Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus
Transcription
Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus
Arbeiten trotz Krankheit – Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Mag.a rer.soc.oec. im Diplomstudium Soziologie Eingereicht von: Elisabeth Gattringer Angefertigt am: Institut für Soziologie BeurteilerIn: Dr. Joachim Gerich Mitbetreuung: Mag. Reinhard Haider, Arbeiterkammer OÖ August 2015 Danksagung Für die Begleitung und Unterstützung in der Erarbeitung der vorliegenden Arbeit sind mehrere Personen verantwortlich, denen ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank ausdrücken möchte. Zunächst möchte ich mich bei meinem Diplomarbeitsbetreuer Prof. Dr. Joachim Gerich für die fachlich hochwertige Unterstützung bedanken. Darüber hinaus danke ich meinem externen Betreuer Mag. Reinhard Haider und der Arbeiterkammer Oberösterreich, für das entgegengebrachte Vertrauen und die Förderung dieser Diplomarbeit. Besonderer Dank gilt meinen Eltern, Rudolf und Monika Gattringer, sowie meinem Freund, Johannes Pichler, für ihren Zuspruch, ihre Geduld und konsequenten Beistand in jeglicher Hinsicht. Von Herzen bedanke ich mich auch bei meinen Geschwistern Thomas und Markus Gattringer, sowie bei meinen FreundInnen und KommilitonInnen, die mich immer wieder ermutigt haben und an mich glaubten. Vielen Dank für diese vielseitige Unterstützung! Elisabeth Gattringer 2 Eidesstaatliche Erklärung Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe. Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Linz, 05.08.2015 ____________________________ Gattringer Elisabeth 3 INHALTSVERZEICHNIS 1 EINLEITUNG ............................................................................................................................ 6 2 DEFINITIONEN....................................................................................................................... 10 2.1 PRÄSENTISMUS ..................................................................................................................... 10 2.2 GESUNDHEIT UND KRANKHEIT ................................................................................................ 10 3 2.2.1 Leitlinien zum Verständnis von Gesundheit und Krankheit........................................... 11 2.2.2 Definition Gesundheit.................................................................................................. 13 2.2.3 Definition Krankheit ..................................................................................................... 14 2.2.4 Subjektive Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit ........................................... 18 2.2.5 Schlussfolgerungen und Anknüpfungspunkte für das Thema Präsentismus ................ 23 PRÄSENTISMUS: FORSCHUNGSSTAND, DEFINITIONEN, OPERATIONALISIERUNG & ERKLÄRUNGSMODELLE .............................................................................................................. 26 3.1 FORSCHUNGSSTAND ............................................................................................................. 26 3.2 DEFINITIONEN VON PRÄSENTISMUS ......................................................................................... 27 3.2.1 Präsentismus-Definition der vorliegenden Arbeit ......................................................... 30 3.3 MESSUNG VON PRÄSENTISMUS .............................................................................................. 30 3.3.1 Operationalisierung von Präsentismus in verhaltensorientierten Studien ..................... 30 3.3.2 Operationalisierung von Präsentismus in produktivitätsorientierten Studien ................. 33 3.4 ERKLÄRUNGSMODELLE FÜR PRÄSENTISMUS ............................................................................. 35 4 3.4.1 Erklärungsmodell nach Johansson & Lundberg (2004) ................................................ 35 3.4.2 Erklärungsmodell nach Aronsson & Gustafsson (2005) ............................................... 37 3.4.3 Erklärungsmodell nach Johns (2010) .......................................................................... 40 3.4.4 Erklärungsmodell nach Hägerbäumer (2011) .............................................................. 43 REVIEW EMPIRISCHER BEFUNDE ZU DEN EINFLUSSFAKTOREN UND FOLGEN DES PRÄSENTISMUS ............................................................................................................................ 51 4.1 REVIEW ZU DEN EINFLUSSFAKTOREN DES PRÄSENTISMUS ......................................................... 52 4.1.1 Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus .............................................. 56 4.1.2 Arbeitsbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus .................................................. 74 4.1.3 Organisationsbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus ........................................ 96 4.2 REVIEW ZU DEN FOLGEN DES PRÄSENTISMUS ........................................................................ 101 4.2.1 Negative Folgen des Präsentismus ........................................................................... 102 4.2.2 Positive Folgen des Präsentismus ............................................................................ 109 4.3 ZUSAMMENFASSUNG DES REVIEWS ....................................................................................... 109 5 4.3.1 Zusammenfassung Einflussfaktoren des Präsentismus ............................................. 109 4.3.2 Zusammenfassung: Folgen des Präsentismus .......................................................... 121 STUDIE „PRÄSENTISMUS AM ARBEITSPLATZ“ ............................................................... 122 5.1 UNTERSUCHUNGSMODELL .................................................................................................... 123 4 5.1.1 Zentrale Forschungsziele .......................................................................................... 126 5.2 METHODISCHE VORGANGSWEISE .......................................................................................... 127 5.2.1 Messvariablen .......................................................................................................... 127 5.3 RESULTATE ........................................................................................................................ 132 5.3.1 Präsentismus, Absentismus und Gesundheit ............................................................ 132 5.3.2 Präsentismusgründe ................................................................................................. 140 5.3.3 Präsentismusdeterminanten ..................................................................................... 141 5.4 ZUSAMMENFASSUNG DER STUDIENERGEBNISSE ..................................................................... 175 6 RESÜMEE UND SCHLUSSFOLGERUNGEN ....................................................................... 184 6.1 IMPLIKATIONEN FÜR DAS BETRIEBLICHE GESUNDHEITSMANAGEMENT ........................................ 195 6.2 IMPLIKATIONEN FÜR DIE VERHALTENSORIENTIERTE PRÄSENTISMUSFORSCHUNG ........................ 198 7 LITERATURVERZEICHNIS .................................................................................................. 199 8 ABBILDUNGSVERZEICHNIS............................................................................................... 208 9 TABELLENVERZEICHNIS ................................................................................................... 208 10 FRAGEBOGEN .................................................................................................................... 212 5 1 Einleitung 1 Einleitung In „rohstoffarmen“ aber ökonomischen „Hochleistungsgesellschaften“ wie etwa Deutschland oder Österreich, gilt heute der Mensch als „wichtigste Quelle der Wertschöpfung“ (Peter 2010: 11). Im Zuge dieser Entwicklung wuchs auch das wirtschaftliche Interesse an der betrieblichen Gesundheitsförderung von ArbeitnehmerInnen (ebd. 2010: 11). Doch wie kann festgestellt werden, ob das Personal gesund genug ist? In der Regel werden hierzu Krankenstandsstatistiken herangezogen und als repräsentative Gesundheitsindikatoren eingestuft. Sind die Krankenstandszahlen niedrig, wird daraus abgeleitet, dass es sich um eine gesunde und produktive Belegschaft handelt. Bei steigenden Fehlzeitenstatistiken wird hingegen eher Handlungsbedarf (z.B. in Form betrieblicher Gesundheitsförderung) gesehen (Hägerbäumer 2011: 44). Dabei stellt sich die Frage, inwiefern Krankenstandshäufigkeiten die geeigneten Indikatoren darstellen, um die Gesundheit und die Leistungsfähigkeit von ArbeitnehmerInnen abzubilden? Und folgt daraus im Umkehrschluss, dass alle präsenten ArbeitnehmerInnen „physisch und psychisch unversehrt“, „leistungsfähig“ und „motiviert“ sind (Ulich & Wülser 2008 zit. in Hägerbäumer 2011: 10)? Wird Gesundheit „nicht nur als Freisein von Krankheit und Gebrechen“ (WHO 1946), sondern als dynamisches Phänomen, mit Übergangsstadien zwischen Gesundheit und Krankheit, verstanden, ist davon auszugehen, dass anwesende MitarbeiterInnen nicht immer völlig gesund sein können (Hurrelmann 2010: 114, 7). Berufstätige Personen, die sich gesundheitlich beeinträchtigt fühlen, können gegebenenfalls auch auf Krankenstand verzichten und trotzdem arbeiten. Das Arbeiten trotz einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, die einen Krankenstand rechtfertigen würde, wird mit dem Terminus „Präsentismus“ bezeichnet und stellt den Forschungsgegenstand dieser Arbeit dar. Aus mehreren Studien zum Krankheitsverhalten von ArbeitnehmerInnen geht hervor, dass häufige Krankenstände mit einer erhöhten Anzahl an Präsentismustagen 6 1 Einleitung verbunden sind (Aronsson et al. 2000, Aronsson & Gustafsson 2005, Hansen & Andersen 2008 zit. in Leineweber et al. 2012: 906). Daraus folgt, dass jene Arbeitskräfte, die häufig Fehlzeiten aufzeigen, auch öfter krank in die Arbeit gehen. Präsentismus und Krankenstände stehen somit im engen Zusammenhang. Das Arbeiten trotz Krankheit, wird in der Gesundheitsevaluierung allerdings häufig übersehen. Doch ist das Phänomen Präsentismus überhaupt für Unternehmen von Relevanz? Aus den Ergebnissen bisheriger Langzeitstudien zu Präsentismus geht hervor, dass häufiges Arbeiten trotz Krankheit, langfristig gesehen, mit einem erhöhten Risiko für Herzkrankheiten, psychischen Langzeitfolgen (z.B. Burnout) (Kivimäki et al. 2005: 100, Bergström et al. 2009b: 1184, Demerouti et al. 2009: 50), gesundheitlichen Beeinträchtigungen und einer erhöhten Krankenstandsfrequenz bzw. Langzeitkrankenstand einhergehen kann (Gustaffson & Marklund 2011: 160, Bergström et al. 2009: 634, Hansen & Andersen 2009: 402, Taloyan et al. 2012: 6). Produktivitätsorientierte Studien wie z.B. Collins et al. (2005: 547) kommen außerdem zu dem Ergebnis, dass Präsentismus insgesamt mehr Kosten durch Produktivitätseinbußen verursacht, als Krankenstände. Die Nicht – Beachtung von Präsentismus birgt demnach Risiken sowohl für ArbeitnehmerInnen, als auch für ArbeitgeberInnen. Um herauszufinden, wodurch die Entscheidung zu Präsentismus begünstigt wird, fokussieren sich psychologisch und soziologisch orientierte Studien auf die Ermittlung von Präsentismusdeterminanten, u.a. mit dem Ziel, praktische Implikationen für die Arbeitswelt herauszufiltern. Im Zuge dessen, werden organisatorische, demografische und personenbezogene Einflussfaktoren des Präsentismus identifiziert und Schlussfolgerungen für das betriebliche Gesundheitsmanagement abgeleitet. Entsprechende Resultate sollen in vorliegender Diplomarbeit in Form eines Reviews zusammengefasst und mit den Ergebnissen einer oberösterreichischen Erhebung verglichen werden, um folgender Forschungsfrage nachzugehen: Welche Einflussfaktoren begünstigen oder reduzieren die Entscheidungstendenz zu Präsentismus? Die zweite Forschungsfrage der Diplomarbeit greift das Thema „gesundheitliche 7 1 Einleitung Folgen des Präsentismus“ auf, um die Handlungsrelevanz für Unternehmen und betriebliches Gesundheitsmanagement anhand bisheriger Längsschnittanalysen zusammenzufassen: Wie wirkt sich Präsentismus auf die Gesundheit betroffener ArbeitnehmerInnen aus? Zur Beantwortung dieser Frage sind lediglich Längsschnittstudien geeignet, die es ermöglichen die Kausalfolge zweier Variablen festzustellen. Im Zuge dessen, wird ein Review bisheriger Langzeitstudien dargestellt, die sich mit den gesundheitlichen Folgen des Präsentismus auseinandersetzen. Die Diplomarbeit strukturiert sich somit in folgende Abschnitte: Zunächst werden Theorien und Definitionsansätze zu Gesundheit und Krankheit aufgegriffen und zusammengefasst, um ein grundsätzliches Verständnis für die Einflussfaktoren der Gesundheit und den subjektiven Umgang mit Krankheit zu schaffen (siehe Kapitel 2.2). Danach folgt eine Einführung in das Thema Präsentismus anhand einer komprimierten Übersicht des aktuellen Forschungsstands, verschiedener Definitionsansätze, Operationalisierungsmethoden und ausgewählter Erklärungsmodelle zu Präsentismus (siehe Kapitel 3). Als Hauptteil der Diplomarbeit wird zunächst ein umfassender Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus dargestellt (siehe Kapitel 4). Da sich ein Großteil bisheriger Präsentismusstudien auf die Antezedenzien des Präsentismus fokussierte, gestaltet sich die Übersicht ermittelter Einflussfaktoren umfangreicher als der Review der Längsschnittanalysen (siehe Kapitel 4.1 und 4.2). Die Ergebnisse der (Querschnitts-)Studien sind zur besseren Übersicht in personenbezogene, arbeitsbezogene und organisationsbezogene Determinanten unterteilt (siehe Abschnitt 4.1.1 bis 4.1.3). Als Ergänzung zum Literaturreview folgt die Datenanalyse und Interpretation der Ergebnisse einer Befragung von Versicherten der oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (n= 2976, Erhebungszeitraum: Februar 2013) (siehe Kapitel 5). Im letzten Teil der Arbeit werden die Ergebnisse des Reviews mit jenen der oberösterreichischen Studie verglichen, um daraus Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen für das betriebliche Gesundheitsmanagement und die zukünftige 8 1 Einleitung Präsentismusforschung zu ziehen. Die Diplomarbeit zielt zusammengefasst darauf ab, eine Übersicht an relevanten Einflussfaktoren für die Entscheidung zu Präsentismus und dessen Folgen zu geben, um daraus mögliche praktische Implikationen für die Arbeitswelt und Empfehlungen für die zukünftige Präsentismusforschung abzuleiten. 9 2 Definitionen 2 Definitionen Als Grundlage für die Auseinandersetzung mit dem Phänomen Präsentismus folgt zunächst eine Vorstellung von Definitionen zu Präsentismus, Gesundheit und Krankheit. 2.1 Präsentismus Unter Präsentismus ist das Arbeiten trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung, die einen Krankenstand rechtfertigen würde, zu verstehen (Aronsson et al. 2000: 503). Der Begriff „presenteeism“ wurde erstmals von Uris Auren (1955), einem USamerikanischen Arbeitswissenschaftler verwendet (zit. in Steinke & Badura 2011: 14). In seinem Artikel „How to Build Presenteeism“ befasste er sich mit dem Steigerungspotential der Anwesenheitszeiten unter den ArbeitnehmerInnen (Steinke & Badura 2011: 14). Uris verstand damals unter „presenteeism“ die „Anwesenheit am Arbeitsplatz“ (ebd. 2011: 14). Die Berücksichtigung des gesundheitlichen Aspekts beziehungsweise die Bedeutung des Wortes „presenteeism“ als „Weiterarbeiten trotz Krankheit“, ergab sich erst im weiteren Forschungsverlauf (Hägerbäumer 2011: 63). Der Begriff Präsentismus entstand ursprünglich als Antonym zum Terminus „Absentismus“ (engl. absenteeism). Absentismus bezeichnet das Fernbleiben von der Arbeit aus gerechtfertigten (Krankenstand, Weiterbildung, Urlaub) oder ungerechtfertigten Gründen (Emmermacher 2008: 32, Hägerbäumer 2011: 63). Im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit ist mit der Bezeichnung „Absentismus“ jeweils die krankheitsbedingte Arbeitsabwesenheit (Krankenstand) gemeint. Die Auswahl an Definitionen zu Präsentismus ist inzwischen umfangreich und vielfältig – eine einheitliche Begriffsbestimmung konnte bislang noch nicht gefunden werden. In Kapitel 3.2 folgt eine detailliertere Darstellung unterschiedlicher Definitionsvarianten zu Präsentismus. 