- Verlag Systemische Medizin

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Wechseljahreshitze / Huo-Shen-Schule
Wechseljahreshitze mit Fu Zi behandeln?
Ein Einblick in die
Denkweise und Methodik der
Huo-Shen-Schule
Gunter Neeb
Huo-Shen-Schule
Die Huo-Shen-Pai (wörtl. Feuer-Geist oder FeuerGott-Schule) ist im Westen am bekanntesten (wenn
überhaupt) durch ihren yunnanesischen Protagonisten Wu Pei-Heng (吴佩衡) 1888-1971, mit Spitznamen Dr. Wu Fu-Zi genannt. Dieser übernahm die seit
Jahrhunderten bestehende Idee des Yang-Tonisierens
durch die Akonitwurzel und erlangte seine Berühmtheit durch die Tatsache, dass er Aconitumvergiftungen durch rohe oder unfertig gekochte Wurzeln, wie
sie die Bauern oft im Winter in der Gemüsesuppe verwendeten, mit präparierten Fu Zi-Wurzeln behandelte. Dieses kann man heute pharmakologisch erklären,
da die ungiftigeren Alkaloide des präparierten Fu Zi
die giftigeren des unpräparierten aus dem Körper
verdrängen.
Seinen Sohn, der in Kunming Direktor des TCMKrankenhauses war, lernte ich in meiner Famulationszeit in dort noch persönlich kennen. Im Mainstream der TCM lernte man zwar die Ideen dieser
Schule kaum kennen, doch in der klinischen Praxis,
besonders bei komplizierten Fällen, es ist wert, sich
diese Besonderheiten zu Eigen zu machen. Zum Beispiel bei „oben heiß und unten kalt-Symptomen“ ...
Was zeichnet die Huo-Shen-Schule also aus?
1. Die theoretischen Grundlagen basieren alle auf
dem „Verstehen des Yin und Yang“ im Huang Di
Nei Jing und verlassen diese Grundlage auch bei
der Rezepturenerstellung und -veränderung nicht.
2. In der Praxis wird oft die Zhang Zhong-Jing-Methodik und Formeln aus dem Shan Han Lun (wie
z.B. Si Ni Tang, Bai Tong Tang, Ma Huang Fu Zi Xi
Xin Tang) verwendet, mit wenigen aber oft warmen Arzneien wie Fu Zi, Rou Gui, Gan Jiang, etc.,
diese aber z.T. hoch dosiert, d.h. Fu Zi manchmal
zwischen 100-600 g. Unpräparierten Fu Zi sah z.B.
Zhu Wei-Ju als Vater aller Arzneien an.
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3. Obwohl die warmen ‚Yang‘-Arzneien oft und viel
verwendet werden, heißt dies nicht, dass hierfür
andere gemieden würden, sondern alle Arzneien
kamen zur Anwendung – wie auch in anderen
Schulen (z.B. Wen-Bu-Schule nach Li Dong-Yuan
oder Han-Liang-Schule nach Liu Wan-Su)
4. Bei der arzneilichen Verwendung von Fu Zi und
seinen Verwandten in hohen Dosierungen haben
die Vertreter dieser Schule einen reichen Erfahrungsschatz gesammelt, der durch die arzneiliche
Zubereitung und Kombination (Pei Yao) die Wirkung erhöht und die Nebenwirkungen vermindert.
Zhu Wei-Ju zum Beispiel kombinierte Fu Zi oft mit
Ci Shi, Suan Zao Ren usw. und Wu Pei-Heng bestand auf einem mindestens ein- bis dreistündigen
Kochvorgang, bei welchem zum Test mit der Zunge
geprüft wurde, ob die Arzneischeiben noch ein
taubes Gefühl auf der Zunge hervorrufen.
5. In der die Theorie wurde Erkrankung auf Yin und
Yang, Wurzel und Zweig wie im Nei-Jing abstrahiert, doch in der Therapie waren die Protagonisten dieser Schule stets praktisch und sehr konkret
orientiert, so dass auch ihre Formeln wie im Shang
Han Lun selten mehr als zehn Arzneien hatten.
