Fatos Baxhaku wurde 1964 in Tirana geboren. Er war

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Fatos Baxhaku wurde 1964 in Tirana geboren. Er war
FATOS BAXHAKU
Albanien
Foto: Privat
Fatos Baxhaku wurde 1964 in Tirana geboren. Er war Chefredakteur der Tageszeitung
„Gazeta Shqiptare“, der Nachrichtensendung im Fernsehen „Klan“, der Wochenzeitung
„XXL“ und der Tageszeitung „Shqip“, für die er auch heute arbeitet. Für verschiedene Fernsehsendungen schreibt er Drehbücher. Für seine journalistische Arbeit wurde er vielfach
ausgezeichnet. Er hat sechs Bücher geschrieben: Die Stammesgesellschaften Nordalbaniens. Forschungen und Berichte österreichischer Konsuln und Gelehrter, 1861–1917 (Boehlau Verlag, Wien-Koeln-Weimar, 1996 – zusammen mit Karl Kaser); Gur (Papirus, Tirane,
2008); Ne Mirdite dhe rreth e rrotull (Papirus, Tirane, 2009); Roje (Celesi, Tirane, 2010);
Cadra e Kuqe (Der rote Schirm – Österreichisch-albanische Schicksalsgeschichten im 19.
Und 20. Jahrhundert, Dituria, Tirane, 2013); Prostitution in der Epoche des Konigs Zog (im
Druck).
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DER ROTE SCHIRM – ÖSTERREICHISCH-ALBANISCHE
SCHICKSALSGESCHICHTEN IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT.
Aus dem Vorwort des österreichischen Botschafters in Albanien, Florian Raunig:
„‚Herzensösterreicher‘ wird eine Gruppe der albanischen Bevölkerung genannt, die in besonderer Weise die gemeinsame Geschichte Albaniens und Österreichs prägt. Es sind dies
die Nachkommen überwiegend österreichischer Frauen, die in der Zwischenkriegszeit
meist durch Heirat nach Albanien gelangt und in der Folge hier auch verblieben sind.
Zahlreich, bewegend, oft auch tragisch sind die Schicksale, die den Nachkommen der
österreichischen Emigrantinnen widerfahren sind. Vor allem unter der Diktatur hatten
viele Familien der Herzensösterreicher unter Verfolgung und Diskriminierung schwer zu
leiden.
Gemeinsam ist allen Herzensösterreicherinnen und Herzensösterreichern jedoch nicht nur
ihre Herkunft, sondern auch das spezielle emotionale Verhältnis, das diese zum Heimatland ihrer Vorfahren in ihrem Herzen stets aufrecht erhielten. Durch die Diktatur zur Geheimhaltung genötigt, haben viele unter großen Anstrengungen, nicht entdeckt zu werden, ihre zweite Muttersprache Deutsch beibehalten. Vielen war es allerdings nicht mehr
vergönnt, ihre ehemalige Heimat beziehungsweise diejenige der Mutter zu besuchen.
Die Herzensösterreicherinnen und Herzensösterreicher Albaniens zeugen von einer Geschichte, die mittlerweile fern scheint und doch noch so nahe ist. Sie stellen einen bis
dato weniger bekannten und erforschten Aspekt der österreichisch-albanischen Beziehungen dar, somit mit vorliegendem Band ein erster Anstoß zur weiteren Befassung mit
diesem Personenkreis geschaffen werden soll. Es ist jedoch ein Band, der nicht nur der
historischen Erfassung und der Dokumentierung der Lebensgeschichte dienen soll, sondern in erster Linie auch als Hommage an die Herzensösterreicherinnen und Herzensösterreicher gedacht ist.“
Auszug aus dem Buchtext:
Historischen Angaben zufolge haben die österreich-albanischen Beziehungen gegen Ende
des 16. Jahrhunderts begonnen: In den Annalen werden die Verbindungen eines Franziskanermönchs aus Dalmatien namens Francesco Bertucci zu albanischen Geistlichen
und dem damaligen Adel des Landes erwähnt. Es gibt allerdings keine historischen Dokumente über solche Begegnungen, außer der Tatsache, dass die Albaner versuchten,
über den Franziskanermönch Hilfe für ihren Kampf gegen die Türken zu erhalten.
