Bert Gerresheim in Dülmen

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Bert Gerresheim in Dülmen
Bert Gerresheim in Dülmen
Günter Scholz, Studiendirektor i. R., Dülmen
Was treibt den so renommierten und vielgefragten Düsseldorfer Bildhauer
(der in einer Zeitung gar »der deutsche Michelangelo« genannt wurde) nach
Dülmen? Vor der Vereinbarung des Termins seines Besuches in Dülmen hatte er mir geschrieben: »Hier ist furchtbar viel
Arbeit: ein Heine-Denkmal für die Düsseldorfer Uni, ein Memorial für den Politiker
Karl Arnold, eine Pieta für die Marienkirche
in Mönchengladbach, eine große Muttergottes, die ans Meer bei Santiago de Compostela kommt, die Ausgestaltung einer
Sel.-Johannes-Paul-II.-Kapelle in Düsseldorf
und eine mittelgroße Pieta für die deutsche
Nationalkapelle in Krakau, wo ich die gesamte Kapelle durch 22 Arbeiten ausgestaltet habe.«
Überall große Aufträge! Und was in
Dülmen? Hier bringt er ein Geschenk, eine
kleine versilberte Bronze-Plastik der Anna
Katharina Emmerick für die Gedenkstätte.
Gerresheim will damit seiner Verehrung
der Seligen Ausdruck verleihen. Die Plastik
ist das Modell für die lebensgroße Figur
der Anna Katharina Emmerick in der Kreuzigungsgruppe an der äußeren Chorwand
des münsterschen Domes (auf dem Horsteberg). Dort steht Anna Katharina neben
Schwester Euthymia und Kardinal von Galen unter dem Kreuz. 2004 ist dieses
Kreuzesmonument aufgestellt und einge- Anna Katharina Emmerick als
Bronze-Figur in der Kreuziweiht worden.
gungsgruppe auf dem HorsteAber schon davor hat Gerresheim die berg, vor dem Chor des münsterEmmerick in dem größten von ihm geschaf- schen Domes (Foto: Angela
fenen Werk, in der Kevelaerer Apokalypse, Pund)
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einem 50 Quadratmeter großen Bronzefeld mit 260 teils vollplastischen, teils
vollreliefartigen Figuren, eingereiht in die für ihn bedeutenden »Glaubenden
in der Nachfolge Christi«. In dem Skizzenbuch zur Vorarbeit für das Monument – neben der Skizze der Anna Katharina – steht der Eintrag: »An wichtiger Stelle einbringen«. Und man findet sie in dem vollendeten Werk auch in
hervorgehobener Position in der linken Bildzone unterhalb der Mutter Gottes,
daneben in der rechten Bildzone Edith Stein und Mutter Teresa. Diese drei
sind fast vollplastisch dargestellt, während für viele andere Personen nur die
reliefartige Darstellung des Kopfes Platz findet.
Aber auch das ist nicht die erste plastische Darstellung der Emmerick;
denn schon in dem 1995/96 erarbeiteten und 1997 eingeweihten Kreuzweg im
münsterschen Dom steht sie an der XII. Station »Jesus stirbt am Kreuz« zusammen mit Kardinal von Galen unter dem Kreuz. Die beiden vertreten hier
Maria und Johannes, die beim Tod Jesu unter dem Kreuz standen. Eine wichtigere Position als die der Maria kann man nicht mehr vergeben!
Die erste plastische Darstellung der Anna Katharina hat Gerresheim bereits 1988/89 mit dem Relief in dem Papstportal der Kevelaerer Wallfahrtsbasilika geschaffen. Das Portal ist eine Erinnerung an den Besuch des Papstes
Johannes Pauls II. in Kevelaer im Mai 1987. Deshalb zeigt es auf dem linken
Türflügel in Lebensgröße den Papst bei der Eröffnung der Wallfahrt. Auf
dem rechten Flügel betet der Papst vor dem Gnadenbild. Nur wenige Figuren
finden hier neben Johannes Paul II. in kleineren reliefartigen Bildern Platz.
Aber dazu gehört Anna Katharina – und zwar neben den so bedeutenden
Ordensgründern wie Franziskus und Dominikus.
