kompetenz zu erlassen. • Inhaftierungen lediglich zur Sicherung der Abschiebungen sind unzulä ssig. • Ein eigener Rechtsstatus für Bürgerkriegsflüchtlinge muß endlich verwirklicht werden. • Als Altfallregelung ist zu fordern: - alle Flüchtlinge, die bisher vom Bundesamt anerkannt wurden, werden letztinstanzlich Anerkannten gleichgestellt. - Flüchtlinge aus Ländern mit hoher Anerkennungsquote, deren Verfa hren vor dem 01.01.93 eingeleitet wurden und seitdem anhängig sind, erha lten auf Antrag und bei Rücknahme des Asyla ntrags eine Aufenthaltsbefugnis und Arbeitserlaubnis; Flüchtlinge, deren Asylverfahren zum Zeitpunkt der Verabschiedung dieser Regelung bereits vier Jahre und länger anRUNDBRIEF 25/26-1995 hängig sind, erhalten auf Antrag und bei Rücknahme des Asylantrags eine Aufenthaltsbefugnis und eine Arbeitserlaubnis. - Flüchtlinge, die seit dem 01.01.91 wegen ta tsächlicher oder rechtlicher Abschiebehindernisse im Besitz einer Duldung sind, erhalten eine Aufenthaltsbefugnis und Arbeitserlaubnis. • Das Asylbewerberle istungsgesetz ist ersatzlos zu streichen. Darüber hinaus ist ein europäisches Asylrecht erforderlich, das die Sta ndards umsetzt, wie sie in den Empfehlungen des Exekutivkomitees der Hohen Flüchtlingskommissarin der Vereinten Nationen, den Empfehlungen des Europarates und im Handbuch der Hohen Flüchtling skommissarin enthalten sind. OVG Lüneburg bestätigt Urteil des VG Hannover zur Gruppenverfolgung von Kosovo-Albanern/innen von Kai Weber Mit Entscheidung vom 03.02.1995 (Az. 8 L 6719/94; 13 A 7303/93) hat das OVG Lüneburg den Antrag des Bundesbeauftragten auf Zulassung der Berufung gegen das anerkennende Urteil des VG Hannover im Verfahren eines Kosovo-Albaners abgewiesen! Die Anerkennung des KosovoAlbaners nach § 51 AuslG als politisch Verfolgter ist damit gem. § 80 AsylverfG rechtskräftig. Der Bundesbeauftragte hatte in seinem Antrag auf Zulassung der Berufung geltend gemacht, daß die Entscheidung 25/26-1995 RUNDBRIEF des Verwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 05.07.1994 - BVerwG 9 C 158/94 -) abweiche. In seiner Entscheidung stellt das OVG jedoch fest, daß das VG Hannover in seiner Entscheidung nicht von einem abstrakten Rechtssatz des BVG abgewichen sei. Mit der Feststellung, daß sich die Situation im Kosovo seit der Entscheidung des BVG weiter verschärft hat, habe das VG Hannover nicht gegen die Rechtsprechungsgrundsätze des BVG verstoßen, sondern sei „lediglich innerhalb des ihm zustehenden Wertungsrahmens bei der Würdigung des Tatsachenstoffes von der für die Annahme einer Gruppenverfolgung erforderlichen „Verfolgungsdichte“ ausgegangen, ohne einen von der zitierten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abweichenden abstrakten Rechtssatz aufzustellen oder die Voraussetzungen der Gruppenverfolgung im Sinne einer allgemeingültigen Begriffsbestimmung neu zu entwickeln“. 71 Da der Antragsteller seine Weigerung, Wehrdienst zu leisten, mit der Gefahr des völkerrechtswidrigen-Einsatzes in Berg-Karabach begründet und nicht mit einer allgemeinen Verweigerungshaltung, erfüllt er bezüglich der ihm drohenden Sanktionen seitens des armenischen Staates die Voraussetzungen für die Feststellen der Flüchtlingseigenschaften nach Art.1 A Ziff.2 der Genfer Flüchtlingskonvention. Dies gilt um so mehr, da ein solcher Einsatz nach den dem Bundesamt vorliegenden Erkenntnissen dem Antragsteller auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht (vgl. Brief der Human Rights Watch/Helsinkin an Levon Ter-Petrossian vom 06.08.1994; UNHCR vom 14.09.1994 - Az.: 100 ARM - 94/4010-JH/dm; Ergänzungsbericht des Auswärtigen Amtes vom 30.09.1994 Az.:514516.80/3 (Stand 26.09.1994); Pressebericht „The Amenian Reporter Int`L“ vom 10.09.1994 („A View of Amenia`s Army“); Bericht des Hilfskomitees „Bürgerlicher Beistand“ Moskau, vom 17.09.1994; sowie Bericht des MdB Udo Haschke über eine Reise im Auftrag der CDU/CSU Fraktion des Deutschen Bundestages in die Republik Armenien einschließlich Nagorny Karabach vom 22.11.1994). Die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG sind demnach gegeben. Auch liegt ein Abschiebungs hindernis gem. § 53 Abs. 4 vor. Der Antragsteller darf mithin zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht nach Armenien abgeschoben werden. Abschiebungshindernisse im bezug auf andere Staaten sind dagegen nicht ersichtlich.Die beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung ist Bestandteil dieses Bescheides. Knur Die Drittstaatenregelung in Artikel 16 a II GG und das Refoulement-Verbot im internationalen, besonders im Europarecht von RA Victor Pfaff 1 In diesen Tagen veröffentlicht ECRE eine Dokumentation zur Problematik des Umgangs der europäischen Staaten mit dem Refoulementverbot. Zwa nzig Beispiele von Zurückweisungen / Zurückschi ebungen /Ab-schiebungen Asylsuchender sind dokumentiert. Der Vorwurf ist begründet, das Non1Leicht gekürzter Vortrag, gehalten auf der Tagung der Evangelischen Akademie Mülheim/Ruhr am 3. Dezember 1994 80 Refoulement-Gebot sei mißachtet worden. Drei Beispiele:-Im Mai 1994 wird eine 5köpfige Familie aus Somalia ohne Prüfung des Asylgesuchs von Belgien nach Prag deportiert. Nach einem Transitaufenthalt wird sie nach Bratislava geschickt; die slowakischen Behörden verwe igern eine Asylantragste llung, es handle sich nicht um Flüchtlinge. Die Slowakei schiebt in die Ukraine durch, welche die Genfer Konvention bisher nicht ratifiziert hat. Dann verliert sich die Spur dieser Men- schen.m 3.2. 1994 kommt ein Algerier in Heathrow an. Ein Asylantrag wird abgelehnt. Am 28.4. erfolgt die Abschiebung nach Alicante. Am 10.5. erhält ein Rechtsanwalt in London einen Anruf, der Algerier befände sich in Abschi ebehaft, Asylantragstellung sei nicht möglich. Schließlich konnte doch erreicht werden, daß ein Asylantrag gestellt wird. Wieder auf freiem Fuß, taucht der Algerier aus Angst, erneut festgenommen und nach Algerien abgeschoben zu werden, unter. Am 12.5. RUNDBRIEF 25/26-1995 1994 kommen kurdische Minderjährige aus der Tü rkei unbegleitet auf dem Flughafen München an. Da sie über Rom geflogen waren, wo sie nur einen Transitaufenthalt hatten, werden sie zurückgewiesen und nach Rom zurückgeschickt. Italien läßt die Kinder in die Türkei zurücktransportieren. Dort verliert sich ihre Spur. Alles Verstöße gegen das Refoulementverbot. Lassen Sie mich Ihnen noch einmal sagen, was der Inhalt des Herzstücks des internationalen Flüchtlingsschutzes ist. Seinen stärksten Ausdruck hat dieses Verbot in Artikel 33 GK gefunden. Ziffer 1 der Vorschrift lautet: „Keiner der vertragschließenden Staaten wird einen Flüchtling auf irgendeine Weise über die Grenzen von Gebieten ausweisen oder zurückweisen, in denen sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Ra sse, Religion, Staatsang ehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht sein würde.“ Ein Staat darf eine Person nicht zur Rückkehr in ein Gebiet zwingen, in dem sie einer Verfolgung ausgesetzt wäre. Nicht entscheidend ist, ob die Person schon eingereist ist oder sich zwar auf dem Territorium aufhält, aber im ausländerrechtlichen oder grenzpolizeilichen Sinn - noch nicht eingereist ist, also noch nicht Betretenserlaubnis erhalten hat. Entscheidend ist, daß staatliches Handeln zur Auslieferung in die Verfo l25/26-1995 RUNDBRIEF gung führen könnte. Untersagt ist dieses staatliche Handeln. Das Refoulementverbot bezieht sich also auch auf Asylsuchende „an der Grenze“, wie üblicherweise - juristisch nicht ganz exakt - formuliert wird. Die letztere Auffa ssung ist bestritten. 