Gott im Horizont der Existenz des Menschen Das Gottesverständnis
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Gott im Horizont der Existenz des Menschen Das Gottesverständnis
Gott im Horizont der Existenz des Menschen Das Gottesverständnis der Neuzeit Immanuel Kant 5 10 15 20 25 30 35 40 45 50 Immanuel Kant (1724-1804), der sein ganzes Leben in Königsberg verbracht hat und dort eine Professur für Philosophie inne hatte, gilt als der bedeutendste Philosoph der Aufklärung. Von ihm stammt die bekannteste Definition dieser Phase (zweite Hälfte des 18. Jh. bis Anfang des 19. Jh.): Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Bisher lebte man, geistesgeschichtlich gesehen, in der Glaubens- und Denktradition des europäischen Abendlandes. Der Gebrauch der Vernunft bedeutete hier, der vorgegebenen, geoffenbarten Einsicht des Glaubens oder auch der überlieferten Weisheit nach-zudenken und den Platz zu erkennen und einzunehmen, der einem jeden nach der bestehenden Welt- und Lebensordnung zukam. Jetzt wurde die Vernunft des Menschen zum Schlüsselbegriff einer neuen Epoche der Geschichte der Menschheit. Es ging um den Mut und die kritische Kühnheit, diese Welt mit der Kraft des eigenen Verstandes zu erforschen, sich ein eigenes Welt-Bild aufzubauen und eine Weltordnung zu entwerfen, die allen Menschen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit versprach. In der französischen Revolution wurde erstmals versucht, die politischen Konsequenzen dieses neuen Selbstverständnisses des Menschen zu ziehen. Damals entstanden die Menschenrechte, die bis heute als die Grundlage einer Weltordnung in Gerechtigkeit und Freiheit gelten. Auch für die Theologie ergab sich damit ein völlig neuer Ansatz. Bisher hatte sie von der Offenbarung her gedacht. Die Vernunft galt im Mittelalter wie auch bei Luther als die Magd der Theologie. D.h., sie hatte mit den Möglichkeiten menschlichen Denkens das zu entfalten, was die Offenbarung ihr vorgab. Jetzt wurde die Vernunft zum Maßstab für die Erkennbarkeit Gottes und für die Verstehbarkeit des Glaubens. Immanuel Kant ist der philosophische Denker, der die Frage nach der Erkenntnismöglichkeit und Grenze der Vernunft am klarsten und schärfsten gestellt hat. Dadurch hat er das theologische Denken der Neuzeit entscheidend beeinflusst. Dies lässt sich an der Frage aufzeigen, ob es rationale und plausible Beweise für die Existenz Gottes gibt. Gott und die Grenzen menschlicher Erkenntnis 55 Die Theologien des Mittelalters und der Reformationszeit erfassten das Universum, d.h. das Ganze der Wirklichkeit, von der Offenbarung her. Die Vernunft war dabei vom Glauben abhängig. Sie hatte sich sozusagen vor dem Forum des Glaubens auszuweisen und zu recht60 fertigen. 65 70 75 80 85 90 95 100 105 110 115 Dieses Verständnis des Universums fand z.B. seinen Ausdruck in dem sog. ontologischen Gottesbeweis des Anselm von Canterbury (1033-1109). Anselm geht bei seiner Frage, ob Gott auch wirklich existiere, von einem abstrakten Gottesbegriff aus: Gott ist dasjenige. über das hinaus nichts Größeres gedacht werden kann. Aus dem Begriff des Vollkommensten wird logisch auf die Existenz des Begriffsinhalts geschlossen, logisch insofern, als zur Idee des Vollkommensten seine reale Existenz dazugehört; sonst wäre es nur eine Denkfigur und nicht das schlechthin Vollkommenste, über das hinaus nichts Vollkommeneres gedacht werden kann. Kant wendet gegen diesen Gottesbeweis ein, dass der Begriff des Vollkommensten durchaus gedacht werden kann, ohne dass zu dem Begriff das Sein eines Dinges notwendig dazukommen müsste: Hundert wirkliche Taler enthalten nicht das mindeste mehr, als hundert mögliche. Damit aber ist eine weitreichende Unterscheidung zwischen der metaphysischen Welt und der real existierenden Welt getroffen. Die philosophische Theologie vor Kant vollzog die Denkbewegung von der metaphysischen Welt, die sie als real existierend glaubte, zur erfahrbaren und vorfindlichen Welt, die sie als real existierend erfuhr. Kant geht umgekehrt von der real existierenden Welt aus und fragt nach den Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Exkenntnis. Die Vernunft des Menschen ist grundsätzlich an die Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität gebunden. Mit ihnen kann diese Wirklichkeit objektiv – d.h. unabhängig von der subjektiven Meinung des einzelnen – erfasst werden. Diese Kategorien setzen zugleich die Grenzen dessen, was die Vernunft verbindlich erkennen kann. Der einzelne kann zwar über den metaphysischen Bereich, über das, was jenseits der Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität liegt, spekulieren, soviel er will. Aber dies sind dann Vorstellungen, die lediglich in seinem Kopf existieren, sie sind für andere nicht als objektiv erweisbar oder gar beweisbar. Allgemein