NDW - deutsche Popularmusik Geschichte
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NDW - deutsche Popularmusik Geschichte
Neue Deutsche Welle – Ein Einblick in die deutsche Popgeschichte von 1979 – 1983 1. Einleitung Es gibt nur wenige Menschen in Deutschland, die Neue Deutsche Welle oder kurz NDW nicht kennen. Hits wie „Der Goldene Reiter“, „Sternenhimmel“ oder „99 Luftballons“ haben dieses Genre gekennzeichnet, obwohl diverse ähnliche Songs schon viel früher existierten. Diese kurze Periode der deutschen Popkultur veränderte den Zeitgeist. NDW spielte in der Entwicklung der deutschsprachigen Rock- und Popmusik insofern eine wichtige Rolle, als dass sie durch die Brechung von musikalischen und textlichen Konventionen neue Wege beschritt und so nachhaltige Auswirkungen auf die deutsche Sprache in der Popmusik besaß. NDW bietet auch heute noch Anknüpfungspunkte für Bands wie MIA, Spillsbury oder Jennifer Rostock und für Musikbewegungen wie die Hamburger Schule, Electroclash oder die Zweite Neue Deutsche Welle à la Silbermond und Juli. Diese nachfolgende Arbeit soll einen Überblick über die Entwicklung der NDW geben und exemplarisch zwei Bands beleuchten. 2. Vom Punk über New Wave zur Neuen Deutschen Welle Der musikalische Ursprung von NDW ist in der Punkmusik zu finden und musste erst den Umweg über den englischen New Wave machen, um in Deutschland Fuß zu fassen. Doch woher stammt der der Begriff und wie kam die Musik zustande? Im folgenden Kapital werde Fragen zum Ursprung von NDW geklärt. 2.1 Zum Begriff Der Begriff „Neue Deutsche Welle“ wurde von dem Journalisten und Label-betreiber Alfred Hilsberg geprägt. Ende der 1970er Jahre schrieb Hilsberg für das Musikmagazin „Sounds“, einem der wenigen kommerziellen deutschen Magazinen seiner Zeit, welches sich modernen und subkulturellen Themen widmete. Im Jahre 1979 erschien im „Sounds“ ein von Alfred Hilsberg verfasster dreiteiliger Artikel namens „Neue deutsche Welle – Aus grauer Städte Mauern“, in dem er die junge deutsche Post-Punk Szene beleuchtete. Er berichtete von jungen Bands wie Der Plan oder DAF, die sich von der Punkszene absetzen wollen und mit neuen elektronischen Instrumenten experimentieren. Hilsberg schreibt über den Einfluss von Kunst und Mode in der Musik und über die Wichtigkeit der deutschen Sprache im Kontext dieser Bands. Der Begriff „Neue Deutsche Welle“ wurde vom englischen Begriff „New Wave“ abgeleitet. 2.2 New Wave in England Als die Punkbewegung 1976 in England startete, war diese Jugendbewegung mehr als ein einer Musikstil, sondern eine Mischung aus Musik, Mode, Kunst und Attitüde. In diesem Zusammenhang entstanden in der Punkszene immer mehr Bands, die nicht mehr auf ein bestimmtes musikalisches Genre reduziert werden konnten. Bands wie Tubeway Army und Ultravox fügten nun futuristische und stark elektronische Elemente in ihre Musik ein, Joy Division reduzierten ihre Instrumentierung radikal auf ein Minimum, Human League und Heaven 17 experimentierten mit Popmusik; A Certain Ratio und The Clash ließen sich von Funk und Disco beeinflussen, Elvis Costello und The Specials wandten sich dem Roots Reggae und Rocksteady zu. So gab es nun eine musikalische Vielfalt innerhalb der Punkszene und da die englische Musikpresse glaubte, dass diese Bewegung nur von kurzlebiger Dauer sein würde, sprach sie fortan mit dem Begriff „New Wave“ von diesen Bands, inspiriert vom französischen „Nouvelle Vague“ Kino Ende der 1950er Jahre. 