Ein näheres Kennenlernen beider Seiten bot sich gegen Ende des 17. Jahrhunderts an. Diesmal waren sie Teil einer Koalition, und vielleicht haben sie einander mit
Staunen über eine gewisse Ähnlichkeit betrachtet: Die legendären Kelmendis waren
hellhäutig und groß. Die österreichische Armee wurde von General Piccolomini angeführt, während die katholischen Albaner unter dem Befehl von Pjetër Bogdani (16301689) standen, dem damaligen Erzbischof von Skopje. Die katholische Allianz, zu der
auch die serbische Armee gehörte, lieferte sich zwei Mal Gefechte mit den Osmanen im
Kosovo: Das erste Mal im Jahr 1689 in der Nähe von Pristina und ein Jahr später in
Kaҫanik. Beide Male wurden die christlichen Armeen besiegt.
Im Jahr 1740 halfen viele Mitglieder der Kelmendis, einer großen Sippe aus dem
Norden, der christlichen Bevölkerung bei der Flucht vor der gewaltsamen Islamisierung.
Tausende Flüchtlinge wurden vom Patriarchen der serbischen Kirche, Arsenije IV., angeführt. Die Kelmendis lebten nun in den Dörfern Ninkince und Herkovce jenseits der Save,
zwischen Mitrovica und Shabatz. Sie zählen zu den ersten österreichischen Bürgern albanischer Herkunft. Johann Georg von Hahn (1811-1869), Vizekonsul der österreichungarischen Monarchie in der Mitte des 19. Jahrhunderts, schrieb, dass sich diese Bürger ihre albanische Sprache und Mentalität bewahrt hätten.
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Schon am 26. November 1657 erlaubte Venedig 10 albanischen Familien, sich in
Peroj auf der Halbinsel Istrien niederzulassen. So gründeten 27 Mitglieder dieser Familien in Peroj eine albanische Kolonie, die ihre Sprache und ihre Sitten bis in die jüngere
Zeit am Leben hielt. Auch in Borgo Erizzo bei Zadar (früher Zara) in Dalmatien wurde im
Jahr 1726 mit Hilfe des Bischofs aus Tivar, Vincenz Zmajević, eine albanische Kolonie
gegründet. Laut dem Albanologen Johann Georg von Hahn zählten die Albaner hier in
der Mitte des 19. Jahrhunderts rund 880 Personen. Als Venedigs Ruhm als mediterrane
Macht nach Napoleons Feldzügen abklang, wurden die oben erwähnten Territorien Teil
der österreich-ungarischen Monarchie. So wurden die Albaner auch hier österreichische
Bürger.
Erwähnenswert sind auch nicht ganz sichere Informationen über zwei Mitglieder
einer alten Familie namens Suma in Wien. Einer davon, der Priester Luke Suma, diente
im Stephansdom in Wien, während Antonio Andrea Suma im Jahr 1777 seinen Doktortitel als Chirurg ebenfalls in Wien verteidigt haben soll. Über das Schicksal dieser Albaner
gibt es keine anderen Zeugnisse.
Die Österreicher und Kara Mahmud Pascha
Am Ende des 18. Jahrhunderts war die albanische Stadt Shkodra (damals Scutari) Zentrum eines Großvilayets, das von Kara Mahmud Pascha Bushatlliu (1749-1796) fast im
Alleingang beherrscht wurde. Bekannt für seine prowestliche Neigung, waren dem Pascha die Signale bewusst, die der österreichische Kaiser Joseph II. Richtung Shkodra
sandte. Nach verschiedenen Quellen und Zeitzeugen bestand im Zeitraum rund um das
Jahr 1788, als Österreich dem Osmanischen Reich den Krieg erklärte, eine geheime Verbindung zwischen Shkodra und Wien. Sendboten zwischen dem Pascha und dem Kaiser
waren der Erzbischof von Shkodra, Monsignor Borzi, und Franz Pichler, ein österreichischer, in Shkodra ansässiger Arzt. Im Sommer 1788 kam aus Cetinje eine österreichische Delegation, von de Brognard geleitet. Teil dieser Delegation waren der österreichische Kommandant Perneth, ein österreichischer Leutnant Schönpflug, der Arzt Pichler,
der Priester Djurakovic und ein Montenegriner namens Vojvidic. Trotz der kostbaren Geschenke, die ausgetauscht wurden, hatten die Parteien scheinbar keinerlei Vertrauen
zueinander. Dazu sorgte die Nachricht über ein eventuelles Bündnis Kara Mahmud Paschas mit Österreich für große Unruhen bei den moslemischen Anführern in Shkodra.
