"ubuntu" Ausgabe 7 - SOS
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"ubuntu" Ausgabe 7 - SOS
07-2013 Es reicht nicht, öfter „Bitte!“ zu sagen. Gewaltfreie Kommunikation im Selbsttest S. 12 Die Gandhis Palästinas: Auf der Suche nach dem friedlichen Widerstand S. 26 Drama in Schoko und Vanille: Eisunfälle des Sommers S. 42 DAS MAGAZIN FÜR KINDHEIT UND kulturen SCHWERPUNKT: Gewaltfreiheit Lieber glücklich sein als Recht haben. Eine Anleitung Wie es weiterging: Ehemalige aus dem SOS-Kinderdorf Nairobi erzählen. S. 54 Das Kind Jane Goodall Interview S. 66 Deutschlands größtes Charity-Auktionsportal Auktionen für Kinder in Not United Charity versteigert exklusive Dinge und einmalige Erlebnisse, die man für gewöhnlich nicht kaufen kann. Alle über www.unitedcharity.de erzielten Erlöse leitet Deutschlands größtes Charity-Auktionsportal zu 100 Prozent an verschiedene Kinderhilfsprojekte weiter – so auch die SOS Kinderdörfer. Insgesamt hat United Charity mit Auktionen für den guten Zweck die stolze Summe von über 2,2 Millionen Euro erreicht. Das und vieles mehr wurde bereits ersteigert: Streng limitier te DFB-Uhr vo n IWC r t Michelle Hunzike Meet & Greet mi Signierte Trik ots & Bälle de Klicken Sie rein, bieten Sie mit und tun Sie gleichzeitig Gutes! www.unitedcharity.de r Bundesliga -3ubuntu Inhalt Editorial / Contributors Impressum Orte der Kindheit Kurzgeschichten Schwerpunkt: Gewaltfreiheit Recht haben oder glücklich sein Auch die Kinder Palästinas demonstrieren Woche für Woche gegen die israelische Beset zung. Dass der Widerstand gewaltfrei sein kann, zeigt sich überall im Land. Seite 26 4 4 6 8 12 Im Familiencamp für Gewaltfreie Kommunikation hat Simone Kosog mit ihrer Familie nach Wegen gesucht, um friedlich miteinander umzugehen. Frieden im Busch Der Psychologe Peter Gray hat erforscht, wie Kinder in Jäger-und-Sammler- 22 Die Ghandis Palästinas 26 Kulturen aufwachsen. Er glaubt, dass wir viel von ihnen lernen können. Auf der Suche nach einer Lichtgestalt des gewaltfreien Widerstands in Palästina fand ubuntu-Autorin Julia Prosinger nicht einen, sondern viele Vertreter. So wertvoll können 31 Euro sein Geschichten, wie sie nur eine Südafrikanerin erzählen kann 35 36 Dinah Lefakane: Old Man River. Literatur ubuntu-Spendenprojekt: das SOS-Kinderdorf Jaffna 38 Im Norden Sri Lankas bekommen Bürgerkriegswaisen ein Zuhause. Eine Frage geht um die Welt Eiskalt erwischt! 40 42 Nicht wirklich gefährlich, aber dramatisch genug: die Eisunfälle des Sommers Klitzekleinkunst: Zu den Aufgaben im „Fami liencamp für Gewaltfreie Kommunikation“ gehört es auch, gemeinsam als Familie Natur materialien kreativ zu verarbeiten. Nicht die einzige Herausforderung! Seite 12 Fragen an Ulrich Sommer: der Elternratgeber Meine Welt von morgen SOS aus dem All 46 47 48 Foto Titel: Michela Morosini; Fotos diese Seite: Eloïse Bollack, Michela Morosini Satellitenbilder helfen den SOS-Kinderdörfern, neue Standorte zu planen. Meine Wahrheit – deine Wahrheit 50 Neue Rubrik: Zwei Sichtweisen auf dieselbe Situation. Diesmal: Mutter und Sohn über den Tag, an dem die Eltern erfuhren, dass ihr Sohn schwul ist. Wie es weiterging 54 Ehemalige des SOS-Kinderdorfs Nairobi sprechen über ihre Kindheit und ihr heutiges Leben. SOS-Reportage In der neuen Rubrik „Meine Wahrheit – deine Wahrheit“ lesen Sie, wie unterschied lich zwei Menschen dieselbe Situation wahrnehmen können. Diesmal: Mutter und Sohn über das Coming Out des Sohnes. Seite 50 Hilfe darf nicht nur den Mangel sehen! Essay Einer kommt – einer geht Vorsicht vor der Landlebenhysterie! Glosse Wissen Wie waren Sie als Kind, Jane Goodall? 61 62 64 65 66 -4ubuntu Editorial/Contributors Von links nach rechts: Simone Kosog, Ingrid Famula, Andrea Seifert Nächste Ausgabe November 2013 Beigelegt in Tagesspiegel, sowie Teilaus gaben der Rheinischen Post, der Süddeutschen Zeitung und der ZEIT. Liebe Leserinnen und Leser, Impressum kennen Sie irgendeine Medaille, die nur eine Seite hat? Wir nicht! Deshalb sehen wir es als unsere Aufgabe an, die Dinge und Geschehnisse aus allen Winkeln zu betrachten. Wenn man so will, kann man nahezu alle Geschichten des aktuellen Heftes unter diesem Motto betrachten: Über Gewalt in Palästina wird viel und intensiv geschrieben, aber fast nie über friedvolle Proteste. Bei der Gewaltfreien Kommunikation ist es essentiell, auch hören zu können, was für den anderen wichtig ist – statt ihn zu erwürgen. Wir haben sogar eine neue Rubrik zum Thema: Meine Wahrheit – deine Wahrheit. Das heißt nun aber gar nicht, dass alles beliebig ist, sondern, dass wir die Welt realistisch und differenziert wahrnehmen und schildern möchten. Weder schwarz, noch weiß, sondern im besten Fall bunt. Chefredaktion Ingrid Famula, Simone Kosog Ihre ubuntu-Chefredaktion Bildredaktion Andrea Seifert Schlussredaktion Adelheid Miller Mitarbeiter dieser Ausgabe Anja Bengelstorff, Petra Bartoli y Eckert, Angelika Dietrich, Hubert Filser, Susanne Frömel, Paul Hahn, Martina Koch, Diana Laarz, Julia Prosinger, Claudia Singer, Ulrich Sommer Kaufmännischer Bereich Ingrid Famula, Andrea Seifert Gestaltung ANZINGER | WÜSCHNER | RASP München Lithografie MXM, München Leserservice Tel. 089/17 914-140 oder [email protected] www.sos-kinderdoerfer.de/ubuntu Herausgeber SOS-Kinderdörfer weltweit – Hermann-Gmeiner-Fonds Deutschland e. V. Ridlerstraße 55 80339 München Vorstand: Dr. Wilfried Vyslozil Anzeigen Großmann.Kommunikation Gabriele Großmann Grünwalder Straße 105 c 81547 München Tel.: 089/64 24 85 64 Fax: 089/64 24 93 99 grossmann.kommunikation@ t-online.de Druck Appl – Echter Druck Delpstr. 15, 97084 Würzburg Anja Bengelstorff Julia Prosinger Cécile Burban Anja Bengelstorff arbeitet als Bei ihren Recherchen in Paläs- Die Fotografin Cécile Burban unter anderem die schmackhaf- sehens in eine Tränengaswolke. SOS-Projekt „Villages enchantés“ Journalistin in Kenia, wo sie ten „Samosas“ zu schätzen gelernt hat: mit Fleisch oder Gemüse gefüllte Teigtaschen. Ihre Recherchen brachten sie nun mit der Köchin Patricia Obara zusammen, die im Kinderdorf Nairobi aufgewachsen ist, und Anja Bengelstorff zeigte, wie sie die Teigtaschen zubereitet – ein ganz schöner Aufwand. Seitdem isst die Journalistin ihre Samosas mit besonderer Ehrfurcht. (S. 54) tina geriet Julia Prosinger unverHals, Haut und Augen brannten noch Stunden später. Die Kin- der um sie herum steckten den Schmerz besser weg. Erleichtert war Prosinger, als sich ihr Pro tagonist mit seiner Schwester über die mitgebrachten Süßig- keiten stritt, oder als zwei Nach barsjungen als Bienen verklei- det auf dem Bürgersteig tobten – auch diese Kinder können ganz normale Kinder sein. (S. 26) hat nicht nur die Fotos zu dem gemacht, sondern ist selbst absolut begeistert von dem Projekt, für das sie sich persönlich engagiert. Sie schwärmt von den Kinoabenden in Burkina Faso: „Es war ein großer Mo- ment für das Team und die Kinder, auch dank der Gastfreundschaft des SOS-Kinderdorfs vor Ort, ganz fabelhaft!“ (S. 6) Die Zeitschrift ubuntu und alle darin veröffentlichten Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede durch das Urheberge setz nicht ausdrücklich zugelassene Nutzung oder Verwertung bedarf der schriftlichen Einwilligung des Her ausgebers. Eine Vermietung oder ein Nachdruck, auch auszugsweise, sind nicht gestattet. Insbesondere ist eine Einspeiche rung oder Verarbeitung der auch in elektronischer Form vertriebenen Zeitschrift in Datensystemen ohne Zustimmung des Herausgebers unzu lässig. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und Fotos wird keine Haftung übernommen. Leserbriefe an: SOS-Kinderdörfer weltweit – ubuntu Ridlerstraße 55 80339 München Fotos: Michela Morosini, Gathoni Kinyanjui, Eloïse Bollack, Matias Indjic Verantwortlich für den redaktionellen Inhalt: Ingrid Famula (Adresse s. Herausgeber) SOS KINDERDÖRFER Schalom und herzlich willkommen in Israel! Willkommen in den SOS-Kinderdörfern! Entdecken Sie auf einer aussergewöhnlichen Rundreise das Heilige Land, dessen raue Schönheit und kulturelle Schätze Sie begeistern werden. Tauchen Sie ein in den Alltag der Menschen und treffen Sie in SOS-Einrichtungen Persönlichkeiten, die mit großem Engagement die Idee Hermann Gmeiners fortsetzen. Für Frieden, Menschlichkeit und Versöhnung. Elftägige Rundreise mit den SOS-Kinderdörfern weltweit vom 7.-17. November 2013 inkl. Besuch der SOS-Kinderdörfer Megadim und Neradim (Israel) sowie Bethlehem (Palästinensisches Autonomiegebiet) Ausführliche Informationen zur Reise erhalten Sie unter: www.sos-kinderdoerfer.de/Reise -7ubuntu Orte der Kindheit Großes Kino Foto Cécile Burban Unter dem afrikanischen Sternenhimmel sitzen gut 80 Kinder mäuschenstill auf dem Lehmboden. Grillen zirpen, Bäume rauschen. Ein Pro jektor wirft surrend eine Lichtsäule auf die 10 Meter breite Leinwand – Open-Air-Kino in Burkina Faso. Heute wird der Film „Cirage“ gezeigt, der von einem jungen Schuhputzer handelt. Viele der Zuschauer kennen so ein Leben aus eigener Erfahrung, aber heute haben sie es leichter. Sie gehen zur Schule, haben ein Zuhause bei einer Mutter und Geschwistern: Es sind Kinder des SOS-Kinderdorfs Bobo- Dioulasso in Burkina Faso. Jetzt lachen sie über eine Flirt-Szene, und als ein Dieb den Jungen bestehlen will, scharren sie mit den Füßen. „Wenn die Kinder nicht ins Kino kommen können, muss das Kino zu den Kindern kommen“, erklärt Alain Chabat, Grün- der von „Toiles enchantées“, seinem Projekt. Er zeigt die Filme auch in Krankenhäusern. Im Repertoire hat er auch Disney-Filme oder Klassiker wie Charlie Chaplins „Das Pfandleihhaus“. Als der Film zu Ende ist, klatschen die Kinder, lachen, klopfen sich den Staub von den Kleidern. Es war schön. Ein Happy End. -8ubuntu Kurzgeschichten „Wir müssen das einzelne Kind im Auge behalten!“ Herr Kaul, Sie sind seit einem Jahr im Amt als Präsident der SOS-Kinderdörfer. Wie sieht Ihr Resümee aus? Ich wusste, dass es schwer werden würde, aber nicht, dass es so schwer wird. Die SOS- Meine ganz persönliche Herausforderung ist es sicherzustellen, dass unsere Jugendlichen den Übergang ins Erwachsenen- und Be- rufsleben gut schaffen. Weltweit sind knapp 100 Millionen Jugendliche ohne Beschäf tigung. Kein Land ist davon ausgenommen und das bereitet uns große Sorgen. Unsere Jugendlichen haben bereits belastende Schick- Kinderdörfer befinden sich in einer Um- sale im Gepäck und in wirtschaftlich schlech- mittlerweile Schwellenländer. Das heißt, für sie. Wir werden noch härter daran ar- bruchphase: Viele Dritte-Welt-Länder sind die Preise dort steigen rapide – und damit auch die Unterhaltskosten für unsere Pro- jekte. Natürlich müssen wir auch die Mitarbeitergehälter anpassen. Hinzu kommt die Finanzkrise, die unser Fundraising spür- ten Zeiten ist die Situation noch schlimmer beiten müssen, Wege zu finden, die Jugend- lichen in die Selbstständigkeit zu begleiten. Wo verbringen Sie die meiste Zeit? In Ihrer Heimat Neu Delhi, Indien oder in der SOSZentrale in Innsbruck, Österreich? bar beeinflusst. Aktuell führen wir neue Als Präsident bin ich viel in der Welt unter- bei allen Kollegen Freude hervorruft. Moti arbeite in Innsbruck. Das ist nicht einfach, Strukturen in der Organisation ein, was nicht vation, Erklärung ist auch ein Großteil meiner Aufgabe. Welche Vision haben Sie für das SOS- Kinderdorf der Zukunft? Wir brauchen aufgrund der weltweiten wegs. Meine Familie lebt noch in Delhi, ich aber ich bin es gewohnt. Zudem ist Inns- bruck eine kleine, zauberhafte Stadt. Allein Vorlesen aus Bilderbuch-Apps Jede siebte Familie nutzt Bilder- und Kinderbuch-Apps, ergab eine Studie von ZEIT, Stiftung Lesen und der Deutschen Bahn. 90 Prozent gaben an, dass die Apps nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung zu klassischen Bilderbüchern betrachtet werden. Dabei gaben 40 Prozent der befragten Väter den elektronischen Medien den Vorzug und nur 23 Prozent den Büchern. Bei Müttern ist es nahezu umgekehrt. Für die Studie waren 500 Eltern befragt worden, die mindestens ein Kind im Alter zwischen zwei und acht Jahren haben. Delhi hat ja schon doppelt so viel Einwohner wie ganz Österreich. Präsenz verbindliche Richtlinien für alle Länder. Qualitätsstandards müssen überall Kinderdorf ständig an die gegenwärtigen Bedürfnisse anpassen. In 20 Jahren sehen wir vielleicht ganz anders aus. Gleichzeitig dürfen wir uns nicht in Zahlen und Bürokratie verheddern, sondern müssen das ein zelne Kind und seine Bedürfnisse im Auge behalten. Auch die politische Durchsetzung von Kinderrechten ist eine große Aufgabe. Neulich … Wenn die schönsten geschichten das leben schreibt, dann gilt das auch für die ganz kleinen. zum beispiel diese. Erste Heldin des Staates Die Mutter erklärt ihrer Tochter, dass die Frau, die sie da auf dem Bild in der Zeitung sehe, Angela Merkel heiße und die wichtigste Frau in Deutschland sei. Mit leuch tenden Augen fragt die Tochter: „Hat sie sogar Drachen getötet?“ Für dumm verkauft Siddhartha Kaul ist seit Juni 2012 Präsident von SOS-Kinder dorf International. Elvira fragt: „Darf ich fernsehen?“ Die Mutter antwortet: „Nein, Fern sehen macht dumm.“ Elvira darauf: „Warum kaufst du mir dann DVDs?“ Hochqualifiziert Selbstverrat Kevin, 8, und Adrian, 6, sitzen im Auto. Adrian: „Wenn ich groß bin, lerne ich auch Autofahren!“ Kevin: „Da musst du aber vorher viel anderes ler nen: Chinesisch, Eng lisch, Türkisch …“ Er zählt 23 Sprachen auf. Adrian: „Das schaffe ich schon!“ Kevin: „Und Evangelisch brauchst du natürlich auch!“ Eine Studentin bittet ihre Mitbewohnerin, sie am nächsten Morgen zu wecken, weil sie einen dringenden Arzttermin hat. Zwar hat sie den Wecker gestellt, aber das heißt bei ihr wenig. Viel zu spät wacht die Stu dentin am nächsten Morgen auf – und macht der Mitbewohnerin Vorwürfe. Die schaut sie verzweifelt an und sagt: „Ich hab dich geweckt! Aber du hast behauptet, dass dein Arzt angerufen und den Termin ver schoben hat.“ sprachverwirrung Die Mutter und ihre fünfjährige Tochter unter halten sich über Mutter sprac hen. Nach einiger Überlegung fragt die Tochter: „Haben dann Männer eine Vater sprache?“ VolltreffeR Die kleine Schwester ist stolz auf die Fußball künste ihres Bruders. Bewundernd erzählt sie: „Der Paul hat ins Tor geschissen!“ Foto: Alexander Gabriel gewährleistet sein. Dabei muss sich SOS- -9ubuntu Kurzgeschichten Lieblingskinder Viele Eltern bevorzugen eines ihrer Neue Schule in Haiti eröffnet Kinder. Dies ist das Ergebnis einer bri tischen Studie, über die die Zeitung „The Telegraph“ berichtete. Demnach behan- deln 62 Prozent der britischen Eltern ihre Kinder unterschiedlich. Acht Prozent haben sogar ein Lieblingskind. In einem Viertel der Fälle waren die älteren Kinder die besonderen Lieblinge. Begründung der Eltern: Sie könnten mit diesem Kind mehr machen. Von den Eltern, die zugaben, dass sie einem Kind mehr Aufmerksamkeit widmeten als den anderen, begründeten dies 45 Prozent damit, dass die Kinder unterschiedliche Bedürfnisse haben. Insgesamt waren 1.237 Eltern befragt wor- den, die mindestens zwei Kinder über drei Jahren haben. Die Ergebnisse bestätigen eine Studie, die bereits 2009 in Bristol mit 14.000 Familien durchgeführt wurde. Demnach bekommen jüngere Kinder weniger Aufmerksam- keit als die älteren Geschwister. Mit jedem folgenden Geschwisterkind nimmt die Zuwendung weiter ab. In Haiti wird es bald eine weitere Hermann-GmeinerSchule geben. Exakt drei Jahre nach dem schlimmen Erdbeben wurde in Les Cayes der Grundstein gelegt. Bereits im Herbst sollen dort 500 Schüler unterrichtet werden. Die Schule wird mit zwölf Klassenzimmern, einem Computerraum, einer BibEndlich wieder Schule: Viele Kinder in Haiti wissen sehr genau, liothek, einem naturwissenwelche Chance sich durch schaftlichen Raum und zwei LehBildung für sie eröffnen kann. rerzimmern ausgestattet. Dies ist die zweite Schule, die die SOSKinderdörfer nach dem Erdbeben in Haiti eröffnen. Bereits im Herbst 2012 war in Santo eine Schule eingeweiht worden. Außerdem haben die SOS-Kinderdörfer fünf Gemeindeschulen wieder aufgebaut. Mario Brusa, Leiter der SOS-Kinderdörfer in Haiti, sagt: „Fast die Hälfte der Haitianer ist unter 18 Jahre alt. Sie brauchen Bildung, Kompetenz und Visionen. Deshalb investieren wir das Geld der Spender außer in Nothilfe und Stärkung armer Familien in die Zukunft des Landes – die Ausbildung der Kinder. Nur durch eine gute Ausbildung kann es die kommende Generation schaffen, dem Elend zu entkommen.“ Buch- und Brieffreundschaft Lesen verbindet – im Idealfall sogar Generationen. In der Stadt Bartlett im US- Bundesstaat Illinois hat die Bibliothek eine Initiative gestartet, die Kinder und Alte zusammenbringen soll. „Pages across the ages“ heißt die Idee: Bewohner der Senio- renresidenz Clare Oaks schließen Brieffreundschaften mit Kindern und tauschen sich regelmäßig über Bücher mit ihnen aus, meldet das Portal „readingworldwide“. Pro Monat sollen die sechs- bis zwölfjährigen Kinder sowie ihre Briefpartner ein Buch Fotos: Sophie Preisch, Katerina Ilievska lesen und sich dann gegenseitig dazu einen Brief schreiben. Damit niemand ohne Post da steht, gibt es einen genauen Plan: Jeden letzten Dienstag im Monat müssen die Briefe in den großen blauen Briefkasten in der Bibliothek gesteckt werden – jeden ers- ten Donnerstag im Monat werden sie verteilt. Aktuell ist die Nachfrage so groß, dass es Lesen ist der erste Teil des Projekts „Pages across the ages“. Der zweite: ein Briefwechsel über die Bücher zwischen Kindern und Senioren. für interessierte Kinder eine Warteliste gibt. Auch andere Bibliotheken möchten das Projekt übernehmen. -10ubuntu Kurzgeschichten Bitte nachmachen! Freundegalerie aus Kronkorken In der kleinen Galerie kannst du deinen Freunden, Familienmitgliedern oder auch Haustieren eine Platz geben. Material: Ein Bogen Tonpapier DIN A5, Fotos oder Papier, Kronkorken, dazu Schere, Kleber und Stifte. Anleitung: Sammle Fotos deiner Freunde und schneide sie auf die Größe der Kronkorken zu oder schneide weiße Papierkreise aus und bemale sie mit den entsprechenden Gesichtern. Klebe die Bilder anschließend in die Kronkorken, positioniere diese nach Belieben auf dem Tonpapier und klebe sie fest. Wenn du willst, kannst du die Galerie auf einem selbstgemalten Baum anordnen. Du kannst dir aber auch etwas ganz anderes einfallen lassen und deine Freunde zum Beispiel aus den Fenstern eines Hauses gucken lassen oder auf die Blätter einer Blume stellen. Schwierigkeitsgrad: leicht Alter: ab fünf Jahren Die kleine Galerie ist leicht zu basteln. Ob die Bilder wie Früchte am Baum angeordnet werden oder ganz anders, entscheidet jeder selbst. Dieser Basteltipp ist dem Grundschul- Magazin „Zuhause“ der SOS-Kinderdörfer weltweit entnommen. Das Magazin gibt es kostenlos unter: Goldmedaille für SOS-Lehrer Der Chemielehrer Tesfatsion Abra- ham, der an der Hermann-Gmeiner-Schule Harar in Äthiopien unterrichtet, ist für seine innovativen Lehrmethoden ausgezeichnet worden. Er baute Laborgeräte aus Mate- rialien, die vor Ort erhältlich sind und sparte dadurch eine Menge Geld. Vom äthio pischen Ministerpräsidenten erhielt er dafür eine Goldmedaille. Aus Materialien wie Seidenpapier und Kleber hat Abraham unter anderem Atommodelle geschaffen. Zudem erstellte er ein Chemie-Handbuch samt Lösungen, mit dem sich die Studenten für die Aufnahmeprüfungen an den Univer sitäten vorbereiten können. Mit einfachen Mitteln baut der äthio pische Chemielehrer Tesfatsion Abraham seine Geräte selbst. Dafür ist er jetzt ausgezeichnet worden. GroSSzügige Zahnfee Mit der Wirtschaft geht es bergauf – das glaubt die Aktiengesellschaft Visa Inc. am Verhalten der amerikanischen „Zahnfee“ zu erkennen. In den USA ist es üblich, dass Kinder für jeden verlorenen Milchzahn Geld unters Kopfkissen gelegt bekommen. Diese Summe ist 2012 im Vergleich zum Vorjahr um 15 Prozent gestiegen. Durchschnittlich drei US-Dollar pro Zahn bekamen die Kinder, meldet der Branchendienst PR newswire. Im Jahr 2011 waren es noch 2,60 Dollar. Für die Umfrage waren 2.000 Haushalte befragt worden. Fotos: F. Abera, F. Valdescu, P. Wittmann, C. Martinelli, M. Mägi, K. Ilievska, S. Posingis, SOS-Archiv [email protected] -11ubuntu Kurzgeschichten „Den Schülern mehr zutrauen!