1 Daß diese Auffassung neue rdings erst vertreten wird,2 stützt die hier vorgetragenen These, das Rad des internationalen Flüchtling sschutzes werde zurückgedreht. Es ist nicht der Ort, diese Diskussion einigermaßen vollständig zu referieren. Zwei Argumente aber doch: Die GK von 1951 hatte in der Vorkriegszeit Vorläufer seit dem Völkerbund. Das Refoulementverbot war dort schon völkervertraglich verankert und wurde dann in die GK übernommen. Ich zitiere beispielhaft aus Artikel 3 der Konvention über den Internationalen Status von Flüchtlingen vom 28. 10. 1933: „ ...Keinesfalls werden sie Flüchtlingen an der Grenze ihres He rkunftslandes die einreise verweigern.“ Der Generalsekretär der Vereinten Nationen nahm hierauf bei den Beratungen des Entwurfs der Konvention von 1951 ausdrücklich Bezug und schlug die Erweiterung vor, die neben dem He rkunftsland alle anderen Staaten einbezieht. An zweiter Stelle möchte ich auf Beschlüsse des 1Frowein-Zimmermann, der Völkerrechtliche Rahmen für die Reform des deutschen Asylrechts, Bundesanzeiger 1993, S. 28 f. 2vgl. Henkel, Kommentierung des § 26a, in: GKAsylVfG, Rdnr. 80 Exekutivkomitees für das Programm des UNHCR verweisen. Diesem Komitee gehören Vertreter von, ich meine, zur Zeit 42 Staaten an, darunter die Bundesrepublik Deutschland. Die Beschlüsse kommen nur im Konsens oder eben gar nicht zustande. Ihrer rechtlichen Natur nach sind diese Beschlüsse, soweit sie „nur“ Empfehlungen enthalten, völkerrchtliches soft -law. Ihnen kommt eine verhaltensteuernde Wirkung zu. Falls Staaten, die den Beschlüssen zugestimmt haben, davon abweichen wollen, müssen sie eine genügende Begründung geben, wenn sie sich nicht dem Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens ausli efern wollen3. Daß die Staaten diese Ex-ComBeschlüsse jedenfalls auf dem Papier ernst nehmen, geht daraus hervor, daß die Resolution der EGEinwanderungsminister betreffend Drittaufna hmestaaten vom 30.11./1.12. 1992 4 auf den Beschluß Nr. 58 bezugnehmen, auf den ich noch zurückkomme. Wiederholt hat sich das Komitee in Beschlüssen schwerpunktmäßig mit dem Gebot der Einhaltung des NonRefoulement-Prinzips befaßt5 erstmals 1977. In diesem ersten Beschluß wird bekräftigt, daß der Grundsatz des Non3Achermann/Gattiker, Sichere Drittstaaten, Überlegungen aus schweizerischer und europäischer Sicht, in: Asyl 1994, S. 27 4abgedruckt etwa in: Giesler/Wasser, Das neue Asylrecht, Köln 1993, S. 207 ff 5Ex-Com Nr. 6 (XXVIII) 1977; Nr. 15 (XXX) 1979; Nr. 58 (XL) 1989 81 Refoulement-Prinzips „sowohl an der Grenze als auch innerhalb eines Staatsgebietes“ gilt. Wie in Artikel 3 Abs. 1 des Dubliner Abkommens bestätigt, hat sich das jüngere Völkervertragsrecht von diese Auffassung nicht entfernt. In dem Abkommen verpflichten sich die Mitgliedsstaaten, „jeden Asylantrag zu prüfen , den ein Auslä nder an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mi tgliedsstaates stellt“. Inhalt des Non-RefoulementGrundsatzes ist auch das Verbot, den Asylsuchenden der Gefahr einer Kettena bschiebung auszusetzen. Zu prüfen ist also nicht nur, ob der Staat, in den unmitte lbar rückgeschickt wird, nicht verfolgt, sondern auch, ob diese Staat nicht in einen Verfolgerstaat der Herkunftsstaat ist. Das ist unbestritten. Aber was bedeutet es in der Praxis? Die Bundesrepublik Deutschland glaubte, es sich mit einem cordon sanitaire, verbunden mit biund multilateralen Rückübernahmenabkommen, leichtmachen zu können. Sie hat aber vergessen, in die Verträge eine Klausel aufnehmen zu lassen, durch welche es dem Vertragspartner untersagt wird, seinerseits Rücküberna hmeabkommen mit Viertstaaten abzuschließen. Das ist nicht geschehen (und hätte auch sicherlich nicht durchgesetzt werden können). Es gibt kein Patentrecht an Rücküberna hmeabkommen. So wird die Zurückweisung bzw. Abschiebung bald in eine offene Tunnelröhre erfolgen 82 Guckt der BGS hinein, lä chelt ihm von der anderen Seite vielleicht Saddam Hussein zu(...) Henkel schreibt zu diesem Problem 1 „Angesichts der Entwicklung, daß gegenwärtig jeder Staat bestrebt ist, die Verantwo rtung für Asylsuchende weiterzureichen, kann die Sicherheit des unmittelb aren Nachbarstaates letztlich nur attestiert werden, wenn in der Kette der Staaten, in die der Asyls uchende von dort aus weitergeschoben werden kann, zumindest der letzte Staat vor Erreichen des He rkunftsstaates den Grundsatz des Non-Refoulement beachtet und dem Asyls uchenden das wirtschaftliche Existenzminimum ermöglicht. Hat der letzte Staat in dieser Kette das Herkunftsland als verfolgungsfrei eingestuft, ohne daß der Asylsuchende diese Annahmen im Einzelfall widerlegen könnte, so ist der Grundsatz des NonRefoulement durch ihn nicht gewahrt, so daß schon der erste Staat in der Kette nicht für sicher erklärt we rden darf.“ Ich will das Beispiel einer solchen Kette nennen: Bundesrepublik Österreich - Ungarn; Ungarn hat Rücküberna hmeabkommen mit Kroatien, Slowenien, Rumänien und der Ukraine abschlossen. Wer kennt im voraus in je dem Fall den Weg, den der Flüchtling im Rahmen einer Kettenabschiebung geschoben wird? Kann der Bundesinnenminister Auskunft darüber geben, was 1Henkel, a. a. O. (24) Rdnr. 81 mit den 1. 528 Menschen geschehen ist, die in den ersten 10 Monaten des Jahres 1994 auf der Grundlage einen Rückübernahmeabkommens von deutscher Seite einem Nachbarstaat „ angeboten“ und von diesem angeno mmen wurden und daraufhin in diesen Nachbarstaat abgeschoben wurden, ohne daß sie zu ihren Asylantragsgründen befragt wo rden wären2 (...) Noch im Februar 1994, als der Bundesinnenminister triumphierend die gesunkenen Asylantragste llerzahlen bekanntgab und dies auf das geänderte Asylgrundrecht - sprich: die Drittstaatenregelung - zurückführte, erinnerte die Eu-Kommission den Rat und das Europäische Parlament an die Einhaltung des Non- Refoulement- mit seinem gesamten, hier aufgeführten Inhalt 3. Nachdem ich Sie mit Zitaten schon überhäuft habe, kommt es auf das eine nicht mehr an: „Allerdings ist die Einführung der Vorauswahlverfahren, mit denen bestimmte Asylanträge von einer eingehenden Prüfung ausgeschlossen werden, mit der Gefahr verbunden, das die Mi tgliederstaaten, wenn sie nicht mit großer Sorgfalt vorgehen, ungewollt gegen den Grundsatz des Ausweisungs- und Zurückweisungsverbots verstoßen. 2vgl. § 24 I 3 AsylVfG. - 918 Personen wurden von den Vertragspartnern nicht akzeptiert (Auskunft des BAFi) 3Com (94) 23 endg vom 23.2. 1994: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zu Zuwanderungsund Asylpolitik RUNDBRIEF 25/26-1995 Es dürfte daher schwierig sein, ganze Kategorien von Asylbewerbern vom wesentlichen Teil des Asylverfahrens auszuschließen; wie in der Entschließung über offensichtlich unb egründete Asylanträge (1992) bekräftigt wird, sollte jeder Asylantrag auf individueller Basis geprüft werden, da der Asylbegehrende die Gelegenheit erhalten muß zu erklären, warum in seinem Fall von der allgemeinen Regel der Nichtaufnahme abgewichen werden soll, dies auch dann, wenn er aus einem verfolgungssicheren Land kommt oder ein Drittaufnahmeland in Frage kommt.“ Mit dem Begriff Drittaufnahmeland ist der sichere Drittstaat gemeint. Wir können also festhalten: Zwar ist im Artikel 16a II GG eine Sicherung eing ebaut insofern, als im Drittstaat die Anwendung der GK und der EMRK sichergestellt sein muß. Aber: Was heißt schon Anwendung? In Deutschland zum Beispiel wird die GK in vielerlei Hinsicht nicht angewandt. (s.Artikel von V. Pfaff in diesem Rundbrief). Vor allem aber: Da es ein ganzes Netz von Rückübernahmeabkommen - besser gesagt: Weite rschiebungsabkommen gibt, und zwar ohne Isoli erung, brennt die grundgesetzliche Sicherung durch. Der Kurzschluß zwischen Erstabschiebestaat und Verfolgerstaat ist eing ebaut. Halten wir zweitens fest: Die Bundesrepublik Deutschland ist Vorreiter in der Durchsetzung des Pri nzips der sicheren 25/26-1995 RUNDBRIEF Drittstaaten und damit der Durchbrechung des Refoulementverbotes gewesen (...) Die Vereinten Nationen haben im November 1994 zwei Schutzzonen verloren: Eine in Bihac, die andere in Genf. Bihac und Genf sind eingekesselt und we rden beschossen. Bihac mit Granaten, Genf mit Beschlüssen über Mindestg arantien. Man diskutiert, deutsche Waffen und deutsche Soldaten in ExJugoslawien einzusetzen. In Genf stammen die größten der dort gelegten Tretminen aus deutscher Produktion. Auch hier die Frage, was tun.