2.3 Der deutsche Einfluss – Kraftwerk Eine große Neuerung in der englischen New Wave Szene war das Experimentieren mit elektronischen Instrumenten, womit die Musik ein Gefühl von futuristischer, technokratischkühlen Distanziertheit vermittelte. Dieses beruhte auf dem Einfluss der Düsseldorfer Krautrockband Kraftwerk, die einen großen Eindruck bei der englischen Musikszene hinterließ, was zum ersten Mal in der Nachkriegsgeschichte der Popmusik geschah: Eine deutschsprachige Band betrat das internationale Parkett und beeinflusste englische und amerikanische Bands. Martyn Ware von Heaven 17 hierzu: „…als ich das erste Mal Kraftwerk hörte [...] veränderte dies meine Sichtweise insofern, dass ich begriff, wie körperlich elektronische Musik sein kann und wir dachten nicht eine Sekunde daran, dass wir so etwas auch machen könnten, da es zu dieser Zeit keine erschwinglichen Synthesizer gab, die in unserem Preisbereich lagen.“ 2.4 Neue Technologien Elektronische Instrumente, wie Synthesizer, Sampler oder Drummodule, wurden von vielen Musikern der Punkbewegung als sehr modern und avantgardistisch angesehen, aber konnten aufgrund der hohen Kosten in den wenigsten Fällen eingesetzt werden. Dies änderte sich, als die Firma Korg 1978 das Synthesizermodell MS-20 auf den Markt brachte. Für einen Originalpreis von damals ca. 1500.- DM, wurden Synthesizer nun für den normalen Musiker erschwinglich und viele Bands in England, sowie in Deutschland fingen an, mit dem MS-20 zu experimentieren. Die Musik bekam so vielerorts einen modernen Charakter. Technische Innovationen trugen musikgeschichtlich schon lange zur Entwicklung der Musik bei, doch der Einzug der Synthesizer in die Popkultur läuterte eine neue Ära ein. 3. Deutschland 1979 – „Weg vom Punk!“ Die im vorangegangenen Kapitel genannten Veränderungen führten zu einer immer größeren Spaltung der Punkszene. Auf der einen Seite war Punk eine moderne Bewegung, die sich nicht an Dogmen und Konventionen hielt, sich dann aber auf der anderen Seite subkulturell etablierte. Dies führte zu einem gewissen Konservatismus, der eine musikalische und ideologische Veränderung als Bedrohung sah. Der Musikjournalist und jetzige Professor für Kulturwissenschaft Diedrich Diederichsen beschrieb die Situation anhand eines Konzertes der britischen Punkband The Clash wie folgt: „Am Anfang war ja nicht klar gewesen, was Punk überhaupt war und welche Grenzen es hatte. Und solange das der Fall war, brachte Punk alle möglichen exzentrischen Figuren hervor. Aber bald war Punk immer weniger der Ort für Exzentriker und sonstige expansive Persönlichkeiten. Die mussten zu neuen Ufern. Und was zurückblieb, waren Gruppen wie Slime. „Wir wollen keine Bullenschweine!“ Das war eine andere Ausrichtung. Ich erinnere mich an ein Clash-Konzert, über das ich in Sounds geschrieben habe, unmittelbar nach einer Rundum-Festnahme von 200 Punks. The Clash galten ja inzwischen als Verräter. Die wurden provoziert und angespuckt – bis Joe Strummer mit der Gitarre zurückschlug und irgendeinen Typen am Kopf traf. In der Marktstube war danach richtig Revolutionsstimmung. Alle brüllten durcheinander: „Strummer hat den totgeschlagen!“ Und es war klar: Heute passiert noch was. Die Marktstube war irrsinnig voll mit Leuten, die zu allem entschlossen waren. Gegen Clash. Gegen „die Schweine“. Gegen „das Kapital“. Und dann kam gegen 3 Uhr morgens das Opfer an. Mit einem kleinen Kopfverband. „Ey du hast ja überlebt.“ Strummer meinte am nächsten Tag im Interview zu mir: „Hamburg ist die beste Stadt der Welt. So eine Energie habe ich noch nie erlebt. Die muss man richtig nutzen.