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Tango in Montevideo Als Tango-Tanzpaar am Rio de La Plata Erfahrungsberichte, aufgezeichnet von Eckart Haerter Eckart Haerter Tango in Montevideo Erfahrungsberichte "Einen neuen Mann würde ich sofort finden, einen neuen Tango-Tanzpartner vielleicht nie." Ulrike Haerter, Tangotänzerin Tango in Montevideo Als Tango-Tanzpaar am Rio de La Plata Erfahrungsberichte aufgezeichnet von Eckart Haerter 2. bearbeitete Auflage Göttingen 2013 Tango in Montevideo : als Tango-Tanzpaar am Rio de La Plata ; Erfahrungsberichte / aufgezeichnet von Eckart Haerter. – 2. bearb. Aufl. Göttingen : Göttinger Tango-Info, 2013 160 S. : zahlr. Abb. Alle Übersetzungen von Eckart Haerter Copyright © 2013 Ulrike & Eckart Haerter ISBN www.haerter-tango.info E-Mail: [email protected] Tel:: +49 – (0) 551 - 57883 Titelbild (vordere Umschlagseite) © Festival internacional Viva el Tango, Montevideo: Ulrike & Eckart Haerter bei einem Auftritt im Cabildo von Montevideo. Bild hintere Umschlagseite © Udo Rzadkowski _________________________________________________ Unser Dank gilt den uruguayischen Tangomusikern, mit denen die Zusammenarbeit immer eine grosse Freude war. Darunter ganz besonders: Marino Rivero (1935 – 2010), Gabriela Díaz, Raúl Montero, Miguel Villasboas und Hugo Díaz (1947 – 1998) Ebenso danken wir der Tango-Kulturorganisation Joventango für die mehrmalige Einladung zum internationalen Festival Viva el Tango in Montevideo. Die freundliche Selbstverständnlichkeit, mit der wir integriert wurden, hat uns Montevideo zur Tango-Heimat gemacht. _________________________________________________ 7 Tango in Montevideo Skyline von Montevideo (Blick nach Westen) 8 Anreise Genau drei Stunden braucht der Buquebus, die Fähre über den Rio de La Plata, um Buenos Aires und Montevideo zu verbinden. Schon bei der Ausfahrt aus dem Hafen von Buenos Aires, wenn die Skyline der 12-Millionen-Stadt am Horizont entschwindet (Bild oben), beginnen die Uhren langsamer zu ticken. In Montevideo sind dann endgültig die Hektik und der Geräuschpegel von Buenos Aires vergessen. Südamerika, der Rio de La Plata, die beiden Ursprungsstädte des Tangos, die sich an seinem nördlichen und südlichen Ufer schräg gegenüber liegen. 9 Ulrike und ich haben auch häufig die Flugverbindung zwischen Buenos Aires und Montevideo genutzt, in beiden Richtungen, sowohl mit der Aerolíneas Argentinas als auch mit der uruguayischen PLUNA (als sie noch nicht abgewickelt war). Seit unserem ersten Besuch 1990 haben sich die wirtschaftlichen Verhältnisse hier deutlich verschlechtert. Der Flug dauert nur eine halbe Stunde. Aber wenn man den 13stündigen Nonstop-Flug von Deutschland durchgestanden hat, und man am liebsten nie mehr einen Flieger besteigen würde, dann ist die Schiffsfahrt auf dem Rio de La Plata die weitaus angenehmere Art zu reisen. Dass Buenos Aires die alles überstrahlende Weltmetropole des Tangos ist, bleibt unbestritten. Doch selbst viele Tangotänzer wissen nicht, wie stark das kleine Uruguay den Tango künstlerisch mitgeformt hat, besonders auf dem Gebiet der Musik. Es ist also keineswegs so, dass man den Tango kennt, wenn man ihn nur in Buenos Aires erlebt hat (womöglich nur an einem Wochenende als Abstecher von Brasilien). Nein, so einfach ist es nicht. Allein für Buenos Aires sollte man ein paar Wochen ansetzen. Beide Geburtsstädte des Tangos unterscheiden sich ganz erheblich in Grösse, Temperament und Charakter sowie in den künstlerischen Ausdrucksformen des Tangos. Atmosphärisch sind beide Städte sogar deutliche Gegensätze. Buenos Aires ist harte Realität, Montevideo ein Traum, fast unwirklich in unserer Zeit. Ich glaube, es gibt auf dem ganzen Erdball keine andere Millionenstadt, die so beschaulich wirkt, und die, dem Weltgeschehen scheinbar entrückt, der eigenen Fantasie weiten Raum lässt. In Argentinien und Uruguay benutzt man für den Tango auch die Bezeichnung Tango de las dos orillas (Tango der beiden Ufer), oder auch, vorzugsweise in Uruguay, die Wendung Tango rioplatense (Tango vom Rio de La Plata) um zu betonen, dass der "argentinische“ Tango nicht nur nach Buenos Aires gehört, sondern genauso nach Montevideo, wo er zeitgleich seinen Ursprung und seinen eige- 10 nen Weg nahm. Folgerichtig hat die UNESCO 2009 den Tango zum immateriellen Weltkulturerbe beider Länder erklärt. In einem seiner schönsten Tangos, Canción del Plata – Das Lied vom La Plata, nennt der uruguayische Tangosänger und Tangoliedermacher Raúl Montero das Verhältnis der beiden Hauptstädte zueinander "ein Liebeslied“, un canto de amor . Das Schicksal wollte es, dass Montevideo für Ulrike und mich zu unserer Tangoheimat geworden ist. Denn dort hatten wir unsere schönsten Tangoerlebnisse und unvergessliche Tanzauftritte. Und unter den Tangomusikern in Montevideo haben wir dauerhafte Freunde gefunden. Foto © Festival internacional Viva el Tango, Montevideo Improvisieren zu Live-Musik bei einem Auftritt im Cabildo von Montevideo 11 Ankunft Für mich ist Montevideo so etwas wie ein Zufluchtsort. Schon bei der Ankunft überkommt mich ein Gefühl der Ruhe und Entspanntheit. Auf wundersame Weise scheinen sich hier der ganze Stress und alle Unbilden des Alltags in der steten Brise vom Rio de La Plata zu verflüchtigen. Es ist wie ein tiefes Eintauchen in Tango-Poesie. Auf dem Tisch am Fenster, eine Flasche Rotwein... kraftvoller Vino tinto uruguayo aus der Traube Tannat…der Blick auf den grauen La Plata... die fast statische Ruhe der grossen Frachtschiffe, die in seiner Mündung ein- und ausfahren... die Palme am Ufer, die mich seit Jahren erfreut... die wechselnden Farben der Wassermassen: milchkaffeebraun, mal grau, manchmal fast schwarz, seltener ein stählernes Blau... Jugendliche spielen Fussball auf der Grünfläche an der Rambla... Tangoklänge… die Stimme von Olga Delgrossi mit Nostalgias – Sehnsucht. Und Homero Manzis Verse aus seinem Tango Che Bandoneón steigen aus der Erinnerung herauf: Esas tremendas ganas de llorar que a veces nos inundan sin razón y el trago de licor, que obliga a recordar si el alma está en "orsai“… Diese ungeheure Lust zu weinen, die uns manchmal überflutet ohne Grund, und der Schluck Schnaps, der zur Erinnerung zwingt, wenn die Seele im Abseits steht… 12 Das ist der Tango … und Montevideo fast ein magisches Wort … Montevideo ist Kontemplation, die ganze Stadt atmet Tangostimmung. Hier wird man auf sich selbst zurückgeworfen, und man reflektiert im Spiegel der Erkenntnis seine eigene Bedeutungslosigkeit. Doch bei Rotwein, Rindfleisch und Salat gewinnt man festen Boden zurück und stärkt sich für kommende Herausforderungen des Lebens und für neue Erlebnisse in der Welt des Tangos. Das Restaurant Danubio Azul ("Blaue Donau“) in Montevideo ist eine Parrilla, ein für Argentinien und Uruguay typisches GrillRestaurant. Auf dem Grill (Bild rechts) wird, das Asado, das Nationalgericht der beiden Tangoländer hergestellt: Gegrilltes Rindfleisch in allen Variationen. Auch das Wort Parrillada bezeichnet das auf dem Grill, der Parrilla, erzeugte Ergebnis. 13 Die Poesie der Stille Montevideo ist mit seinen etwa 1,3 Millionen Einwohnern die einzige Grossstadt Uruguays. Auf der einen Seite begrenzt vom Meer, das hier immer noch Rio de La Plata genannt wird, auf der anderen Seite von der Pampa. Rinder, Schafe, Gauchos, das Meer und darüber der weite Himmel. Es ist der Reiz des Unspektakulären, der den dafür empfänglichen Reisenden in diesem Land so besonders anrührt. Romildo Risso (1882 – 1946) Die Poesie seiner Heimat hat der montevideanische Dichter Romildo Risso in der kargen Tiefgründigkeit seiner "gauchesken“ Poeme eingefangen. 14 Seine Milonga Los Ejes de mi carreta - Die Achsen meines Karrens – ist in Text und Musik ein Beispiel höchster Tangokunst. Karg wie die Pampa, umfängt sie eine ganze Welt des Gefühls. Los Ejes de mi Carreta (Milonga gauchesca) Letra: Romildo Risso Música: Atahualpa Yupanqui [Pseud.] Porque no engraso los ejes me llaman abandonao ... Si a mí me gusta que suenen, ¿pa' qué los quiero engrasaos? Es demasiado aburrido seguir y seguir la huella, andar y andar los caminos sin nada que me entretenga. No necesito silencio, yo no tengo en quién pensar. Tenía, pero hace tiempo, ahura ya no tengo ná. Los ejes de mi carreta nunca los voy a engrasar ... 15 Die Achsen meines Karrens (Milonga nach Gauchoart) Text: Romildo Risso Musik: Atahualpa Yupanqui [Pseud.] Weil ich die Achsen nicht schmiere, nennt man mich nachlässig ... Doch wenn mir ihr Quietschen gefällt, warum sie dann schmieren? Es ist viel zu langweilig, der Spur nur zu folgen und zu folgen, und die Wege zu gehen und zu gehen, ohne etwas, das mich zerstreut. Ich brauch keine Ruhe, hab auch an niemand zu denken. Es gab mal jemand, vor langer Zeit... doch jetzt ist niemand mehr. Die Achsen meines Karrens, die werd ich niemals schmieren ... Mir sind vier herausragende Aufnahmen dieser Milonga bekannt: die geniale gesungene Interpretation von Roberto Goyeneche, die instrumentalen der beiden uruguayischen Bandoneonvirtuosen Marino Rivero und Hugo Diaz und die sehr gut zum Tanzen geeignete Aufnahme von Francisco Canaro mit dem Sänger-Duo A. Arenas / E. Lucero. Hugo Diaz’ Aufnahme (mit Gitarrenbegleitung) ist ein Meisterwerk sensibler Einfühlsamkeit. Marino Rivero macht auf seinem Solo-Bandoneon aus der "Milonga gauchesca“ ein hochvirtuoses und zugleich seelenvolles Konzertstück. Der ebenfalls in Uruguay geborene Francisco Canaro, spielt, wie alle Tangueros wissen, VollblutTango für Tangotanzpaare (in diesem Fall in Form einer Milonga). 16 Der Müllsammler mit seinem Karren gehört zum Strassenbild in Montevideo 17 La Cumparsita La Cumparsita ist der Tango schlechthin. Rund um den Erdball gilt er als die Hymne des Tangos. In Argentinien ist La Cumparsita häufig die krönende Zugabe nach einer Tangoshow. In Uruguay ist das fast zwangsläufig so. Denn dieser berühmteste Tango der Welt stammt nicht etwa aus Argentinien, sondern aus Uruguay. Sein Komponist heisst Gerardo Matos Rodríguez (geb. 1897 in Montevideo, gest. 1948 ebd.). La Cumparsita ist wahrscheinlich der weltweit am häufigsten gespielte Tango, von ihm existieren unzählige Interpretationen. Jeder Uruguayer ist stolz darauf, dass diese Musik, die in der ganzen Welt zum Inbegriff des Tangos wurde, eine uruguayische Schöpfung ist. Und so hat La Cumparsita in Uruguay fast den Status einer zweiten Nationalhymne. Nach alter Tradition wird auch als Abschluss einer Milonga, also einer öffentlichen Tango-Tanzveranstaltung, als letzter Tango La Cumparsita gespielt. Die meisten Menschen, auch solche, die sich für Tango nicht interessieren, kennen zumindest seine Melodie. Selbstverständlich verlangt auch der polnische Dramatiker Sławomir Mrožek in der Regieanweisung zu seinem turbulenten Bühnenstück "Tango“, dass am Schluss La Cumparsita getanzt wird, mit allen möglichen Figuren. Das Stück habe ich seinerzeit in London, in einer hochklassigen Aufführung im Theaterviertel an der Shaftesbury Avenue gesehen. Ja, La Cumparsita ist der Inbegriff des Tangos. Ursprünglich hatte Matos Rodríguez die Melodie für den Karnevalsumzug komponiert, dem in Uruguay eine grosse ethnokulturelle Bedeutung zukommt. Die Comparsa ist eine Gruppe im Karnevalsumzug, Cumparsita die mundartliche Verkleinerungsform. Verschiedene Texte wurden zu dieser Musik geschrieben, von denen der Text von Pascual Contursi (Si supieras ..) der bekannteste geworden ist. Dieser Text ist auch der am häufigsten gesungene und aufgenommene. Meines Wissens hat Gerardo Matos Rodríguez jedoch keinen einzigen der Fremdtexte autorisiert und (erst später) 18 seinen eigenen Text geschrieben, der vielleicht aufgrund seiner sehr weitgehenden Gefühligkeit nicht dieselbe Beliebtheit erfahren hat wie der Geniestreich seiner Musik. Matos Rodríguez’ Text, den in Europa kaum jemand kennt, ist auch nur wenige Male eingespielt worden, aber für die Kenntnis der Geschichte des Tangos und der Stadt Montevideo ist er von historischem Interesse. Der Text ist aber auch deshalb höchst interessant, weil er zeigt, welche Gefühle der Komponist seiner eigenen Musik unterlegt hat. Vielleicht gibt das auch einmal solchen Journalisten zu denken, die frei von Kenntnissen aber umso wichtigtuerischer daher schwadronieren, wie der vom Göttinger Tageblatt, der 2007 bei dieser Musik von "erotischer Spannung“ schwafelte. Und auch die anderen an dem Abend getanzten Stücke hatten mit Erotik nicht das geringste zu tun. Von einem seriösen Journalisten muss man erwarten können, dass er sich vorbereitet, wenn er auf unbekanntem Gebiet arbeiten soll. La Cumparsita (Tango) Letra y Música: Gerardo Matos Rodríguez La Cumparsa de miserias sin fin desfila en torno de aquel ser enfermo que pronto ha de morir de pena... por eso es que en su lecho solloza acongojado, recordando el pasado que lo hace padecer. Abandonó a su viejita que quedó desamparada y loco de pasión, ciego de amor, corrió tras de su amada, que era linda, era hechicera, 19 de belleza era una flor. Que admiró su querer, hasta que se cansó y por otro lo dejó. Largo tiempo después, cayó al hogar materno para poder curar su enfermo y herido corazón, y supo que su viejita santa, la que el había dejado el invierno pasado, de frío se murió. Hoy ya solo, abandonado a lo triste de la suerte, ansioso espera su muerte que bien pronto ha de llegar... Y entre la triste frialdad que invade al corazón, sintió la cruda sensación de su maldad... Entre sombras se le oye respirar sufriente... al que antes de morir sonríe porque una dulce paz le llega; sintió que desde el cielo la madrecita buena, mitigando sus penas, sus culpas perdonó... 20 La Cumparsita (Tango) Text und Musik: Gerardo Matos Rodríguez Der Karnevalszug des Elends ohne Ende zieht vorbei an einem Kranken, der bald vor Kummer sterben muss. Deshalb schluchzt er verzweifelt in sein Kissen, wenn er sich der Vergangenheit erinnert, die ihn so leiden macht. Er liess sein altes Mütterchen unversorgt im Stich und verrückt vor Leidenschaft, blind vor Liebe, zog er zu seiner Geliebten, die schön war und bezaubernd, von der Schönheit einer Blume. Wie genoss sie seine Liebe, bis sie ihrer müde wurde und ihn mit einem anderen verliess. Lange Zeit danach, kehrte er zum mütterlichen Herd zurück, um seine Krankheit zu kurieren und sein verletztes Herz.. Doch er erfuhr, dass sein heiliges Mütterchen, das er verlassen hatte, im vergangenen Winter durch die Kälte gestorben war. 21 Heute, allein und verlassen, in seinem traurigen Los, erwartet er sehnsüchtig seinen Tod, der nun sehr bald kommen muss. Und in der traurigen Kälte, die sein Herz beschleicht, fühlt er zutiefst sein grauenhaftes Elend. In der Dunkelheit hört man sein gequältes Atmen ... doch kurz bevor er stirbt, da lächelt er, weil ihn ein süsser Friede überkommt; er fühlte, dass aus dem Himmel sein gutes Mütterchen, seine Schmerzen von ihm nahm und ihm seine Schuld vergab. ... Die Uraufführung von "La Cumparsita“ durch das Orchester Roberto Firpo fand 1917 im Café La Giralda statt, das an genau der Stelle stand, wo sich heute das Wahrzeichen Montevideos, der Palacio Salvo erhebt. 22 Der Palacio Salvo an der Plaza Independencia. Seit Ende der 1920er Jahre ist er das Wahrzeichen Montevideos. An seiner Stelle befand sich früher das tango-historische Café La Giralda. 23 Am Fuss des Palacio Salvo steht ein Schaukasten mit einem Foto des nicht mehr existierenden Cafés La Giralda. Darunter wird in spanischer, portugiesischer und englischer Sprache erklärt, dass hier im Jahre 1917 die "kulturelle und Volkshymne Uruguays“ vom Orchester Roberto Firpo uraufgeführt wurde. 24 Miguel Villasboas und sein Sexteto típico Für das grandiose, weltbekannte Tangoorchester des Pianisten Miguel Villasboas aus Montevideo (Bild oben) ist La Cumparsita der Identifikationstitel, der auf fast keiner seiner zahlreichen CDs fehlt. Bei diesem Orchester handelt es sich um ein Orquesta típica, ein "typisches“ Tangoorchester. Damit ist die Art der Instrumentalbesetzung gemeint, deren Klang man am Rio de La Plata als besonders tangogemäss empfindet, nämlich Bandoneon, Geige, Kontrabass und Klavier. Im Sextett, wie hier bei Miguel Villasboas, werden Bandoneon und Geige doppelt besetzt. (Die 7. Person auf dem Bild ist ein Moderator). Man trifft aber auch bei Orchestern mit anderen Instrumenten auf die Bezeichnung "típica“, wenn sie die traditionelle Musik vom Rio de La Plata spielen. 25 Miguel Villasboas, international bekannter Tangopianist und Orchesterleiter, spielt vorzugsweise für Tänzer. Das ist in der heutigen weltweiten Tangoszene durchaus nicht selbstverständlich. Seine besondere Spezialität sind rhythmisch klare und melodisch betörende Milongas und Valses ("Valsecitos“), bei denen es einen echten Milonguero nicht auf seinem Stuhl hält. Dass die uruguayische Hauptstadt auch ganz eigene Klänge des Tangos hervorgebracht hat, die man so in Buenos Aires nicht hört, das beweist Miguel Villasboas mit seiner Tangomusik. Zweifellos spielt er die unbekümmertsten Tangos der Welt. Geradezu fröhlich im Klang und forsch im Tempo, sind diese Tangos Lebensfreude pur. Miguel Villasboas spielt hauptsächlich für Tänzer und orientiert sich bei seinen Tangointerpretationen konsequent am früheren Tango, als vom "traurigen Gedanken, den man tanzen kann" (nach Enrique Santos Discépolo) noch nicht die Rede sein konnte. Seine Valsecitos und 26 Milongas sind hinreissend schön anzuhören und eine Freude, sie zu tanzen. Zu Ulrikes und meinen schönsten Erinnerungen an Montevideo gehören unsere öffentlichen Auftritte mit dem Sexteto típico Miguel Villasboas. Keiner dieser Auftritte konnte geprobt oder in irgendeiner Weise vorbereitet werden. Es gilt als selbstverständlich, dass ein Tangotanzpaar einen sehenswerten Auftritt auch ohne vorherige Probe tanzen kann. Das ist Tangotanzen ohne Netz und doppelten Boden in der improvisierten, echten Interaktion mit dem Orchester, wobei man dem sachkundigen einheimischen Publikum natürlich etwas bieten soll. Aber so macht Tangotanzen wirklich Spass, weil es kreativ ist, weil man Platz hat und sich nicht aus Rücksicht auf andere Tanzpaare zurücknehmen muss. Überhaupt waren alle Auftritte zur Livemusik einheimischer Tangomusiker, an einem Geburtsort des Tangos, das absolut Beste, was wir in unserem Leben als Tangueros gemacht haben. Und es war auch notwendig. Heute fragen wir uns, wie wir den Tango Argentino ohne diese Erfahrungen authentisch und glaubhaft hätten unterrichten können. In 25 Jahren Praxis als Tango-Tanzpaar und Tango-Lehrerpaar hat sich Ulrike und mir immer wieder bestätigt, dass es im Grunde nur auf eins allein ankommt, nämlich: Wie man selber tanzt. Ein Tangolehrer, der noch so schön erklären kann, ist unglaubwürdig, wenn er das, was er erklärt, nicht auch meisterhaft tanzen kann. Wir haben in Deutschland das Phänomen, dass es unter den HobbyTangotänzerinnen und Hobby-Tangotänzern, nicht wenige gibt, die den Tango nicht einfach um seiner selbst willen geniessen und lieben können, sondern die darüber hinaus das Bedürfnis verspüren, aus 27 dem tänzerischen Durchschnitt herauszuragen und in der Welt des Tangos zu den Tonangebenden zu gehören.. Nun, wenn die notwendige Begabung und das Talent vorhanden sind, steht der Erfüllung dieses sehnlichen Wunsches nichts im Wege. Wer als Tangotänzer Maestro werden will, wird sich nicht scheuen, die Ausbildung bei einem namhaften argentinischen oder uruguayischen Maestro zu absolvieren und sich in praktischer Arbeit weiter zu qualifizieren. Wem allerdings bewusst ist, dass seine tänzerische Begabung für den Weg zum Maestro nicht ausreicht, kann es als Buchautor, Blogger, Tango-DJ, Tango-Fotograf, Organisator von Tangoveranstaltungen oder Milongas und mit vielem anderen versuchen, seinem Namen Bekanntheit zu verschaffen. Auf diese Weise hat schon so mancher seinen inneren Frieden gefunden. Bedenklich wird es erst, wenn sich durchschnittliche Tangotänzer und mittelmässige Kenner der Tangokultur anheischig machen, sich als Tangolehrer zu betätigen. Das ist zwar nicht verboten, aber es ist unseriös und respektlos gegenüber der komplexen und tiefgründigen Kulturschöpfung eines anderen Volkes. Das muss einmal ganz klar ausgesprochen werden. Nur ein Beispiel: Wie kann ein Tango“lehrer“ mit gutem Gewissen das Gehen, das Caminar unterrichten, wenn er es selbst nicht beherrscht, und nur die entschärfte Form tanzen kann, die fürs durchschnittliche Tangoschul-Publikum ersonnen wurde, damit die Schülerinnen und Schüler nicht aus Frust den Unterricht aufgeben. Es ist meine Meinung zum Tango-Tanzunterricht, dass der Lehrer ein Maestro sein muss, der auch als Maestro unterrichtet und wie ein Maestro tanzt. Wie weit er damit kommt, ist eine ganz andere Frage. Er muss seine Schüler aber dadurch ernst nehmen, dass er ihnen meisterhaftes Können anbietet und vortanzt und nicht das Können eines Tangoschülers als das Lernziel vorgibt. 