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Praxis | UNFALLAKTE
Unerlaubt und unvernünftig
B e s u c h be i F r e u n d e n Der Reiz ist groß – doch wer im Tiefflug irgendwo
mal schnell vorbeischaut, geht ein hohes Risiko ein
Riskanter Klassiker: die »Verwandtenbesuchskurve« als tödliche Falle
Flugbahn über. In knapp 50 Meter Höhe
kippt die Maschine plötzlich nach rechts
ab und stürzt senkrecht auf einen Feldweg,
direkt neben das Grundstück des Freundes,
den der UL-Flieger besuchen wollte. Der Pilot wird dabei tödlich verletzt.
Kontrollverlust in Bodennähe
Text
Samuel Pichlmaier
E
s ist das alte Lied von der »Verwandtenbesuchskurve«, das immer wieder angestimmt wird.
Und immer wieder schlägt die
Melodie in Moll um, die letzte
Strophe endet tragisch. Mit dem Flugzeug
bei Freunden vorbeischauen und diese ordentlich beeindrucken – diese Idee hatte es
auch einem brandenburgischen UL-Piloten
angetan. Nach Berichten von Augenzeugen drehte er gerne ab und zu im Tiefflug
über dem Haus eines Freundes seine Kreise
– manchmal soll er sogar auf der Wiese neben dessen Grundstück gelandet sein. Eine
ungewöhnliche (und illegale) Kontaktpfle-
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www.fliegermagazin.de #8.2011
ge, die offenbar nicht jedem im Ort gefiel.
Manche Anwohner, so heißt es, machten
ihrem Ärger mit wilden Drohungen Luft:
»Beim nächsten Mal wird er abgeschossen«,
soll ein Nachbar in seiner Wut geschimpft
haben.
Diese Drohung scheint den UL-Piloten
nicht abgeschreckt zu haben; der 68-Jährige will auch am 5. April 2009 wieder in die
Luft, um seinen Freund zu besuchen. Ziel:
der kleine Ort Wüstemark südwestlich von
Berlin. Für diesen Tag verspricht der Deutsche Wetterdienst (DWD) beste Sichtflugbedingungen: Wind mit sechs Knoten aus
nordwestlicher Richtung, zwei Achtel Cumulus-Wolken mit Untergrenzen in 2600
Fuß über Grund und viel Sonne. Der RemosPilot startet nachmittags mit seiner GX von
der 400 Meter langen Graspiste des Sonderlandeplatzes Locktow. Nach Verlassen der
Platzrunde nimmt er Kurs auf den Weiler
Wüstemark. Dort wird er gegen 16.44 Uhr
beobachtet. Zeugen berichten, dass er die
Ortschaft bereits in sehr geringer Höhe aus
nördlicher Richtung ansteuert und dann in
etwa 50 Meter über Grund das »Zielobjekt«
am östlichen Rand der Siedlung umfliegt.
Anschließend macht das Ultraleichtflugzeug einen Bogen um die Ortschaft herum,
um an der westlichen Ortsgrenze in Richtung Osten zu drehen und noch weiter zu
sinken.
Etwa zehn Meter über dem Boden passiert die Maschine die Dorfstraße, dann
beschleunigt der Pilot und geht in einen
steilen Steigflug mit nach rechts geneigter
Der Rumpf ist in Höhe des Cockpits völlig
zerstört, das Bugradfahrwerk vom Rumpf
abgerissen. Die Hauptfahrwerksschwinge
ist ebenfalls aus dem Rumpf herausgebrochen. Spuren eines Holzpfostens, den die
Maschine beim Aufprall vermutlich getroffen hat, finden sich an der Bruchstelle. Beim
Auslesen des FLYdat, das die Motorbetriebsdaten erfasst und aufzeichnet, entdecken
die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) keine Hinweise auf
einen technischen Defekt am Triebwerk,
einem Rotax 912. Der Motor wurde beim
Aufschlag tief in den Boden gedrückt, der
Propeller ist vollständig zersplittert – ein
Hinweis auf hohe Drehzahl zum Zeitpunkt
des Aufpralls.
Am Wrack stellen die Unfallermittler
außerdem fest, dass alle Steueranschlüsse
noch intakt sind. Die Seitenruderseile zeigen
keine Rissstellen, auch an den Pedalen
ist kein Bruch feststellbar. Schäden und
Deformierungen am Rudergestänge sind
auf den heftigen Aufschlag zurückzuführen. Die Landeklappen sind in der Position
»eingefahren«. Offenbar hat das plötzliche
Abschmieren den Piloten völlig überrascht:
Das Rettungsgerät wurde nicht aktiviert. In
so geringer Flughöhe hätte es ohnehin nicht
mehr geholfen. Doch warum verlor der Pilot
die Kontrolle über seine Maschine?
Eine Erklärung könnte die einseitige Flugerfahrung geben: Der 68-Jährige besaß seit
1993 einen Luftfahrerschein für Luftsportgeräteführer mit Passagierberechtigung.
Nach Angaben des Flugzeughalters hatte
er eine Gesamtflugerfahrung von rund 300
Stunden, einen großen Teil mit der Remos
G3. Im Gegensatz zur GX, dem Unfallflugzeug, hat die G3 eine knapp 50 Zentimeter
größere Spannweite und über einen Quadratmeter mehr Fläche. Dadurch ist auch ihr
Verhalten im unteren Geschwindigkeitsbereich gutmütiger – und die Überziehgeschwindigkeit etwas niedriger.
Die GX dagegen gilt als agileres Flugzeug. Möglicherweise hatte der Unfallpilot
das Flugverhalten der G3 bei wenig Fahrt so
Gutmütige Allrounder: Die Remos G3 (oben) hat
etwas mehr Flügelfläche als ihre Nachfolgerin GX
(unten; baugleiches Muster der Unfallmaschine).
Der Unfallpilot war auf die G3 »eingeschossen«
sehr verinnerlicht, dass er die Stallspeed der
GX im Steigflug zu niedrig einschätzte und
unterschritt. Durch die Querneigung des
ULs nach rechts und die Beschleunigungskräfte beim Hochziehen könnte der Strömungsabriss noch beschleunigt worden
sein. Ein Abfangen war in dieser geringen
Höhe nicht mehr möglich.
Eine andere Vermutung, der die BFUExperten mit großem Aufwand nachgehen
mussten, stellte sich im Laufe der Untersuchung als haltlos heraus: Die Drohung eines
wütenden Anwohners, den Tiefflieger beim
nächsten Anflug auf den Ort abschießen zu
wollen, war offenbar nur eine verbale Attacke. Drei Unfallermittler waren dennoch einen ganzen Tag lang damit beschäftigt, das
Wrack nach Einschusslöchern zu untersuchen, um diese Möglichkeit auszuschließen
– was sie dann auch tun konnten.
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Fotos: Bundessetelle für Flugunfalluntersuchung, Hersteller, Helmut Mauch / Eric Kutschke
Zu viel gewagt: Aus geringer Höhe ist das UL in einen Vorgarten gestürzt. Für den Piloten kommt jede Hilfe zu spät
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