2.2 Gesundheit und Krankheit Die Thematisierung von Präsentismus als das Verhalten, trotz Krankheit arbeiten zu gehen, wirft in erster Linie die Frage auf, wann eine Person überhaupt als krank oder gesund gilt. Inwiefern ist eine Krankheit in ihrer Symptomatik legitimiert, um in Krankenstand zu gehen und anhand welcher Kriterien kann dies festgestellt werden? 10 2 Definitionen Bedeutet Kranksein denn auch immer arbeitsunfähig zu sein? Und wer trifft letztlich die Entscheidung über Gesundheit und Krankheit, Arbeitsfähigkeit oder NichtArbeitsfähigkeit? In den anschließenden Unterpunkten werden diverse Leitlinien zum Verständnis von Gesundheit und Krankheit vorgestellt, die an die eingangs gestellten Fragestellungen anknüpfen. Darüber hinaus werden Definitionsbeispiele von Gesundheit und Krankheit angeführt, welche die entsprechenden Aspekte inhaltlich berücksichtigen. 2.2.1 Leitlinien zum Verständnis von Gesundheit und Krankheit Bei der Suche nach einer Definition und Konzeption zu Gesundheit und Krankheit ist eine Vielzahl an Literatur vorzufinden. Eine einheitliche, allgemein gültige Definition existiert jedoch bis heute nicht. Je nach wissenschaftlicher Disziplin, wird Gesundheit und Krankheit sehr unterschiedlich und teilweise widersprüchlich definiert (Waller 2006: 9, Bruns 2013: 21). Dennoch sind einige zentrale Elemente in der Konzeption von Gesundheit und Krankheit festzumachen, die bereits in vielseitigen fachspezifischen Diskussionen Konsens gefunden haben und in aktuellen Gesundheitsmodellen integriert sind. Hurrelmann fasst diese „konsensuellen“ Komponenten als Maximen bzw. Leitlinien zusammen, die im Erfassen der Phänomene Gesundheit und Krankheit berücksichtigt werden sollten (2010: 138). Er orientiert sich dabei vordergründig an Gesundheitskonzepten, die ein integratives und ganzheitlich orientiertes Verständnis von Gesundheit und Krankheit verfolgen, wie z.B. das Salutogenesemodell von Antonovsky (1979) und das Sozialisationsmodell vom Autor selbst (zit. in Hurrelmann 2010: 125). Beide Modelle definieren Gesundheit und Krankheit als dynamische Größen mit prozessualen und labilen Charakter, welche durch Stressoren, Ressourcen, soziale und personale Bedingungen beeinflusst werden (Hurrelmann 2010: 124ff). Darüber hinaus, sind beide Konzepte als Modelle einzuordnen, die den Fokus auf „dynamische Zusammenhänge zwischen Herausforderungen, Bewältigungsmustern und Gesundheits- und Krankheitsdynamik“ legen (Hurrelmann 2010: 127). Folgende Maximen für ein integratives Verständnis von Gesundheit und Krankheit postuliert Hurrelmann (2010: 139f): „Maxime 1: Gesundheit und Krankheit ergeben sich aus einem Wechselspiel von sozialen und personalen Bedingungen, welches das Gesundheitsverhalten prägt 11 2 Definitionen (Hurrelmann 2010: 139)“. „Maxime 2: Die sozialen Bedingungen (Gesundheitsverhältnisse) bilden den Möglichkeitsraum für die Entfaltung der personalen Bedingungen für Gesundheit und Krankheit (Hurrelmann 2010: 139)“. „Maxime 3: Gesundheit ist das Stadium des Gleichgewichts, Krankheit das Stadium des Ungleichgewichts von Risiko- und Schutzfaktoren auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene (ebd. 2010: 140)“. „Maxime 4: Gesundheit und Krankheit als jeweilige Endpunkte von Gleichgewichtsund Ungleichgewichtsstadien haben eine körperliche, psychische und soziale Dimension (ebd. 2010: 141)“. „Maxime 5: Gesundheit ist das Ergebnis einer gelungenen, Krankheit einer nicht gelungenen Bewältigung von inneren und äußeren Anforderungen (ebd. 2010:142)“. „Maxime 6: Persönliche Voraussetzung für Gesundheit ist eine körperbewusste, psychisch sensible und umweltorientierte Lebensführung (ebd. 2010: 143)“. „Maxime 7: Die Bestimmung der Ausprägungen und Stadien von Gesundheit und Krankheit unterliegt einer subjektiven Bewertung (ebd. 2010: 143)“. „Maxime 8: Fremd- und Selbsteinschätzung von Gesundheits- und Krankheitsstadien können sich auf allen drei Dimensionen – der körperlichen, der psychischen und der sozialen – voneinander unterscheiden (ebd. 2010: 144)“. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Gesundheit und Krankheit dynamische Größen darstellen, die sich in einem multidimensionalen Wechselspiel zwischen sozialen, personalen, internen aber auch externen Risiko- und Schutzfaktoren (re-) konstruieren (siehe Maxime 1-5). Die Bewertung des Gesundheitszustands anhand eines objektiven Befunds, kann von der subjektiven Gesundheitseinschätzung abweichen (siehe Maxime 8). Die subjektive Erfahrung von Gesundheit und Krankheit muss folglich nicht zwingend mit 12 2 Definitionen einer ärztlichen Diagnose übereinstimmen und umgekehrt. Diese Unterscheidung zwischen „Fremd- und Selbsteinschätzung von Gesundheits- und Krankheitsstadien“ vollzieht sich auf körperlicher, psychischer und sozialer Ebene und unterliegt einem historischen Wandel (Hurrelmann 2010: 144). Depressionen oder chronische Schlafstörungen galten z.B. lange Zeit als irrelevante Symptome um etwa Krankenstand zu legitimieren. Betroffene ArbeitnehmerInnen wurden dementsprechend von MedizinerInnen als Simulanten abgewertet oder Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nicht ausgestellt (Naidoo, Wills 2010: 7). Sowohl die Entscheidung für einen Arztbesuch als auch der Umgang mit der medizinischen Diagnose ist assoziiert mit der subjektiven Gesundheitsbewertung und Gesundheitswahrnehmung einer Person (siehe Maxime 7). Auch der Entscheidungsprozess zwischen Krankestand und Präsentismus beginnt mit der subjektiven (und / oder objektiven) Bewertung des aktuellen Gesundheitszustands (siehe dazu z.B. Johns 2010 oder Hägerbäumer 2011 in Kapitel 3.4). Grundvoraussetzung für ein subjektives Wohlbefinden ist die persönliche Lebensführung (siehe Maxime 6). Inwiefern Präsentismus als Bestandteil eines gesundheitsförderlichen oder pathogenen Lebensstils gesehen werden kann, untersuchen Längsschnittstudien zu den gesundheitlichen Folgen des Präsentismusverhaltens (siehe dazu Kapitel 4.2). 2.2.2 Definition Gesundheit Folgende „konsensuelle“ Gesundheitsdefinition postuliert Hurrelmann: „Gesundheit ist das Stadium des Gleichgewichts von Risikofaktoren und Schutzfaktoren, das eintritt, wenn einem Menschen eine Bewältigung sowohl der inneren (körperlichen und psychischen) als auch äußeren (sozialen und materiellen) Anforderungen gelingt. Gesundheit ist ein Stadium, das einem Menschen Wohlbefinden und Lebensfreude vermittelt.“ (Hurrelmann 2010: 146) Hurrelmann hebt in seiner Definition die Distinktion zwischen internen und externen Anforderungen und Ressourcen hervor. Gesundheit, Krankheit oder etwaige Stadien dazwischen, sind demnach nicht nur der physischen und psychischen Beschaffenheit des Individuums zuzuschreiben, sondern sind immer auch als Produkte des sozialen Feldes zu sehen, in dem sich eine Person bewegt. Hurrelmann spricht dann von Gesundheit, wenn ein Gefühl des Wohlbefindens besteht, d.h. wenn eine Balance zwischen Risiko- und Schutzfaktoren auch subjektiv wahrgenommen wird. 13 2 Definitionen Eine relativ weit verbreitete Gesundheitsdefinition geht zurück auf das Jahr 1946 und stammt von der Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO): „Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity“ Die WHO setzte mit dieser Definition einen entscheidenden Schritt vorwärts, indem sie einerseits mehrere fachspezifische Perspektiven auf Gesundheit (medizinische, psychologische und soziologische Perspektive) zusammenfasste und andererseits eine salutogenetische Sichtweise fokussierte, die eine Dichotomisierung von Gesundheit und Krankheit ausschließt. Die Definition der WHO gab außerdem den essentiellen Impuls, das subjektive Wohlbefinden der betroffenen Individuen im Verständnis von Gesundheit und Krankheit zu berücksichtigen (Hurrelmann 2010: 7, Franke 2012: 39). Vielerorts wird jedoch die Formulierung „Health is a state (...)“ als mangelnde Beachtung des prozessualen, dynamischen Charakters von Gesundheit kritisiert. Zudem wird argumentiert, dass ein Stadium vollkommenen Wohlbefindens in Wirklichkeit nie erreicht werden kann. Die Definition gelte daher als „utopisch“ und „provokant“ (Waller 2006: 10, Hurrelmann 2010: 7). Die WHO erweiterte den Gesundheitsbegriff im Jahr 1986 im Rahmen der OttawaCharta, indem sie Gesundheit als dynamischen und prozessgebundenen Zustand definierte, den es immer wieder neu herzustellen gelte (WHO 1986). 2.2.3 Definition Krankheit Die Begriffe Krankheit, Kranksein und Erkrankung werden häufig gleichsinnig verwendet. Die jeweilige Bedeutung der Begriffe ist allerdings unterschiedlich (Naidoo, Wills 2010: 6). Krankheit („disease“) wird von außen durch die biomedizinische Fachperspektive der ProfessionistInnen bestimmt (Hurrelmann 2010: 116). Die Erfüllung oder Abweichung von Normwerten und Funktionsgrößen gilt als Entscheidungsbasis für Krankheit oder Gesundheit (Hurrelmann 2010: 116, Brandenburger & Nieder 2009: 16). „Krankheit wird heutzutage als ein objektiver Zustand der Erkrankung verstanden, der durch allgemein anerkannte Formen des Nachweises belegt werden kann“ (Naidoo, Wills 2010: 6). Als konforme Nachweise gelten medizinische Befunde, welche eine Erkrankung zertifizieren und somit eine gesundheitsbedingte 14 2 Definitionen Arbeitsabwesenheit legitimieren. „Krankheit ist (…) das Vorhandensein eines feststellbaren pathologischen Befundes oder einer Anomalie des Körpers“ (Naidoo, Wills 2010: 6). Von einer Krankheit spricht man demnach, wenn Normabweichungen von medizinischem Fachpersonal nachweisbar diagnostiziert werden können (Hurrelmann 2010: 116). Auch die Bescheinigung zum Krankenstand basiert auf der ärztlichen Diagnose einer Krankheit. Der Begriff Kranksein („Illness“) steht demgegenüber für „das subjektive, individuelle Erleben“ eines beeinträchtigten Gesundheitszustands (Brandenburg & Nieder 2009: 16). Krankheitssymptome werden von innen heraus wahrgenommen und zum Ausdruck gebracht z.B. durch das Klagen über Schmerzen (Naidoo, Wills 2010: 6). Die begriffliche Unterscheidung zwischen Krankheit und Kranksein ist von essentieller Bedeutung, schließlich kann eine objektiv diagnostizierte Krankheit vom subjektiven Krankheitsgefühl (Kranksein) abweichen (siehe auch Hurrelmann 2010 in Abschnitt 2.2.1). D.h. die Diagnose einer Krankheit kann erfolgen, ohne dass entsprechende Krankheitssymptome subjektiv wahrgenommen wurden (z.B. Diagnose von Krebs). Umgekehrt besteht die Möglichkeit, dass trotz eindeutiger Schmerzempfindungen des Patienten / der Patientin (z.B. bei somatoformen oder psychischen Erkrankungen) keine eindeutige Krankheit ärztlich diagnostiziert und zertifiziert werden kann. Von einer „Erkrankung“ („ill health“) spricht man dann, wenn der objektive Befund einer Krankheit mit dem subjektiven Kranksein übereinstimmt (Naidoo, Wills 2010: 7). Im Englischen gibt es ebenso drei Begriffsformen von Krankheit: Illness, Disease und Sickness. Sie unterscheiden sich danach, ob die Krankheit selbst- oder fremdbestimmt wahrgenommen wird (Hurrelmann 2010: 115): Der Begriff Illness steht für die selbstbestimmte, subjektive Wahrnehmung von Krankheit und ist vergleichbar mit dem Begriff „Kranksein“ oder mit der Formulierung „sich krank fühlen“ (Hurrelmann 2010: 116). Im Gegensatz dazu bedeutet „Disease“ die durch ExpertInnen fremddiagnostizierte Krankheit aus einer biomedizinischen Fachperspektive (ebd. 2010: 116). Mit Sickness ist der durch die Gesellschaft definierte „Status des Krankseins“ gemeint. Kranksein im gesellschaftlichen Kontext impliziert gewisse Verhaltenserwartungen an die betroffene Person: die Handlungs- und Leistungsfähigkeit ist 15 2 Definitionen eingeschränkt, sozialisierte Aufgaben und Rollen können nicht erwartungsgemäß erfüllt werden etc. (Erhart et al. 2009: 336). 2.2.3.1 Exkurs: Teilzeit – Krankenstand als Handlungsalternative zur Vollzeitanwesenheit vs. Vollzeitabwesenheit? Die erwähnten Leitlinien nach Hurrelmann, als auch die integrativen Definitionen von Gesundheit und Krankheit, stehen im klaren Widerspruch zum dominierenden Gesundheitsverständnis im österreichischen Gesundheitssystem (Rumpelsberger 2013: 24). ProfessionistInnen aus der Medizin als auch das Sozialversicherungswesen orientieren sich an einem medizinischen Krankheitsmodell (ebd. 2013: 24). Gesundheit wird dabei als „Abwesenheit von Krankheit“ bzw. „Störungsfreiheit“ konnotiert (Franke 2012: 38). Das Verhältnis zwischen Gesundheit und Krankheit ist demnach dichotom, d.h. beide Pole stehen sich unabhängig voneinander gegenüber (Bruns 2013: 23). In Anbetracht der stetigen Zunahme an chronischen und psychischen Erkrankungen (z.B. Burn-Out, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankung) wurde das biomedizinische Konzept bereits in den 1970er Jahren als „überholt“ kritisiert, u.a. aufgrund der fehlenden Erklärungskraft für entsprechende Krankheitsbilder (Bruns 2013: 52). Dennoch basiert „der Akt der Krankschreibung“ nach wie vor auf einem pathogenetisch fokussierten, dichotomen Gesundheitsverständnis (Franke 2012: 99). Die sozial- und arbeitsrechtlichen Konsequenzen daraus sind weitreichend (ebd. 2012: 99): Erst ab der ärztlichen Diagnose einer Krankheit als „regelwidriger Körperund Geisteszustand“ besteht in Österreich der Anspruch auf Entgeltsfortzahlung im Krankenstand, für Krankenbehandlungen und weitere Pflichtleistungen (ASVG §120 zit. in Rumpelsberger 2013: 24). „Solange die Krankenbehandlung erforderlich ist, stehen alle Pflichtleistungen – von der Krankenbehandlung über Krankenstand, also legitimes Fernbleiben von der Arbeit, bis zum Krankengeld – zur Verfügung“ (Rumpelsberger 2013: 24). Inwiefern eine Krankenbehandlung notwendig ist oder nicht, wird durch den ärztlichen Befund entschieden – dieser designiert ob und wie lange eine Person als entweder krank (bzw. zertifiziert für Krankenstand) oder gesund gilt (Rumpelsberger 2013: 24). Eine intermediäre Form zwischen Vollzeit-Krankenstand und Vollzeit- Arbeitsanwesenheit beabsichtigt das Modell Teilzeit-Krankenstand. Dieses wurde u.a. bereits in Schweden, Norwegen, Dänemark und Finnland verschiedenartig implementiert (Kausto et al. 2008: 239). In Österreich wird derzeit eine ähnliche 16 2 Definitionen Umsetzung angedacht und zwischen Sozialministerium und Sozialpartnern diskutiert (Der Standard 11.08.2014). Teilzeit-Krankenstand ermöglicht den ArbeitnehmerInnen teilarbeitsfähig zu sein. In Schweden gestaltet sich die Umsetzung des Modells z.B. in der Art, dass betroffene ArbeitnehmerInnen, abgestimmt auf die entsprechende Erkrankung, das Arbeitsstundenpensum um fünfundzwanzig, fünfzig oder fünfundsiebzig Prozent reduzieren können (Sieurin et al. 2009: 50). Alternativ dazu, besteht die Möglichkeit Vollzeit arbeiten zu gehen, allerdings unter modifizierten Arbeitsbedingungen und - aufgaben, jeweils angepasst an den entsprechenden Gesundheitszustand (Kausto et al. 2008: 239). Angestellte erhalten in diesem Fall zusätzliche Zahlungen („partial sickness benefit“) zum (partiellen) Krankengeld (ebd. 2008: 239). Ausschlaggebend für die Implementierung des Modells war am Beispiel Schweden, einerseits das Ziel inflationäre Fehlzeitenquoten einzudämmen. Andererseits galt es als Interventionsmethode, um Beschäftigten den Wiedereinstieg in die Arbeit nach Erkrankungen (v.a. nach Langzeitkrankenständen) zu erleichtern. Negative Konsequenzen nach Langzeitkrankenständen, wie z.B. eingeschränkte Karriereoptionen bis hin zu einem erhöhten Risiko für Arbeitsplatzverlust, sollten durch das Teilzeitmodell weitgehend verhindert werden (ebd. 2008: 239, Sieurin et al. 2009: 55). Auch auf ArbeitgeberInnenseite versprach man sich seit der Einführung des Modells, ökonomische Vorteile durch niedrigere Quoten an Vollzeitkrankenständen. Zudem wurden im schwedischen Gesundheitssystem Einsparungen hinsichtlich der Gesundheitsausgaben prognostiziert (Andrén & Andrén 2008: 3, Sieurin et al. 2009: 51). Entsprechende Hypothesen konnten bisher nur vereinzelt empirisch bestätigt werden. Folglich besteht weiterhin Forschungsbedarf, um die vermuteten gesundheitlichen und ökonomischen Folgewirkungen des Handlungsmodells zu überprüfen (Sieurin et al. 2009: 51, Kausto et al. 2008: 240). Nichtsdestotrotz befürworten größtenteils sowohl schwedische ArbeitnehmerInnen als auch ArbeitgeberInnen, Ärzte und Ärztinnen die Durchsetzung des Modells (Kausto et al. 2008: 246). Insbesondere ältere Angestellte, als auch ArbeitnehmerInnen aus dem Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen nehmen das Angebot in Anspruch (Kausto et al. 2008: 245). Meistens wird Teilzeitkrankenstand im Anschluss eines Vollzeit-Krankenstands zum Wiedereinstieg am Arbeitsplatz genutzt (Kausto et al. 2008: 245). Zusammengefasst repräsentiert Teilzeitkrankenstand eine intermediäre Handlungsvariante zwischen Vollzeit-Arbeitsanwesenheit (möglicherweise trotz Krankheit) und 17 2 Definitionen Vollzeit-Arbeitsabwesenheit aufgrund Krankheit. Die Implementierung des Teilzeitmodells ermöglicht damit einen breiteren Entscheidungsspielraum im Krankheitsfall, sowohl für das medizinische Fachpersonal, als auch für die betroffenen ArbeitnehmerInnen. Insbesondere Personen mit chronischen, episodischen oder langfristigen Erkrankungen können mit einem entsprechenden Modell adressiert werden. Ob und inwiefern damit die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen tatsächlich gefördert und ein ökonomischer Vorteil für UnternehmerInnen und das Gesundheitssystem entsteht, muss allerdings weiterhin untersucht werden. 