“ 2007 haben sich Freiburger Jugend liche von der Schule abgemeldet und in Eigenregie aufs Abitur vorbereitet. In ihrem Verein „methodos“ haben seitdem 25 Schü- Alia Ciobanu beschreibt in ihrem Buch ihre Erfahrun gen mit dem Verein „methodos“, in dem sich Schüler selbst ständig aufs Abitur vorbereiten. ler ihr Abi gemacht, auch Alia Ciobanu, die Aber es macht Spaß! Man trägt große Und dafür lohnt es sich, nach zehn, elf Müssen Schüler für methodos besonders Verantwortung, das motiviert sehr. schlau oder gut strukturiert sein? Ja, weil es der eigene Weg ist. Man lernt, Man muss bereit sein, sich zu engagieren Schule zu organisieren: Gelder zu beschaf- man als externer Abiturient viel mehr Prü- aufzustellen. Und natürlich zu entscheiden, wann und wie man lernt. Klingt anstrengend! Eines der Hauptprobleme an traditionellen Schulen ist die Haltung. Die Lehrer üben Ihr Buch vermittelt das Gefühl, dass viel Zwang mehr da, kein Druck. Es war gar fen, Lehrer anzustellen und Stundenpläne von methodos abschauen? en, dass sie wissen, was wichtig ist. dass ich mich unglaublich gefreut habe, mit Freiheit umzugehen – und eine ganze Was können sich traditionelle Schulen antwortung zugestehen und ihnen zutrau- Schon nach kurzer Zeit habe ich gemerkt, Schuljahren alles umzukrempeln? aber am Ende hatte jeder sein Abi. Schulen müssten den Schülern mehr Ver- Was ist das Besondere an methodos? nicht mehr wie Schule. besonders diszipliniert oder strukturiert, Druck aus und die Schüler sind passiv. Die darüber ein Buch geschrieben hat. da jeden Tag hinzugehen. Es war kein gemischte Gruppe und sicher nicht alle und auf ein Abenteuer einzulassen, weil fungen ablegen muss. Ein Lehrer prophe- zeite mir vorher ein schlechteres Abitur. Ich denke nicht, dass er Recht hatte. Mein Abischnitt liegt bei 1,7. Wir waren eine sehr Energie darauf verwendet wird, herauszufinden, wie man lernen will. Das habe ich als unglaublich wertvoll empfunden. Ich selbst zum Beispiel lerne viel in Gesprächen und durch Austausch. Wie geht es Ihnen jetzt an der Uni? Ich habe mit dem Studium begonnen, weil ich wirklich lernen wollte. Inzwischen bin ich wieder in die passive Haltung zurück gefallen. Leider gibt es auch viele Professoren, die den Studenten nichts zutrauen. Da müsste sich ebenfalls einiges ändern. Anzeige ubuntu — Der Circus geht ab 21. Juni zum 19. Mal auf Tournee durch Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen! Der vielleicht schönste Circus der Welt zeigt sein neues Programm „Eine Frage des Herzens″ — wir freuen uns auf Ihren Besuch! „Ich bin weil wir sind und wir sind weil ich bin!“ Nach diesem Motto — es ist unsere Übersetzung des Zulu-Wortes ubuntu — arbeiten und leben wir zusammen! Für Kinder und Jugendliche zwischen 11 und 17 Jahren, die familiären oder schulischen Belastungen ausgesetzt sind, die der Freude am Leben und Lernen massiv entgegenstehen, gibt es seit über 10 Jahren unsere Circusschule. ubuntu — Circusjahr Fragen zur Tournee oder zur Schule gerne an: Soziale Projekte e. V. — ubuntu An der Heide 1 – 3 • 25358 Horst (Holstein) Fon 04126–39 55 10 • Fax 04126–39 55 11 www.ubuntu.de • [email protected] -12ubuntu Gewaltfreiheit Familienkunst: Erst wurden die Materialien gesammelt, dann auf dem Bazar hart verhandelt und schließlich kreativ verbaut – bis zum nächsten Regen. Recht haben oder glücklich sein Das wär’s doch: wenn wir alle friedlich miteinander umgehen würden. Um herauszufinden, wie das geht, hat Simone Kosog Für Ubuntu am Familiencamp für Gewaltfreie Kommunikation teil genommen – und ihre Familie genötigt mitzukommen. Fotos Michela Morosini Text Simone Kosog -14ubuntu Gewaltfreiheit Um es vorweg zu nehmen: Es wird in schreien, weinen oder bocken, ich mische Taschentücher werden verbraucht werden. impulsiv und übertrieben. Ein schöner Fa- dieser Geschichte um Gefühle gehen, viele Wenn das jemand nicht aushält, verstehe ich es gut, denn mir ging es genauso. Deutlich zu spät waren wir in München aus unserem vollen Alltag ins Auto gestürzt. Der Weg zum Familienhotel in Bad Aussee im Salzburger Land, wo wir uns für eine Woche in ein Familycamp für Gewaltfreie Kommunikation begeben würden, zieht sich. Als wir mich ein, wiederum sauer auf Alex, motze – milienstreit, der bei uns zu Hause den Rang eines Klassikers hat. Die Vorstellung, aus die- ser Art der Kommunikation die Gewalt her- ausnehmen zu können, hätte tatsächlich etwas Verlockendes! Genau um solche Konflikte zu lösen, hat der dend ist die innere Haltung, das echte Be- senberg Anfang der 60 er Jahre die Gewalt- seinen Bedürfnissen zu sehen. Mitzufühlen. amerikanische Psychologe Marshall B. Ro- in den Seminarraum kommen, hocken alle freie Kommunikation, kurz GFK, entwi- Im Kennenlernspiel soll jeder vier Dinge solche zu verändern. Rosenberg hat trauma- anderen schon auf dem Boden und malen: über sich aufzeichnen, drei Wahrheiten, eine Lüge. Fremdelnd und noch lahm von der Autofahrt malen wir wenig inspiriert: Jemand von uns hatte gestern Geburtstag (richtig, unsere Tochter Rosa ist sieben ge- worden), wir haben einen Hund (richtig, er liegt neben uns), es gehört noch jemand zur Familie (richtig, der 16-jährige Sohn meines Mannes), wir haben ein Kaninchen (falsch). Dann tauschen wir uns mit den anderen aus. Eine Familie hat kleine Herzen in große Herzen gemalt als Zeichen ihrer Patchwork- Verbundenheit. Außerdem behaupten sie, dass sie Käsefondue lieben und gerne mal eine Flugreise nach Hawaii machen wollen. ckelt – und um darüber hinaus die Welt als tisierten Kriegsopfern in Ruanda geholfen, mit einer Straßengang in St.Louis gearbei- tet, mit Polizisten und Straftätern, mit Kindern, die geschlagen wurden, und Eltern, Die vier Schritte zur Gewaltfreiheit: 1. Beobachtung, 2. Gefühle, 3. Bedürfnisse, 4. Bitte Letzteres ist gelogen. „Wir achten auf die die geschlagen haben. Überall auf der Welt klären sie. „Ökos“, flüstert mir Paul, unser thode an, die an sich denkbar einfach ist. Es Umwelt und vermeiden es zu fliegen“, er10-jähriger, vorpubertierender Sohn zu. Sein Gesicht ist ernst, noch am Morgen hat er mir Vorhaltungen gemacht: dass ich ihn und seine Schwester gar nicht richtig gefragt hätte, ob sie da hin wollen. Es kommt noch schlimmer. Jeder erzählt, was er sich von der Woche erwartet. „Wei- ter!“, sagt mein Sohn, als er an der Reihe ist. Die 16-jährige Marie, Tochter der Seminarleiter, sagt: „Ich bin hier um zu kuscheln!“ Mein erster Gedanke: Das schreibe ich auf keinen Fall, sonst liest kein Mensch weiter! Mein zweiter: Irgendwie werden wir hier schon durchkommen! Immerhin Alex, mein Mann, scheint entspannt und offen zu sein. Er sei hier, um „Lö- sungen für Grenzsituationen“ zu finden, erklärt er und erntet Zustimmung, vor al- lem von den Frauen. Er meint damit Situa tionen wie diese: Eins der Kinder tut etwas, das Alex nicht passt, spielt also Ball in der Wohnung, trödelt, lärmt oder schmatzt, Alex regt sich auf – impulsiv und übertrie- ben, wie wir anderen finden. Die Kinder Der Praxistest: Wie gut gelingt es den Familien, gemeinsam Aufgaben zu lösen? Und hält der Friede, wenn das ganze Team blind von einem Kind in die Grube geführt wird? wenden Menschen inzwischen seine Me- geht nur darum, zwei Fragen zu beantworten: 1. Beobachte dich selbst: Was ist leben- dig in dir? 2. Wodurch würde sich deine Lebensqualität verbessern, was würde dein Leben bereichern? Aufgabe ist es, die Antworten ehrlich und ohne Kritik mitzuteilen. Weil das in der Praxis doch kniffeliger ist, hat Rosenberg vier Schritte entwickelt, die dabei helfen sollen: 1. Beobachtung, 2. Gefühle, 3. Bedürfnisse, 4. Bitte. Ein Beispiel: Nehmen wir an, eine Freundin sagt eine Verabredung ab. Dann könnte ich sagen: „Du bist so unzuverlässig, dauernd versetzt du mich!“ Was bewertend wäre. In GFK-Sprache könnte es heißen: „Du hast unsere letzten drei Verabredungen abgesagt!“ Dann kommen die Gefühle dazu: „Das är- gert mich …“ Und die Bedürfnisse: „… weil ich möchte, dass du mich wertschätzt.“ Und schließlich die Bitte: „Bitte sag mir, ob du bereit bist, unsere nächste Verabredung einzuhalten.“ Dabei liegt der Schlüssel we- der in der Methode, noch geht es darum, die Inhalte in nette Worte zu packen. Entschei- mühen, sich selbst und den anderen mit Am ersten Morgen nach der Ankunft soll es genau darum gehen: sich empathisch verbinden. Hinter den Fenstern des Seminarraums stehen die Berge so nah und hoch, dass man dicht an die Scheibe gehen muss, um ihre Gipfel sehen zu können. Die Teilnehmer sind aufgefordert, einen Satz in die Runde zu werfen, der in ihnen etwas aus- löst. Ruths Satz lautet: „Mama, ich hab Kopfschmerzen!“ Sie ist mit Mann und drei Kindern hierher gereist. Wenn ihr Sohn die- sen Satz sagt, wackelt für sie das Universum: Wenn er bloß nicht den gleichen Weg nimmt wie sein Vater, der unter Migräne leidet, seit er 17 ist. Der auch in diesem Augenblick krank im abgedunkelten Hotelzim- mer liegt und keine Verantwortung übernehmen kann. Und wieder ist sie es, Ruth, die allein für die Kinder da sein muss. Und sie hatte ja schon in den letzten Tagen gesehen, dass er zuviel gearbeitet und seine Gesundheit riskiert hatte. Und merkt er denn überhaupt, was mit seinem Sohn los ist? Ihre Wut behält Ruth im richtigen Leben oft für sich, erzählt sie. Jetzt, im Rollenspiel, einem Alfons gegenüber, der von einer der Teilnehmerinnen dargestellt wird, lässt sie sie raus. „Gewaltfrei“ heißt laut Rosenberg nicht, die Wut zu schlucken, sondern sie im Gegenteil vollständig auszudrücken und zu schauen, was dahintersteckt, sprich: welche Bedürfnisse nicht zum Zuge kommen. Ruth hat ein junges Gesicht, das viel darü- ber verrät, was in ihr „lebendig“ ist. Jetzt springen ihr Tränen in die Augen, sie rauft sich die grauen Haare, dass eine Strähne für eine Weile senkrecht nach oben steht. Dann übernimmt Seminarleiterin Gundi Gaschler die Rolle des Alfons und wechselt in die „Giraffensprache“: Rosenberg gebraucht die- sen Begriff – im Gegensatz zur Wolfssprache – für die gewaltfreie Art der Begegnung, benannt nach dem Landtier mit dem größ- ten Herzen. Die Giraffe ist DAS Symbol der GFK-Bewegung. Im Raum hängt ein Poster, -17ubuntu Gewaltfreiheit Im Laufe der Tage entwickelt sich eine eigene Atmosphäre. Der Raum wird weit, Gemeinschaft entsteht. Kann man alles machen, aber will man das haben, wenn meine Eltern einen Mittags- re Wege. Manche sind schon lange in GFK- unserem Vater dafür bekamen. Juttas Fra- wirklich? Die Teilnehmer hier suchen ande- Übungsgruppen, andere steigen neu ein. Da ist Angelika, die mit ihrer jugendlichen Pflegetochter hier ist; die beiden haben es auf dem mit breiten Lippen eine Giraffenmutter ihr Junges auf den Kopf küsst. Es ha- be mal Taschentücher in Giraffenmusterverpackung gegeben, erzählt jemand. Die seien unter GFK-Trainern der Renner gewesen. Der „giraffische“ Alfons begegnet seiner Frau mit viel Mitgefühl, spiegelt ihre Worte wieder. Das tut gut und ist heilsam, auch, wenn dies nur eine Übung ist. Ruths Gesicht wird weich, sie probiert ein zögerli- ches Lächeln – wir alle atmen erleichtert auf. Dramatisch war das, bewegend und vor allem war es: echt. Und genau das packt mich! Nach erzählerischen Gesichtspunkten würde man einen solchen Sinneswandel besser an den Schluss eines Textes stellen, aber tatsächlich reicht ein einziger Vormittag, um meine Vorbehalte verschwinden zu lassen. Die Erkenntnis: Dies hier ist nicht kitschig, nicht aufgesetzt, sondern relevant, bewegend und offenbar wirkungsvoll. Die Frage, die somit dran ist: Was ist in mir lebendig? Verbundenheit mit Ruth, die ich gestern noch gar nicht kannte. Der Gedan- nicht immer leicht miteinander. Luba, die noch mit ihrem Mann zusammen wohnt, der beiden Söhne wegen, aber eigentlich schon von ihm getrennt ist. Da sind Rolf und Annette, die manchmal keine gemein- same Sprache finden. Sie haben ihre zwei kleinen Töchter dabei. Farina und Dominik mit drei Kindern, die als Patchwork-Familie weiter zusammenwachsen wollen. Natürlich haben auch die Kinder Namen, sie heißen Rahim, Leon, Marlene, Dome nika, Naima oder Adrian, aber es sollte sich schnell zeigen, dass es vor allem die Eltern sind, die einen ganz schönen Ballast mit sich tragen und die Knoten ins Familienle- ben bringen. Jetzt ist die Chance, ein paar davon zu entwirren. Die „Schandtaten-Übung“ ist eine Möglichkeit. Trainer Jochen Hiester bietet sie gerne an, weil sie einfach ist und oft Erstaunliches zutage bringt. Der Koblenzer GFK-Trainer hat lockige Haare und wache blaue Augen. Sein rheinischer Dialekt ist so unverstellt wie sein ganzes Wesen. Die Übung geht so: ke, wie es sein wird, Alfons, dem echten, nach diesem Vormittag zu begegnen. Außerdem sind da: Neugier und Lust, die Gewalt- freie Kommunikation intensiver zu erproben. Zehn GFK-Trainer sind für 35 Teilnehmer da, eine komfortable Situation. Die Gewalt, von der man sich gemeinsam lösen will, ist nicht unbedingt offensichtlich. Gewalt muss „Willst du Recht haben oder glücklich sein? Beides zusammen geht nicht.“ Jeder Teilnehmer erzählt einem anderen von ja, sogar, wenn wir loben, da wir uns auch hat und für die er vielleicht Ärger gekriegt dann zu Meistern über Richtig und Falsch erheben – anstatt in Verbindung mit unse- rem Gegenüber zu gehen. Und schon sind wir mittendrin. Die Wölfe fletschen die Zähne, gehen aufeinander los: Die Kundin stöhnt über die lahme Verkäuferin, die Verkäuferin macht extra langsam, der Chef mäkelt an seinen Angestellten herum, die Angestellten lassen sich krank schreiben, der Lehrer macht zynische Bemerkungen über die trägen Schüler, die Schüler halten sich für doof und hassen den Lehrer. das Gefühl, leise zu sein! Haben uns ja bemüht, nicht zu stören! Für mich ist das eine echte Überraschung, das hatte ich nicht mehr gewusst. Auch andere Teilnehmer sind verblüfft von den Ergebnissen. Luba ist erschüttert, weint, entblättert Schicht um Schicht: Als Jugendliche hatte sie versucht, mit ein paar Jungen die Schule anzuzünden. Man kann sich das vorstellen, denn auch heute braucht es nicht viel, bis Lubas wilde, burschikose Seite hervorkommt. Jetzt ist viel Druck hin- ter ihren Worten: Sie habe damals Spaß haben wollen, lebendig und unkontrolliert sein wollen. Mit diesen Jungs konnte sie das. Mit ihrem Bruder ging das nicht, denn er war taub geboren und Luba hatte schon als kleines Kind Rücksicht nehmen müssen. Und natürlich half sie der Mutter, aber gefragt wurde sie nie. Und sie musste ihren Bruder lieben, aber konnte es nicht. Luba nimmt dankbar eins der Taschentücher, die ihr gleich von zwei Seiten gereicht werden. Dann wird sie ruhig. Leise sagt sie: „Ich hätte viel mehr geben können, wenn ich es hätte freiwillig tun können.“ Seminarleiter Jochen Hiester fragt, was es che Fragen gestellt bekommen hätten. „Es hätte mein Leben verändert“, sagt jemand. Diese Dimension sehe ich auch. Dass Kinder gute Gründe haben, heißt nun aber nicht, dass ihr Handeln immer angemessen ist – und die Schule dann eben bren- nen muss. Stattdessen würde in so einem Gespräch als nächstes der Erwachsene dem sein. Laut Rosenberg ist sie da, wenn wir ta- deln, bestrafen, urteilen, Druck ausüben, gen führen zum Kern: Aha – wir hatten ja wohl bewirkt hätte, wenn wir als Kind sol- nichts mit Fäusten zu tun haben, sondern kann fein versteckt und um so tückischer schlaf hielten, und regelmäßig Ärger mit einer „Schandtat“, die er als Kind begangen hat. Der andere soll durch empathisches Nachfragen herausfinden, was der Grund dafür war. Ich höre Jutta zu, die als Jugendliche zu spät von der Nachhilfe nach Hause kam. Als ihre mitfühlende Mutter finde ich heraus: Sie hatte ein wahnsinnig aufregen- des Treffen mit einem Jungen, dass sie dafür sogar den Streit mit der Mutter in Kauf genommen hat. Viel lieber wäre es ihr aber ge- wesen, die Mutter hätte ihr generell mehr Freiraum zugestanden. Und Jutta hört mir zu: Wie meine Schwester und ich laut getobt Kind, sofern es zustimmt, darlegen, warum er mit diesem Verhalten nicht einverstanden ist. Jetzt kommen seine Gefühle und Be- dürfnisse ins Spiel. Auch dies wird in der Übung spürbar: Wenn man nicht gegeneinander ankämpft, sondern sich gegenseitig mit seinen Beweggründen sehen kann, wird es oft leicht, eine Lösung zu finden. „Willst du Recht haben oder glücklich sein?“, fragt Marschall Rosenberg. „Beides zusammen geht nicht.“ Alex, mein Mann, kommt aus einem anderen Seminar, auch er mit neuen Erkenntnis- sen: „Das sind ja alles Wertungen, die ich Paul um den Kopf schleudere, wenn wir streiten – anstatt ihm meine Bedürfnisse Es gibt kein Mindestalter für die Gewaltfreie Kommunika tion, sagt Begründer Marschall Rosenberg. Er findet: Gerade die jüngeren Kinder können ihre Bedürfnisse erstaunlich klar mitteilen. -19ubuntu Gewaltfreiheit Versteckte Muster hinter den üblichen Streitereien zu finden, darum geht es in der Anliegenarbeit. Die Idee: Wenn man sich selbst auf die Schliche kommt, hat man die Chance, anders zu reagieren. -21ubuntu Gewaltfreiheit Wenn jeder den anderen mit seinen Bedürfnissen ernst nimmt, fühlen sich Kinder wie Erwachsene wohl. Für die Erwachsenen stellt sich während- tisch das klingt, so sehr wühlt es uns auf, so vor allem auch in der Anliegenarbeit, in der, Aber die Erkenntnis ist verheißungsvoll. In dessen die Frage, wie tief sie gehen wollen, wer möchte, gemeinsam mit den Trainern seine ganz speziellen Themen anschauen mitzuteilen.“ Ich ahne, dass wir aus dieser Woche etwas mitnehmen können. Am Abend, an jedem Abend, wird „gefeiert“ und „bedauert“, das hört sich so an: Ich feiere das Tischtennisturnier von heute Nachmittag. Ich feiere, dass Janniko neben mir sitzt. Ich finde schade, dass ich schlecht ge- schlafen habe. Und Marie sagt: Ich feiere, dass ich heute kuscheln konnte. Da ist es wieder! Sie und ihre Schwester Elia, Töchter der Seminarleiter Gundi und Frank Gaschler, fallen auf. Die beiden, 13 und 16 Jahre alt, sind in genau dem Umfeld aufgewachsen, das die meisten hier erst als Erwachsene für sich entdecken. Schon als Kind hat Elia ihrer Schwester solche Briefe geschrieben: „Liebe Marie …, ich will, dass du bitte hochkommst, damit wir beide uns wieder mö- gen. Wenn du nicht kommen willst, finde ich es schade. Falls ich dann weine, ist das keine Erpressung, sondern ich bin traurig.“ Beide Mädchen sind auf angenehme Art selbstbewusst, kommen blitzschnell in Kontakt mit Kindern wie Erwachsenen, ganz offensichtlich teilen sie erst gar nicht in diese Kategorien ein. Im Laufe der Tage entwickelt sich eine ei gene Atmosphäre. Wenn jeder versucht, den anderen und auch sich selbst wirklich zu hören und die Bewertungen rauszunehmen, wird der Raum weit. Das tut jedem gut, auch den Kindern. An einem Abend ist Paul mit seinem iPod zugange und fragt Gabi, eine der Trainerinnen, ob sie auch mal spie- len wolle. Die Reaktionen, die er häufig erntet: Man kann doch so viele andere Sachen machen. Oder: Guck mal, draußen scheint die Sonne. Gabi, Mutter bereits erwachse- ner Kinder und ganz bestimmt nicht cool im klassischen Sinne, sagt: Ja! Sie lässt sich das Spiel erklären, stellt sich ungeschickt an. Paul lacht. Später spielen sie noch Tischten- nis zusammen, aber sein Herz hat sie am iPod erobert. Und Rosa erklärt jeden Morgen, dass sie nicht in die Kindergruppe gehen will. Und jedes Mal versichern wir ihr, dass das in Ordnung sei. Sobald sie spürt, dass sie wirk- lich selbst entscheiden darf, erklärt sie, dass sie doch teilnimmt – und hat Spaß. kann. Luba arbeitet. Sie will wissen, wo sie hingehört, was ihr Weg ist. Immer wieder sieht man sie weinen, ausbrechen in dieser Woche. Sie habe das zugelassen, weil sie sich geschützt fühlte, sagt sie später. Ruth und Alfons arbeiten. Nach vier Tagen im abgedunkelten Zimmer sieht Alfons blass und zerbrechlich aus. Viel kommt zur Sprache: der fordernde Job als Lehrer an der Waldorfschule und wie schwer es ist, Nein zu sagen, gerade für ihn, der immer helfen will, aber es dann nicht schafft, für die Familie da zu sein. Und seine 100 Prozent rei- chen nie. Die Erkenntnis, die die beiden mitnehmen: Alfons möchte präsenter sein für die Familie. Ruth will mehr auf ihre eigenen Bedürfnisse achten. Wir arbeiten auch. Sitzen mit der ganzen Fa- milie sowie den Trainern Jochen und Gabi am äußersten Eck des Hotelparkplatzes, weil dort die Sonne hinkommt, aber sonst kaum jemand. „Keiner von euch MUSS hier mitmachen“, erklärt Jochen zu Beginn. Rosa geht. Paul sagt, er finde, dass der Papa oft übertreibe. Kurz darauf verabschiedet auch er sich. Bleiben wir Eltern und unser Thema, zur Erinnerung: Eins der Kinder verstößt gegen Regeln, Alex reagiert ungehalten, ich reagiere ungehalten auf Alex. Wir suchen nach den Mustern, die uns daran hindern, friedlich miteinander umzugehen. Wir finden: den kleinen Alex, der mit einer liebe- vollen Mutter aufwächst. Regeln sind zwischen den beiden bindend. Weil der Vater nicht da ist, sagt Alex häufig, wo’s langgeht. Bei den seltenen Treffen mit dem Va- ter wiederum kann er nie sicher sein, ob dieser die Absprachen einhält. Wenn nun viele Taschentücher brauchen auch wir. dem Moment, wo wir uns selbst auf die Schliche kommen, so die Idee, sind wir wie- der handlungsfähig und können anders, neu reagieren. Gabi fällt spontan eine Möglichkeit ein, die wir alle so einfach wie amüsant finden: Statt mit den Kindern zu schimp- fen, könnte Alex mich doch bitten, ihn in den Arm zu nehmen. Was würde Bestand haben? Mit vielen guten Wünschen und dieser Frage verlassen wir nach einer Woche die ganz spezielle GFK- Aura. Wenige Stunden nach unserer Ankunft in München: Paul verkündet, einen Flummi im Hausflur hüpfen zu lassen. „Mal gucken, ob der ganz bis unten springt.