Oase der Weiblichkeit

Transcription

Oase der Weiblichkeit
KULTUR
AUSSTELLUNG
Oase der Weiblichkeit
Ritualbad, Wellnesscenter, Treff für Klatsch und Tratsch – die
Mikwe hat viele Seiten
04.03.2010 - von Tanja Goldstein
»Lila ist das neue Schwarz«, sagt meine Freundin Caroline und mustert selbstgefällig ihre perfekt
gefeilten, manikürten Fingernägel. Alle vier Wochen muss ich mir ihre neuesten
Beautyprophezeiungen anhören, wenn sie frisch gestylt, massiert, coloriert und auf Hochglanz
poliert dem angesagten neuen Beauty Hotspot entsteigt – der (clever getarnten) örtlichen Mikwe.
Betrieben wird sie von den Lubawitschern, die wirklich alles tun, um ihre materialistischen,
oberflächlichen, versnobten Schäfchen zurück zum Glauben zu führen. Die Chabad-Mikwe ist
ganz nach amerikanischem Vorbild auf Wellness ausgerichtet, bietet neben dem eigentlichen
Ritualbad auch Massage und Maniküre, alles unterlegt mit dezent dudelnder Klesmer- und
Geigenmusik.
Spirituell Das Jüdische Museum Hohenems widmet dieser faszinierenden Oase der Weiblichkeit
vom 9. März bis zum 3. Oktober eine Ausstellung unter dem schön doppeldeutigen Titel Ganz
rein! Gezeigt werden Aufnahmen alter Bäder von Peter Seidel sowie »The Mikveh Project«,
wunderschöne Fotos von Janice Rubin mit Texten von Leah Lax. Die amerikanischen
Künstlerinnen präsentieren Bilder mit flirrigem Unterwasserfeeling, die dargestellten Frauen sind
so anmutig wie Schleierschwänze. Die Mikwe als geheimer spiritueller Ort, an dem jüdische
Weiblichkeit zelebriert wird – eine Art monatliches Zurück zu den Wurzeln.
Das wirkt faszinierend. Wirklichkeitsnah ist es nicht. Die real existierende Mikwe ist auch und vor
allem ein Biotop des Zickenterrors, gefürchteter Ort des monatlichen Cellulitechecks durch
Freundinnen und Feindinnen – ungefähr so entspannend wie der Wiegetag bei den Weight
Watchers. Ganz zu schweigen vom erbarmungslosen Unterwäsche-Abgleich in der
Umkleidekabine. Mindestens La-Perla-Dessous müssen es sein, will man nicht Gefahr laufen,
sozial ausgegrenzt zu werden.
Auch andere Bilder der Wirklichkeit spart die Ausstellung aus, etwa die zähneklappernden und
© Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/6539
Seite (1/2)
KULTUR
blau gefrorenen Mikwe-Besucherinnen, wenn alle paar Monate das Unterwasser-Heizsystem
streikt. Es fehlen auch Fotos des interessant in allen Regenbogenfarben schillernden Schleim- und
Moosbelags an den Wänden des Ritualbads, wenn das Putzpersonal mal wieder wochenlang
krankgefeiert hat. Dafür kommt wenigstens die Person der Mikwen-Aufseherin in Wort und Bild
vor. Unsere heißt Madame Benhabib, ein Zerberus, die vor dem Mikwezugang eine gnadenlose
Körperkontrolle durchführt: weg mit der Mascara, runter mit der kostspieligen French Manicure
sowie sämtlichen Klunkern und Piercings. Alles Jammern hilft nichts, Madame B. ist
erbarmungslos.
LUSTVOLL Die im »Mikveh Project« interviewten Frauen geben betörend durchgeistigte
Kommentare von sich, reden über den Grat zwischen Reinheit und Versuchung, den Weg vom
Mädchen zur Frau, die Besonderheit der Beziehung zwischen Ehepaaren, Müttern und Töchtern.
Die Frauen in unserer Mikwe würden das Ritualbad eher als weiteren Termin neben Schule,
Ballett- und Reitunterricht, Supermarkt und Fitnesscenter verbuchen, der einmal monatlich
abgehakt werden muss. In die Mikwe, günstig gelegen zwischen koscherem Supermarkt und dem
Fußballplatz von Makkabi, schaut man kurz zu einer genüsslichen Plotkesrunde herein: vielleicht
finden sich ja einige Begleiterinnen für die anschließende Shoppingtour.
Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich liebe die Mikwe. Bei uns hat gerade ein neues Day Spa mit
integriertem Ritualbad aufgemacht, sehr exklusiv, mit eingebauter Jaccuzzi-Funktion und in die
Beckenwand eingebettetem HD-Bildschirm. Meine erste Session ist schon gebucht. George
Clooney unter sprudelndem Wasser zu bewundern, davon habe ich immer schon geträumt.
»Ganz rein!« Jüdisches Museum Hohenems,
9. März bis 3. Oktober www.jm-hohenems.at
© Jüdische Allgemeine - Wochenzeitung für Politik, Kultur und Jüdisches Leben
http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/6539
Seite (2/2)