28 Ich möchte nicht missverstanden werden. Durchschnitt ist Normalität und völlig in Ordnung. Nur wer sich selbst als Lehrer bezeichnet und andere belehren und leiten will, muss mehr bieten. Und noch ein Wort zum Begriff des Maestro. In Montevideo und Buenos Aires erkennt das sachkundige Publikum binnen Sekunden anhand weniger Bewegungen, ob ein Meisterpaar tanzt oder ein Möchtegern-Paar. Es geht nicht darum, eine Unzahl schwieriger Figuren zu kennen. Die komplizierteste Figur ist nichts wert, wenn die Fähigkeit fehlt, damit die Musik zu interpretieren. Beim meisterhaften Tangotanzen geht es um das harmonische, musikalische Zusammenspiel des Paares und seine Interpretation der Musik. Alles andere ist zweitrangig. Club Sudamérica Morgens ruft Miguel Villasboas im Hotelzimmer an. Er lädt uns ein, heute Abend in seinem Club einen Auftritt zu tanzen. Darauf freuen wir uns sehr, denn Miguel haben wir lange nicht gesehen und nur per Post miteinander Kontakt gehabt. Damals hatte ich noch Skrupel, ob ich das Folgende veröffentlichen soll, weil ich dachte, wenn erst mal die Tangotouristen im Club Sudamérica einfallen, dann wird seinem einmaligen Ambiente der Garaus gemacht. Ich sage jetzt einfach mal wie es ist und was im Grunde alle wissen. Die sensiblen ursprünglichen Eigenheiten und Besonderheiten eines Landes halten auf Dauer Touristenmassen nicht stand. Die deutsche Abenteuer-Reisegruppe, die im Tschad eine Dorfhochzeit filmt und in die Kochtöpfe guckt, ist erst dann in Ordnung, wenn genau so selbstverständlich eine Reisegruppe aus dem Tschad in einem deutschen Dorf ausschwärmt, filmt und in die Kochtöpfe guckt (möglichst in Brandenburg oder SachsenAnhalt!). Inzwischen haben sich meine damaligen Bedenken erledigt. Den Club Sudamérica gibt es in der Form nicht mehr. Aber gerade deshalb will ich mit meinem Bericht die Erinnerung an dieses Stück Tangogeschichte lebendig halten. 29 Damals fühlt man sich im Club Sudamérica in Montevideo um 80 Jahre Tangogeschichte zurückversetzt. Ein grosser Tanzsaal mit einfacher Holzmöblierung und einem Publikum im Alter zwischen (gefühlt) 50 und 90, das seinen Tango de Salón zelebriert zur Livemusik des Orquesta Típica von Miguel Villasboas! Ein einmaliges Erlebnis. Seit hundert Jahren ist der Tango der Gesellschaftstanz dieser Menschen, und nichts scheint sich hier seit den Anfängen verändert zu haben. Nur dass an Stelle von Roberto Firpo jetzt Miguel Villasboas spielt. Als wir eintreffen, begrüsst uns Miguel mit Herzlichkeit. Er lässt uns von seinem Moderator ansagen, der dem Publikum auch etwas von unserem Erfolg in Indien erzählt, wo Ulrike und ich im Vorjahr in Calcutta (heute: Kolkata), begleitet von Presse und Fernsehen, mit Auftritten und Workshops den Tango vom Rio de La Plata bekanntgemacht haben. Dann tanzen wir Don Juan zur Livemusik von Miguels Orchester. Danach werden wir vom Publikum mit Applaus und Einladungen zu Getränken förmlich überschüttet. Wir sind überwältigt und gerührt… 30 Gran Baile – Tangoball Es war eine denkwürdige Nacht, von der unser Programmausschnitt zeugt. Das letzte Wochenende des internationalen Tangofestivals von Montevideo wird eingeleitet mit einem grossen Ball in der Halle des Neuen Rathauses (Bild nächste Seite). Zwei uruguayische Tangoorchester der Spitzenklasse spielen zum Tanz für hunderte Tanzpaare und die versammelte Tangoszene von Montevideo. Beide Orchester kennen wir bereits. Zur Musik des Orquesta Intertango Río Negro hatten wir schon in Lissabon getanzt, und die Musiker begrüssen uns mit lautstarkem Halloh. Mit Miguel Villasboas verbindet uns eine langjährige Bekanntschaft. Die Festivalleitung hatte Ulrike und mich ausersehen, zur Musik beider Orchester – natürlich ungeprobt diverse Einlagen zu tanzen. Als Höhepunkt spielt zu später Stunde das Orchester Miguel Villasboas. 31 Ein Ort des Tangos. Der Palacio Municipal (Neues Rathaus) in Montevideo. Dessen weitläufige zentrale Halle (Atrio Municipal) wird auch für grosse Tangobälle genutzt (s. Programm auf der vorigen Seite). _____________________________________________________ Dieses Festival war unser drittes und letztes in Montevideo, und dieser Showauftritt vielleicht der Höhepunkt unserer Tätigkeit als Tangotanzpaar. Unsere letzte Einlage soll ein Vals sein, und Miguel schlägt Desde el alma vor, "Aus der Seele“. Wir sind sehr einverstanden, weil uns auch so zumute ist, und wir tanzen diesen Vals cruzado absichtlich ein bisschen exaltiert. Aber diese Verrücktheiten kommen beim Publikum besonders gut an. Entsprechend deutlich ist der Applaus und es gibt laute "Otra“-Rufe nach einer Zugabe. Und jetzt spielt Miguel La Cumparsita in seinem so mitreissenden Tempo und glasklarer 32 Rhythmik, dass es uns gelingt, obwohl wir reichlich erschöpft sind, noch einmal alles hineinzulegen. La Cumparsita im Fernsehen Aber wir haben in Montevideo auch schon 3 Jahre früher La Cumparsita aufgeführt. An einem Samstagnachmittag erhalten wir die Einladung zu einem Fernsehauftritt am nächsten Tag, dem Sonntag. Wir werden besonders darauf aufmerksam gemacht, dass es sich bei der Mittagsshow im Sender Canal 12 (Teledoce) um eine besonders beliebte Show handelt, "die im ganzen Land gesehen wird“. Und hier erleben wir jetzt, was es heisst, professionell Fernsehen zu machen. Alles verläuft in höchstem Tempo. Wir treffen etwa eine dreiviertel Stunde vor unserem Auftritt beim Sender ein, als die Sendung schon in vollem Gange ist. Eine dieser unsäglichen Shows mit Glücksrädern- und Kugeln usw. Zwei schöne junge Frauen, die wohl so etwas wie die Glücksfeen sind, bewegen sich buchstäblich im Laufschritt zwischen zwei Senderäumen hin und her. Eine richtige Garderobe gibt es nicht, wir müssen in einer Art Requisitenraum warten. Dann in die Maske. Das geht unglaublich schnell, und die Schminke sitzt perfekt. Ulrike ist nie wieder so schnell und mit solcher Sicherheit perfekt geschminkt worden. Dann ruft uns die Regie in den Saal. Während der Dauer einer Werbepause bekommen wir Gelegenheit, uns mit der Live-Band kurz abzustimmen. Was sollen wir spielen, fragen sie, La Cumparsita? Na klar, was denn sonst, wir sind schliesslich in Uruguay. Wir proben etwa 30 Sekunden, dann wieder raus, die Show geht weiter. Wenig später wieder rein in den Saal. Der Moderator stellt uns vor, dann ertönt La Cumparsita. Als der Tanz vorbei ist, tobt das Publikum vor Begeisterung und auch die Musiker applaudieren. In der Technik zeigt man uns das Video. Wir sind ausserordentlich gut gefilmt worden, von verschiedenen Seiten, aus verschiedenen Perspektiven, 33 zum Teil von oben, einfach professionell. Und das ganze praktisch ohne richtige Vorübung. Alles improvisiert wie unser Tanzen. Nach anderthalb Stunden sind wir wieder draussen in der Sonne. An diesen Fernsehauftritt mussten wir denken, als wir einige Monate später in Hamburg beim öffentlich-rechtlichen NDR auftraten. Dort hatten wir zwar eine eigene Garderobe mit Obst, Schokoriegeln, Mineralwasser, Sekt und einer Couch zum Hinlegen, aber die Vorbereitung für den eigentlichen Auftritt schleppte sich lähmend Stunde um Stunde hin, mit dem Ergebnis, dass wir nach stundenlanger Zwangspause schon fix und fertig waren und dann noch weit weniger wirkungsvoll gefilmt wurden als beim kleinen Kommerzsender Teledoce in Montevideo. Auch die Damen aus der Maske mussten bis kurz vor unserem Auftritt immer wieder noch einmal hinter die Bühne kommen, um das Makeup zu verbessern. In Montevideo glauben wir am Tag nach unserem Fernsehauftritt, andere Menschen zu sein. Überall spricht man uns auf den Fernsehauftritt an. Wir werden auf der Strasse erkannt, wildfremde Menschen zeigen uns ihre Begeisterung. Im Restaurant bekommen wir von dem Tag an einen (noch) besseren Wein. Es ist unglaublich. Die Show müssen wirklich alle gesehen haben. Und ich sage scherzhaft zu Ulrike: "so wurden wir über Nacht berühmt“. 34 Bild oben: La Casa de Becho in Montevideo, das Wohnhaus von Gerardo Matos Rodríguez, dem Komponisten des berühmtesten Tangos der Welt: La Cumparsita. 35 Zugabe: Eine Begebenheit aus der Praxis in Deutschland An unsere Auftritte mit La Cumparsita in Montevideo erinnerte ich mich, als ich einmal als Tango-DJ im Tangosalon der Göttinger MUSA La Cumparsita in der Interpretation von Miguel Villasboas auflegte. Die Tanzfläche war recht gut gefüllt, und ich hatte vorher (halb im Spass) noch durchs Mikro gewarnt, "Vorsicht! – mal sehen, wer’s schafft“ (denn Villasboas spielt schnell). Woraufhin ein Tanzpaar sich sehr erheitert zeigte. Als die Musik verklungen war, sagte ich wieder durchs Mikro, quasi entschuldigend: "Ich habe gewarnt“. Worüber selbiges Tanzpaar sich noch mehr zu amüsieren schien. Nun sah ich mich allerdings dem Paar gegenüber zu der Erklärung genötigt, dass durchaus nicht alle Tanzpaare auf der Musik gewesen waren, was das belustigte Paar bei sich selbst offensichtlich nicht einmal bemerkt hatte. Diese Begebenheit im MUSA-Tangosalon ist hierzulande durchaus nicht aussergewöhnlich für das Geschehen auf Milongas. Es läuft Tangomusik und Tanzpaare tanzen bzw. exekutieren irgendwelche Figuren (durchaus auch schwierigere), nur haben die Tanzbewegungen wenig oder nichts mit der laufenden Musik zu tun. Und solch ein Treiben hat dann letztlich auch mit dem Tango Argentino kaum noch etwas zu tun. Bei einem Tango wie La Cumparsita, besonders wenn er in einem so stringenten Rhythmus und so schnell gespielt wird wie von Miguel Villasboas, fällt es natürlich besonders auf, wenn die Tanzpaare mit der Musik nichts anzufangen wissen. Und mehr noch, wie kann man sich selbst als Tangotänzer bezeichnen, wenn man es nicht mal schafft, die Hymne des Tangos, den berühmtesten Tango der Welt zu tanzen? Es kann lange dauern bis man/frau Tanguera / Tanguero geworden ist, denn den Tango muss man sich erobern. Mit Lau- und Halbheiten kommt man ihm nicht bei. Tango verlangt Hingabe. Ganzheitlich. 36 Unser verehrter Lehrer Antonio Todaro in Buenos Aires sagte in einem Interview den berühmt gewordenen Satz: "Der Tango als Tanz ist das schönste, was es gibt. Man muss ihn mit Kraft angehen, mit viel Zärtlichkeit und vielen Stunden Arbeit“. _________________________________________________ Detail der Hauswand von Matos Rodríguez‘ Haus. Das Titelbild der Partitur von La Cumparsita. 37 Festivales Für ein nicht argentinisches oder nicht uruguayisches Tango-Tanzpaar ist es eher unwahrscheinlich, auf dem freien Markt ein Engagement für einen internationalen Show-Auftritt zu bekommen. Dafür warten schon zu viele argentinische Spitzenpaare in den Startlöchern. Ihr "Muttersprachler"-Bonus sei ihnen aber gern gegönnt. Internationale Festivales (vergleichbar internationalen Kongressen) bieten abseits des Marktes Tangokünstlern aller Länder die Gelegenheit zu wirklich grossen Auftritten auf internationaler Ebene. Doch zu denen muss man natürlich auch eine Einladung bekommen.. Die Cumbres, an denen Ulrike und ich teilgenommen haben, waren an Internationalität nicht zu überbieten. Ausser unseren SoloAuftritten in renommierten Theatern haben wir auf einem einzigen Festival mehr professionellen Austausch mit anderen Tangokünstlern aller Sparten und aus zahlreichen Ländern gehabt, als man normalerweise in seinem ganzen Leben haben würde. _________________________________________________ Der Weltgipfel des Tangos Cumbre mundial del Tango (port. Cimeira mundial do Tango; dt.: "Weltgipfel des Tangos“). Alle 2 Jahre in wechselnden Städten stattfindendes internationales Tangofestival unter argentinischer Organisation und Leitung. Die Benennung Weltgipfel wurde gewählt, weil die teilnehmenden Tangokünstler die Stadt repräsentieren, aus der sie kommen. So haben Ulrike und ich dreimal, in Montevideo, Lissabon und Sevilla, die Stadt Göttingen repräsentiert, als Ort, in dem die Tangokultur gepflegt wird. Der Zielsetzung dieses Festivals entspricht es, dass hier die Städte nicht gegeneinander antreten, sondern sich als Tangostadt darstellen. Es ist also kein Wettbewerb, sondern eine Schau dessen, was eine Stadt an Tangokunst zu bieten hat. Entsprechend hoch ist das Niveau. Es sind immer höchstrangige, international bekannte Tangokünstler dabei. Zum Beispiel auch regelmässig Horacio Ferrer, der 38 bedeutendste lebende Tangodichter. Hier wird der Tango um seiner selbst willen gefeiert. Es gibt Tanzauftritte, Milongas, Konzerte, Ausstellungen, Vorträge und einige wenige Workshops. Die Repräsentanten der Städte können aus allen Sparten der Tangokultur kommen. Es können Musiker (Sänger oder Instrumentalisten), Maler, Dichter, Historiker und natürlich Tänzerinnen und Tänzer sein. Die Materie bringt es mit sich, dass – natürlich – argentinische Künstler die Mehrheit stellen. Die am Cumbre teilnehmenden Künstlerinnen und Künstler werden alle in ein und demselben Hotel untergebracht. Man trifft sich beim Frühstück, in Montevideo mit Blick auf den Rio de La Plata, und plaudert mit Tangokünstlern aus aller Herren Länder. Auch Mittag- und Abendessen werden an einem zentralen Ort eingenommen, wo auch die allabendliche Milonga mit Livemusik stattfindet. In Montevideo ist die Milonga allerdings, getrennt vom Restaurant, im Mercado de la Abundancia, den ich weiter unten noch vorstelle. Ein besonders stimmungsvoller, und geradezu zünftiger Schauplatz des authentischen Tangos. _________________________________________________ Cumbre Nr. 3 Das 9. Montevideo-Festival 1996 ist gekoppelt mit dem 3. Cumbre Mundial del Tango, dem “Tango-Weltgipfel”. Zudem ist Montevideo in diesem Jahr Kulturhauptstadt Südamerikas. Ein Mega-Event für Uruguay mit über 500 Teilnehmern aus aller Welt. Musikern, Tänzern, Literaten, Malern, Historikern. Schon zu Hause wirft dieses Ereignis seine Schatten voraus, was am Medienrummel zu erkennen ist. Zeitungen aus Berlin und anderswo interviewen uns am Telefon, das Göttinger Tageblatt bringt einen grossen Artikel mit Bild. Die uruguayische Botschaft ruft an, um uns zu fragen, ob sie uns irgendwie bei den Reisevorbereitungen unterstützen kann. Wir benötigen aber keine Hilfe, da wir als Tangueros erfahrene Reisende zum Rio de La Plata sind. Schon 1990 waren wir zum ersten Mal in Montevideo und haben zur Live-Musik von Miguel Villasboas getanzt. Damals aber noch nicht als Show-Tanzpaar. 39 Bei der Eröffnung des Festivals im Mercado de la Abundancia sind viele illustre Persönlichkeiten aus der Welt des Tangos zugegen. Unter anderem werden wir dem bedeutendsten lebenden TangoPoeten, dem Uruguayer Horacio Ferrer, vorgestellt, ein malerischer Mann mit Halstuch, hochhackigen Tangoschuhen und den erlesenen Manieren des Tangueros, als er Ulrike mit Küsschen begrüsst. Zwei Jahre später auf dem Cumbre in Lissabon und 2005 in Sevilla beim gleichen Festival trafen wir erneut mit Horacio Ferrer zusammen, und ich habe ihm die 1. Auflage dieser Erinnerungen aus Montevideo und unser Homero-Manzi-Buch als Geschenk überreicht. In Sevilla hat er auch unseren Auftritt bei der Eröffnungsveranstaltung für die Medien gesehen. Horacio Ferrer ist der Dichter des Librettos der Operita Maria de Buenos Aires, zu der Argentiniens bedeutendster Komponist und Erneuerer des Tangos, der Bandoneonvirtuose Astor Piazzolla, die Musik geschrieben hat. Und es gibt wohl keinen Tanguero, der nicht die Balada para un loco (die Ballade für einen Verrückten) des Duos Ferrer/Piazzolla kennt. 2013 wurde Horacio Ferrer 80 Jahre alt. In einem Interview mit der Zeitung Página 12 vom 10. Juni 2013 sagte er: “Ser tanguero es una forma de transitar por la existencia, aun sin tocar un instrumento, sin cantar ni bailar” “Tanguero zu sein, ist eine Daseinsform, auch wenn man kein Instrument spielt, nicht singt und nicht tanzt“. Diesen Ausspruch hat Ferrer so oder ähnlich schon öfter getan. Auch in deutschen Veröffentlichungen ist er wiederholt zitiert worden. Jetzt hat er seine Erkenntnis erneut bekräftigt. Es ist müssig zu versuchen, Ferrers Ausspruch intellektuell zu erklären, nach dem Motto: Was meint der Dichter mit seinen Worten. Tango ist Gefühl. Die Forderung: "Fühlt mal“, ist sinnlos. Das emotionale Fühlen lässt sich nicht erklären. 40 Und das bringt uns zwangsläufig zum Tango-Tanzunterricht. Wenn man die vielen – zu vielen – deutschen Tangotanzpaare sieht, die mit der Tangomusik und somit auch mit dem Tango nichts anzufangen wissen, dann wird das Defizit augenfällig. Das soll weder ein Vorwurf an die Tangolehrer noch an die Schüler sein. Denn das, was fehlt, zu unterrichten, nämlich auch den getanzten Tango als gefühlten Umgang zwischen Mann und Frau, das ist das Schwerste. Und ob es gelingt, ist Glückssache. Es sind schon diverse Methoden ersonnen worden, um den Tango Argentino als Tanz an Menschen der westlichen Industrienationen zu unterrichten. Da gibt es Körperarbeit nach Feldenkrais, Alexandertechnik, Pilates, Yoga, die Anatomie gestützte Herangehensweise: welcher Muskel ist bei welcher Bewegung angespannt, welche Teile des Skeletts biegen sich in welche Richtung usw. So kann man vielleicht erfolgreich Sportler, auch Tanzsportler theoretisch schulen. Aber der Tango Argentino ist kein Sport. Er ist ein volkstümlicher Tanz, der sich zur Kunst weiterentwickelt hat. Die gymnastischen und medizinischen Herangehensweisen sind allenfalls Hilfsmittel für hilflose Lehrer und für Schüler, die es gewöhnt sind, über den Verstand angesprochen zu werden. Ich will nicht bestreiten, dass es möglich sein kann, damit Erfolge zu erzielen, denn der Körper ist beim Tanzen ja zweifelsohne involviert. Aber diese Hilfsmittel sind letztlich Umwege übers "Aussen“, während doch zuvörderst das "Innen“ erreicht werden muss. Und wenn man von mir jetzt fordert: Dann sag doch, wie man es besser macht, dann kann ich nur sagen: Ich weiss es nicht. Ich denke, in Einzelarbeit mit nur einem Paar, das sich mir ganz anvertraut, könnte ich was schaffen, das in die richtige Richtung geht. Im Gruppenkurs unmöglich. 41 Der Mercado de la Abundancia (Bild oben) ist eine Markthalle im Zentrum von Montevideo – und noch viel mehr. Hier hat Joventango seinen Sitz. Eine Organisation, die für den Tango in Montevideo und darüber hinaus in ganz Uruguay Hervorragendes leistet. Unter anderem ist Joventango Organisator des jährlichen internationalen Tango-Festivals Viva el Tango, an dem Ulrike und ich dreimal als offizielles Tanzpaar teilgenommen haben. Eingeladen waren wir sogar viermal, aber 1998 hatten wir uns schon für den Cumbre in Lissabon entschieden und mussten auch noch im Herbst umziehen. Im Mercado de la Abundancia gibt es regelmässig Milongas bei loderndem Asado-Feuer und viele andere hochklassige Tango-Veranstaltungen. Diese Markthalle in Montevideo ist ein authentischer Schauplatz des Tangos am authentischen Ort. 42 Über das Festival Viva el Tango im allgemeinen und über das MegaFestival 1996 im Besonderen schreibt Joventango in seiner Homepage: [Auszugsweise inhaltliche Wiedergabe auf Deutsch] "…es (das Festival) vereinigt während zehn Tagen die renommiertesten Künstler vom Rio de La Plata und aus Ländern wie Deutschland, Australien, Österreich, Belgien, Brasilien, Canada, Kolumbien, Chile, USA, Spanien, Finnland, Frankreich, Japan, Peru, Venezuela und anderen. Der 3. Weltgipfel des Tangos im Jahr 1996, der Montevideo in die Kulturhauptstadt Südamerikas verwandelte und den "Mercado de la Abundancia“ in die Kathedrale des Tangos, war eine unserer [Joventangos] bedeutendsten Auszeichnungen seit unserem Bestehen und der Stolz der Stadt Montevideo, deren Strassen überfüllt waren mit einem enthusiastischen Publikum, das uns mit Freude und glühender Tangobegeisterung bei allen Aktivitäten des Programms begleitete, sowohl auf den öffentlichen Plätzen, als auch in den verschiedenen Theatern und auf den Schauplätzen in den Stadtvierteln.“ _________________________________________________ Unser erster Auftritt findet auf der ersten grossen Veranstaltung des Festivals nach der Eröffnung am Vortage statt, im Punta Carretas Shopping Center. Diese elegante Shopping Mall ist in einem ehemaligen Gefängnis, einer umgebauten Festung, eingerichtet und noch ziemlich neu. Der ganze Stolz der Montevideaner. Das ARD-Team ist unter der Leitung von Herrn Nuhn aus Buenos Aires herübergekommen, interviewt uns, besonders Ulrike, vor laufender Kamera und filmt unseren Auftritt, der vom Publikum mit lautstarker Zustimmung aufgenommen wird. Die Aufnahmen gehen kurze Zeit später in Deutschland über den Sender. Zum Schluss tanzen wir Chiqué, nach der Aufnahme des argentinischen Tangopianisten Osvaldo Pugliese und seinem Orchester. Pugliese ist erst im Jahr davor hochbetagt gestorben. Bevor wir be- 43 ginnen, erkläre ich dem Publikum, dass wir diesen Tango zu Ehren Osvaldo Puglieses tanzen. Nach unserem Auftritt kommen mehrere Leute zu uns, um uns zu sagen, wie sehr es ihnen gefallen hat. Es wird auch eine alte Dame zu uns geführt, die uns mit Tränen in den Augen und Küsschen links und rechts dankt. Es ist Señora Pugliese, die Witwe des grossen Maestros. Ein bewegender Moment für Ulrike und mich in unserem Tangueroleben. Ein paar Jahre später werden wir in Buenos Aires im ältesten historischen Tangocafé der Stadt, dem Café Tortoni, Beba Pugliese vorgestellt, der Tochter des Maestros, die auch eine berühmte TangoOrchesterleiterin ist. Leider haben wir nur den grossen Maestro selbst nie persönlich kennenlernen dürfen. Am Abend begegnen wir im Foyer des Teatro Solís, dem grössten und renommiertesten Theater der Stadt (Bild oben), einem hohen 44 Beamten des uruguayischen Aussenministeriums. Señor Pombo hatte sich schon nach unserem Auftritt im Punta Carretas Shopping Center mit uns bekannt gemacht und uns seine Anerkennung ausgesprochen. Jetzt lädt er uns ein, die Veranstaltung zusammen mit ihm und seiner Frau von ihrer Privatloge aus zu erleben. Wir danken für die Ehre und erleben in der Tat einen unvergesslichen Tangoabend mit dem argentinischen Quinteto Horacio Salgán. In 25 Jahren Tangopraxis haben Ulrike und ich zahlreiche hochklassige Tangoveranstaltungen in Buenos Aires, Montevideo und vielen anderen Städten in Europa miterlebt. Nicht wenige haben wir in Deutschland auch selbst mitgestaltet oder auch selbst veranstaltet. Von allen zu berichten, geht nicht. Aber diese, im Teatro Solís zu Montevideo, ist uns ganz besonders im Gedächtnis geblieben. Der legendäre argentinische Pianist Horacio Salgán, damals bereits über 80, und weitere ältere Herren, darunter der ebenfalls hoch berühmte Tangogeiger Antonio Agri, zeigen was Tango ist. Selten hat man Tango mit solcher Leidenschaft, einem solchen Feuer und solch einer brillanten, unbeschreiblichen Mischung aus musikalischer Tradition und Moderne gehört wie an diesem Abend. Ein Triumph des Tangos und der Alterslosigkeit. Der tosende Applaus im mehr als voll besetzten Theater will nicht enden. Auf einer Nebenbühne im Tratro Solís An einem Nachmittag sollen die eingeladenen Tanzpaare auf einer Nebenbühne im linken Flügel des Teatro Solís in einer kurzen Workshopsequenz dem Publikum ihre Art zu unterrichten demonstrieren. Als Ulrike und ich dran sind, sage ich unter anderem "die Frau weiss nie was kommt“. Diese Aussage, die ich natürlich noch präzisiere, erheitert das Publikum hörbar. Ein paar Tage später, an einem anderen Schauplatz des Festivals, kommt ein Mann auf uns zu und sagt, dass er bei unserer Demonstration im Teatro Solís dabei gewesen sei. Das Publikum hätte gelacht, aber das, was ich gesagt hätte, sei genau das Richtige gewesen. Wir sollten doch hier bleiben und Tango unterrichten. 