Wenn ich das in vielen Büchern wiedergegebene Werk Gerresheims überschaue, dann ist von den Heiligen mit Abstand am häufigsten Franziskus
dargestellt, dann folgen Edith Stein und Anna Katharina Emmerick. Alle
drei sind durch ihre besondere Nähe zum Leiden Christi, zum Kreuz charakterisiert. Franziskus und die Emmerick aber sind durch ihre Stigmata dem
Gekreuzigten körperlich sehr ähnlich geworden. Edith Stein, die ihre Konversion vom jüdischen Glauben zur katholischen Kirche durch eine »Begegnung mit dem Kreuz« veranlaßt sieht, und die sich beim Eintritt in den Karmel den Namen »Schwester Benedicta a cruce« (»Gesegnete vom Kreuz«)
gibt, und in die ihrer letzten Schrift »Kreuzeswissenschaft« über den hl. Johannes vom Kreuz schreibt: »Kreuz und Nacht sind der Weg zum himmlischen Licht, das ist die Frohe Botschaft vom Kreuz.« Die Nähe Gerresheims
zu diesen Personen zeigt auch seine Nähe zum Kreuz, zum Leid. So hat er
auch viele unterschiedliche Kreuze gestaltet und ganze Kreuzwege. Aber
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auch viele seiner Zeichnungen zu nichtreligiösen Themen sind bestimmt von
der Gebrochenheit des Menschen.
Diese Nähe zum Kreuz, zum Leid ist die eine Verbindungslinie von Bert
Gerresheim zu Anna Katharina Emmerick. Eine andere hat er bei der Übergabe seiner Figur vor den dazu vom Emmerick-Bund eingeladenen Gästen
dargestellt. Schon als Kind hat er eine »Visionärin« erlebt – in dem naheliegenden Kolonialwarenladen, der von zwei Schwestern betrieben wurde. Während die eine fleißig im Laden arbeitete, spielte die andere auf dem Harmonium und wartete auf die Visionen. Die im Laden arbeitende Schwester und
auch viele in der Nachbarschaft waren überzeugt davon, daß die betende und
Harmonium spielende Schwester tatsächlich von Jesus besucht wurde. Das
hat ihn als Kind sehr beeindruckt, und er hat beim Einkaufen versucht, einen
Blick in das Zimmer zu erhaschen in der Hoffnung, auch die Erscheinung
Jesu zu sehen. Offensichtlich war Berts Mutter nicht ganz überzeugt von der
Echtheit des Geschehens, so wurde im Elternhaus der »Visionärin« in der
Nachbarschaft Anna Katharina Emmerick entgegengehalten, die als eine
echte Visionärin galt. Die Emmerick war gleichzeitig für die Familie Fürbitterin in der damals so bedrängten Zeit des 2. Weltkrieges. Allerdings war die
bedeutendere Fürbitterin natürlich »Maria-Kevelaer«. So hatte das zeichnende und malende Kind eine Bestätigung für innere Bilder und eine
Vorstellung von der begnadeten Emmerick.
Für den Zehn-/Elfjährigen eröffnete sich ein neuer Zugang zu der Welt
der Bilder, als er die Möglichkeit bekam, eine große private Bibliothek zu
nutzen. Dort fand er Clemens Brentanos Bücher über die Visionen der Emmerick. In diesen bebilderten Büchern waren die von Brentano nach den Visionen der Emmerick beschriebenen Visions-Bilder durch Zeichner, Graphiker wieder in Bilder umgesetzt. So konnte der Junge die von der Emmerick
gesehenen Bilder aufnehmen. Neben den Büchern Brentanos fand er die Bücher Dantes, illustriert mit Zeichnungen Dorés (franz. Zeichner 1832–83).
Nach Dantes Büchern standen in der nach dem Alphabet geordneten Bibliothek die Bücher von und über Franziskus, darunter eine bebilderte Ausgabe
der »Fioretti« von Franziskus. »Und da hatte ich eigentlich den ganzen Bildervorrat, den ich bis heute habe«, erzählt Gerresheim.
»Sie hatten mir einmal geschrieben«, wendet sich Gerresheim an mich,
»von der Eidetik der Anna Katharina, daß sie in Bildern, dachte, träumte,
betete. So ist ja eigentlich auch das Umgehen mit Bildern bei Bildhauern und
Malern. Dieses Umgehen mit Bildern war mir eigentlich immer selbstverständlich. So haben mich immer Bilder interessiert, auch in den Schriften
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Bert Gerresheim und Günter Scholz; links im Hintergrund das vom Künstler dem
Emmerick-Bund übergebene Modell der großen Emmerick-Figur an der Außenwand des
münsterschen Domes (Foto: Angela Pund)
und in der Sprache, wo bildhaft geschrieben und gesprochen wird. Woher
kommen nun die Bilder? Was ist ›Inspiration‹? ›Inspirare‹ sagt ja: Da wird
etwas ›eingehaucht‹; man könnte es auch frei mit ›Begeisterung‹ übersetzen.
Was ›begeistert‹? Was gibt den ›Geist‹ zu einem Bild? Da gibt es die Außenwelt, man kann ein Bild suchen und finden. Man kann aber auch betroffen
sein. Da ist einfach ein Innenbild da, das sich veräußern will. Das Problem
des Malers, des Bildhauers ist: Wie können diese Bilder objektiviert werden,
so objektiviert werden, daß sie andere ansprechen.