(...) Der Blick muß auf die Gefährdung des inte rnationalen Flüchtling sschutzsystems durch die deutsche und europäische Asylpolitik konzentriert werden. Die Fortdauer der Garantie des NonRefoulement-Grundsatzes muß erkämpft werden. Was inhaltlich zu fordern ist, ist klar. Seit vielen Jahren hat der Hochkommissar vom deutschen Gesetzgeber gefordert, die Genfer Konvention (wieder) zur Grundlage des Asylprüfungsverfahrens zu machen. Dazu gehören die Ex-Com-Beschlüsse und die im sogenannten Handbuch festgelegten Verfa hrensregeln und Prüfung smaßstäbe. Soweit es um die Drittstaatenklausel geht, fordert UNHCR, „dem Einzelnen zumindest eine faire Möglichkeit einzuräumen, die bei ihm vermutete Sicherheit im Drittland in einer Anhörung zu widerle- gen“ 1 Nach Auffassung des Bonner UNHCR-Amtes ist dies mit Artikel 16 a GG vereinbar 2. Das entspricht auch meiner Auffassung 3. Ich erwarte, daß das Bundesverfassungsgericht so entscheiden wird. Damit wäre aber nur ein Gefecht, nicht eine Schlacht oder gar der ganze Krieg gewonnen. Einstweilen sollten wir uns am ECRE-Pilotprojekt beteiligen, welches ein urgent-action-network für den Rechtsschutz in Drittstaatfällen und eine Sammlung und Rekonstruktion von Drittlandzurückweisungen zu Gegenstand hat. Kirchenasyl stemmen in Nord- Im „ G ü l d e n e n W i n k e l “ w e s t l i c h v o n H i l d e s h e i m g e h t d i e Ökum e ne neue Wege. Die evangelische Gemeinde in Nordstemmener Ortsteil G r o ß - E s c h e r d e u n d d i e katholische Gemeinde in Hildes heim-Sorsum haben einer türkischen Flüchtlingsfamilie gemeinsam Kirchenasyl gewährt. Seit 2 Monaten wohnt die Familie jetzt in einer leerstehenden Wo h nung in einem Gemeindehaus. Ismail und Selim Kurutluoglu waren vor vier Jahren nach Deutschland geflohen, weil sich Ismail in der Türkei als Mitglied e i n e r s o z i a l i s t i s c h e n O p p o s i ti onsgruppe vor Folter und Todes strafe fürchtete. Eine Menschen rechtsorganisation in Ankara hat inzwischen bestätigt, daß der Familie nach einer Abschiebung Gefahr drohen würde. Weitere Informationen: Pastor Melling hoff, Tel. 05069 - 2660 1Kumin, a. a. O., (31), S. 25 2Kumin, a. a. O., (31), S. 25 3vgl. Pfaff, Die Drittstaatenregelung in Artikel 16 a IIGG, in: Jahrbuch der Deutschen Stiftung für UNO-Fl ü c h t l i n g s h i l f e 1 9 9 3 , S . 37 ff. 83 Am 9. November fanden in ganz Europa Aktionen für die Rechte der Roma statt. In Deutschland beteiligten sich etwa 100 Roma mit einigen deutschen UnterstützerInnen an einer Besetzung des „Europahauses“ in Bonn. Zuvor hatten sie vor dem Innenministerium demonstriert, während eine Delegation eine Petition für ein Bleiberecht für die etwa 30.000 in NRW von Abschiebung bedrohten Roma überbrachte. Da die Delegation im Innenministerium erwartungsgemäß mit Floskeln abgekanzelt wurde, beschloß man, bei der „Ständigen Vertretung der Europakommission in Deutschland“ um Unterstützung nachzusuchen. Schließlich gibt es von den verschiedenen EU-Gremien klare Resolutionen, Entschließungen und Empfehlungen zur Förderung und zum Schutz der Roma. Die Stellvertreterin des Chefs des Hauses war auch durchaus eine „Europä-erin“, ihr leuchtete ein, daß die Roma das gleiche Anliegen haben wie auch die EU-Kommission, nämlich daß die Entschließungen der EUGremien auch von der BRD ernst genommen werden. Sie bot einen Sitzungssaal an, damit man nicht im Gang herumstünde. Die Roma wollten jedoch auf den Chef warten. dieser entpuppte sich dann nicht als EU-Vertreter in der EU. Erst nach langen Verhandlungen (derweil die Polizei selbstherrlich ein Hausverbot für die Presse verfügte) war er bereit, mit allen Roma, nicht nur mit einer Delegation, zu sprechen, die Presse hereinzulassen und von einer Räumung abzusehen. Als Ergebnis erklärte er sich bereit zu veranlassen, daß die EUKommission in Brüssel der Bundesregierung noch einmal offiziell die Roma betreffenden EU-Beschlüsse mitteilt. In Stuttgart wurden am 9.11. bei einer Pressekonferenz von GewerkschafterInnen, der VVN, Ohne Rüstung leben, Quäkern und der Aktion Zuflucht vier illegalisiert in der BRD lebende Roma „geoutet“. Das heißt, sie traten aus der Illegalität, in die sie die deutschen Behörden bei Drohung der Abschiebung drängen, heraus und stellten sich unter den Schutz der Öffentlichkeit. Personen der o. g. Organis ationen gewähren ihnen nun analog zum Kirchenasyl „Bürgerasyl“. Die vier Roma haben sich polizeilich gemeldet und Anträge auf Aufenthaltsbefugnis gestellt. Sie berufen sich dabei auf die Entschließung des Europa-Parlamentes vom 21.4.94, die unter Bezugnahme auf die Petition von Roma, die derzeit beim Europäischen Menschenrechtsausschuß geprüft wird (siehe SoZ Nr. 22 S.4), die EU-Mitgliedstaaten auffordert, nicht nach Rumänien und nach Ex-Jugoslawien abzuschieben. Psychologische Auswirkungen ethnischer Diskriminierung von Erdem Anvari Die Tatsache der Bewuß tseins- und Verhaltensänd erung bei ethnischen Mi nderheiten infolge von Ausgrenzungs- und Stigmatisierungsprozessen ist eigentlich nicht besonders neu. Breit angelegte Stud ien und sozioepidemiologische Untersuchungen dieses Phänomens werden schon seit geraumer Zeit 123 durchgeführt (s. Littlewood, Lipsedge 1982). Vornehmlich im angloamerikanischen und nordamerikanischen Kulturkreis sind hier Anstrengungen unternommen worden in diesen BereichKlarheit zu bringen. Es stellt sich die Frage wo und auf welche Weise Diskriminierung sich manifestiert. Gibt es schon institutionalisierte Diskriminierungs-und Ra ssismustendenzen oder fi ndet Ausgrenzung vornehmlich auf einer unterschwe lligen, kaum faßbaren Ebene statt? Beobachtungen haben gezeigt, daß Vertreter ethnischer Gruppen nicht nur im alltäglichen Leben auf der Straße benachteiligt we rRUNDBRIEF 25/26-1995 den, sondern Diskrimini erung auch am Arbeitsplatz und beispielsweise bei der Wohnungssuche zu finden ist (und dies trotz expliziter rechtlicher Gleichstellung sverordnungen). Konkret heißt das, daß Ausländer eher die schlechter bezahlten, sozial als niedrig angesehenen, belastung sreichen Arbeitsstellen ve rmittelt bekommen. Weite rhin findet eine geographische Ausgrenzung und Isolation bei der Unterbri ngung statt ("Ghettoisierung"). Eine weitere Möglichkeit wie sich Diskriminierung zeigen kann ist die der physischen Gewalt. Interessant hierbei zu erwähnen wäre eine englische Studie die besagt, daß das Auftreten von rassistisch motivierter Gewalt in einer bestimmten Art abhängig von vermittelten politischen Ideologien und populistischen Darstellungen der Begriffe Migration und Flüchtling ist. Diskriminierung und Ausgrenzung ist aber auch schon längst Bestandteil des alltäglichen und privaten Lebens geworden: Es werden Witze über auslä ndische Namen und mangelnde Sprachkenntnisse gemacht. Berufliche Erfa hrung und Intellektualisierungsgrad werden unte rschätzt. Es gibt keine gle iche und adäquate Behandlung in Geschäften, Diskotheken,etc... 124 Diese einzelnen sozialen und gesellschaftlichen Phänomene scheinen einzeln betrachtet als trivial; in ihrer Gesamtsumme alle rdings machen sie das Leben eines Ausländers oder Migranten unerträglich. Wie sind nun aber psychologische Auswirkungen und Veränderungen bei den Opfern zu beschreiben? Der Schwarzafrikaner der nur erfolgreich sein kann wenn er Musiker