45 46 Club Bohemios Es gehört zu den organisatorischen Details sowohl des Cumbre mundial del Tango, des "Tango-Weltgipfels“, als auch zum Festival Viva el Tango in Montevideo, dass die Künstlerinnen und Künstler, sofern sie nicht eine vorbereitete Show anbieten, für die verschiedenen Veranstaltungen von der Festivalleitung zusammengestellt werden. Die Tangoveranstaltung im Club Bohemios ist eine der gelungensten und rundesten, die wir jemals gemacht haben. Musiker sind die Sängerin Gillian und ihr Ehemann, der Bandoneonist Teddy Peiro aus London. Sie ist Engländerin, er Argentinier. Dazu kommen die beiden Uruguayer Fernando Olivera, Gitarrist, und der Sänger und Gitarrist Alfredo Sadi, der in Buenos Aires lebt. Ulrike und ich sind das Tanzpaar aus Deutschland. Es geht also im wahrsten Sinne international zu. Wir haben unsere Einlagen nach CD vorbereitet. Man muss aber immer darauf gefasst sein, dass zumindest ein gemeinsamer improvisierter Auftritt aller beteiligten Künstler stattfindet. An diesem Abend ist es wahnsinnig schwül, und dann geht ein furchtbares Gewitter nieder. Uns kleben die klatschnassen Klamotten auf der Haut und am Anfang ist auch noch das Mineralwasser knapp. Wir wissen nicht, wie wir den Abend durchstehen sollen. Schliesslich bringt jemand von den Organisatoren Mineralwasser, das wir in gewaltigen Mengen in uns reinschütten. Auf Wunsch der Organisatoren eröffnen Ulrike und ich das Programm. Wir tanzen zur Musik eines unserer Lieblingsmusiker: Osvaldo Pugliese. An dieser Stelle möchte ich einflechten, dass in Uruguay das Publikum eine Darbietung nie in Passivität verfolgt. Vielmehr verhält es sich wie Mitakteure. Man spürt förmlich hautnah die Reaktion, die man beim Publikum auslöst. An diesem Abend merken wir gleich zu Anfang, dass dieses Publikum noch intensiver mitgeht als sonst. Man spürt die Bewegung, es gibt kommentierende Zwischenrufe. Diese Interaktion mit dem Publikum inspiriert ungemein. Nach unserem ersten Tanz Riesenapplaus. 47 Dann sind die Musiker dran. Gillian singt bekannte Tangos auf Englisch, was beim Publikum ebenfalls sehr gut ankommt. Sie hat eine angenehme, ansprechende Stimme und ihre Interpretation bringt in die Tangos einen Hauch vom Sound angelsächsischer Barmusik. Nicht unattraktiv. Am besten klingt in diesem Stil Hasta siempre amor, was auf englisch unübertrefflich Good bye my love heisst. Das Publikum ist begeistert, genauso wie von den uruguayischen Künstlern. Nie habe ich Ventarron so ergreifend authentisch gehört wie von Alfredo Sadi, der diesen Tango ganz langsam singt, mit einer tiefen, sonoren Stimme. (Zwei Jahre später lernen wir in Buenos Aires die schöne Nichte des Komponisten von Ventarron kennen, die Schauspielerin Mónica Maffia). Ulrike und Eckart im Club Bohemios Foto oben und nächste Seite: Privatarchiv Fernando Olivera 48 Zwischendurch tanzen Ulrike und ich die vorgesehenen Einlagen, die mit heftigem Applaus quittiert werden. Am Schluss der Veranstaltung ist der Applaus stürmisch, gemischt mit lauten "Otra“-Rufen (Zugabe), und nun kommt es zum gemeinsamen improvisierten Auftritt aller Beteiligten. Das ist der Höhepunkt. Danach kennt das Publikum kein Halten mehr. Wir bekommen Standing Ovations. Viele Zuschauerinnen und Zuschauer kommen anschliessend in die Garderobe, um uns zu beglückwünschen. Felicitaciones allenthalben. Fotos werden gemacht .... Gillian, die in England auf eine lange Karriere im Showbusiness zurückblicken kann, spricht es aus, und wir alle stimmen ihr zu: Solche Aufführungen, die so rundum gelungen sind, wo alles stimmt, und man hinterher einfach glücklich ist, die gibt es nicht so oft… Internationales Tango-Festival in Montevideo. Backstage im Club Bohemios nach dem Auftritt. (Von links): Eckart Haerter (DE, Tanz), Gillian Peiro (UK, Gesang), Teddy Peiro (AR, Bandoneón), Ulrike Haerter (DE, Tanz), Fernando Olivera (UY, Gitarre). Leider fehlt auf dem Bild der grandiose Tangosänger Alfredo Sadi (UY). 49 50 Im Teatro Florencio Sánchez Der Cerro ist der "Hügel“ von Montevideo, die höchste Erhebung der Stadt, aber man muss schon genau hingucken, um die Stelle als Erhebung wahrzunehmen. Oben auf dem Cerro befindet sich ein kleines Militärmuseum mit schöner Aussicht. Im Teatro Florencio Sánchez, das im Stadtteil Cerro gelegen ist, haben wir einen erwähnenswerten Auftritt, denn die Sängerin des Abends ist Elsa Morán, eine der berühmtesten Tangosängerinnen Uruguays. Backstage macht sich ein sehr nettes Tanzpaar mit uns bekannt. Es sind Alain und Adriana, das Tanzpaar von Elsa Morán. Ulrike und ich werden an diesem Abend nach CDs tanzen, denn das Live-Orchester ist zur Begleitung von Elsa Morán da (Bild links). Als wir unseren Auftritt absolviert haben, warten wir in der Garderobe auf das Ende der Vorstellung, um ins Hotel zurückgebracht zu werden. Doch plötzlich kommt ein Mitarbeiter der Regie in die Garderobe und bittet uns, ganz schnell wieder auf die Bühne zu kommen. Wir sollen zusammen mit Elsa Morán auftreten, da Alain und Adriana wegen einer unerwarteten Unpässlichkeit nicht tanzen können. Elsa Morán befindet sich bereits auf der Bühne und hat schon mehrere Tangos gesungen. Als Ulrike und ich die Bühne betreten, ist der Beifall des Publikums betont und spürbar herzlich, und was dann kommt, ist wieder einer dieser wunderbaren, ungeprobten Auftritte wo alles stimmt. Livemusik und tänzerische Improvisation, das lebendige Zusammenwirken zwischen Sängerin, Musikern, Tänzern und nicht zuletzt auch dem Publikum. In einer Gesangspause, als nur das Orchester spielt, sehen wir zufällig, wie Elsa Morán mit dem Mikrofon 51 in der Hand, unserer Tanzimprovisation strahlend zuschaut. Der Schlussapplaus des Publikums ist sehr temperamentvoll. Im Foyer des Theaters erwartet uns ein Kamerateam des argentinischen Tangosenders "Sólo Tango“ aus Buenos Aires, das im Saal alles gefilmt hat. Jetzt werden noch die Künstler des Abends interviewt. Die letzte Frage an mich lautet, was bedeutet für Sie der Tango, und ich sage spontan was für uns beide gilt: "es mi vida“, er ist mein Leben. Später erfahren wir, dass Sequenzen unseres Auftritts und des Interviews mit Ulrike und mir in Buenos Aires ausgestrahlt worden sind. Damals können wir noch nicht ahnen, dass wir 2005 in Sevilla vor laufender Kamera sogar für Sólo Tango singen werden, aber das ist eine andere Geschichte… Am folgenden Samstag hat Elsa Morán noch einen Auftritt vor dem Mercado del Puerto, dem alten Markt am Hafen. Der Hafenmarkt ist ein berühmter und beliebter Wochenend-Treffpunkt der Montevideaner, wo man draussen unter Sonnenschirmen an Tischen sitzen kann oder drin an unzähligen Theken bei riesigen Mengen Rotwein, Rindfleisch und Salat. Natürlich wird das Fleisch auf lodernden Holzkohlefeuern gegart. Draussen in der Sonne treten Tangosänger, Musiker und Tänzer auf, kurz: hier pulsiert das pralle Tangoleben. Für Elsa Morán und die Musiker ist eine hohe Bühne aufgebaut, damit sie von überall her gut gesehen werden können. Und auf der Bühne tanzen Alain und Adriana, die kürzlich im Teatro Florencio Sánchez ihren Auftritt absagen mussten, und denen wir dadurch einen unserer schönsten improvisierten Auftritte am authentischen Ort, vor einheimischem Publikum und zur Livemusik einheimischer Musiker verdanken. Als Elsa Morán uns zufällig in der Menge entdeckt, winkt sie uns von oben strahlend zu. Es ist diese familiäre Herzlichkeit unter den Tangokünstlern In Montevideo, die einen hier so leicht heimisch werden lässt. 52 53 Abstecher nach San José Es giesst schon seit Stunden, und kein Ende ist abzusehen. Der Himmel hängt voller schwerer schwarzer Wolken. Vor dem Hotel in Montevideo wartet der Bus, der uns und das Berliner Orchester Tango Real nach San José bringen soll. Die Fahrt durch die platte grüne Landschaft unter dem gewaltigen grauen Himmel erinnert mich an die norddeutsche Heimat meiner Kindheit. Wenn die grandiose Eintönigkeit nicht hin und wieder durch eine Palme unterbrochen würde, könnte man sich nach Ostfriesland versetzt fühlen. San José (voller Name eigentlich: San José de Mayo) ist ein blitzsauberes Städtchen, wo Ulrike und ich, jetzt zur belebtesten Tageszeit, eigentlich einen Open-Air-Auftritt haben sollten. Auf den Auftritt haben wir uns sehr gefreut, denn tanzen in engem Kontakt zum Publikum, hat sich für uns immer als sehr erfolgreich erwiesen. Aber daran ist bei den unvermindert herabstürzenden Wassermassen leider nicht zu denken. Die Stadt hat nur ca. 36.000 Einwohner aber ein Theater, das Teatro Macció, dessen Saal nicht kleiner ist als der Saal des Deutschen Theaters in Göttingen. Auch in Form und Farben sind sich beide Theatersäle verblüffend ähnlich. Als wir backstage auf unseren Auftritt warten, bemerken wir plötzlich eine Gedenktafel, die besagt [Zitat möglicherweise nicht wortgetreu]: Acá Carlos Gardel brindó su último recital en el país antes de morir... (Hier hatte Carlos Gardel seinen letzten Auftritt in Uruguay vor seinem Tod...) Das war Tango total. Der Anprall geballter Tangogeschichte. Wir durften auf derselben Bühne tanzen, auf der vor 63 Jahren Carlos Gardel gesungen hat. 54 In der Garderobe macht sich Malena Muyala, eine junge uruguayische Tangosängerin mit uns bekannt. Sie ist mit zwei Musikern und Familienangehörigen gekommen. Malena ist uns in ihrer offenen, natürlichen Art auf Anhieb sympathisch. Ihr späterer Auftritt ist sehr beeindruckend. Sie ist eine hochtalentierte, sehr ausdrucksstarke Tangointerpretin, die inzwischen verdientermassen auf eine steile Karriere zurückblicken kann. Sie ist heute eine der bedeutendsten und geehrtesten Tangokünstlerinnen Uruguays. Das Bild oben (Foto gemeinfrei aus Wikipedia) ist von 2009. Ulrike und ich sind allerdings von den schlimmen Bühnenverhältnissen entsetzt. Unsere vorbereitete Choreographie können wir auf dem klebrigen, leicht abschüssigen Boden nicht tanzen. Die Techniker spielen uns als Alternative verschiedene langsamere Tangos vor, aus denen wir uns einen finnischen aussuchen, der erst am Vortag bei einem Live-Auftritt der finnischen Musiker aufgenommen worden ist. Aufgrund seiner dunkeltönigen Behäbigkeit erscheint uns dieser Tango für diese Bühne besonders geeignet; er erweckt die Vorstellung von undurchdringlichen finnischen Nadelwäldern. Fürs Publikum ist diese Darbietung verständlicherweise ein wenig gewöhnungsbedürftig. Indes "ernten wir Applaus“ wie El País, Uruguays grösste Tageszeitung, später anmerkt. 55 Natürlich habe ich auch die Musiker des (hervorragenden) deutschen Tango-Orchesters Tango Real gefragt, ob wir nicht wenigstens einen Tango gemeinsam aufführen wollen, sozusagen als gesamtdeutschen Beitrag. Aber dieses, offenbar ungeheuerliche, Ansinnen wird von den Musikern rundweg abgelehnt. Die uruguayischen Organisationsmitarbeiter können es nicht fassen. _________________________________________________ Aber die Geschichte hat noch ein Nachspiel. Zwei Jahre später, auf dem Tango-Weltgipfel in Lissabon, sind Ulrike und ich wieder dabei und auch Tango Real. Aber hier wird von der argentinischen FestivalLeitung im Programm festgelegt, dass alle Showtanzpaare zusammen, also auch Ulrike und ich, auf der Bühne des Teatro da Trindade, einen gemeinsamen Auftritt mit Tango Real tanzen - improvisiert. Für uns eine "klammheimliche“ Gaudi, und ich sage scheinheilig zu den Musikern, nun kommen wir ja doch noch in den Genuss, einmal mit Tango Real auftreten zu dürfen. Aber die stellen sich ganz dumm: „Ja, war denn das nicht schon mal…?“ Es wurde ein schöner Auftritt aller Tanzpaare, zumal wir die Ehre hatten, uns mit der Tango-Tänzerinnen-Legende Maria Nieves die Bühne zu teilen. Über das Lissabonner Festival habe ich an anderer Stelle schon ausführlicher berichtet. ____________________________________________________ 56 Nach dem Tangoabend im Teatro Macció in San José ist in einem landestypischen Restaurant, dem Theater schräg gegenüber gelegen, eine lange Tafel gedeckt und das Asado-Feuer lodert. Hier feiern jetzt alle beteiligten Organisationsmitarbeiter, Techniker und Künstler den Erfolg bei Rotwein, Rindfleisch und Salat. Asado, Rindfleisch jeder Art, gegart auf riesigem Holzkohlegrill, ist das Nationalgericht in Argentinien und Uruguay. Unsere Runde ist ausgelassener Stimmung und die Uruguayer, deren Fleischkonsum (wie der der Argentinier) Weltspitze ist, machen sich in selbstironischer Weise über uns Deutsche lustig wegen unserer "Gesunde-Ernährung-Manie“. 57 58 Noch einmal im Punta Carretas Shopping Center (Bild vorige Seite) Es ist ein strahlender Tag, aber wie so oft in Uruguay bläst ein starker Wind und deshalb ist es nicht besonders warm. Wie im Vorjahr haben wir wieder einen Auftritt im Punta Carretas Shopping Center. Aber diesmal nicht im Saal, sondern open Air auf einer hohen Bühne. Der Innenhof ist voll besetzt. Mehrere Leute kommen schon vor unserem Auftritt zu uns, um uns zu sagen, dass sie uns schon vom vergangenen Jahr her kennen und wie sie sich freuen, uns wieder tanzen zu sehen. Der Applaus für unser Tanzen ist herzlich und stürmisch. Am Ende verlangt das Publikum mit lauten Otra-Rufen eine Zugabe, und wir bitten das uruguayische Trio Tango Sur, das hier ein Tango-Konzert gibt, für uns einen Tango zum Tanzen zu spielen. Sie schlagen Canaro en Paris vor. Die Schlussfigur dieses Tangos, die mit einer starken Windböe zusammenfällt, hat die Kamera des Festivals festgehalten (Bild übernächste Seite). _________________________________________________ Anmerkung: Ulrike und ich haben nie, wenn uns vor einem spontanen, nicht geprobten Auftritt ein bestimmter Tango vorgeschlagen wurde, abgelehnt oder um die Musik gefeilscht, auch wenn uns der Tango vielleicht nicht sonderlich geeignet schien. Das hätten wir für unprofessionell gehalten. Zudem konnten wir ja nicht wissen, ob die Musiker einen von uns gewünschten Tango im Repertoire haben. Ein solches Beispiel ist Canaro en Paris. Ein musikalisch sehr anspruchsvoller und sehr schöner Tango, der meist in der grandiosen Interpretation von Osvaldo Pugliese gespielt wird (die mit der markanten schnellen Kontrabass-Sequenz). Aber als Musik für einen Auftritt hätten wir ihn selbst nicht gewählt. Diesen Tango komponierte ein Komponisten-Duo: Juan Caldarella (1891 – 1978) und Alejandro Scarpino (1904 – 1970) 59 Beim Cumbre 2005, dem Tango-Weltgipfel in Sevilla, sollten wir auf der Vor-Eröffnungsveranstaltung für die Medien, auf einer kleinen Bühne im weitläufigen Vestibül des Teatro Lope de Vega, einen Auftritt improvisieren – nach CD, die in einem anderen Raum, ohne Sichtkontakt zu uns, aufgelegt wurde. Die Festivalleitung wünschte sich eine Milonga, was wir gerne zusagten. Welche, würden wir dann ja hören. Die Musik begann, und was wurde gespielt – keine Milonga, sondern Canaro en Paris. Natürlich waren wir etwas wütend. Am Schluss sagte Horacio Rebora, der argentinische Direktor des Festivals, trocken: das war keine Milonga. Nein, sagten wir, das war Canaro en Paris. Nichtsdestotrotz schrieb die Zeitung Qué am nächsten Tag über unseren unglücklichen Auftritt, wir wären "zweifellos bahnbrechend“ gewesen: "Ulrike y Eckart sin duda han roto moldes…“ Das hat uns dann wieder versöhnt mit Canaro en Paris. _________________________________________________ Bild oben; Ausgeschnittenes Zitat aus der Zeitung Qué, Sevilla _________________________________________________ 60 Improvisierter Auftritt zu Livemusik (Canaro en Paris) - Schlussfigur mit Windböe 61 Im Cabildo Das historische Cabildo (Bild unten) entspricht etwa unserem "alten Rathaus“. Auch in Göttingen wird das historische alte Rathaus unter anderem für kulturelle Veranstaltungen genutzt. In Montevideo ist das Cabildo zudem ein kleines historisches Museum. Der geschichtsträchtige Ort und die ästhetische architektonische Strenge der Innenräume tragen ausserordentlich zur Stimmung einer Tangoveranstaltung bei (s. Bild nächste Seite). Hier finden die Auftritte am Nachmittag statt. Wir tanzen wieder zunächst eine Choreographie nach CD, danach Improvisationen zum Orchester von Julio Brum. Julio ist ein Tango-Liedermacher der jüngeren Generation, der seine Tangos als Sänger auch selbst interpretiert. Sehr lyrisch und versponnen, mit einem eigenwilligen, ungewohnten, dunklen Klang. Es scheint aber, als hätte Julio Brum sich später anderen Musikstilen zugewandt. Eigentlich schade, denn seine Musik bot eine bisher nicht dagewesene Farbschattierung aus Montevideo im unerschöpflichen Spektrum der Tangomusik. 62 Improvisierter Auftritt zu Livemusik – Schlussfigur 63 Tangolokale Ähnlich wie Deutschland und Österreich verstehen sich Argentinien und Uruguay ethnisch und kulturell als Einheit. Das bedeutet aber nicht, dass man den Tango vom Rio de La Plata gut kennt, wenn man nur eine seiner Geburtsstädte kurz besucht hat. Die Unterschiede sind beträchtlich, und allein für die Erkundung des Tangos in Buenos Aires könnte man etliche Wochen ansetzen. Das typische montevideanische Ess- und Showlokal Rancho Zeta ist ziemlich klein und buchstäblich gerammelt voll. Der Stimmung tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil. Die Gäste sitzen an langen Tischen (wegen der Fülle ziemlich eingepfercht), trinken und unterhalten sich lautstark. Und die wichtigsten Künstler des Abends warten nicht etwa unsichtbar in einer Garderobe auf ihren Auftritt, sondern sitzen mit anderen Ehrengästen aus der Tangoszene an einem reservierten Tisch zwanglos mitten drin. Mit an diesem Tisch sitzt, in formeller Kleidung, auch der Geschäftsführer des Lokals und isst und trinkt mit uns nach Herzenslust. Das Mikrofon liegt griffbereit neben seinem Teller. Er erhebt sich nur, wenn er von der Mitte der Tanzfläche aus, auf der auch die Vorführungen stattfinden, die nächste Nummer anzukündigen hat. Manchmal bleibt er aber auch einfach sitzen und macht seine Ansage vom Tisch aus, damit das Essen nicht kalt wird ... Die Show des Abends ist vielseitig und in ihrer ungezwungenen Art so sympathisch wie ganz Montevideo. Zuerst tanzt eine Tanzgruppe Tänze der Pampa, darunter den berühmten Malambo, wo Gauchos gefährlich mit den Boleadoras wirbeln und ihre Kugeln in rasendem Stakkato auf den Fussboden hämmern, während dumpfe Trommeln dröhnen und junge Mädchen mit ihren hübschen Körpern einen liebreizenden Akzent setzen. Mehrere Tangosängerinnen und Sänger singen bekannte Tangos und ein argentinischer Bandoneonspieler lässt sein Instrument elegisch schluchzen. Dann tanzt sehr schön ein junges uruguayisches Tangotanzpaar. 64 Auch das Publikum bekommt zwischendurch Gelegenheit zu tanzen. Schliesslich, als vorletzter Programmpunkt, sind Ulrike und ich an der Reihe. Es wird für uns eine CD von Miguel Villasboas aufgelegt. Der Maestro selbst sitzt neben uns am Tisch und ist sehr gespannt, weil er weiss, dass nichts vorgeübt ist, dass wir alles improvisieren. Er schlägt den Tango Felicia vor. Natürlich sind wir einverstanden. Danach zeigt das Publikum im Rancho Zeta ohne Zurückhaltung, dass unsere Interpretation von Felicia sehr gut angekommen ist. Auch hier kommen am Schluss der Veranstaltung noch viele Zuschauer zu uns, um uns etwas Freundliches zu unserem Auftritt zu sagen. Olga Delgrossi Foto © Tacuy.com Die letzte Nummer der Show ist dann zugleich auch der Höhepunkt des Abends. Olga Delgrossi, die grosse alte Dame des Tango Canción in Uruguay, singt Nostalgias, live begleitet von dem argentinischen Bandoneonspieler Gabriel Merlino. Es ist eine grossartige Interpretation, wie man sie nur sehr selten zu hören bekommt. Ein Tangoerlebnis. Die hohe Kunst der gesungenen Tangointerpretation. Laute Ovationen am Schluss. 