Zheng Qing-An (鄭欽安) 1804-1901, sozusagen der
erste „Kopf“ der Huo Shen-Schule, ein taoistischer
Arzt, studierte auch das Gleichgewicht von Yin und
Yang im Yi-Jing (Buch der Wandlungen) und im Huang Di Nei Jing, wunderte sich aber beim Studium
des Shan Han Lun, warum dessen Autor Zhang
Zhong-Jing das Si Ni Tang mit dem Fu Zi erst verwendete um das bereits zusammengebrochene Yang
wiederherzustellen, anstatt sich schon viel früher die
Yang tonisierende Wirkung des Anhängsels1 der Aconit-Hauptwurzel (Wu Tou) zu Nutze zu machen. Von
ihm stammt auch die Idee, dass Fu Zi, da es nicht sehr
scharf ist (d.h. nach oben zerstreuend wirkend), aber
das Yang in alle 12 Leitbahnen zurückbringen kann
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(so wie Gan Cao als Botenarznei für alle 12 wirkt),
besser geeignet ist, um gleichzeitig das Ming MenFeuer und das damit verbundene Nieren-Yang durch
Tonisierung wiederherzustellen, als andere ‚klassische‘ Yang-Tonika wie Lu Jiao, Yin Yang Huo usw.
Zugleich eignet sich Fu Zi außer zum Tonisieren
(Bu-Fa) natürlich auch zum Attackieren (Gong-Fa)
und zwar durch sein starkes Yang zum Attackieren
der Yin-Pathogene Kälte und Nässe. Im Nei Jing Su
Wen heißt es: „Giftige Arzneien bedeutet, dass das
Gift das Pathogen attackiert. Wenn das Pathogen zerstört ist, kann das korrekte Qi wiederhergestellt werden. Das was hier attackiert, ist also eigentlich tonisierend.2“
Im Buch der Wandlungen heißt es ja über die Trigramme Qian und Kun „Das Yang zählt eins und
bringt das Yin, die zwei hervor.“ Die Wurzel von Yin,
Qi und Blut lag also im Yang, wie es sein taoistischer
Lehrer Liu Zhi-Tang es ihn gelehrt hatte. Dieser trug
den Beinamen „Der Einsiedler des klaren Yang“ und
Zhengs Tonisierung des Ur-Feuers brachte ihm im
Volk bald den Spitznamen Zheng Huo-Shen ein
(Zheng Feuer-Gott oder Zheng mit der Feuer-Mentalität), was nach seinem Tod zum Namen dieser Schule
wurde.
Die Huo-Shen-Schule wurde fortgeführt von Hu
Shou-Zhi (卢铸之) 1876-1963, Fan Zhong-Lin (范中
林) 1895-1989, dem obengenannten Wu Pei-Heng und
einigen anderen. Dennoch wurde sie nie in die Hauptlehre der TCM integriert, obwohl ihre Rezepturen unkompliziert sind, aber ihre Denkweise sehr komplex
und die Erfahrung des Therapeuten muss entsprechend groß sein. Auch wurde ihr enger Bezug zum
‚Buch der Wandlungen‘ und den taoistischen Werken
von den Kommunisten als feudalistisch angesehen
und daher verpönt.
Dennoch sind es gerade die Fälle, an denen sich
orthodoxe Therapeuten die Zähne ausbissen, in welchen sie besonders erfolgreich waren. Ihre Fallakten
lesen sich spannend wie Krimis. Interessant am Rande
ist vielleicht auch die Tatsache, dass die Vertreter dieser Schule alle sehr langlebig (über 90 Jahre) waren,
was vor mehr als 100 Jahren noch seltener war als
heute. Natürlich waren sie alle taoistisch orientiert
und stärkten ihr Nieren-Yang. Egal warum, es lohnt
sich jedenfalls, ihre Aufzeichnungen zu studieren ...
Ohne es zu wissen, machte auch ich mir die Denkweise der Huo-Shen Schule zu Eigen, unter anderem
bei der Behandlung von Hautkrankheiten. Wie oft
schon hatte ich in Materia Medica- und Dermatologie-Kursen erzählt, dass sich z.B. bei der Akne die
Haut des Patienten während der Pulstastung klammfeucht und kühl anfühlt, dieser oft friert und darum
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instinktiv dazu neigt, erhitzte Nahrungsmittel wie
Kaffee, geröstete oder scharfe Speisen zu sich zu nehmen. Diese fördern aber nicht sein ‚gesundes Feuer‘,
sondern seine Nässe und die Haut ‚blüht‘ deshalb
noch stärker auf.