oder Boxer wird. Der nette Tü rke oder Italiener von nebenan der ein Delikate ssen- laden oder ein Restaurant führt. Sie nehmen nunmehr Vorurteile nicht nur als Erfahrung eines äußeren Zwanges wahr, sondern als einen Bestandteil des eigenen Selbstbildnisses und als das "kollektive Ausländersein". Es werden stereotype Übertragungsumd Identifikationsmuster übernommen. Durch die Introjektion von fremden Bezugssystemen und Anschaungsweisen entwickelt sich bei Ausländern schließlich eine konditi onierte Realitätswahrne hmung , welche in nicht zu wenigen Fällen zu enormen emotionalen Spannungen führt. Durch die Tatsache, daß nur bestimmte "Arten" von Ausländersein gesellschaftlich akzeptiert sind, wird es natürlich auch ungemein schwieriger für Migranten eigene kulturelle Güter und traditionelle Werte zu bewahren und der nächsten Generation we iterzugeben. Eindrucksvoll läßt sich diese Tatsache auf die hier geborene und aufgewachsene Generation von Ausländerfamilien übertragen: Hin und hergerissen zwischen mittele uropäischen Anpassung sprozessen und dem Lojalitätsgefühl der Familie und dem Herkunftsland gegenüber gestaltet es sich für diese Menschen als schwierig einen für alle Seiten akzeptablen Individuationsprozeß zu durchleben. Abhängig von gesellschaftlicher Aufnahme und Toleranz ist dann schließlich die Möglichkeit einer positiven, spannungsfreien Identitätsbildung. Aus psychosozialer Sicht läßt sich aus den genannten Erfahrungen ein typ ischer Sozialisationsprozeß beschreiben(s. Goffman 1975). Die Erfahrungen der" begrenzten Akze ptanz" und Ausgrenzung als Ausländer rufen psychologische Veränderungen und Neuorientierungen hervor , die wiederum die Prägung wichtiger Verhaltensmuster für die spätere soziale und gesellschaftliche Entwicklung bedeuten. Ein Gradmesser für diese hier beschriebenen psychosozialen Veränderungen wird meiner Meinung nach schließlich immer die in der Gesellschaft mehr oder weniger wahrnehmbare RUNDBRIEF 25/26-1995 Ängstlichkeit beziehung sweise Feindlichkeit allem Fremdem und Neuem gegenüber sein. Positiv beeinflußbar ist dies offe nsichtlich jedoch nicht nur durch Aufklärung und Verbesserung der öffentlichen Sensibilität. Wenn es darum geht gesellschaftliche Vorurteile abzubauen , muß ein rechtlicher Ra hmen vorhanden sein der eine gleiche Behandlung von Ausländern vorsieht und sicherstellt, daß die eigene kulturelle Identität bewahrt werden kann. Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetze hierfür wären somit Voraussetzung , um diese Forderung zu berücksichtigen. Gemeinsame Presseerklärung von des IIK, des niedersächsischen Flüchtlingsrats und der regionalen Koordinationfür Flüchtlingssozialarbeit im Reg.Bez. Hannover Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge unerwünscht und abgeschoben! Hannover, 21.2.1995 Fachleute der Flüchtling sarbeit (SozialarbeiterInnen der Zentralen Anlaufstellen Braunschweig und Langenhagen, des Heimverbundes des Jugendamtes Hannover, des Kinder- und Jugendheims St. Joseph, der Jugendwohngruppe des ISD Hameln u.a.) folgten den Einladungen der Regionalen Koordinierung sstelle der Flüchtlingssozialarbeit der Universität Oldenburg und berieten sich zum Thema Unbegleitete minderjährige Flüchtli nge. Kritisiert wurden insbesondere die Unterbringung ssituation, die fehlende Rechtssicherheit sowie die Abschiebung von minder25/26-1995 RUNDBRIEF 125 jährigen Flüchtlingen: Mit dieser Kritik schließen wir uns den Stellungnahmen der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung (Vgl. Veröffentlichung Nr.3 „A llein im Exil“ 4/1994) und ExpertInnen des DPWV (Vgl. Dokumentation der Fachtagung, Schriftenreihe Nr.46) an. Die besondere Situation der minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland stellt sich wie folgt dar: Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge sind häufig durch traumatische Erle bnisse in Ihrer Kindheit sowie während der Flucht gekennzeichnet. Ihre Situation verschlechtert sich darüber hinaus durch die vö l- lig unsichere Lebensperspektive im Zufluchtsland Deutschland. In einem Alter, in dem Gleichaltrige berufliche und/oder private Pläne für die Zukunft machen, ist den Flüchtlingsjugendlichen diese Möglichkeit gänzlich genommen. Die schwierige (aufenthaltsrechtliche) Situation bietet ihnen keinerlei Sicherheit. Besonders spitzt sich die Lage für Jugendliche zu, die älter als 16 Jahre sind. Ihnen wird ohne rechtliche Grundlage ein pädagogischer Betreuungsbedarf abgesprochen. Aufgrund unserer Erfahrungen in der Arbeit mit unb egleiteten minderjährigen Flüchtlingen haben wir gemeinsam folgende Forde- zurückgebliebenen Familie (Frau und Kind), die ebenfalls abgeschoben werden soll, sobald die Ausländerbehörde ihrer habhaft wird. Nähere Informationen zu dem Fall sind beim Asyl e.V. Hildesheim, Tel. 05121 - 132820, erhältlich. Fachaufsichtsbeschwerde des Flüchtlingsrats über die Bezirksregierung Weser-Ems (An das Niedersächsische Innenministerium) Sehr geehrter Herr Gutzmer, wie den beiliegenden „Hinweisen“ des Herrn Janßen vom 27.10.1994 zu entnehmen ist, denkt die Bezirksregierung Weser-Ems laut darüber nach, sich über die vom Land vorgegebenen „Grund sätze über die Unterbringung von ausländischen Flüchtlingen in Flüchtlingswohnheimen“ hinwegzusetzen: Hinsichtlich des Nachtdienstes in Wohnheimen sei, so die Bezirksregierung, „zu prüfen, ob dieser im bisherigen Umfang weiterhin erforderlich ist bzw. ob kostengünstigere Alternativen bestehen“. Weiterhin will die Bezirksregierung Weser-Ems „prüfen, ob auf den bisher für jedes Heim geforderten, aber nicht immer genutzten Gemeinschaftsraum zu Gunsten einer Unterbringung verzichtet werden kann“. Schon aus der Vergangenheit ist bekannt, daß eine Reihe von Unterkünften, die von der Bezirksregierung Weser-Ems genehmigt worden waren, nicht die vorgeschriebene Mindestquadratmeterzahl von 5 qm pro Person zzgl. 5 qm an Gemeinschaftsräumen aufwiesen. Nach Angaben von Sozialarbeitern/innen ist dies heute noch so, ohne daß die Bezirksregierung daran Anstoß nähme. Auch bei Vertragsabschlüssen zwischen der Bezirksregierung und privaten Betreibern von Wohnheimen kommt es, wie dem beiliegenden Artikel aus dem „Weserkurier“ vom 03.12.1994 zu entnehmen ist, zu einer Reihe von Merkwürdigkeiten: Uns ist unve rständlich, warum die Bezirksregierung Weser-Ems trotz des ausdrücklichen Verbots der Landesregierung, neue Verträge über Flüchtlingswohnheime abzuschließen, ausgerechnet erneut in einen Vertrag einsteigt, den die Gemeinde Wardenburg aufgrund schwerwiegender Vorwürfe gegen den Privatunternehmer (u.a. Betrug, illegale B eschäftigung, Vorenthaltung von Leistungen an Flüchtlinge) zuvor fristlos gekündigt hatte (s. auch den anliegenden Artikel aus der oldenburgischen Zeitung „Siesta“). Wir halten es für erstaunlich, wenn die Bezirksregierung Weser-Ems solche fragwürdigen Betreiber als Geschäftspartner akzeptiert und deckt. Für ungeheuerlich halten wir es, wenn die Bezirksregierung Weser-Ems nun auch selbst den Land kreisen den „Prüfauftrag“ zum Verstoß gegen die „Grundsätze über die Unterbringung von aus134 RUNDBRIEF 25/26-1995 ländischen Flüchtlingen in Flüchtlingswohnheimen“ (Nds. Mbl. Nr. 22/1991 S. 812) e rteilt. Die Bezirksregierung Weser-Ems macht mit ihrem Vorgehen die Vorgaben des Landes zu Makulatur, sie karrikiert damit sämtliche Bemühungen zur verbindlichen Festlegung von Mindeststandards zur Unterbringung von Asylbewe rbern/innen. Ich bitte daher um eine Überprüfung dieser Praxis und verbleibe mit freundlichen Grüßen Kai Weber und die Antwort des Ministeriums: Sehr geehrter Herr Weber, Ihr Schreiben vom 13.12. 