2.2.4 Subjektive Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit Die Wahrnehmung als auch der Umgang mit Gesundheit und Krankheit ist variabel und unterliegt einem individuellen, subjektiven Gesundheitskonzept. Inwiefern eine Krankheit z.B. als relevant für Krankenstand befunden wird, steht nach Faltermaier u.a. im Zusammenhang mit dem individuellen Gesundheits- und Körperbewusstsein einer Person (1998: 84f). Die Entfaltung dieser subjektiven Gesundheitswahrnehmung ist durch komplexe Strukturen bedingt, die im Folgenden dargestellt werden. 2.2.4.1 Subjektives Gesundheitsbewusstsein Das individuelle Gesundheitsbewusstsein ist multifaktoriell determiniert und besteht nach Faltermaier aus einem „komplexen Aggregat von subjektiven Vorstellungen von der eigenen Gesundheit, die kognitive, emotionale und motivationale Momente beinhalten, die sich auf das eigene Selbst (als Person, Körper) und das Verhältnis zur sozialen und materiellen Umwelt beziehen, die sich in ständiger biographischer Entwicklung befinden und sozial abgestimmt werden“ (1994: 163). Abbildung 1 fasst die unterschiedlichen Entfaltungsmöglichkeiten des subjektiven Gesundheitsbewusstseins zusammen: 18 2 Definitionen Abbildung 1: Faktoren des subjektiven Gesundheitskonzepts (eigene Darstellung nach Faltermaier 1994: 165ff) Je nach Sozialisationsbedingungen, Lebenslauf, gesundheitsbezogener Werteorientierung, der individuellen Sensibilität für Gesundheitsrisiken, Ressourcen und Körperbewusstsein, ergeben sich unterschiedliche Handlungsmuster in Bezug auf Gesundheit und Krankheit. Dies erklärt die teils prägnanten Unterschiede zwischen den folgenden Typisierungen subjektiver Gesundheitskonzepte: Tabelle 1: Typen subjektiver Gesundheitskonzepte (Faltermaier 1994 zit. in Hägerbäumer 2011: 20) Organischmedizinisches Konzept Handlungs- und leistungsorientiertes Konzept Psychologisches Konzept Mehrdimensionales Konzept Verständnis des Begriffs Gesundheit Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit Gesundheit als Handlungsund Leistungsfähigkeit Gesundheit ist Wohlbefinden, Ruhe, Ausgeglichenheit, Beschwerdeund Schmerzlosigkeit körperliche und psychische Gesundheit zeigt sich in Form von Handlungsfähigkeit und Energiepotential Entstehungsbedingungen von Gesundheit und Genetische Veranlagung, Biologische Prozesse, Schicksal Risikofaktoren, Arbeitsbeanspruchung, psychische Belastungen, psychische Faktoren, Umweltbedingungen, genetische ökologische, psychologische, soziale Faktoren, 19 2 Definitionen Krankheit individueller Lebensstil individueller Arbeits- und Lebensstil, CopingStrategien, Persönlichkeit und Dispositionen Krankheit gilt als Zeichen fehlender Balance; bewusste Wahrnehmung des Körpers positives, bewusstes Körperbewusstsein; Beschwerden gelten als Zeichen körperlicher Überlastung oder psychischer Spannungen gering Leistung / Arbeit erlangen höheren Stellenwert als Gesundheit hoher Stellenwert höchster Stellenwert im Vergleich zu anderen Konzepten Männer, MedizinerInnen ArbeiterInnen z.B. Weibliches Pflegepersonal „unterschiedlich“ Körper wird erst dann beachtet, wenn Schmerzen bzw. Krankheitssymptome auftreten gesundheitliche Beschwerden werden solange verdrängt bis der Körper „als Instrument versagt“ Subjektiver Stellenwert von Gesundheit Tendentielle VertreterInnen Körperbewusstsein & subjektives Krankheitskonzept Disposition, riskante Verhaltensweisen „Die subjektiven Theorien beeinflussen die Verarbeitung gesundheitsrelevanter Informationen sowie die Steuerung gesundheitsrelevanter Handlungen“ (Ziegelmann 2002 zit. in Hägerbäumer 2011: 19). Ziegelmann verweist mit dieser Aussage darauf, dass die individuelle Konzeption von Gesundheit ausschlaggebend dafür ist, wann eine Krankheit als behandlungsbedürftig (Selbstbehandlung oder ärztliche Behandlung) eingeschätzt wird (Hägerbäumer 2011: 19). Natürlich gibt es Krankheiten, die aufgrund ihrer Dringlichkeit oder Schmerzhaftigkeit den Weg zum Arzt und Krankenstand gewissermaßen erzwingen (z.B. Knochenbrüche, akute Magen-DarmErkrankungen) (Johns 2010: 531). Davon zu unterscheiden sind weniger extreme Erkankungssymptome wie z.B. mentale Erschöpfungsanzeichen, die ein eher schleichendes Auftreten haben - die aber, bei langfristiger Nicht-Beachtung und fehlenden Regenerationsphasen, gravierende gesundheitliche Folgen (z.B. Burnout) für Betroffene haben können (Demerouti et al. 2009: 61, siehe Kapitel 4.2.1.1). Betrachtet man die in Abbildung 1 angeführten Charakteristika der Gesundheitstypen, ist anzunehmen, dass Beschäftigte mit psychologischem oder mehrdimensionalem Gesundheitskonzept, etwaige Stresssymptome wie z.B. Schlafstörungen, lang anhaltende Erschöpfungsgefühle, latente Überforderung etc. eher wahrnehmen und intervenieren, als ArbeitnehmerInnen mit organisch – medizinischer oder handlungsund leistungsorientierter Gesundheitswahrnehmung (Faltermaier 1994 zit. in Hägerbäumer 2011: 19f). Folglich könnten Personen mit einer rationalen Haltung 20 2 Definitionen gegenüber Gesundheit auch eher dazu tendieren, etwaige Gesundheitsbeeinträchtigungen während der beruflichen Tätigkeit auszublenden (Hägerbäumer 2011: 23). Hinsichtlich der Verteilung der Gesundheitskonzepte befindet Faltermeier, dass jene Personen, die Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit definieren, eher die Minderheit repräsentieren (Faltermeier 1998: 80). In einer Befragung von Blaxter (1990) war z.B. die subjektive Vorstellung von Gesundheit als psychisches Wohlbefinden „im Sinne einer psychischen Ausgeglichenheit und einer positiven Stimmung“, die am häufigsten genannte Kategorie (zit. in Faltermaier 1998: 80). Entsprechende Ergebnisse verdeutlichen wiederum die Ambivalenz zwischen dem dominierenden und institutionalisierten, medizinischen Gesundheitsmodell und dem tendenziell verbreiteten und internalisierten, psychologischen Gesundheitsverständnis unter den befragten „Laien“ (Bruns 2013: 539). 2.2.4.2 Messbarkeit subjektiver Gesundheitskonzepte Die Messmethode der subjektiven Gesundheitseinschätzung ist die am häufigsten verbreitete Erhebungsmethode des allgemeinen Gesundheitsstatus in der soziologischen Gesundheitsforschung seit den fünfziger Jahren (Garrity et al. 1978, Maddox 1962, Suchman et al. 1958 zit. in Jylhä 2009: 307). Die Berücksichtigung des subjektiven Wohlbefindens in der Diskussion und Forschung rund um die Gesundheit und Krankheit, birgt jedoch Vor- und Nachteile. Einerseits trägt der Einbezug der subjektiven Perspektive dazu bei, ein umfassenderes Bild des Phänomens Gesundheit zu rekonstruieren. Andererseits gibt es „konzeptuelle Unsicherheiten“ bei der systematischen Erhebung subjektiver Gesundheit (Erhart et al. 2009: 337). Subjektive Gesundheitskonzepte können nur indirekt über Selbst- oder Fremdeinschätzung (z.B. Personen aus dem sozialen Netzwerk) gemessen werden. Im Gegensatz zu anderen Gesundheitsindikatoren unterliegt die subjektive Selbsteinschätzung keinen bestimmten Regeln sondern folgt lediglich einem individuellen kognitiven oder emotionalen Prozess (Jylhä 2009: 308). Es wird angenommen, dass insbesondere das soziale und kulturelle Umfeld einen Einfluss darauf ausübt, ob die / der Befragte eine bewusst reflexive und überlegte Gesundheitseinschätzung rückmeldet oder relativ intuitiv antwortet (ebd. 2009: 308). Unterschiede in der subjektiven Einschätzung wurden vor allem nach Alter, Kultur, Geschlecht und Gesundheitszustand festgestellt (Jylhä 2009: 314, Flick 1998: 8). Folglich sollte der potentielle Einfluss 21 2 Definitionen multifaktorieller Determinanten bei der Erfassung der subjektiven Gesundheitseinschätzung, berücksichtigt werden. Die Validität und Reliabilität des Messinstruments könnte dementsprechend beeinträchtigt werden. Dennoch liefert die Variable Informationen die durch spezifische, rein objektive Kriterien der Gesundheit, nicht erhoben werden können (ebd. 2009: 313f). Jylhä empfiehlt daher die Gesundheit von den Betroffenen selbst einschätzen zu lassen. Erhart et al. argumentieren zudem, „dass bei einem subjektiv konzipierten Konstrukt auch das Subjekt selbst der Berichterstatter sein sollte“ (2009: 338). Die Anwendung der subjektiven Gesundheitseinschätzung wird zudem durch die Studienresultate von Wu et al. gestützt, welche die subjektive Gesundheitsbewertung als signifikanten Prädiktor für den objektiven Gesundheitsstatus einer Person befinden (2013: 7). Darüber hinaus postulieren Winter et al., dass die Variable der subjektiven Einschätzung auch als Prognosewert für Veränderungen der objektiven Gesundheit herangezogen werden kann (2007: 463). Daraus schlussfolgern die ForscherInnen, dass Individuen etwaige Veränderungen ihrer Gesundheit, insbesondere das Auftreten von Symptomen oder anderen Auffälligkeiten, bewusst wahrnehmen können. Sie werden damit selbst zum Experten / zur Expertin ihrer eigenen Gesundheit und besitzen damit vermutlich mehr Sensitivität gegenüber dem eigenen Gesundheits- oder Krankheitsverlauf als betreuende Ärzte und Ärztinnen (Winter et al. 2007: 466). Mossey & Shapiro bestätigten in ihrer Studie bereits 1982 die Korrelation zwischen der subjektiven Gesundheitsbewertung und Mortalität (1982: 804f). Die AutorInnen unterstreichen die hohe Aussagekraft der subjektiven Einschätzung der Gesundheit als Prädiktor für die Sterblichkeit. Weitere Studienergebnisse von Idler (1990), Wannamethee & Shaper (1996), Kaplan et al. (1996) sowie Idler & Benyamini (1997), bestätigen ebenfalls die Korrelation zwischen der subjektiven Messmethode von Gesundheit und der Mortalität als auch zur Morbidität (zit. in Molarius & Janson 2002: 364). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Erhebungsmethode der subjektiven Gesundheitseinschätzung durchaus Risiken birgt, da es sich dabei um einen kognitiven und emotionalen Bewertungsprozess handelt, welcher von multifaktoriellen Determinanten des sozialen Feldes einer Person beeinflusst werden kann. Repräsentative Studienergebnisse streichen dennoch die starke Aussagekraft der Variable hervor und bestätigen diese als signifikanten Prädiktor für den objektiven Gesundheitsstatus, etwaige Veränderungen im Gesundheitsverlauf sowie für die Mortalität und Erkrankungswahrscheinlichkeit einer Person. 22 2 Definitionen 2.2.5 Schlussfolgerungen und Anknüpfungspunkte für das Thema Präsentismus In der Auseinandersetzung rund um die Ursachen und Folgen von Präsentismus, also der Arbeitsanwesenheit trotz Krankheit, ist es zunächst wichtig zu definieren, wann überhaupt von Gesundheit oder Krankheit gesprochen wird. Im Zuge der Literaturrecherche wurde deutlich, dass bis Dato keine einheitliche Gesundheits- oder Krankheitsdefinition existiert (siehe 2.2.1). Die angeführten Maximen nach Hurrelmann stellen dennoch einen Versuch dar, die grundlegenden Aspekte der bisherigen Forschungsdiskussion zusammenzufassen. Sie demonstrieren, dass sich der Gesundheitsverlauf einer Person immer im Verhältnis zum sozialen Kontext entfaltet (siehe 2.2.1.). Gesundheit oder Krankheit kann somit nicht nur dem Individuum und seinen genetischen Dispositionen zugeschrieben werden, sondern muss vor allem im gesellschaftlichen und organisationalen Zusammenhang betrachtet werden (siehe 2.2.2.). Geht eine Person trotz einer gesundheitlichen Beeinträchtigung arbeiten, sollte folglich auch immer die Frage gestellt werden, inwiefern die institutionellen oder sozialen Rahmenbedingungen das Entscheidungsverhalten im Krankheitsfall beeinflussen (siehe Abschnitt 4.1.2 und 4.1.3). Anhand einer weiteren Maxime postuliert Hurrelmann, dass Gesundheit und Krankheit jeweils Endpole eines dynamischen Kontinuums darstellen. Dieses Kontinuum wird sowohl von internen als auch von externen Risiko- und Schutzfaktoren beeinflusst (siehe Abschnitt 2.2.1) und beinhaltet eine Vielzahl an Gesundheitsstadien, die zwischen den Endstufen „völlig gesund“ und „schwer krank“ liegen (Steinke & Badura 2011: 16). Oppolzer (2010) unterteilt diese in folgende drei Gesundheitsstufen: 1. „Zweifellos Gesunde“ (objektiv und subjektiv als gesund zu betrachten), 2. „Grauzone relativer Krankheit“ (Erschöpfungszustände, Frühstadien der Krankheit, chronische Krankheitsbeschwerden, kein zwingender Grund für Abwesenheit) und 3. „behandlungsbedürftig Kranke“ (massive Leistungsminderung, schwerwiegende, manifeste Krankheit) (zit. in Steinke & Badura 2011: 16f). Oppolzer hebt in seiner Darstellung hervor, dass der Übergang zwischen den Stufen fließend und dynamisch ist (2010 zit. in Steinke & Badura 2011: 16f). 