Und obwohl die Haut bei purulenter Akne eindeutig Hitzezeichen zeigt, war es mir wichtig hervorzuheben, dass hier die warme Arznei Gui Zhi mit in die
Formel muss: Der Grund liegt darin, dass das gewärmte physiologische Ming Men-Feuer – wenn mit
den Zimtzweigen nach außen gebracht – das pathologische Nässe-Hitze-Feuer aus der Haut vertreibt und
daher Hitze mit Hitze bekämpft. Dies war mir immer
eine interessante Ausnahme der Hitze-Therapie, doch
die Feuer-Schule stellte fest, dass diese Nieren-YangLeere in unserer Qi und Yang aufbrauchenden Zeit
weit öfter vorkommt, als ich dachte. Weshalb, wird
klar, wenn man die Yin-Feuer-Theorie hinzunimmt.
Das Yin-Feuer
Liu Wan-Su, Begründer der „kühlenden Schule“ (Han
Liang Pai) und einer der vier großen Meister der JinYuan-Periode, war einer der ersten, die ein Syndrom
erkannten, das mit einer Yang-Leere und Yin-Fülle
des Unteren Erwärmers zu tun hatte, die sich oben
scheinbar als Hitze (Zahnschmerzen, Aphten, Herpes3) manifestierte hatte.
Wenn nun die Hitze im Unteren Erwärmer durch
kaltes wie Da Huang gekühlt oder klebrige Yin-Tonika die scheinbare Yin-Leere durch klebrige Arzneien
wie Shou Di genährt würde, dann sei es „als gebe
man dem mythologischen Wasser-Drachen (Drache
im Wasser = Yin im Yang) noch mehr Kraft“, so dass
er donnernd hinauffährt in den Himmel um dort Unruhe zu stiften. Er nannte es daher Drachen-DonnerFeuer (Long-Lei Zhi Huo).
Li Dong-Yuan, Begründer der warm-tonisierenden
Schule (Wen Bu Pai) und ein weiterer der Vier Großen, entwickelte die Theorie weiter, denn wenn YinNähren und -Kühlen falsch war, musste es ja eine
andere Therapiemöglichkeit geben. Seine Idee, vor
700 Jahren zuerst als Yin-Feuer (Yin Huo) beschrieben, erklärte genauer, welche Mechanismen hierbei
zum Zuge kamen:
Yin-Feuer ist nicht mit Leere-Hitze durch Yin-Leere zu verwechseln: Letztere entsteht ja durch einen
Mangel an Wasser, welches das physiologische Feuer
nicht mehr ausgleichen kann, und ist natürlich häufig
die Ursache für Hitzewallungen in der Menopause.
Yin-Feuer aber, so Li, basiert hauptsächlich auf
eine Mitte-Qi-Leere, die auch dem Nieren-Yang als
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Quelle aller Yang-Energien die Kraft entzieht, wie
eine Glühbirne, die die Batterie leer macht.
Abb. 1 Yin Huo (Yin-Feuer)
1. Nur Magen-Qi kann das Yuan-Qi der Niere durch
Speise ‚füttern‘, also die Batterie wieder aufladen
oder „das kleine ministeriale Feuer nähren“, wie es
im Su-Wen heißt4. Kalte und Nässe fördernde Nahrungsmittel hemmen daher das Yuan-Qi. Die Milz,
wenn durch Grübeln und Stress geschädigt, raubt
ihrem Ursprung, dem Nieren-Yang, die Kraft.
2. Yang ist ja auf- und Yin absteigend, wie Hitze und
Kälte, weshalb z.B. Nässe- und Kälte-Pathogene
gerne von unten kommen, Sommerhitze aber von
oben. Auch im physiologischen Sinne soll ja das
ministeriale Feuer im Ming Men dem kaiserlichen
Feuer im Herzen zu Hilfe kommen, die Yang-Energie ‚Qi‘ sorgt für ein ‚am Platz halten der Organe,
die sich sonst absenken würden‘. Physiologisches
Yin hingegen geht nach unten wie das Wasser der
Blase.