1994 habe ich erhalten. Leider komme ich erst heute dazu, Ihren Brief zu beantworten. Ich bitte, die auf einen zeitweiligen Personalengpaß im zuständigen Referat meines Hauses zurückgehende lange Bearbeitungsdauer zu entschuldigen. In ihrer Beschwerde beanstanden Sie die Verfügung der Bezirksregierung WeserEms vom 27.10.1994, mit der die kommunalen Körperschaften des Bezirkes aufgefo rdert werden, über kostensenkende Maßnahmen bei den bestehenden Flüchtling swohnheimen nachzudenken. Wie ich Ihren Ausführungen entnehme, befürchten Sie, daß die Bezirksregierung Weser-Ems sich in eigenmächtiger Art und Weise und zum Nachteil der in den Wohnheimen untergebrachten Flüchtlinge über die im meinem RdErlaß vom 16.04.1991 enthaltenen Unterbringungsgrundsätze des Landes hinwe gsetzt. Dies ist jedoch so nicht der Fall. Der Niedersächsische Landesrechnungshof hatte im Rahmen seiner Prüfungen der Kostenerstattungsleistungen an Kommunen für die Unterbringung von ausländischen Flüchtlingen die Feststellung getroffen, daß nicht alle bisher in Flüchtlingswohnheimen gewährten Leistungen und Standards für einen reibungslosen Heimbetrieb unter B erücksichtigung einer angemessenen menschenwürdigen Unterbringung von Flüchtli ngen unbedingt erforderlich sind. So wurde beispielsweise festgestellt, daß die nach den Unterbringungsgrundsätzen geforderten Gemeinschaftsräume sowie die dort aufgestellten Fernsehgeräte häufig nicht genutzt wurden. Des weiteren hat der Landesrechnungshof gerügt, daß Betreiber teilweise das vertraglich vorgesehene Personal nicht oder nicht in dem vereinbarten Umfang beschäfigt hatten. Gleichzeitig wies er aber darauf hin, daß hierdurch nicht unbedingt auch der Betrieb des Heimes und die Betreuung der Bewohner beeinträchtigt gewesen sei. Aus diesem Grunde müsse u. a. darüber nachgedacht werden, ob die Anforderungen in den Wohnheimen im bisherigen Umfang auch weiterhin beibehalten werden müssen. Im Hinblick auf die schwierige Finanzlage des Landes hat der Landesrechnungshof die Forderung aufgestellt, alle Möglichkeiten zur Reduzierung der Kosten für das Land im Wohnheimbereich auszuschöpfen und nach Möglichkeit Leistungen und Kosten auch bei bestehenden Wohnheimen zu reduzieren. Diese Forderung wurde auch in den Ausschüssen des Niedersächsischen Landtages im Rahmen der Beratungen der Landesrechnungshofstellungen von dort nochmals bekräftigt. 25/26-1995 RUNDBRIEF 135 Auch nach den Erfahrungen der Bezirksregierungen sowie nach den Feststellungen der unmittelbar von mir vorgenommenen Heimkontrollen wird es in der Praxis ohne e ine Verschlechterung der Unterbringungssituation für die Flüchtlinge in dem einen oder anderen Fall durchaus möglich sein, durch eine Veränderung bestimmter Leistungen und Anforderungen zu Kosteneinsparungen zu gelangen. Bei diesen Überlegungen muß einfach berücksichtigt werden, daß sich in der Unte rbringungssituation Veränderungen vollzogen haben. Geringere Asylbewerberneuzugänge, längere Aufenhaltsdauer bestimmter Personen in den Heimen oder auch die Unterbringung von Nicht-Asylbewerbern in Heimen (Fremdbelegung) stützen die Frage, ob auch in Zukunft an den Grundsätzen über die Unterbringung von ausländischen Flüchtlingen im Lichte dieser Entwicklungen weiterhin uneingeschränkt als unumstößliche Vorgabe in jedem Einzelfall festgehalten werden kann. Es ist z.B. in der Tat darüber nachzudenken, ob in allen Fällen eine derart intensive soziale Betreuung, wie sie bisher bei kurzer Aufenthaltsdauer und großer Fluktuation in den Heimen nötig war, auch weiterhin erforderlich ist. Die Bezirksregierungen sind deshalb von mir gebeten worden, zu diesen Fragen entsprechende Überlegungen anzustellen. Ich habe jedoch gleichzeitig darauf hingewi esen, daß in diesem Zusammenhang pauschale Leistungsstreichungen nicht sachg erecht sind. Vielmehr muß, um zu sinnvollen Ergebnissen zu gelangen, in jedem Einzelfall bezogen auf die konkreten Verhältnissen vor Ort geprüft und unter Berücksichtigung aller Aspekte abgewogen werden, in welchem Maße der bisherige Leistung sumfang reduziert werden kann, ohne die Funktion des Flüchtlingswohnheimes zu b eeinträchtigen. Ich gehe davon aus, daß aufgrund dieser Vorgaben in jedem Flüchtlingswohnheim die Standards und Leistungen erhalten bleiben, die aufgrund der speziellen Unterbri ngungssituation auch tatsächlich nötig sind, auf der anderen Seite aber solche Leistungen abgebaut werden, auf die ganz oder teilweise verzichtet werden kann. Mit freundlichen Grüßen Im Auftrage Gutzmer Aufstand in der ZASt Langenhagen: Flüchtlinge klagen über unzumutbare Lebensbedingungen — Bericht über das Gespräch zwischen der Bezirksregierung, der ZASt-Leitung und einem Flüchtlingskomitee der ZASt am Dienstag, den 20.12.94 — 136 RUNDBRIEF 25/26-1995 5. Aufenthaltsraum Es fehlt ein Aufenthaltsraum mit Fernseher und anderen Kommunikationsmitteln. Auch eine Teeküche ist nicht vorhanden. Wir vermissen auch einen Telefonkarten- Anschluß mit der Möglichkeit, von außen angerufen werden zu können. 6. ReisemöglichkeitenNur in außerordentlichen Fällen wie Tod oder Hochzeit werden Reisegenehmigungen erteilt, ansonsten wird sie verweigert, etwa wenn man Verwandte besuchen will. Ein Besuch bei Verwandten oder Bekannten ist für uns eine der wenigen Möglichkeiten, in Kontakt zur Außenwelt zu treten. Es müssen daher Maßnahmen getroffen werden, um Besuche von außen in der ZASt und umgekehrt zu ermöglichen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, daß manche von uns sich nunmehr seit Monaten zwangsweise in der ZASt aufhalten und bisher nicht verteilt wurden. 7. Verteilung Bei der Aufnahme der Asylanträge wurde uns gesagt, daß man uns nach „höchstens 2 bis 3 Wochen“ verteilen würde. Dabei gibt es hier Menschen, die seit 6-8 Monaten hier sind und immer noch nicht auf die Kommunen verteilt wurden. Wir haben auch hier eher das Gefühl, als Kriegsgefangene und nicht als verfolgte Menschen behandelt zu werden. Langenhagen, den 14.12.1994 Niedersächsisches Innenministerium, Hannover, den 17.01.1995 41-12235-20.1 Zentrale Anlaufstellen für Asylbewerberinnen und Asylbewerber Kabinettsvorlage des Innenministeriums vom 22.11.94 Unterrichtung über die Prüfung der interministeriellen Arbeitsgruppe Das Kabinett hat in seiner Sitzung am 29.11.94 unter TOP IV die o.g. Vorlage erörtert und beschlossen, zunächst eine Arbeitsgruppe, bestehend aus der Staatskanzlei, dem Innenministerium (federführend), dem Sozialministerium, dem Kultusministerium, dem Justizministerium und dem Frauenministerium einzusetzen. 25/26-1995 RUNDBRIEF 145 Über das Ergebnis der Prüfung durch die Arbeitsgruppe soll der Innenminister das Kabinett bis spätestens Ende Januar 95 unterrichten. Die Arbeitsgruppe, in der auch das Finanzministerium mitgewirkt hat, hat ihre Arbeit abgeschlossen. Die Kabinettsvorlage des Innenministeriums wurde im wesentlichen unter folgenden Aspekten besprochen: 1. Prüfung des längerfristigen Bedarfs des Landes Niedersachsen an Erstaufnahmekapazitäten für ausländische Flüchtlinge, 2. Aspekte einer sozialverträglichen und humanen Unterbringung bei längerfristigem Aufenthalt in den ZASten, 3. Kostensituation bei Unterbringung und Versorgung der Asylsuchenden in den ZASten im Vergleich zu den Gemeinden Zu 1.: Die Zahl der vom Land für die Durchführung des Asylverfahrens vorzuhaltenden Unterbringungsplätze in Aufnahmeeinrichtungen hängt ab vom Zugang der Asylbegehrenden und von deren Verweildauer. a.) Zugangssituation: Der seit Mitte 1993 zu beobachtende Rückgang der Asylbewerberzahlen ist im Verlaufe des Jahres 1994 zum Stillstand gekommen. Im Jahre 94 haben 14.241 Personen in Niedersachsen einen Asylantrag gestellt. Der durchschnittliche monatliche Zugang an Neuanträgen betrug damit ca. 1.200. Der Asylbewerberzugang unterliegt jedoch im Verlauf eines Jahres beträchtlichen Schwankungen. Der geringste Zugang in 1994 war