23 2 Definitionen Diese Sichtweise steht im klaren Widerspruch zum (in Österreich) institutionalisierten, dichotomen Gesundheitskonzept, welches lediglich zwischen Gesundheit (Abwesenheit von Krankheit) und Krankheit unterscheidet (siehe Abschnitt 2.2.3.1). Die „Grauzone“ an relativen Krankheiten verwischt allerdings die scheinbar eindeutigen Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit (Oppolzer 2010 zit. in Steinke, Badura 2011: 16f). Inwiefern die Entscheidungstendenz zu Präsentismus in dieser „Grauzone relativer Krankheit“ erhöht ist, wird im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit thematisiert (siehe Abschnitt 4.1.1.2 und 5.3.3.1.6). Eine Handlungsalternative zum Krankenstand und Präsentismus, die insbesondere an Personen mit „mäßigen“ Erkrankungen adressiert ist, repräsentiert der „Teilzeit – Krankenstand“. Dieses Modell ist z.B. in Schweden vorzufinden, wird in Form modifizierter Arbeitsbedingungen und einer Reduzierung des Arbeitspensums umgesetzt und wird vor allem von älteren, chronisch oder psychisch erkrankten ArbeitnehmerInnen, sowie als Einstiegsvariante nach Langzeitkrankenständen, genutzt. Inwiefern sich die Implementierung eines Teilzeitkrankenstands auf die Regeneration und Gesundheit der involvierten ArbeitnehmerInnen auswirkt, ist aktuell noch unerforscht. Auch potentielle riskante Entwicklungen, wie etwa die Vernachlässigung eines „Vollzeit – Krankenstands“ aus wirtschaftlichen Gründen, wurden bisher nicht untersucht. Ein weiterer Aspekt der postulierten Maximen nach Hurrelmann hebt den subjektiven Bewertungsprozess von Gesundheit und Krankheit hervor (siehe Abschnitt 2.2.1). Die Wahrnehmung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen unterliegt einem subjektiven Gesundheitsbewusstsein, welches durch multifaktorielle Bedingungen konstruiert wird. Darunter nehmen auch das soziale Umfeld bzw. die darin enthaltenen Wertekonstellationen (z.B. die jeweilige Unternehmenskultur) Einfluss auf die individuelle Entwicklung eines Gesundheitskonzepts (siehe Abschnitt 2.2.4.1). Zudem wird angenommen, dass der persönliche Gesundheitstypus für das jeweilige Krankheitsverhalten relevant ist. Johns postuliert z.B. „those who tend to adopt a sick role are inclined to attribute much of their behaviour to their health“ (2010: 534). ArbeitnehmerInnen mit psychologisch oder mehrdimensional orientiertem Gesundheitskonzept schreiben ihrer Gesundheit einen höheren Stellenwert zu als der beruflichen Leistung und richten ihr Krankheitsverhalten danach aus. Insofern erscheint es naheliegend, dass gesundheitsbewusste ArbeitnehmerInnen Präsentismus eher 24 2 Definitionen als schädigendes Verhalten interpretieren, als Arbeitskräfte mit handlungs- und leistungsorientiertem Gesundheitskonzept. Inwiefern entsprechende Wertungshaltungen auf das Entscheidungsverhalten zwischen Präsentismus und Absentismus tatsächlich Einfluss nehmen, wird in der weiteren Folge der Arbeit erneut aufgegriffen (siehe dazu u.a. Kapitel 4.1.1.1.3 oder 5.3.3.1.2). Der subjektiven Gesundheitsbewertung wird auch in der Operationalisierung des allgemeinen Gesundheitszustands eine wichtige Rolle zugeschrieben (siehe dazu Abschnitt 2.2.4.2). Ein Großteil der sozialwissenschaftlichen Studien, u.a. auch die Präsentismusforschung, verwendet zur Erhebung der allgemeinen Gesundheit der Befragten das Instrument der subjektiven Selbsteinschätzung. Faltermaier (1994) als auch Jylhä (2009) verweisen darauf, dass kulturelle, soziale und personale Bedingungen die subjektive Einschätzung beeinflussen können. Nichtsdestotrotz wird in einer Reihe bisheriger Studien die hohe Aussagekraft der Messvariable hervorgehoben. Nach Wu et al. (2013) kann z.B. der objektive Gesundheitsstatus einer Person mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die persönliche Selbsteinschätzung vorhergesagt werden (siehe 2.2.4.2.). Als Fazit kann diesbezüglich festgehalten werden, dass die subjektive Einschätzung der Gesundheit zuverlässige Informationen über den tatsächlichen Gesundheitsstatus einer Person vorausschickt. Um allerdings legitimiert in Krankenstand gehen zu können, bedarf es einer ärztlichen („objektiven“) Diagnose, die wiederum auf einem dichotomen Verständnis von Gesundheit und Krankheit basiert. Die Entscheidung zum Krankenstand ist folglich mit der Bedingung einer ärztlichen Zertifizierung verbunden, während der Entschluss zum Arbeiten trotz Krankheit vom subjektiven Ermessen des betroffenen Individuums abhängt. Ob und inwiefern dieser individuelle Entscheidungsprozess durch externe und personenbezogene Determinanten beeinflusst wird, soll in der weiteren Arbeit untersucht werden. 25 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle Nachfolgend werden der Forschungsstand sowie bisherige Definitionsansätze von Präsentismus angeführt und kritisch analysiert. Daran anschließend folgt die Darstellung verschiedener Messmethoden des Forschungsgegenstands, als auch die Analyse aktueller Forschungsmodelle. 3.1 Forschungsstand Im Wesentlichen können zwei zentrale Forschungsstränge differenziert werden, die ein äußerst kontroverses Verständnis von Präsentismus verfolgen: Der erste Forschungsstrang stammt aus den USA und definiert Präsentismus als Produktivitätsverlust aufgrund gesundheitlich beeinträchtigter ArbeitnehmerInnen, die zwar anwesend aber nicht voll leistungsfähig sind (Schultz & Edington 2007: 548, Emmermacher 2008: 33, Burton et al. 1999: 864). Die Mehrzahl der Präsentismusstudien ist diesem Forschungsansatz zuzuordnen (Steinke, Badura 2011: 78). Die Intention des produktivitätsorientierten Forschungsstrangs besteht größtenteils darin, die Art und Prävalenz von Krankheiten am Arbeitsplatz zu erfassen, um letztlich zu evaluieren, welche Krankheiten quantitativ die größten Produktivitätseinbußen für das Unternehmen verursachen. Die medizinische Versorgung der ArbeitnehmerInnen soll durch die entsprechende Analyse optimiert werden, um die Leistungseinbußen und Kosten für das Unternehmen zu minimieren. Dem ist hinzuzufügen, dass die meisten US – amerikanischen Unternehmen finanziell für die Krankenversorgung ihrer ArbeitnehmerInnen verantwortlich sind. Es ist dementsprechend naheliegend, dass die Reduzierung von gesundheitlichen Beeinträchtigungen der ArbeitnehmerInnen, Leistungsdefiziten und daraus resultierenden Kosten, ein wirtschaftliches Anliegen der Unternehmen darstellt (Steinke, Badura 2011: 14). Ein großer Anteil der produktivitätsorientierten Studien wurde durch pharmazeutische Unternehmen finanziert (Schultz & Edington 2007: 573). Der Forschungsfokus auf Krankheitsarten und krankheitsbedingten Leistungseinbußen am Arbeitsplatz liegt damit auch im Interesse der Pharmakonzerne, um die Entwicklung von Medikamenten (sog. „drug solutions“) entsprechend dem Bedarf der ArbeitnehmerInnen 26 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle ausrichten zu können (Schultz & Edington 2007: 573). Der zweite zentrale Forschungsstrang zu Präsentismus ist primär im europäischen Raum zu verorten. Entsprechende Studien rücken eine verhaltensorientierte Perspektive ins Zentrum der Untersuchung des Phänomens (Steinke & Badura 2011: 18f). Eine vergleichsweise häufig zitierte Definition von Präsentismus stammt, innerhalb dieses Forschungsstrangs, von Aronsson et al. (2000: 503): Präsentismus wird dabei als „(…) the phenomenon of people, despite complaints and ill health that should prompt rest and absence from work, still turning up their jobs” erklärt. Auffällig ist hierbei, dass weder (wirtschaftliche oder gesundheitliche) Folgen, Ursachen noch eine Bewertung in der Definition mit einbezogen werden. Im Fokus der Begriffsbestimmung steht vordergründig das individuelle Verhalten, trotz Krankheit (die einen Krankenstand rechtfertigen würde) zu arbeiten. Eine genauere Analyse der Definitionsvarianten des Terminus Präsentismus folgt im anschließenden Kapitel 3.2. Ein weiterer zentraler Unterschied zum produktivitätsorientierten Forschungsansatz besteht darin, den Forschungsfokus auf die gesundheitlichen Folgen und multidimensionalen Ursachen des Präsentismus zu legen. Verhaltensorientierte Studien streben folglich die Untersuchung von Antezedenzien auf sozialer, organisationaler und personaler Ebene an, sowie die Erforschung der gesundheitlichen Konsequenzen des Präsentismus. Die Entscheidung im Krankheitsfall dennoch arbeiten zu gehen und auf Krankenstand zu verzichten, wird somit als komplexes, multifaktoriell determiniertes Phänomen angenommen und untersucht (Steinke & Badura 2011: 8f). 3.2 Definitionen von Präsentismus Eine einheitliche, allgemein gültige Definition oder Konzeption von Präsentismus konnte bis heute nicht gefunden werden (Dew & Taupo 2009, Johns 2008b, Johns 2008a zit. in Steinke & Badura 2011: 15). Folgende Tabelle 2 veranschaulicht die Heterogenität an Definitionen zu Präsentismus, kategorisiert nach jeweiligem Forschungsfokus: 27 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle Tabelle 2: Definitionen von Präsentismus (vgl. Hägerbäumer 2011: 65ff) Nr. Quelle Seite Definition Forschungsfokus 1. Burton et al.1999 864 „(…) the decrement in performance associated with remaining at work while impaired by health problems.“ 2. Schultz, Edington 2007 548 “Presenteeism defined as decreased on-the-job performance due to the presence of health problems (…)” 33 “Präsentismus beschreibt das Phänomen der Präsenz am Arbeitsplatz trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen und Beschwerden, inklusive der damit verbundenen negativen Folgen für die Produktivität im Arbeitsprozess.“ 3. Emmermacher 2008 4. Ulich, Strasser 2010 51 “Mit dem Begriff Präsentismus wird der Sachverhalt beschrieben, dass Mitarbeitende zwar anwesend, aber infolge einer gesundheitlichen Beeinträchtigung nicht voll leistungsfähig sind.” 5. Aronsson et al. 2000 503 „(…) the phenomenon of people, despite complaints and ill health that should prompt rest and absence from work, still turning up their jobs. 6. Hansen & Andersen 2008 957 “In this study, we define SP as the situation in which an employee goes to work despite perceiving herself to be sufficiently ill to have legitimately called in sick.” 7. Ashby & Mahdon 2010 13 „Attending work when self-perception of health justifies taking time off.“ 8. Bergström et al. 2009 629 “(…) when an employee goes to work despite feeling so ill that he or she judges that sick leave would have been proper (…)” 9. Johns 2010 521 “Attending work while ill.” 10. Hägerbäumer 2011 76 “Präsentismus ist das Verhalten von Berufstätigen, trotz Vorliegen von Krankheitssymptomen weiter ihrer Arbeitstätigkeit nachzugehen.” Leistungsorientierter Forschungsansatz Verhaltensorientierter Forschungsansatz Definitionen des Präsentismus, die in erster Linie auf die eingeschränkte Leistungsfähigkeit aufgrund Krankheit verweisen, sind dem produktivitätsorientierten 28 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle Forschungsstrang zuzuordnen, während Begriffsbestimmungen, welche die Verhaltensweise an sich adressieren, dem verhaltensorientierten Untersuchungsfokus zugehören. Bei genauerer Betrachtung der in Tabelle 2 angeführten Definitionen, ergaben sich folgende Kritikpunkte, die in der Begriffsbestimmung und Operationalisierung von Präsentismus Beachtung finden sollten: Ausklammern von Antezedenzien und Konsequenzen Johns postuliert: „the causes and consequences of presenteeism must be established by empirical evidence, not by definition“ (2010: 521). In der Definition und Messung der Präsentismushäufigkeit sollte der Einbezug von Verhaltensmotiven und Präsentismusfolgen vermieden werden, denn bei der Untersuchung der Antezedenzien und Konsequenzen von Präsentismus handle es sich um separate empirische Fragestellungen (Johns 2010: 521). Johns empfiehlt dementsprechend die Definition von Präsentismus als „attending work while ill“ (Nr. 9 in Tabelle 2), wobei Motive und Folgen (wie z.B. Produktivitätseinbußen) des Verhaltens ausgeklammert werden. Bewertung von Präsentismus in Definition vermeiden Die Definition des Präsentismus sollte keine Bewertung des Forschungsgegenstandes implizieren. Wenn das Verhalten, krank arbeiten zu gehen, im Vorhinein als problembehaftetes Phänomen definiert wird (wie z.B. bei Nr.1 – 5 in Tabelle 2), kann dies in der Erhebung und im weiteren Forschungsverlauf zu Verzerrungen führen. Präsentismus definitorisch als negatives, dysfunktionales Verhalten anzunehmen, schließt die Option aus, dass das Arbeiten trotz Krankheit auch eine gesundheitsförderliche Wirkung zeigen könnte (siehe Abschnitt 4.2.2). Bei diversen Krankheitsbildern wie z.B. psychischen und muskuloskeletalen Erkrankungen, kann sich die berufliche Tätigkeit unter salutogenen Arbeitsbedingungen auch positiv auf den Krankheitsverlauf auswirken (Vingard et al. 2004 zit. in Steinke, Badura 2011: 24; Bödeker, Hüsing 2008 zit. in Hägerbäumer 2011: 73). Hägerbäumer verweist zudem darauf, dass Präsentismus nicht immer gänzlich zu vermeiden sei, z.B. bei der Reintegration von ArbeitnehmerInnen nach Langzeitkrankenständen. Insbesondere Personen mit chronischen Erkrankungen würden versuchen, ihre gesundheitlichen Bedürfnisse in den beruflichen Alltag zu integrieren (Hägerbäumer 2011: 73). Auch 29 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle Teilzeitkrankenstand ist ein Modell, das Krankheit am Arbeitsplatz unter modifizierten Arbeitsbedingungen zulässt (siehe Abschnitt 2.2.3.1). Inwiefern dies positive oder negative Konsequenzen birgt, ist derzeit noch unerforscht. 3.2.1 Präsentismus-Definition der vorliegenden Arbeit Die vorliegende Arbeit orientiert sich in erster Linie an einem soziologischen, psychologischen und gesundheitswissenschaftlichen Verständnis von Präsentismus und fokussiert daher – angelehnt an den in Tabelle 2 zitierten Studien – folgende Definition des Forschungsgegenstandes: Präsentismus ist das Verhalten, trotz einer gesundheitlichen Beeinträchtigung zu arbeiten, anstatt in Krankenstand zu gehen. Das Hauptaugenmerk der vorliegenden Diplomarbeit liegt in weiterer Folge auf dem verhaltensorientierten Forschungsstrang zu Präsentismus. Ökonomisch orientierte Studien mit dem Verständnis von Präsentismus als „Produktivitätseinschränkung durch gesundheitliche Beeinträchtigung“, werden lediglich am Rande thematisiert. 3.3 Messung von Präsentismus Das folgende Kapitel befasst sich mit den Messinstrumenten und Erhebungsmethoden verhaltensorientierter Forschungsarbeiten zu Präsentismus. Die Operationalisierungsvarianten der produktivitätsorientieren Studien werden nur komprimiert dargestellt. 3.3.1 Operationalisierung von Präsentismus in verhaltensorientierten Studien Im Gegensatz zur Erhebung der Absentismusdaten, die im Zuge von Fehlzeitenreports quantifizierbar sind, basiert die Messung der Präsentismusprävalenz auf der retrospektiven Selbsteinschätzung im Rahmen von Befragungen. Dabei wird in den meisten Studien die Anzahl der Präsentismusfälle während eines bestimmten Zeitraums, anhand eines Single-Items, ermittelt. Die jeweilige Frageformulierung ist in einem Großteil der Präsentismusstudien an jene von Aronsson et al. (2000 siehe Nr.3 in nachfolgender Tabelle 3) angelehnt. Es werden überwiegend vier oder fünf Antwortkategorien angeführt, die in der Auswertung (teilweise unterschiedlich) 30 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle dichotomisiert werden. Einige wenige Studien verwendeten eine offene Fragestellung (siehe Biron et al. 2006, Johns 2011, Gosselin et al. 2013 in Tabelle 3). Der Zeitraum zur retrospektiven Schätzung der Präsentismushäufigkeit bemisst sich überwiegend auf zwölf Monate. Manche StudienautorInnen bevorzugten wiederum eine kürzere Zeitspanne (sechs Monate oder vier Wochen), u.a. um eine genauere Einschätzung der Befragten zu erzielen (siehe u.a. Johns 2011, Gosselin et al. 2013, Rantanen & Tuominen 2010 in Tabelle 3). Tabelle 3 stellt die unterschiedlichen Erhebungsvarianten des Präsentismus dar: Tabelle 3: Messung von Präsentismus in verhaltensorientierten Studien (vgl. Hägerbäumer 2011: 65ff) Nr. 1. Quelle Seite Messung von Präsentismus Gosselin et al. 2013 79 “Over the last six months, how many days a month did you show up for work when you felt physically ill?” Offene Fragestellung “How many days did you go to work in the past six months even though you were sick or not feeling well? Offene Fragestellung Zusätzliche Messung der Variable “subjective presenteeism”: 2. Johns 2011 488 “Over the past six months I have gone to work despite feeling that I really should have taken sick leave due to my state of health” “I have continued to work when it might have been better to take sick leave” 2 Antwortkategorien: yes / no 3. Biron et al. 2006 29 „During the last 12 months, how many days did you work despite being ill because you felt you had to?“ Offene Fragestellung Präsentismusskala mit 7 Items: „Ich bin trotz Krankheit am Arbeitsplatz erschienen.“ „Ich habe gearbeitet, obwohl mir mein Arzt davon abgeraten hat.“ „Ich habe trotz schwerer Krankheitssymptome (z.B. Schmerzen, Schüttelfrost, Fieber) gearbeitet.“ „Ich habe trotz Krankheit den vollen Arbeitstag bzw. die volle Schicht gearbeitet.