“ (Teipel, Jürgen. Verschwende Deine Jugend. Suhrkamp, 2001. Seite 219) So distanzierten sich immer mehr Bands von der Punkszene und es bildete sich eine neue, avantgardistische Musikszene, die dann im oben genannten Artikel von Alfred Hilsberg als Neue Deutsche Welle beschrieben wurde. Was diese Bands auszeichnete war zum Einen der deutsche Gesang, der sich textlich sowie phonetisch insofern von der deutschsprachigen Musik davor abhob, als dass er alltagssprachlich, ironisch, unverkopft und repetitiv war und mit der Brechung von Tabus provokant, aber auch humorvoll die Gesellschaft spiegelte. Zum anderen lösten sich diese Bands musikalisch von den konventionellen Schemen des Songs, also Strophe/Refrain/Strophe/Refrain, und versuchten diese durch stark wiederholende Elemente, sowie durch Vereinfachungen des Themas zu verändern. 4. Die Entwicklung zum NDW anhand von zwei Fallbeispielen In diesem Kapitel werden nun zwei Bands der frühen Phase der Neuen Deutschen Welle vorgestellt, um exemplarisch die Entwicklung zu dokumentieren. 4.1 Fehlfarben – Pop wider Willen Die Düsseldorfer Band Fehlfarben gründete sich 1979 und setzte sich aus Mitgliedern der beiden Punkbands Mittagspause und Charley´s Girls zusammen. Bei einem Englandaufenthalt kam die Band zum ersten Mal mit „schwarzen“ musikalischen Einflüssen wie Funk, Dub und Ska in Berührung und ließ sich davon inspirieren. Der Sänger von Fehlfarben Peter Hein hierzu: „Ich war von Punk ziemlich genervt. Es gibt ja auf der Skasingle die Zeile: „Es ist zu spät für die alten Bewegungen“ – das bezog sich nicht nur auf die Hippies, sondern auch auf Punks. Auf alle alten Bewegungen. Das war meine Stimmung. Genau wie in diesem DAF Stück: „Alle gegen alle“. (Teipel, Jürgen. Verschwende Deine Jugend. Suhrkamp, 2001. Seite 202) Nachdem Fehlfarben 1980 bei der Plattenfirma EMI unterzeichneten und die LP „Monarchie und Alltag“ veröffentlichten, wurden sie von der Punkszene als Verräter betrachtet. Die Single „Ein Jahr (Es geht voran)“ erreichte hohe Verkaufszahlen und die Band erhielt die Goldene Schallplatte für ihr Debut. Dies stürzte sie in eine große Krise, da besonders der Sänger Peter Hein auf einen kommerziellen Erfolg nicht vorbereitet war und daraufhin die Band 1982 verließ. Gitarrist Thomas Schwebel übernahm nun den Gesangspart, doch Fehlfarben löste sich schließlich 1984 auf. Erst im Jahre 2002 fand sich die Band wieder zusammen und nahm bis dato drei Alben auf. Fehlfarben revolutionierten die deutschsprachige Rockmusik und lösten sich von Althergebrachtem musikalisch, aber gerade auch textlich. Hierzu der Text von „Ein Jahr (Es geht voran)“: Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran! Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran! Spacelabs fallen auf Inseln, vergessen macht sich breit, es geht voran! Spacelabs fallen auf Inseln, vergessen macht sich breit, es geht voran! Berge explodieren, Schuld hat der Präsident, es geht voran! Berge explodieren, Schuld hat der Präsident, es geht voran! Graue B-Film-Helden regieren bald die Welt, es geht voran! Graue B-Film-Helden regieren bald die Welt, es geht voran! Es geht voran! Es geht voran! Anhand dieses Beispiels sieht man die radikale Reduzierung des Textes auf ein Minimum, sowie den wiederholenden Charakter. 