Die Verwandlung
Transcription
Die Verwandlung
Kafka: Die Verwandlung - Unterrichtskonzept k k k k k ka ka ka ka ka kafkafkafkafka kafsafkafsafka safsafsafsafsa samsamsamsamsa sa sa sa sa sa s s s s s Ashliman 1. Einstieg 2. Interpretation als Symptomhandlung 3. Interpretation als geheimer Appell 4. Die Reaktion der Familie am Beispiel der Schwester 5. Episoden der Verwandlung 6. Das Ende – Gregors Überflüssigkeit 7. Verschiedene Aufgaben: (Themen für Schülerreferate, Klausurthemen, analytische und kreative Aufgaben für Hausarbeiten 8. Rückverwandlung: Perspektiven 9. Schulz von Thun: Verdeckte Appelle 10. Ein Paralleltext (Auszug: Hochzeitsssvorbereitungen auf dem Lande) Kafka: Die Verwandlung 1 Einstieg 1. Ersten Absatz vorlesen 2. schriftlich: Welche Gedanken werden Gregor jetzt durch den Kopf schießen? Auswertung 3. Weiterlesen bis S.59 oben: Reagiert Gregor so, wie es zu erwarten war? Ziel: Begrenztheit seines Sorgenhorizonts herausarbeiten Kafka: Die Verwandlung 2 Interpretation der Verwandlung als Symptomhandlung 1. Voraussetzung: Lektüre bis S.59 oben 2. Explikation der Fragestellung: Was "bedeutet" die Verwandlung Gregors? 3. Exkurs: Symptomhandlungen a. Lehrererzählung: Erlebnis eines Schülerfunktionärs auf einer Wochenendtagung (Zimmerschlüssel-Bierdeckel-Episode) Auswertung: Warum errötete der Schülerfunktionär? b. Lektüre: S.Freud, Symptom- und Zufallshandlungen [s. M1:ORDNER] 3. Anwendung auf den Fall Gregor Samsa Kafka: Die Verwandlung 3 Interpretation der Verwandlung als geheimer Appell 1. 2. Voraussetzungen: Lektüre 1. Kap. (= bis S.70 oben) Interpretation als Symptomhandlung Exkurs: Geheime Appelle und finale Blickrichtung a. Was "bedeutet" es, wenn kleine Kinder schreien? b. Lektüre: Fr.Schulz v. Thun, Geheime Appelle [s. M2: ORDNER] 3. Anwendung auf den Fall Gregor Samsa (Textstellen s. nächste Seite) • • • • Hilfe (60) Vertrauen (61) in Ruhe lassen (62) Aufmerksamkeit/Besorgnis (63) • keine Verantwortung (64) • Aufmunterung (65) LIEBE GEBORGENHEIT Die entsprechenden Textstellen: 60 61 63 64 65 66 67 ... fiel ihm ein, wie einfach alles wäre, wenn man ihm zu Hilfe käme. Warum war nur Gregor dazu verurteilt, bei einer Firma zu dienen, wo man bei der kleinsten Versäumnis gleich den größten Verdacht faßte? Man hätte es mir ansehen müssen. Würden sie erschrecken, dann hatte Gregor keine Verantwortung mehr und konnte ruhig sein. Er fühlte sich wieder einbezogen in den menschlichen Kreis. ... alle hätten ihm zurufen sollen, auch der Vater und die Mutter: „Frisch, Gregor“, hätten sie rufen sollen ... Machen Sie es mir nicht schwieriger, als es schon ist. Wäre doch die Schwester hiergewesen. Kafka: Die Verwandlung 4 Die Reaktion der Familie am Beispiel der Schwester 1. Voraussetzung: Interpretation der Verwandlung Gregor Samsas - als Symptomhandlung - als geheimer Appell 2. Analyse S.72f.: Reagiert die Schwester appellkonform? a. Erstverständnis b. Detailanalyse einzelner Textstellen • Folie: Was die Schwester tut • Arbeitsblatt: Die Schwester bringt Essen • Folie: Gregors Sicht der Dinge 3. Welche Motive bewegen die Schwester (87f.) 4. Ist das Handeln der