Kara Mahmud Pascha selbst aber bereitete sich auf eine Versöhnung mit dem Sultan
vor, und so geschah es auch. Das Schicksal der Delegation war entschieden. Am 21. Juni
1788 wurden die Österreicher auf dem Weg, das Land zu verlassen, am Shkodra-See
umgebracht. Vier Häupter wurden dem Wesir von Rumelien als Zeichen der Treue gesandt. Wenig später kämpfte Kara Mahmud Pascha für den Sultan in Bosnien. Es dauerte
nicht lange, bis ein Hauptgesandter des Sultans in Shkodra ankam, um die Nachricht der
Beförderung zu bringen: Der Sultan ernannte Kara Mahmud Pascha zum Wesir.
Das Kultusprotektorat
Im Jahr 1739 konnte Österreich nach vielen Bemühungen und Auseinandersetzungen
einige Zugeständnisse des Sultans erreichen. Eines davon war das Patronat über die
balkanischen Katholiken des Osmanischen Reiches. Das war die Geburtsstunde des „Kultusprotektorats“ – einer Politik, die Österreich, später Österreich-Ungarn, über 200 Jahre
lang verfolgen sollte. Das österreichische Protektorat hatte einen positiven Einfluss auf
die Beibehaltung des nationalen Bewusstseins der Albaner.
Im Jahr 1739 machte der Sultan nur wenige Zugeständnisse. Einige Faktoren
kamen erschwerend hinzu: Die Gesandten Österreichs kannten das Territorium kaum,
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und es schien ihnen, als ob die albanischen Katholiken auf einen weit entfernten Kontinent lebten. Die katholischen Missionare berichteten alarmiert, dass auf diesem Gebiet
viele Kirchen dem Verfall überlassen seien, und noch dazu seien die Kleriker alt und
müde, strapaziert von extremer Armut, während die Gläubigen die Verbindung zur Kirche verlören. Sie berichteten über Bigamie, aber besonders über die voranschreitende
Islamisierung.
Nach dem Friedensvertrag, bekannt als „Frieden von Sistowa“, bekam Österreich
die Erlaubnis, in einigen wichtigen Städten des Osmanischen Reiches Konsulate zu eröffnen, darunter Durrës und Shkodra. Später wurden Konsulate auch in anderen albanischen Städten eröffnet. Die österreichischen Konsuln befanden sich nun vor Ort und waren die offiziellen Schutzpatrone der katholischen Bevölkerung.
Das Kultusprotektorat lässt sich mit einem Namen verbinden: dem Bischof von
Shkodra, Beniamino Albertini. Im Jahr 1835 unternahm er eine Reise von Shkodra in
Richtung Vatikan und später nach Wien. Der Bischof hatte eine Audienz beim Papst,
während er in Wien von Kaiser Franz Joseph I. empfangen wurde. Zwei Jahre später
wurde zwischen dem Vatikan und Wien ein Abkommen unterschrieben, das Österreich
offiziell und weltweit das Recht zuerkannte, die Schutzmacht der Katholiken auf dem
Balkan zu sein.
Im Jahr 1855 unterschrieben der päpstliche Sekretär Michele Viale Prela und der
Erzbischof von Wien Rauscher das Konkordat, das später von Papst Pius IX. und Kaiser
Franz Joseph I. ratifiziert wurde. Im Konkordat gab es ein geheimes, aus zehn Punkten
bestehendes Addendum. Dort wurden neben einem „Aktionsplan für die unterdrückten
Völker“ auch viele Investitionen aufgelistet. Die Ausführung des Aktionsplans sollte von
einer „Congregatio de Propaganda Fide“ überwacht werden, einer Institution der katholischen Kirche, die bereits im Jahr 1622 gegründet worden war. Das Konkordat aus dem
Jahr 1855 verzeichnet den Beginn des Kultusprotektorats. In dieser Zeit stieg die Anzahl
der neuen Schulen in Shkodra, Durrës, Prizren und Tirana.