“ 4. Hägerbäumer 2011 99, 115 „Ich habe aufgrund akuter Beschwerden Medikamente eingenommen, um arbeiten zu können.“ „Obwohl ich krank war, habe ich mich zur Arbeit geschleppt.“ „Ich bin zur Arbeit gegangen, obwohl ich krankgeschrieben war.“ 6 Antwortkategorien: Ich war nicht krank / nie, wenn ich krank war / selten, wenn ich krank war / manchmal, wenn ich krank war / häufig, wenn ich krank war / sehr häufig, wenn ich krank war Zudem Single Item-Maß nach Aronsson et al. 2000 zur Erhebung der absoluten Präsentismushäufigkeit: „Ist es in den letzten 12 Monaten vorgekommen, dass Sie zur Arbeit 31 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle gegangen sind, obwohl Sie das Gefühl hatten, es wäre wegen Ihres Gesundheitszustandes besser gewesen, sich krank zu melden?“ 4 Antwortkategorien: nein,nie / Ja, ein Mal / Ja, 2-5 Mal / Ja, mehr als 5 Mal 5. 6. Preisendörfer 2010 Aronsson, Gustafsson 2000 7. Hansen, Andersen 2008 8. Demerouti et al. 2009 9. 10. 404 „Wie oft arbeiten Sie, obwohl Sie eigentlich krank sind oder sich krank fühlen?“ 5 Antwortkategorien: Nie / Selten / Gelegentlich / Oft / Sehr oft 504 „Has it happened over the previous 12 months that you have gone to work despite feeling that you really should have taken sick leave due to your state of health?“ 4 Antwortkategorien dichotomisiert: 0= No, never/ Yes, once; 1= Yes, 2-5 times; Yes, more than 5 times 959 57 „How many times during the last 12 months have you gone to work even though it would have been reasonable to take sick leave?“ 6 Antwortkategorien: none / once / 2-3 times / 4-5 times / 6-10 times / more than 10 times „Has it happened over the previous 12 months that you have gone to work despite feeling sick?“ 2 Antwortkategorien: no / yes Elstad, Vabo 2008 468 Rantanen, Tuominen 2010 226 „How many times, during the last 12 months, have you gone to work although your state of health implied that you should have taken sick leave?“ 4 Antwortkategorien: never / once / 2-5 times / more than 5 times “Presenteeism was solicited as the number of hours during the last 4 weeks the subject had been at work despite feeling that he / she should not have been at work due to health reasons”. Johns kritisiert die Kategorisierung der Antwortmöglichkeiten (wie z.B. in Nr. 4-9 in Tabelle 3) als zu grob und unpassend für eine entsprechend niedrige Basisrate (2010: 524). Zudem sollte bei der Ermittlung der Präsentismusprävalenz berücksichtigt werden, dass die Vorgabe einer Antwortskala ein gewisses Verzerrungsrisiko birgt (Schwarz et al.1985: 394). Schließlich kann die Positionierung der Antwortkategorien indirekte Informationen darüber vorausschicken, welche Werteangaben als extrem (z.B. höchste Kategorie) oder mittelmäßig bzw. normal (z.B. Kategorien im mittleren Feld der Skala) eingestuft sind. Für die Befragten besteht damit die Möglichkeit, einen vermeintlich durchschnittlichen Wertebereich abzuschätzen. Dies kann zur Folge haben, dass die StudienteilnehmerInnen aus Gründen der sozialen Wünschbarkeit zum mittleren Bereich der Antwortskala und damit zu durchschnittlichen, „normalen“ Werten tendieren (Schwarz et al. 1985: 394). Durch die Verwendung einer offenen Fragestellung kann ein entsprechendes Verzerrungspotential vermieden werden. Die oder der Befragte wird damit zur 32 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle retrospektiven Einschätzung der Präsentismushäufigkeit angeregt ohne über Orientierungsmöglichkeiten in Form von Antwortkategorien zu verfügen (Schwarz et al. 1985: 394). Dieses Kriterium einer offenen Fragestellung erfüllen in Tabelle 3 die Definitionen Nr. 1 – 3. Alternativ zu den üblichen Messvarianten des Präsentismus, erhebt Hägerbäumer nicht nur die Präsentismusfrequenz anhand eines Single-Items sondern verwendet zusätzlich eine eigens entwickelte Präsentismusskala (Nr. 4 in Tabelle 3). Diese besteht aus sieben Items und sechs Antwortmöglichkeiten (Hägerbäumer 2011: 99). Auch Johns verwendete als Ergänzung zur gängigen Präsentismuserhebung zwei weitere Fragestellungen, die das subjektive Empfinden der Gesundheit und der Entscheidung zu Präsentismus, besser adressieren sollten; „ (...) it incorporates a more perceptual take on respondents’ experience with health and attendance as opposed to the aforementioned days-present item“ (Johns 2011: 489). Beide alternativen Messvarianten von Hägerbäumer (2011: 99) und Johns (2011: 489) sind dennoch mit Vorgaben von Antwortkategorien versehen, die eine offene Antwortgebung wiederum nicht ermöglichen und damit im Widerspruch stehen, mit der oben angeführten Argumentation von Schwarz et al. (1985: 394). Ein zentrales Problem, das sich im Zuge der Operationalisierung des Präsentismus herausstellt, ist der Einfluss des allgemeinen Gesundheitszustands auf die Präsentismushäufigkeit: Je häufiger eine Person krank ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit dass der oder die Betroffene trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung arbeitet (siehe dazu Kapitel 4.1.1.2). Die Präsentismushäufigkeit muss also in Relation mit der Krankheitshäufigkeit betrachtet und entsprechend differenziert interpretiert werden. Bei fehlender Berücksichtigung dieses Zusammenhangs, kann es in der Untersuchung und Interpretation der Ursachen und Folgen von Präsentismus zu erheblichen Fehlschlüssen kommen (Biron et al. 2006: 28, Hägerbäumer 2011: 74). 3.3.2 Operationalisierung von Präsentismus in produktivitätsorientierten Studien Innerhalb des produktivitätsorientierten Forschungsstrangs ist bereits eine Vielzahl an Präsentismuserhebungen vorzufinden. Ein zentrales Ziel entsprechender Forschungsarbeiten besteht darin, die Produktivitätseinbußen des Präsentismus 33 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle monetär zu quantifizieren, um eine Relation zu den Gesamtkosten des Unternehmens herstellen zu können (Schultz & Edington 2007: 573). Die Kalkulation der Präsentismuskosten stellt sich allerdings als abstraktes Vorhaben heraus, da keine manifesten Daten (wie z.B. bei der Krankenstandsfrequenz) zur Bemessung greifbar sind (Schultz & Edington 2007: 573). Als alternative Messmethoden werden daher u.a. „Simulationen standardisierter Tätigkeiten unter Testbedingungen“ oder „(Subjektive) Selbsteinschätzungen der Mitarbeiter (Befragungen)“ herangezogen (Steinke & Badura 2011: 29). Durch die häufig beschränkte Verfügbarkeit an Ressourcen, kommt meistens die subjektive Selbsteinschätzung als Messinstrument zum Einsatz (ebd. 2011: 31). Eine weit verbreitete Messmethode ist dabei, die ArbeitnehmerInnen anhand einer Befragung selbst beurteilen zu lassen, zu wie vielen Arbeitsstunden pro Woche eine geringere Produktivität aufgrund Gesundheitsbeeinträchtigungen besteht. Die angegebene Stundenanzahl, in denen eine beeinträchtigte Leistung festgestellt wurde, wird entsprechend dem durchschnittlichen Stundenlohn (inklusive Zusatzzahlungen) umgerechnet und mit der MitarbeiterInnenanzahl des Unternehmens multipliziert, die in der Befragung eine gesundheitliche Beeinträchtigung angaben. Zusammengefasst ergibt sich daraus folgende Formel: Summe der geschätzten Arbeitsstunden mit krankheitsbedingtem Leistungsdefizit x durchschnittlicher Stundenlohn (inkl. Zusatzzahlungen) eines Mitarbeiters / Mitarbeiterin x Anzahl der MitarbeiterInnen = Monetärer Verlust eines Unternehmens durch Präsentismus innerhalb eines bestimmten Zeitraums (angelehnt an Schultz & Edington 2007: 573). Diese Kalkulationsmethode erfährt allerdings vielerorts Kritik, da es mitunter fragwürdig ist, ob die angegebenen Stunden, in denen krankheitsbedingte Leistungsdefizite festgestellt wurden, mit null Prozent Produktivität unter den erkrankten ArbeitnehmerInnen gleichzustellen sind (Schultz, Edington 2007: 573). Eine detailliertere Vorstellung und Diskussion der Messinstrumente aus dem produktivitätsorientierten Forschungsstrang ist im ausführlichen Review von Steinke und Badura (2011) vorzufinden. 34 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle 3.4 Erklärungsmodelle für Präsentismus Im anschließenden Kapitel folgt eine Zusammenfassung von vier unterschiedlichen Erklärungsmodellen zum Entscheidungsverhalten zwischen Krankenstand und Präsentismus. Präsentismus wird dabei jeweils als Ergebnis eines restringierten Entscheidungsprozesses gesehen, welcher durch individuelle und kontextuelle Faktoren determiniert wird. 3.4.1 Erklärungsmodell nach Johansson & Lundberg (2004) Initiator für den Entscheidungsprozess zwischen Krankenstand und Präsentismus ist im Illness-Flexibility Modell nach Johansson und Lundberg (siehe Abbildung 2) zunächst der „Funktionsverlust“. Dieser äußert sich in Form einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, einer Lebenskrise oder z.B. durch eine Schwangerschaft. Der weitere Umgang mit einer entsprechenden Einschränkung der Funktionalität, wird beeinflusst durch zwei zentrale Determinanten: „Adjustment Latitude“ und „Attendance Requirements“ (Johansson, Lundberg 2004: 1858f). Adjustment Latitude bezeichnet die Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten in der beruflichen Tätigkeit (ebd. 2004: 1859). Je weitreichender ein entsprechender Spielraum gegeben ist, desto eher obliegt es dem oder der ArbeitnehmerIn, die Ausführung berufsbezogener Tätigkeiten flexibel nach eigenen Bedürfnissen auszurichten (ebd. 2004: 1859). Johansson und Lundberg hypothesieren diesbezüglich, dass Personen mit hohem „Adjustment Latitude“ eher dazu tendieren, die gesundheitliche Beeinträchtigung in die berufliche Tätigkeit zu integrieren und folglich auf Krankenstand verzichten (2004: 1859). Daraus resultiert die Annahme, dass sich die Wahrscheinlichkeit für Präsentismus erhöht, je weitreichender die Bewegungsfreiheit in der Selbstdetermination der beruflichen Tätigkeit gegeben ist. Als zweiter zentraler Einflussfaktor werden die „Attendance requirements“ genannt. Dabei handelt es sich um antizipierte negative Konsequenzen (wie z.B. die Anhäufung von Arbeitsaufgaben aufgrund mangelnder Ersetzbarkeit durch KollegInnen, finanzielle Einbußen oder limitierte Aufstiegsoptionen), die in Folge eines Krankenstandes auftreten können (ebd. 2004: 1859). Die Forschungshypothese der Autoren lautet diesbezüglich, dass sich Personen, die negative Folgen eines Krankenstands befürchten, im Krankheitsfall eher für Präsentismus als für Absentismus entscheiden (Johansson & Lundberger 2004: 1859). 35 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle Je nachdem wie die Entscheidung zu Präsentismus oder Absentismus getroffen wird, vermuten die Autoren Folgewirkungen für die betreffende Person. Johansson und Lundberg postulieren diesbezüglich, dass sich die Entscheidung zu Krankenstand z.B. auf den Wiedereinstieg in den Beruf sowie auf die jeweilige Arbeitsplatzsicherheit auswirken kann (2004: 1858f). Die Resultate der Studie können die angeführten Forschungshypothesen nur teilweise bestätigen. Hinsichtlich der Variable „Adjustment Latitude“ zeigt sich in der bivariaten Analyse, entgegen der ursprünglichen Forschungshypothese, ein negativer Zusammenhang zur Präsentismushäufigkeit. Höherer Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum steht folglich mit einer geringeren Präsentismusfrequenz in Verbindung. Die Signifikanz des Zusammenhangs verfällt allerdings in der multivariaten Analyse der Variablen (Johansson, Lundberg 2004: 1861f). ArbeitnehmerInnen mit weitreichendem Gestaltungsspielraum in ihrer beruflichen Tätigkeit, sind demgemäß nicht unbedingt geneigter, krank arbeiten zu gehen. Die Erwartungshaltung, dass Krankenstand etwaige negative Konsequenzen hervorrufen könnte („attendance requirements“), beeinflusst hingegen das Entscheidungsverhalten im Krankheitsfall signifikant (ebd. 2004: 1862). Berufstätige vermeiden in diesem Fall tendenziell das Fernbleiben von der Arbeit, obwohl dies aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkung gerechtfertigt wäre (ebd. 2004: 1862). Abbildung 2: Illness Flexibility Modell nach Johansson & Lundberg (2004: 1858) 36 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Johansson & Lundberg einen essentiellen Anstoß für darauffolgende Präsentismusstudien geben. Sowohl die Bedeutung der individuellen Handlungs- und Entscheidungsflexibilität im Beruf, als auch arbeitsbezogene und personale Faktoren, die einen Anwesenheitsdruck verursachen, werden in den nachfolgenden Forschungskonzepten als mögliche Determinanten des Präsentismus aufgegriffen und untersucht. 3.4.2 Erklärungsmodell nach Aronsson & Gustafsson (2005) Aronsson & Gustafsson entwarfen auf Basis ihrer Studienergebnisse zu den Einflussfaktoren des Präsentismus, folgendes Entscheidungsmodell für das Verhalten im Krankheitsfall (siehe Abbildung 3): Abbildung 3: Modell nach Aronsson & Gustafsson (2005: 964) Ausgangspunkt des Modells ist der allgemeine Gesundheitszustand einer Person. Die Autoren postulieren, dass der individuelle Gesundheitsgrad in erster Linie dafür ausschlaggebend ist, ob die Person öfter krank arbeitet oder in Krankenstand geht 37 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle (Aronsson & Gustafsson 2005: 962). Die Ergebnisse der Studie bestätigen diesbezüglich, dass insbesondere Personen mit höherer Vulnerabilität dazu tendieren, krank in die Arbeit zu gehen. D.h. je öfter Personen krank sind, desto eher sind sie geneigt im Krankheitsfall zu arbeiten (ebd. 2005: 963). Zusätzlich zum Einfluss der gesundheitlichen Verfassung determinieren einerseits arbeits- und organisationsbezogene Faktoren und andererseits personale Determinanten den Entscheidungsprozess zwischen Präsentismus oder Krankenstand (Aronsson & Gustafsson 2005: 963f). Folglich sind, abgesehen vom Gesundheitsstatus einer Person, externe und interne Variablen einflussgebend dafür, ob der oder die Betroffene im Krankheitsfall der beruflichen Tätigkeit nachgeht oder sich für Krankenstand entscheidet (ebd. 2005: 963f). Als relevante arbeits- und organisationsbezogene Einflussfaktoren des Präsentismus, werden im Modell nach Aronsson & Gustafsson nachfolgende Faktoren vorgestellt (2005: 964): Die fehlende Ersetzbarkeit durch KollegInnen, die mangelnde Verfügbarkeit an Ressourcen und Zeitdruck gelten als organisationale Faktoren, welche die Wahrscheinlichkeit für Präsentismus im Krankheitsverfall erhöhen können. Insbesondere MitarbeiterInnen die im Zuge von Downsizing- und Rationalisierungsmaßnahmen mit Unterbesetzung zu kämpfen haben, werden häufig mit erhöhtem Zeitdruck bei gleichzeitigem Ressourcen- und Personalmangel konfrontiert. Die Neigung der ArbeitnehmerInnen im Krankheitsfall dennoch arbeiten zu gehen, kann sich unter entsprechenden Kontextbedingungen erhöhen (ebd. 2005: 962). Zudem geht aus den Studienresultaten nach Aronsson & Gustafsson hervor, dass tätigkeitsbezogene Determinanten, wie etwa der jeweilige Handlungs- und Entscheidungsspielraum im Beruf, sowie die arbeitsspezifischen Anforderungen in der Entscheidung zu Präsentismus oder Krankenstand berücksichtigt werden sollten (ebd. 2005: 963). Mit Handlungs- und Entscheidungsspielraum sind die beruflichen Gestaltungsoptionen gemeint, die z.B. ermöglichen, im Krankheitsfall die jeweilige Beeinträchtigung an das Arbeitspensum und die Ausführung der beruflichen Tätigkeit anzupassen (siehe „adjustment latitude“ unter Johansson & Lundberg Abschnitt 3.4.1). Je geringer diese Bewegungsfreiheit in der Arbeitsgestaltung ausfällt, desto eher ist mit Präsentismus zu rechnen (Aronsson & Gustafsson 2005: 964). Aronsson & Gustafsson können damit entgegen der Forschungshypothese von Johansson & Lundberg, den Zusammenhang zwischen niedrigem „Adjustment Latitude“ und erhöhtem 38 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle Präsentismus bestätigen (siehe Abschnitt 3.4.1). Arbeitsspezifische Anforderungen können zueinander in Konflikt stehen, z.B. wenn von ArbeitnehmerInnen einerseits eine qualitativ hochwertige Leistungsfähigkeit eingefordert wird (qualitativer Aspekt) und andererseits der Anspruch besteht, möglichst kurzzeitig die Aufgaben zu erledigen (quantitativer Aspekt) (Aronsson & Gustafsson 2005: 962). Die Forderung nach qualitativ leistungsstarkem Arbeiten bei gleichzeitigem Zeitdruck, kann die Tendenz hervorrufen, trotz Krankheit arbeiten zu gehen, um den entsprechenden Anforderungen standhalten zu können (Aronsson, Gustafsson 2005: 962f). Als personale Einflussfaktoren nennen Aronsson & Gustafsson die Variablen „Individual Boundarylessness“ und die finanzielle Situation einer Person (2005: 960). Individual Boundarylessness ist bezeichnend dafür, dass es einer Person schwer fällt etwaige Wünsche, Forderungen und Erwartungen aus dem sozialen Umfeld abzuschlagen (ebd. 2005: 960). Die Studienergebnisse der Autoren zeigen diesbezüglich auf, dass eine entsprechende Charaktereigenschaft die Wahrscheinlichkeit erhöht, krank in die Arbeit zu gehen (ebd. 2005: 962). Darüber hinaus kann die finanzielle Situation dafür ausschlaggebend sein, krank arbeiten zu gehen, um etwaige monetäre Einbußen infolge eines krankheitsbedingten Fernbleibens zu vermeiden (ebd. 2005: 962). Hinsichtlich der gesundheitlichen Konsequenzen des Krankheitsverhaltens nehmen die Autoren an, dass im Falle akuter Beeinträchtigungen (z.B. Grippe) Krankenstand zur gesundheitlichen Regeneration verhilft und das Wohlbefinden der betroffenen Person verbessert (ebd. 2005: 965). Je länger allerdings der Krankenstand andauert, desto eher werden negative Folgen für die betroffene Person vermutet, wie z.B. eine erschwerte Reintegration in die berufliche Tätigkeit (Floderus et al. 2005 zit. in Aronsson, Gustafsson 2005: 965). Langzeitkrankenstand könnte demgemäß auch kontraproduktiv für betroffene ArbeitnehmerInnen sein (ebd. 2005: 965). Aronsson und Gustafsson postulieren zudem, dass das Arbeiten trotz Krankheit unter salutogenen Arbeitsbedingungen, eine effektivere Handlungsvariante im Vergleich zum Langzeitkrankenstand darstellen kann (2005: 965). Die gesundheitlichen Konsequenzen des Präsentismus müssen folglich nicht unbedingt negativ sein. Je nachdem ob überwiegend gesundheitsförderliche oder – hemmende Faktoren in der Arbeitssituation einwirken, können sich die Folgewirkungen des Präsentismus variabel entfalten (ebd. 2005: 965). 