Schwester verständlich? (83ff.) Detailanalyse S. 72 f. (I) Was die Schwester tut: sie ... • • • • • • • • • • • öffnet die Tür, sieht herein erschrickt, schlägt die Tür von außen zu öffnet die Tür wieder tritt auf Fußspitzen herein bemerkt den vollen Milchnapf hebt ihn auf breitet verschiedene Essensangebote auf einer Zeitung aus stellt den Napf, diesmal mit Wasser gefüllt, hinzu entfernt sich, dreht den Schlüssel um dreht den Schlüssel um, kommt wieder herein fegt alle Speisen zusammen, schüttet alles in einen Kübel, schließt diesen mit einem Holzdeckel • trägt alles hinaus Detailanalyse S. 72 f. (II) Gregors Sicht der Dinge • "die Schwester in ihrer Güte" ..."Zartgefühl" (72) • "als sei sie bei einem Schwerkranken oder gar bei einem Fremden" (72) • "zwar nicht mit den bloßen Händen, sondern mit einem Fetzen" (72) • "den wahrscheinlich ein für allemal für Gregor bestimmten Napf" (72) • "als seien also auch diese nicht mehr zu gebrauchen" (73) Kafka: Die Verwandlung 4 TAFELBILD Die Schwester (Gregors) Kommentar: öffnet die Tûr, sieht herein mit Spannung erschrickt, schlägt die Tûr von außen zu ohne sich beherrschen zu können öffnet die Tûr wieder als bereue sie ihr Unternehmen tritt auf Fußspitzen herein als sei sie bei einem Schwerkranken oder gar bei einem Fremden bemerkt den vollen Milchnapf hebt ihn auf zwar nicht mit bloßen Händen, sondern mit einem Fetzen breitet verschiedene Essensangebote auf einer Zeitung aus in ihrer Gûte stellt den Napf, diesmal mit Wasser gefûllt, hinzu den wahrscheinlich ein- fûr allemal fûr Gregor bestimmten entfernt sich, dreht den Schlûssel um aus Zartgefûhl, eiligst dreht den Schlûssel um, kommt wieder herein langsam fegt alle Speisen zusammen, schûttet alles in einen Kûbel, schließt diesen mit einem Holzdeckel, nichtsahnend, selbst die unberûhrten Speisen, als seien also auch diese nicht mehr zu gebrauchen, trägt alles hinaus hastig Die Verwandlung 4 - Textanalyse 5 10 15 20 25 Hätte Gregor nur mit der Schwester sprechen und ihr für alles danken können, was sie für ihn machen mußte, er hätte ihre Dienste leichter ertragen; so aber litt er darunter. Die Schwester suchte freilich die Peinlichkeit des Ganzen möglichst zu verwischen, und je längere Zeit verging, desto besser gelang es ihr natürlich auch, aber auch Gregor durchschaute mit der Zeit alles viel genauer. Schon ihr Eintritt war für ihn schrecklich. Kaum war sie eingetreten, lief sie, ohne sich Zeit zu nehmen, die Türe zu schließen, so sehr sie sonst darauf achtete, jedem den Anblick von Gregors Zimmer zu ersparen, geradewegs zum Fenster und riß es, als ersticke sie fast, mit hastigen Händen auf, blieb auch, selbst wenn es noch so kalt war, ein Weilchen beim Fenster und atmete tief. Mit diesem Laufen und Lärmen erschreckte sie Gregor täglich zweimal; die ganze Zeit über zitterte er unter dem Kanapee und wußte doch sehr gut, daß sie ihn gewiß gerne damit verschont hätte, wenn es ihr nur möglich gewesen wäre, sich in einem Zimmer, in dem sich Gregor befand, bei geschlossenem Fenster aufzuhalten. Einmal, es war wohl schon ein Monat seit Gregors Verwandlung vergangen, und es war