“ Alex kommt zu mir. „Nimmst du mich in den Arm?“ Wir grinsen. Zwei Wochen später ge- nießen wir immer noch eine neue Leichtigkeit. Zwar gab es schon Rückfälle, aber bis- lang haben wir die Muster dahinter schnell entlarvt. Paul sagt: „Seit wir in dem Camp waren, ist der Papa so cool!“ Auch bei Ruth und Alfons hat sich was ge- tan. Alfons arbeitet tatsächlich weniger; die Kollegen sind nicht begeistert, aber es entlastet die Familie. Mit seinem Sohn hatte er ein sehr besonderes Gespräch, es könnte ein Schritt auf einem neuen Weg sein. Luba hat sich entschieden, ihre Söhne bei ihrem Mann zu lassen. Sie ist traurig, wenn sie an den Abschied denkt, aber froh über die Aussicht, sich endlich auf ihren eigenen Weg konzentrieren zu können. Irgendwann später sprechen wir in der Fa- milie auch über Marie, ihre Schwester und das Kuscheln. Und sind uns einig, dass die beiden tolle Menschen sind. Eine Menge würde sich ändern, wenn wir das alle könn- ten: zu sagen, was wir brauchen, damit es uns gut geht. der erwachsene Alex wütend wird, weil ei- nes unserer Kinder eine Regel verletzt, gerät er in dieses Gefühlsgemenge … … und stößt auf die kleine Simone, die einen Vater hatte, der es bestimmt gut meinte, aber häufig ungehalten und laut reagiert hat, und eine liebevolle Mutter, die dem wenig entgegensetzen konnte. Heute, als erwachsene Frau, will ich meinen Kindern unbedingt eine starke Mutter sein – und sie davor bewahren, dass sie Ähnliches erleben. Und dann knallt’s in der Familie. So analy- Zum Üben und Weiterlesen Infos über GFK-Familienseminare und Übungs gruppen findet man unter www.gewaltfrei.de Zum Weiterlesen: Marshall B. Rosenberg: „Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens.“ Junfermann Verlag, 21,90 Euro Frank und Gundi Gaschler: „Ich will verstehen, was du wirklich brauchst. Gewaltfreie Kommu nikation mit Kindern.“ Kösel Verlag, 14,95 Euro Die Kinder der Batek (beide Fotos) können tun, was sie wollen. Im Laufe der Zeit geht ihr Spiel in reale Tätigkeiten über. Frieden im Busch Wie wachsen Kinder in Jäger-und-Sammler-Kulturen auf? Um dies herauszufinden, hat der Psychologe Peter Gray Informationen zu zehn Völkern gesammelt. Ubuntu stellt das Originalmaterial zu den Batek, !Kung und Agta vor – von denen wir laut GraY eine Menge lernen können. Fotos Karen und Kirk Endicott -23ubuntu Gewaltfreiheit „Eltern treten bei den Batek nicht als Autoritäten auf!“ Wissenschaftler: Karen und Kirk Endicott, Anthropologen Wieviel freie Zeit hatten die Kinder zum Spielen? Nahezu die gesamte Zeit. Bis zum späten Teenageralter erwartete niemand von ihnen, dass sie ernsthaft arbeiten. Haben die Kinder ihre Zeit im Allgemeinen mit Gleichaltrigen In welcher Form haben sich die Erwachsenen sonst noch um die Kinder gekümmert? Väter haben die Kinder getragen, getröstet und gepflegt. Sie fertigten kleine Spielzeuge an, indem sie zum Beispiel einen Käfer an verbracht oder in altersgemischten Gruppen? einer Schnur befestigten, oder halfen, Rattanleitern zu bauen, mit eiferten häufig größeren nach. haben ihren Kindern Lieder vorgesungen, ihnen Kopfschmuck aus Meist haben sich die Altersgruppen gemischt. Kleine Kinder Welche Spielzeuge verwendeten die Kinder am häufigsten? Sie spielten vorwiegend mit Gegenständen aus der natürlichen Umgebung sowie mit Werkzeugen: Stöcken zum Graben, Blasrohren, Messern, Schleudern. Was spielten die Kinder am häufigsten? Oft dienten die Jagd oder das Kochen als Spielgrundlage. Die Kinder versuchten, Vögel und Eichhörnchen zu schießen. Je besser sie wurden, desto häufiger gelang es ihnen, tatsächlich welche zu töten. Sogar kleine Kinder spielten Kochen. Im Alter von etwa 10 Jahren konnten sie richtiges Essen kochen. So wie bei anderen wirtschaft lichen Aktivitäten führte das spielerische Kochen im Laufe der Zeit zum richtigen Kochen. Außerdem bauten sie Häuser aus Stöcken oder spielten, dass sie ihr Lager verlegen. Sie ahmten also generell die Tätigkeiten der Erwachsene nach. Wie oft haben Sie Wettbewerbsspiele beobachtet? Niemals.Die Gemeinschaft der Batek zeichnet sich dadurch aus, dass kein Wettbewerb stattfindet, das spiegelt sich auch in den Spielen der Kinder wider. Haben die Kinder auch mit Waffen gespielt? Sie haben Waffen nie gegen andere Menschen gerichtet. Es kam aber vor, dass Kinder Schmutzkugeln gegen Kinder schossen, die im Spiel vorgaben Affen zu sein. Wie unterscheidet sich das Spiel von Mädchen und Jungen? Bis zum Alter von etwa 10 Jahren mischten sich die Geschlechter. Danach verbrachten die Jungen mehr Zeit damit, ihre Jagdfähig keiten zu üben, während die Mädchen verstärkt Beschäftigungen der Frauen nachgingen: sammeln, nach Bambusratten graben, angeln, Unterstände bauen, Körbe flechten. Haben die Erwachsenen die Kinder beim Lernen angeleitet? Sie haben die Kinder nie dazu gezwungen, innerhalb eines deren Hilfe die Kinder „Bienen ausräuchern“ spielten. Mütter Blumen oder ebenfalls kleine Spielzeuge gemacht. Sie haben die Kinder geküsst und gekitzelt. Wir haben eine Mutter beobachtet, die für ihre 18 Monate alte Tochter ein kleines Messer geschnitzt hat. Die Eltern erlaubten schon kleinen Kindern große Macheten zu benutzen. Sie schritten nur ein, wenn die Kinder sie in den Mund nahmen. Wie reagierten die Erwachsenen auf Streitereien unter den Kindern? Eine der auffälligsten Eigenschaften der Batek-Gesellschaft ist die Abwesenheit von Aggression und Gewalt. Bereits im Alter von ein oder zwei Jahren wurden Kinder nach diesen Werten erzogen. Wenn zum Beispiel zwei Kinder aufeinander losgingen, wurden sie von ihren Müttern oder anderen Erwachsenen ohne großen Kom- mentar getrennt. Meist versuchten die Erwachsenen, die Kinder anschließend für etwas anderes zu interessieren. Die Eltern haben ihre Kinder für ihr aggressives Verhalten in der Regel nicht bestraft, sehr selten haben sie die Kinder angewiesen, sich nicht gegenseitig zu schlagen. Wie lässt sich das Verhältnis zwischen Kindern und Erwach senen generell beschreiben? Kinder und Erwachsene begegneten sich mit Zuneigung und gegenseitigem Respekt. Die Eltern waren für die Kinder da, wenn nötig, und boten ihnen Schutz und Geborgenheit. Gleichzeitig ließen sie ihnen die Freiheit, zu tun, was sie wollten. Die Eltern beeinflussten das Verhalten ihrer Kinder, indem sie ihnen selbst ein Vorbild waren, Ratschläge gaben oder spontan auf das Verhalten der Kinder reagierten, aber sie traten nicht als Autoritäten auf. Eltern akzeptierten auch, dass die Kinder, wenn sie dies nicht wollten, ihnen nicht gehorchten. festen Zeitplans bestimmte Fähigkeiten zu erlernen. Männer haben den Jungen im Teenageralter das Jagen aktiv beigebracht und Frauen den Mädchen das Flechten von Körben und Schlafmatten aus Pandanuss. Die Batek, Jäger und Sammler, leben als Nomaden auf der Halbinsel Malaysia. Beobachtungszeitraum: 1975 – 76, 1990 -24ubuntu Gewaltfreiheit „!Kung-Kinder hatten fast ausschließ lich Freizeit.“ „Gewalt wurde bei den Agta generell nicht akzeptiert!“ Wissenschaftler: Nancy Howell, Soziologin Patricia Draper, Anthropologin Wissenschaftler: P. Bion Griffin, Anthropologe Agnes Estioko-Griffin, Anthropologin Wieviel freie Zeit hatten die Kinder zum Spielen? Wie viel freie Zeit hatten die Kinder zum Spielen? !Kung-Kinder, die nomadisch lebten, hatten fast ausschließlich Jungen und Mädchen konnten die meiste Zeit frei spielen. Erst, gefordert, Aufgaben zu erledigen. Insbesondere kleineren Jungen Mädchen spielten auch häufiger mit jüngeren Geschwistern. Freizeit. Kinder aus sesshaften Gruppen wurden eher dazu auf wurde aufgetragen, Tiere von den Weiden in die Dörfer zu treiben. als sie älter wurden, wurde das Spiel für die Jungen zur Arbeit. Haben die Kinder ihre Zeit im Allgemeinen mit Gleichaltrigen Haben die Kinder ihre Zeit im Allgemeinen mit Gleichaltrigen verbracht oder in altersgemischten Gruppen? Die Spiele der !Kung waren im Allgemeinen nicht altersspezifisch. Jungen im Alter von etwa 10 bis 14 Jahren gemeinsam auf die Jagd verbracht oder in altersgemischten Gruppen? Jedes Kind, das über ausreichenden Antrieb und kognitive Reife verfügte, konnte sich an jedem Spiel beteiligen. Welche Spielzeuge verwendeten die Kinder am häufigsten? Einfache Gegenstände wurden phantasievoll genutzt. Eigentliches Spielzeug im westlichen Sinne war eher selten. Wie unterscheidet sich das Spiel von Mädchen und Jungen? Mit Ausnahme der Jagd und dem Puppenspiel gab es keine Unterschiede. Jungen und Mädchen spielten zusammen. Haben die Erwachsenen die Kinder beim Lernen angeleitet? Es gab selten Situationen, in denen bewusst unterrichtet wurde. Die meisten Eltern vertrauten darauf, dass ihre Kinder durch In wenigen Fällen gab es eine vage Trennung nach Alter: Wenn gingen, während die Mädchen dazu weniger Gelegenheit hatten. Meistens spielten die Kinder aber in altersgemischten Gruppen. Wie unterscheidet sich das Spiel von Mädchen und Jungen? Wie auch bei den Erwachsenen spielt das Geschlecht eine geringe Rolle. Der Umgang zwischen den Geschlechtern aber auch zwischen den Individuen war in der Regel liebevoll oder zumindest tolerant. Wie reagierten die Eltern auf Streitereien? Gewalt oder Feindseligkeit wurden generell nicht akzeptiert. Wie haben sich die Erwachsenen um die Kinder gekümmert? Väter spielten Dinge mit den Kindern, die mit dem reellen Leben zu tun hatten. Bei den Aktivitäten der Mütter ging es mehr um die Pfle- Beobachtung lernen. ge. Sie spielten auch typische Babyspiele mit den kleinen Kindern. gekümmert? Kinder lernten durch Imitation, Teilnahme und Üben. Die Erwach- In welcher Form haben sich die Erwachsenen um die Kinder In der !Kung-Gesellschaft sind die Eltern selten mit ihren Kindern allein. Väter beteiligten sich an den Aktivitäten der Kinder, aber sie spielten nicht wirklich engagiert mit. Mütter machten Spielzeug für die Kinder und waren sehr tolerant. Wenn sie sich selbst an einem Spiel wie dem Melonenwerfen beteiligten, dann als individuelle Spielerinnen und nicht in der Rolle der Mutter. Was spielten die Kinder am häufigsten? Ich kann mich nicht erinnern, dass sie Kochen gespielt haben, statt- Haben die Erwachsenen die Kinder beim Lernen angeleitet? senen gaben etwas Unterstützung, beispielsweise halfen sie, eine Pfeilspitze herzustellen. Welche Spielzeuge verwendeten die Kinder am häufigsten? Manchmal wurden für die kleinen Kinder einfache Spielzeuge angefertigt, ansonsten machten sie sie selber. Kinder haben nicht mit Puppen gespielt. Stattdessen trugen sie, sobald sie in der Lage waren, kleinere Geschwister herum. Was spielten die Kinder am häufigsten? dessen haben schon kleine Mädchen wie Jungen ganz reell gekocht. Bis zum Alter von 13 Jahren spielten Jungen wie Mädchen das Jagen, ten Nüsse am Feuer. Häufig diente auch die Jagd als Spielgrundlage. Häufig vermischten sich Spiel und Realität. Zum Beispiel spielten Sie nahmen Essen aus einem Topf, erwärmten es, rösteten und knack- Die Eltern schätzten ihren Beitrag zum Essen. Beide Geschlechter spielten viel mit Puppen, die sie selbst oder die Erwachsenen aus Ton und Stoff hergestellt hatten. Häufig haben sie auch gebaut: Figuren aus Ton, Häuser aus Stöcken oder nicht weit von ihrem eigenen Dorf entfernt ein kleines Dorf mit Hütten aus Gras. Die !Kung leben in der Halbwüste Kalahari in Botswana. Beobachtungszeitraum: Juni 1967 – Juli 1969, Besuch im Jahr 1992 (Howell) danach gingen sie richtig auf die Jagd. Das passierte übergangslos. beide Geschlechter Kochen und brieten dabei tatsächlich einen kleinen Vogel, den sie gefangen hatten. Beide Geschlechter bauten sehr viel: Spielboote, Bogen, Tiere oder Häuser. Die Agta erzählen auch gerne Geschichten und albern viel herum. Das Gespräch ist für sie eine zentrale Beschäftigung. Das Volk der Agta lebt als Jäger und Sammler auf den Philippinen. Beobachtungszeitraum: kurze Besuche in 1972, 1973, Februar 1974, 1976, 1978 -25ubuntu Gewaltfreiheit Männerberufe.“ „Wenn wir Gewaltspiele verbieten, werden die Kinder friedfertiger und die Gesellschaft wird besser.“ Nichts davon ist bewiesen! Ich glaube, es ist umgekehrt: Das Spiel der Kinder ist ein Spiegel der Gesellschaft und dient dazu, die Wirklichkeit zu verarbeiten. Dass die Kinder der Jäger und Sammler sich nicht in Wettbewerben miteinander messen und respektvoll und freundlich miteinander umgehen, liegt daran, dass die Erwachsenen ihnen dies vorleben. In meinem neuen Buch „Free to learn“ gibt es ein Kapitel über das Spielen im Holocaust. Jüdische Kinder spielten im Konzentrationslager viele grausame Szenen nach – ganz offensichtlich diente dies nicht als Flucht aus der Wirklichkeit, sondern, um diese begreifbar zu machen und die Geschehnisse zu verarbeiten. Als unsere Vorfahren begannen, sesshaft zu werden, änderte sich auch ihr Wertesystem und damit das Heranwachsen der Kinder. Kinder brauchen Freiheit zum Lernen! Der Psychologe Peter Gray ist überzeugt, dass sich Kinder aus eigenem Antrieb alles beibringen, was nötig ist – so, wie es schon bei unseren Vorfahren, den Jägern und Sammlern, war. Der Alltag der Jäger-und-Sammler-Kulturen unterscheidet sich erheblich von dem schnellen und komplexen Leben, das wir heute führen. Dennoch können wir Wichtiges von ihnen lernen, denn unser aller Vorfahren lebten die weitaus längste Zeit genau Während die Jäger und Sammler Eigentum als Belastung empfanden, machte es die Landwirtschaft nötig, Dinge zu besitzen. Man baute Häuser, hatte Äcker, die ersten Statussymbole entstanden. Zu teilen war nicht mehr zwingend nötig, sondern minderte das eigene Hab und Gut. Dennoch glaube ich, dass es heute möglich ist, den Weg der Jäger und Sammler wieder aufzunehmen – bis zu einem gewissen Grad passiert das schon: Menschen leben in Gemeinschaften zusammen, Wirtschaftsbetriebe organisieren sich demokra- tisch. Und weltweit entstehen neue Schulen, die den Kindern die Freiheit bieten, aus sich selbst heraus zu lernen. Orte, an denen sie beständig mit den Werkzeugen ihrer Gesellschaft spielen können: Bücher, Computer, Musikinstrumente, Forschungslabore. Die Erwachsenen unterstützen sie dabei, indem sie ihre Erfahrung, ihr Wissen und ihre Werte einbringen. Zwingen oder umgarnen müssen sie die jungen Menschen nicht – genauso wenig wie die Jäger und Sammler ihre Kinder zum Kochen oder Jagen gedrängt haben. so: als herumziehende Jäger und Sammler. Wir tragen die Eigen- schaften, die sich über lange Zeit entwickelt haben, auch heute noch in uns. Damals hatten die Kinder Zugang zum ganzen Reichtum ihrer Kultur und waren in Kontakt mit allen Altersgruppen und beiden Geschlechtern. Sie lernten durch Beobachtung und Nachahmung. Wenn wir sehen, dass sie sich aus eigenem Antrieb und ohne Zwang alles das aneigneten, was für ihr Leben nötig war, ist das ein Schlüssel, um die Situation der Kinder heute zu verstehen. Es erklärt, warum unser Schulsystem nicht funktionieren kann und warum die Schüler immer wieder daran scheitern, auch, wenn wir uns noch so sehr bemühen, sie dafür passend zu machen. Sie sind von ihren biologisch angelegten Strategien abgeschnitten. Sicher stellt das Leben des 21.Jahrhunderts andere Anforderungen, aber man darf die Vielschichtigkeit des Jäger- und Sammlerlebens auch nicht unterschätzten. Auch damals war es nötig, emotionale und soziale Kompetenzen, handwerkliche Fähigkeiten oder ab straktes Denken zu erlernen. Aber natürlich: Die Kinder mussten weder lesen, noch schreiben können oder Arithmetik beherrschen. Protokoll: Simone Kosog Viele Menschen glauben, dass Kinder heutzutage zumindest ermutigt, wenn nicht gezwungen werden müssen, um solche Dinge zu lernen. Eltern glauben, ihre Kinder überwachen zu müssen, damit diese bestehen können. Zuviel Freiheit macht ihnen Angst. Sie denken, dass sie, wenn sie die Beschäftigungen und Spiele der Kinder lenken, die Zukunft beeinflussen können: „Wenn wir Mädchen auch Autos zum Spielen geben, ergreifen sie später eher typische Auch heute noch leben die !Kung in Botswana, die Batek auf der Halbinsel Malaysia und das Volk der Agta auf den Philippinen. Allerdings werden sie zunehmend von modernen Kulturen beeinflusst. Peter Gray ist Professor für Psychologie in Boston, USA. Sein englischsprachiger Blog ist unter www.psychologytoday.com zu lesen. Aktuell erschienen: Peter Gray: „Free to learn“, Basic Books, 18,36 Dollar Die Gandhis Palästinas Man hört wenig von ihnen und doch leisten sie täglich gewaltfreien Widerstand. Manche demonstrieren unter Lebensgefahr, andere bleiben wohnen, wo es unerträglich ist. Ein Besuch in Palästina. Fotos Eloïse Bollack Text Julia Prosinger -27ubuntu Gewaltfreiheit Die Ruhe vor dem Protest: Jeden Freitag demonstrieren die Bewohner Nabi Salehs gegen die israelische Besetzung. Auch Kinder sind mit dabei. -28ubuntu Gewaltfreiheit einstöckiges Sandsteingebäude in der Form eines „L“. In den drei Räumen der längeren Seite wohnt er mit seinen Eltern, der Groß- mutter, Tanten, Bruder, Schwestern. In der kurzen Seite, in zwei kleinen Räumen, wohnen seit vier Jahren orthodoxe Siedler. „Free Palestine“, „Justice“ hat Mohammed an die kleine Mauer um Mohammed Al Kurd ist 14 Jahre alt und Widerstandskämpfer. Er kämpft, wenn er seiner Großmutter abends ihre Medikamente gibt, wenn er seine Hausaufgaben macht, sein Bett bezieht. Er kämpft, wenn er Lady Gagas Musik hört. Mohammed widersteht, indem er wohnt. Denn der Konflikt zwischen Israel und Palästina zieht sich mitten durch sein Elternhaus. In einem Teil wohnt seine Familie, im anderen wohnen religiöse jü- dische Siedler. Mohammed wehrt sich – so wie viele in der Region – gewaltfrei. Sie demonstrieren jede Woche für ein besseres Leben – oder leben als Demonstration dort, wo es unerträglich ist. Man hört selten von ihnen. Viel besser kennt man die Bilder von Gewalt. Dieser Text ist eine Suche nach einem palästinensischen Gandhi – wer durch Palästina reist, findet ihn schnell. Die Suche beginnt in Sheikh Jarrah, Ostjerusalem, einst reichstes arabisches Viertel der Heiligen Stadt. Mohammeds Zuhause ist ein Als Zeichen ihrer Beset zung haben jüdische Sied ler den Davidstern auf gesprüht. Viele Nachbarn haben Angst, dass ihr Haus das nächste ist, das besetzt wird. den Vorgarten gesprüht, aber es ist nicht mehr gut zu lesen. Jemand hat Davidsterne und Parolen darüber gemalt. „Death to Arabs“ ist eine davon. Ihre Fenster haben die ungewollten Nachbarn mit isra elischen Flaggen verhängt, ihre Hintertür hat Mohammeds Familie mit Sofas, Sesseln, Planen verbarrikadiert – der Nahostkonflikt im Kleinen. Wie es dazu kam, erzählt Mohammed in flüssigem Englisch, seine Hände, noch zu groß für seinen schlaksigen Körper, helfen, wenn ihm doch mal ein Begriff fehlt. Seine Geschichte ist so schwer zu erzählen, dass er manchmal unwillkürlich stöhnt, dabei verspricht sie auf den ersten Blick nicht einmal eine Sensation. Gerade deshalb hat die Organisation „Just Vision“ einen Film darüber gedreht. Seine Macher glauben, dass der Einzelne sichtbar gemacht werden muss, weil er es ist, der im friedlichen Widerstand zählt. Sie haben Mohammed mitgenommen nach Brüssel und New York und den Film „My Neighbourhood“ vorgestellt. Neulich lief er im palästinensi- Oben: Mohammed und seine Familie bleiben woh nen – auch, wenn ein Teil ihres Hauses von jüdischen Siedlern besetzt worden ist. Links: Die Frauen von Nabi Saleh haben gemeinsam mit israelischen Aktivisten ihre Quelle zurückerobert. Wenn auch nur für kurze Zeit. schen Fernsehen, man kann ihn auch im Internet sehen. Moham- med gibt nicht damit an, er ist ohnehin kein lauter Junge. Nach der Schule malt er Bilder, helle Farben, abstrakte Formen, und dichtet Lieder, Lady Gaga im Sinn. „Ich habe ein Haus ohne Tür und eine Seele voll Frieden“, heißt es im Refrain. Mohammeds Großmutter wurde im Krieg 1948 aus Haifa vertrieben. In den 50 er Jahren tauschte sie ihren Flüchtlingsstatus ein gegen jene Parzelle Land in Jerusalem, auf der nun ihr Haus steht. Das regelten damals die jordanische Regierung und die UN. Seit 1972 erheben Siedler Ansprüche auf dieses Land. Nach 2008 haben zwölf Familien in der Nachbarschaft ihr Zuhause verloren. Kinder schla- fen in Autos, Eltern bauen Zelte in den Vorgärten anderer Familien Links: Maha hat Angst vor den Siedlern, seit diese ihr Babybett ver brannt haben. Unten: Darauf sind viele Solda ten nicht vorbereitet: die weiße Rose als Zeichen friedlicher Proteste. auf. Je nach Grundstück berufen sich die Siedler auf andere Gesetze. Laut einer UN-Studie sind mehrere hundert palästinensische Familien in Ostjerusalem von diesen Entscheidungen bedroht. Mohammeds Vater hatte sich jahrelang um eine Genehmigung für einen Anbau, den kurzen Teil des „L“s, bemüht. Palästinenser finden nur schwer eine Wohnung in Jerusalem, er wollte, dass seine Kinder irgendwo unterkommen. Vergeblich. Schließlich baute er illegal. Er richtete sich ein, kaufte plüschige Sofas, dicke Decken und ein rosa Kinderbett. Einziehen durfte Mohammeds Familie nie. Zunächst verordnete ein Gericht Strafe. Mehrere tausend Euro – viel Geld für einen Fahrer wie Mohammeds Vater. Dann ließen die Rich- ter den Anbau versiegeln. 