Wenn nun Yin-Pathogene wie Nässe und Kälte
(nennen wir sie spaßeshalber mal „Admiral MüsliRiegel“ und „General Speise-Eis“) nicht nur nach
unten drücken und das Yang von Milz und Niere
schwächen, sondern sich im Unteren Erwärmer
stauen, dann befindet sich dort das physiologische
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Ming Men-Feuer unter zweifachem Beschuss: Es
erhält keinen Proviant vom Magen-Qi und muss
sich als geschwächtes Yang mit den Yin-Pathogen
Angreifern auseinandersetzen. Was dann häufig
passiert, ist eine kombinierte Yuan-Qi- und Nieren-Yang-Leere. Aber es gibt noch eine weitere
Möglichkeit, wenn es dem belagerten Minister zu
eng wird im Unteren Erwärmer: Er flieht hinauf
zum Kaiser (-lichen Feuer), um dort eine Exilregierung zu gründen oder sogar den Thron zu usurpieren! Dieses führt weiter oben zur Auseinandersetzung zwischen den beiden Mächten, deren
Symptome sich dann als Zahnschmerzen, Herpes,
Entzündungen oder Hitzezeichen im Kopf- oder
Brustbereich, aber auch der Haut manifestieren.
3. Dies bedeutet, dass das physiologische Lebensfeuer
wie ein Pathogen nach oben lodert, wo es nicht
hingehört und als Symptom eine Herz-Hitze oder
Gingivitis verursacht, während es unten die Nieren (und deren Yuan-Qi als letzten Statthalter)
noch kälter und Yang-ärmer zurücklässt, die den
Yin-Pathogen Truppen zum Opfer fallen, so dass
die Füße und Rücken kälter werden und der Untere
Erwärmer Opfer von weiteren von unten eindringenden Yin-Pathogenen werden kann, wie z.B.
Nässe-Kälte oder -Hitze bei der Blasenentzündung
oder Fußpilz, um nur einige dieser Bösewichte zu
nennen. Denn auch das Wei-Qi der „Volksmiliz“
hat inzwischen nachgelassen, obwohl es ja seinen
Ursprung weiter oben in der Lunge hat.
Das Problem bei der Therapie mit Qi-Tonika durch
Li Dong-Yuan ist nun, dass seine z.B. im Bu Zhong Yi
Qi Tang vorgeschlagenen Arzneien wie Huang Qi und
Ren Shen selbst warmen, süßen Charakter haben und
zwar unten die schwache Niere tonisieren, aber oben
das pathologische Yin-Feuer fördern können5. Er
nahm daher kalte Arzneien hierzu um vorzubeugen.
Therapeutisch ist dies aber eine schmale Gratwanderung zwischen Attacke und Tonisation (Gong und Bu).
Natürlich können unsere Kollegen in China im Zickzackmarsch immer rechtzeitig gegensteuern, wenn es
aus dem Ruder läuft, da sie ihre Patienten 1-2 Mal pro
Woche zu Gesicht bekommen. Wie aber soll man dieses fragile Therapiegleichgewicht stabilisieren, wenn
man seine Patienten allenfalls monatlich sieht?
Welch ein Segen, es gibt die Huo-Shen-Schule!
Von der komplexen Idee des Yin-Feuers und deren
Behandlung machte diese Schule ausgiebig Gebrauch.
Und obwohl sie wahrscheinlich den besten Therapieansatz hat, machte sie nie von dem Namen „yin huo“
Gebrauch, sondern nannte dieses Syndrom „YangLeere mit Yin-Hitze Zeichen“ (yang xu yin xiang).
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Ein fiktiver Fall, völlig aus der Luft gegriffen ...
oder doch nicht?
Interessant wird es nun, wenn wir nun zum Beispiel
eine Patientin mit Menopausalproblemen behandeln
wollen, die in ihren TCM-Mustern ein teuflisches
Fünfeck mit einem so genannten Yin-Feuer aufweist.
„Teuflische Drei-, Vier- und Fünfecke“, wie ich sie
gerne nenne, sind Widersprüche beim Arzneimitteleinsatz, die bei falscher Anwendung statt Besserung
eine weitere Komplikation erzeugen können.
Nehmen wir hier also als Idealfall eine fiktive Patientin an, wie wir sie schon oft in der Praxis kennen
gelernt haben:
Die Patientin war in der Jugend immer sehr
schlank, fror leicht, bis hin zu Raynaud-artigen Fingerspitzen im Winter und häufigen Harnwegsinfekten. Weil es „Igitte-Diäten“ und „Flau im Spiegel“ so
wollten, ernährte sie sich auch immer, wie sie glaubte, furchtbar (!) gesund durch Rohkost und Müsli.
Nachdem ihr als sehr ehrgeiziger und nervöser Persönlichkeit durch die Leber-Qi Stagnation auch noch
eine Blutstase mit Myomen beschert wurde, wurden
ihr GnRH-Analoga verschrieben, die sie aber nach
einem Jahr wegen Müdigkeit als Nebenwirkung wieder absetzte. Ihre Menstruation war immer sehr
schmerzhaft und mit Koageln, als PMS Spannung in
der Brust.