39 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle 3.4.3 Erklärungsmodell nach Johns (2010) Johns demonstriert in seinem Artikel “Presenteeism in the workplace: A review and research agenda” (2010) ein theoretisches Modell (siehe Abbildung 4) zum Entscheidungsverhalten zwischen Präsentismus und Absentismus, welches teilweise Überschneidungen mit dem oben beschriebenen Modellen nach Johansson & Lundberg sowie Aronsson & Gustafsson aufweist. Abbildung 4: Modell nach Johns (2010: 532) Präsentismus und Absentismus resultieren nach Johns’ Modell, aus einem Entscheidungsprozess, welcher durch kontextbezogene und individuelle Faktoren beeinflusst wird (Johns 2010: 532). Ausgangspunkt des Konzepts ist die Wahrnehmung einer gesundheitlichen Beeinträchtigung – Johns benennt diese als „Health Event“ – wodurch die bisherige Vollzeit-Arbeitsfähigkeit und Produktivität unterbrochen wird (2010: 531). „Health Events“ treten entweder akut (z.B. Grippe), episodisch (z.B. Migräne) oder chronisch (z.B. Diabetes) auf (Johns 2010: 531). 40 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle Nach Johns kann bereits die Art des Health Events richtungsweisend dafür sein, ob sich die betroffene Person tendenziell für oder gegen einen Krankenstand entscheidet. Insbesondere akute Krankheiten, wie z.B. grippale Infekte, erhöhen aufgrund ihrer Symptomatik die Wahrscheinlichkeit für die Entscheidung zum Absentismus (ebd. 2010: 531). Folglich ist es von Relevanz, inwiefern das jeweilige „Health Event“ eine weitere Ausführung der beruflichen Tätigkeit zulässt. Heiserkeit mag z.B. für SängerInnen ein eindeutiges Kriterium für Krankenstand sein, für PianistInnen wiederum nicht unbedingt (Johns 2010: 531). Die Health Events unterscheiden sich demnach in ihrer Dringlichkeit. Handelt es sich z.B. um eine Gesundheitsbeeinträchtigung, die ein Fernbleiben von der Arbeit nicht zwingend erforderlich macht, spielen weitere Faktoren im Entscheidungsprozess zwischen Präsentismus und Absentismus eine einflussgebende Rolle (ebd. 2010: 532). Johns differenziert diese in kontext- und personenbezogene Determinanten (2010: 532f). 3.4.3.1 Der Kontext: Organisations- und tätigkeitsbezogene Determinanten Nach den Hypothesen von Johns wird die Entscheidung für Präsentismus eher begünstigt, wenn eine hohe Arbeitsplatzunsicherheit besteht und eine strikte Anwesenheitspolitik in der Organisation gepflegt wird (2010: 532). Darüber hinaus könnte eine enge Zusammenarbeit im Team, Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein gegenüber KundInnen oder KlientInnen, die fehlende Ersetzbarkeit durch KollegInnen, ein gewisser „Anwesenheitsfetischismus“ in der Unternehmenskultur und „adjustment latitude“ (siehe hierzu auch Johansson & Lundberg, Abschnitt 3.4.1) dazu beitragen, dass eine Person eher krank in die Arbeit geht, als in Krankenstand (ebd. 2010: 532). Weiters besteht die Annahme, dass hohe Anforderungen in der beruflichen Tätigkeit die Entscheidung zu Präsentismus begünstigen können. Johns vermutet jedoch, dass dies durch die Verfügbarkeit von Entscheidungs- und Kontrollmöglichkeiten sowie durch Gratifikationen (Belohnung, Aufstiegsmöglichkeiten, Provisionen, Anerkennung etc.) moderiert wird (Johns 2010: 532). 3.4.3.2 Personenbezogene und demografische Faktoren Der Einfluss personaler Faktoren in der Entscheidung zwischen Präsentismus und Absentismus, wurde bislang nur vereinzelt untersucht (ebd. 2010: 532). Johns nimmt diesbezüglich an, dass Personen mit positiver Arbeitseinstellung und hohen Gerechtigkeitsansprüchen eher geneigt sind, krank arbeiten zu gehen (ebd. 2010: 532). Die 41 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle gleiche Handlungstendenz wird für Personen vermutet, die einen exzessiven Arbeitsstil aufweisen, als auch bei ArbeitnehmerInnen mit pflichtbewusster Arbeitseinstellung, hoher Handlungs- und Leistungsorientierung und konservativer Haltung gegenüber Krankenständen („Krankenstand ist nur in Extremfällen legitim“) (Johns 2010: 532). Im Gegensatz dazu tendieren Beschäftigte mit hoher Stressempfindlichkeit, externaler Kontrollüberzeugung und liberaler Einstellung gegenüber Krankenstand, eher dazu eine Krankenrolle zu akzeptieren und zertifizierten Krankenstand in Anspruch zu nehmen (Johns 2010: 533). Auch das Geschlecht der betroffenen Person wird als potentieller Einflussfaktor des Krankheitsverhaltens angeführt. Johns zitiert diesbezüglich z.B. Aronsson & Gustafsson (2005) die in ihrer Studie herausfanden, dass Frauen im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen eher zu Präsentismus tendieren und generell eher in präsentismusaffinen Berufsgruppen vorzufinden sind (zit. in Johns 2010: 536). Inwiefern das Geschlecht die Neigung zu Präsentismus beeinflusst, muss allerdings weiterhin untersucht werden, da diesbezüglich bislang eher widersprüchliche Ergebnisse gefunden wurden (ebd. 2010: 536, siehe dazu auch Kapitel 4.1.1.3). 3.4.3.3 Konsequenzen der Entscheidung Die Entscheidung zu Krankenstand oder Präsentismus kann nach Johns vielseitige Folgewirkungen hervorrufen (2010: 532f). Zum Einen wird angenommen, dass sich das jeweilige Verhalten im Krankheitsfall auf das Auftreten gesundheitlicher Beeinträchtigungen auswirkt (Johns 2010: 533). So mag z.B. ein Krankenstand dem oder der Erkrankten die Gelegenheit bieten, sich zu regenerieren bzw. die gesundheitliche Verfassung zu verbessern. Die Entscheidung trotz Krankheit in die Arbeit zu gehen, könnte wiederum eine Hinauszögerung oder Verschlechterung des Health Events herbeiführen. Langfristig gesehen könnte auch die Chronifizierung einer Krankheit die Folge von Präsentismus sein (ebd. 2010: 533). Zum Anderen hat das jeweilige Krankheitsverhalten nicht nur Auswirkungen auf die individuelle Leistung sondern auch auf die Bewertung und Einschätzung von Seiten der KollegInnen und Vorgesetzten, sowie von den Betroffenen selbst. Handelt es sich z.B. um eine anwesenheitsorientierte Unternehmenskultur, in der das Arbeiten trotz Krankheit als Zeichen von Leistung gewertet wird, besteht eventuell die 42 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle Tendenz Präsentismus z.B. durch bessere Aufstiegschancen oder soziale Anerkennung zu honorieren und Absentismus z.B. durch schlechtere Karrierebedingungen zu sanktionieren (ebd. 2010: 533). 3.4.4 Erklärungsmodell nach Hägerbäumer (2011) Hägerbäumer entwirft auf Basis der bisherigen Forschungserkenntnisse und theoretischen Konzepte zu Präsentismus folgendes umfassende Wirkmodell (siehe Abbildung 5) bezüglich der Ursachen und Folgen von Präsentismus: Allgemeiner Gesundheitszustand Befinden & Gesundheitskonzept Antizipation persönlicher und beruflicher Konsequenzen Konsequenzen Krankheitsverhalten Präsentismus Abwägungsprozess Wahrnehmung Absentismus 234 Interne Verarbeitung Personenbezogene Faktoren Alter Geschlecht Arbeitsstil Arbeitsethik Persönlichkeit Finanzielle Situation Arbeitsbezogene Faktoren Merkmale der Tätigkeit Arbeitsanforderungen Arbeitsorganisation Ersetzbarkeit Regulationsmöglichkeiten Führung Soziale Beziehungen Interdependenzen Work-Privacy-Konflikt Arbeitsplatzunsicherheit Art der Anstellung Merkmale der Organisation Personalpolitik - Personalentscheidungen - Personalrichtlinien - Arbeitszeitgestaltung - Gratifikationssystem Fehlzeitenmanagement Gesundheitsmanagement Gesundheitskultur Abbildung 9.2.1 Integratives Modell des Krankheitsverhaltens am Arbeitsplatz. Abbildung 5: Präsentismusmodell nach Hägerbäumer 2011: 234 Die Autorin berücksichtigt in ihrem Präsentismuskonzept sowohl externe als auch interne Faktoren, welche das individuelle Krankheitsverhalten beeinflussen können. Der Entscheidungsprozess zwischen Präsentismus und Absentismus wird dabei zunächst durch den allgemeinen Gesundheitszustand und damit einhergehende gesundheitliche Beeinträchtigungen determiniert. ArbeitnehmerInnen mit höherer Vulnerabilität sind öfter mit Erkrankungen konfrontiert und durchlaufen den Entscheidungsprozess zwischen Krankenstand und Präsentismus häufiger als 43 9 Abschlussdiskussion Beeinträchtigung durch Krankheitssymptome Soziale Auswirkungen Belohnung vs. Sanktion - Monetär - Berufsbezogen Leistung/Produktivität Gesundheit Fehlzeiten Einstellung zur Arbeit und zum Unternehmen Arbeitsverhalten 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle Personen mit besserer Gesundheit (Hägerbäumer 2011: 234, siehe auch Aronsson & Gustafsson 2005, Abschnitt 3.4.2). 3.4.4.1 Wahrnehmung der Symptome und Abwägungsprozess Es bedarf vorerst der Wahrnehmung von physischen oder psychischen Erkrankungssymptomen, um einen weiterfolgenden Abwägungsprozess zwischen Krankenstand und Präsentismus zu veranlassen. Das subjektive Empfinden der gesundheitlichen Beeinträchtigung variiert nach Stärke und Charakteristik der Symptome sowie durch das jeweilige Gesundheitskonzept einer Person (siehe Abschnitt 2.2.4). Je vehementer eine Erkrankung auftritt, desto eher wird den Symptomen Beachtung geschenkt und interveniert. Die Reaktions- und Handlungsweise unterscheidet sich nach dem jeweiligen Gesundheitsverständnis. Beschäftigte mit einem handlungsund leistungsorientierten Gesundheitskonzept ignorieren Krankheitssymptome solange, bis der Körper als Leistungsinstrument versagt, während Personen mit psychologischer oder mehrdimensional geprägter Gesundheitsorientierung bereits frühzeitig gesundheitsförderliche Handlungsschritte in Erwägung ziehen (Hägerbäumer 2011: 235, siehe dazu auch Abschnitt 2.2.4.1). 3.4.4.2 Personenbezogene Faktoren Personenbezogene Determinanten beeinflussen, nach Hägerbäumer, die subjektive Wahrnehmung von Krankheitssymptomen und den darauf folgenden Abwägungsprozess zwischen Krankenstand und Präsentismus (2011: 235). Das Alter und das Geschlecht einer Person wurden in bisherigen Studien nur teilweise als signifikante Determinanten des Krankheitsverhaltens befunden. Die Ergebnislage ist hinsichtlich der beiden Variablen heterogen (Hägerbäumer 2011: 235, siehe auch 4.1.1.3). Im Gegensatz dazu zeichnen sich das jeweilige Arbeitsverhalten und der Arbeitsstil einer Person als bedeutende Prädiktoren im Umgang mit Krankheit und Gesundheit ab (ebd. 2011: 235). Hägerbäumer befand im Einklang mit den Studienergebnissen von Schaufeli et al. (2008, 2009) insbesondere einen exzessiv-zwanghaften Arbeitsstil als substanziellen Einflussfaktor für das Verhalten, trotz Krankheit arbeiten zu gehen (zit. in Hägerbäumer 2011: 236). Es handle sich dabei um ein auffallend ausschweifendes Arbeitsverhalten welches von einer Arbeitssucht nicht weit entfernt liegt (Hägerbäumer 2011: 236). 44 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle Weitere bedeutende personale Determinanten im Abwägungsprozess zwischen Präsentismus und Absentismus stellen die Arbeitsethik als auch die Persönlichkeitszüge eines Individuums dar (ebd. 2011: 236). Mit Arbeitsethik ist „die allgemeine Einstellung einer Person zur Berufstätigkeit“ gemeint (ebd. 2011: 236). Hägerbäumer führt diesbezüglich das Beispiel einer protestantischen Arbeitsethik an, wobei Arbeit als „gottgewollte“ und „nicht zu hinterfragende Pflicht“ internalisiert wird (2011: 236). Studienergebnisse wie z.B. von McKevitt et al. (1997) bestätigten den Einfluss einer konservativen oder liberalen Arbeitseinstellung auf das Krankheitsverhalten von ÄrztInnen (zit. in Hägerbäumer 2011: 236). Persönlichkeitszüge können sich bezüglich des Krankheitsverhaltens z.B. dahingehend sichtbar machen, dass etwaige Forderungen aus dem Umfeld nicht zurückgewiesen werden und daher z.B. auf berechtigten Krankenstand verzichtet wird um externen Wünschen nachzugehen (Hägerbäumer 2011: 236). Aronsson & Gustafsson (2005) bezeichneten ein entsprechendes Charakteristikum als „Individual Boundarylessness“ (siehe Abschnitt 3.4.2.). Als weiteren personalen Einflussfaktor führt Hägerbäumer die individuelle finanzielle Situation an (2011: 237, siehe auch Johansson & Lundberg 3.4.1 und Aronsson & Gustafsson 3.4.2). Die Annahme lautet diesbezüglich, dass eine prekäre finanzielle Lage kranke ArbeitnehmerInnen dazu veranlasst, arbeiten zu gehen, um potentielle finanzielle Einbußen durch Krankenstand zu vermeiden (Hägerbäumer 2011: 237). Die Relevanz der Variable steht, laut Hägerbäumer, in Abhängigkeit zu den länderspezifischen Regelungen hinsichtlich der Fortbezahlung während eines Krankenstandes (2011: 237). ArbeitnehmerInnen innerhalb Deutschlands haben im Regelfall eher kleinere finanzielle Verluste infolge eines Krankenstands zu befürchten (z.B. Verlust von Zusatzzahlungen) (Hägerbäumer 2011: 237). Daneben spielen die Art der Einstellung respektive die Rahmenbedingungen eines Arbeitsvertrages eine zentrale Rolle (ebd. 2011: 237). Das Arbeiten auf Honorarbasis impliziert z.B. keine Fortbezahlung während eines Krankenstandes, da lediglich die geleistete Arbeit entlohnt wird (ebd. 2011: 237). Unter entsprechenden Vertragsbedingungen besteht vermutlich eine erhöhte Tendenz zum Präsentismus (ebd. 2011: 237). 