2009 zogen die Siedler ein. „Für sie ist der Anbau legal, für uns illegal“, sagt Mohammed. Der Anbau hat keine Küche, keinen Strom, kein Wasser – trotzdem bleiben die neuen Nachbarn, Jungs im Studentenalter. Sie leben darin wie auf einem Campingplatz. Mohammed glaubt, dass sie jemand dafür bezahlt. Er führt jetzt durch seinen Garten und deutet auf einen Plastikbeu- tel mit benutzten Windeln, die vorhin aus Richtung der jüdischen Pilgerstätte gleich hinter dem Haus herübergeflogen sind. Seit die Siedler in seinem Haus leben, sind seine Schulnoten schlech- ter geworden. Nachts muss sich seine große Familie auf mehrere Wohnungen verteilen. Einige Minuten später läuft Mohammeds Schwester Maha, fünf Jahre, in pinkfarbenem Jogginganzug durch den Vorgarten. Einer der Siedler steht vor dem Haus. Maha kneift die Augen zusammen von den anderen zu unterscheiden, die ihm helfen wollen. So wie med, hätten sie Mahas rosa Babybett im Garten verbrannt. Seitdem „Für ein Israel, das hätte sein können, für eines, das noch werden und stößt das Kinn vor. Als die Siedler einzogen, erzählt Moham- macht sie manchmal in die Hose, wenn sie einen von ihnen sieht. Sie hat auch Angst vor dem Hund, der jetzt in einem Teil ihres Hauses lebt – Palästinenser halten keine Haustiere. Der Siedler geht zwei Schritte auf das Mädchen zu, grinst breit und stampft mit dem Fuß auf, wie, um eine streunende Katze zu ver- scheuchen, zischt ein paar Schimpfworte. „Manchmal machen sie auch Bewegungen“, sagt Mohammed und kaut auf einem Grashalm aus dem Garten. „Sexuelle Bewegungen.“ Manchmal, davon gibt es Videos, steht eine ganze Busgruppe in Mohammeds Garten, und ein jüdischer Fremdenführer erklärt, dass seine Familie dieses Haus einst besessen habe. Eine Straße weiter liegt das Grab von Simon dem Gerechten, lange schon jüdische Pilgerstätte. Aber Mohammeds Haus gibt es erst seit den 50 ern. „Man kann mit denen nicht reden. Sie glauben, sie wohnen hier, auf hei- ligem Land, auf ihrem Land“, sagt er. Manchmal feiern hundert religiöse Studenten in Mohammeds Vorgarten, laut, die ganze Nacht. Manchmal bedrohen Siedler Mohammed mit Waffen, doch wenn er die Polizei ruft, kommt niemand. Mohammed hasst diese Nachbarn. „Aber nicht alle Juden.“ Er musste erst lernen, die einen, die seine Schwester zum Weinen bringen, Sara Benninga, die heute, wie jeden Freitag mit ihm demonstriert. kann“, sagt sie mit leiser, heiserer Stimme. Sara, 30, besonnen, sie promoviert in Kunstgeschichte über Rubens, kommt aus einer Familie, die den Holocaust überlebt hat. Unkritisch, unpolitisch ist sie im reichen Westjerusalem aufgewachsen. „Irgend- wann war da dieses Schuldgefühl“, sagt sie. Seitdem war sie mehrmals im Gefängnis, mal wegen unerlaubten Demonstrierens, mal wegen verbotenen Gebrauchs des Megaphons, mal aus anderen Grün- den, fünf Klagen laufen noch. Ihre Mutter kommt zu den Demos, aus Angst, der Tochter könne etwas zustoßen. „Ich bin schockiert, wie unser Staat, in den wir aus den USA gekommen sind, um ein neues Leben anzufangen, mit meinen Kindern umgeht“, sagt sie. Im Internet wird Sara mit „Hitler“ beschimpft, weil sie Dinge sagt wie: „Israels Recht diskriminiert. Juden können Häuser zurückverlangen, Palästinenser nicht“. Oder, dass Israel mit seiner Siedlungs- politik, wie hier in Sheikh Jarrah, eine Zwei-Staaten-Lösung verhin- dert. Sie kann laut werden, wenn sie gegen ihren eigenen Staat anbrüllt, gegen seine Waffen, seine Gewalt. „Manchmal bedeutet Widerstand schon, an einem Ort zu sein, an dem man nicht sein sollte“, sagt Sara heute auf der Demonstration vor Mohammeds Haus. Vor einigen Jahren kamen hier hunderte -30ubuntu Gewaltfreiheit Aktivisten. Mohammeds Eltern luden sie ein, in ihrem Vorgarten zu wohnen, sie bauten ein Zelt auf, kochten in der Küche seiner Fami- lie, benutzten das Bad. Mohammed hat jetzt Freunde in Korea und Chile. Mit den Jahren versickerte die Aufmerksamkeit. „Wir Israelis können helfen – es muss aber der Protest der Palästinenser bleiben“, sagt Sara. Sie kann abends zurückgehen in ihr sauberes Viertel in Westjerusalem, zu den Galerien und Cafés. Mohammed bleibt. An seiner Situation hat sich nichts verändert. Dass seine Familie nicht wie andere ins Ausland zieht, ist gewaltfreier Widerstand. Eine Straße weiter fürchtet die nächste Familie den Räumungs befehl. Sara glaubt, dass bald noch mehr ausziehen müssen. Dann könnte auch der Protest wieder erstarken. „Anderswo ist es schlim- mer“, sagt Mohammed dennoch. Sein Finger zeigt gen Osten. Eine Aufforderung, dort nach einem Gandhi zu suchen, im Westjordanland, das Israel im Krieg 1967 annektiert hat. Studien, beispielsweise eine des norwegischen Instituts Fafo, zei- gen, dass die Mehrheit der Palästinenser eine gewaltfreie Lösung will – die Mehrheit der Israelis auch. Den gewaltfreien Widerstand haben die Palästinenser lange geübt. Während der ersten Intifada beispielsweise, dem Aufstand 1987 bis 1993, waren viele Demonstra tionen friedlich. Die Reise ins Westjordanland geht über den Checkpoint Kalandia. Jeden Morgen warten hier Palästinenser auf dem Weg zur Arbeit nach Jerusalem, oft stundenlang. Eine Gruppe israelischer Frauen wartet mit ihnen, um zu verhindern, dass Soldaten die Palästinenser demütigen, bedrohen, beschimpfen. Ein wenig Gandhi aus Israel. Andere Israelis verteilen hier, zwischen den verfeindeten Völkern, Ganz oben: Die Israelin Sara Benninga (Mitte) protestiert jeden Freitag an der Seite der Palästinenser. Oben: Junge Palästinenser vor der Mauer, die 2003 von den Israeli gebaut wurde. zwischen den Welten, Bücher über gewaltfreien Widerstand an Taxifahrer, die sie an Kunden weiterreichen sollen. Ein paar Schritte hinter dem Checkpoint demonstrieren jeden Frei- tag Palästinenser und Israelis gegen die Besetzung und gegen die Mauer, deren Bau Israel 2003, nach der zweiten Intifada, begonnen hat. Sicherheitszaun, sagen die Israelis, Apartheidmauer die Palästinenser, rechtswidrig, sagt der Internationale Gerichtshof. Auf der Suche nach Palästinas Gandhi hört man schnell von Ahed Unten: Ahed (links) und ihre Freun dinnen genießen das Zusammensein am Brunnen. Wie alles andere, ist auch dieser unbeschwerte Nachmittag zugleich ein politisches Statement. Tamini. Ahed ist 12 und hat gerade den türkischen Friedenspreis „Handala“ gewonnen. Für ihren besonderen Mut, und vielleicht auch ein wenig für ihre ungewöhnlich blonden Locken, die blauen Augen, die glockenhelle Stimme. Wenn Kinder in Europa freitags vergnügt ins Wochenende starten, geht für Ahed die Konfrontation los. Sonnenverbrannt, wutrot im Gesicht und mit wirrem blondem Haar stellt sie sich wieder und wieder den Soldaten entgegen, die ihre Mutter abführen wollen. Umklammert sie schreiend, bis die Soldaten sie ihr entreißen. Un- angemeldetes Demonstrieren – und eine Erlaubnis gibt es selten – ist eine Straftat nach israelischem Militärrecht, das in diesem Teil des Westjordanlandes gilt. Einmal hat sich Ahed bei ihrem Einsatz das Handgelenk gebrochen. Angst hat sie längst keine mehr. Sie riecht auch das faulige Schmutzwasser nicht mehr, mit dem Soldaten Häuser und Demonstranten beschießen. Sie hat sich daran ge- wöhnt, dass Soldaten freitags das große gelbe Tor zum Dorf ver riegeln, Jeeps aufstellen. Niemand kann raus, nicht zu Hochzeiten, Beerdigungen, Verletzte nicht, Kranke nicht. -31ubuntu Gewaltfreiheit An schlimmen Freitagen sieht sie, wie Soldaten in ihr Haus eindrin- gen, Computer durchsuchen, die Eltern abführen. Vierzig Prozent aller palästinensischen Männer im Westjordanland waren schon einmal inhaftiert. 125 der Einwohner Nabi Salehs sind in den letzten vier Jahren festgenommen worden, auch Minderjährige. Viele der Rückkehrer sind traumatisiert. Es gibt Freitage, da wünscht sich Ahed, die winzige Ahed mit den einst versorgte. Heute müssen ihre Eltern den Israelis das Wasser – und Siedler sterben. An anderen ist sie so traurig, dass sie ihr Bett Einmal im Jahr erobert Ahed mit anderen Mädchen und Frauen den silbernen Ketten und den rosafarbenen T-Shirts, dass alle Soldaten nicht verlässt. „Sie ist zu erwachsen für ihr Alter“, sagt Bassem Ta- ihr Wasser – abkaufen. Brunnen zurück. Oft lassen die Soldaten sie gewähren – weil sie mimi, ihr Vater. Gern würde er Ahed mal ans Meer schicken, nach sehen, dass von den Frauen keine Gefahr ausgeht. Ahed springt Stattdessen läuft sie jetzt die Straße entlang, auf der sie freitags de- tinensische Volkslieder. Ein kleiner Erfolg. Frankreich vielleicht, wo sie ein normales Kind sein könnte. monstriert. Tränengasbehälter baumeln an Schnüren wie Tro phäen. Es ist die mildeste Waffe der Soldaten, jede Woche atmet Ahed es ein: das berüchtigt scharfe Tränengas. Würgt, weil ihre Luftröhre zuschwillt, Tränen und Rotz fließen unkontrollierbar. Die Haut brennt minutenlang. Im Sommer brennt das trockene Gras. Auf einer Wiese spielen Kinder, Ahed beachtet sie nicht. „Demons tranten gegen Soldaten“ heißt ihr Spiel, bei dem auch Steine fliegen. Ahed demonstriert friedlich. An ganz schlimmen Freitagen sieht sie Menschen sterben. Ihr Onkel ist im Dezember bei einer Demonstration erschossen worden, einen anderen traf 2011 ein Tränengaskanister tödlich ins Gesicht. Ein israelischer Kommandeur erklärte diese Unfälle so: „We don’t do Gandhi very well“ – wir sind nicht besonders gut in Gandhi. Das Zitat ging durch die Medien. Von ihrem Haus blickt Ahed auf die jüdische Siedlung Halamish, die in den 70 ern entstanden ist. Ahed spielt gern Fußball mit den Jungs aus dem Dorf, sie ist eine gute Taktikerin, und wenn sie könnte, dann um den Brunnen, isst das Fladenbrot ihrer Mutter, singt paläsFür einen großen Erfolg muss man einige Kilometer weiter fahren, vorbei an der kleinen Stadt Ni’lin, wo sie in den letzten Jahren welt- weit Spenden gesammelt haben, um neue Olivenbäume zu pflan- zen. Wo man Tel Aviv sieht, das Meer, die startenden Flugzeuge. Wo hinter den Türen Jungen sitzen, die dieses Meer noch nie gerochen haben, die nicht reisen können und auch keine Post empfangen. Die keine Arbeit finden werden, hier nicht, weil die Mauer ihr Land ver- schlungen hat, und in Israel schon gar nicht, weil junge Männer dort selten eine Arbeitserlaubnis bekommen. Vorbei an Hirten, die ihre Schafe weiden, Bauern, die ihre Felder bestellen. Manchmal begleitet von Aktivisten – auch das ist Widerstand. Wer vier Jahre sein Land nicht bewirtet, sagt das Osmanische Recht, das Israel anwendet, verliert es an den Staat. Vorbei an Baggern, die neue Siedlungen bauen, 3.400 Einheiten hat der israelische Premier Netanjahu versprochen. Vorbei an Bushaltestellen, wo Siedler stehen, die mit ihren Nachbarn nicht sprechen. „Willkommen in Budrus“, sagt Abu Ahmed, „Ahmeds Vater“, wie würde sie drüben in Halamish ein Fußballstadion errichten und das man ihn hier nennt, und lächelt Wärme in den windigen Tag. Sein kann nicht einmal mehr hinüber zu der Quelle gehen, die das Dorf derstand. Er selbst, 57, ein kleiner, dürrer Mann, hat es dazu gemacht. palästinensische Team anfeuern. Aber sie darf dort nicht hin. Sie Rechts: Auch junge Palästinenser kennen die Bedeutung der Bäume in ihrer Kultur: Sie sind Zeichen des Lebens und tragen die Namen paläs tinensischer Mütter. Dorf, 1.600 Einwohner, ist legendär, ein Symbol für friedlichen Wi- -32ubuntu Gewaltfreiheit Wenn Kinder in Europa freitags vergnügt ins Wochenende starten, geht in Nabi Saleh für Ahed (vorne links) und ihre Freundinnen die Konfrontation los. Gemeinsam mit den Erwachsenen demonstrieren sie gegen die israelische Besetzung. -34ubuntu Gewaltfreiheit Rechts: Ahed Tamini hat für ihre gewaltfreien Proteste einen Friedens preis bekommen. „Sie ist zu erwachsen für ihr Alter“, findet ihr Vater. Einst glaubte er an Waffengewalt. Dann wurde er zum Architekten des gewaltfreien Widerstands. Den Zunamen Gandhi weist er bescheiden zurück. Links: Abu Ahmed und sein Dorf Budrus haben sich den Soldaten un erschrocken in den Weg gestellt – und ihre Olivenfelder gerettet. Abu Ahmed geht voraus zu den Feldern, die er gerettet hat, an den Rand des Dorfes. Auf Terrassen stehen hier tausende Olivenbäume zwischen blühendem Klatschmohn. Die Palästinenser benennen die Bäume nach ihren Müttern, weil sie auf dieser trockenen Erde Leben bedeuten. Da ist ein Baum namens „Asmaa“, andere heißen „Zaynab“ oder „Sabah“. Die israelische Mauer hätte diese Bäume vernichtet. Abu Ahmed wollte das nicht zulassen. Sonntags, nachts, mehrmals am Tag, wann immer die israelischen Bagger begannen seine Bäume aus zureißen, rannte er zur Moschee. Atemlos telefonierte er unterwegs alle zusammen: Die Führer der Parteien, Fatah und Hamas, den Schuldirektor, die Medien. Durch die Lautsprecher der Moschee erreichte er sein Dorf. Jeder wusste, was zu tun war. Kinder und Frau- en stellten sich in die erste Reihe, hielten sich an den Händen und besetzten ihre Felder. „Auch israelische Soldaten haben ein Herz. Diese Frauen, die keine Terroristen sind, passen nicht in das Bild, das sie in ihrer Ausbildung bekommen“, sagt Abu Ahmed. Seine eigene Tochter hielt den ersten Bagger auf und 2003, 10 Monate Widerstand, 55 Demonstrationen, Ausgangssperren, hunderte Verletzte später, gewinnt Budrus: Die Mauer wird weiter hinten ge- baut. Statt 3.000 Olivenbäume verlieren sie 280. Schule und Friedhof bleiben Teil des Dorfes. „Wir haben die Gewaltfreiheit nicht gewählt, weil wir das höflichste aller Völker sind, sie erfüllt unsere Interessen“, sagt Abu Ahmed nüchtern. Wie könnten sie auch gegen das starke Israel gewinnen? Abu Ahmed träumt von einer großen Bewegung, in der seine Lands- SOS-Kinderdörfer in Palästina und Israel Sowohl in Israel als auch in den palästinen sischen Gebieten gibt es zwei SOS-Kinderdörfer und verschiedene Programme, um Jungen und Mädchen in Not zu unterstützen. leute friedlich auf die Checkpoints und die Mauer zulaufen – Mo- hammed aus Sheikh Jarrah, Ahed aus Nabi Saleh und viele andere. „Sie können uns ja nicht alle erschießen“, sagt er. Es gibt ihn nicht, den einen palästinensischen Gandhi. Es gibt viele. -35ubuntu Preisvergleich 31 Euro kosten 500 gramm Kaffee in Nespressokapseln Foto: Andrea Seifert Quelle: FOCUS-MONEY *Für 31 Euro im Monat werden Sie SOS-Pate unter www.sos-kinderdoerfer.de -36ubuntu Literatur Geschichten, wie sie nur eine Südafrikanerin erzählen kann – Old Man River Text Dinah Lefakane (gekürzte Fassung) Illustration Saskia Hölle, Sophie Hölle Ich wuchs im Glauben heran, dass mein Vater „nutzlos“ sei. Wann genau und wie ich zu diesem Schluss gekommen war, das weiß ich nicht. Vielleicht hatte ich diese Idee aus den Gesprächen der älteren Menschen in und um das Haus herum übernommen. Vielleicht steckte auch der schwere und oft ernste Blick meiner Mut- ter dahinter, der nahezu an Verzweiflung grenzte; ganz als sei sie eine Gefangene, aber doch auch wieder nicht so, dass man sie für vollkommen hilflos gehalten hätte. Ich konnte sogar selber darauf gekommen sein. Hatte ich nicht Ohren und Augen ten sich die Eltern selten, wenn überhaupt je, mit ihren Kindern zusammen, um mit ihnen etwas zu besprechen, außer wenn es um Befehle oder Strafen ging. „Dudu, hast du mich nicht gehört? Ngithe geza izitsha. Das Geschirr steht seit heute Morgen hier herum.“ „Umsindo! Warum so ein Lärm?“, wann immer wir miteinander plauderten und lachten. „Hlala kahle maan awusiyo indoda!“ Ein Mädchen musste fühlen lernen, dass es anders war. Es musste sich vor und ein eher gut entwickeltes inneres Gespür? Heu- sichtig hinsetzen, um nicht sein Höschen zu ent- te nennen wir das „Strahlungen“. Erst jetzt, als Er- blößen. wachsene, wenn ich zurückblicke und die vielen Das war die Art Gespräche, die man führte – Befeh- schwierigen Umstände meines Lebens überdenke, le, Befehle und immer mehr Befehle, Forderungen bin ich von der Erkenntnis wie vor den Kopf gesto- und Aufträge. Es war eine Einbahnstraße an Kom- ßen, dass mein Vater in Wirklichkeit ein wunder- munikation. Ich will nur zu gerne glauben, dass bar starker, aber empfindsamer Mensch war. Er war diese Dinge heute anders sind. Wir sprechen zu un- ganz entschieden alles andere als nutzlos. seren Kindern. Sie sprechen zu uns und wir versu- Erst jetzt ist mir auch bewusst, wie sehr er zu leiden chen, einander zu verstehen. bereit war, sobald er fühlte, dass er in seinen Über- Die scheinbare Schwäche meines Vaters machte zeugungen beeinträchtigt werden sollte. Immer meiner Mutter Sorgen, und ich konnte damals wie wieder zog er es vor, seine Arbeitsstelle zu verlassen heute sehen, wie sie durch all die Jahre alle ihre und der Entlassung entgegenzusehen, wenn man seine menschliche Würde antastete oder sie in ir- Kräfte zusammennehmen musste, um uns durchzubringen. gendeiner Weise untergrub. Auf eine stumpfe Weise und mit einem eher dumpfen, klopfenden Mann und als Afrikaner abtreten“, hörte ich ihn einmal im Streit ich so zu der Auffassung, dass irgendetwas grundverkehrt war mit „An niemanden werde ich mein Recht auf Achtung, als Mensch, als mit meinem Onkel sagen. „Wer denkt denn Havemann, dass er ist?“ „Wer denkt denn Havemann, dass ich bin?“ „Mali! Bring Khumalo se file hierso jong!“ „Ich lasse mich nicht von ihm anschreien, dass ich ihm die Akten bringen soll. Er muss mich ordentlich anreden. Ich bin genauso ein Mann, wie er einer ist.“ Es war deshalb nur logisch, dass er nie imstande war, eine Arbeits- stelle länger zu behalten, besonders in dieser Zeit. Da wir den Grund nicht verstanden, schlossen wir alle einfach daraus, dass er nutzlos, ungeschickt und wahrscheinlich faul sei. Niemand sprach je direkt zu mir über meinen Vater. – „Dein Vater hat wieder einmal seine Arbeit verloren …“ – Ich wusste es bloß jedes Mal. Damals setz- Schmerz in der Magengrube litt auch ich darunter. Allmählich kam dem Mann. Sicher, ich liebte ihn, aber ich empfand ihm gegenüber nicht denselben Respekt und dasselbe Vertrauen wie gegenüber meiner Mutter. Für mich gab es keinen Zweifel, dass meine Bitte auch erfüllt wur- de, wenn meine Mutter „Ja“ gesagt hatte. Ich lernte, meinen Vater weniger ernst zu nehmen, denn er sagte gewöhnlich „Ja“, hielt sein Versprechen dann aber nicht. Heute frage ich mich, wieweit dies ein Ergebnis der besonderen Umstände war, unter denen afrikanische Menschen leben. Inwieweit waren meine Eltern Opfer der harten Haltung, die auch heute noch vorherrscht? Welcher Vater auf diesem Planeten würde denn vor- sätzlich nicht für die wertvollen Früchte seiner Lenden sorgen oder sie enttäuschen? -37ubuntu Literatur ein Krankenhauszimmer gesehen. Als ich zu mir kam, wusste ich, dass das eines war. Ich blickte aufwärts, ich schaute seitwärts und alles war weiß; weiße Wände, weiße Decke, weißes Bett, weißes Leintuch, weiße Überdecke; nur die Krankenschwestern waren Afrikanerinnen. Ich bin sicher, dass ich aus dem Fenster gesprungen wäre, nach diesem Überfall, wären sie nicht schwarz gewesen. Spä- ter, am Abend, kam meine Familie mich besuchen. „Ma, warum kommt es mir so vor, als könnte ich meine Beine nicht bewegen?