Die Chance zur Kräftigung ihrer Nieren machte sie
zunichte durch die leider erst nach der 3. IVF einsetzenden Schwangerschaft und das nur aus drei Tagen
bestehende Wochenbett und die (da selbstständig)
schnellstmögliche ‚Wiedereingliederung in den Arbeitsprozess‘ nach nur zwei Wochen.
Kein Wunder also, dass nun auch nach den Jahren
der Mega-Gestagen-Hormonspirale und Hormonachterbahn vor der IVF, dem Frust als Selbstständige (ihr
Leber-Qi-Holz attackierte auch weiterhin kräftig das
Erde-Milz-Qi) sich schließlich ihre Nieren in die
Frühpensionierung begaben und die Wechseljahre
einsetzten. Natürlich ließ sie sich Hormonersatz verschreiben, um keine Leistungstiefs durch die Wechseljahreshitze und das Schwitzen zu haben, bis sich
bei der Mammographie ein Zufallsbefund ergab, der
sich nach Biopsie zwar als gutartig herausstellte, aber
wonach ihr von ihrem vorsichtigen Gynäkologen angeraten wurde, besser auf HET zu verzichten, da Mutter und Großmutter beide Mamma-Ca-Patientinnen
waren.
Von da an stürzte die ganze Hormonsymptomatik
auf sie herein:
Nachtschweiß, tagsüber Hitzewallungen abwechselnd mit Frieren, Reizbarkeit, nachts Einschlafstörungen mit Früherwachen, starke Müdigkeit, die als
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Wechseljahres-Depressionen behandelt werden, trockene Schleimhäute, wechselhafte mal zu feste, verstopfte, mal zu weiche Verdauung, ein schwacher
Puls, rechts mehr als links und auch an den hinteren
Positionen, eine blasse, vorne dick weiß, hinten dick
gelb belegte Zunge mit Zahneindrücken, außerdem
oft Zahnfleischschmerzen, zu welchen der Zahnarzt
aber keinen Befund finden konnte.
Sie war beim Chinesen um die Ecke, nahm Bu
Zhong Yi Qi Tang und Liu Wei Di Huang Wan ein,
dann weitere Yin-Tonika und Hitze kühlende Arzneien, wonach sich die Symptomatik verschlechterte.
Was soll man nun tun? Was würden Sie tun?
Syndromdifferenzierung, sortiert nach Relevanz
wie allgemein in der TCM üblich:
Leere:
Yin-Leere: Trockenheit, Früherwachen, schwacher
Puls links hinten und Historie: GnRH-Analoga
Yang-Leere: Frieren, blasse Zunge, schwacher
Puls insgesamt rechts und rechts hinten,
Einschlafstörungen, Müdigkeit, Historie: GnRHAnaloga und Unfruchtbarkeit
Qi-Leere: weicher wechselhafter Stuhl,
Zahneindrücke, Müdigkeit, Historie: Milz-KillerDiäten
Fülle:
Falsche Hitze: Hitzewallungen, Nachtschweiß,
Reizbarkeit
Nässe, evtl. Schleim: Zungenbelag,
Verdauungssymptome, Historie: Ernährung
Qi-Stagnation: Beruf, Persönlichkeit, Brustspannung
als PMS
Blutstase: Historie: Myome
evtl. Hitze im Unteren Erwärmer: gelber hinterer
Zungenbelag, Historie. Zystitis
Therapie
Yin-Tonika:
Problem: Klebrige Yin-Tonika wie Liu Wei Di Huang
Wan, Shou Di, Tian Men Dong können Nässe fördern
und schwächen die Milz.
Lösung: daher nur Nü Zhen Zi, Han Lian Cao, Bai He,
Mai Men Dong usw.
Yang-Tonika:
Problem: Er Xian Tang oder Lu Rong können die Hitze
fördern
Lösung: daher nur Tu Si Zi oder Yin Yang Huo.
Milz-Qi-Tonika:
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Problem: Bu Zhong Yi Qi Tang oder Huang Qi und
Yuan-Qi Tonika wie Ren Shen können Hitze fördern.
Lösung: daher Bai Zhu, Bai Bian Dou und Shan Yao.
