Kapitel 1

Transcription

Kapitel 1
1. Pflanzengesellschaften und Standort
1.1. Begriff "Pflanzengesellschaft"
Pflanzengemeinschaft: Gesamtheit aller Pflanzen(populationen) eines begrenzten
Gebietes zu einem bestimmten Zeitpunkt
(→ als "Individualbegriff" verwendet !)
→ Artenliste, Abundanzen
Standort: Gesamtheit aller Standortfaktoren an einem Wuchsort, d.h. insbesondere
die aus Lage, Klima und Boden resultierenden Faktoren, u.U. um biotische Faktoren (z.B.
Beweidung, Tritt) und anthropogene Faktoren (Nutzung, Kontamination) erweitert
Pflanzengesellschaft:
unter bestimmten Standortfaktoren durch Konkurrenz,
mutualistische und andere Interaktionen aus einem historisch gewachsenen Artenpool
entstandene, abstrahierte und typisierte Gruppierung von Pflanzenarten
(→ als "Allgemeinbegriff" verwendet)
kurz: typisierte standortabhängige Artengruppierung
Standort = Summe Standortfaktoren
(abiotisch; biotisch/anthropogen)
Flora
Typisierung
Artengruppierung
Pflanzengesellschaft
Konkurrenz, Mutualismus
Flora: Gesamtheit der Pflanzenarten eines Gebietes (synomym: deren Liste)
Vegetation: Gesamtheit der Pflanzengesellschaften eines Gebietes
Vegetationsökologie: Lehre von den Beziehungen zwischen Vegetation und Umwelt
Kenntnisse über Pflanzen und Vegetation sind wichtig, um
- aus der beobachteten Vegetation auf Standorteigenschaften zu schließen
- Vegetation als Indiz und Indikator für den Zustand und die Dynamik einer Landschaft zu verstehen
- Pflanzengesellschaften und Biotoptypen und deren Genese (und Schutzwürdigkeit) zu erkennen
- Ansprüche und Verwendungsmöglichkeiten von Vegetation in der Landschaftsplanung einzuschätzen
natürliche Vegetation: vom Menschen unbeeinflußt, im Gleichgewicht mit klimatischen
und edaphischen Faktoren
ursprüngliche Vegetation: natürliche Vegetation vor Einsetzen des menschl. Einflusses
aktuelle Vegetation: heutige, vom Menschen beeinflußte Vegetation (→ besteht fast
durchweg aus Ersatzgesellschaften)
potentielle natürliche Vegetation (PNV): "natürliche" Vegetation, die sich nach
Wegfall des menschlichen Einflusses herausbilden würde
Weitere Differenzierung der Vegetation auf der Basis von
(a) physiognomisch-ökologischen Merkmalen → führt zu "Formationen"
(b) floristisch-soziologischen Merkmalen
→ führt zu "Assoziationen"
Formation: physiognomisch(-ökologischer) Vegetationstyp, der durch das Vorherrschen
bestimmter Gestalttypen bzw. Lebensformen der Pflanzen gekennzeichnet ist
(unabhängig von deren Artenzusammensetzung)
→ eher für globale und zonale Überblicke verwendet
Kriterien: (a) Wuchs- und Lebensformen, (b) Dichte der Vegetationsdecke,
(c) ökologische Faktoren
Beispiele: immergrüne Nadelwälder, kältekahle Zwerggesträuche, alpine Krautfluren,
Heiden, alpine Rasen, Steppen
Assoziation: bestimmter Typ einer Pflanzengemeinschaft als Abstraktion einer mehrfach vorkommenden (und beschriebenen) Realisierung mit
- einer relativ festen floristischen Zusammensetzung
- einer einheitlichen Physiognomie
- einem für ein bestimmtes Habitat typischen Vorkommen
(→ 1910 auf Internationalem Botaniker-Kongreß eingeführt !)