“, fragte ich schwach. Mein Großvater antwortete: „Sengathi ulimele ntornbi, kodwa uzophola.“ Sie alle stimmten mit ein: „Ja, du wirst bald wieder gesund.“ Ich sah die traurigen Augen meiner Mutter. Der feurige, wütende Blick meines Vaters machte mir Angst. „Wird er mich wieder verdre- schen?“, fragte ich mich. Am nächsten Tag kam mein Vater mich besuchen. Er war allein. An diesem Tag stand keine Wut mehr in seinem Gesicht. Ich las nur Liebe und Mitleid in seinen Zügen. Das beruhigte mich sehr – mein Vater konnte einem die Haut gerben, wie die Engländer sagen. Waye ngaku bolisa. Er setzte sich neben mein Bett, nahm meine Hand, küsste mich auf Seine Überzeugung, dass er ein Recht darauf habe, mit Respekt behandelt zu werden, machte das Leben sehr schwer für ihn, aber auch für uns. (…) Das war in jenen Tagen, als man, wenn eine weiße Person auf einen zukam, als Afrikaner vom Gehsteig heruntersteigen und im Rinnstein weitergehen musste. Wenn man das nicht tat, hatte man es entweder später zu bereuen, dass man nicht ausgewichen war, oder aber man wurde nur noch entschlossener, nie wieder einem Weißen aus dem Weg zu gehen. Da gab es nur zwei Möglichkeiten. Die Schule, die ich damals besuchte, lag ungefähr acht Meilen von zu Hause entfernt auf der Ostseite der Stadt. Um zur Schule zu kommen, mussten wir durch die Vorortgegend, in der die weißen Leute wohnten, in das Zentrum der Stadt hineinfahren und dann wieder aus der Stadt heraus, bis wir die Schule erreichten. Sobald man aus der Stadtmitte heraus war, bedeutete es jedes Mal ein großes Vergnügen, auf den gleichmäßig gepflasterten Bürger- steigen zu fahren. Das lief wie geschmiert; man freute sich an dem „Tsa tsa“ der Räder auf dem Beton und man musste dem motorisierten Verkehr nicht ausweichen. Eines Tages fuhr ich so zufrieden auf dem Gehsteig nach Hause, als ich unversehens auf eine Gruppe von vier weißen Jungen stieß, die an der Ecke standen. Schnell trat ich in die Bremsen. Ich wollte sicher sein, dass ich rechtzeitig zum Halten kam, deshalb zog ich meinen nackten Fuß das Trottoir entlang, um so den Schwung noch zu bremsen. Genau ein paar Zentimeter vor ihnen hielt ich an. Ich hatte Angst, denn beinahe hätte ich dem Klein-Baas wehgetan. Der brennende Schmerz an meiner Fußsohle zählte da nicht. Solange ich nur den Baas nicht angerempelt hatte! Ich stahl mich schnell vom Gehsteig herunter, doch als ich gerade dachte, ich wäre, mit dem Vorderrad im Rinnstein, sicher an ihnen vorbeigekommen, die Stirn und sagte: „Kunjani, Miss D, wie geht es dir?“ Wenn alles in Ordnung war, hieß ich Miss D. Wenn ich etwas ausgefressen hatte, war ich Dudu! Scharf und schwer wie Metall. Krank, wie ich war, konnte ich nur verstummen bei dieser Wärme, dieser Liebesbezeigung seitens meines Vaters. Das Zeigen von Gefühlen war bei uns nie üblich gewesen. Man wusste nur instinktiv, ja geradezu reflexiv, dass man geliebt wurde; aber man spürte nie die Wärme der Liebe und sie wurde nie in Worte gefasst. Jedes Mal, wenn in späteren Jahren „Ich liebe dich“ zu mir gesagt wurde, hätte ich vor Verlegenheit aufspringen und weglaufen können. „Weißt du was, Miss D“, beteuerte mein Vater, „so ist es in unserem ganzen Land. Nicht nur hier tun weiße Menschen Afrikanern so etwas an. Es ist nur noch viel schlimmer, wenn es kleinen Mädchen wie dir angetan wird. Du weißt, die hätten dich umbringen können, aber Unkulunkulu mkhulu, nakhu uyaphila, Gott ist tatsächlich groß, und du lebst. Ein Glück, dass der Lastwagenfahrer, der unsere Kohle liefert, um diese Zeit dort vorbeifuhr. Wenn du gesund wirst, möchte ich, dass du dir eines für immer merkst.“ Was mein Vater dann sagte, werde ich niemals vergessen. „Wir brauchen Wasser zum Trinken und um unsere Gärten zu be- wässern, damit wir leben können. Wir brauchen Öl, um Geräte zu schmieren, wie die Kette deines Fahrrads, und um solche Dinge wie Autos instand zu halten. Aber die zwei lassen sich nie und nim- mer mischen. Wenn du das versuchst, wirst du weder reines Wasser noch reines Öl haben. Deshalb wird dir gar nichts bleiben. Außerdem wirst du dann auch keinen Topf mehr haben, in dem du dein Wasser des Lebens aufbewahren kannst.“ Ich nehme nicht an, dass er die Saat des Hasses in mir säen wollte. Doch ich denke, er wollte, dass ich weiß, dass ich eine Afrikanerin bin. fühlte ich scharfe Schläge im Genick. Etwas Stählernes traf meinen Kopf. Ich muss einen fahren gelassen haben, als ein Stock auf meinem Rückgrat landete. Ich weiß nicht, ob ich schrie oder nicht; aber eines ist sicher: Da war zu viel Schmerz. Ich ließ die Lenkstange los. Verschwommen sah ich noch, wie das Fahrrad in die Mitte der Straße raste, und ich erinnere mich noch daran, wie meine Knie nachgaben und ich als hilfloses Bündel von einem zwölf Jahre alten Mädchen zusammensackte. Bisher hatte ich nur ein einziges Mal auf einem Plakat in der Schule Aus: Südafrika: Mythen, Märchen und andere Geschichten © 2013, David Fermer (Hrsg.) 216 Seiten mit ca. 25 Schwarz-Weiß-Illustrationen ISBN: 978-3-942194-04-4 19,95 Euro (D), 20,50 Euro (A), 28,50 CHF (CH) www.grubbemedia.de -38ubuntu Spendenprojekt Helfen Sie den Kindern in Sri Lanka! In Jaffna entsteht ein neues SOS-Kinderdorf, in dem 120 Kriegswaisen ein Zuhause bekommen sollen. Kinder wie Arjuna, dessen Geschichte wir Ihnen hier erzählen. Fotos Dominic Sansoni, SOS-Archiv Text Claudia Singer, Wolfgang Kehl Das SOS-Nothilfe zentrum in Cheddikulam war für viele Kriegswaisen der erste Platz, an dem sie wieder ruhig schlafen und miteinander spielen konnten. -39ubuntu Spendenprojekt Links: Nach 25 Jahren Bür gerkrieg blieben viele Kinder völlig alleine zurück. Arjunas Leben war schon schwer genug, bevor die Bombe ein- schlug. Er war das fünfte Kind seiner Eltern, das fünfte Kind, das ernährt, behütet und umsorgt werden wollte. Ganz normale Wünsche, nur war in Sri Lanka, Arjunas Heimat, zu dieser Zeit gar nichts normal. Es herrschte Bürgerkrieg zwischen tamilischen Rebellen und der Regierung Sri Lankas, viele Menschen waren traumatisiert, zutiefst verunsichert, arm und lebten in Angst. Obwohl sie taten, was sie konnten, hatten auch Arjunas Eltern zu wenig zu geben. Arjuna war 4 Jahre alt, als sie ihn in ein Kinderheim brachten, wo Jungen und Mädchen aus dem Kriegsgebiet betreut wurden. Immerhin konnte Arjuna seine Familie in den Ferien besuchen und im merhin hatte er die Hoffnung, irgendwann wieder zurückkehren zu können. Bis zu jenem Luftangriff. Arjuna war sieben und wollte sich zu Ferienbeginn auf den Weg zu seiner Familie machen, als er erfuhr, dass seine Eltern und alle vier Geschwister durch eine Bombe ums Leben gekommen waren. Begreifen kann man sowas nicht. Wenn er sich heute zurück erinnert, sagt Arjuna: „Plötzlich war ich ganz alleine auf der Welt. Ich wusste nicht, wie ich überhaupt überleben sollte.“ Kämpfe, Gefechte, Bombenangriffe gingen weiter, hier, in Pud dukudiruppum im Norden Sri Lankas. Kein Ort war wirklich sicher und so wurde Arjuna zusammen mit anderen elternlosen Kindern in den nächsten Monaten von Heim zu Heim gebracht. Endlich, nach mehr als 25 Jahren, endete 2009 der Krieg. Wann im- mer möglich, versuchte man, Eltern und ihre Kinder, die sich in den Kriegswirren verloren hatten, wieder zusammenzuführen. Zurück blieben Waisen wie Arjuna. Der Junge erinnert sich: „Wieder wurden wir von Ort zu Ort gebracht. Mir war alles zu viel.“ Oben: Das gemeinsame Essen in der Kinderdorf-Familie hilft nicht nur gegen Hunger. Es schafft auch Geborgenheit. Unten: Sie sind schon als Familie zusammengewachsen, jetzt warten sie auf den Umzug ins neue SOS-Kinderdorf. Auch das Nothilfezentrum der SOS-Kinderdörfer in Cheddikulam sollte nicht seine letzte Station sein, aber zumindest begann hier wieder ein Alltag für ihn und die anderen Kinder. Sie konnten wie- der zur Schule gehen, bekamen einen Raum zum Spielen. Währenddessen machte die Organisation Pläne: In der Stadt Jaffna sollten vorübergehend Häuser angemietet werden, in denen die Kriegswaisen möglichst schnell wieder ein Zuhause bei einer SOS-Kinderdorf- Mutter und Geschwistern bekommen würden. Gleichzeitig sollte hier ein neues SOS-Kinderdorf gebaut werden. Jetzt, im Juni 2013, ist das neue Dorf so gut wie fertig. In den nächs- ten Monaten soll auch Arjuna hier einziehen. Es ist der erste Umzug, der ihm keine Angst macht, denn er bedeutet keinen Abschied. Arjuna wird zusammen mit seiner neuen Familie ins Dorf ziehen, seiner Kinderdorfmutter, die für ihn sorgt und ihn beschützt, und seinen neuen Geschwistern und Freunden, von denen viele seine Vorliebe für Cricket teilen. 120 Kinder sollen bald im SOS-Kinderdorf Jaffna wohnen, auch ihre Geschichten hätten hier stehen können. Um ihnen dauerhaft ein stabiles Zuhause zu bieten, brauchen die SOS-Kinderdörfer dringend Unterstützung! Tragen auch Sie Ihren Teil dazu bei, dass die Geschichten der Kinder eine gute Wendung nehmen. Unterstützen Sie die Arbeit der SOS-Kinderdörfer in Sri Lanka: SOS-Kinderdörfer weltweit Spendenkonto 2 222 200 000 (fünfmal die Zwei und fünfmal die Null) BLZ 430 609 67 GLS Gemeinschaftsbank Stichwort: ubuntu Sri Lanka -40ubuntu Eine Frage geht um die Welt Was ist ein typischer Satz von dir? Auch in Botswana redet man „nicht um den heiSSen brei herum“, und in Usbekistan kommt für manche Kinder „erst die Arbeit und dann …“ Zyra , 11 „Was du nicht willst, das man dir tut, das füg auch keinem anderen zu.“ Lipa, Philippinen Jean-Marie, 14 „Mit Geduld und Zeit kommt man weit!“ Wenn dich jemand provoziert, besser nicht gleich reagieren. Lieber Zeit lassen und nach einer passenden Antwort suchen. „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg!“ Das ist mein Satz, wenn ich Erfolg haben möchte. Paul, 12 Abidjan, Elfenbeinküste „Ohne Fleiß kein Preis.“ Der Satz trifft wirklich auf mich zu, denn mir fällt leider nichts in den Schoß. Douala, Kamerun Marie, 14 Beau Bassin, Mauritius „Lerne von gestern, lebe heute und hoffe auf morgen.“ Parami, 16 Nuwara Eliya, Sri Lanka Wenn ich mich mit Erwachsenen oder anderen Kindern unterhalte, sage ich immer: „Ja, natürlich!“ Ganz egal, um was es geht. In unserer Kultur gilt man als gut erzogen, wenn man so spricht. Kenthia, 10 Gitega, Burundi „Ich? Ich war es nicht.“ Lorena, 11 Florida, Uruguay Mein Motto ist: „Dein Leben liegt in deiner Hand, und es liegt nur an dir, was du daraus machst.“ Melina, 13 „Lächle alle an, sei jemands Freund, liebe nur einen und sage niemandem deine Geheimnisse.“ Wenn ich mir selbst Mut zuspreche und sage:„Komm schon Mathieu, du schaffst das!“, dann treibt mich das an und macht mich stark und mutig, das zu tun, was ich tun muss. Janar, 10 René Mathieu, 15 „Nicht um den heißen Brei herumreden.“ „Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.“ Mein Lieblingsspruch lautet: „Nicht für die Schule, sondern fürs Leben lernen wir.“ Die Schule macht keinen Spaß, wir müssen früh aufstehen und Hausaufgaben machen. Aber wenn wir irgendwann aus der Schule kommen und eine Arbeit haben, werden wir merken, wie schön das Leben ist. Keemenao, 16 Kristina, 11 Olga, 12 Etaferahu, 15 Awassa, Äthiopien Bischkek, Kirgistan Tlokweng, Botswana „Um erfolgreich im Leben zu sein, vergiss vergangene Probleme. Aber vergiss nie die Lehren, die du daraus gezogen hast.“ Dil, 14 Bharatpur, Nepal Beau Bassin, Mauritius Taschkent, Usbekistan Temirtau, Kasachstan Abidjan, Elfenbeinküste „Ich hab dich lieb!“ Das sage und höre ich gerne. Jessica, 8 Luque, Paraguay Illustration: Tania Seifert Mein Lebensprinzip: „Lebe das Leben in vollen Zügen.“ 50 er Jahre 60 er Jahre Herzlichen Gluckwunsch! SOS-Ferienlager Caldonazzo! Vor 60 Jahren hat Hermann Gmeiner am Caldonazzo See in Oberitalien das SOS-Ferienlager Caldonazzo gegründet. Seit den Anfängen ist es ständig gewachsen: Im Sommer verleben jedes Jahr über 1.400 SOS-Kinder aus 14 bis 16 europäischen Ländern unbeschwerte Wochen am See. Ausflüge, Sport und viele gemeinsame Aktivitäten sorgen für ein multikulturelles Miteinander. Die SOS-Mütter haben in dieser Zeit frei und tanken Kraft für ihre Aufgaben. heute Fotos: Anikka Bauer, Bettina Theuerkauf -43ubuntu Blitzlicht Eiskalt erwischt! Sie sind nicht wirklich gefährlich, aber doch dramatisch genug: die Eisunfälle des Sommers. Hilft nur ruhig bleiben und Haltung bewahren. -44ubuntu Blitzlicht Oben: Mit Geduld und Stöckchen noch zu retten! Unten: Immerhin Vanil leeis! Viele Eltern kaufen es bevorzugt für ihre Kinder wegen seiner fle ckenfreundlichen Farbe. -45ubuntu Blitzlicht Links: Sieht aus wie Michel aus Lönneberga und wird diesem großen Namen gerecht. Die Frage ist nur: Was oder wer befindet sich unter dem Rinnsal? Ganz unten: Die beste Kleidung für Eisunfälle: keine. Eis von gestern In seinen Anfängen wurde Speiseeis von besorgten Müttern wie Ärzten wegen seiner Temperatur äußerst kritisch betrachtet. So wurde 1759 der zehnjährige Goethe von seiner Mutter ausgebremst, nachdem er von einem Gast eine Portion Eis geschenkt bekommen hatte. In „Dichtung und Wahrheit“ schreibt Goethe: „Daß die Mutter uns höchlich betrübete, indem sie das Gefrorene, das man uns von der Tafel sendete, weggoß, weil es ihr unmöglich vorkam, daß der Magen ein wahrhaftes Eis, wenn es auch noch so durchzuckert sei, vertragen könne.“ Mehr als zwei Jahrhunderte später haben Kinder in unzähligen Selbst versuchen bewiesen: „Alles kein Problem!“ -46ubuntu Ratgeber „Wie kann ich als Lehrerin auch den Kindern herzlich begegnen, die ich nicht so mag?“ Hallo, Herr Sommer, als Lehrerin an lichen Funken erkennen. In den allermeis- verschiedenen Charakteren zu tun. Obwohl operation und in den ehrlichen Austausch, einer Hauptschule habe ich es mit vielen ich versuche, allen Kindern gerecht zu werden, muss ich gestehen, dass mir eini- ge von ihnen sympathisch sind, andere weniger. Meine Frage: Wie kann ich auch den Kindern, die ich nicht so mag, die Herzlichkeit und Offenheit entgegenbrin- gen, die für ein gutes Lehrer-Schüler-Verhältnis meiner Meinung nach nötig sind? Kerstin A., Köln Wozu raten Sie mir? wenn es um Fragen der Pädagogik, Eltern-Kind-Konflikte und ihre Lösung geht, haben die SOSKinderdörfer eine Menge zu sagen! 60 Jahre intensive Arbeit mit Kindern sind die Basis dafür. Ulrich Sommer, Psychothe rapeut für Kinder und Jugend liche, gibt Rat! Ich gebe Ihnen hundertprozentig Recht, dass Herzlichkeit und Offenheit für ein gutes Lehrer-Schüler-Verhältnis absolut nötig sind. Aber nicht alle Kinder haben diese kindliche Ausstrahlung, die unsere Herzen öffnet. Manche verhalten sich sogar richtig unausstehlich. Ein kluger Mensch hat einmal gesagt: „Ein Pädagoge ist ein Spezialist für das Entwickeln einer guten Be ziehung auch zu Menschen, die den Zugang nicht gerade erleichtern!“ Was ist das spezielle Handwerkszeug, das man dazu braucht? In meinen Augen gilt es, das menschliche Wesen hinter dem Verhalten zu erkennen und zu verstehen. Ich persönlich bin zutiefst davon überzeugt, dass jeder Mensch und insbesondere jedes Kind Teil einer Gemeinschaft sein und friedlich mit seinen Mit- menschen auskommen möchte. Dass es den Wunsch hat, mit anderen Menschen ge- meinsam etwas zu schaffen. Ich nenne dies den göttlichen Funken. Leider ist er bei manchen Menschen durch verschiedenste Lebensumstände verschüttet oder kaum wahrnehmbar. Ich versuche, bei solchen Kindern immer ihre Lebensgeschichte und ihre soziales Umfeld kennenzulernen, sie bewusst im Kontakt wahrzunehmen und ernst zu nehmen. Meistens steckt ein Schrei nach Auf- merksamkeit und Zuwendung dahinter. Manchmal auch Angst, die Kontrolle zu verlieren. All das sind Hinweise auf innere seelische Verletzungen. Nur über das Wahrnehmen und Verstehen der Bedürfnisse kann offene, ehrliche Kom- munikation und authentische Begegnung stattfinden. Nur dann können wir den gött- ten Fällen gehen die Kinder mit uns in Ko- wenn sie sich wahrgenommen und verstanden fühlen. Manchmal machen es ihnen aber auch ihre Geschichte und damit ver- bundene erlernte Verhaltensmuster schwer. Sie müssen langsam Vertrauen fassen und umlernen. Dafür brauchen sie von uns immer wieder erneutes Verstehen, Verzeihen, Unterstützung und positive Zuwendung. Andere wiederum brauchen liebevolle und wertschätzende, aber sehr klare Grenzen. In der Schule mit vielen Schülern und Bedürfnissen gleichzeitig ist es natürlich schwierig, jedem Kind das notwendige Maß an Aufmerksamkeit zukommen zu lassen. Grundsätzlich halte ich es aber in erster Linie für eine Frage der Haltung. Habe ich ein aufrichtiges Interesse an den Kindern? Bin ich in dem Moment, wo ich mich einem Kind zuwende, ganz bei ihm? Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Offenheit und Herzlichkeit meist wie von alleine kommt, wenn wirkliches Verstehen einsetzt. Bei Kindern, denen die Zuwendung schein- bar nie genug sein kann, steckt meist die Angst dahinter, zu kurz zu kommen. Wenn sie in einem längeren Prozess erfahren, dass jemand sich verlässlich Zeit für sie nimmt, ohne dass sie das einfordern müssen, kön- nen sie die Sicherheit erlangen, die sie ruhi- ger macht. Oft geht es in diesen Fällen weniger um die Aufmerksamkeit der Lehrer als der Eltern. Dann ist möglicherweise auch ein aufklärendes Gespräch mit ihnen sinnvoll. Auch dafür braucht es eine Vertrauensbasis und es ist sicher nicht sinnvoll, aus der Leh- rerposition gute Ratschläge zu geben, die bei den Eltern Widerstand erzeugen. Aber das ist wieder ein eigenes Thema. Ulrich Sommer ist Psychotherapeut für Kinder und Jugend liche und Pädagogischer Leiter des Diagnoseund Therapiezentrums „Bienenhaus“ der SOS-Kinderdörfer in Hinterbrühl, Österreich. Kindern und Jugendlichen mit massiven Pro blemen wird dort stationär geholfen. Haben auch Sie eine Frage an Ulrich Sommer? Dann schreiben Sie an: Redaktion ubuntu, SOS-Kinderdörfer weltweit, Ridlerstr. 55, 80339 München oder [email protected] Illustration: Uli Knörzer Fragen an Ulrich Sommer -47ubuntu Ansichten Meine Welt von morgen Als Anton Bertelsmann (13) aus Berlin die japanische Papierfalttechnik Origami für sich entdeckte, kam er aus dem Staunen nicht heraus. „Es ist faszinierend, was man mit einem Blatt Papier machen kann“, sagt er. Vor einem Jahr hat er angefangen, Kraniche zu falten. Als er las, dass man einen Wunsch frei hat, wenn man 1.000 Kraniche fertig hat, legte er los. Nach einigen Monaten waren 500 Glücksbringer fertig – doch der Schreck war groß, als er bemerkte, dass er sich am Kranichhals verfaltet hatte. Das Glück schien in Gefahr, aber Anton konnte den falschen Falz korrigieren. Längst sind 1.000 Vögel ge- schafft, teilweise kaum einen Zentimeter groß. Der Wunsch des Jungen reicht in die Zukunft. „Darf ich aber nicht verraten!“ Mit den Kranichen jedenfalls scheint Anton sein Lebensthema ge- funden zu haben: Flugobjekte. „Ich möchte Luftund Raumfahrtingenieur werden und Fluggeräte Foto: Paul Hahn konstruieren“, sagt er selbstbewusst. „Mit Papier ist das einfach, aber später wird es bestimmt viel komplizierter!