doch schon für die Schwester kein besonderer Grund mehr, über Gregors Aussehen in Erstaunen zu geraten, kam sie ein wenig früher als sonst und traf Gregor noch an, wie er, unbeweglich und so recht zum Erschrecken aufgestellt, aus dem Fenster schaute. Es wäre für Gregor nicht unerwartet gewesen, wenn sie nicht eingetreten 30 35 40 45 50 wäre, da er sie durch seine Stellung verhinderte, sofort das Fenster zu öffnen, aber sie trat nicht nur nicht ein, sie fuhr sogar zurück und schloß die Tür; ein Fremder hätte geradezu denken können, Gregor habe ihr aufgelauert und habe sie beißen wollen. Gregor versteckte sich natürlich sofort unter dem Kanapee, aber er mußte bis zum Mittag warten, ehe die Schwester wiederkam, und sie schien viel unruhiger als sonst. Er erkannte daraus, daß ihr sein Anblick noch immer unerträglich war und ihr auch weiterhin unerträglich bleiben müsse, und daß sie sich wohl sehr überwinden mußte, vor dem Anblick auch nur der kleinen Partie seines Körpers nicht davonzulaufen, mit der er unter dem Kanapee hervorragte. Um ihr auch diesen Anblick zu ersparen, trug er eines Tages auf seinem Rücken – er brauchte zu dieser Arbeit vier Stunden – das Leintuch auf das Kanapee und ordnete es in einer solchen Weise an, dag er nun gänzlich verdeckt war, und daß die Schwester, selbst wenn sie sich bückte, ihn nicht sehen konnte. Wäre dieses Leintuch ihrer Meinung nach nicht nötig gewesen, dann hätte sie es ja entfernen können, denn daß es nicht zum Vergnügen Gregors gehören konnte, sich so ganz und gar abzusperren, war doch klar genug, aber sie ließ das Leintuch, so wie es war, und Gregor glaubte sogar einen dankbaren Blick erhascht zu haben, als er einmal mit dem Kopf vorsichtig das Leintuch ein wenig lüftete, um nachzusehen, wie die Schwester die neue Einrichtung aufnahm. (S. 77 f.) Arbeite mit textbeschreibenden Aussagen + Zeilenangaben heraus, was typisch ist • • • für Gregors Wünsche im Hinblick auf seine Schwester für Gregors Wahrnehmung der Tatsachen für die Perspektive des Erzählers. Die Verwandlung 4 Textanalyse (Ergebnis)) Perspektive Wahrnehmung Wünsche Ergebnisse (Thesen) Textbelege 1. Seiner Schwester of- ♦ G. beklagt, dass er seiner Schwester fenbaren, wie sehr er sie nicht danken kann. liebt. 2. Die Schwester soll ♦ Die Hast, mit der sie das Fenster aufreißt, sich gerne um ihn kümist für G. „schrecklich“. (7ff.) mern. ♦ Die (uneingestandene) Kritik, die in dem Wort „sogar“ liegt: 29, 47 ♦ Sie hätte das Leintuch „ja“ entfernen können (= sollen!): 42 ff. 1. von Wunschdenken ♦ Der Schwester wird ein Zartgefühl untergesteuerte Wahrnehstellt, von dem der Leser nicht zu übermung zeugen ist: 4 ff., 15 ff. 2. Die Realität wird ♦ Die „nackten“ Tatsachen, die für sich dennoch (gleichsam wisprechen. der besseren Willen) „unterschwellig“ gesehen (und kritisiert). Er-Erzähler, aber Gregors ♦ keine Distanz zu Gregors („verblendeSicht der Dinge ter“) Wahrnehmung: „durchschaute“ (6), „wußte doch sehr gut“ (15 f.) ♦ erlebte Rede (1 f.; immer wieder: „doch“, „ja“, „nur“ etc.) Parallelstellen Violinszene Die Schwester bringt das Essen Die Schwester bringt das Essen durchgehend Kafka: Die Verwandlung 5 Abschnitt II: Episoden 1. [70-73] Die Schwester bringt das Essen 2. [73-76] Die Klärung der finanziellen Verhältnisse „Diese Erklärungen des Vaters waren zum Teil das erste Erfreuliche, was Gregor seit seiner Gefangenschaft zu hören bekam“ (74) Würdet ihr dieser Beurteilung zustimmen? 