Kriterien: (a) floristische Ähnlichkeit, (b) Charakter- und Trennarten, (c) Bindung an
abiotische Habitatfaktoren
Beispiele:
Galio-Carpinetum
= Eichen-Hainbuchen-Wald,
Teucrio-Seslerietum
= Gamander-Blaugras-Trockenrasen,
Dauco-Arrhenatheretum = Möhren-Glatthafer-Wiese
Phragmitetum australis = Schilf-Röhricht
1.2. Merkmale von Pflanzengemeinschaften
• Physiognomie
•
•
•
•
•
•
Architektur, Schichtungsdiagramme, Lebensform, Blattflächenindex
Artenkomposition
Artenliste: typische, seltene Arten; funktionelle Gruppen
räumliche Muster
Anordnung der Individuen, Korrelation mit Standorteigenschaften
Diversität
Artenzahl, Diversität i.e.S., Evenness
zeitliche Veränderungen
Konstanz („Stabilität“), Phänologie, zyklische Wechsel, Sukzession
Produktivität
Biomasse, Nettoprimärproduktivität, Allokation
Stoffkreisläufe
Nährstoffbedarf, Umsatzraten, Mineralisierung, enger/weiter
Physiognomische Erfassung
Räumliche Muster
1.3. Diskrete Einheiten oder Kontinuum ? (CLEMENTS vs. GLEASON)
• ganzheitliche Sicht (CLEMENTS, 1916): wiederkehrende Artenzusammensetzung
durch Habitatbindung und zwischenartliche Wechselwirkungen führt zu typischen
Assoziationen; Sukzession läßt Gemeinschaft wachsen und reifen, führt zur Klimax
(Assoziationen = „Organismen“ !!)
Motivation: Einheitlichkeit der großen Vegetationstypen in Nordamerika
Weiterführung: „Assembly Rules“ von DIAMOND (1975), WILSON (1994). d.h. es gibt
Regeln für das Vorkommen bzw. Fehlen von Arten, wenn andere Arten vorhanden oder
abwesend sind
(Kontroverse: Sind abiotisch steuernde Faktoren Teile der Regeln, oder nicht ?)
• individualistische Sicht (GLEASON, 1935): Artenzusammensetzung ist von vielen
zufälligen äußeren Faktoren abhängig, einzelne Arten folgen unabhängig der Änderung
von Standortsfaktoren; mehrere Klimaxtypen möglich
(Assoziationen = „subjektive Klassifikation“ !!)
Motivation: gradueller Artenwechsel in der Forstvegetation von N nach S im Mittleren
Westen der USA
Begründung: oft Interaktionen u. wechselseitige Abhängigkeiten gering; Heterogenität
der Umwelt, Zufälle bei Dispersal, Etablierung und Störungen bestimmender
• moderne Synthese
es gibt unterscheidbare und klassifizierbare Pflanzengemeinschaften (Assoziationen),
wenn auch variabler als im CLEMENTSschen Sinne;
oft durch Standortgradienten fließende Übergänge, aber dennoch Abfolge der Arten
nicht vollständig unabhängig
→ Antwort ist auch eine Frage der räumlichen Auflösung ("Skala"):
wichtig ist auch, ob und in welchem Maße biologische Interaktionen prägend für die
Artenzusammensetzung sind oder ob äußere Faktoren (Umweltheterogenität, Zufälligkeiten) dominant sind
methodische Konsequenzen: je nach Herangehensweise Klassifikation oder Ordination
geeignetere Methoden
Klassifikation (z.B. Cluster-Analyse): variierendes Kontinuum wird durch Abfolge von
Einheiten (hier: Assoziationen) in Stufen zerlegt → Natur wird begreifbar gemacht,
„Klasseneinteilung“
ist praxisrelevant!
aber: Subassoziationen, Varianten
→ zerlegen floristische Stufen in feinere Teilschritte !
Ordination: Darstellung des fließenden Umbaus von Pflanzengemeinschaften längs
eines (oder mehrerer) Umweltgradienten
→ erfaßt Einfluß einzelner
Standortfaktoren besser
aber: immer nur Projektion auf einen
oder wenige Faktoren möglich
1.4. Pflanze und Standort:
Ökologische Gruppen. Zeigerpflanzen. Zeigerwerte nach ELLENBERG
Alle Pflanzen haben vergleichbare Ansprüche an relativ wenige Ressourcen: Sonnenlicht
(Energie), Kohlendioxid, Wasser, Nährelemente (K, Ca, P, S, Mg, Fe u.a.), Sauerstoff
(für die Dissimilation). Dennoch gibt es im realen Vorkommen von Pflanzenarten
deutliche Unterschiede in der Präferenz für einzelne (Boden-)Faktoren (insbesondere
Bodenfeuchte, pH-Wert, Nährstoffverfügbarkeit; Lichtbedarf).