im April mit 989 Personen und der höchste Zugang im November mit 1.497 Personen zu ve rzeichnen. Bemerkenswert ist, daß gegen Jahresende die Zugangszahlen deutlich gestiegen sind (Zuwachs im November gegenüber Oktober um 25%, nämlich von 1.197 auf 1.497, Dezember: 1.335). Als Grundlage für die Berechnung der zukünftig benötigten Unterbringungskapazitäten in den Zentralen Anlaufstellen soll für 1995 von einem Zugang von 14.500 Personen ausgegangen werden Da nicht alle Antragsteller auch tatsächlich durch die ZASten laufen (z.B. Folgeantragsteller oder Jugendliche, die in Jugendhilfeeinrichtungen untergebracht sind), soll hierfür ein Abschlag von 1.000 angesetzt 146 werden, so daß für 1995 insgesamt von 13.500 Personen ausgegangen werden soll, die in den ZASten aufgenommen werden müssen. b) Verweildauer in den ZASten: In ca. 20% aller Fälle wird der Asylantrag als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt. Der Aufenthalt dauert in diesen Fällen durchschnittlich ca. 6 Wochen (B earbeitungszeit beim BAFI, einstweiliges Rechtschutzverfahren, Aufenthaltsbeend igung unmittelbar aus der ZASt). Bei 52 Wochen im Jahr sind 8,7 Durchgänge für diesen Personenkreis möglich, d.h. ausgehend von einem Gesamtjahreszugang von 13.500 werden rechnerisch 310 Plä tze benötigt (20% von 13.500=2.700:8,7=310). In 80% aller Fälle wird der Asylantrag entweder „einfach unbegründet“ abgelehnt oder der Betreffende wird als Asylberechtigter anerkannt oder der Antrag erledigt sich auf sonstige Weise, z.B. durch Antragsrücknahme. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer in den ZASten beträgt in diesen Fällen ca. 12 Wochen, d.h. es sind 4,33Durchgänge möglich. Für diese Personen werden mithin 2.494 Plätze benötigt (80% von 13.500=10.800:4,33=2.494). Ingesamt ergibt sich damit ein rechnerischer Bedarf von 2.804 Plätzen in den Aufnahmeeinrichtungen des Landes Ni edersachsen. Damit sind weiterhin vier Zentrale Anlaufstellen mit je 700 Plätzen in Niedersachsen erforderlich. Dieses Ergebnis wird durch folgende Gesichtspunkte gestützt: - Die Schätzung der Zugangszahlen basiert auf den Ist-Zahlen des Jahres 1994. Der Zugang kann jedoch jederzeit auch wieder ansteigen. - Die Zugänge unterliegen starken Schwankungen (s. oben). Die Erstaufnahmekapazitäten des Landes müssen gemäß $47 AsylVFG so ausgerichte sein, RUNDBRIEF 25/26-1995 daß das Land jederzeit auch mit den Spitzenzugängen fertig wird. - Nicht alle Plätze in den Zentralen Anlaufstellen können auch tatsächlich für die Unterbringung genutzt werden. - In Deutschland befinden sich ca. 300.000 bis 400.000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien, die bisher keinen Asylantrag gestellt haben. Sollten sie zu gegebener Zeit zur Erlangung eines längeren Aufenthaltsrechtes Asylanträge stellen, müssen sie in den ZASten untergebracht werden. - Das BAFI plant, sein Personal von 3.900 auf 3.000 Personen zu reduzieren. Es muß daher mit längeren Bearbeitungszeiten und damit auch mit längeren Aufenthaltszeiten in den ZASten gerechnet werden. Das rechnerische Ergebnis wird bestätigt, wenn für die Ermittlung des zukünftigen Bedarfs von der Belegung ausgegangen wird, wie sie sich im Verlaufe des Jahres 1994 tatsächlich ergeben hat. Die ZASten waren im vergangenen Jahr im Durchschnitt mit 1.750 Personen belegt. Dieser Wert erfordert für die Errechnung der vorzuhaltenden Kapazität aufgrund der vorstehend genannten Gesichtspunkte jedoch einen Zuschlag. Legt man hierfür die Hälfte der Differenz zwischen der rechnerischen Platzzahl von 2.804 und der tatsächlichen Durchschnittsbelegung im Jahre 1994 von 1.750 zugrunde, so ergibt sich ein Platzbedarf von 2.277 Plätzen (2.804-1.750:2=527. 1.750+527=2.277). Dieser Wert wird durch die höchste im Verlaufe des Jahres 1994 ereichte Tagesbelegung von 2.324 Personen unte rmauert. (Die höchsten Tageswerte der einzelnen ZASten, allerdings zu verschi edenen Zeitpunkten: ZASt Braunschweig: 635, ZASt Langenhagen: 596, ZASt Lüneburg: 674, ZASt Oldenburg: 625) 25/26-1995 RUNDBRIEF 147 Auch nach dieser Betrachtungsweise werden also weiterhin vier Zentrale Anlaufstellen benötigt. Für eine Fortführung der ZASt Braunschweig spricht darüber hinaus, daß die ZASt Langenhagen (ehemalige BoelckeKaserne neben dem Flughafen) und die ZASt Lüneburg (ehemalige BGSUnterkunft) aufgrund der Befristungen der Mietverträge mit dem Bund nur bis 1998 abgesichert sind. Der Bund hatte in den Vertragsverhandlungen Verlängerung soptionen abgelehnt. Verkaufsverhandlungen zwischen der Flughafengesellschaft in Langenhagen und dem Bund wegen der ehemaligen Boelcke-Kaserne stehen kurz vor dem Abschluß. Die Absichten des Flughafens bezüglich des ZASt-Geländes sind konkret noch nicht bekannt. Es muß aber damit gerechnet werden, daß der Flughafen wegen eigenen Bedarfs den Mietvertrag nicht mehr verlängert. In Lüneburg gibt es Bestrebungen der Stadt, das ZASt-Gelände wegen seiner Nähe zur Innenstadt anderen Zwecken zuzuführen. Wenn der Bund das ZAStGelände verkauft, dürfte der Mietvertrag mit dem Land nicht mehr verlängert we rden. Das bedeutet, daß die ZASt Braunschweig fortbestehen muß und hierfür die Husaren-Kaserne übernommen werden muß, da die bisherigen Räumlichkeiten abgängig sind (ehemalige TannenbergKaserne) bzw. nur mit unvertretbar hohem Kostenaufwand weiterbetrieben werden können (Unterkunft Altewiekring). Eine Schließung der ZASt Braunschweig hätte zur Folge, daß die bisherige Freistellung der Stadt Braunschweig von der Pflicht zur Unterbringung Asylbegehrender beendet wäre und ihr wieder Asylb ewerber zugewiesen werden müßten. Die Stadt müßte bei erwarteten 14.500 Zugängen und einer Quote von 3,35% im Jahre 1995 insgesamt 486 Personen unterbringen. Da die Stadt über keine and eren Unterbringungsmöglichkeiten verfügt, müßte sie selbst auf die HusarenKaserne zurückgreifen. Die Kosten für Herrichtung und Betrieb müßte ebenfalls das Land tragen. Im Ergebnis lassen sich damit nennenswerte Einsparungen durch die Schließung der ZASt Braunschweig nicht erzielen. Zu 2.: Da wegen der Schwankungen der Zugänge und der Aufenthaltsdauer nicht alle Plätze in den ZASten stets mit Neua nkömmlingen belegt sind, beabsichtigt das Innenministerium, diese Plätze durch eine entsprechende Umstrukturierung der ZASten auch für einen längeren Aufenthalt (bis zu einem Jahr) zu nutzen. Die hiermit im Zusammenhang stehenden Fragen wurden wie folgt erörtert: - Beschulung schulpflichtiger Kinder Die im Wohnbereich untergebrachten Kinder sind schulpflichtig. Da ein Einsatz von Lehrern in den ZASten wegen Fehlens entsprechender Stellen nicht möglich ist, kommen für die Beschulung nur die umliegenden Schulen in Betracht. Es bestand Einvernehmen, daß wegen der sich aus der erhöhten Fluktuation ergebenden Belastung dieser Schulen und zur Vermeidung eines Schulwechsels nach einem Jahr Familien mit schulpflichtigen Kindern in der Regel auf die Gemeinden verteilt werden sollen. - Unterbringung alleinreisender Frauen Alleinreisende Frauen sollen unter Berücksichtigung ethnischer und kultureller Gesichtspunkte in speziell für sie ausgewiesenen Zimmern in Gebäuden untergebracht werden, die sonst nur noch mit Familien belegt sind. Diese Form der Unterbringung ist aufgrund der Erfahrungen in der Praxis der Einrichtung von gesonderten „Frauenhäusern“ vorzuziehen. Den Frauen stehen abgetrennte und ab148 schließbare Dusch- und Umkleideräume zur Verfügung. Die Flure sind mit No trufeinrichtungen ausgestattet, mit denen im Notfall Hausalarm ausgelöst und das Personal der ständig besetzten Eingangspforte alarmiert werden kann. - Unterbringung und soziale Betreuung von Familien Für die Unterbringung im Wohnbereich der ZASten gelten die gleichen Regeln wie für die Wohnheime in dem Kommunen, d.h. die