65 Felicia Morgenröte über Montevideo Zum Tango Felicia haben Ulrike und ich eine persönliche Beziehung. Für uns war die Felicia nämlich "der letzte Tango in Montevideo", der Tango unseres letzten öffentlichen Auftritts dort. Es war eine kleine, intime Veranstaltung in einem Restaurant mit Tanzfläche. Das Lokal knüppelvoll. Unter den Gästen befanden sich viele berühmte Tangokünstler, darunter Miguel Villasboas. Unvergesslich die hohe Tangokunst, als die grosse alte Dame des uruguayischen Tangos, die weltberühmte Olga Delgrossi, Nostalgias sang. Den Abend habe ich im vorigen Kapitel beschrieben. Ulrike und ich sollten als vorletzte Nummer des Showprogramms, wie immer ungeprobt, einen Tango tanzen - diesmal freilich nach einer CD von Miguel Villasboas. Miguel schlug Felicia vor und legte uns selbst die CD auf.. 66 Den folgenden Tangotext mit dem Titel Felicia (ein Frauenname) könnte man nach einer Stelle in seinem Text als insondable enigma (unergründliches Rätsel) bezeichnen. So wollen wir uns denn an das Mysterium herantasten. Da ist zunächst der Titel "Felicia", der Name einer Frau. Aber im Text ist von keiner Frau die Rede. Lediglich der Hinweis auf einen Abend der Verzweiflung. War das das Ende einer Liebesbeziehung? Wir können es nur erahnen. Stattdessen verrät uns der Autor, dass er eine bestimmte abgelegene Stelle der Küste aufzusuchen pflegte, wo er das Spiel der Wellen beobachtete, die ihm Trost brachten, wenn er dort mit sich allein sein Leid beweinte. Später erfahren wir, dass er offensichtlich seine uruguayische Heimat verlassen hat, mit der Gewissheit, nie mehr zurückzukehren. Mehrmals ist von seinen Augen die Rede, in denen verschiedene Bilder ablaufen. Es sind die hartnäckigen Bilder seiner Erinnerung, die abwechselnd vor seinem inneren Auge erscheinen: das Grauen des verzweifelten Abends und das Meer als Trost; die Morgenröte seiner Heimat, an der er nicht mehr teilhaben kann, selbst wenn das Morgenrot der Fremde oder der Erinnerung ihm blendend in die Augen tritt. Das Gedicht schliesst resigniert, indem der Autor ganz vom Gesichtssinn ablässt und ihm nur noch die Erinnerung an die betörenden Düfte der uruguayischen Blumen verbleibt. Auch dieses Bild sowie in der ersten Strophe die Metapher von den "eigenwilligen Launen" der Wellen, könnte man als versteckte Anspielung auf eine Frau verstehen. Aber das ist blosse Spekulation. Was wir allerdings sicher wissen, ist, dass sowohl der Textautor dieses sehr bekannten und beliebten Tangos, Carlos Mauricio Pacheco, als auch der Komponist Enrique Saborido, Uruguayer waren. Uruguayer, die ihren Erfolg als Künstler in der argentinischen Metropole Buenos Aires suchten und fanden. Leider verliert Uruguay bis heute viele seiner besten Menschen, weil ausserhalb der Heimat einfach bessere Arbeitsbedingungen bestehen. Die Schwesterstadt Buenos Aires ist nicht weit, ist riesengross, und man spricht dieselbe Sprache. Deshalb ist Buenos Aires oft, besonders auch für Tangokünstler, die erste Anlaufstelle. 67 Vom Tango Felicia sind mir drei verschiedene Interpretationen geläufig. Die erste vom Orchester Juan D'Arienzo (1900 - 1976). D'Arienzos Tangomusik gehört bis auf den heutigen Tag in Argentinien und Uruguay zur beliebtesten Tango-Tanzmusik. D'Arienzo wurde auch mit dem Beinamen El rey del compás ("König des Takts") geehrt. Auch aus unserem Tangounterricht ist seine Musik nicht wegzudenken. Eine andere Interpretation von Felicia ist die des Orchesters Lucio Demare (1906 - 1974). Auch Demares Musik ist nach wie vor sehr lebendig. Felicia spielt er extrem langsam und besonders ausdrucksstark. Im krassen Gegensatz dazu spielt das uruguayische Orquesta típica Miguel Villasboas Felicia sehr schnell und temperamentvoll. Villasboas ist Pianist und leitet das beliebteste Tangoorchester Uruguays. Als Tangomusiker ist er hoch geehrt. Er hat in Brasilien, den USA, in Japan und Australien konzertiert und zahllose Tonträger eingespielt. Villasboas hat sich nie von der lebendigen Basis des Tangos entfernt und immer für Tänzer gespielt. Für Tangoorchester unserer Zeit ist das durchaus keine Selbstverständlichkeit. 68 Felicia (Tango) Música: Enrique Saborido (1877 - 1941) Letra: Carlos Mauricio Pacheco (1881 – 1921) Allá en la costa apartada donde cantan las espumas el misterio de las brumas y los secretos del mar, yo miraba los caprichos ondulantes de las olas llorando mi pena a solas: mi consuelo era el mirar. Desde entonces en mi frente como un insondable enigma llevo patente el estigma de este infinito pesar. Desde entonces en mis ojos está la sombra grabada de mi tarde desolada: en mis ojos está el mar. Ya no tendré nunca aquellos tintes suaves de mi aurora aunque quizás se atesora toda su luz en mis ojos. Ya nunca veré mis playas ni aspiraré de las lomas los voluptuosos aromas de mis flores uruguayas. 69 Montevideo. Blick auf den Rio de La Plata, davor die Rambla, die Uferstrasse. Das Denkmal zeigt den südamerikanischen Unabhängigkeitskämpfer von der spanischen Herrschaft Simón Bolívar (1783 – 1830) 70 Felicia (Tango) Música: Enrique Saborido (1877 - 1941) Letra: Carlos Mauricio Pacheco (1881 – 1921) Dort, an der abgeschiedenen Küste, wo die Gischt singt vom Mysterium des feinen Sprühnebels und von den Geheimnissen des Meeres, schaute ich mir immer die eigenwilligen Launen der Wellen an. Und mit mir allein, beweinte ich mein Leid: Mein Trost war das Schauen. Seit damals trage ich unverkennbar auf der Stirn, wie ein unergründliches Rätsel, das Zeichen dieses unendlichen Kummers. Seit damals liegt eingeprägt vor meinen Augen das Dunkel meines verzweifelten Abends: In meinen Augen liegt das Meer. Nie mehr wird mich das sanfte Farbspiel meiner Morgenröte erfreuen, auch wenn sich vielleicht all ihr Licht vor meinen Augen sammelt. Nie mehr werde ich meine Strände sehen und nie mehr von den Hügeln die betörenden Düfte meiner uruguayischen Blumen atmen. 71 Abstecher nach Buenos Aires Nur wenige Tage nach unserem Auftritt im Rancho Zeta in Montevideo sitzen wir in Buenos Aires mit Acho Manzi, dem Sohn des Tangodichters Homero Manzi, in seinem Tangolokal Esquina Homero Manzi "Homero-Manzi-Ecke“ (Bild unten). Dieses Lokal steht an der historischen Ecke der Strassenkreuzung von San Juan und Boedo, die Homero Manzi in seinem Tango Sur verewigt hat. Sur mit der Musik von Aníbal Troilo ist Manzis berühmtester und wohl auch bester Tango. Die Ecke ist, wie das Lokal, nach dem Tangodichter benannt. Tagsüber ist die Esquina Homero Manzi ein normales Café und Restaurant, abends werden dort auf der Bühne Tangoshows auf hohem bis höchstem Niveau geboten. Die Esquina Homero Manzi ist ein sehr schönes Lokal und gehört in Buenos Aires zweifellos zur sehr gehobenen Kategorie. Es hat den für ein Tangolokal traditionellen 72 schwarz-weiss gefliesten Fussboden und eine Galerie, auf der ein kleines Homero-Manzi-Museum eingerichtet ist. dort kann man aber auch wie auf dem Rang eines Theaters sitzen. Unten im Saal an der Theke werden verschiedenste, zum Teil sehr schöne Souvenirs verkauft. Unter anderem auch mein Buch "Ecken in Buenos Aires“ mit deutschen Übersetzungen von Tango-Poemen Homero Manzis. Essen und Wein sind, wie nicht anders zu erwarten, exzellent. Und was auf der Bühne abläuft, ist eine der perfektesten Tangoshows, die Ulrike und ich je gesehen haben. Absolute Weltspitzenklasse. Das Live-Orchester in der typischen Besetzung Klavier, Geige, Bandoneon und Kontrabass spielt technisch perfekt, virtuos und leidenschaftlich im Ausdruck. Alle sind herausragende Musiker, denen zuzuhören keine Minute langweilig wird. Eine Sängerin und ein Sänger, ebenfalls sehr gut, und zwei Tanzpaare, die eine Tanzshow bieten, die höchstklassig ist in ihrer technischen Perfektion und choreographischen Vielfalt. Showtango vom Allerfeinsten, was auch für Buenos Aires nicht immer selbstverständlich ist. Obwohl die Tanzdarbietungen weitestgehend frei sind von zirzensischen und Ballett-Elementen, ist es letztlich unvermeidlich, dass bei solch hochartifiziellen, durchchoreographierten Shows, die Abend für Abend in der gleichen Weise ablaufen, etwas vom Sentido, von der inneren Wahrheit des Tangos auf der Strecke bleibt. Auch dies gehört zur Unerfassbarkeit und Widersprüchlichkeit des Tangos, dass er zur choreographierten Show animiert wie kein anderer Tanz, obwohl sein eigentliches Wesen die Improvisation ist. Wenn der Dinnerund Show-Abend (Cena y Show) in Montevideo schon fast einer Peña glich, also einem Tangoabend unter Freunden, dann strahlt der Abend in Buenos Aires eine gewisse Kühle aus. Zumal hier der Moderator des Abends, anders als in Montevideo, nicht mit im Publikum sitzt. Er kommt auch nicht auf die Bühne, sondern hier tönt die gesamte Ansage der Show stets nur aus dem Off. Die konzentrierte, fast zweistündige Show ohne Pause, dazu auf höchstem Niveau, ist neben der grandiosen künstlerischen natürlich auch eine stupende physische Leistung aller beteiligten Künstler. Aber ein Moderator ist nie zu sehen. Das Publikum wird nicht ein einziges Mal direkt angesprochen. 73 Ähnliche Shows, mit einem ähnlich distanzierten Ambiente, haben wir in Buenos Aires auch schon in früheren Jahren gesehen. Aber auch in Buenos Aires gibt es intimere Tangolokale. Die Vielseitigkeit der Tangoszene in der Weltmetropole des Tangos ist nicht zu überbieten. Das Spektrum reicht von klein, intim und verrückt bis zu bombastischen Showtempeln. Die Esquina Homero Manzi hat eine sehr angenehme Atmosphäre, weil sie nach keiner Seite hin übertreibt. Auf die fast familiäre Atmosphäre, die wir so oft in Montevideo genossen haben, müssen wir aber an diesem Abend auch in Buenos Aires nicht verzichten, denn Ulrike und ich sitzen am Ehrentisch zusammen mit Acho Manzi, seiner Frau Marilú und ihrem Töchterchen Malena, die damals gerade erst laufen lernte. Die Homero Manzi Ecke in Buenos Aires ist eine der wichtigsten Tangoecken überhaupt. Der traditionelle Fussboden eines Tangolokals ist schwarz-weiss gefliest, wie hier in der Esquina Homero Manzi. 74 Montevideo: Angler an der Rambla, der Uferstrasse 75 Raúl Montero Der Sänger, Tangokomponist und Textdichter Raúl Montero (Bild unten), ebenfalls aus Montevideo, bietet mit seiner Musik einen solchen Kontrast zur Musik von Miguel Villasboas, wie man ihn sich krasser nicht vorstellen kann. Raúl Montero ist ausgebildeter Opern- und Liedersänger (Schubert, Schumann). Dennoch kommt ein uruguayischer oder argentinischer Sänger natürlich um den Tango nicht herum. So ist Raúl Montero schliesslich doch hauptsächlich Tangosänger geworden, der auch viele Tangos komponiert und zum Teil auch getextet hat. Dabei sind ihm wunderschöne Tangolieder mit enger Verwandtschaft zur klassischen Musik gelungen. Eine einzigartige Tangomusik, zu der es auch in Buenos Aires nichts Vergleichbares gibt. Darin zelebriert Montero eine lustvolle Melancholie, oftmals zu den teils kryptischen Texten des uruguayischen Dichters Enrique Estrázulas. An Tänzer denkt Raúl Montero mit seinen Kompositionen nicht. Braucht er auch nicht, denn auch ihm liegt der Rhythmus im Blut und viele seiner Tangos lassen sich fantastisch tanzen. Viele aber auch nicht, oder besser gesagt, manche seiner Tangokompositionen setzen ein sehr fortgeschrittenes tänzerisches Können voraus. Aber Tangos wie Magalí oder Hojas de Otoño (Herbstblätter) sind ein Fest sowohl für die Ohren, als auch für Beine und Gemüt. Obwohl wir mit Raúl Montero sehr gut befreundet sind und schon so manchen Abend bei Rindersteaks und gutem Rotwein miteinander verbracht haben, hat sich nie die Gelegenheit zu einem gemeinsa- 76 men Auftritt ergeben. Dabei ist Raúl in den 80er Jahren, als wir uns noch nicht persönlich kannten, sogar schon in Göttingen aufgetreten, im Nörgelbuff, einem berühmten Göttinger Kellerlokal, als Trio zusammen mit Miguel Fernández (Bandoneon) und Toto Blanke (Gitarre). Wir waren dabei und erlebten einen hoch musikalischen und stimmungsvollen Tangoabend mit Tangokünstlern der Spitzenklasse. Bild oben: Ulrike und Raúl im Restaurant Danubio Azul (Blaue Donau) in Montevideo. _________________________________________________ Dennoch haben wir mit Raúl sehr intensiv zusammengearbeitet, wenn auch nicht tänzerisch. Mit zwei Publikationen, online im Internet und gedruckt, haben wir von ihm gesungene Tangolieder im Original und in meiner deutschen Übersetzung veröffentlicht. Darunter natürlich Raúls Hymne, Canción del Plata, "das Lied vom La Plata”. 77 Canción del Plata (Letra y música: Raúl Montero) Dos ciudades una en cada orilla por el Plata abrazadas las veo Buenos Aires y Montevideo con un tango y con la Cruz del Sur. Es un canto que va por el agua con notas de esperanza azul Melodía de viento y oleaje fueyes, violines, llenos de luz. Canto de amor... Canción de gaviotas y de sol Juntos los dos, sumergidos en este ensoñación. Vamos así, cruzando este río como mar... Toda la emoción siento en el pecho palpitar Y al regresar me hablarán las estrellas de vos un canto de amor porteño y oriental... Y porque tanto nos parecemos y por igual tantas cosas compartimos, muchas broncas tuvimos y tenemos como todos los hermanos queridos. Toda una es nuestra gente, nuestra historia las banderas son del mismo color.... Nos trenzamos en la tarde futbolera y lloramos al son del bandoneón. Canto de amor etc.... 78 Das Lied vom La Plata (Text und Musik: Raúl Montero) Zwei Städte, an jedem Ufer eine, umarmt vom La Plata, so sehe ich Buenos Aires und Montevideo mit einem Tango und dem Kreuz des Südens. Es ist ein Lied, das mit dem Wasser strömt, mit Tönen blauer Hoffnung. Melodie des Windes und der Brandung, Bandoneone, Geigen, alles voller Licht. Ein Liebeslied... Gesang von Möven und von Sonne. Gemeinsam sind beide in diesem Tagtraum erschienen. So lasst uns denn den Fluss, der wie das Meer ist, überqueren... Alles Gefühl spür ich, wie es aufwallt in der Brust Und beim Wiederkehrn erzählen mir die Sterne über dir ein Liebeslied: "Porteño und Orientale“ … Und weil wir uns so gleichen und miteinander zahllose Dinge teilen, hatten und haben wir so manchen Zoff, wie alle Brüder, die sich lieben. Wir sind vom gleichen Volk, haben dieselbe Geschichte, auch sind die Farben unserer Flaggen gleich. Wir sind ausgelassen am Fussballnachmittag und weinen beim Klang des Bandoneon. Ein Liebeslied usw.... 79 Das Tangolied Canción del Plata stammt von der gleichnamigen, herrlichen CD Raúl Monteros: Raúl ‚Ciruja’ Montero: Canción del Plata. Tabaré Records Montevideo. Registro AGADU: RM 1929-2. Diese CD ist ein Meisterwerk, ein Gesamtkunstwerk des Tangos aus Musik, Texten und Gesang. Mit dem Titellied schuf Raúl Montero in Musik und Text eine Hymne auf seine Heimat am Rio de La Plata, in der er mit betörender Musik die uruguayische und die argentinische Hauptstadt als kulturell und menschlich zusammengehörig besingt. _________________________________________________ Anmerkung zu Porteño y oriental : Der Hafen (Puerto) Argentiniens ist Buenos Aires. Und stolz nennen sich deren Einwohner Porteños ("die vom Hafen“ oder "Hafenbewohner"). Uruguay ist die "Republik östlich des Flusses Uruguay“. Der offizielle Name lautet: República oriental del Uruguay. Vergleichbar dem deutschen "Ossi" und "Wessi", das man nur schwer in gleicher Griffigkeit in andere Sprachen übersetzen kann, sind hier mit der am Rio de La Plata geläufigen Formel "Porteño y oriental" die Menschen und Dinge in Buenos Aires und Montevideo gemeint] 80 Foto © Gelem Habiaga Raúl Montero und Eckart Haerter in Raúls Haus in Montevideo im Stadtteil Punta Carretas _________________________________________________ Der folgende Tango aus Montevideo ist dem grossen uruguayischen Tangodichter Horacio Ferrer und seiner Lebensgefährtin Lulú gewidmet. Solo de Tango, das "Tangosolo", ist einmal mehr in Musik und Text ein Meisterwerk zur Feier der Melancholie. Ein Tango, den ich ganz besonders schätze. 81 Solo de Tango (Tango) Música: Raúl Montero Letra: Ignacio Suárez a H. Ferrer y Lulú Yo conozco esos días de una pena infinita Como un pozo de niebla aquí en el corazón Como un solo de tango violín de la memoria grisa/zules del alma en una cerrazón Hay días que lloviznan los nombres del pasado en los fríos vacíos que la vida dejó Sobrevolando oscuras bandadas de tristezas con las alas heladas de adioses sin adiós Hay días que la vida golpea nuevamente Con retumbar de clavos en el viejo dolor Y uno otra vez pregunta e inclina la cabeza abandonado y solo a la buena de Dios 82 Montevideo. La Rambla, die Uferstrasse in der Stimmung des "Tangosolos" 83 Tangosolo (Tango) Musik: Raúl Montero Text: Ignacio Suárez für H. Ferrer y Lulú Ich kenne diese Tage mit einem unendlichen Kummer. Wie eine Grube voller Nebel hier in meinem Herzen. Wie ein Tangosolo die Violine der Erinnerung, Blaugrau der Seele in einer dunklen Wolke. Es gibt Tage, da regnen die Namen der Vergangenheit in die kalte Leere, die das Leben hinterliess. Dunkle Schwärme der Traurigkeit fliegen darüber mit Flügeln, die vereist sind von den Abschieden ohne Lebwohl. Es gibt Tage, wo das Leben noch einmal dumpf und dröhnend zuschlägt in den alten Schmerz hinein. Und man fragt wieder einmal mit gesenktem Kopf, verlassen und allein, nach gar nichts mehr 84 Memoria de Punta Brava (Milonga tangueada) Música: Raúl Montero Letra: Enrique Estrázulas - Raúl Montero Cuña de Montevideo en las riberas del sol canta el Río de la Plata con ecos de bandoneón pensativas las chalanas, soñando La Virazón y ahí están tus pescadores, Nautilus y Defensor. De La Cárcel hoy vuelan notas y el Shopping Center triunfal entre restos de cafúa emergió como un titán memoria de Punta Brava, redes, corvinas y sal por la boya del buen viaje garzas rosadas se van. Latidos de la barriada, gaviotas del espigón nocturno silbido largo y gatos en procesión las quinielas de Cochelo son la ilusión del azul y arden tangos y milongas en la taberna Salú. Los museos, la Parva Domus, el Club de Remo Alemán, el Tabaré y la Estacada son puntales del lugar, campanas de la parroquia, iglesia herida en el son es el temblor del progreso que agrietó… tu corazón. Crisol de luna en el agua, prado arbolado y pulmón pájaros trinando el aire de todo el campo de golf emblemas del sur querido son de mi barrio el color con las últimas cuartetas mi alma y mi musa te doy. Vientos de Punta Carretas torres, farola y juncal sos resplandor de los cielos y Marte bajando al mar 85 Im Hintergrund: Punta Brava, die "wilde" felsige Landspitze, die sich wie ein Keil in den Rio de La Plata schiebt. Darauf zu erkennen der Leuchtturm von Montevideo. 86 Das Viertel Punta Carretas von Montevideo liegt auf einer keilförmigen Landzunge, die in den La Plata hineinragt. Deren felsige Spitze trägt den Namen Punta Brava, die wilde (oder rauhe) Spitze. Das Stadtviertel gehörte (und gehört auch heute noch) zu den schönsten und typischsten von Montevideo, ganz im Süden der Stadt. Deshalb hat es in neuerer Zeit auch beträchtliche Veränderungen erfahren durch den Bau riesiger Wohntürme mit Komfortwohnungen. Der Baulärm war bisweilen so stark, dass die Glocken der Gemeinde nicht mehr zu hören waren. Eine Stelle im Gedicht bezieht sich darauf. Auch das relativ neue Sheraton Hotel wurde hier erbaut (mit Meerblick). Das frühere festungsartige Gefängnis wurde zu einem tatsächlich sehr gelungenen Shopping Center umgebaut. Dass "Noten dort herausflogen" spielt darauf an, dass anfangs ein Tonstudio darin angesiedelt war. La Virazón ist ein Speiselokal. Nautilus und Defensor sind bekannte Klubs. Bei der "Boje der guten Reise" handelt es sich um einen bestimmten Punkt im Felsen. Parva Domus ist ein elitärer Traditionsclub mit begrenzter Mitgliederzahl. Und nur wer wirklich in dem Viertel zu Hause war, weiss, was mit den "langen nächtlichen Pfiffen" und den "Katzen in Prozession" gemeint ist. Es war das Mädchen Claudia, das ein Herz für Katzen hatte. Mit ihren Pfiffen, die die Katzen genau kannten, rief sie die nachts umher streunenden Tiere herbei um sie zu füttern. Tabaré und Estacada sind Strassennamen. Die Trauer um das Stadtviertel, das sich zum Negativen hin verändert hat und in dem das ursprüngliche Heimatgefühl der Bewohner beschädigt worden ist, gehört zu den Hauptthemen des traditionellen Tangos. Diese Tradition führt die Milonga tangueada Memoria de Punta Brava von Raúl Montero und Enrique Estrázulas - nicht ohne Grund - fort. 87 Erinnerung an Punta Brava (Milonga-Tango) Musik: Raúll Montero Text: Enrique Estrázulas - Raúl Montero Der Keil von Montevideo an den Ufern der Sonne; es singt der Rio de la Plata mit dem Widerhall des Bandoneon. Nachdenklich liegen dort die Kähne, es schläft "La Virazón" und da drüben deine Fischer und "Nautilus" und "Defensor". Aus dem Gefängnis flogen Noten, wurde das Shopping Center höchst gefeiert. Zwischen den Resten des Knastes steigt herauf wie ein Titan die Erinnerung an Punta Brava: Netze, Barsche und Salz. Über die "Boje der guten Reise" fliegen rosafarbene Reiher. Der Pulsschlag des Stadtviertels, Möwen auf dem Felsensporn, lange nächtliche Pfiffe und Katzen in Prozession. Die Lottoscheine von Cochelo, die sind blaue Illusion, und flammende Tangos und Milongas gibt‘s in der Taberna Salú. Die Museen, der Parva Domus, der Club Remo Alemán, Tabaré und Estacada sind markante Punkte dieses Orts. Die Glocken der Gemeinde, ihr Klang erstickt, dass es die Kirche kränkt, das ist das Beben des Fortschritts, bei dem dir das Herz zerspringt. Der Schmelztiegel des Mondes im Wasser, die Wiese mit Bäumen als Lunge, hoch über der Weite des Golfplatzes jubilieren Vögel in der Luft. Bilder des geliebten Südens, Farben des Viertels, mein Zuhause. Und mit den letzten vier Versen schenke ich dir meine Seele und meine Muse. Die Winde von Punta Carretas, Wohntürme, Leuchtturm und Binsenstrauchwerk. Du bist der Abglanz des Himmels und Mars, der hinabsteigt ins Meer. 88 Architektonische Schmuckstücke in Montevideo, die, wie mir scheint, weniger werden. Wahrscheinlich hat hier eine grosse amerikanische Fastfood-Kette zur Renovierung beigetragen. 