ökologische Gruppe:
Gruppe von Pflanzenarten, die in ihrem ökologischen und
soziologischem Verhalten weitgehend übereinstimmen (ELLENBERG, 1948)
→ können zur Charakterisierung von Standorten (insbesondere Bodenfeuchte,
pH-Wert, z.T. auch Nährstoffverfügbarkeit) verwendet werden
Ausgewählte ökologische Gruppen (von Bodenpflanzen mitteleuropäischer Laubwälder):
Zeitweilig austrocknend,
basenreich:
Mäßig trocken bis mäßig feucht,
basenreich:
Mäßig feucht bis feucht,
mäßig sauer:
Wiesen-Schlüsselblumen-Gruppe
Goldnessel-Gruppe
Frauenfarn-Gruppe
Ebensträußige Margerite (Tanacetum
corymbosum)
Wiesen-Schlüsselblume (Primula
veris) Purpurblauer Steinsame
(Lithospermum purpurocaerulea)
Pfirsichblättrige Glockenblume
(Campanula persicifolia)
Blutroter Storchschnabel (Geranium
sanguineum)
Rauhes Veilchen (Viola hirta)
Schwalbenwurz (Vincetoxicum
hirundinaria)
Erdsegge (Carex humilis)
Blaugras (Sesleria varia)
Goldnessel (Lamium galeobdelon)
Zaun-Wicke (Vicia sepium)
Wald-Veilchen (Viola
reichenbachiana)
Vielblütige Weißwurz (Polygonum
multiflorum)
Wald-Segge (Carex sylvatica)
Wald-Zwenke (Brachypodium
sylvaticum)
Einblütiges Perlgras (Melica uniflora)
Waldmeister (Galium odoratum)
Zwiebel-Zahnwurz (Dentaria bulbifera)
Rasen-Schmiele (Deschampsia
caespitosa)
Gemeine Nelkenwurz (Geum
urbanum)
Kriechender Günsel (Ajuga reptans)
Stinkender Storchschnabel (Geranium
robertianum)
Gemeiner Frauenfarn (Atyrium felixfemina)
Lerchensporn-Gruppe
Mäßig trocken bis mäßig feucht,
kalkreich:
Mäßig trocken bis mäßig feucht,
mäßig sauer:
Buschwindröschen-Gruppe
Buschwindröschen (Anemone
nemorosa)
Flattergras (Milium effusum)
Große Sternmiere (Stellaria holostea)
Wimper-Segge (Carex pilosa)
Wald-Knäuelgras (Dactylis polygama)
Ährige Teufelskralle (Phyteuma
spicatum)
Wald-Habichtskraut (Hieracium
sylvaticum)
Hain-Rispengras (Poa nemoralis)
Mauerlattich (Mycelis muralis)
Kleinblütiges Springkraut (Impatiens
parviflora)
Kleines Immergrün (Vinca minor)
Gewöhnliche Goldrute (Solidago
virgaurea)
Mäßig feucht bis feucht, kalkreich:
Bingelkraut-Gruppe
Wald-Bingelkraut (Mercurialis
perennis)
Nesselblättrige Glockenblume
(Campanula trachelium)
Wald-Sanikel (Sanicula europaea)
Grüne Nieswurz (Helleborus viridis)
Haselwurz (Asarum europaeum)
Türkenbundlilie (Lilium martagon)
Nickendes Perlgras (Melica nutans)
Frühlings-Platterbse (Lathyrus vernus)
Leberblümchen (Hepatica nobilis)
Seidelbast (Daphne mezerum)
Christophskraut (Actaea spicata)
Wald-Haargerste (Hordelymus
europaeus)
Wunder-Veilchen (Viola mirabilis)
Gelbes Windröschen (Anemone
ranunculoides)
Weißes Waldvögelein (Cephalanteria
damasonium)
Vogel-Nestwurz (Neottia nidus-avis)
Hohler Lerchensporn (Corydalis cava)
Märzenbecher (Leucojum vernum)
Wald-Goldstern (Gagea lutea)
Bärlauch (Allium ursinum)
Blaustern (Scilla bifolia)
Mäßig feucht bis feucht,
basenreich:
Hexenkraut-Gruppe
Hohe Schlüsselblume (Primula elatior)
Gold-Hahnenfuß (Ranunculus
auricomus)
Scharbockskraut (Ranunculus ficaria)
Wolliger Hahnenfuß (Ranunculus
lanuginosus)