“ -48ubuntu Fortschritt SOS aus dem All Satellitenbilder helfen den SOS-Kinder dörfern, neue Standorte zu planen, den Bau fortschritt zu kontrollieren und spender zu informieren. Das öffentlich geförderte Modellprojekt ist für Die hilfsOrganisation kostenlos. Text Hubert Filser Bäume sind selten in Dschibuti und daher wertvoll. Drei Exemplare stehen zu Beginn der Bauarbeiten am Rand des Grund- stücks, auf dem in Sichtweite zum Strand von Tadjoura das neue Haupthaus eines SOS-Kinderdorfes entstehen soll. Klar sind sie auf den Satellitenbildern vom März 2012 zu erkennen. Die Bauarbeiten in der 22.000- ben werden. Alles wird fast in Echtzeit im Bereich. Pflanzen beispielsweise lassen sich dem Horn Afrikas haben eben begonnen. tionen ist das wichtig, weil so alle Abläufe Wellenlängen im niedrigen Mikrometer- Einwohner-Stadt im Nordosten Afrikas nahe Doch dann, im April, sind es plötzlich nur noch zwei. Entgegen aller Absprachen war ein Baum gefällt worden. Die SOS-Verant- wortlichen haben die Information nicht etwa von den lokalen Partnern erhalten, sondern aufgrund von Satellitendaten, die die österreichische Firma GeoVille aus Inns- bruck im Auftrag der Europäischen Raum- fahrtagentur ESA auswertet – ein Spezialist für Geographische Informationssysteme. Das öffentlich geförderte Pilotprojekt für Nicht- Internet dokumentiert. „Für Hilfsorganisatransparent sind“, sagt Spuller. Möglich sind solche Projekte, da die Satelli- tentechnik in den vergangenen Jahren enorme Fortschritte gemacht hat. Die Auflösung der Bilder liegt bei bis zu 35 Zentimetern, hier lassen sich sogar Umrisse von Personen auf den Bildern erkennen, Gebäude, Schatten, Straßen, Fahrzeuge und Bäume sowieso. Spionagesatelliten erreichen sogar eine Auflösung von weniger als zehn Zentimetern, sagt GeoVille-Geschäftsführer Chris staatliche Organisationen kommt in diesem tian Hoffmann. Manchen Menschen macht diese moderne Art der Baubegleitung keine wachung fürchten. Doch am Beispiel der Fall den SOS-Kinderdörfern zugute, die für Spendengelder aufbringen müssen. Für Michael Spuller, den für Bauprojekte verantwortlichen Leiter bei SOS-Kinderdorf International, liefert etwa die Dokumen tation des großen Hauptgebäudes via Satellit objektive Kriterien des Baufortschritts. Diese können auch an Spender weitergege- so etwas Angst, weil sie grenzenlose Über- SOS-Kinderdörfer sieht man gut, dass die Technik, richtig eingesetzt, gute Zwecke er- füllen kann. Eine ganze Reihe von Satelliten wie QuickBird, GeoEye, Envisat oder Ikonos vermisst und fotografiert derzeit die Erde aus dem Orbit in unterschiedlichen Wellenlängen, also nicht nur im sichtbaren im Infrarotlicht gut erkennen, also bei Bereich. Die Anwendungen sind enorm (sie- he Kasten), von der Stadtplanung bis hin zur großflächigen Überwachung der Regenwälder am Amazonas. Auf Anfrage von Fir- men wie GeoVille lassen sich die Satelliten beim Überflug gezielt auf bestimmte Objekte ausrichten. Rund 70 Unternehmen dieser Art gibt es weltweit. Etwa 3.000 Euro würde eine eigens beauftragte Aufnahme kosten, rund 12.000 Euro ein Projekt wie das in Djibouti. GeoVille wer- tet die Daten aus den Bodenstationen der Satelliten aus, wenn es sein muss, innerhalb weniger Stunden. SOS erhält die wich- tigen aufbereiteten Informationen im Rahmen des ESA-Pilotprojekts kostenlos. Neben der Bauüberwachung gebe es noch drei weitere Anwendungsgebiete der Satellitenfern erkundung für Hilfsorganisationen wie SOS, sagt Christian Hoffmann. Die Satelliten kön- nen zum Beispiel über längere Zeiträume -49ubuntu Fortschritt machen. Im Abstand von 90 Minuten nimmt Links: Das SOS-Kinderdorf Bhuj in Indien wurde nach einem Erdbeben 2001 gebaut. Mit aktueller Satellitentechnik lassen sich sogar einzelne Bäume erkennen. der Satellit bei jedem Überflug eine Serie von Bildern auf und rast dabei mit 27.000 Stundenkilometern um die Erde. Die Späher aus dem All helfen ebenso, den besten Standort für neue Bauprojekte zu fin- den. Auch hier profitiert SOS. In Prey Veng in Kambodscha soll ein neues Dorf entste- hen, die Stadt liegt in unmittelbarer Nähe des Flusses Mekong, der regelmäßig über beobachten, ob sich aufgrund eines SOS- Dorfes etwa die Infrastruktur verändert und ganze Viertel aufgewertet werden. Zudem helfen die Bilder aus dem All auch dabei, wenn Planer ein optimales Grundstück für den Neubau eines SOS-Kinderdorfes suchen. Auch Hilfen im Katastrophen- oder Kriegs- fall lassen sich mit den Satellitenaufnahmen besser koordinieren. „Nach dem Erdbeben in Haiti wäre das sehr hilfreich gewesen“, sagt Michael Spuller. Aktuell sind die Satellitenbilder aus Syrien wichtig, um die Gefährdungssituation etwa des Kinderdorfes bei Aleppo einzuschätzen. Die Bilder geben Hinweise auf eine möglicherweise näher rückende Front. Das Dorf ist bereits vorsorglich evakuiert worden. Auch bei Erd beben oder Naturkatastrophen wie einem Hangrutsch nach starken Regenfällen, wenn oft die klassische Infrastruktur zusammen- bricht, kann man sich mit Hilfe der Satelli- tendaten ein großräumiges Bild der Schäden Was sich sonst noch per Satellit beobachten lässt: die Ufer tritt. Die klassische Bauweise auf Stelzen, in der viele Häuser in Prey Veng errichtet sind, würde bei einer Jahrhundertflut nicht mehr helfen. Innerhalb kurzer Zeit wären die Häuser zerstört – und gleich- zeitig die Investitionen aus Spendengeldern vernichtet. Die Forscher haben im Rahmen des Projekts mehrere Standorte untersucht. Das kürzlich von der Stadtverwaltung Prey Veng angebotene, zentral gelegene Grund- stück erhielt das Urteil „unbedingt empfehlenswert“. Natürlich könnten auch erfahre- ne Experten vor Ort Daten sammeln und die Grundstücke begutachten. Doch oft bliebe, so Spuller, nur wenig Zeit für eine Entschei- dung. Zudem können die Forscher verschie- dene Datenbanken miteinander verlinken und so Informationen aus Jahrzehnten zu- gänglich machen. Die Echtzeitdokumenta- tion aus dem All könnte also auch künftig die Arbeit der SOS-Verantwortlichen leich- ter machen, egal, ob man dabei Bäume betrachtet oder eine nahende Flut. Erfassung von Talreliefs lassen sich Gefährdungszonen für mögliche Lawinenabgänge benennen. Landwirtschaft: Via Satellit lassen sich Wachstumsfaktoren Naturkatastrophen: Nach Erdbeben oder einem Tsunami lässt sich das Ausmaß der Zerstörungen aus der Luft gut beobachten. Der Überblick hilft, schnell Entscheidungen zu treffen. Am Bo- den herrscht oft großes Chaos, Wege in die Katastrophengebiete sind zerstört. Unfälle mit weiträumigen Auswirkungen: GeoVille hat Bilder des Ölteppichs geliefert, der aus der Plattform Deep Water Horizon im Golf von Mexiko auslief. So ließen sich mögliche Gefahren für Küstenregionen voraussagen. Waldmonitoring: In Zeiten des Klimawandels ist es wichtig zu wissen, wie groß und von welcher Art die Wälder der Welt sind. Aus dem All lassen sich nicht nur illegale Rodungen schnell erFoto: GeoVille kennen, es ist auch möglich, jede Waldfläche nach Baumart zu kartieren und einzelne Bäume gezielt für die Fällung zu wählen – ohne gleich die ganze Fläche kahl zu schlagen. Lawinenschutz: Mit Hilfe von Satellitenbildern und einer 3-D- wie Bodenfeuchtigkeit beobachten und Auswirkungen von Dürreoder Regenperioden langfristig erfassen. Zudem lässt sich der Flächenverbrauch pro Pflanze exakt bestimmen, etwa die Ausdehnung von Palmölplantagen oder Reisfeldern. Ölfeldanalyse: Ölfelder heben und senken sich im Millimeter bereich. Radarsignale aus dem All können so exakt abtasten, wie die Ölfelder „atmen“ und welche Restvorkommen in der Tiefe noch verborgen sind. Fracking: Aktuell werden große Waldflächen in Kanada für Fracking geopfert – bislang noch weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit. Mit der Methode lassen sich Öl oder Erdgas aus tieferen Gesteinsschichten lösen. Satellitenfernerkundung ist hier ein gutes Beobachtungstool. Hochwassergefahr: Entlang sämtlicher Flüsse lassen sich mit Hilfe von Satellitenbildern und Datenbanken Zonen definieren, die aufgrund von Hochwassergefahren besser nicht bebaut werden sollten. -51ubuntu Meinung Meine Wahrheit ... Dass er schwul ist, hat Hannes Warcup lange für sich behalten. Am schwierigsten Fand er es, mit seinen Eltern zu sprechen. Fotos Michela Morosini Text Simone Kosog dings konnte ich meinen Eltern schlecht vorgaukeln, den ganzen Tag im Museum verbracht zu haben. Als meine Mutter fragte, wo ich gewesen sei, sagte ich: „Auf dem Christopher Street Day.“ Und sie: „Warum das denn?“ – Ich: „Warum wohl?“ Ziemlich genau so, das hat sich fest bei mir eingebrannt. Danach haben wir stundenlang geredet, später kam auch mein Vater dazu. Meine Mutter stellte immer wieder dieselben Fragen. Sie war offen und interessiert, gleichzeitig aber irritiert und vielleicht auch scho- ckiert. Anstrengend wurde es dann in den zwei, drei Monaten, die folgten. Christine hat mir gefühlt 50 Mal am Tag gesagt, wie schwie- Hannes Warcup: „Wenn ich als Mutter solche Ängste habe, kann ich sie verdammt nochmal mit mir selbst ausmachen!“ Ich hatte nie ein moralisches Problem damit, dass ich schwul bin, aber tierische Angst vor den Reaktionen der Umwelt. Deshalb habe ich erst darüber gesprochen, als ich 18 war, obwohl mir schon mit 13, 14 klar wurde, was los war. In der Schule ging es mir zuvor überhaupt nicht gut, niemals hätte ich meinen Mitschülern davon erzählen können. Ebenso wenig hatte ich das Gefühl, dass meine Eltern gut reagieren würden – obwohl sie scheinbar die Parade-Eltern für ein leichtes Outing waren: Grünen-Wähler, Bioladen-Einkäufer, liberal, akademisch … Einmal hat mich meine Mutter relativ konkret gefragt, ob ich vielleicht lieber Jungen mag, aber das hat mich eher vor den Kopf gestoßen und ich habe abgeblockt. Ich glaube, ihr war das ganz recht. Das erste Outing – inzwischen hatte ich zum Glück die Schule ge- wechselt – entstand dann aus der Situation heraus: Eine Freundin löcherte mich und wollte unbedingt wissen, auf welches Mädchen aus der Klasse ich stehe. Irgendwann ist mir die Geduld gerissen: „Auf keins! Ich stehe auf den Typen in der Stufe über uns …“ Das war für sie völlig unerwartet. Nach und nach habe ich es dann auch anderen erzählt und bald wusste es die ganze Klasse. Die Reaktionen waren großartig, niemand hatte ein Problem damit. Wenn jetzt ein Spruch fiel wie: „Französisch war heute aber wieder schwul!“, kam schnell ein: „Oh, sorry, Hannes!“ hinterher. Anderthalb Jahre später hatte ich es meinen Eltern immer noch nicht gesagt, als sich endlich eine Gelegenheit bot. Ich hatte mich zum Stammtisch einer schwulen Jugendgruppe bei uns in Lands- berg gewagt und die Leute waren so lieb, mich früh am nächsten Tag mit nach München zu nehmen, wo sie den Christopher Street Day feiern wollten. Der Tag war wunderbar, ich war zum ersten Mal in einem schwulen Kontext in der Öffentlichkeit unterwegs. Aller- rig das alles für sie sei und dass sie ein Problem damit habe. Sie war wenig einfühlsam und kam mit jedem beschissenen Klischee: HIV, keine Enkelkinder und im Alter würden Schwule ja oft einsam. Als gäbe es keine einsamen Heterosexuellen! Ich konnte verstehen, dass sie sich nicht von jetzt auf gleich an die Nachricht gewöhnte, hätte mir aber einen weniger egozentrischen Blick gewünscht. Wenn ich als Mutter solche Ängste habe, kann ich sie verdammt nochmal mit mir selbst ausmachen, anstatt meinen Sohn, der sich ohnehin gerade in einer etwas schwierigen Phase befindet, damit zu belästigen! Mein Vater hatte eine andere, kuriose Art gewählt, damit umzugehen: Obwohl wir noch zusammen wohnten, schrieb er mir Briefe. Einerseits fand ich es bizarr, dass ihm das Thema offenbar zu heikel war, um mich direkt darauf anzusprechen. Andererseits konnte ich so in Ruhe verfolgen, wie er sich mit seiner eigenen Homophobie beschäftigte, was einen halbwegs friedlichen Umgangston zuließ. Bei meiner Mutter war das nicht der Fall, weshalb wir uns dauernd in den Haaren hatten. Ich kann nach wie vor kaum nachvollziehen, dass sich meine Eltern mit einem so relevanten Thema nie wirklich auseinandergesetzt hatten – obwohl es Berührungspunkte gab: Meine Mutter hatte zum Beispiel engen Kontakt zu einem schwulen Schüler und mein Vater hat einen schwulen Neffen. Ich finde es inkonsequent, oberfläch- lich Toleranz zu heucheln, ohne die eigene Einstellung ernsthaft zu reflektieren. Inzwischen, viereinhalb Jahre später, ist das Thema für uns zum Glück längst kein Problem mehr. Auch wenn ich meinen Eltern gegenüber kritisch bin, muss ich sagen: Ich finde es gut, dass sie sich der Kritik gestellt haben und inzwischen viel bewusster mit dem Thema Homosexualität umgehen, und ich kann im Vergleich zu vie- len anderen Schwulen und Lesben noch von Glück reden. Das ist aber eben der Skandal: dass man im 21. Jahrhundert immer noch sagen muss, man hat Glück gehabt, wenn das Coming Out nicht allzu schrecklich verlief. -52ubuntu Meinung ... deine Wahrheit Christine Hartmann-Warcup hat sich für sehr tolerant gehalten – bis sie von ihrem Sohn erfuhr, dass er auf Männer steht. habe. Er hat so vehement abgewiegelt, dass ich das Nein gerne als Nein genommen habe. Das wundert mich heute noch. An dem besagten Abend jedenfalls gab er mir zum ersten Mal seit vier Jahren wieder klare, deutliche Antworten, das war herrlich. Dann kam mein Mann hinzu und ich konnte in seinem Gesicht ähnliche „Schock“-Reaktionen beobachten. In den nächsten Wochen hatten wir Eltern einiges zu verarbeiten! Immer wieder kam bei mir die Frage hoch, was ich als Mutter falsch gemacht habe, wo ich versagt habe. Hätte ich verhindern können, dass mein Sohn schwul wird? Offenbar sind dies Gedanken, die ganz Christine Hartmann-Warcup: „Immer wieder kam bei mir die frage hoch, was ich als mutter falsch gemacht habe.“ Als Hannes mir sagte, dass er schwul ist, hatte ich in drei Se- kunden fünf Schocks: Erstens: Mein Sohn ist jetzt erwachsen und ich habe keine Aktien mehr drin! Zweitens: Ich weiß nichts über mein Kind! Drittens: Ich bin gar nicht tolerant! Viertens und fünftens fallen mir jetzt nicht mehr ein. Am schlimmsten war für mich drittens! Ich weiß noch, dass ich ein paar Tage vorher gedacht hatte: Uns kann nichts erschüttern, egal ob Hannes mit einer Freundin aus einem anderen Land kommen würde oder mit einer anderen Hautfarbe. Wir sind ja sooo tolerant! So kann man sich täuschen! Hannes war an diesem Tag ungewöhnlich früh aufgestanden und hatte uns einen Zettel hinterlassen: „Bin in München.“ Ich hatte das Gefühl: Der verheimlicht uns was. Am Abend fragte ich ihn, wo er gewesen sei. „Auf dem Christopher Street Day“ , sagte er , und da habe ich so doof geguckt wie selten in meinem Leben, woraufhin Hannes leicht patzig sagte: „Ja! Ich steh auf Männer!“ Zu diesem Zeitpunkt wussten es schon seine Klassenkameraden und Hannes hatte die Gefahr gesehen, dass wir es von außen erfahren könnten und das wollte er auf keinen Fall. Ich rechne ihm das hoch an. In der nächsten Stunde habe ich ihm tausend Fragen gestellt. Seit er in die Pubertät gekommen war, fand ich ihn manchmal ziemlich schwierig und zeitweise habe ich kaum noch Informationen von ihm bekommen. Ich war früher Lehrerin und hatte einen Schüler, der mich, als er Ende 20 war, einmal besuchte und mir unter anderem erzählte, wie schwierig es für ihn gewesen war, mit der späten Erkenntnis seiner Homosexualität (Mitte 20) klarzukommen. Manchmal erinnerte mich Hannes an diesen Schüler, weshalb ich ihn, als er 14 war, fragte, ob er auch Tendenzen in diese Richtung viele Eltern in so einer Situation quälen. Am Abend seines Outings kam mir nachts um zwölf plötzlich der Gedanke: „Keine Enkelkinder!“ Ich wurde zu meinem Erstaunen sehr traurig, denn ich hatte bis dahin nie den Wunsch verspürt, Oma zu werden. Das muss archetypisch sein. Ich fand es auch sehr schade, dass unser Sohn offenbar nicht das Vertrauen hatte, uns schon eher davon zu erzählen, wenngleich ich es verstehen konnte: Mein Mann und ich hatten eine Krise durch- lebt und erst als unsere Beziehung wieder stabiler war, hat Hannes sich uns offenbart. Immerhin gab es andere Menschen, mit denen er reden konnte. Hannes Vorwurf, wir hätten uns schon vorher mehr mit dem Thema auseinandersetzen sollen, kann ich aus seiner Sicht zwar verstehen, habe da aber eine andere Position: Wir hatten einfach wenig Berührungspunkte damit. Was ich schlimmer finde: Vor lauter eigenem „Damit-Klarkommen“ habe ich Hannes mit seinen Schwierigkeiten ein bisschen aus den Augen verloren. Ich war es einfach gewohnt, dass er seine Sachen mit sich selbst ausmacht, aber das tut mir heu- te noch leid. Irgendwann, als ich zu ihm sagte, dass ich das wirk- lich nicht einfach fände, platzte es aus ihm heraus: „Glaubst du, für mich ist es einfach?“ Da bin ich aus meinem Schockzustand herausgekommen, wenn auch nicht dauerhaft. Wir haben uns in dieser Zeit häufig in die Wolle gekriegt. Inzwischen hat die Entwicklung einen guten Verlauf genommen. Hannes hat schon mal einen Freund mitgebracht, der allerdings mehr in ihn verliebt war als umgekehrt. Hätten sie sich geküsst – ich glaube, ich hätte damit kein Problem gehabt. Glücklicherweise zeigt mir die Realität immer wieder: Hannes findet seinen Weg! Trotzdem wünschte ich manchmal, Hannes wäre nicht schwul. Er ist in so vielen Dingen „anders“: Er war auf der Waldorfschule, gilt als hochbegabt. Ist schwul. Die Wahrscheinlichkeit, auf Menschen zu treffen, die auf seiner Wellenlänge sind, erscheint mir so gering. Das ist manchmal meine Sorge. Man möchte ja, dass es den Menschen, die man liebt, gut geht! Wie es weiterging Das Grün ist üppiger geworden seit der Gründung des SOS-Kinderdorfs Nairobi. Die Lust der Kinder am Rennen und Rumtoben ist die gleiche geblieben. -55ubuntu Reportage Natürlich wollen die SOS-Kinderdörfer das beste, aber erreichen sie es auch? Fünf Ehemalige Aus dem SOS-Kinderdorf Nairobi erzählen ihre Geschichte. Fotos Mariantonietta Peru Text Anja Bengelstorff Die Bäume sind in vierzig Jahren kräf- tig gewachsen und die üppigen, frischgrünen Hecken waren damals noch gar nicht gepflanzt. Die Häuser kommen nicht mehr in weiß, sondern in warmem Orange daher. Ebenfalls heute spürbar: Die Geschichten vieler Kinder, Mütter und Mitarbeiter, die es bei seiner Gründung 1973 alle noch nicht gegeben hat. 515 Jungen und Mädchen sind seitdem hier aufgewachsen. Kinder, deren Eltern gestor- ben sind oder die aus anderen Gründen nicht für sie sorgen konnten. Kinder wie Patricia, Isaac, Teresia, Francis und Evans, die auf den nächsten Seiten das Wort haben. Sie und alle anderen haben im SOS-Kin derdorf Nairobi wieder eine Familie bekom- men, eine SOS-Mutter und Geschwister. Wie in allen SOS-Kinderdörfern der Welt war und ist es auch in Nairobi erklärtes Ziel, den Kindern eine Umgebung zu bieten, in der sie geliebt und behütet aufwachsen und das Rüstzeug dafür bekommen, als junge Menschen selbstbewusst in ein eigenstän diges Leben zu gehen. Die Frage, wie gut dies gelingt, stellen sich die Verantwortlichen der SOS-Kinderdörfer immer wieder. Wenn sie Stellen finden, wo es hakt, versuchen sie zu ändern, zu verbessern, nachzusteuern. Wie damals werden die jungen Leute auch heute weiter begleitet, wenn sie das Kin derdorf verlassen. Als ersten Schritt in die Selbstständigkeit ziehen sie in SOS-Jugend- häuser ein, wo sie in einer Art Wohngemeinschaft leben. Auch bei den ersten be- ruflichen Schritten werden die Kinder unterstützt. Neu ist in Kenia ein Mentorenprogramm für Jugendliche, das die SOS- Mitarbeiterin Mercy Chege koordiniert. Sie sagt: „Gut die Hälfte unserer Ehemaligen hat eine Berufsausbildung abgeschlossen. 35 haben sogar einen Universitätsabschluss.