89 Obelisken Die Hauptstädte Argentiniens und Uruguays sind sich in vieler Hinsicht sehr ähnlich. Man spricht dieselbe Sprache, die Menschen stammen von Einwanderern aus denselben Ländern ab, und in beiden Städten entstand zeitgleich, am Ende des 19. Jahrhunderts, der Tango. Doch die Schwesterstädte sind keine Zwillinge und weisen erhebliche Unterschiede auf. Buenos Aires, mit mehr als 10 Millionen Einwohnern, ist bald zehnmal so gross wie Montevideo und ein tosender Moloch, der nie schläft. Eine extrovertierte, pulsierende Metropole voller Temperament und Anregung. Kein Milonguero kann sich der Faszination dieser Welt-Tangometropole entziehen, die zugleich als die heimliche Kulturhauptstadt Südamerikas gilt. Montevideo, mit 1,3 Millionen Einwohnern auch nicht gerade eine Kleinstadt, wirkt dagegen introvertiert, fast beschaulich, mit einer Atmosphäre heiterer Melancholie, die eine entspannende Wirkung auf die Psyche ausübt. Beide Städte besitzen als nationale Symbole einen Obelisken. Eine schlanke, nach oben hin spitz zulaufende Säule aus hellem Stein. In Buenos Aires steht der Obelisk, als Erinnerung an die Stadtgründung, im absoluten Zentrum der Stadt, in der Mitte der Plaza de La República (Bild nächste Seite). 90 Dort kreuzen sich die angeblich "breiteste Strasse der Welt“, die Avenida 9 de Julio, und die Corrientes, die längste Strasse der Stadt. Hier auf der Plaza, umtost vom 16-spurigen Verkehr, spielt sich alles ab: die überschäumende Freude der Fussball-Fans oder die sich in Gewaltakten entladende Wut über Massnahmen der Regierung, die das Volk (zu Recht) als existenzbedrohend empfindet. Dieser Mittelpunkt der Stadt wird von ihren Einwohnern auch als ein Lebensmittelpunkt begriffen. Er ist natürlich auch ein Platz des Tangos. Der Obelisk ziert viele, alte und neue, Covers von Tango-CDs, Kassetten und LPs. Vor einigen Jahren gab der in Buenos Aires geborene, weltbekannte Dirigent Daniel Barenboim am Silvesterabend auf diesem Platz vor tausenden begeisterter Zuschauer ein Tangokonzert mit dem Philharmonischen Orchester von Buenos Aires. Die Showeinlagen tanzten – im klassischen Stil – Mora Godoy und Junior Cervila. 91 In Montevideo steht der Obelisk (Bild unten), als Erinnerung an die erste Verfassung des Landes von 1830, ebenfalls auf einer vom Autoverkehr umspülten Strassenkreuzung. Aber in der uruguayischen Hauptstadt, befindet sich dieser Platz am Rande des Zentrums, das hier in eine parkartige Stadtlandschaft übergeht. Die Geschichte des Tangos ist auch die Geschichte seiner Geburtsstädte Buenos Aires und Montevideo, die sich am nördlichen und südlichen Ufer des Rio de La Plata schräg gegenüber liegen. Erst wenn man die unterschiedlichen Charaktere und Temperamente beider Schwesterstädte kennengelernt hat, besitzt man ein vollständiges Bild des Tangos und seiner Heimat. 92 Unter freiem Himmel Zu unseren schönsten Erinnerungen gehört der Auftritt an einem Sonnabend im Dezember in der Fussgängerzone an der Plaza Constitución in der Altstadt von Montevideo, direkt vor dem historischen Cabildo, dem alten Rathaus (Bild nächste Seite). Es spielen wieder zwei Live-Ensembles, nur nicht so grosse Besetzungen wie beim grossen Ball des Vorabends im neuen Rathaus. Ein uruguayisches Trio in der ganz klassischen Besetzung: Bandoneon, Klavier und Kontrabass und das argentinische Trio Tangonave in der Besetzung Klavier, Gitarre und Flöte. Die drei argentinischen Musiker erzählen uns, dass sie im kommenden März in Deutschland sein werden, und wir laden sie spontan ein, auf unserem "Literarischen Tango Café“ in Göttingen zu spielen. _________________________________________________ Einschub: Auf der Veranstaltung in Göttingen mit Tangonave, bei der Acho Manzi, der Sohn des grossen argentinischen Tangodichters Homero Manzi (Sur, Malena), als Ehrengast anwesend ist, stellen wir die 1. Auflage meines Buches "Ecken in Buenos Aires“ vor, in dem ich 48 Tangos von Homero Manzi ins Deutsche übersetzt habe. Diese Tangoveranstaltung wird eine der schönsten, die Göttingen je erlebt hat. _________________________________________________ Zurück nach Montevideo: Auf der Strasse vor der Plaza ist eine Bühne für die Musiker aufgebaut, davor ist auf dem Asphalt ein Platz frei gelassen für die Tanzvorführung. Das Publikum hat es sich rund um die Bühne bequem gemacht. Teilweise sitzen die Menschen auf Stühlen am Rand der Tanzfläche, teilweise liegen sie auf dem Rasen im Schatten der Bäume auf der Plaza. Es ist ein herrlicher Tag, sehr warm und ein strahlend blauer Himmel. Wir tanzen mehrere Tangos frei improvisierend zur Musik der beiden Trios - und das Publikum zeigt sich ehrlich begeistert. In den Tanzpausen kommen immer wieder Leute zu uns, die uns mit Küsschen rechts und links oder einfach nur so Felicitaciones (Glückwünsche) aussprechen. Mehrmals bekommen wir Szenenapplaus bei ganz unspektakulären kleinen Verzierungen, wie zum Beispiel einem Amague. Und ein Mann 93 spricht uns auf unser Gehen, das Caminar, an, das ihm so gut gefallen habe. Die Ganchos und all das seien Lujo, Luxus. Beim "Gehen“ zeige sich das wahre Können ... Bild oben: Auch ein Schauplatz des Tangos in Montevideo, die Plaza Constitución in heiterer Atmosphäre mit Blick aufs historische Cabildo _____________________________________________________ Nachdem wir unsere Tango-Tanzimprovisationen beendet haben, werden uns von Mitarbeitern des Festival-Komitees Anstecknadeln verliehen mit dem Logo des diesjährigen Festivals: es ist ein Hut. Dazu wird im folgenden Kapitel noch mehr zu sagen sein. Es macht immer wieder grossen Spass, an einem Originalschauplatz des Tangos zu tanzen, und es ist die Krönung, wenn man zur Livemusik einheimischer Tangomusiker tanzen darf, vor einheimischen Zuschauern. 94 Hier vermittelt einem das Publikum das Gefühl, als gehörte man zur Familie. Man tanzt dann auch gleich entspannter als vor einem feindselig eingestellten Publikum in Deutschland. Leider ist die deutsche Neidkultur mittlerweile sprichwörtlich. Wer als Tangotänzer oder Tangotänzerin etwas kann, sieht sich nicht selten massiven Attacken von Neid, Missgunst und Gehässigkeit ausgesetzt. Das macht die Arbeit in Deutschland nicht eben angenehmer; zuweilen nur schwer erträglich. Ich muss aber klar und deutlich dazusagen, dass es eine feindselige Atmosphäre nur gibt, wenn man vor Zuschauern der örtlichen Tangoszene tanzt. Darunter gibt es natürlich auch positive Ausnahmen, aber in der Regel können es deutsche Tangotänzer nicht ertragen, wenn ein deutsches Tangotanzpaar wirklich Tango tanzen kann. Will sagen, auf dem Niveau von argentinischen und uruguayischen Profis. Auch deshalb haben wir Auftritts-Engagements, sei es zu Festivales oder bei anderen Veranstaltern ausserhalb Göttingens, nur zu gern angenommen. Hier in Montevideo ist es ganz anders. Zum Beispiel gesellt sich an diesem Vormittag eine junge Frau zu uns und stellt sich als Dra. Santana López vor, Produktionsleiterin beim Fernsehsender Canal 5. Sie hat soeben unsere Auftritte gesehen und engagiert uns spontan für die Mittags-Show Entre Mates y Guitarras. Zu unserem allergrössten Bedauern können wir das Angebot nicht annehmen, weil wir schon vor dem Termin abreisen müssen. Wir erzählen ihr aber, dass wir schon einmal in einer Mittags-Show im uruguayischen Fernsehen getanzt haben - allerdings im Konkurrenz-Sender Canal 12. Als Ulrike und ich nach unserem Auftritt gehen, verabschiedet uns die Menge mit Applaus. Es scheint wahr zu sein: in Montevideo haben wir unsere Tangoheimat gefunden. Vor dem Restaurant La Pasiva setzen wir uns an einen der Freilufttische im Schatten, bestellen kaltes Bier und lauter schöne Dinge und geniessen den wunderbaren Tag (Bild unten). 95 Aussenbewirtschaftung des Restaurants La Pasiva an der Plaza Constitución mit Blick auf einen der historischen Zeitungskioske, die typisch sind für Montevideo. Im Hintergrund ein Turm der Kathedrale. Im Vordergrund mein Bier. 96 Ankündigung des internationalen Tango-Festivals durch die Stadt Montevideo 97 Der Hut in der Welt des Tangos Das Logo des 12. Internationalen Festivals Viva el Tango in Montevideo war ein Hut. Mehr nicht. Damit war alles gesagt. Das Bild links zeigt das Logo auf dem Teilnehmerausweis einer offiziellen Tänzerin des Festivals. Bekanntlich gehörte der Hut in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zur unverzichtbaren Ausstattung des korrekt gekleideten Herrn. Man kennt die Filme aus den 30er, 40er Jahren. Humphrey Bogart mit Anzug und Hut. (Mein Vater ging bis an sein Lebensende, sobald das Wetter kühler wurde, nicht ohne Hut aus dem Haus). In diese Zeit fiel auch die Blütezeit des Tango Argentino. Tango de los 40, Tango der vierziger Jahre, ist heute noch Fachausdruck und Synonym für den hoch entwickelten, klassischen (und damit zeitlosen) Tango vom Rio de La Plata, den auch wir in Göttingen bis heute unerschütterlich, unbeirrt und unerschrocken unterrichten. Damals wurde in Buenos Aires, noch viel mehr als in unserer Zeit, Tango im Freien getanzt. Dabei trugen die Männer natürlich Hut. Und meistens nahm man den Hut auch in der Bar nicht ab. Das belegen viele Fotos von damals. Mittlerweile ist das melancholische Motiv des einsamen Mannes mit Hut, der an einer Laterne lehnt oder der, den Kopf in die Hand ge- 98 stützt, gedankenversunken in einer Bar vor einem Kaffee sitzt, allgegenwärtig auf zahllosen Souvenirs aus Buenos Aires. Inzwischen sind diese Motive längst Klischee. Aber mit diesen Klischees wird ein liebevoller und auch ein bisschen selbstironischer Kult getrieben. Heutzutage wäre es lächerlich, wenn man auf einer Milonga mit Hut tanzen würde. Aber aus dem auf der Bühne getanzten Tango ist der Hut auch heute noch nicht wegzudenken. Wer mit Hut tanzt signalisiert damit, dass mit seiner Darbietung die Zeit und der Stil des Tangos der 40er Jahre (und früher) wachgehalten werden sollen. (In Klammern sei angemerkt, dass es auch solche "Showstars“ gibt, bei denen das Tango-Outfit lediglich den Zweck einer Maskerade erfüllt). Und dass der 40er-Jahre-Stil der eindrucksvollste und faszinierendste ist, ein Tangotanzstil, der noch nicht durch Elemente von ausserhalb des Tangos wie Ballett, Kunstturnen oder Eiskunstlauf verwässert ist, darüber besteht, glaube ich, kein Zweifel. Einer der wenigen argentinischen Superstars des Tangos, der ausschliesslich den klassischen Stil tanzt, und das mit höchster Virtuosität, ist Pablo Verón ("Tango Lesson“). Bei ihm können Ulrike und ich genau sagen, welche Figuren er bei Antonio gelernt hat. Denn auch wir hatten das unschätzbare Glück, noch bei Antonio Todaro lernen zu dürfen; einem der allerletzten jener grossen Maestros, die noch den 40er-Jahre-Tango massgeblich mitgeprägt haben. Das war wie Tango aus der Quelle zu schöpfen. Uns ist es Verpflichtung und Ehre zugleich, wenigstens einen kleinen Teil dieses Vermächtnisses in unseren Kursstunden weiter zu vermitteln. Es ist noch nicht lange her, als vor Beginn der FortgeschrittenenKursstunde der Tango Mi Buenos Aires Querido lief ("Mein geliebtes Buenos Aires“), gesungen von Carlos Gardel. Ein Tanzpaar befand sich schon auf der Tanzfläche, um etwas vorzuüben. Ich fragte sie, ob sie denn das Lied kennen. Antwort: "Nö“. Erkennt ihr, wer da singt? "Nö“. 99 Ein Vorfall, den man in Buenos Aires und Montevideo nicht glauben würde, weil er dort Gotteslästerung gleichkäme. Ich habe den beiden dann in aller Schnelle erzählt von der berühmtesten Tangohymne auf Buenos Aires, deren Text aus der Feder von Alfredo Le Pera stammt. Dass der Film Cuesta Abajo ("Bergab“), in dem dieses Lied gesungen wird, jedes Mal angehalten werden musste, weil das Publikum das Lied immer und immer wieder hören wollte. Und dass der Sänger, der auch die Musik komponiert hat, Carlos Gardel ist, der Tangosänger schlechthin, ja, fast der Nationalheilige Argentiniens und Uruguays. Natürlich ist Carlos Gardel ein Thema bereits in unserem Grundkurs, aber es kriegen nicht immer alle alles mit, und es gibt Quereinsteiger und viele andere Gründe für mangelnde Kenntnisse der Tangokultur. Viele sind auch einfach nicht genügend interessiert und glauben uns wohl auch nicht, dass es gerade beim Tango Argentino entscheidend auf solches Detailwissen ankommt. Wer sprachlos und verständnislos dem gegenübersteht, was den Menschen am Rio de La Plata heilig ist, wird kein guter Tangotänzer. Das kann ich allen, die brillante Tangotänzer werden wollen, versichern. Deshalb wird es ja auch nichts, wenn ADTV-Tanzschulen Tango Argentino als ein juxiges "Special" unterrichten, um sich dann wieder dem "richtigen" Tango zu widmen. Das Paar, von dem ich sprach, gehörte aber zu den besonders positiven Tangolernenden. Für manche, die beruflich oder im Studium sehr eingespannt sind, ist auch die Fülle des Unterrichtsstoffes oftmals einfach zu viel. Carlos Gardel, wurde 1890 als uneheliches Kind einer Büglerin in Toulouse, Frankreich, unter dem Namen Charles Romouald Gardes geboren. Noch als Kleinkind kam er mit seiner Mutter als Auswanderer nach Buenos Aires, und brachte es dank seiner aussergewöhnlichen musikalischen Begabung und einer begnadeten Stimme zum legendärsten Tangosänger aller Zeiten. Es gibt ernst zu nehmende Tangohistoriker, besonders Uruguayer, die die Richtigkeit des französischen Geburtsorts von Gardel bestreiten. 100 Vielmehr sei er in der uruguayischen Stadt Tacuarembó geboren. Und es gibt tatsächlich Dokumente, die das belegen. Aber auch diese Unklarheit trägt zur Legendenbildung bei. Vollends zur Legende wurde Carlos Gardel, als er 1935 in Medellín, Kolumbien, mit seinem gesamten Team ums Leben kam, weil sein Flugzeug vor dem Start verunglückte. Der Tod Carlos Gardels traf das ganze Land wie ein Schock.. Die nationale Trauer war grenzenlos. Aber in den Herzen der Porteños (den Bewohnern von Buenos Aires) lebt Carlos Gardel! Sein Bild, seine Musik umgeben und begleiten einen in der argentinischen Hauptstadt permanent. Er lebt! Carlitos canta cada día mejor ("Karlchen singt jeden Tag besser“), sagt man. Oder man nennt ihn auch resigniert: El Mudo (der Stumme), weil er ja doch in Wahrheit nicht mehr unter uns ist. Selbstverständlich sind auch Ulrike und ich auf unserer ersten Reise nach Buenos Aires zu Carlos Gardels Grabmal auf dem Chacarita Friedhof gepilgert, wo seine lebensgrosse Statue den Zeiten trotzt; immer geschmückt mit frischen und vielen künstlichen Blumen und zahllosen Gedenktafeln. Und Raucher, die Carlitos besuchen, klettern zu ihm hinauf und stecken ihm eine brennende Zigarette zwischen die Bronzefinger. Wie im Leben! Das ist ein bekanntes Ritual, das wir selbst gesehen haben. Und was hat das ganze mit dem Hut zu tun? Nun, die Musikerinnen und Musiker, Tänzerinnen und Tänzer des 12. Internationalen Tangofestivals in Montevideo haben nicht gefragt. Das Logo ist nämlich nicht nur ein Hut, sondern der Hut. Der Hut von Carlos Gardel. 101 Das Logo des Festivals als Anstecknadel Carlos Gardel kam 1935 ums Leben, doch in Buenos Aires begegnet man ihm auf Schritt und Tritt. Hier im Bild das grosse Eingangsreklameschild eines Restaurants, das nach Gardel benannt ist. Es zeigt sein Bild mit "dem Hut“. 102 Der Schlitz im Kleid Foto Dagmar Härter Bild: Ulrike & Eckart Haerter mit Hut und Schlitz im Kleid (1) 103 Vor einigen Wochen hatte ich in einem Live-Interview mit dem Göttinger Stadtradio Gelegenheit, den Hörerinnen und Hörern den Sinn des Schlitzes im Tangokleid der Frauen zu erklären. Der lange, hoch hinaufreichende Schlitz im Kleid der Tangotänzerin hat ja nicht nur eine eminent ästhetische, sondern auch eine ganz banal praktische Bedeutung. Während eine Frau in einem langärmeligen, im Oberteil züchtig hochgeschlossenen Kleid ohne jede Beeinträchtigung einen ausdrucksstarken Tango tanzen kann, ist ohne eine grosszügige Aussparung im unteren Teil des Kleides Tangotanzen nur sehr eingeschränkt möglich. Je nach Geschmack und Anforderungen sind auch mehrere Schlitze im Kleid durchaus angebracht. Man sagt, Tangotanzen spiele sich hauptsächlich hüftabwärts ab. Das trifft, wie alle plakativen Schlagworte, zwar nicht hundertprozentig zu, beleuchtet aber den augenfälligsten Unterschied des Tango Argentino zu den anderen hierzulande gepflegten Tänzen. In keinem anderen Tanz der Welt geht es so hautnah um das Zusammensein von Mann und Frau wie im Tango Argentino. Man spricht im Tango sogar von einer Rol masculino und einer Rol feminino, einer männlichen und einer weiblichen Rolle. Und dieses Rollenspiel in Freud und Leid, in ruhigen und leidenschaftlich stürmischen Zeiten bildet der Tango in seinen Figuren und Bewegungen ab. So verwundert es denn auch gar nicht, dass sich im Tango die besonders expressiven Szenen unterhalb der Gürtellinie abspielen. Wie in keinem anderen Tanz der Welt verschlingen und verhakeln sich im Tango die Beine von Mann und Frau im entfesselten Spiel der Leidenschaften. Nun mag mancher einwenden, so kann man doch auf einer Milonga (dem Tangotanz als Gesellschaftstanz) gar nicht tanzen, man würde ja das gesamte Tanzgeschehen stören. Nun, das stimmt natürlich. Deshalb ist vieles, was der Tango an Ausdrucksmöglichkeiten besitzt, auf einer gefüllten Tanzfläche nicht darstellbar. Dort tanzt man den Tango de Salón, den Salontango, der auf ausladende und wirbelige Figuren ganz bewusst verzichtet. Der Salontango favorisiert die Ästhetik und Musikalität der Bewegung, das harmonische Zusammensein von Mann und Frau. 104 Von Harmonie kann man freilich auch dann sprechen, wenn sich ein Langzeitehepaar in trauter Zweisamkeit im Regionalfernsehen einen Beitrag über die Müllentsorgung in Nordhessen anschaut. Aber in dieser Weise sollte man die Harmonie des Salontangos nicht missverstehen, auch wenn vielleicht das eine oder andere Tanzpaar einen solchen Vergleich herausfordern mag. Denn wenn es Eigenschaften gibt, die man dem Tango Argentino nicht zuschreiben kann, dann sind es Langweiligkeit und Ausdruckslosigkeit. Auch der Salontango ist niemals langweilig. Die gesammelte Intensität des Paars in der engen Umarmung, das konzentriert langsame Kreieren der Tanzfiguren zur Interpretation der Musik, vermittelt einen hohen Grad an Spannung. Doch das Leben besteht nicht nur aus Harmonie in der Ruhe. Es hat auch stürmisch bewegte und leidenschaftliche Phasen. Ohne diese wäre auch der Tango Argentino unvollständig und seiner wichtigsten und stärksten Ausdrucksmittel beraubt. Denn gerade die komplexe Beinarbeit im Geschlechterkampf ist doch das, was die unvergleichliche Faszination des Tango Argentino wesentlich mit ausmacht. Doch vergessen wir nicht: der Tango spielt mit dem sogenannten Geschlechterkampf. In Wahrheit setzt dieses rasante Spiel der Beine ein solches Höchstmass an Übereinstimmung zwischen Mann und Frau voraus, wie es in keinem anderen Tanz der Welt gefordert wird. Beklagenswerterweise wird der klassische Tango Argentino, von dem ich bis hierher gesprochen habe, im heute vielfach praktizierten Tangotanz immer mehr verwässert. Wohlgemerkt: unterschiedliche Figuren und Körperhaltungen wurden im Tango Argentino schon immer unterrichtet. Jeder Lehrer hat da seine Spezialitäten. Was ich aber in letzter Zeit vermehrt mit Betrübnis wahrnehme, ist, dass das Grundprinzip des Tangos, seine Essenz, seine Philosophie vielfach nicht mehr bekannt sind. 105 Foto Raab Bild: Ulrike & Eckart Haerter: mit Hut und Schlitz im Kleid (2) 106 Nehmen wir einmal das ganz konkrete Beispiel der Tanzeröffnung. Eine Tänzerin des klassischen Tangos, also eine echte Tanguera, wird, bevor wir uns in Bewegung setzen, mit mir den Abrazo, die Umarmung eingehen. Wir nehmen Kontakt auf, indem sich die rechte Brustseite des Mannes und die linke Brust der Frau berühren (sehr typisch ist auch, wenn sich zusätzlich die Wangen berühren). Jetzt beginnen wir, mit unseren Körpern aufeinander zu lauschen, bis wir sicher sind, dass wir uns fühlen, dass der Kontakt da ist. Ab jetzt sollte die Frau darauf gefasst sein, dass von mir eine Bewegung nach links oder nach vorn oder nach rechts oder nach hinten eingeleitet wird. Traditionell beginnt es im Salon nach links (vom Mann aus gesehen). Aber ich wollte das Beispiel nur prinzipiell verstanden wissen. Es geht darum, dass die Frau schlafwandlerisch, meine Impulse aufnimmt und sie gemäss ihrer Frauenrolle mit ihren Bewegungen gestaltet, wobei ich sie mit meinen männlichen Bewegungen begleite und unterstütze. An keiner Stelle des Tanzes, das beginnt schon mit dem ersten Schritt, darf die Frau eine bestimmte Bewegung, einen bestimmten Schritt oder einen bestimmten Übergang erwarten. Wie der Tanz weitergeht, merkt die Frau erst im Moment der Marca (deutsch meist unzulänglich mit Führung übersetzt). Wenn eine Frau, bevor der Kontakt zu mir überhaupt erst steht, schon von sich aus anfängt, sinnlos mit einem Bein Ausschläge nach irgendwelchen Seiten zu vollführen, dann ist der Tango schon tot, noch bevor er angefangen hat. Als Tangotänzer kann man zwar damit umgehen und den Tanz auch irgendwie ordentlich zu Ende bringen, aber das hat dann mit dem Sentido, der tieferen Bedeutung des Tango Argentino, nicht mehr viel zu tun. Wir legen in unserem Tangotanzunterricht einen Schwerpunkt auf die Kunst des getanzten Dialogs und schulen ganz bewusst auch solche Ausdrucksformen, die auf einer vollen Tanzfläche zwar keinen Platz haben, die aber dem Tango seine unvergleichliche flirrende Spannung und sublimierte erotische Ausstrahlung verleihen. 