Gewöhnliches Hexenkraut (Circaea
lutetiana)
Großes Zweiblatt (Listera ovata)
Aronstab (Arum maculatum)
Vierblättrige Einbeere (Paris
quadrifolia)
Moschuskraut (Adoxa moschatellina)
Riesenschwingel (Festuca gigantea)
Zeigerpflanzen: Pflanzen mit einer deutlichen Bevorzugung bestimmter Bereiche von
Bodenfaktoren (pH-Wert, Nährstoffangebot, Feuchte) bzw. Klimafaktoren (Lichtmenge, Temperaturbereich, Variabilität)
Nährstoffzeiger: Brenn-Nessel (Urtica dioica)
Weiße Taub-Nessel (Lamium album)
Vogelmiere (Stellaria media)
Knoblauchsrauke (Alliaria petiolata)
Gewöhnliche Kratzdistel (Cirsium vulgare)
Giersch (Aegopodium podagraria)
Kletten-Labkraut (Galium aparine)
Magerkeitszeiger: Silberdistel (Carlina acaulis)
Augentrost (Euphrasia)
Gewöhnlicher Hornklee (Lotus corniculatus)
Wiesen-Margerite (Chrysanthemum leucanthemum)
Säurezeiger:
Sauerampfer (Rumex acetosa)
Heidelbeere (Vaccinium myrtillus)
Heidekraut (Calluna vulgaris)
Schlängel-Schmiele (Deschampsia flexuosa)
Kalkzeiger:
Wiesensalbei (Salvia pratensis)
Gewöhnliche Kuhschelle (Pulsatilla vulgaris)
Sichelklee (Medicago falcata)
Hopfenklee (Medicago lupulina)
Türkenbund-Lilie (Lilium martagon)
Frauenschuh (Cypripedium calceolus)
Feuchtezeiger:
Schlangen-Knöterich (Polygonum bistorta)
Wiesen-Schaumkraut (Cardamine pratensis)
Mädesüß (Filipendula ulmaria)
Sumpf-Dotterblume (Caltha palustris)
Kohl-Kratzdistel (Cirsium oleraceum)
Rasen-Schmiele (Deschampsia cespitosa)
Trockenheitszeiger:
Echtes Johanniskraut (Hypericum perforatum)
Aufrechte Trespe (Bromus erectus)
Feld-Thymian (Thymus serpyllum)
Mauerpfeffer (Sedum)
Trittzeiger:
Breit-Wegerich (Plantago major)
Gänseblümchen (Bellis perennis)
Vogel-Knöterich (Polygonum aviculare)
Huflattich (Tussilago farfara)
Zeigerwerte (nach ELLENBERG): zahlenmäßige Angaben zur Charakterisierung von
synökologischen (!) Beziehungen von Pflanzenarten bezüglich einzelner Habitatfaktoren
(Licht, Temperatur, Kontinentalität, Feuchte, BodenReaktion, Nährstoff-(=Stickstoff)Verfügbarkeit; auch: Salzzahl, )
Rothmaler, Bd. 2 (keine Angabe von K !):
→ Zeigerwerte dienen zur raschen Charakterisierung von Standorten und deren
räumlichen bzw. zeitlichen Änderungen
Probleme:
- teilweise subjektiv geschätzt, nur regionale Gültigkeit
- charakterisieren Pflanzenarten in ihrer realen ökologischen Nische
(also unter Vorhandensein von zwischenartlicher Konkurrenz)
- nur ordinale Skala (dennoch häufig Mittelwerte gebildet !!)
- Ist Wichtung durch Abundanz sinnvoll ??
Links:
http://www.utb-mehr-wissen.de, dann "Vegetation Mitteleuropas ...",
Reiter "Zusatzmaterial" → 110 Seiten (alle Zeigerwerte, Lebensformen)
(einmalige Anmeldung erforderlich)
http://ww.floraweb.de, dann Artnamen eingeben, "Ökologie ..."
Achtung:
http://statedv.boku.ac.at/zeigerwerte/
→ gibt leicht andere Werte (Geltung für Österreich)
Abgleich zwischen mittleren Reaktionszahlen
von 467 schwedischen Waldstandorten mit
gemessenen pH-Werten im Oberboden
(aus Diekmann 2003). Eingetragen sind eine
lineare und eine nichtlineare Regression.