3. [76-81] Gregors Zimmer wird ausgeräumt Idee: wer und warum Initiative, Entscheidung: wer und warum Bedenken: wer und warum 4. [81-85] Gregor „bricht aus“ und wird zurückgeschlagen Zwischenbilanz: Wie reagiert die Familie auf den „neuen Gregor“? Vater Mutter Schwester Kafka: Die Verwandlung 6 Das Ende: Gregors "Überflüssigkeit" 1. Wie verändert sich die Gesamtsituation der Familie infolge der Verwandlung Gregors? 2. Welche unmittelbaren Folgen hat Gregors Tod? 3. Hat die Geschichte ein "happy end"? Alternative (?): kreative Aufgabe: a) ein anderes Ende erfinden b) Stelle dir vor, Gregor wäre zugleich mit seinem Ableben als „Ungeziefer“ als Gregor wiederauferstanden und hätte, das weitere Geschick seiner Familie aus der Ferne verfolgend, ein neues Leben begonnen. Nach vielleicht einem halben Jahr schreibt er der Familie einen Brief, in dem er sich als Lebender „zurückmeldet“ und zugleich für immer Abschied nimmt. Formuliere diesen Brief! Kafka: Die Verwandlung 7 Unterrichtszusammenhang 1. Schülerreferat zu Kafkas Biographie 2. Ebenfalls als Schülerreferat denkbar: Kafkas "Brief an den Vater"; Anknüpfungspunkte: - Fehlen von Aufmunterung wird beklagt - "Gefühl der Nichtigkeit" - Jagd um den Tisch - Kafka bekommt nicht, "was ihm gebührt" (hier: Wasser) - "Ungeziefer" (K. antizipiert Reaktion des Vaters) Kafka: Die Verwandlung 7 Klausurthemen 1. Wir haben die Verwandlung Gregors als eine Aktion seines Unterbewußtseins gedeutet. a) Stelle dar, was dieser Interpretationsansatz erbracht hat! b) Kann man die Verwandlung auch anders deuten? Versuche einen alternativen Interpretationsansatz, der nicht auf das Unterbewußtsein abhebt! 2. kreative Aufgabe (s. Karte 5: Das Ende) Stelle dir vor, Gregor wäre zugleich mit seinem Ableben als „Ungeziefer“ als Gregor wiederauferstanden und hätte, das weitere Geschick seiner Familie aus der Ferne verfolgend, ein neues Leben begonnen. Nach vielleicht einem halben Jahr schreibt er der Familie einen Brief, in dem er sich als Lebender „zurückmeldet“ und zugleich für immer Abschied nimmt. Formuliere diesen Brief! Kriterien: In welchem Grade reflektiert der Brief a) das Problem: • enttäuschtes Liebesbedürfnis • „Sinnlosigkeit“ des eigenen (Vor-)Lebens b) die Situation • Wozu der Brief? • Abstand von einem Jahr • Abschied für immer Negativfolie: „Wie geht es Euch? Mir geht es gut.“ Kafka: Die Verwandlung 7 - Themen für eine Hausarbeit A. Analytische Themen 1. Kafkas „Verwandlung“ – ein „Problemlösungsspiel“ des Dichters? Eine Gruppe von drei Themen, die sich mit verschiedenen autobiographischen Aspekten der Erzählung befassen: Das Verhältnis zum Vater Das Liebes-/Sexualleben Der ungeliebte Beruf Die Arbeit soll – am Beispiel des gewählten Aspekts – eine Antwort auf die Titelfrage geben: Kann die „Verwandlung“ als „Problemlösungsspiel“ des Dichters gelesen werden? Dazu ist im Detail zu untersuchen: Welche persönlichen Probleme Kafkas spiegeln sich in der Erzählung wider? Kann die Erzählung (auch) als Versuch des Autors verstanden (interpretiert) werden, Möglichkeiten des Umgangs mit seinen Problemen literarisch „durchzuspielen“? 