“ Dennoch habe man festgestellt, dass viele der Jugendlichen nicht stark und verant- wortungsvoll genug seien. Mentoren aus der Wirtschaft sollen die Kinder dabei unterstützen, Eigenschaften wie Sozialkompetenz, Entscheidungsfähigkeit und Führungskompetenz zu entwickeln. Patricia, Isaac, Teresia, Francis und Evans betrifft das nicht mehr. Sie führen längst ihr eigenes Leben. Wo sie heute stehen und wie sie die Zeit im Kinderdorf Nairobi erlebt haben, erzählen sie auf den folgenden Seiten. Fünf Ehemalige – fünf Geschichten. -56ubuntu Reportage Patricia Obara, 31, Küchenchefin Dies ist mein fünftes Jahr als Küchen- chefin. Ich habe drei Mitarbeiterinnen unter mir. Kochen ist meine Berufung, das war schon als Kind so. Meine SOS-Mutter hat mich damals immer wieder ermahnt. Oben: Patricia fühlte sich wohl im Kinder dorf. Noch häufiger als draußen sah man sie allerdings schon damals in der Küche. Sie fand, dass auch die anderen Kinder mal am Herd stehen sollten, aber es war einfach meine Leidenschaft. Mama ist die beste Mutter, die es gibt: Bis heute rufe ich sie jeden Tag an, und oft passt sie auf meine kleine Tochter Lucy auf, die 3 Jahre alt ist. Ihr Vater und ich standen kurz vor der Hochzeit, als er einen Job in Dubai Oben: Patricia Obara ist heute Küchenchefin. Ihr Wunsch ist es, einmal ihr eigenes Restaurant zu haben. Unten: Ihre Küche ist viel seitig. Bald möchte sie für einige Zeit nach Dubai gehen, um weitere Rezepte zu erlernen. angenommen hat. Seitdem habe ich nie wieder von ihm gehört. Im SOS-Kinderdorf wuchs ich mit meinem älteren Bruder und meinen beiden Schwestern im selben Haus auf. Unsere Eltern wa- ren früh gestorben. Unsere SOS-Mutter ist so stolz darauf, dass aus uns allen etwas ge- worden ist. Einen Vater habe ich gar nicht vermisst. In den üblichen Kinderheimen ist man auf sich allein gestellt, sobald man 18 wird. Bei SOS war das anders: Die Organisation half mir damals, eine Praktikumsstelle in einem Hotel zu finden. So konnte ich entscheiden, ob dieser Beruf wirklich etwas für mich ist. Nach der Ausbildung habe ich in einer gro- ßen, internationalen Hotelkette gearbeitet und viel dazugelernt. Inzwischen bilde ich selbst junge Mädchen aus. Ich würde gerne möglichst bald für drei oder vier Jahre nach Dubai gehen, dort arbeiten, neue Rezepte kennenlernen und Geld spa- ren. Ich hatte bereits ein Vorstellungsge- spräch, das sehr gut gelaufen ist. Jetzt warte ich nur noch auf den Anruf der Agentur. Mein großer Traum ist es, Familie zu haben und ein eigenes Restaurant in Kenia zu füh- ren, mit internationaler Küche. Das ist es, was ich immer wollte. -57ubuntu Reportage Oben: Isaac in Schuluniform. Heute bedauert er, dass der Wert von Bildung damals noch nicht deutlich genug erkannt wurde. Links: Trotz all seiner Aktivitäten gelingt es Isaac Irungu, pünktlich am Nach mittag nach Hause zu kommen, um Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Rechts: Isaacs erstes eigenes Firmenauto. Müllsammlung war damals in Kenia ein völ lig neuer Geschäftszweig. Isaac „Izo“ Irungu, 43, Besitzer einer privaten Müllabfuhr In der Grundschule fragte mich ein relang bei meiner Mutter im Gefängnis. brett in die Selbstständigkeit. Das war das erste Mal, dass ich von verschie- Kind! Dass ich bin, wo ich jetzt bin, ist si- schwister heute von niedrigen Arbeiten. Un- Lehrer: Bist du ein Kikuyu aus Murang’a? denen Ethnien hörte. Im SOS-Kinderdorf sind wir alle wie Brüder und Schwestern aufgewachsen, haben dieselbe Sprache gesprochen. Auch außerhalb des Dorfes war die Herkunft damals eher nebensächlich, es gab auch viele gemischte Paare. Das än- derte sich mit den Gewaltausbrüchen anlässlich der Wahlen 2007. Zwei Monate des Hasses zerstörten so viel – viele Paare trennten sich. Zum Glück schaffen es wir SOSKinder, weiter zusammenzuhalten. Bevor ich ins Kinderdorf kam, lebte ich jah- Ganz sicher nicht der richtige Platz für ein cher Glück, aber auch Teil meines Charakters: Wenn sich eine Chance bietet, ergreife ich sie. Als ich vor zwanzig Jahren mit zwei SOS-Brüdern die Idee entwickelte, Müll zu sammeln, zögerten wir nicht lange. Damals war das ein völlig neues Geschäft, das für uns äußerst erfolgreich wurde. Inzwischen gehört mir die Firma allein, einer meiner damaligen Mitstreiter, Evans, ist mittlerweile Leiter des SOS-Kinderdorfs Mombasa. Über die Jahre haben 30 SOS-Alumni für mich gearbeitet. Für viele war es ein Sprung- Dennoch leben die meisten meiner SOS-Gesere Mutter hat den Wert von Bildung nie hochgehalten, das mag auch an der damali- gen Zeit gelegen haben. Ich selbst habe die Schule mit 16 verlassen. Aber es ist ja gut gegangen. Meine Energie scheint nie zu versiegen: Ich spiele in der Kirche Keyboard, unterstütze Straßenkinder oder experimentiere mit Tomatenplantagen. Für ehemalige SOS-Kinder habe ich den „SOS Clan Fonds“ ins Leben gerufen. Wenn jemand stirbt, unterstützen wir die Hinterbliebenen. -58ubuntu Reportage Oben: Teresia hatte nie ein anderes Zuhause als das SOSKinderdorf Nairobi. Ihre Mutter starb bei der Geburt. Unten: Teresia Njeri hofft, mit dem Verkauf von Pommes soviel Geld zu verdienen, dass sie den Slum bald ver lassen kann. Oben: Teresia Njeri ver sucht, das Leben mit einem Lächeln zu meistern. Das fällt ihr nicht immer leicht. Teresia Njeri, 34, Pommesverkäuferin im Slum „City-Carton“ Vor vier Monaten habe ich meine Kom- lich: Es ist laut, überall Betrunkene, und ne Tochter. Ich selbst mochte die Schule zogen. Das war sicher nicht mein Traum, wisse Dienste an. Die Versuchung ist da, vor gen, das war mein größter Fehler. Ständig fortzone verlassen und bin in den Slum ge- aber ich wollte auf eigenen Füßen stehen. Bis dahin hatte ich zusammen mit meiner 16-jährigen Tochter bei meiner KinderdorfMutter gewohnt. Sie ist inzwischen pensio- niert und hat ihre eigene Wohnung. Ich musste mich um nichts kümmern. Meine Mutter bedeutet mir alles, auch für sie wollte ich endlich aus meinem Leben etwas machen. Jetzt verkaufe ich hier im Slum „City Carton“ Pommes Frites, vor allem an Kinder, die mittags aus der Schule kommen, 10 Cent für eine Handvoll. End- lich verdiene ich mein eigenes Geld. Aber abgesehen davon, ist das Leben hier schreck- manchmal bieten mir Männer Geld für ge- allem, wenn ich die 12 Euro Miete für mein Wellblech-Zimmer nicht aufbringen kann. Ich war ein Jahr und drei Monate alt, als ich ins SOS-Kinderdorf kam, direkt aus dem Krankenhaus, in dem ich geboren wurde und in dem meine Mutter nach meiner Geburt gestorben ist. Im Dorf habe ich eine Familie gefunden, mütterliche Liebe. Meine leiblichen Geschwister will ich nicht sehen: Sie betteln dauernd um meine Hilfe und weil ich im Kinderdorf aufgewachsen bin, glauben sie mir nicht, wenn ich sage, dass ich selbst nichts habe. Aktuell zahlen meine SOS-Geschwister die Schulgebühren für mei- nicht und bin nach acht Jahren abgeganbeschwöre ich meine Tochter heute, die Schule ernst zu nehmen. Ich habe damals eine Ausbildung zur Hotel- managerin gemacht und jahrelang als Be- dienung gearbeitet, aber solche Jobs sind nie langfristig. Gerne würde ich mich wei- terbilden und in einem Büro arbeiten. Dann könnten meine beiden Kinder bei mir le- ben – mein elfjähriger Sohn wächst bei seinem Vater auf und ich sehe ihn kaum. Ich versuche, ein fröhliches Gesicht zu ma- chen! Gott will, dass ich aus meinem Leben etwas mache. Und dann ziehe ich weg aus dem Slum. -59ubuntu Reportage Francis Mwangi, 43, Bodybuilder, Türsteher, Fitnesstrainer, Wachmann, Immobilienentwickler Meine SOS-Mutter hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, dass ich ihr einmal Enkel bescheren würde. Ich hatte ja nicht einmal die richtige Frau gefunden. Aber dann erschien ich zu einem Familientreffen mit einer Dame an meiner Seite. 15 frühere SOS-Kinder samt Familien waren da, um die 40 Leute, und ich stellte meiner Familie die Frau vor, die ich heiraten wollte. Mama gab ihren Segen von Herzen! Unsere Tochter ist jetzt fast drei Jahre alt. Rechts: Francis Mwangi ist zufrie den: Mit seinen Ersparnissen baut er gerade sein eigenes Haus (unten). Gern hätten wir noch ein zweites Kind. Meine leibliche Mutter war gelähmt und konnte nicht für mich sorgen. Auch meine Verwandten waren sehr arm und hätten mich nicht aufnehmen können. Ich habe die Zustände gesehen, in denen sie leben. Wäre ich dort aufgewachsen, wäre ich nicht der Mann, der ich heute bin. So kam ich mit drei Jahren ins SOS-Kinder- dorf. Später, als junger Mann, habe ich viel Zeit mit Bodybuilding verbracht. Ich wollte wie Arnold Schwarzenegger aussehen, und habe es auch geschafft! Ich habe acht Pokale gewonnen. Damals habe ich auch als Tür- steher und Fitnesstrainer gearbeitet und dadurch mit 23 Jahren einen Job in SaudiArabien bekommen: Ich habe dort als Wach- mann für einen Scheich gearbeitet. Er war zum Glück weltoffen, hat uns Christen zu Weihnachten sogar Geschenke gemacht. Wie ich waren die meisten seiner Wach leute Kenianer: Der Scheich hatte zu Ausländern mehr Vertrauen. In Saudi-Arabien lebt man wie in einem Gefängnis, aber ich nutzte die Zeit, um Geld zu sparen. Als ich nach 18 Jahren nach Kenia zurückkehrte, hatte ich soviel zusammen, dass ich mir ein Stück Land kaufen konnte, auf dem ich jetzt kleine Appartments baue. Das allerwichtigste für mich bleibt aber meine Familie, da kann kein Reichtum eines Scheichs mithalten. Ich wünschte nur, ich hätte früher geheiratet. Rechts: Als Junge hatte Francis viele Träume. Tatsächlich gelang es ihm später, sie zu verwirk lichen. -60ubuntu Reportage Links: Die Kinder mögen ihn – und Evans Mutiso mag die Kinder. Da er selbst im Kinder dorf aufgewachsen ist, kann er sich gut in ihre Situation hineinfühlen. Unten: Evans (2. von rechts) mit seiner dama ligen SOS-Familie. Evans „Msoso“ Mutiso, 46, Direktor des SOSKinderdorfs Mombasa Ich hatte meine frühe Kindheit lange men „Msoso“ oder Vater, Baba – ich mag alle mich ins Kinderdorf gebracht? Warum hat über den Kindern zu thronen, sondern für nicht verarbeitet: Warum hat meine Mutter mich nie jemand besucht? Wo ist mein Va- ter? Erst letztes Jahr habe ich endlich einen Therapeuten besucht. Er hat mich ermu- tigt, Antworten bei meinen leiblichen Verwandten zu suchen. Also habe ich meine Cousins zusammengerufen, und gemeinsam richten wir nun den Hof meiner ver- storbenen Großmutter her. Er soll ein Treff- punkt für die ganze Familie werden. Für mich fühlt sich das gut an: Ich bin wieder in Kontakt mit meinen Wurzeln. Auslöser für diesen Schritt war auch meine Erfahrung als Direktor des SOS-Kinderdorfes Mombasa. Ich beobachte immer wieder, dass sich Kinder in ihrer SOS-Familie zuhause fühlen, aber gleichzeitig guten Kontakt zu ihren leiblichen Familien halten können. Jedes Jahr sind sie über Weihnachten bei ih- ren Verwandten. Sie reden gern über diese Besuche, sind stolz auf ihre Herkunft. Zu meiner Zeit wurde das noch nicht gefördert. Im Dorf ruft man mich bei meinem Spitzna- Namen gleich. Ich bin stolz darauf, nicht sie zugänglich zu sein. Vieles von dem, was ich ihnen weitergebe, habe ich selbst bei Tony Hernnegger, dem damaligen Leiter des SOS-Kinderdorfs Nairobi, gelernt: Verantwortungsbewusstsein und Ehrlichkeit ge- hören dazu. Im Kinderdorf habe ich gelernt, was diese Werte bedeuten. Ohne sie ist es kein Leben. Als Kinderdorfleiter ist mir heute wichtig, den Jungen und Mädchen die Bedeutung von Bildung zu vermitteln. Ich lege auch Wert darauf, das sie sich in die Welt außerhalb des Dorfes integrieren und habe vor allem die traumatisierten Kinder im Blick. Sie zu unterstützen, auch mit therapeutischer Hilfe, liegt mir sehr am Herzen. Weil ich die Erfahrung der Ehemaligen sehr schätze, setze ich sie immer wieder als Mentoren ein. Mit Erfolg. Letzte Woche wurde Mombasa zum am besten geführten SOSKinderdorf Kenias gewählt. In Kenia gibt es derzeit fünf SOS-Kinderdörfer, sowie fünf Kindergärten, drei Schulen, zwei Klini ken, fünf Sozialzentren und zwei Ausbildungs zentren. Die SOS-Familienhilfe unterstützt da rüber hinaus Familien, die in Not geraten sind, wieder ein eigenständiges Leben zu führen. -61ubuntu Essay stark wie das von Haiti. Auch hier stellte eine Kommission fest, dass es sich um eine von Menschen gemachte Katastrophe handelte, deren Ausmaß durch Schlamperei Hilfe darf nicht nur den Mangel sehen! geradezu provoziert worden war. Nur gut, dass stets eine riesige Hilfsin Sea-A bekommt sogar noch einen günstigen Zeit jeden beliebigen Katastrophenort er- und Zollerleichterungen. Ausgerechnet diese dustrie bereit steht und innerhalb kürzester reicht. Erst zur Rettung, dann zur Nothilfe und schließlich für den Wiederaufbau. Für ein Kinderhilfswerk gehört Hilfe nach einer Katastrophe eigentlich nicht zu den Hauptaufgaben und doch sind wir mehr und mehr gezwungen, sie zu leisten. Die meis- ten unserer über 500 Dörfer befinden sich in armen und für Katastrophen jeder Art an- fälligen Ländern. Die Opfer stehen dann einfach vor unserer Tür. In Haiti hatte unser heimischem Personal, sahen sie uns nicht als westliche Eindringlinge, sondern zu- sie uns immer wieder aufs Neue. Als vor zwei Jahren in Ostafrika Hunderttausende hungerten und wahrscheinlich Zehntau- sende starben, war das absehbar. Man wusste, wie lange es nicht mehr geregnet hatte. Man wusste auch, dass es nicht einfach sein würde, die Hungernden zu betreuen, weil in Somalia Bürgerkrieg herrschte. Und trotzdem kam es dann ganz plötzlich. Die Men- schen standen einfach da, in Mogadischu, auch vor den Toren unseres dortigen SOSKinderdorfes und unserer Klinik. Als in Haiti vor drei Jahren die Erde bebte, war jedem, der das Land auch nur ein bisschen kannte, hinterher klar, dass es so hatte kommen müssen. Die Hauptstadt Portau-Prince war schon vorher in einem so be- dauernswerten Zustand, dass jedes extreme Naturereignis Zerstörung und massenhaf- Foto: Andreas Friedle ten Tod bringen musste. Das Erdbeben, das ein gutes Jahr später Japan erschütterte und einen Tsunami und die Atomkatastrophe auslöste, war vier Mal so Land noch niedrigere Löhne locken. Wie kann es zu so etwas kommen? Ganz einfach: Die USA wollten schnelle Ergeb nisse vorzeigen. Die Pläne für den Industriepark lagen schon lange in der Schublade, nur hatte sich kein Investor gefunden. Der koreanische Konzern schlug erst zu, als gestellten Mittel auch abfließen. Nur schon zwanzig Jahre vor Ort sind, mit ein- nie unerwartet und trotzdem überraschen einpackt und geht, wenn in einem anderen wir fast das einzige Hilfswerk, das von der al-Shabaab-Miliz geduldet wurde. Weil wir Katastrophen kommen so gut wie für bekannt, dass sie sofort ihre Maschinen er ein echtes Schnäppchen machen konnte – damals Mogadischu kontrollierenden Firma ist in Guatemala und Nicaragua da- Dorf am Rand von Port-au-Prince das Erdbeben heil überstanden, in Somalia waren Essay: Dr. Wilfried Vyslozil Vorstand SOS-Kinderdörfer weltweit Kredit für die Anschaffung der Maschinen recht als Teil von Somalia. Wir haben inzwischen Übung darin, schnell auf Notlagen zu reagieren. Aber wir sind uns nicht sicher, ob wir immer alles richtig machen. In Haiti etwa haben wir nach dem Beben zu den 16 kleinen Gemeindezentren, die wir zusammen mit der dortigen Bevölkerung betreiben, zehn weitere eröffnet und 23.000 Menschen mit Essen ver- sorgt. Der Reis – das wichtigste Grundnahrungsmittel des Landes – kam aus den USA. Haben wir damit am Ende den einheimi- schen Reisbauern ihren wichtigsten Markt weggenommen? Im Norden, wo die fruchtbarsten Böden des Landes sind, hatte das Erdbeben keinen Schaden angerichtet. Eben dort können wir heute beobachten, wie Hilfe auf keinen Fall aussehen darf. In der Gemeinde Caracol entsteht derzeit der größte Industriepark des Landes – finanziert mit einem Teil der zehn Milliarden US-Dollar, die Haiti von der internationalen Gemeinschaft für Nothilfe und Wiederaufbau versprochen wor- den waren. Felder sind verschwunden für Fabrikhallen, in denen bis zu 20.000 Arbeiter Kleider zusammen nähen sollen – für einen Lohn von knapp drei Euro am Tag. Die koreanische Firma Sea-A ist der einzige Pro- fiteur dieses „Wiederaufbaus“. Die gesamte Infrastuktur des Parks samt Kraftwerk und Fabrikhallen bezahlen die USA und die Interamerikanische Entwicklungsbank. und die Geldgeber sind froh, dass die bereitdie Menschen in Haiti hat niemand gefragt! Das Beispiel mag extrem sein, die Ausnah- me ist es nicht. Hilfe wird immer dann geleistet, wenn man beim zu Helfenden einen Mangel feststellt. Oft ist es, wie in Soma- lia, der Mangel an Nahrung. In Caracol geht es um den Mangel an Arbeitsplätzen und Wirtschaftsleistung. In unseren Hilfswerken und Entwicklungsorganisationen fehlt es nicht an Experten, die Programme entwerfen und umsetzen können, um solche De fizite zu beheben, und meistens werden sie auch dankend angenommen. Doch das ist nur sinnvoll, wenn die Menschen, um die es geht, auch gehört werden. Wir sollten uns nicht so sehr auf das kon- zentrieren, was fehlt, sondern viel mehr das suchen, was vorhanden ist. Das, was wach- sen kann und sich entwickelt, wenn wir es nur ein wenig unterstützen. Solche Hilfe macht vielleicht Umwege nötig und bringt nicht unbedingt schnelle Ergebnisse. Aber sie ist erfolgsversprechend und nachhaltig, weil sie dort ermuntert, wo Engagement und Wille schon da sind. Und sie ist menschlich – humanitär –, weil sie die Menschen in ihrer Not ernst nimmt. Die Nothilfe der SOS-Kinderdörfer Die SOS-Hilfsaktionen gehen immer von den bestehenden SOS-Kinderdörfern im Land aus. Dies ermöglicht schnelle, effiziente und nachhaltige Hilfe: Einheimische SOS-Mitarbei ter sind häufig unter den ersten Helfern. Sie kennen Land und Leute, stimmen ihre Aktionen mit den Behörden ab und arbeiten mit an deren Hilfsorganisationen zusammen. Oftmals geht die Soforthilfe in langfristige Aufbauund Entwicklungsprojekte über. www.sos-kinderdoerfer.de -62ubuntu Portrait aus Syrien Einer kommt Mohammed wächst in einem Flüchtlingslager in Jordanien Auf. Seine Eltern sind aus Syrien geflohen und können ihm wenig bieten auSSer Sonne, Staub und viel Aufmerksamkeit. Fotos Sascha Montag Text Diana Laarz Es gibt zwei Gefühlszustände, Die junge Mutter hat das schüchterne danien allgegenwärtig sind: Wut und zählt mit leiser, kaum wahrnehmba- die im Flüchtlingslager Saatari in Jor- Lächeln eines kleinen Mädchens, er- Angst. Wut auf den syrischen Präsi- rer Stimme. Vorsichtig schlägt sie das denten Baschar al-Assad, vor dessen Ra- Tuch zurück und zieht Mohammeds keten sie geflüchtet sind. Angst davor, Mütze gerade. „Für uns ist es hier dass die Anhänger eben dieses Assads schon zu heiß, wie muss es dann erst sie aufspüren und dafür bestrafen, für ein kleines Baby sein?“, sagt sie. dass sie ihre Geschichte erzählen. We- Islam, Mohammed und der Vater woh- gen dieser Angst tauchen die Personen nen in einem Zelt. Sie haben zwei Mat- in diesem Text nur mit Vornamen auf. ratzen, zwei Decken und die Taschen Und die 17-jährige Islam, die ihren Sohn mit Kleidung, die sie auf der Flucht Mohammed auf dem Arm hält, ver- tragen konnten. birgt beim Fotografieren die Hälfte ih- Islam sagt, sie möchte Mohammed res Gesichts. alle Liebe schenken, die sie hat. „Ich Wenn Islam in den vergangenen ein- möchte ihn zu einem aufrechten Mann einhalb Monaten eines gelernt hat, erziehen.“ Aber größer als ihre Zu- dann ist es Warten. Warten auf neue kunftsträume sind ihre Sorgen. „Wir Lebensmittelkarten, warten auf Was- sind auf der Flucht, unser Land liegt in ser, warten darauf, dass irgendetwas Trümmern. Wie kann ich meinem passiert. Islam hockt im Schatten eines Sohn unter diesen Umständen Wissen weißen Containers auf einem Treppen- und Bildung vermitteln?“ Islam stellt absatz. Ein paar Meter entfernt steht oft Fragen, Antworten findet sie keine. eine dicht gedrängte Menschenmenge Die Schwangerschaft war nicht ge- in der glühenden Mittagssonne. Islams plant, Mohammed wurde trotzdem Tante hat sich angestellt, um für Mo- hammed Babykleidung zu ergattern. Islam hat ihren Sohn in ein rosafarbenes Tuch ge- wickelt, ein Zipfel verdeckt seinen Kopf. Ab und zu lässt sich ein leises Husten aus dem rosa Bündel vernehmen. Mohammed kam vor 40 Tagen auf die Welt. Ein Neugeborenes freudig erwartet. Er ist das erste Enkel- Mohammed ist ein sehr ruhiges Kind. Er schreit fast nie. im Flüchtlingslager, wo der Staub die ehe- mals weißen Zelte längst gelb gefärbt hat. werden etwa 1.500 Neuankömmlinge regis- Wieder eine Schlange, in der sie warten wird. Islam und ihre Familie darunter, ihr Ehe- Saatari ist das Lager der Vereinten Nationen für syrische Flüchtlinge im Norden Jordani- ens. Längst haben die Offiziellen den Überblick darüber verloren, wie viele Menschen in den Zelten untergekommen sind, wahrscheinlich sind es um die 100.000, mehr als die Hälfte von ihnen sind Kinder. Jeden Tag Menschen kümmern und sorgen sich um ihn. Mohammed ist ein sehr ruhiges Kind, er schreit fast nie. Es ist fast so, als ob er ver- standen hätte, dass seine Familie ihm im Moment nicht mehr bieten kann als Sonne, Staub und viel Aufmerksamkeit. Mohammed hat Atembeschwerden, Islam will heute noch mit ihm ins Krankenhaus. kind für die Familien seiner Eltern. Viele triert. Vor eineinhalb Monaten waren auch mann, ihre Tanten, die Schwiegermutter, ein paar Cousins. Zwei schwere Massaker hatte es in ihrer Heimatstadt gegeben, da entschloss sich die Familie zur Flucht. Islam war da schon hochschwanger, ihren Sohn brachte sie wenig später in einem jordanischen Krankenhaus zur Welt. Die junge Mutter Islam hat Sorgen um ihr eigenes Leben und das ihres Sohnes. Ihr Gesicht zeigt sie lieber nicht. -63ubuntu Portrait aus Syrien Einer geht Mohammed Moussah galt als mutig und herzensgut. er träumte von einem freien syrien – und starb durch die kugel eines Scharfschützen. Im März 2011 traf Mohammed erzählt ihr manchmal von ihrem Vater. dung. Es war der Monat, in dem mit tig war, herzensgut zu seinen Freun- Moussah eine folgenschwere Entschei- Dass er im Himmel ist und dass er mu- Protesten in seiner Heimatstadt Dar’a den. „Er war immer bereit, abzugeben.“ der syrische Bürgerkrieg begann. Mo- Mohammed Moussah hatte außerdem hammed Moussah war von Anfang da- eine großen Traum. Er träumte von ei- bei. An einem der ersten Abende kehr- nem freien Syrien. te er mit einer Schnittverletzung an der An den Tag seines Todes erinnert sich Hand zurück. Seine Frau bat ihn, zu Ola Moussah in allen Einzelheiten. „Er Hause zu bleiben. Seine Mutter sagte: verabschiedete sich lange von mir, von „Du sollst nicht kämpfen.