Christmette 2010

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Christmette 2010
Christmette 2010
Wer heute als Pilger die Geburtskirche in Bethlehem besucht, ist wahrscheinlich erst einmal erstaunt, wie
es darin ausschaut. Zumal, wenn man aus Deutschland kommt und durch blitzsaubere und helle Kirchen
wie die Basilika von Vierzehnheiligen oder durch unsere Pfarrkirche hier verwöhnt ist. Beim Betreten der
Geburtskirche von Bethlehem ist man dann erst einmal überrascht, vielleicht auch ein wenig befremdet.
Bereits von außen betrachtet sieht dieses Gotteshaus gar nicht aus wie eine Kirche, sondern eher wie eine
Festung, wie ein riesiger Steinklotz, an dem im Lauf der Jahrtausende immer wieder etwas repariert
wurde. Dazu noch ist die Fassade übersät von Einschusslöchern vergangener Konflikte. Zuletzt bei der
Intifada im Jahr 2000 rollten israelische Panzer durch die Stadt und walzten alles platt, was sich ihnen in
den Weg stellte. Einige hundert Palästinenser flüchteten in die Geburtskirche und wurden dort von der
Armee belagert und beschossen.
Im Innern wirkt die Geburtskirche recht rustikal. Massive, abgegriffene Steinsäulen, eine schwere
Holzdecke. Alles sieht schon sehr alt aus. Die ältesten Teile der Kirche gehen immerhin auf das 4.
Jahrhundert zurück. An den Wänden lehnen Leitern, wie auf einer Baustelle. Dazu kommt, dass es durch
den Besucherandrang recht laut und lebhaft zugeht.
Seitlich vom Hauptaltar steigt man auf einer Treppe in eine Krypta hinunter, in die Grotte, in der nach
einer uralten Überlieferung, die schon auf die ersten Christen zurückgeht, Jesus Christus geboren worden
war. Viel Ruhe und Romantik darf man dabei aber nicht erwarten. Wenn man Pech hat, muss man erst
eine Weile in der Schlange stehen, dann gibt es ein Geschiebe die Treppe hinunter, bis man dann
schließlich unten angelangt ist.
Unten in der Krypta der Geburtskirche sieht man dann keine Holzkrippe, kein Heu und kein Stroh,
sondern einen kleinen Steinaltar, darunter, in den Marmorboden eingelassen, einen 14zackigen silbernen
Stern, mit der lateinischen Inschrift: „Hic de Virgine Maria Jesus Christus natus est.“ – „Hier wurde
von der Jungfrau Maria Jesus Christus geboren.“ Man darf sich kurz an der Stelle niederknien, viele
Pilger küssen die Stelle oder berühren dort ihre Rosenkränze, dann wird man von den Ordnern
weitergeleitet, damit die nächsten an die Stelle können. Wenn man Glück hat, kann man sich noch ein
wenig in den hinteren Bereich der Krypta zurückziehen, um dort ein wenig zu verweilen und
nachzudenken.
In der Krypta der Geburtskirche geht es nicht sehr romantisch und nicht sehr besinnlich zu. Es versetzt
einen nicht sonderlich in Weihnachtsstimmung. Und trotzdem ist es etwas besonderes, einfach nur dort zu
sein. Egal, wie unbesinnlich es zugeht, der Ort spricht für sich. Der Ort selbst nämlich sagt: hier war es!
„Hier wurde von der Jungfrau Maria Jesus Christus geboren.“ Hier kam Gott als ein kleines Kind zur
Welt. Hier wurde Gott in Menschengestalt zum ersten Mal für menschliche Augen sichtbar. Hier haben
die 33 entscheidendsten Jahre der Menschheit begonnen.
Die Bedingungen waren schon damals, als Jesus geboren wurde, nicht sehr romantisch und weihnachtlich
besinnlich. Jesus, ein Kind armer Eltern, Maria musste ihr Kind in einem Stall zur Welt bringen.
Materielle Armut, die Flucht ins Exil nach Ägypten. Insgesamt war Israel schon zur Zeit Jesu ein
unruhiges Land. Und trotzdem ist Gott gerade dort und damals in die Welt gekommen.
Die Bedingungen für Gott, in die Welt zu kommen, sind auch heute nicht optimal. Sie sind
wahrscheinlich nie optimal. Und trotzdem kommt er zu uns. Trotzdem ist Weihnachten. Auch wenn wir
in einer Welt voller Konflikte und Ungerechtigkeiten leben: Gott kommt trotzdem. Auch wenn viele
Menschen inzwischen gar nicht mehr wissen, was an Weihnachten gefeiert wird: Gott kommt trotzdem.
Auch wenn es an Weihnachten in der Familie nicht so läuft, wie wir es uns gedacht hatten. Wenn wir mit
beruflichen oder privaten Sorgen kämpfen, mit Ängsten, Trauer und Versagen: Gott kommt trotzdem. Es
ist wie mit einem Geschenk. Ein echtes Geschenk ist nicht an Voraussetzungen geknüpft. Es wird
gegeben, ob der andere darauf vorbereitet ist oder nicht, ob er es verdient hat oder nicht. So schenkt uns
Gott sich selbst in der Gestalt eines kleinen Kindes.
Es ist aber ein Geschenk, das uns herausfordert. So wie jedes Kind eine Herausforderung für die Eltern
bedeutet: Nach der Geburt muss der ganze Lebensrhythmus umgestellt werden, man muss sich auf das
Kind einlassen, es fordert seine Rechte. So ist es auch mit dem Gotteskind in der Krippe: es fordert von
uns, dass wir uns auf es einlassen, dass wir uns ihm anpassen.
In der Geburtskirche von Bethlehem gibt es dafür ein sprechendes Symbol. Die Kirche hat nämlich nur
einen einzigen Eingang. Und der ist nur 1.30 m hoch. Das ursprüngliche, große Portal wurde irgendwann
zugemauert bis auf diese kleine Öffnung, damit niemand mit dem Pferd hineinreiten kann. Alle, die nun
hineinwollen, seien es Staatspräsidenten oder einfache Leute, müssen sich bücken und klein machen –
und damit im Grunde das Gleiche tun wie Gott, der sich klein gemacht hat und ein Kind geworden ist.