Nässe/Schleim behandelnde Arzneien:
Problem: Hou Po, Cang Zhu, Huo Xiang trocknen das
Yin weiter aus
Lösung: daher nur diuretisch Nässe ausleiten mit Ze
Xie, Fu Ling, Yi Yi Ren.
Qi bewegen:
Problem: Chuan Lian Zi schadet der Milz, weil zu
kalt, Chai Hu braucht Qi auf, Bai Shao fördert durch
Klebrigkeit die Nässe
Lösung: daher nur sanfte, warme Qi-Beweger wie
Chen Pi oder Xiang Fu oder Yu Jin.
(Falsche) Hitze kühlende Arzneien:
Huang Lian oder Da Huang wären zu kalt und könnten der Milz schaden.
Lösung: daher sanftere Arzneien wie Di Gu Pi oder
Zhi Mu.
Diese sanfte Formel bestünde beispielsweise aus:
Nü Zhen Zi 12 g und
Han Lian Cao 12 g (Er Zhen Tang nährt Nieren- und
Leber-Yin)
Mai Men Dong 18 g (nährt Yin und kühlt HerzHitze)
Tu Si Zi 18 g (nährt Jing, somit Nieren-Yin und Yang)
Shan Yao 18 g (nährt Nieren-Yin und Milz-Qi)
Bai Zhu 9 g (tonisiert Milz und trocknet etwas aromatisch)
Zhi Gan Cao 3 g (tonisiert Milz, harmonisiert Formel)
Ze Xie 12 g (leitet diuretisch Nässe aus und kühlt so
Feuer auch des Kopfes)
Yu Jin 9 g (bewegt Leber-Qi und Blut)
Zhi Mu 12 g (kühlt falsche Hitze und beugt Yin-Verlusten vor)
Diese Formel mit Ergänzungen und Streichungen
immer wieder regelmäßig an den Status quo angepasst, würde sicher mit der Zeit den gewünschten
Therapieerfolg erbringen.
Die Huo-Shen-Schule dagegen würde sozusagen
„den Drachen beim Schwanz packen“ und anders angehen. Sie unterscheidet hauptsächlich in Yin und
Yang, Wurzel und Zweige.
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Syndromdifferenzierung, sortiert wie in der
Huo-Shen-Schule üblich
Qi bewegen, Nässe trocknen:
Sha Ren 21 g (sammelt die Niere und trocknet nicht so
stark aus, wenn gleichzeitig Gui Ban gegeben wird)
Wurzel
Yang:
Yang-Leere (ursprüngliche Konstitution) einschließlich Qi-Leere: Frieren, blasse Zunge, schwacher Puls insgesamt rechts und rechts hinten, Einschlafstörungen, Müdigkeit, Historie: GnRH-Analoga und Unfruchtbarkeit, weicher wechselhafter
Stuhl, Zahneindrücke, Müdigkeit, Historie: MilzKiller-Diäten
Yin:
Yin-Leere (im späteren Alter hinzugekommen):
Trockenheit, frühes Erwachen, schwacher Puls links
hinten und Historie: GnRH-Analoga
Zweige
Yin-Pathogene: (Nässe, evtl. Schleim, Kälte): Zungenbelag, Verdauungssymptome, Historie: Ernährung
Yin-Feuer: Reizbarkeit durch Herz-Hitze, Nachtschweiß, Hitzewallungen
Qi-Stagnation und Blutstase als Folge von YangLeere: Beruf, Persönlichkeit, Brustspannung als
PMS sowie Historie: Myome
Hitze im Unteren Erwärmer: gelber hinterer Zungenbelag, Historie: Zystitis
Die Formel der Huo-Shen-Schule würde demnach
so aussehen:
Acht Arzneien bestehend aus Qian Yang Dan
(Yang senkendes Elixier) plus Feng Shui Dan (Knochenmark versiegelndes Elixier) mit Dang Gui, Suan
Zao Ren und Sheng Mu Li
Yang:
Fu Zi 24 g (alle Dosierungen unter 30 g gelten als
nebenwirkungsfrei, bei Dosierungen darüber hinaus
müssen bestimmte Regeln beachtet werden, um Nebenwirkungen zu vermeiden6). Behandelt die lebenslange Nieren-Yang-Leere, bringt die Yang-Truppe zurück in den „Norden“, d.h. den Untereren Erwärmer.7
Yin:
Gui Ban 9 g (ein ebenbürtiger starker Yin-Nährer, der
die Niere zurückbringt) und den Yin-Verlust beim
Schwitzen zurückhaltende Sheng Mu Li 18 g, das
auch aus dem Salzwasser (= Niere) stammt und zusätzlich das Shen beruhigt.