2. Kafkas „Verwandlung“ – ein „Antimärchen“? In seinem Umgang mit dem Phantastischen greift Kafka auf Elemente zurück, die uns aus Märchen bekannt sind. Zwei Themen sollen dem Verhältnis seiner Erzählung zu dieser Gattung nachspüren, und zwar durch einen Textvergleich mit „La belle et la bête“ (Charles Perrault 1697) „Hänsel und Gretel“ (KHM 15) Am Beispiel des gewählten Texts soll untersucht werden: Welche Berührungspunkte (Handlung, Personenkonstellation, Thematik ...) legen einen Vergleich nahe? Welche Unterschiede schärfen das Verständnis für die Besonderheiten von Kafkas Erzählung? 3. Kafkas „Verwandlung“ als produktive Rezeption literarischer Vorbilder Zwei Texte des russischen Dichters Gogol bieten sich zum Vergleich besonders an: „Die Nase“ (1836) „Der Mantel“ (1842) Untersuchungsfragen wie bei den Themen der Gruppe 2: Welche Berührungspunkte (Handlung, Personenkonstellation, Thematik ...) legen einen Vergleich nahe? Welche Unterschiede schärfen das Verständnis für die Besonderheiten von Kafkas Erzählung? B. Kreative Aufgaben Die Arbeiten zu dieser Abteilung sollen zweierlei liefern: ein literarisches Produkt ein „statement“, in dem das Konzept erläutert wird. 1. Zur „Verwandlung“ selbst: Etwas für diejenigen, denen Kafkas Phantastik zu weit geht. Die Verwandlung Gregors läßt sich, wie wir gesehen haben, auf verschiedenste Weise interpretieren – warum nicht auch als phantastische Übersteigerung einer realen Veränderung des Helden, eines durch äußere Einflüsse (Unfall?) bewirkten Gestaltwandels, einer durch innere „Reifung“ bewirkten, sprunghaft sich äußernden Persönlichkeitsentwicklung, eines „coming out“ von irgend etwas ... Erzähle eine neue Geschichte (mit neuem Personal), die sich ganz auf einen derartigen „realistischen Kern“ beschränkt! Diese neue Geschichte sollte aber darin der alten gleichen, daß die Reaktion der Mitmenschen aus der Perspektive des/der Verwandelten dargestellt wird. 2. Produktive Rezeption einer selbstgewählten Erzählung Kafkas „Produktive Rezeption“ kann dabei alles Mögliche heißen: „Gegendichtung“ (Umwertung, Perspektivwechsel), Aktualisierung, Psychologisierung, Parodie ... Dies ist ein sehr freies Thema; entsprechend groß ist die Eigenverantwortung für die Entscheidungen, die mit der Wahl des Projekts verbunden sind. C. Lesetagebuch: Eine die Lektüre begleitende gedankliche Auseinandersetzung mit einem der Romane Kafkas. Die Konzeption dieses Tagebuchs sollte mit mir abgesprochen werden. Die Verwandlung 8 - Rückverwandlung: Perspektiven Rückverwandlung alter Gregor: neuer Gregor: Selbstaufopferung wunschgesteuerte Wahrnehmung unterdrückter Protest/Liebesbedürfnis kann aus seiner Verwandlung lernen Ihr habt mir Unrecht getan! Anklage Selbstmitleid Schnulze Ich habe falsch gelebt! So ist das Leben (der Mensch) D Kommunikation