Unterbringung erfolgt unter Berücksichtigung ethnischer und kultureller Gesichtspunkte. Jedem Bewohner müssen mindestens 5qm als persönlicher Bereich und 10qm unter Einschluß sämtlicher Nebenflächen, d.h. Gemeinschaftsräume, Flure usw. zur Verfügung stehen. Die Gemeinschaftsunterkünfte werden mit kleinen Küchen ausgestattet, damit die Bewohner die Möglichkeit haben, sich zusätzlich zur Verpflegung durch die Gemeinschaftsküche eigene Speisen und Getränke zuzubereitenen. Auf freiwilliger Basis bestehen auf dem ZASt-Gelände Arbeitsgelegenheiten (Gartenarbeit sowie sonstige dem Erhalt der Einrichtung dienende Verrichtungen). Zur Freizeitg estaltung stehen Spiele und Sportgeräte zur Verfügung. Ferner gibt es einen großen Aufenthaltsraum mit Fernseher sowie in jedem Haus Aufenthaltsräume. Für die soziale Betreuung sind insgesamt in allen vier ZASten des Landes 73 Personen eingesetzt (Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, Krankenschwestern, Erzieherinnen und Erzieher). -Kriterien für die Verteilentscheidung Für die Frage, wo Asylsuchende untergebracht werden sollen (Verteilung auf die Gemeinden zur Unterbringung in Einze lwohnungen oder Flüchtlingswohnheimen, Verbleib im Unterkunftsbereich der ZASten) ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Es soll in jedem Einzelfall geprüft werden, in welcher Unterkunft die RUNDBRIEF 25/26-1995 einzelnen Personen angemessen unte rgebracht werden können. Hierbei spielt die Aussicht, ein dauerhaftes Bleiberecht zu erhalten, eine Rolle, entscheidend sind jedoch soziale Kriterien. Auch soll den Flüchtlingen nach Möglichkeit ein eigener Entscheidungsspielraum eingeräumt we rden. Eine Verteilung auf die Gemeinden ist insbesondere dann angebracht, wenn z.B. verwandtschaftliche Bindungen vo rhanden sind, gesundheitliche Gründe eine Unterbringung vor Ort erforderlich machen oder sonstige humanitäre Gründe von vergleichbarem Gewicht vorliegen. Wenn von vornherein klar ist, daß selbst bei negativem Ausgang des Asylverfa hrens eine Aufenthaltsbeendigung in absehbarer Zeit nicht möglich ist, soll ebenfalls frühzeitig auf die Gemeinden verteilt. Wichtig ist, daß nicht schematisch vorgegangen wird, sondern mit Hilfe der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in jedem Fall eine differenzierte Auseina ndersetzung mit dieser Frage erfolgt. Zu 3.: Die bei Realisierung der Konzeption einer flexiblen Nutzung der ZASt-Plätze zu erzielende Einsparung von 600 DM pro Person pro Monat errechnet sich wie folgt: a) Kosten bei Unterbringung in der ZASt: - Verpflegungskosten (tgl. 9,00 DM incl. MWSt x 30 Tage) 270 DM - Taschengeld 70 DM - Betriebskosten (Energie, Wasser, Abwasser, ohne Miete und Personal 60 DM ----------400 DM b) Kosten bei Unterbringung in Kommune: 25/26-1995 RUNDBRIEF 149 - Unterbringungskosten (dezentrale Unterbringung ca. 60% d. Asylbewerber =300 DM, Unterbringung in GU´s ca. 40% d. Asylbewerber =700 DM) 460 DM - Regelleistungen nach dem AsylbLG, durchschnittlich ca. 410 DM - Kosten für einmalige Leistungen (Einrichtung, Hausrat etc.) 130 DM ----------1000 DM Kosten für Krankenhilfe und sonstige Hilfe in besonderen Lebenslagen fallen in beiden Fällen in etwa gleicher Höhe an. Diese Berechnung geht von der Prämisse aus, daß die vier ZASten als Aufnahm eeinrichtungen vorgehalten werden müssen (s. oben). Die Personal- und Objektkosten (Miete, Bewachung) der ZASten müssen bei der Vergleichsberechnung also unberücksichtigt bleiben, da sie auch bei Nichtbelegung von Plätzen anfallen. Bei einer Verteilung auf die Kommunen hingegen sind sämtliche Kosten der Unterbringung und Versorgung mit einzubeziehen, da diese Kosten vollstä ndig entfallen, wenn die Kommunen die Flüchtlinge nicht unterbringen müssen. Unberücksichtigt bleibt dabei, daß für einen Übergangszeitraum bis zum Ende der abgeschlossenen Verträge Plätze in den Wohnheimen nicht b elegt sind. Abschließende Bewertung: Die Mitglieder der Arbeitsgruppe waren übereinstimmend der Auffassung, daß bei Berücksichtigung der Vorschläge der Arbeitsgruppe zur sozialverträglichen Unterbringung und Verteilung der Asylb egehrenden und nach eingehender Erörterung des vom MI ergänzend vorgelegten Materials der Kabinettsvorlage des In- Georg Classen Familien- und Nachbarschaftszentrum Zossener Str.24, 10961 Berlin Analyse der Absichten des niedersächsischen Innenministers zum AsylbLG (anhand des Briefs vom 14.12.1994 an die LAG der Wohlfahrtsverbände) Liebe Freunde/innen, ich danke für die Zusendung einer Kopie des o.g. Briefes. Ich bin entsetzt, daß Niedersachsen entgegen den Behauptungen in dem o.g. Schreiben künftig im Sozialbereich gerade keine „humanitäre Flüchtli ngepolitik“ mehr betreiben will, sondern offenbar auf die Linie Bayerns und Kanthers umschwenken will, wenn Glogowski behauptet, daß das AsylbLG „dringend einer Novellierung bedarf“, und von ihm „ein einheitliches Leistungsgesetz für alle ausländischen Flüchtlinge“ gefordert wird. Was „einheitliches Leistungsrecht“ bedeutet, ist in der Zeitschrift für Ausländerrecht (ZAR) Heft 3/94 nachzulesen: ZAR 3/93, S. 131 ff: Scholl/Schieffer: „Überlegungen zu einer Novellierung des Asylbewerberle istungsgesetzes.“ Die Autoren, Mitarbeiter im Bundesinnenministerium, erläutern die Bundesratsi156 nitiative Bayerns und Baden-Württembergs zur Verschärfung des AsylbLG (Bundesrats-Drucksachen 480/94 und 535/94). Sie bewerten diese Vorschläge als unzureichend und schlagen die ersatzlose Streichung des § 2 AsylbLG vor. Dazu fordern die Autoren die Einbezi ehung von Kriegsflüchtingen mit Aufenthaltsbefugnis nach § 32 a AuslG in die Leistungseinschränkungen des AsylbLG. Dies würde für alle Flüchtlinge - Asylsuchende, Flüchtlinge mit Duldung und mit Aufenthaltsbefugnis - unabhängig von der Aufenthaltsdauer die Versorgung nach §§ 3-7 AsylbLG bedeuten: Versorgung mit Sachleistungen, gekürztes Tasche ngeld, einmalige Beihilfen für Kleidung usw. nur noch in Ausnahmefäffen, Beschränkung der Krankenbehandlung, volle Anrechnung aller Vermögensbeträge, usw.. Gelogen ist im übrigen die Behauptung Glogowskis wie auch dieselbe Be- hauptung in dem o.g. ZARArtikel, daß die IMK „einstimmig“ eine Verschä rfung des AsylbLG gefordert habe. Zumindest Hessen hat dagegen gestimmt (vgl.Frankfurter Rundschau v. 4.6.94). Auch ist die Meinung der Innenminister nicht in jedem Falle identisch mit der Meinung der jeweiligen Landesregierungen und der ggf. für das AsylbLG zuständigen Sozialministerien. Im übrigen hat es nicht nur in Niedersachsen inzwischen einen Regierungswechsel gegeben. Mit Sicherheit gegen eine Novellierung sind beispielsweise die in Berlin zuständige Senatssozialverwaltung, die neue Landesregierung in Sachsen Anhalt, und inzwischen hat auch die Landesregierung Baden-Württembergs erkennbar Abstand von ihren ursprünglichen Novellierungsvorschlägen geno mmen. Dringend gewarnt we rden muß in diesem Zusammenhang davor, mögliche oder tatsächliche Konflikte und eine Gefährdung RUNDBRIEF 25/26-1995 des sozialen Friedens infolge eines Nebeneina nders von Sach- und Geldleistungen zu dokumenti eren (als Begründung für ausnahmsweise Geldle istungsgewährung nach derzeitigem Recht an Berechtigte des § 3 AsylbLG)! (Vgl. dazu das entsprechende Angebot auf Seite 2 des Glogowski-Briefes Vorsicht Falle!!!) Derartige Konflikte we rden in Rechtsprechung und politischer Auseinandersetzung immer wieder als Argument dafür angeführt, Sachleistungen auch an Berechtigte des § 2 AsylbLG zu gewähren (so OVG Münster und OVG Frankfurt/Oder, zahlreiche Länderausführungsbestimmungen zum AsylbLG, und der o. g. Artikel in der ZAR). Im Zusammenhang mit der ergangenen gegenteiligen Rechtsprechung der meisten oberen Verwaltungsgerichte dienen diese angeblichen Konflikte dann als