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Hitze kühlen:
Huang Bai 18 g (sammelt das Yin der Niere und kühlt
das Yin-Feuer)
Qi tonisieren:
Gan Cao 15 g (stärkt die Milz)
Leber-Qi und Blut:
Suan Zao Ren 18 g (bringt die Hun-Seele zur Leber
zurück, fördert den Schlaf), Dang Gui 15 g (nährt
und bewegt sanft Leber-Blut und macht den Stuhl
weich durch seine Förderung der gesunden Darmflora ohne allzu klebrig für die Milz zu sein. Seine
MAO-hemmenden Eigenschaften machen es auch zu
einem sanften Antidepressivum.)
Anweisung: Morgens nach dem Frühstück und nachmittags vor dem Abendessen einzunehmen, um die
bestmögliche Verträglichkeit zu garantieren. Je nach
Lage von Yin und Yang würden die Hauptarzneien
Huang Bai und Fu Zi (nicht Gui Ban und Fu Zi) höher
oder geringer dosiert.
Qian Yang Dan (Yang senkendes Elixier)
Sha Ren 30 g, mit Ingwersaft präparierter Fu Zi 24 g,
Gui Ban 6 g, Gan Cao 15 g
Sammelt das Qi und bringt es zur Niere zurück.
Sha Ren zerstört die Yin-Pathogene (vor allem Nässe) und verbindet Niere mit Mitte, Fu Zi bringt das das
ministeriale Feuer zurück und unterstützt so das kaiserliche Feuer (und attackiert die Kälte), Gui Ban „aus
dem Lebens-Qi des salzigen Wassers stammend“ nährt
Yin und verbindet mit Yang. Gan Cao schließlich tonisiert die Mitte, die dann das Yuan-Qi nähren und dem
Nieren-Yang wieder Stärke zuführen kann.
Feng Shui Dan
(Knochenmark versiegelndes Elixier)
Huang Bai 30 g, Sha Ren 21 g, Zhi Gan Cao 9 g
Sammelt das Qi und bringt es zur Niere zurück. Stärkt
gleichzeitig Oberen, Mittleren und Unteren Erwärmer.
Das geschmacklich bittere Huang Bai hat den Bezug zum Feuer des Herzens, hat durch seine gelbe
Farbe den Erdebezug, der die Milz von Nässe befreit
und durch die Kälte des Winters den Bezug zur Niere.
Daher hat es den Bezug zu allen drei Erwärmern. Das
scharfe warme Sha Ren sammelt das Qi der fünf
Zang-Organe und bewegt sie zur Niere hin. Gan Cao
harmonisiert oben und unten und hilft über die Mitte
dem Ministerialfeuer.
ZTCM 3/2008
Wechseljahreshitze / Huo-Shen-Schule
Bitter und süß (Huang Bai und Gan Cao) helfen der
Yang-Wandlung, scharf und süß (Sha Ren und Gan
Cao) helfen der Yin-Wandlung.
Beide Rezepturen sammeln das Qi und bringen es
zur Niere zurück, verbinden Yin und Yang. Qian Yang
Dan enthält das heiße Fu Zi und Feng Sui Dan das
kalte Huang Bai, eines senkt das (durch Yin-Feuer
gestörte) physiologische Yang zurück zur Niere (=
qian), das andere sorgt dafür, dass es nicht durch
Yin-Pathogene von dort verjagt werden kann und
versiegelt es so (= feng).
„Der wahre Yang (-Drache) fliegt nicht mehr weg.
Wenn korrekt kombiniert, trocknet weder der heiße
Fu Zi nicht mehr aus, noch kann das bittere, kalte
Huang Bai schaden. Heiii! Wenn das nicht großartig
ist!“8 (Zitat von Zheng Qing-an)
Ich schließe mich der Meinung des ersten „Krähenkopfes“ an und werde ebenso enthusiastisch weiteres
von der Feuer-Geist-Schule berichten. Offenbar habe
auch ich Feuer gefangen. Ach so!? Ob die Patientin
nun fiktiv oder wirklich war? Von beidem etwas, würde ich sagen. Es geht ihr jedenfalls wieder gut.