“ Mohammed unseren Töchtern, er betete zwei Mal, Moussah antwortete: „Ich opfere mich er verließ das Haus etwa gegen Mitter- selbst für Gott und die Freiheit.“ Er nacht.“ Um zwei Uhr traf der Scharf- wurde der Anführer der ersten Brigade schütze Mohammed Moussah, um fünf der Freien Syrischen Armee in Dar’a. Uhr wurde er für tot erklärt, um sieben Im Dezember 2011 starb er, 26 Jahre alt. Uhr weckte Mohammeds Mutter Ola, Ein Scharfschütze traf ihn zwei Mal. um ihr die Todesnachricht zu über- Eine Kugel blieb in der Hüfte stecken, bringen. Ola Moussah ist 22 Jahre alt die andere zerfetzte die Hauptschlag- und Witwe. ader in der Brust. Die letzten Aufnahmen, die es von Die Menschen, die von Mohammed Mohammed Moussah gibt, sind ganz Moussah erzählen – seine Witwe, seine anders, als das Bild des optimistisch Eltern, seine Geschwister, eine Schar lächelnden Mannes an der Wand. Mo- von Cousins und Cousinen – sind auf hammeds Schwester hat sie auf ihrem der Flucht. Die Großfamilie ist in ei- Handy gespeichert. Mohammed liegt nem kargen Appartment in der jorda- nischen Kleinstadt Ramtha untergekommen. Vier Söhne haben die alten Moussahs. Der Erste, Mohammed, ist tot, der Zweite wird in Syrien vermisst, der Dritte wurde von der syrischen Armee festgenommen und seitdem nicht wieder gesehen. Der Vierte liegt auf einer Matratze im Appartment, er erholt sich von einer Kampfverletzung an auf weißen Tüchern, die Kamera fährt „Er hatte das, was einen richtigen Mann aus macht“, sagt sein Vater. „Ein gutes Herz.“ der Hüfte. Es gibt in diesem Raum nur Mat- vier Jahren. Damals fuhren die beiden an gerahmte Foto von Mohammed Moussah. picknickten im Grünen. Mohammed arbei- ratzen, Decken, ein paar Kissen – und das Es hängt in der rechten oberen Ecke neben dem Fenster. Darauf eine weiße Aufschrift: Es ist schwer, getrennt zu sein. „Er hatte das, was einen echten Mann ausmacht“, sagt sein Vater Achmed. „Ein gutes Herz.“ Das Foto zeigt Mohammed Moussah kurz nach der Hochzeit mit seiner Frau Ola vor über seinen nackten Oberkörper, sie stoppt kurz über den Einschusslöchern und zoomt schließlich auf das Gesicht. Die Augen sind halb geschlossen, es ist nur noch das Weiß der Augäpfel zu sehen. Es sind die letzten Minuten im Leben des Mohammed Moussah. Im Hintergrund des Videos singt eine Stimme: „Er ist für unser Land gestorben.“ den Wochenenden oft raus aufs Land und tete an einem Straßenimbiss, er bereitete Hühnchenfleisch zu. Er und Ola waren sich zufällig in der Stadt begegnet, sie mochten sich sofort. Kurze Zeit später hielt Mohammed Moussah bei Olas Eltern um ihre Hand an. Zwei Töchter wurden geboren, Rain und Hala. Die Älteste ist knapp vier Jahr alt. Ola Ola, 22-jährige Witwe, erzählt ihren kleinen Töchtern manchmal von ihrem Vater. -64ubuntu Glosse Vorsicht vor der Landleben hysterie! Text Susanne Frömel Kürzlich erzählte mir meine Freundin Natalie, dass sie aufs Land ziehen wolle. Der Kinder wegen, sagte sie, „die Kinder brauchen frische Luft, Wiesen, Käfer, Kontakt zur Natur!“ Ich machte eine Bemerkung in die Richtung, dass Natalie das letzte Mal, als sie Kontakt zur Natur hatte, kreischend auf einem Stuhl stand und mit Schuhen um reiste, sagten sie meistens: „Ihr habt es papp“, rief sie, „für die Kinder ist es einfach dieser Gestank, nee, das wär nix für mich. sich warf. Wegen eines Käfers. „Papperla- hört man die Städter sprechen. Gemurmel Das machte uns weniger zu schaffen, als die Spielplätzen breit, gerade so, als wäre das kurz vorher so leichthin zu Freunden ge- vom eigenen Acker macht sich auf den Stadtleben nur etwas für solche, die zu schlapp sind, sich morgens Schlamm von den Schuhen zu klopfen. Es ist eine solche Landlebenhysterie ausgebrochen, dass die Städte in spätestens drei Jahren entvölkert sein dürften. Ich habe mal auf dem Land gelebt. Was Schlamm angeht, macht mir so schnell nie- mand was vor. Irgendwann haben wir die Sache japanisch gehandhabt: Schuhe für draußen, Schuhe fürs Wohnzimmer, Schuhe fürs Bad, das war die praktischste Art der Schlammprävention. Zwischendrin wechselten wir die Paare in kleinen Hüpfern, was sehr schwierig war, weil wir alle höllische Mücken im Sommer. Dabei hatte ich noch sagt: „Wieso stellt ihr euch so an? Zelten im schwedischen Sommer ist doch klasse! Und die paar Mücken machen doch nichts.“ So spricht nur jemand, der bis vor kurzem in der Sicherheit einer städtischen Vier-Zimmer-Wohnung gehaust hat. Wir waren im Mai eingezogen. Im Juni waren die Nächte „Erst später erfuhren wir, was die Nachbarn über uns erzählt hatten.“ Schmerzen hatten von den Arbeiten, die der Garten uns abverlangte. Sonntags, wenn wir bereits von Sirren durchwoben, im Juli und Leitung des Tierarztes vor der Kirche, was lichsten Tinnitus aller Zeiten, außer, dass seltsam für Brandenburg war, denn Kirche besuchen war hier nicht üblich. Sie sahen uns fast wertfrei an, während wir an ihnen vorüber gingen, aber ich bin sicher, dass der Arzt während der dreimonatlichen Paradontosebehandlung unseres Hundes eine unchristliche Heftigkeit zeigte. chen langweilig auf Dauer.“ Im Sommer war es okay, aber im Winter wurden die Tage lang. Brandenburg hat nicht die landschaftlichen Reize anderer Landstriche. Es war in unserer Gegend, von ein paar Erhebungen abgesehen, flach wie ein Pfannkuchen. Wir spazierten und spiel- ten Gesellschaftsspiele, und jeden Sonntag gingen wir zum Brunch. Während andere für das Landleben wie geschaffen schienen, gaben wir nach zwei erfolgreichen Ernten von Butternut-Kürbissen auf und zogen in die Stadt zurück. Erst später erfuhren wir, was die Nachbarn über uns erzählt hatten. Offenbar waren wir in halbkriminelle Ma- chenschaften verwickelt, die wir sonntags beim Brunch absprachen mit Großstädtern, die uns regelmäßig besuchen kamen. „Ich habe nie verstanden, warum ihr wieder zum Brunchen in den Gasthof gingen, scharte sich eine kleine Gruppe unter der Und, ganz ehrlich: mir wäre das ein biss- August war es, als hätte ich den entsetz- einen dieser hier an den Wangen kitzelte und die Oberarme zum Jucken brachte. Von den Mücken und dem sehr landwirt- schaftlichen Geruch in unserem kleinen Dörfchen abgesehen, war es herrlich und da- rum bekamen wir sehr viel Besuch. Wenn der Besuch nach zwei Wochen wieder ab- zurückgekommen seid“, sagte Natalie. „Ich stelle mir das so herrlich vor. Das Grün, die Luft und dann erst der direkte Nachbarkontakt! Da spürt man doch erst wieder, wofür man Mensch ist!“ Ich sagte nichts weiter, denn manche Erfahrungen muss man einfach selber machen. Illustration: Tina Berning viel besser, da kann ich mich anpassen.“ So wirklich super hier. Aber die Mücken und -65ubuntu Wissen Schulessen für alle Religionen Späte Geburt schadet Kindern langfristig nicht Die Professorin für schen 35 und 44 Jahre alt, sind ihre Kinder von der Hochschule Osna- Kinder von jüngeren Müttern. Bisher nahm Elisabeth Leicht-Eckardt als Erwachsene nicht häufiger krank, als brück hat in ihrem Buch man an, dass Kinder Spätgebärender als „Inklusion durch Schulver- Erwachsene häufiger krank sind, weil der pflegung“ Mensaessen Körper der Mutter zum Zeitpunkt der Ge- unter religiösen Gesichts- burt schon abgebaut habe. Eine Studie vom punkten erforscht. Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock aber zeigte jetzt, dass Mensaessen für verschie- für die spätere Gesundheit der Kinder die dene Religionen – da muss man als erstes den Schwei- Bildung der Mutter und die Jahre, die sie mit nebraten streichen, oder? eine bestimmte Philosophie. man rein vegetarisches Es- fen, wenn genau ausgezeich- zwischen Lebensmitteln, die sätzlich zweimal die Woche Es würde schon weiterhelnet wäre, welche Zutaten im jeweiligen Gericht sind. Viele Gerichte tragen Phan- tasienamen wie „Frühlingsauflauf“ oder „Schnitzel Jamaica“ und das Personal weiß nicht, was da drin Muslime unterscheiden „halal“, also erlaubt, oder „ud haram“, verboten, sind. Eine verbotene Zutat wie Alkohol darf dabei auch nicht in Spülmitteln oder Aromastoffen enthalten sein. Allein die koschere Küche steckt. Also essen es viele der Juden erfordert großen Sie betonen, dass nicht müssen Milch und Fleisch Kinder besser nicht. nur entscheidend ist, wel- che Produkte verwendet werden, sondern, dass es auch für Lagerung oder Transport unterschiedliche religiöse Vorschriften gibt. Hinter jeder Religion steckt logistischen Aufwand. So streng getrennt aufbewahrt und zubereitet werden. Ist eine Schulversorgung, die allen religiösen Gruppen gerecht wird, überhaupt umsetzbar? In einfacher Form ja: Wenn zufriedene Montessori-Schüler sen anbieten würde und zuFleisch frisch in der Schulküche zubereitet oder angeliefert würde. Dann bräuchte man nur gesonderte Pfannen seldorf haben die Lernbedingungen an Montessori-Schulen untersucht. 643 Schüler zwischen 14 und 19 Jahren wurden zu Schulqualität, Wertevermittlung und Lern erfahrungen befragt. Dann verglichen die Forscher die Ergebnisse mit Aussagen von Schülern an Regelschulen. Dabei zeigte sich: Montessori-Schüler fühlen sich besser individuell gefördert, haben ein besseres Verhältnis zu ihren Lehrern und leiden seltener unter Schul- und Prüfungsangst. Die Forscher führen das auf den hohen Anteil an selbstständigem Lernen und Arbeiten zurück. Allerdings beklagt fast die Hälfte der Schüler, dass es während der Freiarbeit unruhig sei. In Deutschland gibt es 225 Montessori-Grund- und 156 Sekundarschulen. ihrem Kind gemeinsam erlebt, entschei- dend sind. Für die Studie waren 18.000 Amerikaner befragt worden. Unbestritten aber ist, dass Spätgebärende ein höheres Risiko haben, eine Fehlgeburt zu erleiden oder ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen. für das Fleisch. Das wäre Essen à la „halal-style“ oder „kosher-style“. Auch Hin- dus und Buddhisten wären mit vegetarischen Gerichten glücklich. Was hat Sie am meisten überrascht? Die fehlende Kommuni kation. Es muss dringend abgefragt werden, welche Wünsche die einzelnen Religionen haben. Urknall oder Gottes Schöpfung Bildungs- und Erziehungswissen- schaftler der Universitäten Bonn und Düs- Fotos: Pattrick Wittmann, Senad Gubelic Ist eine Mutter bei der Geburt zwi- Haushaltswissenschaften In einer Untersuchung der Uni Hildesheim wur den 24 Kinder gefragt, wie sie sich die Entste hung der Erde vorstellen. Alle Zweitklässler waren sicher, dass Gott seine Hände im Spiel hatte. Dagegen führte die Hälfte der Viertklässler natur wissenschaftliche Erklä rungen an und bezog sich auf den „Urknall“. nicht zu Früh aufstehen Wer vor acht Uhr in der Schule sein muss, ist nicht ausgeschlafen. Das fanden Psychologen der Universität Basel heraus. Wie auch in Deutschland beginnt der Unterricht in der Schweiz an einigen Schulen bereits um 7.40 Uhr oder noch früher. Die Wissenschaftler haben 2.700 Schüler zu ihrem Schlafverhalten befragt. Ergebnis: Die Schüler, die erst um acht Uhr anfangen, sind wacher und schlafen insgesamt 15 Minuten länger. Diese Viertelstunde wirkt sich bereits positiv auf die Jugendlichen aus. -66ubuntu Interview Wie waren Sie als Kind … Jane Goodall Nein, den gründeten meine Freundin Sally und ich. Judy durfte vielleicht mal bei Aktionen mitmachen. Klingt so, als hätten Sie sich nicht so gut Interview Martina Koch Viele Jahre haben Sie im Gombe- Nationalpark in Tansania das Verhalten der Schimpansen erforscht. Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis in Bezug auf die Mutter-Kind-Bindung bei den Primaten? Die beste Mutter ist warmherzig und ver- spielt. Sie ist tolerant, kann aber auch streng Oh, ja, mehrmals und hintereinander. Ich besitze es immer noch. Ich war in Tarzan verliebt. Er war der König des Dschungels und führte das Leben, das ich gern führen wollte. Dummerweise war er mit der falschen Jane liiert. sein. Sie beschützt ihr Kind ohne zur Glu- cke zu werden, und vor allem: sie wirkt unterstützend! Deshalb war meine Mutter die perfekte Schimpansen-Mutter. Inwiefern? Während mich alle anderen auslachten, hat sie zum Beispiel von Anfang an meinen Traum unterstützt, einmal nach Afrika zu „Johnny Weissmüller war einfach nicht der Tarzan meiner Phantasie.“ Sie waren eifersüchtig. und konnten uns nicht mal ein Fahrrad lich. Sie fürchtete sich vor Sachen, vor denen leisten. Noch dazu war ich ein zehnjähriges kleines Mädchen. Meine Mutter sagte im- mer: Wenn du etwas Bestimmtes erreichen willst, dann arbeite dafür so hart du kannst – nur nicht aufgeben, es wird schon. … das beherzigten Sie offenbar schon als Fünfjährige. Da wollten Sie unbedingt wissen, wie ein Huhn ein Ei legt. Also kauerten Sie stundenlang still im Hühnerstall Ihrer Großmutter, bis Sie das end- lich zu sehen bekamen. Als Sie nach Hause zurückkehrten, hatte Ihre Mutter schon die Polizei angerufen. Diese spezielle Geduld und mein Interesse für Tiere kam aus mir selbst, das ist in meiner Persönlichkeit so angelegt. Bei uns in der Familie gab es keine großartigen Tierliebhaber. Sicher haben Sie als Kind auch „Tarzan bei den Affen“ von Edgar Rice Burroughs gelesen, oder? Jahre jünger als ich, wir sind uns nie rich- tig nah gekommen. Das änderte sich erst später, im Alter. Der Alligator-Club verkaufte Muscheln und Steine, um von dem Geld alte Pferde vor der Schlachtbank zu bewahren. Das projektes „Roots & Shoots“. Der Alligator-Club ähnelte „Roots & Shoots“, aber uns ging es damals nur um Pflanzen und Tiere, und gar nicht um die Umwelt. „Umweltschutz“ – das Wort gab es noch gar nicht, weil wir es nicht brauchten. Sie haben einen Sohn. Wer von Ihnen beiden hatte die schönere Kindheit? waren rationiert. Wir wohnten bei meiner Großmutter in Bournemouth, Südengland, Katze miteinander gekämpft. Sie war vier wirkt wie eine Vorwegnahme Ihres Jugend- gehen. Damals, 1944, war Afrika weit weg: Der Zweite Weltkrieg tobte, Lebensmittel Die meiste Zeit haben wir wie Hund und Klar, aber ich hielt sie auch für jämmer- ich mich nicht fürchtete. Aber dann wurde Tarzan verfilmt und meine Euphorie durch einen Kinobesuch gebremst: Nach zehn Mi- nuten mussten wir den Saal verlassen, weil ich so geweint habe. Johnny Weissmüller war einfach nicht der Tarzan meiner Phantasie. Sowas könnte heutigen Kindern nicht mehr passieren. Wie meinen Sie das? Während wir damals Bücher gelesen haben, Ab dem Zeitpunkt, als er mit neun Jahren in England zur Schule ging, verlief unser Leben ähnlich. Vorher aber unterschieden sich unsere Kindheiten sehr voneinander. Er hatte alles, was ich geliebt hätte: Er hat seine ersten Jahre am Strand in Tansania verbracht, fischend mit seinen Freunden. Er hatte Hausunterricht. Meine Kindheit dagegen ist durch die Tatsache, dass wir wenig Geld hatten, zu einer guten Kindheit geworden. Wir waren nicht bettelarm, aber es war immer ein Riesenvergnügen, wenn wir mal etwas außer der Reihe bekamen. die unsere Vorstellungskraft aktivierten, setzt das Fernsehen den Kindern heute fertige Helden vor. Früher entstanden die Hel- den in unseren Köpfen. Zum Lesen verzog ich mich nach Möglichkeit auf meinen Lieblingsbaum im Garten meiner Großmutter. Zur Schule ging ich nicht so gern, ich wollte lieber draußen sein. Mit Ihrer Schwester Judy haben Sie den Alligator-Club gegründet, eine Art Naturforscher-Club. Jane Goodall, 79 ist die berühmteste und wohl umtriebigste Verhaltensforscherin der Welt und eine Vorreiterin in Sachen Umweltschutz. Bereits in den 1970 er Jahren gründete sie das Jane-Goodall-Institut – eine Tier- und Umwelt schutzorganisation (www.janegoodall.de). Zudem ist sie Initiatorin des Kinder- und Jugendprogramms „Roots & Shoots“ (www.rootsandshoots.org). Foto: M. Neugebauer/Jane Goodall Institute verstanden? AC362313 elfen. h n r e d in K te h c ö Ja, ich m eit Kinderdör fer weltw mir Informationen SOS- zu: Stiftung Patenschaft Testament von n e b a g s u A n e h c iden jährli e b ie d te h c ö m h Ja, ic alten. h r e ig ß ä lm e g e r ubuntu Bitte schicken Sie Fr. / Hr. / Fam. Vorname Nachname Straße, Nr. PLZ, Ort Telefon E-Mail Ort, Datum Unterschrift Bitte senden Sie diese Antwortkarte ausgefüllt an uns zurück: SOS-Kinderdörfer weltweit, Hermann-Gmeiner-Fonds Deutschland e.V., Ridlerstraße 55, 80339 München | Fax: 089 179 14 100 Falls Sie noch Fragen haben: Tel. 0800 50 30 300 (gebührenfrei) Beleg/Quittung für den Auftraggeber www.sos-kinderdoerfer.de Überweisung/Zahlschein Den Vordruck bitte nicht beschädigen, knicken, bestempeln oder beschmutzen. Konto-Nr. des Auftraggebers Name und Sitz des überweisenden Kreditinstituts SOS Kinderdörfer weltweit Hermann Gmeiner Fonds Deutschland e.V. Ridlerstraße 55, 80339 München Konto-Nr. des Empfängers 22222 00000 GLS Gemeinschaftsbank EURO Auftraggeber / Einzahler (genaue Anschrift) SOS-Kinderdörfer weltweit Konto-Nr. des Begünstigten Bankleitzahl 2 2 2 2 2 0 0 0 0 0 4 3 0 6 0 9 6 7 Spende für die SOS KINDERDÖRFER WELTWEIT EUR Betrag: Euro, Cent Spenden-/Mitgliedsnummer oder Name des Spenders: (max. 27 Stellen) ggf. Stichwort A C 3 6 2 3 1 3 PLZ und Straße des Spenders: (max. 27 Stellen) Kontoinhaber/Einzahler: Name, Vorname, Ort (max. 27 Stellen) Konto-Nr. des Kontoinhabers 19 Datum Zuwendungsbestätigung umseitig (Quittung des Kreditinstituts) Bitte geben Sie für die Zuwendungsbestätigung Ihre Spenden-/Mitgliedsnummer oder Ihren Namen und Ihre Anschrift an. Datum, Unterschrift SPENDE Empfänger Spende zur Förderung der SOSKinderdörfer weltweit Bankleitzahl Begünstigter: (max. 27 Stellen) entstehen nach dem Tsunami in Pondicherry und Nagapattinam zwei SOS-Kinderdörfer für Waisen. 2012 wurde der Inder Siddhartha Kaul (59) zum neuen Präsidenten der Dachorganisation SOS-Kinderdorf International und Nachfolger von Helmut Kutin gewählt. In Raipur entstand vor zehn Jahren vor allem aus recyceltem Material ein SOS-Kinderdorf, das für seine solide und bescheidene Architektur mit dem ArchiDesign Award ausgezeichnet wurde. SOS-Kinderdörfer weltweit Hermann-Gmeiner-Fonds Deutschland e.V. Ridlerstraße 55 · 80339 München 2004 In Faridabad gibt es eine SOS-Mütterschule, in der mehr als 100 Frauen aus ganz Indien eine zweijährige theoretische und praktische Ausbildung absolvieren. Es wird bestätigt, dass die Zuwendung nur zur Förderung mildtätiger sowie folgender gemeinnütziger Zwecke: Förderung der Wissenschaft und Forschung § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO, Förderung der Jugendhilfe § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO, Förderung der Erziehung, der Volks- und Berufsbildung einschl. der Studentenhilfe (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr.(n) 7 AO) sowie Förderung der Entwicklungszusammenarbeit § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 15 AO verwendet wird. wird der nationale SOS-Verein Indien gegründet. Wir sind wegen Förderung mildtätiger sowie folgender gemeinnütziger Zwecke: Förderung der Wissenschaft und Forschung § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO, Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO, Förderung der Jugendhilfe § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO, Förderung der Erziehung, der Volks- und Berufsbildung einschl. der Studentenhilfe (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr.(n) 7 AO) sowie Förderung der Entwicklungszusammenarbeit § 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 15 AO nach dem letzten uns zugegangenen Freistellungsbescheid bzw. nach der Anlage zum Körperschaftsteuerbescheid des Finanzamtes München für Körperschaften, StNr. 143/216/80527 vom 27. März 2012 nach § 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes von der Körperschaftsteuer und nach § 3 Nr. 6 des Gewerbesteuergesetzes von der Gewerbesteuer befreit. 1964 In Cochin bauten Jugendliche für ihr Kinderdorf eine Biogasanlage, mit der die Energie zum Kochen um die Hälfte reduziert wurde. Gilt nur in Verbindung mit Ihrem Bareinzahlungsbeleg oder der Buchungsbestätigung des Kreditinstituts. Indien Zuwendungsbestätigung für Spenden bis 200,00 EURO – zur Vorlage beim Finanzamt – Gerne können Sie sich auch telefonisch informieren unter: 0800 50 30 300 (gebührenfrei) oder besuchen Sie uns auf unserer Website unter www.sos-kinderdoerfer.de 41 SOS-Kinderdörfer gibt es in Indien, das kinderdorfreichste Land weltweit. 18.000 Kinder und Jugendliche haben dort ein Zuhause. 3,60 Euro kostet ein Moskitonetz und schützt ein Kind vor Malaria. www.sos-kinderdoerfer.de/ hilfspakete SOS-KD_Zahlschein_4c_Dez12-GLS 10.12.1