verdeckte Appelle Gh Verdeckte Appelle (Appelle «auf leisen Sohlen») aus: Schulz von Thun, Miteinander reden I, S. 221 f. Wer den unbewußten Wünschen des Senders auf die Spur kommen will, muß auf seine Gefühle als Empfänger achten. [Ein Beispiel:] Jemand weint. Zunächst sind wir geneigt, dieses Weinen als Ausdruck von Traurigkeit zu nehmen... Möglicherweise haben wir damit aber nicht die ganze psychologische Bedeutung des Weinens verstanden. Was geschieht mit mir, wenn der andere anfängt zu weinen? Ich bin betroffen, mein Zorn von eben ist verraucht, ich habe Mitleid, ich gebe nach, «mein Herz schmilzt», ich wende mich dem Weinenden zu, um ihn zu beruhigen und zu trösten, höre auf, ihn mit meinen Ansprüchen und «Wahrheiten» zu quälen. Und wenn dies Sinn und Zweck des Weinens gewesen wäre? Der Weinende würde diese Unterstellung entrüstet von sich weisen: Das Weinen sei einfach über ihn gekommen, mitnichten handele es sich um eine von ihm benutzte Strategie, auf den anderen Einfluß zu nehmen. Der Weinende lügt nicht wider besseres Wissen. Ihm ist die Strategie, die er benutzt, nicht bewußt. Vermutlich hat ihm diese Strategie in seiner Kindheit genützt: In bedrohlichen Situationen hat sie ihm das Schlimmste erspart («Lernen am Erfolg»). Am Beispiel des Weinens haben wir eine psychologische Arbeitsmethode kennengelernt, deren Kennzeichen in einer finalen Blickrichtung besteht. Damit ist gemeint: Um ein Verhalten zu verstehen oder zu erklären, wird nicht nach den (in der Vergangenheit liegenden) Ursachen gefragt, sondern nach den (vielfach unbewußten) Zielen, für die das Verhalten dienlich ist. Bei dieser ... «Wozu»-Frage wird allen Verhaltensweisen ein (oft unbewußter) Zweck unterstellt. Diesem Zweck kommt man am besten auf die Spur, wenn man die Reaktionen der Umwelt auf dieses Verhalten betrachtet. Am Beispiel des Weinens haben wir diese Betrachtung vorgenommen, indem wir uns in den Empfänger hineinversetzt und gefragt haben: «Was löst das Weinen in mir aus?» Über den gefühlsmäßig empfundenen Appell sind wir der geheimen Zielsetzung des Senders auf die Spur gekommen und haben damit ein tieferes Verständnis für sein Verhalten erreicht. Wenden wir diese Arbeitsmethode der finalen Blickrichtung auf ein paar Beispiele an, um uns darin einzuüben, den geheimen Appellcharakter von manchen Nachrichten und Handlungen zu entdecken: Selbstmordversuche. (...) Angstzustände. (...) Empfindlichkeiten. (...) Allerlei kindliche Unarten. (...) Allerlei Hilflosigkeiten, Unfähigkeiten und Schwächen. (...) Kafka: Die Verwandlung Ein Paralleltext Raban, der „Held“ einer anderen Erzählung Kafkas („Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande“*), schickt sich an, eine 14tägige Urlaubsreise aufs Land zu unternehmen. Der Gedanke daran bereitet ihm zunächst Unbehagen, wenn nicht Angst: „... Ich bin sogar zu müde, um ohne Anstrengung den Weg zum Bahnhof zu gehn, der doch kurz ist. Warum bleibe ich also diese kleinen Ferien über nicht in der Stadt, um mich zu erholen? Ich bin doch unvernünftig. - Die Reise wird mich krank machen, ich weiß es wohl. Mein Zimmer wird nicht genügend bequem