107 108 Vorige Seite: "Der Nachbar“ (El Vecino) aus Trinidad, Uruguay, ist eine Wochenzeitung, die seit 20 Jahren erscheint und regelmässig über die Tango-Festivales in Uruguay berichtet Der Journalist Señor Pallares wurde uns bald persönlich bekannt, denn er besuchte alle Veranstaltungen, auf denen wir tanzten und nahm Kontakt zu uns auf. Der kleine Artikel, der in blumigen Worten unsere Tanzkünste herausstellt, entstand nach einem Interview mit uns. Das Foto schoss er bei einem open air Auftritt. Herr Pallares brachte uns den Artikel selbst zum Abschied ins Hotel. Auch das wieder ein Zeichen für die menschliche, fast familiäre Atmosphäre in Uruguay. Allerdings ist die Kopie ziemlich schlecht ausgefallen, so dass man die Partie mit Ulrikes Schlitz im Kleid nur sehr undeutlich erkennen kann. Dabei wäre die Ansicht besonders wichtig gewesen, natürlich für Lehrzwecke. 109 Noch einmal in freier Luft – spontan An einem Novembernachmittag sassen Ulrike und ich in der Altstadt von Montevideo, draussen an einem der Tische eines Restaurants, als ein alter Mann mit einer Gitarre auftauchte. Er trug einen vollen weissen Bart, und man sah seinem bejahrten Anzug an, dass er sorgsam instandgehalten wurde. Der Mann begann zu singen „es la última farra de mi vida, de mi vida, muchachos, que se va ..., und seine alte, ein wenig zittrige Stimme schien wie geschaffen für den wehmütigen Text, so dass sich eine eigenartig dichte Atmosphäre ausbreitete. Die Leute an den anderen Tischen stimmten in das bekannte Tangolied mit ein, und wir als Tangotänzer konnten natürlich nicht widerstehen und begleiteten einen Teil des wirklich guten Vortrags mit ein paar Tangoschritten auf dem Pflaster… Passanten blieben stehen und applaudierten der Szene. Aus dem Nichts heraus war eine 3-minütige Peña entstanden, an der alle Anwesenden beteiligt waren. Am Schluss gab jeder dem alten Tanguero ein paar Pesos con mucho gusto. Auch das ist Tango in Montevideo und wieder ein Beispiel dafür, dass man den lebendigen, nicht nachgemachten Tango, eben nur an seinen Ursprungsorten authentisch leben und erleben kann. Und das ist auch völlig normal, denn In Deutschland gäbe es keinen Strassensänger, der Tangos singt, und keine Restaurantbesucher, die einen alten Tango, mit dem sie aufgewachsen sind, mitsingen können. In Deutschland kennen ja nicht einmal die meisten Tangotänzer die Texte der Tangos, die sie tanzen. Diese Aussage ist weder ein Vorwurf, noch Arroganz von mir. Es ist eine ganz normale Tatsache. Denn die Texte sind fremdsprachig, viele durchsetzt mit Wendungen aus dem Lunfardo. Auch ich würde das meiste davon beim blossen Hören nicht verstehen. 110 Deswegen haben wir es zu einem Schwerpunkt unserer Arbeit gemacht, wichtige Tangotexte ins Deutsche zu übersetzen. In unseren Kursen lesen wir auch immer wieder mal den Text eines berühmten Tangos auf Deutsch vor, den wir dann tanzen. Damit haben wir schon 1989 angefangen. Das ganze aufgebauschte Getue um den Tango, dieses Tangogedröhn in Deutschland ist leider oftmals nicht mehr als eine aufgesetzte Attitüde und Wichtigtuerei. Wenn eine Frau meint, beim Tangotanzen demonstrativ die Augen schliessen zu müssen, etwa nach dem Motto: "Seht doch nur, wie ich den Tango fühle“, dann ist das Geschmackssache. Fatal ist es aber, wenn das Paar dann nicht wenigstens gekonnt mit der Musik umzugehen versteht. Fühlen tut man den Tango nur, wenn man die Musik fühlt. Ein Paar, das nicht wirklich zur Musik tanzt, sondern neben der Musik, zeigt öffentlich, dass es nichts fühlt, dass es nur so tut als ob. Sowas nennt man heute gern modisch "Fake“, und der fliegt auf. Der Text des folgenden Tangos, den der alte Mann in Montevideo gesungen hat, gehört zu den alten, klassischen, ganz berühmten Tangos. Ulrike und ich lieben ihn sehr. Und wir verbinden damit auch diese Erinnerung. Wie man aus den Lebensdaten des argentinischen Textdichters Juan Andres Caruso ablesen kann, ist dieser Tango noch längst kein 40er-Jahre-Tango. Zusammen mit der Musik des geborenen Uruguayers Francisco Canaro, der so berühmt ist, dass man kein weiteres Wort über ihn verlieren muss, ergibt sich eine dieser besonders geglückten Verbindungen aus Text und Musik, die La última copa, "Das letzte Glas“, zu den unsterblichen Tangos macht. 111 La última copa (Tango) Letra : Juan Andres Caruso (1890 – 1931). Música: Francisco Canaro (1888 - 1964) Eche amigo, nomás, écheme y llene hasta el borde la copa de champán, que esta noche de farra y de alegría el dolor que hay en mi alma quiero ahogar. Es la última farra de mi vida, de mi vida, muchachos, que se va... mejor dicho, se ha ido tras de aquella que no supo mi amor nunca apreciar. Yo la quise, muchachos, y la quiero y jamás yo la podré olvidar; yo me emborracho por ella y ella quién sabe qué hará. Eche, mozo, más champán, que todo mi dolor, bebiendo lo he de ahogar; y si la ven, muchachos, díganle que ha sido por su amor que mi vida ya se fue. Y brindemos, nomás, la última copa, que tal vez también ella ahora estará ofreciendo en algún brindis su boca y otra boca feliz la besará. Eche, amigo, nomás, écheme y llene hasta el borde la copa de champán, que mi vida se ha ido tras de aquella que no supo mi amor nunca apreciar. 112 Das letzte Glas (Tango) Text: Juan Andres Caruso (1890 – 1931) Musik: Francisco Canaro (1888 – 1964) Giess ein, Freund, nur zu, giess ein und füll mir das Glas bis zum Rand voll mit Champagner, denn in dieser Nacht voll Geselligkeit und Frohsinn, will ich den Schmerz, den ich in meiner Seele hab, ersäufen. Es ist die letzte Runde meines Lebens, des Lebens, Jungs, das jetzt vergeht . Besser gesagt, das endet wegen jener, die nie meine Liebe zu schätzen gewusst. Ich liebte sie, Jungs, und ich liebe sie noch, und niemals kann ich sie vergessen; wegen ihr besauf ich mich, und sie, wer weiss, was sie jetzt macht. Kellner, giess mehr Champagner ein, denn meinen ganzen Schmerz will ich beim Trinken ersäufen. Und wenn ihr sie seht, Jungs, dann sagt ihr, dass es wegen ihrer Liebe war, dass mein Leben jetzt vorbei ist. Lasst uns nun mit dem letzten Glas anstossen weil sie jetzt vielleicht auch mit einem Trinkspruch ihren Mund anbietet, und ein anderer glücklicher Mund sie küsst. Giess ein, Freund, nur zu, giess ein und füll mir das Glas bis zum Rand voll mit Champagner, denn mein Leben ist vorbei wegen jener, die nie meine Liebe zu schätzen gewusst 113 114 Marino Rivero Ein neuer Abschnitt unseres Tanguerolebens beginnt, als wir Marino Rivero kennenlernen (Bild). René Marino Rivero, Uruguayer, ist Komponist zeitgenössischer Musik, auch ultramoderner Tangos Nuevos, und nach vielfacher Meinung der grösste Bandoneonvirtuose der Welt. Rivero lotet die Möglichkeiten des Bandoneons aus bis in die Extreme. Seine Beherrschung dieses Instruments ist frei und souverän. Bei ihm kann das Bandoneon ätherisch klingen wie ein zarter Geigenton und im Fortissimo brausen wie eine volltönende Orgel. Die scheinbare Grenzenlosigkeit von Riveros Virtuosität auf dem Bandoneon ist sicher nicht nur durch seine technische Perfektion zu erklären, sondern auch durch die Tatsache, dass er als Komponist kreativer Künstler ist. Dadurch wächst seinem Instrumentalspiel eine Dimension zu, die eher einem schöpferischen Akt als einer Reproduktion gleichkommt. Dies ist auch der Grund dafür, dass Marino Rivero nicht auf die Rolle als Tangointerpret eingeengt werden kann. Rivero spielt Johann Sebastian Bach oder Edvard Grieg mit der gleichen Leidenschaft und Selbstverständlichkeit wie seine eigenen 115 ultramodernen und ohrfremden Stücke, die er in seinen Konzerten dem Publikum ungerührt zumutet. Dass Marino Rivero als Uruguayer und Bandoneonist zuvörderst auch Tangospieler ist, bedarf eigentlich keiner Erwähnung. Indes entwickeln in seiner Interpretation auch alte traditionelle Tangos ein Eigenleben, das sie wie Kompositionen aus einer neuen Zeit klingen lässt. Als Mensch ist Marino Rivero ungeheuer sympathisch. Seine künstlerischen Eitelkeiten, seine Egozentrik und seine Temperamentsausschläge nach allen Seiten stören uns in keinster Weise. Im Gegenteil. Wir verstehen uns von Anfang an prächtig. Schon nach unserem ersten gemeinsamen Abend in der Göttinger MUSA, als Ulrike und ich ungeprobt einen Vals zu seiner Musik tanzen, verabreden wir auf Marinos Anregung hin, dass wir künftig öfter zusammenarbeiten wollen. Es ist "der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“, zu der ein Jahr später auch die Gitarristin Gabriela Diaz gehört, Marinos Lebensgefährtin und Konzertpartnerin im Duo. Seitdem "somos una familia“, sind wir eine Familie, wie Marino es auszudrücken pflegt. Marino Rivero ist ein Weltklassemusiker mit jahrzehntelanger Tournee-Erfahrung. Von London bis Moskau, von Brasilien bis Canada hat er auf grossen und kleinen Bühnen konzertiert und überall Erfolge gefeiert. Mit Marino Rivero, manchmal als Solist, manchmal im Duo mit Gabriela, treten wir mehrfach in Göttingen und im Rahmen zweier gemeinsamer Tournee (1996 und 1997) in verschiedenen anderen deutschen und österreichischen Städten auf. Leider kann ein geplanter gemeinsamer Auftritt in Montevideo nicht stattfinden. Mit Dr. Gebele, dem Kulturreferenten der deutschen Botschaft, haben wir wenige Tage zuvor in seinem Büro in der Botschaft ein Projekt besprochen, das eine uruguayisch-deutsche Kulturveranstaltung werden soll. Die Anfahrt zur Botschaft mit dem Taxi kostet ein paar Pesos mehr als wir es von Montevideo gewöhnt sind. Dr. Gebele erklärt uns auch warum: vor wenigen Jahren ist die amerikanische Botschaft aus dem Zentrum in einen etwas abseits gelegenen Neubau umgezogen. Selbstverständlich ist Deutschland diesem 116 Beispiel gefolgt, während alle anderen westlichen Länder mit ihren Botschaften im Zentrum geblieben sind. Jetzt steht ein grosser Betonklotz am Fluss, das ist die amerikanische Botschaft, und in enger Nachbarschaft daneben steht ein kleiner Betonklotz, die deutsche Botschaft. Einbetonierte Symbolik. Die Botschaft verfügt über einen sehr geeigneten Saal, in dem die Veranstaltung stattfinden soll. Als Künstler der uruguayischen Seite wollen Gabriela und Marino auftreten, auf deutscher Seite Ulrike und ich. Das Publikum soll sich nur aus Gästen zusammensetzen, die von der deutschen Botschaft besonders geladen werden. Es wird also einen "Event“ mit repräsentativem Charakter geben. Natürlich müssen wir die Bezahlung ansprechen, aber da macht uns Dr. Gebele unmissverständlich klar, dass der Kulturetat der Botschaft viel zu klein sei, um irgendeine Gage zahlen zu können. Als wir zu bedenken geben, dass doch zwei hochrangige uruguayische Künstler sehr zum Prestige der deutschen Botschaft beitragen würden, und dass man wenigstens ihnen einen Anerkennungsbetrag zahlen sollte, verweist Herr Dr. Gebele auf die leeren Kassen. Nun, Ulrike und ich wissen, dass im Ausnahmefall auch Gabriela und Marino einmal umsonst spielen würden, aus reiner Freude an einer schönen gemeinsamen Veranstaltung. Ich will es jetzt aber wissen und mache Dr. Gebele den Vorschlag, da der deutschen Botschaft doch offenbar am gesellschaftlichen Charakter der Veranstaltung gelegen ist, dass die Botschaft, als Eigenbeitrag, am Schluss der Veranstaltung einfach nur ein paar Kästen deutsches Bier und ein paar Wursthäppchen reichen soll. Als auch dies für finanziell untragbar erklärt wird, verabschieden Ulrike und ich uns betrübt. Unter diesen Umständen können wir die Veranstaltung nicht machen. Natürlich kann Dr. Gebele nichts dafür, aber wir finden es einfach peinlich und unwürdig, wenn Deutschland, das in Südamerika mit Bayer, Siemens, Mercedes Benz und BMW gleichgesetzt wird, sich hier als arm und notleidend darzustellen versucht. Als Tangotänzer haben wir gelernt, dass den Uruguayern und Argentiniern eine gewisse Grosszügigkeit bei repräsentativen Anlässen ein Herzensbedürfnis ist. Wir müssten uns für Deutschland in Grund und Boden 117 schämen, wenn wir bei einer solchen Veranstaltung der Deutschen Botschaft die eingeladenen Gäste am Ende wieder nach Hause schicken würden, ohne ihnen wenigstens eine Flasche Warsteiner und ein paar Wursthäppchen angeboten zu haben, insbesondere wenn man schon nichts dabei gefunden hätte, die eingeladenen uruguayischen Künstler (und uns) ohne Gage auftreten zu lassen. _________________________________________________ Szenenwechsel: Fünf Jahre später, mitten im heissen Sommer, führen Ulrike und ich in Berlin, im Simón Bolívar-Saal des Ibero-Amerikanischen Instituts (IAI), gegenüber der Neuen Nationalgalerie, unser "Literarisches Tango Café“ auf und präsentieren den Tango mit Musik-, Text- und Tanz. Im Publikum viele Latinos aus verschiedenen Ländern, die sich uns aber erst am Schluss der Veranstaltung vorstellen. Die Schirmherrschaft über den Abend hat sehr gern die argentinische Botschaft übernommen. Botschaftsrat Señor Gregorio-Cernadas mit Gattin ist zur Veranstaltung erschienen und hat trotz der angespannten wirtschaftlichen Situation Argentiniens eine stattliche Anzahl Flaschen argentinischen Rotweins mitgebracht, zu dem alle Anwesenden: Zuschauer, Veranstalter und Künstler am Schluss der Veranstaltung eingeladen werden. "Vino de Honor“ nennt sich der kleine Empfang, und so klingt der Abend in sehr angeregter Unterhaltung über die Kultur des Tango Argentino stimmungsvoll aus. Ich glaube, dieses Beispiel zeigt sehr deutlich, was die Menschen am Rio de La Plata – hier die Argentinier – unter diplomatischer Gastfreundschaft verstehen. Auch als sich Botschaftsrat Gregorio-Cernadas 2006 mit einem Empfang im Roten Rathaus aus Berlin verabschiedet, sind wir wieder eingeladen, und wir sprechen kurz noch einmal über das gelungene Literarische Tango Café im IAI. _________________________________________________ 118 119 René Marino Rivero 26.12.1935 – 11.03.2010 120 "Somos una familia“ Die Tangowelt und mit ihr die gesamte Musikwelt haben einen unersetzlichen Verlust erlitten. Marino Rivero ist tot. Er starb am 11. März 2010 in seiner Heimatstadt Montevideo. Marino Rivero, ein Ausnahmekünstler, ein Genie, der liebenswerte Mensch und Freund. René Marino Rivero, der immer seinen zweiten Vornamen bevorzugte, war als weltberühmter Bandoneonvirtuose schon zu Lebzeiten eine Legende. Vielen Musikexperten galt er als der grösste Bandoneonspieler aller Zeiten. Zudem war er Komponist, Pianist und Dirigent. Ein bescheiden gebliebener Mensch und Weltbürger zugleich. Er hat in fast allen Musikmetropolen der Welt konzertiert, selbstverständlich in Berlin, Wien, London, Paris, Moskau, usw... Im Jahr vor seinem Tod noch in Kairo, Beirut und Lissabon. "Somos una familia“, "wir sind eine Familie“, das war immer Marinos Spruch, seit wir gemeinsam mehrere Veranstaltungen bestritten hatten. Und damit wollte er wohl auch das besonders vertraute Verhältnis zum Ausdruck bringen, das sich zwischen uns beiden Paaren herausgebildet hatte. Marino und Gabriela Díaz aus Montevideo, Ulrike und Eckart Haerter aus Göttingen. Gabriela war Marinos Lebensgefährtin und auf der Gitarre seine Partnerin im Duo. 121 Gut verstanden haben wir uns von Anfang an. Als ich Marino zu seinem ersten Göttinger Konzert vom Bahnhof abholte, war der Umgang zwischen uns schon nach wenigen Minuten so locker und herzlich, als würden wir uns seit langem kennen. Es war tatsächlich "der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“, die nun durch den Tod Marinos nur noch in unseren Gedanken weiterleben kann. _______________________________________________________ Bilder vorige Seite: aus glücklichen Tagen in Montevideo. Bei Rotwein, Rindfleisch und Salat (und Mineralwasser) Ulrike und Marino, Gabriela und Eckart. _______________________________________________________ Wenn es um Marinos Kunst ging, war er egozentrisch, durchaus auch egoistisch und nur wenig kompromissbereit. Das geht auch gar nicht anders. Ein genialer kreativer Künstler muss seine Kunst durchsetzen und kann dabei nicht auf zu viele Empfindlichkeiten anderer Rücksicht nehmen. Das galt bei Marino selbstverständlich auch für Tänzer. Wenn man nicht fähig gewesen wäre, nach seinen kunstvoll arrangierten, konzertant gespielten Tangos zu tanzen, hätte man es bleiben lassen müssen. Marino hätte seine Arrangements niemals zu Gunsten der Tänzer geändert. Dabei konnte er, wenn er wollte, perfekt zum Tanzen spielen. Aber er wollte nicht. Man weiss, dass sich die inneren Spannungen grosser kreativer Künstler oftmals in extravaganter Lebensführung (Richard Wagner) oder sonstigen ungewöhnlichen Verhaltensweisen ein Ventil suchen. So konnte sich Marino Rivero, wenn ihn der Teufel ritt, einen Spass daraus machen, Leute mutwillig vor den Kopf zu stossen, ohne allerdings wirklich kränken zu wollen. Von einer Begebenheit waren wir selbst betroffen. Nach unserem ersten Auftritt in Montevideo hatte sich uns ein hoher Beamter des uruguayischen Aussenministeriums 122 vorgestellt und uns eingeladen, in dem sehenswerten gefliesten Innenhof des Ministeriums einen exklusiven Auftritt zu tanzen. Der Zufall wollte es, dass wir in der Lobby unseres Hotels, wo wir uns mit Marino verabredet hatten, auch mit dem bewussten Beamten des Aussenministeriums zusammentrafen. Der war nun Marinos nächstes "Opfer“. Marino provozierte den korrekten Herrn solange mit dummen Sprüchen, bis die Situation nicht mehr zu retten war. Am Morgen des nächsten Tages wurden Ulrike und ich telefonisch vom Aussenministerium wieder ausgeladen ("wegen eines Fussbodenschadens“). Das hätten wir Marino beinahe übel genommen. Ein bekannter Tangomusiker, auch aus Montevideo, wusste zu erzählen, wie nach einer gemeinsamen Veranstaltung mit Marino, irgendwo im Ausland, sich zwei Beamte des argentinischen Konsulats bei den Künstlern vorstellten. Und wie Marino sogleich los bölkte, wir sind Uruguayer und haben bei dem und dem Fussballspiel 2 Tore geschossen…. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass Marino sich diebisch amüsiert hat über die konsternierten Gesichter der beiden argentinischen Konsulatsbeamten, während der andere Musiker verständlicherweise pottsauer war über Marinos Art von Humor, und dass ihm als Uruguayer die Situation äusserst peinlich war. Ulrike und ich haben sehr schnell gespürt, dass Marinos Eskapaden, auch wenn er öfter mal den Clown machte, nur die äussere Fassade waren, hinter der sich ein hochsensibler und verletzlicher Künstler verbarg. In Wahrheit war Marino ein warmherziger, einfühlsamer und grosszügiger Mensch; tolerant, welterfahren und mit echter Herzensbildung. Dabei hatte er einen Witz, dass wir manchmal vor Lachen fast unterm Stuhl lagen. Im Alter von 6 Jahren begann Marino das Bandoneonspiel zu erlernen, in das er hineinwuchs wie in eine Muttersprache. Seine virtuose Spieltechnik vervollkommnete er bei dem berühmten Bandoneonspieler und –lehrer Barletta in Buenos Aires. Später galt Marino Rivero jahrzehntelang als der herausragendste Bandoneonspieler der Welt und begnadeter Lehrer. In Montevideo gründete er das Taller de Música Contemporánea (Werkstatt für zeitgenössische Musik) an dem er bis zu seinem Tode Musiker ausbildete. 123 Seinen Workshop für Tangomusiker in der Göttinger MUSA werden die damaligen TeilnehmerInnen wohl nie vergessen (Bild unten). Das war pralles Tangoleben. Damals konnte ich fasziniert miterleben, wie Marino den "deutschen“ Tangoklang der Gruppe, die sich aus allen Teilen der Republik zu- sammengefunden hatte, innerhalb von zwei Tagen verwandelte in den authentischen Klang vom Rio de La Plata. Marino Rivero war ein Vollblutmusiker, der auch Klavier, Dirigieren und Komposition studiert hatte. Seine grosse Liebe galt jedoch dem Bandoneon. Seine Spieltechnik, für die er auch ein Lehrbuch verfasst hat, erregte überall auf der Welt ungläubiges Staunen. Das Bandoneon (auf deutsch eigentlich: Bandonion) und spanisch korrekt mit Akzent auf dem letzten o geschrieben, Bandoneón, stammt aus Deutschland und gilt in Argentinien und Uruguay als die Seele des Tangos. Den zweiten Schwerpunkt seines Schaffens bildete das Komponieren. Marino Riveros ultramoderne Tangokompositionen weisen in kosmische Sphären und lassen etwa einen Astor Piazzolla als erzkonservativ erscheinen. Tango ist bei Rivero nurmehr Idee, reine Abstraktion. Futuristisch und faszinierend. 