4.2 DAF – Der Mussolini Die Band Deutsch-Amerikanische Freundschaft gründete sich 1978 in Wuppertal zunächst noch als Punkband mit vier Mitgliedern. Nach einer England-Tournee 1981 und dem konsequenten Reduzieren der Instrumentierung auf Sequenzer/Synthesizer, Schlagzeug und Gesang, bestand die Band fortan nur noch als Duo. DAF war im Kontext der NDWBewegung die radikalste und provokanteste Band. Der Sänger Gabi Delgado sagte dazu: „Meine Hauptabsicht in dieser puristischen Form von DAF war: weg vom Song. Mich haben Songs total genervt. Diese ganzen Rock´n´Roll-Harmonien fand ich zum Kotzen. Aber auch diese ganzen Songstrukturen. Dass man Strophe und Refrain hat. Ich wollte nie einen zweiten Part in einem Stück haben. Kacke. (..) Wir haben Musik dann so gemacht, dass wir den Sequencer eingeschaltet haben – und dann hat Robert, in einer Art Zenmeditation über den Synthies und Sequencern, so lange daran gedreht, bis das irgendwie klasse war. Das war immer so minimalistisch. So eine abgedrehte Energie. Die Maschinen waren immer kurz vorm Zusammenbrechen. Im Gegensatz zu Kraftwerk mussten die Maschinen bei uns schwitzen.“ (Teipel, Jürgen. Verschwende Deine Jugend. Suhrkamp, 2001. Seite 292) Textlich gingen DAF neue Wege. Die zumeist sehr kurzen repetitiven Texte griffen tabugeladene Themen wie Nationalsozialismus, Gewalt und Sex auf und der offene Umgang mit Homosexualität, sowie die körperbetonten Konzerte der Band waren ein subversiver Angriff auf die Gesellschaft, der selbst innerhalb der Subkultur auf Unverständnis und Kritik stieß. Hierzu ein Textbeispiel der erfolgreichsten Single von DAF „Der Räuber und der Prinz“: Ein schöner junger Prinz. verirrte sich im Wald. Plötzlich wurde es dunkel. da packten ihn die Räuber. Doch einer von den Räubern liebte diesen Prinzen. Ich liebe dich mein Prinz. Ich liebe dich mein Räuber. 5. NDW und Kunst Bildende Kunst hatte in der Frühphase der NDW einen sehr hohen Stellenwert. So fand man viele Elemente des Dadaismus und Futurismus in den Texten, aber auch gestalterisch auf den LP-Covern wieder. Im folgenden eine bildliche Gegenüberstellung: Musiker, wie Markus Oehlen und Martin Kippenberger wandten sich der Kunst zu und gestalteten die Cover und Bühnenbilder der NDW Bands. Man konnte viele Parallelen zwischen der Kunst der Neuen Wilden und der Musik der NDW finden: Expressiv-abstrakt wurden elementare Themen wie Sex und Angst stilistisch naiv und spontan dargestellt. So wollten Künstler sowie Musiker sich „von den repressiven Zwängen des Intellekts [...] der vergangenen Dekade befreien.“ 6. Die Industrie schläft nicht – Der Anfang vom Ende Die deutsche Musikindustrie glaubte zunächst nicht an den kommerziellen Erfolg der NDW Bands, doch als DAF und Fehlfarben Erfolge feierten, versuchten die Plattenfirmen schnell zu reagieren. Da die Früh-NDW Bands auf ein gut funktionierendes DIY-Netzwerk zurückgreifen konnten, war es schwierig für die Plattenfirmen, die schon bestehenden Bands zu signen und so kreierte man Retortenbands und vermarktete diese Bands unter dem Label NDW, welches zuvor in dieser Form eigentlich noch gar nicht existierte. Da sich diese Künstler Elemente des Schlagers zu Eigen machten und es Ihnen an Authentizität fehlte, wurden sie von den schon existierenden Bands extrem abgelehnt. Eine inflationäre Veröffentlichungspolitik, sowie die massive Medienpräsenz der neuen Künstler führte zu einer schnellen Übersättigung des Marktes und zu einer hohen Frustation innerhalb der Szene, weswegen sich ein großer Teil der Bands auflöste. Die Plattenverkäufe waren rückläufig und im Jahre 1984 wurde NDW für tot erklärt. 7. Zusammenfassung Neue Deutsche Welle als Musikrichtung ist schwer zu erfassen, da die anfängliche Szene, den Begriff nie benutzt hatte und erst mit den großen Veröffentlichungen ab 1982 geprägt wurde. Streng genommen hat NDW nur für vier Jahre existiert. Zwar hat die Neue Deutsche Welle keine Revolution ausgelöst, aber dennoch den Weg für deutschsprachige Musik geebnet und gesellschaftliche Trends gesetzt. So konnte z.B. der deutschsprachige Rock à la Grönemeyer und Westernhagen nach der NDW Zeit schnell Fuß fassen und sich kommerziell etablieren.