sein, das ist auf dem Land nicht anders möglich. Kaum sind wir auch in der ersten Hälfte des Juni, die Luft auf dem Lande ist oft noch sehr kühl. Zwar bin ich vorsichtig gekleidet, aber ich werde mich selbst Leuten anschließen müssen, die spät am Abend spazieren. Es sind dort Teiche, man wird entlang der Teiche spazierengehn. Da werde ich mich sicher erkälten. Dagegen werde ich mich bei den Gesprächen wenig hervortun. Ich werde den Teich nicht mit andern Teichen in einem entfernten Land vergleichen können, denn ich bin nie gereist, und um vom Mond zu reden und Seligkeit zu empfinden und schwärmend auf Schutthaufen zu steigen, dazu bin ich doch zu alt, um nicht ausgelacht zu werden.“ (8) Er beruhigt sich dann aber wieder: Da schien es Raban, er werde auch noch die lange schlimme Zeit der nächsten vierzehn Tage überstehn. Denn es sind nur vierzehn Tage, also eine begrenzte Zeit, und wenn auch die Ärgernisse immer größer werden, so vermindert sich doch die Zeit, während welcher man sie ertragen muß. Daher wächst der Mut ohne Zweifel. „Alle, die mich quälen wollen und die jetzt den ganzen Raum um mich besetzt haben, werden ganz allmählich durch den gütigen Ablauf dieser Tage zurückgedrängt, ohne daß ich ihnen auch nur im geringsten helfen müßte. Und ich kann, wie es sich als natürlich ergeben wird, schwach und still sein und alles mit mir ausführen lassen und doch muß alles gut werden, nur durch die verfließenden Tage. Und überdies kann ich es nicht machen, wie ich es immer als Kind bei gefährlichen Geschäften machte? Ich brauche nicht einmal selbst aufs Land fahren, das ist nicht nötig. Ich schicke meinen angekleideten Körper. Wankt er zur Tür meines Zimmers hinaus, so zeigt das Wanken nicht Furcht, sondern seine Nichtigkeit. Es ist auch nicht Aufregung, wenn er über die Treppe stolpert, wenn er schluchzend aufs Land fährt und weinend dort sein Nachtmahl ißt. Denn ich, ich liege inzwischen in meinem Bett, glatt zugedeckt mit gelbbrauner Decke, ausgesetzt der Luft, die durch das wenig geöffnete Zimmer weht. Die Wagen und Leute auf der Gasse fahren und gehen zögernd auf blankem Boden, denn ich träume noch. Kutscher und Spaziergänger sind schüchtern und jeden Schritt, den sie vorwärts wollen, erbitten sie von mir, indem sie mich ansehn. Ich ermuntere sie, sie finden kein Hindernis. Ich habe, wie ich im Bett liege, die Gestalt eines großen Käfers, eines Hirschkäfers oder eines Maikäfers, glaube ich. ... Eines Käfers große Gestalt, ja. Ich stellte es dann so an, als handle es sich um einen Winterschlaf, und ich preßte meine Beinchen an meinen gebauchten Leib. Und ich lisple eine kleine Zahl Worte, das sind Anordnungen an meinen traurigen Körper, der knapp bei mir steht und gebeugt ist, Bald bin ich fertig - er verbeugt sich, er geht flüchtig und alles wird er aufs beste vollführen, während ich ruhe.“ (10 f.) * Die Seitenzahlen beziehen sich auf die Fischer-TB-Ausgabe 1. Beschreibe Rabans Käfer-Phantasie und analysiere die Funktion, die sie für ihn hat! 2. Stelle dar, wie Gregor Samsas Verwandlung zu interpretieren wäre, wenn man sie analog zu diesem Paralleltext verstünde.