Argument dafür, ein „einheitliches Leistungsrecht“ für alle Flüchtlinge zu scha ffen, d.h. § 2 AsylbLG zu streichen. Tatsächlich sind mir derartige Konflikte aus der Praxis nirgends berichtet worden. Konflikte, und zwar massiver Art, hat es überall allerdings dann gegeben, wenn von Geld- auf Sachleistungen umgestellt wurde. Dies waren aber keine Konflikte der Flüchtlinge untereinander, sondern Konflikte zwischen Flüchtlingen einerseits und den Sozialämtern und Wohnheimträ25/26-1995 RUNDBRIEF 157 gern/Sachleistungserbring ern andererseits.Mir wurde inzwischen aus Meckle nburg-Vorpommern und aus Sachsen berichtet (wo aufgrund der zu § 2 AsylbLG ergangenen Rechtsprechung seit einiger Zeit die gleichzeitige Versorgung mit Geld- und Sachleistungen in denselben Wohnheimen praktiziert wird), daß dies - entgegen den Erwartungen - überall konfliktfrei funktioniert. Festzustellen bleibt, daß die Flüchtlingszahlen - unabhängig von der konkreten Umsetzung des AsylbG - in allen Bundesländern erheblich zurückgegangen sind, und daß dieser Rückgang relativ schlagartig in zwei Stufen ab 1.4.93 und ab 1.7.93 einsetzte, nicht aber daß ein weiterer Rückgang ab 1.11.93 bzw. ab Anfang 94 mit der Umsetzung des AsylbLG festzustellen wäre. Entgegen der Behauptung Glogowskis hat das AsylbLG erkennbar gerade keinen Anteil am Rückgang der Asylbewerberzahlen. Soweit die rein formalistische Argumentation mit der Forderung nach einer „Einheitlichkeit“ des Leistung srechts angeführt wird, steht dem die Forderung nach einer Einheitlichkeit des Leistungsrechts mit den Leistungen an andere Ausländer und Deutsche nach dem BSHG entgegen. Der Asylkompromiss fo rderte im Übrigen für Bürgerkriegsflüchtlinge einen eigenen Aufenthaltsstatus, der selbstverständlich eine leistungsrechtliche Behandlung nach dem BSHG beinhaltete (vgl. dazu Bun- destagsdrucksache 12/4451, S.7/8, zitiert in Leitfaden „Menschenwürde mit Rabatt“,S.16). Von der von Glogowski geforderten Änderung des AsylbLG wären - im Gegensatz zu dieser Forderung des Asylkompromisses - in erster Linie Bürgerkriegsflüchtlinge (mit Duldung und Aufenthaltsbefugnis) betroffen! Glogowski fordert somit eine - gegen den Asylkompromiss verstoßende - erneute Verschlechterung der Situation von Kriegsflüchtlingen. Asylsuchende mit mehr als einem Jahr Verfahrensdauer gibt es nach der Asylrechtsänderung nur noch in - begründeten und beachtlichen - Ausnahm efällen. Die immer größer werdende Mehrzahl der unter § 2 AsylbLG falle nden Flüchtlinge sind Kriegsflüchtlinge, dazu kommt eine - immer geri nger werdende- Anzahl von Asylsuchenden mit länger dauerndem Verfahren, die vor der Asylrechtsänderung eingereist sind („sog. Altfälle“). Soweit Niedersachsen Flüchtlinge aus Bürgerkriegsländern wie Bosnien etwa aus Gründen der „Abschreckung“ auf Dauer möglichst schäbig beha ndeln will, muß es sich dann zu dieser - besonders kostenaufwendigen - Form der schäbigen (bzw. rassistischen) Sonderbehandlung auch offen bekennen die „Einheitlichkeit“ der Leistungen ist kein inhaltliches Argument in diesem Zusammenhang.Zu den weiteren Argumenten auf S. 4 des Briefes:- Daß die Leistungen an Asylbewe r- ber (!) lt. Asylkompromiss „eigenständig“ geregelt werden sollten, ist kein Argument für die Ausgliederung der Leistungen aus dem SGB - vgl. dazu die Leistungen an Auszubildende nach dem BAföG, die zwar ebenfalls aus dem BSHG ausgenommen sind (§ 26 BSHG), aber in das System des SGB einbezogen sind (§ 18 SGB I). Sämtliche von den Befü rwortern einer Änderung des AsylbLG beklagten gesetzestechnischen Mängel des AsylbLG (nicht geregelte Datenübermittlung, nicht geregelte Mitwi rkungspflichten etc.) hängen 158 hingegen unmittelbar mit der Ausgliederung des AsylbLG aus dem System des SGB zusammen und ließen sich durch dessen Eingliederung in das SGB proble mlos beseitigen! - Die fachliche Inkompetenz eines Innenministeriums für die Regelung von Sozialleistungsrecht wird nicht zuletzt durch das vorliegende Schreiben mal wieder deutlich vor Augen geführt! Die Regelung von Fürsorgeleistungen nach rein ordnungspolitischen und polizeirechtlichen Erwägungen sollte in Deutschland eigentlich der Vergangenheit angehören. Nach wie vor sind im Übrigen in vielen Ländern die Sozialminister zuständig kürzlich geändert wurde dies neben Niedersachsen noch in Thüringen, wo nunmehr die Innenminister zuständig sind. Auch die Unterbringung gehört m.E. in die Zuständikeit der Sozialministerien - hier habe ich keinen Überblick, weiß nur daß z.B.in Berlin und Hamburg auch dafür die Sozialminister zuständig sind. Herzliche Grüße Georg Classen RUNDBRIEF 25/26-1995 Niedersachsens Asylpolitik Wertgutscheine und Sammellager von Eckart Spoo (FR vom 17.2.1995) Das Land Niedersachsen ändert seine Flüchtling spolitik. Seitdem die SPD allein regiert, verabschi eden sich die Behörden von den liberalen Grundsätzen, die bis Mitte vergangenen Jahres unter der rotgrünen Koalition galten. Innenminister Gerhard Glogowski hat einen Erlaß vorbereitet, um die Kommunen zu einheitlicher Behandlung der Asylbewerber zu verpflichten. Danach sollen die Flüchtlinge im ersten Jahr ihres Aufenthalts - nur wenigen wird gestattet, länger zu bleiben - zum Bestreiten ihres Lebensunterhalts kein Bargeld erhalten. Bisher dur ften die Kommunen nach eigenem Ermessen Bargeld (wie in Göttingen), Essenspakete (wie in Wolfsburg) oder Wertgutscheine (wie in Lüneburg) ausgeben. Das Innenministerium will nun, wie es am Donnerstag auf Anfrage der FR bestätigte, die Ausgabe von Wertgutscheinen vo rschreiben. Der Göttinger Arbeitskreis zur Unterstü tzung von Asylsuchenden protestierte: Die Flüchtli nge würden so "für jeden sichtbar als potentielle Diebe abgestempelt". 25/26-1995 RUNDBRIEF 159 Für Bürgerkriegsflüchtlinge gilt bisher ebenso wie für diejenigen Asylbewe rber, die vor mehr als einem Jahr gekommen sind, eine andere Regelung: Sie erhalten Bargeld nach den höheren Sätzen des Bundessozialhilfegesetzes. Glogowski strebt jedoch eine bundeseinheitliche Regelung an, die, wie der erzürnte Niedersächsische Flüchtlingsrat formuliert, "die Bürgerkriegsflüchtli nge in die menschenve rachtenden, diskriminierenden Bestimmungen des Asylbewerberleistungsgesetzes einbeziehen" würde - Bestimmungen, die zur Abschreckung von Flüchtlingen gedacht sind. Obwohl der Bonner Asylkompromiß einen eigenen Aufenthaltsstatus für Bürgerkriegsflüchtlinge vo rsah, würden auch sie dann Wertgutscheine erhalten, deren Wert erheblich unter dem im Bundessozialhilfegesetz festgelegten Existenzminimum liegt. Eine wesentliche Änd erung der niedersächs ischen Flüchtlingspolitik besteht darin, daß das Innenministerium die Asylbewerber in Zukunft "bis zur Rückkehr in ihr He imatland" in den Zentralen Anlaufstellen (ZASten) un- terbringen will, soweit dort der Platz reicht. Der bis 1994 zuständige Minister für Bundesangelegenhe iten, Jürgen Trittin (Bündnis 90/Die Grünen) hatte sich stets den Forderungen nach Sammellagern widersetzt. Da 1994 die Zahl der Asylanträge um mehr als 60 Prozent zurückgegangen. ist, stehen in den vier ZASten viele Schlafsäle leer. Nach Ansicht des Flüchtlingsrats könnten zwei ZASten geschlossen werden. Statt dessen sollen sie nun zu Gemeinschaftsunterkünften mit Gemeinschaftsverpflegung werden; wer dort untergebracht ist, bekommt weder Bargeld noch Wertgutscheine. Nach Darstellung des Ministeriums ist das die preisgünstigste Lösung was der Flüchtlingsrat bestreitet - und entlastet die Kommunen. "Die Folge ist, daß notwendige soziale Kontakte, zum Beispiel zu Anwälten und Menschenrechtsgruppen, abgeschnitten werden", sagt Matthias Lange, der Vorsitzende des Flüchtling srats.Die ZASt Langenhagen liegt dicht am Flughafen. Von hier aus sollen die Flüchtlinge möglichst bald abgeschoben werden.