Mitte des 19. Jahrhunderts diente eine sehr einflussreiche Person als Erzbischof
von Tivar, Karl Pooten, ein Deutscher aus Köln, enger Freund des Erzherzogs Ferdinand,
des Bruders des österreichischen Kaisers. Nachdem er im Jahr 1867 einen neuen Dom in
Tivar geweiht hatte, genau in dem Jahr der Entstehung der Doppelmonarchie ÖsterreichUngarn, schrieb Karl Pooten einen Brief an Papst Pius, mit der Bitte, Shkodra zum Zentrum der Erzdiözese zu erklären. Der Papst und Wien stimmten dieser Idee zu. Das war
ein großer Schritt, weil damit indirekt die Anerkennung des Nordens Albaniens als autonome Provinz unter dem Osmanischen Reich erreicht wurde. Zwei Jahre zuvor war in
dieser Stadt der neue Dom gesegnet worden, gebaut mit Unterstützung der Gläubigen
und Wiener Donationen.
Die Stadt wurde so zum Zentrum des albanischen Katholizismus und profitierte
nun direkt von den Investitionen aus dem Herz der starken Doppelmonarchie ÖsterreichUngarn, Wien. Im Jahr 1870 bauten z.B. die Jesuiten die erste moderne Druckerei „Die
Jungfrau Maria“. Während im Jahr 1877 eine neue Schule eröffnet wurde, „Shën
Franҫesk Saver“, in der Schüler aller drei Glaubensrichtungen, der katholischen, moslemischen und orthodoxen, unterrichtet wurden. Fünf Jahre später errichteten die Franziskaner in Troshan bei Zadrimë ein neues Kolleg, das eine Lernstätte für Hunderte zukünftige Priester wurde. Im Jahr 1855 wurde in Shkodra ein neues Franziskanerkolleg eröffnet, im Jahr 1897 ein anderes in Rubik, auf den Ruinen eines Benediktinerklosters aus
dem 14. Jahrhundert. Von Wien aus wurden durch die „Congregatio de Propaganda Fide“
das Franziskanergymnasium „Illyricum“ und Publikationen wie „Hylli i Dritës“ und „Posta
e Shqypnis“ finanziert. Eine Liste der von Österreich und später von Österreich-Ungarn
finanzierten Schulen zeigt uns folgendes Bild der Schullandschaft in Albanien gegen Ende
des 19. Jahrhunderts:
in Shkodra:- „Kollegji Shën Franҫesk Saveri“ - 400 Schüler,
-„Shkolla Franҫeskane“ – 150 Schüler,
- „Jetimorja Schulbruder“ – 100 Waisenkinder aus Malësia,
- „Shkolla Femërore Franҫeskane“ -200 Schülerinnen,
- „Kopshti i Motrave Servite“ – 300 Schüler,
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- „Shkolla Profesionale e Tinë Nikës“.
Außerhalb von Shkodra wurden folgende Schulen finanziert:
in Durrës - 30 Schüler,
in Pejë - 30 Schüler,
in Gjakovë – 30 Schüler,
„Shkolla Femërore Prizren“ – 80 Schülerinnen,
in Zumb – 20 Schüler.
Bis zur Unabhängigkeit Albaniens am 28. November 1912 finanzierte Österreich-Ungarn
47 Grundschulen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Rivalität zwischen Österreich-Ungarn und
Italien auf dem Westbalkan einen neuen Anlauf. Wien konzentrierte sich darauf, den
Einfluss auf die westlichen Teile der Adria nicht zu verlieren, während Italien, beeinflusst
von der Anzahl und Politik der alteingesessenen albanischen Minderheit „Arbëreshët“,
eine Expansion in Richtung Osten suchte – vorausgesetzt, das Osmanische Reich würde
zusammenbrechen.
Im Jahr 1891 wurde in Shkodra auf Initiative des italienischen Außenministers
Grafen San Giuliano eine gebührenfreie italienische Schule eröffnet. Die österreichischitalienische Rivalität wurde nun auf den gesamten albanischen Klerus übertragen und
teilte ihn in zwei Fronten. Ein Zustand, der über viele Jahrzehnte hinweg andauerte.