Literatur
studium aufnahm. Im Jahre 1998 graduierte er als erster Nicht-Asiate mit
Zheng Qing-an: Yi Fa Yuan Tong, Shan Han Heng Lun und Yi Li Zhen
einem Magistergrad in Chinesischer Innerer Medizin. Mit seiner Disser-
Zhuan alle 1988 herausgegeben von Tang Bu-Qi bei Sichuan Xin Hua
tation im Januar 2001 beendete er seinen 12-jährigen Studienaufenthalt
Shu Dian.
in China und kehrte als erster Nicht-Chinese mit einem Doktorgrad der
Simon Becker: „Yin-Feuer“ Newsletter „Extrakt“, Ausgabe 2/2003
Chinesischen Medizin nach Deutschland zurück. Durch seine Lehrtätig-
Chen/Chen: Chinese Medical Herbology & Pharmacology, Art of Medici-
keit an der Universität Tianjin wurde er 1998 als Dozent in den Universi-
ne Press; City of Industry, CA, USA, 1st edition, 2004
tätslehrkörper aufgenommen und unterrichtet nun u. a. in der Universität
Witten-Herdecke und in verschiedenen medizinischen Institutionen in
Deutschland, in der Schweiz, in Holland und Österreich. Seit 2002 ist er
Anmerkungen
Gastprofessor in der Universität für TCM in Kunming, Yunnan.
1 wörtl. „Fu Zi“ = Anhängsel, nämlich der Hauptwurzel Chuan Wu Tou,
wegen Farbe und Form wörtl. „Sichuanesischer Krähenkopf“ genannt
Anzeige
2 《素問》所謂毒藥攻邪也。夫其攻邪而正氣複,是攻之即所以補之”。
3 Zheng Qing-an sagte dazu: „Im Mund gibt es kaum Fülle-Feuer!“
4 《陰陽應象大論》云:
“壯火之氣衰,少火之氣壯,壯火食氣,氣食少火,壯火
散氣,少火生氣”。Das Qi durch übermächtiges (pathologisches) Feuer
schwächt, das Qi des kleinen Feuers (Ming Men) stärkt. Übermächtiges
Feuer frisst das Qi auf, das Qi (der Mitte) füttert das kleine Feuer. Übermächtiges Feuer zerstreut das Qi, kleines Feuer gebiert neues Qi.
5 Wu Pei-Heng kritisert Li Dong-Yuan: „Chen Xiu-Yuan hat nur an die
Toniserung des nachhimmlischen (postnatalen) Mitte-Qi gedacht, und
dabei vergessen an das vorhimmlische Yuan-Qi zu denken. „此乃陳批
評李東垣,只重視後天脾胃之中氣,而忽視先天之元氣』
6 Wer mich kennt, weiß, ich konnte nicht widerstehen: Tatsächlich vertrug ich im Selbstversuch für eine Woche 30 g präparierte Fu Zi problemlos und hatte nur einmal eine typische Nebenwirkung, als ich in
der zweiten Woche 50 g Fu Zi in einer Formel mit den eigentlich NWhemmenden Arzneien Gan Cao und Gan Jiang unmittelbar zwischen
zwei Gläsern Rotwein einnahm. Wie in der Pharmakologie von Chen/
Chen nachzulesen ist, verstärkt Ma Huang ebenso wie Alkohol die
Toxizität von Fu Zi. Resultat: Eine Nacht lang eine kribbelnde taube
Zungenspitze und 1 Stunde nach der Einnahme ein warmer Kribbelschauer den Rücken herunter für einige Sekunden. Das war alles an
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Nebenwirkungen, hingegen waren die überraschenden Hauptwirkungen solche wie weniger Müdigkeit, mehr Appetit, bessere Verdauung,
keine Zahnschmerzen mehr und vieles andere so erstaunlich, dass
ich an anderer Stelle ausführlich darüber berichten werde.
7 In China wurde in den Karten der Süden oben und der Norden unten
dargestellt, da sich die Hauptstädte alle im Norden befanden und die
Karten vor dem Kaiser ausgebreitet wurden.
8 潜阳丹有附子之燥烈,封髓丹有黄柏之苦寒,
一潜一封,真阳难飞,交替
服用,既无附子之燥烈,又无黄柏之苦寒,岂不妙哉!
Über den Autor
Dr. med. sin. (China) Gunter Ralf Neeb studierte ab 1994 an der Hochschule für Chinesische Medizin der Provinz Yunnan und später an der
Internationalen Hochschule für TCM Tianjin, wo er auch sein Magister-
ZTCM 3/2008
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