Da ist der Bildhauer oder der Maler in einer ähnlich prekären Lage wie
jeder Geistliche. Er spricht von einem nicht sichtbaren Gott und muß ihn
objektivieren, herüberbringen, so daß er wahrgenommen, als anwesend empfunden werden kann. Das ist das alte Problem der Kunst. Sie haben ein Innen- oder Außenbild, sie haben Inspiration, aber sie müssen sie »veräußern«.
Das ist auch das Problem der Visionäre. Denn oft ist das im Bild erfahrene
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Material so, daß es von dem Visionär nicht immer grammatikalisch artikuliert werden kann, oft fehlt ja den Betroffenen die differenzierte Sprache zur
angemessenen Ausgestaltung der Bilder, wie es z. B. bei der Emmerick war.
Und deshalb war ihr »der Pilger«, Brentano, beigegeben, der dieses bildhafte
Material in eine sprachliche Form bringen konnte, so daß die Vision nachvollzogen werden konnte und damit objektiv wurde und nicht nur ein subjektives Bild der Emmerick war. Gerresheim fühlt sich also als Bildhauer in besonderer Weise mit Anna Katharina verbunden, weil sie in der Nachfolge
Christi von Bildern geführt wird, weil sie ihre Religiosität in Bildern erlebt,
gestaltet. Genauso ist der Bildhauer, wie schon die Bezeichnung sagt, auch
mit dem Bild im Prozeß der Imagination und der Produktion von Bildern
verknüpft.
Diese von Gerresheim beschriebene Nähe von Künstlern zu Visionären
war für mich eine wichtige Hilfe bei der Vermittlung der Emmerick bei den
Führungen am Grab und in der
Gedenkstätte. Denn normalerweise sind »Visionäre« Menschen, die gerade in der modernen von der Wissenschaft
geprägten Welt völlig außerhalb
unseres Verständnisses stehen.
Für viele einfach Spinner.
So bin ich Gerresheim dankbar: »Es ist mir durch Sie deutlich geworden, daß Menschen
sehr viel stärker in Bildern leben,
daß wir einen Urgrund von Bildern haben. Bei den Führungen
frage ich oft die Besucher: ›Welche Erfahrung machen Sie, wenn
Sie mit Kindern Memory spielen?‹ Sie antworten mir: ›Das verlieren wir immer.‹ Darin zeigt
sich, daß Kinder noch ganz stark
visuell bestimmt sind, daß Bilder
für sie eingängig sind, daß sie Bert Gerresheim in der Emmerick-Gedenksich Bilder leicht merken und im stätte – vor dem »Leidensstübchen«
Spiel leicht Bilder produzieren der Emmerick (Foto: Angela Pund)
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können. Der Karton, in den sie sich setzen, wird dann zum Auto. Diese starke
Bedeutung des Visuellen, der Bilder, finden wir auch in Kulturen, die nicht
von Schrift und Lesen bestimmt sind. Offensichtlich wird durch das Durchsetzen einer Schrift- und Lesekultur die Bildkultur zurückgedrängt. So geschieht das auch bei Kindern in unserer Kultur. Allerdings gibt es auch hier
noch viele, die weiterhin stark vom Bild, vom Visuellen, bestimmt sind: Maler, Bildhauer, Schauspieler, Pantomimen, auch Schriftsteller.
Anna Katharina kommt noch aus einer Kultur, in der die Schriftlichkeit
eine geringe, das Visuelle aber eine starke Rolle gespielt hat. Allerdings hatte
Anna Katharina offensichtlich auch eine besondere visuelle Begabung, und
sie hat diese Begabung durch Gebet, das für sie immer auch Betrachtung war,
intensiv gepflegt. In dieser visuellen Religiosität hat sie eine unmittelbare
Nähe Christi erfahren. Was der forschende und lehrende Theologe in der
Reflexion über Gott erfährt, das wird durch das Bild ›einsichtig‹. Ähnlich
steht neben dem Geistlichen, der Gott durch das Wort verkündet, der Künstler mit seiner Bildverkündung.«
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Hinweise:
1. In der Emmerick-Gedenkstätte sind großformatige Fotos von einigen
Plastiken Gerresheims ausgestellt, dazu auch Informationen zu den
Plastiken und zu dem Werk Gerresheims.
2 . Wir hoffen, daß wir das Gespräch Gerresheims mit Günter Scholz
anläßlich der Übergabe der Emmerick-Plastik am 19. März in Dülmen
bebildert und etwas überarbeitet in einer eigenen Schrift herausgeben
können. Darüber können Sie dann in der nächsten Ausgabe der
»Emmerickblätter« Näheres erfahren.