124 Konzerte mit Marino Rivero, als Solist oder im Duo mit Gabriela Díaz, waren musikalische Ereignisse höchsten Ranges. In seinen Programmen mischte er gern traditionelle Tangos (natürlich arrangiert zu virtuosen Konzertstücken) mit Musik von Astor Piazzolla und Johann Sebastian Bach. Das waren tief die Seele berührende, hinreissende Abende. Aus der volkstümlichen Ranchera "Las Margaritas“ (die Francisco Canaro als Vals criollo spielt) verstand Marino durch kaum merkliche Tempoverschiebungen, so als käme die Musik aus dem bewegt pochenden Herzen, ein kleines Juwel zu machen, das zu Tränen rührte. Gern spielte er auch seine eigenen futuristischen Tangokompositionen, was allerdings nicht alle Veranstalter goutierten, denn nicht jedes Publikum ist dafür empfänglich. Anders war es in Göttingen, woran man sehen kann, dass es keiner Weltstadt bedarf, um als Künstler auf ein Publikum zu treffen, das für Neues aufgeschlossen ist. Marinos Zusammenarbeit mit uns wurde von ihm selbst angeregt, nach seinem ersten Konzert in der Göttinger MUSA. Ich habe meine sämtlichen Unterlagen durchsucht und leider nichts mehr darüber finden können. Es muss etwa 1992 gewesen sein. Marino beendete dieses tosend bejubelte Konzert mit einem Vals als Zugabe. Dabei forderte er uns per Handzeichen auf, zu seiner Muaik zu tanzen. Das taten wir. Danach, bei einem Glas Rotwein, meinte Marino, man könnte doch mal etwas zusammen machen… . So kam es, dass wir während unserer wichtigsten Auftrittsjahre, wenn wir mit Musikern zusammengearbeitet haben, hauptsächlich mit Marino Rivero und Gabriela Díaz aufgetreten sind. 1996 im Rahmen einer Deutschland/Österreich-Tournee, 1997 auf einer DeutschlandTournee und natürlich etliche Male in Göttingen, wobei wir zweimal unsere eigene Veranstaltung "Das Literarische Tango Café“ mit einem Marino-Rivero-Konzert verbanden. Einmal verlegten wir eine solche Veranstaltung in den Theaterkeller des Deutschen Theaters, das DT-Bistro. Sie war binnen kürzester Zeit ausverkauft. 125 Das Bild oben aus der Berliner Morgenpost wurde vor einer gemeinsamen Veranstaltung in Potsdam aufgenommen, wo Marino als Solist spielte, und wir Einlagen zu seiner Musik tanzten. Ausgeschnittenes Zitat aus der 126 Unsere erste gemeinsame Veranstaltung ausserhalb Göttingens führte uns gleich tief in den Süden, ins österreichische Graz. Das war im März 1996. Aber auch in Chemnitz, Leipzig, Lübeck, Bremen, Essen, Ulm, Freiburg und anderen Orten hatten wir zusammen denkwürdige Auftritte. Marino zu Ehren haben Ulrike und ich im Mai 2006 in der Göttinger MUSA unsere Choreographie zu seinem Tango Ciudad Vieja getanzt, der live gespielt wurde vom Komponisten und Gabriela. Es war die Welturaufführung unserer Choreographie, worüber Marino sich sehr gefreut hat: Wir sind sehr froh, dass wir Marino diese Ehrung noch erweisen konnten, denn es war unser letzter gemeinsamer Auftritt mit ihm und Gabriela. Marino nannte seine Musik Tango de Vanguardia (AvantgardeTango). Eine modernere, abstraktere Musik als diese wird vielleicht nie wieder die Tangokultur bereichern. Kurz gesagt: sie ist "untanzbar" und aufgrund ihrer immensen Schwierigkeiten in spontaner Improvisation nicht angemessen zu bewältigen. Dieses eine Mal wollten wir aber die Herausforderung und Marino Riveros ungeheurer Kreativität eine eigene Arbeit an die Seite stellen. Zu diesem Zweck erarbeiteten wir uns eine sorgfältig gestaltete Choreographie zu einer Tangomusik, die nie zuvor getanzt worden war, und die wahrscheinlich nie mehr getanzt werden wird.. Über diese Veranstaltung erschien im im Göttinger Tageblatt eine begeisterte Kritik von Birgit Nipkau. 127 Fantoches (Marionetten) heisst die CD von Marino Rivero und Gabriela Díaz. Sie enthält Candombes, Milongas und Tangos, komponiert von Marino Rivero, darunter seinen ultramodernen Tango Ciudad vieja (Altstadt), zu dem wir eine Choreographie erarbeitet und in Göttingen getanzt haben. Tangoliebhaber, die schon "alles kennen", sollten diese Musik anhören. Im Vergleich damit wirkt Piazzolla erzkonservativ. Marino Rivero (Bandoneon), Gabriela Díaz (Guitar): "Fantoches" as 20142. (p) & © artelier music Köln 128 _______________________________________________________ Marino arbeitete unermüdlich. Er komponierte ja nicht nur Tangos, sondern auch zeitgenössische Musik anderer Art für unterschiedlichste Instrumente und Besetzungen. Daneben absolvierte er physisch und psychisch ungeheuer strapaziöse Tourneen, auf denen er sich bis zur Erschöpfung verausgabte. Wir haben mehrmals Abende erlebt, an denen er am Ende seiner Kräfte war. Aber er brauchte das. Marino lebte vollständig in seiner Musik, und dass sie in der Welt zum Klingen gebracht werde. Dabei hatte er immer wieder neue Ideen und machte Pläne. Ulrike und ich sollten ihn und Gabriela noch auf vielen Tourneen begleiten. Dafür hatte er sich für uns den Namen Cuarteto Nuevo Tango ausgedacht. Aus verschiedenen Gründen ist es dazu nicht mehr gekommen. Unter anderem spielte bei der Zusammenarbeit die Terminplanung eine grosse Rolle. Marino und Gabriela lebten in Montevideo, so dass es nicht möglich war, sie zum Beispiel zu einer einzigen Veranstaltung 129 mal eben nach Deutschland kommen zu lassen. Und wenn sie Tourneetermine hatten, dann war es für uns meist nicht möglich, hier in Göttingen alles stehen und liegen zu lassen. Und auch wir hatten unser eigenes abendfüllendes Programm, zu dem wir unbedingt die darauf abgestimmte Musik brauchten. Jetzt, da die Zeiten ruhiger geworden sind, hätte wohl noch einmal etwas entstehen können, zumindest eine Veranstaltung in Göttingen… Marino Rivero ist tot. Erschüttert denken wir an die geselligen Abende und die Konzerte mit ihm, von denen jedes ein besonderes Ereignis war und uns im Gedächtnis geblieben ist, als wäre es erst gestern gewesen. Wie so oft in den Geschichten des Tangos, bleiben am Ende nur die Erinnerungen. Ich selbst bin nicht der Typ, der geeignet ist, viele Freunde um sich zu scharen. Marino war einer. Mein letztes Bild von Marino Rivero, aufgenommen am 25.09.2009 in Punta Carretas, Montevideo. Mir gegenüber am Tisch Gabriela und Marino. Wenn wir zusammen waren, ging es um Tango und Musik – auch beim guten Essen – und an diesem Tag auch um alte Zeiten. 130 Hugo Díaz (1947 – 1998) Zu den international führenden Tangomusikern aus Uruguay gehörte auch der Bandoneonvirtuose Hugo Diaz (Bild links), der 1998 im Alter von noch nicht ganz 51 Jahren viel zu früh verstarb. Seine Musik, technisch herausragend und von höchster Sensibilität, setzte Massstäbe für die Tangointerpretation in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. Mit Hugo Diaz hatten Ulrike und ich in Göttingen mehrere besonders erfolgreiche Tangoveranstaltungen, in denen wir die Tangoatmosphäre Montevideos lebendig werden liessen. Hugo, den ein argentinischer Musiker in einer E-Mail einmal als einen "kryptischen" Menschen bezeichnete, kamen wir menschlich sehr nahe, was bei seiner zurückhaltenden Art nicht selbstverständlich war. Einmal spielte er, nach einer anstrengenden gemeinsamen Veranstaltung in der Göttinger MUSA, backstage für Ulrike noch Piazzollas "Adios Nonino“. Einen künstlerischen Höhepunkt erlebten wir mit Hugo Diaz bei unserem 1. Literarischen Tango Café, das im Theaterkeller des Deutschen Theaters stattfand, als Teil des kulturellen Beiprogramms des damaligen Deutschen Bibliothekartags. Über diesen Abend erschien im Göttinger Tageblatt eine der schönsten Kritiken, die wir je für eine Veranstaltung bekommen haben. Geschrieben von Julia Otto. 131 Donato Racciatti (1918 – 2000) Obwohl Ulrike und ich nie das Glück hatten, mit dem Orchester Donato Racciatti live zusammenzuarbeiten, soll dieses klassische uruguayische Tangoorchester doch nicht unerwähnt bleiben. Leider haben wir Racciatti auch nie live gehört. Dafür ist seine Musik aber aus unseren Kursen nicht weg zu denken. Insofern arbeiten wir doch wenigstens mit seiner Musik. Anders als Marino Rivero, Raúl Montero und Miguel Villasboas, die alle eine ganz eigenständige, in ihrer Art einmalige Tangomusik machen, spielt Donato Racciatti durchaus konventionell; dabei aber musikalisch auf hohem Niveau und zum Tanzen sehr gut geeignet. Seine Sängerinnen und Sänger gehörten ebenfalls zu den besten ihrer Zunft. ____________________________________________________ Dass wir mit so herausragenden Musikern wie Marino Rivero und Gabriela Díaz, mit Miguel Villasboas und Raúl Montero (wenngleich mit Raúl nicht tänzerisch) so eng zusammenarbeiten durften, empfinden Ulrike und ich als grosses Glück. Uruguay ist reich an höchstklassigen Tangomusikern, von denen viele im Ausland arbeiten und nur gelegentlich, etwa zur Teilnahme an einem Tango-Festival, in ihre Heimat zurückkehren. Zum Beispiel der Bandoneonist Raul Jaurena in New York, oder der Sänger und Gitarrist Alfredo Sadi, der in Buenos Aires lebt, oder der Bandoneonist Enrique Tellería in Barcelona. Besondere Erwähnung verdient der Bandoneonspieler Romulo Larrea, der in Canada ein Tangoorchester der Spitzenklasse aufgebaut hat. Hinreissend dessen Sängerin Veronica Larc mit ihrer sinnlichen tiefen Stimme. Von Romulo Larrea bekamen wir in Montevideo als Geschenk eine fantastische Doppel-CD seines Orchesters. 132 Ausklang Mit dem folgenden Tango aus Montevideo beenden wir unser zentrales Thema "Tango in Montevideo". Dieser Tango ist in Musik, Text und gesungener Interpretation ein weiteres Beispiel für die unbegrenzte Vielseitigkeit und wandelbare Ausdrucksfähigkeit der Tangokunst. Montevideo vacía, "Leeres Montevideo“, könnte man auch der klassischen Musik zuordnen, und sein Text sprengt den Rahmen der reinen Volkstümlichkeit. Entsprechend hochrangig sind die beteiligten Künstler. Raúl Montero ist als früherer Opernsänger natürlich besonders befähigt, solche Musik zu interpretieren, und er tut es unvergleichlich. Der Textdichter Enrique Estrázulas gehört zu den bekanntesten Dichtern Uruguays. Über seinen Tangogedichten habe ich schon so manche Stunde grübelnd verbracht. Eine Entdeckung war für mich der ebenfalls uruguayische Komponist (und Pianist) Jaurés Lamarque Pons (1917 – 1982). Seine tief melancholische Musik zu Montevideo vacía gefällt mir ausserordentlich. Anmerkungen zum Text von Montevideo vacía Isidore Lucien Ducasse (geb. 1846 in Montevideo, gest. 1870 in Paris): französischer Dichter. Líber Falco (1906 - 1955) : uruguayischer Dichter Pedro Figari (1861 - 1938) uruguayischer Maler u. Politiker. U.a. malte Figari eine ganze Serie von Candombe-Bildern in üppigen Farben. Candombe ist eine folkloristische Tanzpantomime der Schwarzen in Montevideo. Alfredo de Simone (1898 - 1950): Maler; geb. in Italien, aufgewachsen und gestorben in Montevideo. Joaquín Torres García (1874 - 1949): bedeutender uruguayischer Maler (hat ein eigenes Museum in Montevideo) Juan Carlos Onetti (1909 - 1994) : uruguayischer Schriftsteller mit internationaler Geltung 133 Montevideo vacía (Tango) Música: Jaurés Lamarque Pons Letra: Enrique Estrázulas Oigo secretamente hasta el rumor del polen ese orinar de mayo en las macetas Obsesivo caer - todo es garúa como la hembra que olvidé y no puedo Oigo, no dudes que oigo abrir el día los pavorreales de la primavera los encallados vientres de navíos el viento con arenas que regresan Calles color Alfredo de Simone huelen como a Ducasse a Liber Falco muerto Chimeneas de Torres sobreviven tiembla Figari, el sur Onetti, las botellas Raquítica oración de ramas pobres anuncian la invernada cenicienta Ciudad mas triste que mis propias manos mas que mi corazón, fruta sangrienta Te estoy amando ahora, cuando te oigo no sé como serás, ni como eras 134 Dieser Strassenzug In einem Barrio, einem Stadtviertel, von Montevideo, könnte von Alfredo de Simone (1898 – 1950) gemalt worden sein. Etliche seiner Bilder von Strassen in Montevideo, besonders des Barrio Sur (Südviertel) sind in diesen und ähnlichen Farben gemalt. 135 Leeres Montevideo (Tango) Musik: Jaurés Lamarque Pons Text: Enrique Estrázulas Ich höre still und leise sogar das Geräusch der Pollen dieses Urinieren des Mais in die Pflanzenkübel. Beharrliches Fallen - alles ist ein dünner Regenguss, wie das Weib, das ich vergessen hab' und es doch nicht kann. Ich höre, bezweifle nicht, dass ich den Tagesanbruch höre, die Pfauen des Frühlings, die gestrandeten Schiffsleiber, den Wind mit Sand, der zurückkehrt. Strassen in der Farbe von Alfredo de Simone riechen wie nach Ducasse, nach Liber Falco, der tot ist. Die Schornsteine von Torres überleben, es zittert Figari, der Süden, Onetti, die Flaschen. Das rachitische Gebet der armen Zweige kündigt die aschgraue Winterzeit an. Stadt, trauriger als meine eigenen Hände, mehr als mein Herz, blutige Frucht. Ich liebe dich jetzt, wenn ich dich höre, ich weiss nicht, was aus dir werden wird, noch wie du warst. 136 Das weisse Gebäude rechts beherbergt das Museo Torres García, das Museum für einen der bedeutendsten Maler Uruguays 137 Milonga Dass man in Argentinien und Uruguay eine Tanzveranstaltung Milonga nennt, und dass auch eine musikalisch-tänzerische Variante des Tangos als Milonga bezeichnet wird, das wissen alle Tangotänzerinnen und Tangotänzer. Wenn man versucht, sich bei verschiedenen Autoren über den Begriff Milonga noch weiter Klarheit zu verschaffen, kristallisiert sich folgendes heraus: Es ist wahrscheinlich, aber nicht völlig gesichert, dass das Wort Milonga (wie übrigens auch der Begriff Tango) schwarzafrikanischen Ursprungs ist. Sicher ist dagegen, dass man im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in Uruguay die Gesänge und Wettstreite der Payadores, der Stegreifsänger, als Milonga bezeichnete. Milonga war also ein volkstümlicher Gesang, zu dem Leute zusammenkamen und sich verlustierten. In Buenos Aires ist ab etwa 1870 der Begriff "Milonga“ als Bezeichnung für eine Tanzveranstaltung belegt (Angaben nach Reichardt) Reichardt, Dieter: Tango : Verweigerung und Trauer ; Texte und Kontexte. (Suhrkamp Taschenbuch 1087) Lizenzausg. d. Vervuert Verlags 1981. – Wie der Tanz damals ausgesehen hat, wird wohl für immer im Dunkeln bleiben, denn Aufzeichnungen darüber gibt es so gut wie keine. In der Bedeutung Tanzveranstaltung blieb der Begriff Milonga bis heute erhalten, und er lebte auch fort, als man irgendwann anfing, das, was man auf einer Milonga tanzte, Tango zu nennen. Als Milongueros bezeichnet man auch heute noch die Tangotänzer, die aufgrund ihrer zuverlässigen Anwesenheit, ihres tänzerischen Könnens und ihrer Persönlichkeit die Atmosphäre eines Tangosalons massgeblich prägen. Eine Milonga-Renaissance setzte zu Beginn der 1930er Jahre ein, als der Tangodichter Homero Manzi und der Komponist Sebastián Piana in enger Zusammenarbeit eine Reihe der schönsten und berühmtesten neuen Milongas schufen. Tanzlieder, die in ihren Texten und dem einfach strukturierten, meist schnellen 2/4 Takt an die Frühform des Tangos erinnern. 138 Nicht nur Homero Manzi, sondern auch viele andere Autoren bedienen sich seitdem in ihren Milongatexten der einfachen Sprache des harten, aber empfindsamen Mannes der Pampa. Mit diesen Texten und der meist rhythmisch klaren Musik, entstand mit der Milonga, man könnte sagen, eine besonders volkstümliche, historisierende Variante des Tangos, z.B. die Milonga Sentimental, Milonga del 900, Milonga Triste. Die Texte der drei genannten Milongas und noch 15 weitere sind in dem Buch "100 Tangos von Homero Manzi“ enthalten, das wir 2007 zum 100. Geburtstag des Dichters herausgegeben haben. Die Musik zu diesen drei und zu fünf weiteren Milongas schrieb Sebastián Piana. Wegen seiner herrlichen Milongamusik, durch die er vor allem berühmt geworden ist, wurde in Buenos Aires über den Komponisten auch gesagt, "er selbst ist die Milonga“ (él es la milonga misma). Dass Milonga und Tango bereits in der Frühzeit praktisch Synonyme gewesen sind, berichtet schon Vicente Rossi in seinem 1926 erschienenen Buch Cosas de Negras. Im Kapitel über die Milonga sagt Rossi: "Da Milonga und Tango ein und dasselbe sind, haben wir praktisch in unserem Milonga-Kapitel über den Tango gesprochen. Dieses Kapitel erschien in der deutschen Übersetzung von Sonia Herrera in: Melancholie der Vorstadt: Tango. Hrsg. vom Künstlerhaus Bethanien. Verlag Frölich & Kaufmann, Berlin 1982 Genauso, nämlich: "Milonga ist Tango“, äussert sich auch Pepito Avellaneda (1930–1996) in einem Video, das ich vor Jahren gesehen habe und nurmehr aus dem Gedächtnis zitieren kann. Pepito war jahrzehntelang bis zu seinem Tod einer der berühmtesten und beliebtesten Milongueros und Tangolehrer von Buenos Aires, zu dessen besonderen Spezialitäten die Milonga gehörte. Die Milonga, die wir in der Göttinger MUSA unterrichten, orientiert sich sehr eng am Tanzstil von Pepito Avellaneda. Somit tanzen auch wir heute auf Milongamusik selbstverständlich Tango. Und obwohl man auf eine Milonga weitestgehend dieselben Bewegungen, Schritte und Figuren tanzt wie im "reinen“ Tango, erhält bei einem guten Tanzpaar die getanzte Milonga einen völlig andersartigen Charakter. 139 Um den jeweiligen Stil einer Milonga hervorzuheben, wird den Titeln oft noch eine besonders chrakterisierende Bezeichnung beigefügt. So besagt zum Beispiel der Zusatz Milonga Candombe oder Milonga Negra, dass die Handlung im Milieu der Schwarzen angesiedelt ist; Milonga Criolla oder Milonga Campera meint eine "einheimische“ bzw. bodenständige, ländliche Milonga, so wie die Milonga Gauchesca sich in die Gefühlswelt der Gauchos hineinversetzt. Eine Milonga Porteña spielt im Umfeld der Bewohner von Buenos Aires. Die Uruguayer betrachten die Milonga als ihre ureigenste Kulturschöpfung, die von Montevideo aus nach Buenos Aires gelangte. So äussert sich auch Vicente Rossi (s. Quellenang. vorige Seite). Und wer wollte bestreiten, dass das Orquesta Típica des Pianisten Miguel Villasboas die hinreissendsten Milongas spielt, die geradezu zum Tanzen zwingen, wie zum Beispiel die Milonga Chamberguito de los Gauchos ("der Schlapphut der Gauchos“) von Pascual Carabillo. 140 Milonga al revés getanzt. Foto © Stadtbücherei Innsbruck Unser einziges Foto von einer getanzten Milonga – aufgenommen in Österreich. 141 Der nächste Schritt Schon das Kleinkind erfährt beim Laufenlernen, dass nach dem ersten der zweite Schritt folgt. Als Tänzer haben wir es nicht ganz so leicht. Wenn man nicht weiss, wie und wohin der zweite Schritt gesetzt werden soll, sieht man alt aus. Und beim Tango Argentino wird es noch komplizierter, denn schon der erste Schritt kann in verschiedene Richtungen gehen, und das ist noch längst nicht alles... In einer unserer ersten Unterrichtsstunden bei Antonio Todaro in Buenos Aires, als er uns durch eine seiner "aberwitzigen" Figuren trieb, legte er schon am Anfang Wert darauf, dass wir auch die Musik 142 interpretieren. So gab er uns konkrete Hinweise, welche Sequenzen er sich z.B. schneller getanzt vorstellte, más rápido, oder welche Stellen er lieber sanft, suave, getanzt sehen wollte. Dabei hatten wir damals bei so mancher Figur noch erhebliche Schwierigkeiten, überhaupt nur die Tanztechnik der Figur zu bewältigen, so dass an Musikinterpretation noch gar nicht zu denken war. Aber Antonio gab eben Meisterklassen, auch wenn wir damals noch keine Maestros waren. Er wollte seinen ausländischen Schülern, die ja meist nur eine begrenzte Zeit in Buenos Aires sein konnten, so viel mitgeben wie möglich, und er vertraute darauf, dass man sich seine Unterrichtsinhalte zu Hause hart erarbeitete. Auch wenn wir heute natürlich unsere eigenen Musikinterpretationen tanzen, hat uns Antonios Genie während der nachfolgenden 25 Jahre immer wieder beflügelt und inspiriert. Gerade erst gestern haben Ulrike und ich bei einer al-revés-Sequenz wieder einmal spontan bewundert, wie genial Antonio war, bei dem wir damals diese vertrackte Kombination gelernt haben. Auf diese Weise lebt Antonio in unserem Tanzen weiter, und sicherlich empfinden das die meisten seiner oftmals hoch berühmten Schülerinnen und Schüler genauso. Antonio war ein international berühmter Tangolehrer, der sich in Buenos Aires seine Tanzpaare, die er unterrichtete, aussuchen konnte. Gruppenkurse gab er nicht. Zu jener Zeit feierte er gerade sein 45. Jahr als Tangolehrer. In seinem Studio zeigte er uns den Zeitungsbericht, in dem sein Jubiläum gewürdigt wurde, und er lud uns ein, abends an einem grossen Event zu seinen Ehren teilzunehmen. Ich habe mich immer gegen das choreographierte Tangotanzen ausgesprochen. Wer nur festgelegte Folgen tanzen kann, ist noch kein weit fortgeschrittener Tangotänzer. Deswegen wird im TangoArgentino-Tanzunterricht in aller Regel keine Choreographie unterrichtet. Die Tangolehrer vermitteln einzelne Tanzbausteine und verschiedene Übergänge. Damit steht den Kursteilnehmern das Material zur Verfügung, um ihren eigenen Tango zu (er)finden. Auch wenn der Weg dahin ein längerer ist. Profitänzer, wie z.B. das deutsche Fernsehballett des MDR, haben die Fähigkeit, sich eine abendfüllende Tangoshow in schätzungsweise 4 Wochen anzutrainieren. Und zwar 143 auf einem Niveau, mit dem sie sich ohne weiteres in Buenos Aires sehen lassen könnten. Trotzdem lassen sich echte Tangotänzer davon nicht verblüffen. Dem tänzerischen Können der Truppe zollen wir selbstverständlich grossen Respekt, aber Tangotanzen ist das nicht. Vielmehr ist es das theatermässig gespielte Tangotanzen. Zugegeben mit sehr guten Schauspielerinnen und Schauspielern. Auf einer Milonga, also dem freien Tangotanzen im Tanzsaal, wüssten diese hochklassigen Profitänzerinnen und Tänzer vermutlich nicht, was sie machen sollten, denn die Show-Choreographien kann man auf der Milonga nicht gebrauchen. Da heisst es für Mann und Frau gemeinsam, aus dem Gefühl heraus, mit Base, Ochos und Ganchos immer wieder andere Musik spontan in Tangobewegungen zu verwandeln. Dennoch kann für Tangolernende das Erarbeiten einer Choreographie auch von Nutzen sein. Man lernt nämlich dabei das genaue Zuhören, und man wird gezwungen, sich wirklich mit der Musik (und möglichst auch mit dem Text) zu befassen, um schliesslich die am besten passenden Tangobewegungen zu finden. Aber das ist nur der erste Schritt. Zur Interpretation gehört schliesslich die Intensität des sich Hineinbegebens. Tanzen wir schnell, langsam, mit hoher Geschwindigkeit, mit grossem Energieeinsatz, oder weich, verhalten, lyrisch, zärtlich, in offener oder enger Haltung Wange an Wange. Oder lösen wir einmal die Umarmung, den Abrazo, ganz auf. Maestros variieren ihren Tanz ständig in dieser Weise. Eine Choreographie als Instrument der Schulung kann die Augen öffnen für das, was beim kreativen Tangotanzen möglich und eigentlich auch notwenig ist, wenn man der grossartigen Musik und auch den Texten gerecht werden will. Tangotanzen ist Musikinterpretation. Wenn man ausserdem weiss, worum es im Text geht, ist das eine zusätzliche Interpretationshilfe. 