Im Jahr 1896 übernahm der österreich-ungarische Konsul Theodor Ippen (18611935) eine neue Mission: Die Gründung eines Aktionsplans, um den italienischen Vormarsch in Albanien zu bremsen. Theodor Ippen unterstützte im Jahr 1901 das Alphabet
der Vereinigung „Agimi“ (von Ndre Mjeda [1866-1937] geleitet) und legte damit einen
wichtigen Meilenstein für das albanische Alphabet, das sieben Jahre später bei einem
panalbanischen Kongress genehmigt wurde.
Der österreichische Klerus wirkte auch in den zutiefst isolierten Gegenden des
damaligen Albanien. Typisches Beispiel ist der Franziskaner Fabian Barcata. In Tirol geboren (1868), hatte er Bekanntschaft mit albanischen Klerikern in Graz gemacht, wo er
als Lektor einer Religionsschule unterrichtete. Das erste Mal hielt er sich in den Jahren
1895-1897 in Albanien auf. Er diente in Kryezezë bei Mirdita und später von 1898-1907
als Pfarrer in Rubik. Die Bergbewohner erinnern sich an ihn als den Menschen, der als
erster Aspirin in die Berggebiete brachte. Heute trägt eine Schule in Rubik seinen Namen. Fabian Barcata starb im Jahr 1954 in Österreich. Er hinterließ ein ergreifendes Erinnerungsbuch und einen Roman über das alltägliche Leben der albanischen Malësoren,
der Bergbewohner.
Im Jahr 1920 ernannte der Vatikan den ersten Apostolischen Nuntius in Albanien,
Ernesto Cozzi. Er war in ehemaligen österreichischen Territorien geboren und groß geworden, in Südtirol. Mit der Ernennung des ersten Apostolischen Nuntius geht offiziell die
Ära des österreichischen Kultusprotektorats über die Katholiken in Albanien zu Ende.
Offiziell! Denn in Wirklichkeit waren die Beziehungen zwischen Österreichern und Albanern aller drei Religionen von religiösen, wirtschaftlichen und politischen Verbindungen
zu starken und dauerhaften Freundschaften übergegangen.
Honig statt Zucker
In seinem Buch „Albanesische Studien“ bietet der österreichische Vizekonsul in Ioannina
Hahn eine Zusammenfassung der albanischen Exporte sowie Importe dar. Er stellt fest,
dass in der Mitte des 19. Jahrhunderts Österreich noch nicht der wichtigste Handelspartner der albanischen Vilayets war. Dennoch galt Triest als der wichtigste VerbindungshaFatos Baxhaku
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fen für die albanischen Händler. Die Gesamtsumme des albanischen Import-Exports im
Jahr 1854 berechnete Hahn mit 4-6 Millionen Goldfranken. In dieser Zeit importierten
die Albaner aus Österreich circa zehntausend Zentner Nägel sowie Wollschals, Stoff, Fayencen, Glasgefäße, Gold- und Silberschmuck und Goldfäden für Stickereien. Aus den
albanischen Häfen gingen Olivenöl, Holzmaterialien, Zitrusfrüchte für jüdische Feiern,
Tabak, Wolle, Leder in Richtung Österreich. Der Albanologe beschwert sich über die
rückläufige Produktion von Blutegeln, die aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem damaligen österreichischen Markt sehr gefragt waren.
Der Handel wurde über Vlora und Shkodra abgewickelt, zwei der wichtigsten Häfen dieser Zeit, viel gefragter als Durrës. Vlora war bekannt für den Export von Bitumen,
Salz und Schildkröten neben anderen Artikeln des albanischen Exports.
In Shkodra wurden dem Albanologen Hahn einige dicke Handbücher vorgelegt.