45 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle 3.4.4.3 Arbeitsbezogene Faktoren Die arbeitsbezogenen Einflussfaktoren des Krankheitsverhaltens werden nach Hägerbäumer in Merkmale der Tätigkeit und Aspekte der Organisation unterteilt (2011: 237f): 3.4.4.3.1 Merkmale der Tätigkeit Hinsichtlich der tätigkeitsspezifischen Eigenschaften postuliert die Autorin die Variable der quantitativen Arbeitsbelastung als signifikanten Prädiktor für das Verhalten trotz Krankheit arbeiten zu gehen (Hägerbäumer 2011: 237). Sowohl Zeitdruck als auch die mengenmäßige Arbeitsbelastung und die angeführten Überstunden, erwiesen sich in den empirischen Studien nach Hägerbäumer als unabhängige Einflussfaktoren von Präsentismus (2011: 237). Weiters ist die Vereinbarung von beruflicher und privater Sphäre ein tätigkeitsbezogenes Kriterium, welches bei Nicht-Vorhandensein die Wahrscheinlichkeit für Präsentismus erhöht (Hägerbäumer 2011: 237). Hägerbäumer ordnet die „Konflikthaftigkeit von Beruf und Privatleben“ als Zeichen der gegenwärtigen Arbeitsdynamik ein, die durch eine zunehmende „Arbeitsverdichtung und – entgrenzung“ stark beeinflusst wird (ebd. 2011: 237). Gründe werden dafür vor allem in der demografischen Bevölkerungsentwicklung gesehen, die sich durch eine eingeschränkte Verfügbarkeit an jüngeren ArbeitnehmerInnen, bei gleichzeitig wachsendem Bevölkerungsanteil an älteren Personen, äußert (Hägerbäumer 2011: 237). Dies führe dazu, dass immer weniger Arbeitskräfte, einem vehementer werdenden Arbeits- und Leistungsdruck standhalten müssen (ebd. 2011: 237). Die „Entgrenzung der Arbeit“ sei daraus eine Folgeerscheinung, die sich besonders im Privatleben (z.B. durch permanente Erreichbarkeit, auch während Krankenstand oder Urlaub) und in der gesundheitlichen Verfassung der betroffenen ArbeitnehmerInnen sichtbar macht (ebd. 2011: 237f). Zudem gilt die allgemeine Organisation der beruflichen Tätigkeit als ausschlaggebendes Kriterium für die Verhaltensweise im Krankheitsfall (Hägerbäumer 2011: 238). Hägerbäumer zitiert diesbezüglich Kocyba & Voswinkel (2007), welche von einem Trend zur Umstrukturierung der Autonomieverteilung in Unternehmen berichten (2011: 238). ArbeitnehmerInnen übernehmen dabei verstärkt 46 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle Eigenverantwortung für unternehmerische Zielvorgaben, erhalten mehr Handlungsund Gestaltungsspielraum und werden damit zum „internen Unternehmer“ (ebd. 2011: 238). Diese Entwicklungstendenzen in der Arbeitsorganisation können dann gesundheitsförderlich wirken, wenn sich der Zuwachs an Verantwortlichkeiten mit zusätzlich verfügbaren Ressourcen und Kompetenzen die Waage hält (ebd. 2011: 238). Andernfalls besteht die Gefahr, dass der Leistungsdruck und damit das Risiko für mentale Erschöpfungs- und Überforderungszustände zunimmt (ebd. 2011: 238). Die Studienergebnisse von Hägerbäumer verdeutlichen, dass nicht nur die Quantität der Arbeitsbelastung für das Verhalten im Krankheitsfall von Bedeutung ist, sondern auch die Qualität der Arbeitsanforderungen (2011: 238). Qualitative Aspekte der beruflichen Tätigkeit spiegeln sich z.B. in den „sozialen Anforderungen, den Kooperationserfordernissen und dem Leistungsdruck bei der Arbeit“ (Hägerbäumer 2011: 238). Als signifikanter Prädiktor für Präsentismus erwies sich dabei die „fehlende Unterstützung und Rückendeckung durch die Führungskraft“ (ebd. 2011: 238). Die Erfüllung komplexer Arbeitsaufgaben kann durch das Agieren der Führungskräfte erheblich verkompliziert werden (ebd. 2011: 238). Werden hingegen ausreichend Unterstützungsmaßnahmen durch Vorgesetzte zur Verfügung gestellt, kann dies zu einer gesundheitsförderlichen Arbeitsgestaltung beitragen (ebd. 2011: 238f). Einen starken Zusammenhang zum Präsentismus, weist die Variable der Arbeitsplatzunsicherheit auf (ebd. 2011: 239). Hägerbäumer differenziert hierbei zwischen quantitativer und qualitativer Arbeitsplatzunsicherheit (2011: 239f). Befürchtet der oder die Arbeitnehmerin den Arbeitsplatz gänzlich zu verlieren, spricht man von einer quantitativen Arbeitsplatzunsicherheit. Wird hingegen der Verlust wertgeschätzter Merkmale am Arbeitsplatz (z.B. Zusatzzahlungen, Aufstiegsmöglichkeiten) antizipiert, handelt es sich um den qualitativen Aspekt der Arbeitsplatzunsicherheit (ebd. 2011: 240). Die Untersuchungsergebnisse nach Hägerbäumer zeigen diesbezüglich auf, dass sowohl Führungskräfte als auch ArbeitnehmerInnen ohne Führungsfunktion dazu tendieren, krank in die Arbeit zu gehen, je eher sie mit Einbußen beliebter Tätigkeitsmerkmale rechnen müssen (ebd. 2011: 240). Zudem wurde bereits vereinzelt empirisch belegt, dass die Angst vor Arbeitsplatzverlust die Wahrscheinlichkeit für Präsentismus signifikant erhöht (Caverley et al. 2007, Hansen & Andersen 2008, 47 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle Schmidt & Schröder 2009, Zok 2008b. zit. in Hägerbäumer 2011: 240). 3.4.4.3.2 Merkmale der Organisation Organisationsbezogene Einflussfaktoren des Krankheitsverhaltens sind in der jeweiligen Personal- und Gesundheitspolitik eines Unternehmens vorzufinden (Hägerbäumer 2011: 241). Der Umgang mit MitarbeiterInnen als auch der proklamierte Stellenwert von Gesundheit, kann die einzelne Entscheidung zu Krankenstand oder Präsentismus signifikant beeinflussen (ebd. 2011: 241). Zok (2008) postuliert diesbezüglich: „Werden z.B. kranke Mitarbeiter entlassen, so zeigt sich empirisch, dass die verbleibenden Mitarbeiter eher berufliche Nachteile bei Krankmeldungen befürchten und krank zur Arbeit kommen“ (zit. in Hägerbäumer 2011: 241). Vor allem das betriebliche Fehlzeitenmanagement (Fehlzeiten- und Rückkehrgespräche durch Vorgesetzte, Attestpflicht) impliziert eine „Signalwirkung“ für ArbeitnehmerInnen und kann die Entscheidung zu Präsentismus oder Krankenstand „unmittelbar“ beeinflussen (Hägerbäumer 2011: 241). Aspekte der Personalpolitik wie z.B. „Arbeitszeitregelungen“, „Gratifikationssysteme“, „Personalrichtlinien“ und – entscheidungen, werden als weitere Prädiktoren für das individuelle Krankheitsverhalten angenommen (ebd. 2011: 241). Hägerbäumer befindet diesbezüglich die Gleitzeitregelung als unabhängigen Einflussfaktor, welcher die Tendenz zu Präsentismus reduziert (2011: 241f). Darüber hinaus bestätigen Zimolong & Elke (2005) als auch Hägerbäumer die gesundheitsförderliche Wirkung einer „wahrnehmbaren Gesundheitskultur“ innerhalb eines Unternehmens (zit. in Hägerbäumer 2011: 242). Die Studienergebnisse von Hägerbäumer zeigen außerdem, dass eine entsprechende Gesundheitskultur mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit zu Präsentismus einhergeht (2011: 242). 3.4.4.4 Antizipation persönlicher und beruflicher Konsequenzen Das Präsentismusmodell nach Hägerbäumer berücksichtigt nicht nur das subjektive Wohlbefinden, individuelle Gesundheitskonzepte sowie personen-, arbeits- oder organisationsbezogene Einflussfaktoren des Krankheitsverhaltens, sondern auch die individuelle „geistige Vorwegnahme (Antizipation)“ negativer oder positiver Konsequenzen aufgrund der Entscheidung zu Präsentismus oder Krankenstand (Hägerbäumer 2011: 242). Die Entscheidung trotz Krankheit arbeiten zu gehen oder legitimierten Krankenstand wahrzunehmen, kann demzufolge durch die Erwartung 48 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle potentieller „Ressourcenverluste oder – gewinne“ beeinflusst werden (ebd. 2011: 242, siehe auch Johansson & Lundberg 2004 in Abschnitt 3.4.1). Die Antizipation entsprechender Konsequenzen entwickelt sich auf Basis bisheriger Selbsterfahrungen, Erzählungen oder Beobachtungen aus dem sozialen Umfeld (ebd. 2011: 242). Wurde z.B. in Unternehmen die Erfahrung gemacht, dass MitarbeiterInnen nach krankheitsbedingtem Fernbleiben mit beruflichen Nachteilen und Sanktionen rechnen müssen, kann dies folglich die Tendenz zum Arbeiten trotz Krankheit unter den Beschäftigten erhöhen (ebd. 2011: 242). Umgekehrt können auch Gratifikationen (monetär oder in Form von sozialer Anerkennung) infolge von Präsentismus dazu führen, dass MitarbeiterInnen sich im Krankheitsfall eher dazu entscheiden, arbeiten zu gehen (Hägerbäumer 2011: 242f). Darüber hinaus nimmt Hägerbäumer an, dass nicht nur die individuellen Auswirkungen des Krankheitsverhaltens antizipiert werden, sondern auch die sozialen Konsequenzen für z.B. KollegInnen, KundInnen, PatientInnen oder Familienangehörige (ebd. 2011: 243). 3.4.4.5 Konsequenzen des Krankheitsverhaltens Die Folgen des individuellen Krankheitsverhaltens wurden in bisherigen Studien in kurz-, mittel- und langfristige Effekte unterteilt (Hägerbäumer 2011: 243). Ein Großteil der Untersuchungen fokussierte dabei die mittelfristigen Folgewirkungen nach sechs Monaten bis hin zu zwei Jahren nach Angabe des Präsentismusverhaltens (Bergström et al. 2009, Demerouti et al. 2009, Hansen & Andersen 2009 zit. in Hägerbäumer 2011: 243, siehe dazu Kapitel 4.2). Die Konsequenzen des Präsentismus betreffen nicht nur das erkrankte Individuum, sondern auch die entsprechende Organisation und das soziale Umfeld (Hägerbäumer 2011: 243). Für das soziale Umfeld kann die Entscheidung zu Präsentismus einerseits eine erhöhte Ansteckungsgefahr und ein Zunehmen der Fehleranfälligkeit zur Folge haben (ebd. 2011: 243). Andererseits kann das krankheitsbedingte Fehlen von ArbeitnehmerInnen bei mangelnder Ersetzbarkeit, eine Mehrfachbelastung für KollegInnen veranlassen (ebd. 2011: 243). Zudem sind KlientInnen und KundInnen durch eine fehlende Versorgung bzw. Betreuung betroffen (ebd. 2011: 243). Als weitere mögliche Folgewirkung wird die „monetäre oder karrierebezogene Honorierung oder Sanktionierung“ des Krankheitsverhaltens genannt - diesbezüglich sind allerdings kaum Forschungsresultate vorzufinden (ebd. 2011: 244). Kurzfristige Produktivitäts- und Leistungseinbußen infolge von Präsentismus konnten 49 3 Präsentismus: Forschungsstand, Definitionen, Operationalisierung & Erklärungsmodelle bisher mehrfach durch produktivitätsorientierte Forschungsarbeiten nachgewiesen werden (ebd. 2011: 244). Langfristige gesundheitliche Effekte, durch das wiederholte Arbeiten trotz Krankheit, wurden bereits in Studien wie z.B. Bergström et al. (2009) und Kivimäki et al. (2003) bestätigt (zit. in Hägerbäumer 2011: 245). Auch die Untersuchungsergebnisse nach Hägerbäumer stützen die Annahme, dass Präsentismus eine Verschlechterung des Gesundheitszustands hervorruft (2011: 245). Dies betrifft sowohl das psychische als auch das physische Befinden, sowie die allgemeine Gesundheit der ArbeitnehmerInnen (Hägerbäumer 2011: 244f). Die Neigung trotz Krankheit arbeiten zu gehen, kann nach den Studienresultaten von Hägerbäumer, als „Frühwarnsignal“ für potentielle psychische Erkrankungen wie z.B. Burnout interpretiert werden (Hägerbäumer 2011: 245). Für Organisationen kann die Entscheidung der ArbeitnehmerInnen zur Arbeitspräsenz trotz Krankheit zwar kurzfristig ein Abnehmen der Fehlzeitenfrequenz bewirken – längerfristig gesehen, führt die wiederholte Entscheidung zu Präsentismus jedoch tendenziell zu einem zeitversetzten Rückschlag, indem sich die Gesundheit der Beschäftigten zunehmend verschlechtert und krankheitsbedingte Fehlzeiten zunehmen (Hägerbäumer 2011: 245). Überdies werden Effekte hinsichtlich der Arbeitseinstellung und dem Arbeitsverhalten von MitarbeiterInnen festgestellt (Hägerbäumer 2011: 245). Die Arbeitszufriedenheit, Motivation und Leistungsbereitschaft nimmt durch Präsentismus langfristig gesehen ab, sodass sich ArbeitnehmerInnen verstärkt zurückziehen oder letztlich sogar das Unternehmen verlassen (Hägerbäumer 2011: 245). Die eingezeichneten Pfeile im Modell von Hägerbäumer veranschaulichen die Annahme der Forscherin, dass die Erfahrungen infolge der Entscheidung zu Krankenstand oder Präsentismus, eine Rückwirkung auf die „Antizipation persönlicher und beruflicher Konsequenzen“, das subjektiven Befinden, das subjektive Gesundheitskonzept sowie auf den allgemeinen Gesundheitszustand und die damit einhergehende Vulnerabilität einer Person, auslösen (Hägerbäumer 2011: 234, siehe Abbildung 5). 50 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Anschließend zur Einführung in den Forschungsgegenstand Präsentismus, folgt in diesem Kapitel ein Überblick an internationalen empirischen Studien, zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus. Die entsprechende Gliederung des Reviews wird im Anschluss vorgestellt: Review zu den Einflussfaktoren des Präsentismus: Wie aus der Gliederungsübersicht in Abbildung 6 entnommen werden kann, strukturieren sich die Studienresultate des Reviews zu den Determinanten des Präsentismus in personenbezogene, arbeitsbezogene und organisationsbezogene Einflussfaktoren des Präsentismus. Darunter werden wiederum einzelne unabhängige Variablen in Faktoren subsumiert und den Oberkategorien zugeordnet. Die Ergebnisse werden aufgrund des Umfangs tabellarisch dargestellt und anschließend interpretiert. Hinweise zur Auflistung der Resultate sind im nachfolgenden Abschnitt (S.52) zu finden. Personenbezogene Faktoren • Personale Faktoren • Gesundheit • Demografischer Hintergrund Arbeitsbezogene Faktoren • Arbeitsbedingungen • Arbeitszufriedenheit • Arbeitsstruktur Organisationsbezogene Faktoren • Organisationskultur • Organisationsspezifische Regelungen • Organisationsstrukturen Abbildung 6: Gliederung Review Einflussfaktoren des Präsentismus 51 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Review zu den Folgen des Präsentismus: Die Übersicht an Studienergebnissen zu den Folgen des Präsentismus, strukturiert sich in Befunde zu „negativen Folgen“ und „positiven Folgen“ von Präsentismus (siehe Abbildung 7). Aufgrund der geringeren Verfügbarkeit an Studienergebnissen hierzu, werden die Resultate nicht tabellarisch dargestellt, sondern in Textform zusammengefasst. Negative Folgen • Gesundheitsschädigende Folgen • Krankenstand als Folge von Präsentismus • Soziale und praktische Folgen Positive Folgen • Gesundheitsfördernde Folgen Abbildung 7: Gliederung Review Folgen des Präsentismus Die Eingliederung der Faktoren erfolgte in Anlehnung an die dargestellten Erklärungsmodelle von Hägerbäumer (2011: 81ff, siehe Abschnitt 3.4.4, S. 43) und Johns (2010: 531ff, siehe Abschnitt 3.4.3, S. 40), sowie nach subjektivem Ermessen der Autorin. 