144 145 Neulich las ich die folgende Bemerkung des grossen Dirigenten Wilhelm Furtwängler (1886 - 1954): Alles reproduktive Musizieren verdirbt den Charakter. Es ist zuerst echt, muss aber dann notwendig falsch werden, wenn es zum Selbstzweck erhoben wird, da Erlebnisse sich nicht mit Routine beliebig wiederholen lassen. Alle wirklich Grossen haben noch andere Ressourcen, aus denen sich die Kraft ihrer Reproduktion erneuert. Dabei fiel mir auf, dass wir es als Tangotänzer mit genau demselben Problem zu tun haben, und zwar immer dann, wenn wir - ob gezwungenermassen oder freiwillig - Choreographien tanzen. Der Tango als Tanz ist ein intensives körperliches und emotionales Erlebnis, das eine Frau und ein Mann während 3 Minuten miteinander teilen. Das Erlebnis besteht aber nicht darin, dass wir etwas uns Bekanntes, oftmals Wiederholtes ein weiteres Mal in gleicher Weise abspulen. Jeder getanzte Tango ist einmalig und daher nicht wiederholbar. Deshalb ist es mir schon immer zuwider, ja fast unmöglich gewesen, eine Choreographie zu tanzen. Allerdings gibt es Situatonen, in denen eine Choreographie dennoch unverzichtbar sein kann. Darauf komme ich weiter unten noch zurück. Seiner Intention und seinem Charakter nach ist der Tango Argentino reinste Improvisation. Denn gerade das Kreieren des Tanzablaufs im Augenblick des Tanzens gehört wesentlich zum Spiel zwischen Mann und Frau dazu und sollte sogar von den Zuschauenden miterlebt werden. Es kommt manchmal vor, dass Ulrike und ich am Schluss eines getanzten Tangos finden, dass uns da gerade spontan eine bühnenreife Interpretation gelungen ist, die wir uns eigentlich ohne Veränderung für einen späteren Auftritt bewahren sollten. Und wenn wir sie dann noch einmal tanzen wollen, geht es nicht. Derselbe Tango fällt beim zweiten Mal einfach anders aus, ob wir es wollen oder nicht. Denn der Augenblick, der uns gemeinsam die Inspiration für gerade diese und keine andere Tanzgestaltung eingegeben hat, ist unwiederbringlich dahin. Dafür ist dann aber die Wiederholung desselben Tangos mit anderen Bewegungen ein echtes, neues Erlebnis und keine Konserve. Es ist tatsächlich so, dass man ein wunderbares 146 Tangoerlebnis haben kann, ohne sich auf einer Bühne zu exponieren oder sich inmitten der Menschenmenge auf einer Milonga zu bewegen. Unter vier Augen, zu zweit allein, ohne Ablenkung durch eine Öffentlichkeit, kann das Erlebnis sogar besonders tief und intensiv sein. Trotzdem braucht man als Tangotänzer beides, die Intimität und die Gemeinschaft. Das gilt überhaupt für jede Kunst. Künste können nicht allein im Verborgenen gedeihen. Ob Schriftsteller, Maler, Musiker, Schauspieler oder Tänzer - jeder muss und will erleben, wie seine Kunst vor der Öffentlichkeit besteht. Wer darüber hinaus mit seiner Kunst Geld verdienen muss, hat keine andere Wahl, als sich der Öffentlichkeit zum Frass vorzuwerfen. Zudem ausgeliefert den mehr oder weniger kundigen und mehr oder weniger wohlwollenden Kritikern. Wenn ich auf die vergangenen zwei Jahrzehnte unserer Arbeit zurückblicke, bin ich froh und dankbar, dass wir bei der Mehrzahl unserer Auftritte improvisiert tanzen mussten, wie bei den meisten Auftritten in Montevideo. Und der Reaktion der anwesenden Medienvertreter konnten wir entnehmen, dass oftmals völlig unvorbereitete Auftritte die stärkste Wirkung erzielt haben. In Sevilla wussten wir noch eine Minute vor dem Auftritt nicht, nach welcher Musik wir tanzen würden. Schliesslich wurde uns eine Milonga angesagt, aber stattdessen ohne Vorwarnung der Tango "Canaro en Paris" gespielt. Spontaner geht's nicht. Und gerade dieser Auftritt hat eine Journalistin zu einem Interview mit uns veranlasst, das zu einem kleinen Zeitungsartikel mit Bild führte. In Montevideo, im Teatro Florencio Sánchez, wurden wir nach unserem Auftritt, als wir gerade wieder unsere Strassenschuhe anziehen wollten, noch einmal auf die Bühne gebeten, wo die Tangosängerin Elsa Morán mit ihrem Orchester noch ihren Auftritt hatte. Auf ihren Wunsch sollten wir noch einen Tango zu ihrer Musik tanzen. Natürlich völlig ungeprobt und ungeplant. Der Auftritt wurde vom argentinischen Tango-Fernsehsender Sólo Tango gefilmt (der uns danach auch interviewte) und später in Buenos Aires gesendet. 147 Ich könnte noch von sehr vielen ähnlichen Beispielen berichten. So sind auch unsere eigenen Veranstaltungen, wenn wir mit dem "Literarischen Tango-Café" unterwegs waren, fast immer aus dem Ruder gelaufen. Der Ablauf hat meist, im Austausch mit dem Publikum, eine Eigendynamik entwickelt, bei der wir unser ursprünglich geplantes Konzept zugunsten einer lebendigen, spontanen Improvisation gekippt haben. Der Veranstaltung hat das nie geschadet. Unsere praktische Erfahrung hat mich davon überzeugt, dass es auch beim öffentlich getanzten Tango Argentino längst ein Bedürfnis gibt nach dem Wahren, Echten, Ungekünstelten. Deshalb ist der Tango kein Tanz, der vor ein Riesenpublikum in gigantischen Hallen oder grossen Theatern gehört. Der Tango kommt aus den Kaschemmen, aus den kleinen Tangobars am Flussufer, und da gehört er hin und nicht ins Staatstheater, wenn er seine authentische Wirkung entfalten soll, die unter die Haut geht. Trotzdem hat es schon sehr frühzeitig auch den sogenannten Bühnentango gegeben, für den zwangsläufig andere Gesetze gelten. Für grosse, geplante, durchorganisierte Shows kommt man um Choreographien nicht herum. Bei einer total extrovertierten, theatergemässen Darbietung mit grossem Ensemble muss ein festgelegter und vielfach geprobter Ablauf das Gelingen der Gesamtveranstaltung garantieren. Keiner darf sich dabei auf die Inspiration des Augenblicks verlassen. Der eingangs zitierte Wilhelm Furtwängler war klassischer Musiker und in seiner Eigenschaft als Dirigent ausschliesslich reproduzierend. Was er mit "anderen Ressourcen" meinte, aus denen die "Grossen" neue Kraft für ihre Reproduktionen schöpfen, war bei ihm seine Arbeit als Komponist. Furtwängler, der allgemein als bedeutendster Dirigent des 20. Jahrhunderts gilt, war demnach der Auffassung, dass es praktisch unmöglich ist, ein und dasselbe Konzert zum x-ten Male ohne Verlust an seelischer Substanz zu spielen. Dass also die Wiederholung, bei der die ursprüngliche Empfindung verloren gegangen ist, eine Täuschung darstellen muss. 148 149 Und hier kommt jetzt Furtwänglers etwas überspitzt formulierte Aussage zum Tragen, dass alles reproduktive Musizieren den Charakter verdirbt. Und auf den Tanz von Choreographien bezogen, kann ich Furtwängler nur aus vollem Herzen beipflichten. Als Tangotänzer sind wir per se keine reproduzierenden, sondern schöpferische Interpreten, aber bei manchen Bühnenveranstaltungen, die auf das präzise Funktionieren geplanter Handlungsabläufe angewiesen sind, müssen Choreographien sein. Die Folge ist, dass man die grossen TangoShowveranstaltungen, auch die berühmtesten, fast immer mit dem leisen Gefühl verlässt, dass irgend etwas gefehlt hat. Und damit wollte sich Furtwängler bei seinen Konzerten nicht zufrieden geben. Der Grund für das Versagen von Choreographien ist leicht erklärt: Eine Choreographie wird vorher erdacht und von Auftritt zu Auftritt wiederholt. Die Improvisation dagegen entsteht erst während des Tanzens aus dem augenblicklichen Gefühl heraus und kann nicht wiederholt werden. So ist eine Choreographie auch eine Schutzeinrichtung für den professionellen Auftritt, der auch dann gelingen muss, wenn kein Gefühl vorhanden ist und durch Routine ersetzt werden muss. Gelegentlich haben auch Ulrike und ich Choreographien entwickelt und getanzt, wenn die Veranstaltung es erforderte. Zum Beispiel 2006, als wir in der Göttinger MUSA unseren letzten Auftritt hatten mit den uruguayischen Tangomusikern Marino Rivero (Bandoneon) und Gabriela Díaz (Gitarre) aus Montevideo. Darüber habe ich oben im Kapitel Marino Rivero berichtet. Einen anderen Auftritt mit mehreren Nummern, die wir choreographiert hatten, tanzten wir bei einem Tango-Konzert mit dem Göttinger Symphonieorchester in der Göttinger Stadthalle. Was uns an diesem Abend besonders gefiel, war das professionelle Umfeld, das sehr zur Entspannung beigetragen hat. Normalerweise sind wir es bei unseren Auftritten gewöhnt, dass wir uns vorher nicht in einer bequemen Garderobe sammeln und ent- 150 spannen können, sondern dass wir bis kurz vor Beginn unseres Auftritts noch tausenderlei organisatorische Dinge mit den Veranstaltern klären müssen, vom Mikro bis zum Fussboden, vom Glas Wasser bis zur Pausenplanung und der Lage der Toilette usw. Solche Abende sind sehr anstrengend. Bei den internationalen Festivales wird einem das Organisatorische natürlich abgenommen, aber oftmals sind die Bedingungen bei den einzelnen Veranstaltungen alles andere als ideal. In Montevideo haben wir uns mit dem Berliner Tango-Tanzpaar Ulrike Schladebach und Stefan Wiesner unterhalten. Die erzählten uns, dass sie normalerweise nur unter den besten Bedingungen auftreten. Wir konnten dagegen setzen, dass wir es gewöhnt sind, unter den denkbar schlechtesten Bedingungen aufzutreten. Einen Vorteil hat das allerdings, man ist durch nichts mehr zu erschüttern. Vom Ambiente her bevorzuge ich eindeutig die Intimität der kleinen Kaschemme, auch wenn deren Bedingungen miserabel sind. Die schlecht beleuchtete Tango-Bar am Flussufer, in dem ein kleines Conjunto um einen Bandoneonspieler mit Hingabe traditionelle Tangos spielt, passt einfach besser zum authentischen Tango als das Staatstheater mit Sinfonieorchester. Trotzdem geniesst man dann solche Abende wie den mit dem Göttinger Symphonieorchester, eingebunden in die Bequemlichkeit der Routine eines Konzertabends mit warmer Garderobe, schnell erreichbarer Toilette, ausreichendem Platz auf der Bühne und einem Mitarbeiter-Team, dem alles Organisatorische obliegt. Auch zur Musik eines Sinfonieorchesters zu tanzen, macht grossen Spass, zumal sich die sinfonische Art der Tangodarbietung längst weltweit etabliert. hat. Ich habe vom Barenboim-Konzert in Buenos Aires erzählt, und auch in Montevideo haben wir ein Open-Air-Tangokonzert mit dem städtischen Sinfonieorchester erlebt. Der Tango ist eine Volkskultur auf höchstem Niveau und von einer schier unbegrenzten Vielseitigkeit in Musik, Literatur und Tanz. So ist es nicht verwunderlich, dass viele Menschen dem Tango ihr Leben gewidmet haben. 151 Montevideo, Plaza Independencia. Ganz links das Denkmal für den Freiheitskämpfer und Nationalhelden Artigas, das Gebäude mit Turm ist der Palacio Salvo, das Wahrzeichen Montevideos. Rechts in der Mitte das historische Regierungsgebäude, ganz rechts noch zu sehen das neue Regierungsgebäude und Präsidentensitz. 152 Montevideo, Plaza Independencia: die Ansicht gegenüber 153 Montevideo: an der Rambla mit Blick nach Osten auf die Playa Ramírez, einen der Stadtstrände von Montevideo 154 Alle Urheber der Fotos werden bei den Fotos im Text genannt. Todos los autores de las fotos son mencionados con las fotos en el texto _________________________________________________ Wir danken den folgenden Personen bzw. Institutionen für die Erlaubnis der Bildnutzung Agradecemos a los personas siguientes e instituciones respectivamente por el permiso para usar las fotos Berliner Morgenpost: Ulrike y Eckart juntos con Marino Rivero Diario de la República, Montevideo: Elsa Morán Diario Qué, Sevilla: Los Haerter Göttinger Tageblatt:: Marino Rivero y Gabriela Díaz juntos con Ulrike y Eckart Gelem Habiaga: Raúl Montero y Eckart Haerter juntos Dagmar Härter: Ulrike y Eckart bailando Joventango Montevideo: Todas las fotos del Festival internacional Viva el Tango, excepto en el Club Bohemios. Archivo privado de Fernando Olivera: Fotos en el Club Bohemios Nicolás Piaggio: Ulrike y Eckart bailando W. Raab: Ulrike y Eckart bailando rtv, Deutscher Supplementverlag GmbH, Nürnberg Standard-Tanzpaar Udo Rzadkowski: Ulrike und Eckart in Tanzhaltung Stadtbücherei Innsbruck: Ulrike und Eckart bailando Milonga Tacuy.com : Olga Delgrossi Periódico semanal El Vecino, Trinidad, Uruguay: Ulrike y Eckart bailando Archivo privado de Miguel Villasboas: Fotos de Miguel Villasboas y su Orquesta Wikipedia (dominio público / gemeinfrei): Malena Muyala Aufnahme von Hugo Díaz: Privat Porträt von Romildo Risso aus: Risso, Romildo: Con las riendas sueltas. - 1. ed., Buenos Aires : Assoc. de Cult. Tradicion. del Rio de la Plata, 1955. Aufnahmen von Marino Rivero: Archivo privado Gabriela Díaz Alle Fotos von Montevideo und Buenos Aires © Eckart Haerter Alle in Montevideo aufgenommenen Tanzfotos von Ulrike und Eckart entstanden live bei Auftritten in öffentlichen Veranstaltungen.. 155 Ulrike und Eckart Haerter : Tangobiographische Notizen (eine Auswahl) 1988 Göttingen: Beginn mit Tango-Argentino-Tanzkursen. Ab 1989 professionell 1989 Wittenberg, Kulturhaus Maxim Gorki: Tanz-Auftritt als Mitglieder einer Kulturdelegation der Stadt Göttingen. 1990 Göttingen, Junges Theater: Tanz-Auftritt im Rahmen des "Kulturmarathons“. Göttingen: (Oktober) Gründung des MUSA-Tango-Salons als ständige Veranstaltung am Sonntag. Besteht bis heute. 1995 Calcutta (Kolkata): Diverse Tanz-Auftritte und Workshops. Die Auftritte im Night Club des Park Hotels wurden von Delhi Television aufgezeichnet. Göttingen, Deutsches Theater, Theaterkeller (DT-Bistro): Zusammen mit Hugo Díaz, Montevideo (Bandoneon): Das Literarische Tango-Café. Konzert, Tanz und Text. 1996 Graz, Leipzig, Essen, Chemnitz u.a.: Zusammen mit Marino Rivero, Montevideo (Bandoneon) und teilweise auch mit Gabriela Díaz, Montevideo (Gitarre) Deutschland / Österreich-Tournee Montevideo, (diverse Bühnen): Als offizielles Tanzpaar Teilnahme am 3. Weltgipfel des Tangos (3ª Cumbre Mundial del Tango) gekoppelt mit dem 9. Festival internacional Viva el Tango von Montevideo. San José, Uruguay, Teatro Macció: Tanz-Auftritt. Montevideo: Fernsehauftritt bei Teledoce in Montevideo Göttingen, Deutsches Theater (DT-Keller): "Bandoneon – Seele des Tangos". Marino Rivero, Montevideo (Bandoneon), Gabriela Díaz, Montevideo (Gitarre), Ulrike & Eckart Haerter, Göttingen (Tanz). 156 1997 Montevideo, (diverse Auftrittsorte): Als offizielles Tanzpaar Teilnahme am 10. Festival internacional Viva el Tango. Berlin: Show-Autritt auf einer Veranstaltung der argentinischen Fluggesellschaft Aerolíneas Argentinas Potsdam, Bremen, Freiburg u.a.: Tournee mit Marino Rivero und Gabriela Díaz. Hamburg: Fernsehauftritt beim NDR 1998 Lissabon, Teatro da Trindade: Als offizielles Tanzpaar Teilnahme am 4. Weltgipfel des Tangos (4a Cimeira mundial do Tango). 1999 Montevideo, diverse Auftrittsorte: Als offizielles Tanzpaar Teilnahme am 12. Festival internacional Viva el Tango in Montevideo. 2000 Göttingen, MUSA: Präsentation der 1. Auflage unseres Buches Ecken in Buenos Aires mit Tangotexten von Homero Manzi, übersetzt von Eckart Haerter. Live mit dabei: Acho Manzi, der Sohn des Dichters. Die Livemusik spielte das argentinische Trio TANGONAVE. Leipzig, Zimmertheater Kosmopolitan: Aufführung unserer Tanz- und Lese-Show Das Literarische Tango-Café. Bregenz, Österreich, Vorarlberger Landesbibliothek, Kuppelsaal: Das Literarische Tango-Café. Tanz und Text. 2001 Berlin, Ibero-Amerikanisches Institut (IAI), Simón-BolívarSaal: mit freundlicher Unterstützung der Botschaft der Republik Argentinien Das Literarische Tango-Café mit Tanz und Text unter dem Titel: Ein Abend zu Ehren von Homero Manzi – Una Noche en Homenaje a Homero Manzi. Köln, Stadtbibliothek: Das Literarische Tango-Café. Tanz und Text. Montevideo, Lokal Rancho Zeta: Tanz-Auftritt im Rahmen einer Veranstaltung mit Dinner,Tanz und Show. 157 2002 Dresden, Semperoper (Kleine Bühne): Premiere der Tangooper Porqué… porqué … Tango Orfé mit Tangotexten von Homero Manzi in der Übersetzung von Eckart Haerter Ratingen, Velbert, Herten, Leverkusen u.a.: Das Literarische Tango-Café. Tanz und Text. 2004 Innsbruck, Stadtbücherei: Das Literarische Tango-Café. Tanz und Text. Gütersloh, Stadtbibliothek: Das Literarische Tango-Café. Tanz und Text. 2005 Sevilla, Teatro Lope de Vega: Als offizielles Tanzpaar Teilnahme am 6. Weltgipfel des Tangos (6a Cumbre mundial del Tango). Cottbus, Stadtbibliothek: Das Literarische Tango-Café. Tanz und Text. 2006 Göttingen, MUSA: Cuarteto Nuevo Tango: Marino Rivero, Montevideo (Bandoneon), Gabriela Díaz, Montevideo (Gitarre), Ulrike Haerter und Eckart Haerter, Göttingen (Tanz): Tangokonzert mit Welturaufführung unserer Choreographie zu Marinos ultramodernem Tango: Ciudad vieja. 2007 Göttingen: zum 100. Geburtstag des argentinischen Tangodichters Homero Manzi (1907 – 1951) erscheint unser Buch 100 Tangos von Homero Manzi. Übersetzungen von Eckart Haerter. Göttingen, Stadthalle: Tanz-Auftritt bei einem TangoKonzert.mit dem Göttinger Symphonieorchester unter der Leitung von Hermann Breuer. Giessen, Stadtbibliothek: Das Literarische Tango-Café. Tanz und Text 2008 Göttingen: Das Literarische Tango-Café.Tanz und Text. 158 2009 Buenos Aires: Teilnahme an der Vor-Premiere für geladene Gäste des Films Poeta en la Tormenta ("Dichter im Sturm") über das Leben des Tangodichters Homero Manzi. Dabei letztes Zusammentreffen mit seinem Sohn Acho Manzi. Montevideo: Mit dem Tangosänger und Tango-Liedermacher Raúl Montero Vorbereitung eines Heftes mit neuen uruguayischen Tangos in deutscher Übersetzung (s. 2011). 2010 Frankfurt am Main, Frankfurter Buchmesse, EhrenGastland Argentinien. Zusammen mit einem Abteilungsdirektor des argentinischen Kulturministeriums Präsentation einer argentinischen Sonderausgabe unseres Buches 100 Tangos von Homero Manzi (s. 2007). Mit Livemusik des Conjuntos Lídia und Luis Borda. 2011 Göttingen: Es erscheint das 2009 in Montevideo projektierte Heft: Bailando junto al río ("Tanzend am Fluss") mit uruguayischen Tangos, übersetzt von Eckart Haerter 2012 Göttingen: 3. erweiterte und verbesserte Auflage unseres Buches: Ecken in Buenos Aires. 2013 Göttingen: Tango in Montevideo : Erfahrungsberichte / aufgezeichnet von Eckart Haerter.2. bearb. Aufl. 160 S. ; zahlr. Abb. . 159 Veröffentlichungen von Ulrike & Eckart Haerter Ecken in Buenos Aires = Esquinas porteñas : Tangos, Milongas, Valses und Canciones / von Homero Manzi ; ausgewählt, ins Dt. übertr. und mit Anm. vers. von Eckart Haerter Verfasser: Manzi, Homero (1907-1951) 3., neubearb. u. erw. Aufl. Göttingen : Tango Productions Ulrike & Eckart Haerter, 2012 276 S. : Ill. ; 21 cm Text span. und dt. Paperback ; Preis: 9,80 EUR + Versand: 12,30 EUR. ISBN 978-3-9809306-6-6 ______________________________________________________ Raúl "Ciruja" Montero: Canción del Plata Montevideo : Tabaré Records, 1997 Umfang: 1 CD; 44:46 Min. ; 12 cm Das Booklet zur CD Das Lied vom La Plata : Tangolyrik aus Uruguay von Enrique Estrázulas, Raúl Montero, Ignacio Suárez, Roberto Bianco und aus Argentinien von Gloria Marcó = Canción del Plata / hrsg. und ins Dt. übertr. von Eckart Haerter Anmerkung: Text in span. und dt. Sprache ISBN 3-9809306-1-0 Preis (CD + Booklet): 9,- €. Keine Versandkosten 160 Ulrike und Eckart Haerter sind ein deutsches Tango-Tanz- und --Lehrerpaar. Ausgebildet wurden sie hauptsächlich in Buenos Aires bei dem legendären Maestro Antonio Todaro. Heute verfügen sie über eine 25-jährige Praxis als Vermittler der Tangokultur vom Rio de La Plata. 20 Jahre nutzten sie auch für Auftritte in und ausserhalb Deutschlands. Darunter zahlreiche Auftritte auf den Bühnen von Montevideo, der Hauptstadt Uruguays. Montevideo ist zeitgleich mit Buenos Aires Ursprungsstadt des Tangos. "Der Tango aus Argentinien und Uruguay, kurz Tango Argentino genannt, ist die Kulturschöpfung der Menschen am Rio de La Plata", sagt Ulrike Haerter. "Wir als Deutsche wollten authentisch Tango tanzen, deshalb haben wir uns in Buenos Aires den grossartigen Antonio Todaro als unseren Lehrer ausgesucht. Dass wir später in Montevideo, der anderen Ursprungsstadt des Tangos, auftreten konnten, zusammen mit einheimischen Tangomusikern und vor einheimischem Publikum, war eine Erfahrung, die uns zusätzliche Bestätigung gegeben hat für unsere Arbeit in Deutschland. " Eckart Haerter hat die Erfahrungsberichte aufgezeichnet und Im vorliegenden Buch zusammengestellt. ISBN