Alle wurden von Nik Bradashi aufbewahrt, einem ehemaligen Sekretär des österreichischen Konsulats in Shkodra. Eine lange Liste von Wolle über Wachs bis zu Holz zeugte
von einem entwickelten Handel zwischen Shkodra und Triest. „Es überrascht mich“,
schreibt Hahn, „dass die Shkodraner sehr wenig Zucker importieren, weil hier als Süßungsmittel immer noch Honig benutzt wird.“ Bis zum Jahr 1881, in dem Montenegro
einige albanische Territorien zugesprochen wurden, war Ulcinj (albanisch Ulqin) der
wichtigste Hafen der Stadt Shkodra. Damals verfügte die Ulcinj-Flotte über 53 Schiffe
mit einem Gesamtvolumen von 3500 Tonnen. Sogar Shkodra selbst war bis zum Beginn
des 20. Jahrhunderts mit kleinen Schiffen erreichbar. Die großen Schiffe kamen bis zum
Buna-Fluss. Ab hier wurden die Güter mit kleineren Schiffen zum am Fuße der alten
Burg in Shkodra gelegenen Zoll, transportiert. Rund um das Jahr 1843 sah man in diesen Gegenden die ersten Dampfschiffe, die von albanischen Händlern gekauft worden
waren. Eines davon ging im Jahr 1860 bei einem Manöver nahe an Dajҫ am Fluss Buna
unter. Die Bewohner erinnerten sich noch lange an den Besitzer, der angeblich ein ganz
neues Dampfschiff gekauft hatte, einige Geschichten erzählen von einem Geschenk für
die Frau des Erzherzogs Ferdinand. Im Jahr 1864 wurden in Shkodra 216 Schiffe be-und
entladen, das Gesamtvolumen betrug 62.500 Tonnen – ein wahrhaftiger Rekord auf dem
Balkan der damaligen Zeit. Die erste Reise eines albanischen Schiffes nach der Unabhängigkeit Albaniens ging in Richtung Rijeka (Fiume). Ein Bewohner Shkodras hisste
damals eine improvisierte albanische Fahne auf dem kleinen Schiff. Es war eine rote
Fahne mit einem schwarzen Streifen in der Mitte. Er hatte keine Möglichkeit gehabt, die
albanische Flagge mit dem doppelköpfigen Adler aufzutreiben. So blieb für eine lange
Zeit diese improvisierte Fahne die Flagge der albanischen Marine.
Damals kamen Güter aller Art nach Shkodra. Im Jahr 1907 reagierten die türkischen Zöllner verblüfft, als sie ein Fahrrad sahen. Es was das erste Fahrrad auf albanischem Boden, bestellt vom damaligen Honorarkonsul Schwedens in Shkodra. Sie bezeichneten es als „eine Art Chronometer“. Umso mehr staunten die anderen Bewohner
der Stadt, als sie später eine Frau auf dem Fahrrad sahen. Die Frau war die Ehefrau eines Konsulatsmitarbeiters. Dazu noch ein anderes Kuriosum: Das erste Auto brachten
im Jahr 1916 die österreichisch-ungarischen Truppen nach Shkodra, begleitet von der
überschwänglichen Verwunderung der Einwohner auf der Piaca-Straße.
Die erfolgreichste Schifffahrtsgesellschaft, die in Shkodra von Mitte des 19. bis
zum Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Geschäfte machte, war die „Lloyd Triestino“, eine
der ältesten Schifffahrtsgesellschaften der Welt, gegründet im Jahr 1836. Es war diese
Gesellschaft, die die erste touristische Reise nach Albanien organisierte. Die Reisenden
waren hauptsächlich Interessierte aus Österreich-Ungarn.
Innerhalb eines Jahrhunderts schaffte es Österreich –später Österreich-Ungarn –,
zum wichtigsten Handelspartner der Albaner zu werden. Es dauerte lange, bis die italienischen Händler nach und nach Einfluss auf die albanischen Märkte gewonnen hatten.
Der Handel verstärkte die Verbindungen zwischen den Österreichern und Albanern. Viele
Geschäftsleute aus Shkodra eröffneten Filialen in Triest und Venedig, während es zur
Normalität gehörte, dass österreichische, tschechische und ungarische Händler (in
Shkodra rief man sie „magjarë“) in Shkodra, Durrës oder Vlora auf Geschäftsreise waren. Die Verstärkung der Handelsbeziehungen brachte die Neugierde von Reisenden,
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Journalisten und österreichisch-ungarischen Forschern mit sich. Eine Zuneigung, nicht
nur politischer Art, entwickelte sich.
Aus dem Albanischen von Lindita Arapi
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