gilt deshalb seit Kant: Es lässt sich nicht beweisen, dass es Gott gibt. Dies meint die Formulierung von Dietrich Bonhoeffer: Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht. D.h. er wäre entweder mit den Kategorien menschlieher Erkenntnis erfassbar – dann wäre er ein objektiv beweisbarer und beschreibbarer Gegenstand, aber nicht mehr ein Bezugspunkt des Glaubens – oder umgekehrt: Als Bezugspunkt des Glaubens lässt sich seine Existenz nicht objektiv beweisen. Allerdings gilt genauso der umgekehrte Satz: Eine schlüssige Widerlegung Gottes ist ebenfalls nicht möglich. Das Ergebnis der Kritik der Gottesbeweise war ja nicht, dass es keinen Gott als höchstes Wesen geben könne. Es wurde nur gezeigt, dass die theoretische Vernunft einen solchen nicht erfassen könne. Seine „objektive Realität” kann also „auf diesem Wege zwar nicht bewiesen, aber auch nicht widerlegt werden” (W. Weischedel). Gott als Garant eines ethisch sinnvollen Handelns Bedeutet der philosophische Denkansatz bei der Vernunft des Menschen für Kant nun, dass der Mensch auf 120 sich selbst zurückgeworfen ist und darauf verzichten muss, Gott mit den Mitteln seines Denkens zu erfassen? Dies ist nicht der Fall. Kant trifft eine wichtige Entschei- 125 130 135 140 145 150 dung. Er unterscheidet zwischen der theoretischen Verder Vernunft in Übereinstimmung zu bringen waren, nunft – der Ort, an dem bisher die Frage nach Gott geermöglichten und eine theologische Grundüberzeugung stellt wurde, aber für Kant nur durch Spekulation beant- 185 (Sittlichkeit und Unsterblichkeit des Menschen) einwortet werden kann – und der praktischen Vernunft, die schlossen. Damit finden sich bei Kant die Elemente, die den Menschen als ethisch handelndes Wesen in den seitdem die religiös-christlichen Vorstellungen vieler Blick nimmt. Menschen bestimmen. Der wesentliche Einwand gegen Der Wert des Menschen im Unterschied zum Tier liegt Kant besteht darin, dass Gott bei ihm ein Denkpostulat für Kant darin, dass er aufgrund der Vernunft ethisch gut 190 ist. Der Gedanke einer personalen Relation entfällt; handeln kann und folglich auch handeln muss. Sein Glaube ist kein Existenzakt, sondern nur ein ErkenntnisHandeln ist durch ein inneres Gesetz bestimmt. Kant akt, und an die Stelle des existentiellen Vertrauens tritt nennt es den kategorischen Imperativ. Dieses Gesetz hat das religiöse Gefühl der Bewunderung und Ehrfurcht, unbedingte Gültigkeit. D.h., es folgt nicht bedingten das sich auf den bestirnten Himmel über mir und das Wenn–dann–Überlegungen, also bestimmten Mitteln, 195 moralische Gesetz in mir bezieht. um für sich etwas zu erreichen, sondern es gilt in einem unbedingten Sinn: Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Quelle: H. Freudenberg / K. Goßmann, Sachwissen Mittel brauchst. Zweck, d.h. die Leitvorstellung des Religion, Göttingen 1995, 158-160 menschlichen Lebens, liegt im Glück, das der Mensch verwirklichen soll, oder, wie Kant es auch nennt, in der Glückseligkeit. Diese Vorstellung von Glück darf nun nicht aus den – jeweils relativen – menschlichen Vorstellungen von Glück erwachsen, sondern muss für den Menschen im Sinn einer absoluten Gültigkeit bestehen. Das höchste Gut des Glücks muss den Menschen transzendent vorgegeben sein. So ergibt sich für Kant zwingend, dass es Gott als Garanten eines sinnvollen Weltgesetzes, als moralischen Gesetzgeber geben muss. Der Mensch und die Transzendenz 155 160 165 170 Kant hat also keineswegs das Wesen des Menschen lediglich unter immanenten Denkkategorien gedeutet, sondern auch in einem transzendenten Sinn. Das moralische Gesetz in mir, so formuliert es Kant am Schluss seines Werkes Kritik der praktischen Vernunft, gibt meinem Dasein eine Bestimmung, welche nicht auf Bedingungen und Grenzen dieses Lebens eingeschränkt ist, sondern ins Unendliche geht. Dieser transzendentale Bezug kommt in einer dreifachen Weise zum Ausdruck: • in der Freiheit des Menschen als der Voraussetzung dafür, dass der Mensch sich ethisch entscheiden und dem moralischen Imperativ folgen kann, • in der Unsterblichkeit der Seele, da allein sie es garantiert, dass der Mensch über sein Leben hinaus auch der vollen Glückseligkeit teilhaftig wird, und • in der Existenz Gottes, der als höchste Instanz dem Menschen die Glückseligkeit garantiert. Kritische Würdigung Die Denkvoraussetzungen der Philosophie Kants – das 175 moralische Gesetz, das den Menschen verpflichtet, die Verbindung von Sittlichkeit und Glückseligkeit, die transzendente Bestimmung des Menschen – verdanken sich den abendländisch-christlichen Denktraditionen und wären in anderen kulturellen und religiösen Zusammen180 hängen nicht ohne weiteres denkbar. Sie waren für die Menschen im Zeitalter der Aufklärung insofern faszinierend, als sie ihnen religiöse Vorstellungen, die mit