4.1 Review zu den Einflussfaktoren des Präsentismus Zur besseren Nachvollziehbarkeit der aufgelisteten Studienergebnisse, sind nachstehende Hinweise zur tabellarischen Darstellung vorweg zu beachten. Hinweise zur tabellarischen Darstellung der Studienergebnisse: I. Präsentismus als abhängige Variable Die Präsentismusvariable wird in der tabellarischen Darstellung der Studienergebnisse entweder als „Präsentismusfrequenz“ (Pf), „Präsentismuswahrscheinlichkeit“ (Pp), „subjektiver Präsentismus“ (Ps) oder als „Präsentismusskala“ (PS) angeführt. Ein Großteil der dargestellten Studien verwendete die „Präsentismusfrequenz (Pf)“, bzw. die Häufigkeit an Präsentismustagen innerhalb eines bestimmten Zeitraums, 52 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus als abhängige Variable der Untersuchung. Diese wurde anhand der retrospektiven Einschätzung der Befragten erhoben, wobei unterschiedliche Zeiträume zur Bemessung herangezogen wurden (siehe dazu auch Tabelle 3 in Abschnitt 3.3.1, S.31f). Gosselin et al. (2013: 79) ermittelten z.B. die geschätzte Präsentismushäufigkeit pro Monat im letzten halben Jahr während Biron et al. (2006: 29) einen Schätzungszeitraum von zwölf Monaten als Basis für weitere Berechnungen heranzogen. Johns (2011: 488) fragte im Rahmen seiner Erhebung nach der Auftrittshäufigkeit von Präsentismus während der letzten sechs Monate. StudienautorInnen wie z.B. Sendén et al. (2013: 2) oder Preisendörfer (2010: 404) fragten nach der Präsentismushäufigkeit, ohne einen bestimmten Zeitraum zu nennen, auf den sich die Schätzung der Befragten beziehen soll. Darüber hinaus sollte berücksichtigt werden, dass die Befragungsergebnisse der Präsentismushäufigkeit (Anzahl der Präsentismustage) teilweise dichotomisiert wurden. Nähere Informationen dazu sind im Kapitel 3.3.1 vorzufinden. Die Variable „Präsentismuswahrscheinlichkeit (Pp)“ berechneten Biron et al. (2006: 30) sowie Gerich (2015a: 47) anhand folgender Formel: Anzahl der Präsentismustage Anzahl der angegebenen Krankheitstage = Pp (Presenteeism propensity) (%) Die Präsentismuswahrscheinlichkeit stellt somit die Neigung zu Präsentismus im Krankheitsfall dar. Die Variable „Präsentismus subjektiv“ (Ps) fügte Johns (2011: 488f) als Alternative zur regulären Messung der Präsentismusfrequenz hinzu. Durch die Fragestellungen „I really should have taken sick leave due to my state of health“ und „I have continued to work when it might have been better to take sick leave“, versuchte der Forscher eine subjektive Sichtweise auf das Krankheitsverhalten der Befragten mit einzubeziehen: „The measure is labeled ”subjective presenteeism“ in that it incorporates a more perceptual take on respondents’ experience with health and attendance as opposed to the aforementioned days present item“ (Johns 2011: 489). Im Unterschied zur geschätzten Präsentismusfrequenz wird hier somit versucht die 53 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus individuelle Dynamik im Auftreten von Präsentismus zu erfassen (2011: 489, siehe dazu auch Kapitel 3.3.1). Hägerbäumer untersuchte die Ausprägung von Präsentismus nicht nur anhand der Häufigkeit an Präsentismustagen (Pf), sondern auch auf Basis einer eigens entwickelteten Präsentismusskala (PS), die in der „Krankenhaus-Studie“ aus sieben Items (2011: 99) und in der „Energieversorger-Studie“ aus sechs Items besteht (2011: 173, siehe Tabelle 3 unter Abschnitt 3.3.1). Die Präsentismusskala stellt eine alternative Erhebungsvariante zum häufig eingesetzten Single – Item Maß (Pf) dar, um Operationalisierungsprobleme durch den Einfluss des allgemeinen Gesundheitszustandes der Befragten zu reduzieren und eine „verhaltensnahe Erhebung des Präsentismus“ zu sichern (Hägerbäumer 2011: 98). Die Studienautorin betont die „sehr gute psychometrische Qualität“ der Skala (Hägerbäumer 2011: 232). Zudem zeigt sich zwischen den Gesundheitsindikatoren der Betroffenen und der Präsentismusskala (PS) ein geringerer Zusammenhang als zum Einzel – Item Präsentismusfrequenz (Pf). Etwaige Zusammenhänge zwischen unabhängigen Variablen und der Präsentismusskala (PS) weisen somit einen geringeren Einfluss durch den allgemeinen Gesundheitszustand der Betroffenen auf, als Korrelationen zur Präsentismusfrequenz (Pf) (Hägerbäumer 2011: 99). II. Wirkungsrichtung der Forschungshypothese Die jeweiligen Untersuchungshypothesen der zitierten Studien sind mit einem positiven oder negativen Vorzeichen ergänzt. Dies bedeutet, dass die StudienautorInnen entweder von einem positiven (verstärkenden Einfluss auf Präsentismus) oder negativen (reduzierenden Einfluss auf Präsentismus) Zusammenhang zwischen der unabhängigen (z.B. „Gewissenhaftigkeit“ in Tabelle 6) und abhängigen Variable (Präsentismus) ausgingen. Bei fehlendem Vorzeichen, wurde in der entsprechenden Studie keine bestimmte Wirkungsrichtung der Determinante angenommen. III. Ausprägungsrichtung der unabhängigen Variable Die unabhängigen Variablen wurden jeweils mit einem „Plus“ oder „Minus“ ergänzt, um die Ausprägungsrichtung des Einflussfaktors sichtbar zu machen. Nachfolgendes Beispiel (siehe Tabelle 4) zur Variable „Gewissenhaftigkeit“ soll die Lesbarkeit der tabellarischen Darstellung der Ergebnisse verdeutlichen: 54 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Tabelle 4: Beispiel 1 - Ausprägungsrichtung der unabhängigen Variable „Gewissenhaftigkeit“ Variable Studie Sample Statistische Analyse Hypothese Resultate bivariat Resultate multivariat n= 333 Personen Preisendörfer 2010: 404 Gewissenhaftigkeit (+) (Quotenstichprobe nach Geschlecht, Alter, Schuldbildung; + Pf Region in Deutschland) Bivariate Korrelation (r) Logistische Regression (B) r= ns. B= 0.21* (Preisendörfer 2010: 406) (Preisendörfer 2010: 407) Preisendörfer (2010: 404) postuliert nach Tabelle 4 folgende Forschungshypothese: Je höher die Ausprägung der Gewissenhaftigkeit von ArbeitnehmerInnen („Gewissenhaftigkeit +“), desto eher ist mit einer höheren Präsentismushäufigkeit („+ Pf“) zu rechnen. Diese Hypothese konnte in der logistischen Regressionsanalyse bestätigt werden (Preisendörfer 2010: 407). Daraus kann abgeleitet werden, dass gewissenhafte ArbeitnehmerInnen mit einer höheren Anzahl an Präsentismustagen in Verbindung stehen. Ein hinzugefügtes „Plus“ in der ersten Spalte der Tabelle ist folglich zu lesen als: „Je höher die Ausprägung X, desto (…)“. Ein nachgestelltes „Minus“ bedeutet hingegen: „Je geringer die Ausprägung der Variable X, desto (…)“. Anhand eines weiteren Beispiels in Tabelle 5 ist die Annahme von Aronsson & Gustafsson (2005: 963) abzulesen, dass mit schlechterer finanzieller Lage („Finanzielle Lage -“), eine höhere Präsentismushäufigkeit („+Pf“) einhergeht. Die logistische Regressionsanalyse konnte auch in diesem Fall die Hypothese bestätigen (Aronsson & Gustafsson 2005: 963). ArbeitnehmerInnen mit finanziellen Problemen gehen häufiger krank in die Arbeit, als Personen, die finanziell zufrieden sind. Tabelle 5: Beispiel 2 - Ausprägungsrichtung der unabhängigen Variable „Finanzielle Lage“ Variable Studie Sample Hypothese Statistische Analyse Resultate bivariat Resultate multivariat “some problems in handling ongoing expenses”: n= 3.136 AN Finanzielle Lage (-) Aronsson & Gustafsson 2005: 963 (Statistics Sweden’s labor market survey) OR= 1.68* KI:1.38-2.04 + Pf Logistische Regression (OR) - Anmerkung: UV dichotom Ref.: “no problem in handling ongoing expenses” (Aronsson & Gustafsson 2005: 963) 55 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Ein hinzugefügtes Minus oder Plus der unabhängigen Variable, symbolisiert somit die Ausprägungsrichtung („je höher X / je geringer X, desto…“) der untersuchten Determinante. IV. Sample Die Stichprobengröße der angeführten Studien wurde z.T. mit Bemerkungen hinsichtlich der Stichprobenzusammensetzung und Repräsentativität ergänzt. 4.1.1 Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus Inwiefern Präsentismus mit personenbezogenen Merkmalen in Verbindung steht, wird anhand nachfolgender Forschungsergebnisse ersichtlich. Diese werden unterteilt in Einflussfaktoren, welche die Persönlichkeitsstruktur von ArbeitnehmerInnen betreffen, in Gesundheitsindikatoren (z.B. psychische und physische Gesundheitsmerkmale) und demografische Variablen (Bildung, Geschlecht etc.). 4.1.1.1 Personale Faktoren Als personale Faktoren wurden Studienresultate zu den persönlichen Charaktereigenschaften, die internale Kontrollüberzeugung hinsichtlich Gesundheit, Arbeitsstil und Arbeitsverhalten, sowie die Bewertung von Krankenstand hinsichtlich ihrer Wirkung auf Präsentismus zusammengefasst. 4.1.1.1.1 Charaktereigenschaften und „Health Locus of Control“ Persönliche Charaktereigenschaften wie z.B. Gewissenhaftigkeit und Neurotizismus, d.h. die emotionale Labilität und Vulnerabilität einer Person (Judge et al. 1999: 624), wurden neben der individuellen Kontrollüberzeugung hinsichtlich Gesundheit („Health Locus of Control“), in folgenden Studien auf ihren Einfluss zu Präsentismus untersucht (siehe Tabelle 6): Tabelle 6: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Charaktereigenschaften und Kontrollüberzeugung Variable Studie Sample Hypothese n= 444 AN Gewissenhaftigkeit (+) Johns 2011: 485 (“employed graduates of a Canadian university business school”, nicht repräs.) Statistische Analyse Bivariate Korrelation (r) Pf, Ps Negative Binomiale Regression (B) Resultate bivariat Resultate multivariat Pf: r= ns. Pf: B= ns. Ps: r= ns. Ps: β= ns. (Johns 2011: 490) (Johns 2011: 492) 56 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Ordinary Least Squares Regression (β) n= 333 Personen Preisendörfer 2010: 404 (Quotenstichprobe nach Geschlecht, Alter, Schuldbildung; + Pf Region in Deutschland) Neurotizismus (+) Johns 2011: 485f + Pf, +Ps Johns 2011: 486 (“employed graduates of a Canadian university business school”, nicht repräs.) Negative Binomiale Regression (B) Ordinary Least Squares Regression (β) B= 0.21* (Preisendörfer 2010: 407) Pf: r= ns. Pf: B= -.30* Ps: r= .10* Ps: β = ns. (Johns 2011: 490) (Johns 2011: 492) Pf: r= -.11* Pf: B= -.52* Bivariate Korrelation (r) n= 444 AN Health Locus of Control (Internal) (+) Logistische Regression (B) r= ns. (Preisendörfer 2010: 406) Bivariate Korrelation (r) n= 444 AN (“employed graduates of a Canadian university business school”, nicht repräs.) Bivariate Korrelation (r) + Pf, +Ps Negative Binomiale Regression (B) Ordinary Least Squares Regression (β) Ps: r= ns. Ps: β = ns. (Johns 2011: 490) (Johns 2011: 492) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala In Tabelle 6 ist ersichtlich, dass die Charaktereigenschaft „Gewissenhaftigkeit“ einen signifikant positiven Effekt auf Präsentismus zeigt (Preisendörfer 2010: 407). Johns befand diesbezüglich keinen substanziellen Zusammenhang (2011: 492). Bei der Untersuchung der Determinante „Neurotizismus“ ergaben sich ambivalente Resultate: die bivariate Zusammenhangsanalyse nach Johns, zeigt eine signifikant positive Korrelation zu Präsentismus (Ps) (Johns 2011: 490). Die darauffolgende lineare Regressionsanalyse ergab hingegen einen signifikant negativen Effekt auf die Präsentismushäufigkeit (Pf) (Johns 2011: 492). Daraus ist abzuleiten, dass emotional labile und vulnerable Beschäftigte seltener krank in die Arbeit gehen (ebd. 2011: 492). Der Einfluss dritter Variablen wie z.B. Geschlecht, Alter und Gesundheit wurde dabei kontrolliert (ebd. 2011: 489). Johns nahm zudem an, dass Personen, die überzeugt sind ihre Gesundheit eigenständig beeinflussen zu können (internale Kontrollüberzeugung), im Krankheitsfall eher geneigt sind, trotz Beeinträchtigung zu arbeiten: „It was assumed that health internals can manage their health – related behaviors such that they can get to work, even when under the weather, and perform at a reasonable level in this state“ (Johns 2011: 486). Die Studienergebnisse von Johns widersprechen dieser Hypothese (2011: 490ff). Personen, die von der Selbststeuerung ihrer Gesundheit überzeugt 57 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus sind, gehen seltener krank in die Arbeit (Johns 2011: 492). Dieser Zusammenhang hält auch nach Kontrolle potentieller Einflüsse durch weitere Präsentismusdeterminanten bestand. Zusammenfassend können aus den angeführten Studienergebnissen folgende Tendenzen hinsichtlich persönlicher Charaktereigenschaften abgeleitet werden: Personen mit ausgeprägter Gewissenhaftigkeit und emotionaler Labilität, zeigen eine erhöhte Präsentismushäufigkeit auf, während ArbeitnehmerInnen mit internaler Kontrollüberzeugung gegenüber ihrer Gesundheit, seltener krank arbeiten. 4.1.1.1.2 Individuelles Arbeitsverhalten & Arbeitseinstellung Die angeführten Studien in Tabelle 7 untersuchten den individuellen Arbeitsstil sowie die jeweilige Arbeitseinstellung als potentielle Determinanten des Präsentismus: Tabelle 7: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Individuelles Arbeitsverhalten und Arbeitseinstellung Variable Studie Exzessiver Arbeitsstil (+) Hägerbäumer 2011: 108 Sample Hypothese Statistische Analyse + PS Bivariate Korrelation (r) & n= 268 AN (Krankenhaus in NordrheinWestfalen, nicht repräs.) Lineare Regression (β) n= 268 AN Zwanghafter Arbeitsstil (+) Hägerbäumer 2011: 108 (Krankenhaus in NordrheinWestfalen, nicht repräs.) + PS Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) Resultate bivariat Resultate multivariat r= .317* (Hägerbäumer 2011: 131) β= ns. (Hägerbäumer 2011: 139) r= .278* (Hägerbäumer 2011: 131) β= ns. (Hägerbäumer 2011: 139) “Agree entirely”: OR= 1.55* KI: 1.20-2.01 Anmerkung: n= 3.136 AN Individual Boundarylessness (+) Aronsson & Gustafsson 2005: 960 (“Statistics Sweden’s labor market survey”) + Pf Logistische Regression (OR) - UV polytom: 4 Auspräg. Ref.: “Do not agree at all” (Aronsson & Gustafssson 2005: 963) “Highly overcommited to work”: Overcommitment (+) Hansen & Andersen 2008: 985 OR= 1.49* n= 12.935 AN (“Danish core work force”) + Pf Logistische Regression (OR) - Anmerkung: UV polytom: 3 Auspräg. Ref.: “Not over-committed” (Hansen & Andersen 2008: 962) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Die Ergebnisse der bivariaten Korrelationsanalyse von Hägerbäumer verweisen 58 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus darauf, dass sowohl ein exzessiver als auch ein zwanghafter Arbeitsstil mit einer erhöhten Präsentismusfrequenz korrespondieren (2011: 109). Bei Kontrolle weiterer Einflussfaktoren verliert der Zusammenhang jedoch an Signifikanz (Hägerbäumer 2011: 139). Aronsson & Gustafsson kamen zu dem Ergebnis, dass altruistisch veranlagte ArbeitnehmerInnen („individual boundarylessness“, siehe Abschnitt 3.4.2) im Vergleich zu ArbeitskollegInnen, die zu Wünschen Anderer eher „Nein“ sagen können, eine erhöhte Präsentismushäufigkeit aufzeigen (2005: 963). Auch überengagierte ArbeitnehmerInnen („over-commitment“) weisen in der Gegenüberstellung zu distanzierteren MitarbeiterInnen, eine höhere Präsentismushäufigkeit auf (Hansen & Andersen 2008: 962). Der Einfluss weiterer Determinanten wurde bei den entsprechenden logistischen Regressionsanalysen kontrolliert (Aronsson & Gustafsson 2005: 963, Hansen & Andersen 2008: 962). Als Resümee kann hinsichtlich des individuellen Arbeitsstils festgehalten werden, dass Personen mit der Tendenz zu einer exzessiven und zwanghaften Arbeitsweise, in der bivariaten Analyse einen Zusammenhang zu einer erhöhten Präsentismushäufigkeit aufzeigen. Infolge der Kontrolle weiterer Einflussfaktoren, konnten allerdings keine signifikanten Zusammenhänge zum Präsentismus gefunden werden (Hägerbäumer 2011: 139). Die logistische Regressionsanalyse von Aronsson & Gustafsson (2005: 963) zeigte, dass Beschäftigte, die kaum einen Wunsch abschlagen können, auch häufiger Präsentismustage aufweisen, als im Vergleich zu ArbeitnehmerInnen, die kein Problem damit haben „Nein“ zu sagen. Zudem ist aus den Resultaten von Hansen & Andersen (2008: 962) abzuleiten, dass überengagierte ArbeitnehmerInnen, die zu hohe berufliche Verpflichtungen übernehmen, mehr Präsentismustage aufweisen als Berufstätige, die von „over – commitment“ nicht betroffen sind. 4.1.1.1.3 Individuelle Bewertung von Krankenstand Inwiefern die individuelle Einstellung gegenüber Krankenstand einen Zusammenhang auf das jeweilige Krankheitsverhalten der Person aufweist, zeigen die Studienergebnisse in Tabelle 8: 59 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Tabelle 8: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Individuelle Einstellung gegenüber Krankenstand Variable Studie Hypothese Sample Johns 2011: 486 Resultate bivariat Resultate multivariat Bivariate Korrelation (r) n= 444 AN Liberale Einstellung gegenüber Krankenstand (+) Statistische Analyse (“employed graduates of a Canadian university business school”, nicht repräs.) - Pf, -Ps Negative Binomiale Regression (B) Ordinary Least Squares Regression (β) Pf: r= ns. Ps: r= -.10* (Johns 2011: 490) Pf: B= -.48* Ps: β= ns. (Johns 2011: 492) “conservative absence attitudes”: Konservative Einstellung gegenüber Krankenstand (+) Hansen & Andersen 2008: 960 OR= 1.21* Anmerkung: n= 12.935 AN (“Danish core work force”) + Pf Logistische Regression (OR) - UV polytom: 3 Ausprägungen Ref.: “Liberal Absence Attitudes” (Hansen & Andersen 2008: 962) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Personen mit liberaler Einstellung gegenüber Krankenstand, bewerten das Fernbleiben von der Arbeit im Krankheitsfall als legitimes Verhalten (Johns 2011: 486) und zeigen eine geringere Frequenz an Präsentismustagen auf (Johns 2011: 492). Gegensätzlich dazu, gehen ArbeitnehmerInnen mit konservativer Haltung gegenüber Krankenstand, häufiger krank in die Arbeit (Hansen & Andersen 2008: 962). Hansen & Andersen nehmen zudem an, dass für konservativ eingestellte Personen ein Krankenstand nur bei gravierenderen Beeinträchtigungen in Frage kommt (2008: 962). Resümierend ist folglich abzuleiten, dass die subjektive Bewertung des Krankenstands einen Zusammenhang zur Präsentismushäufigkeit aufweist. Dabei kristallisiert sich aus den Studienresultaten die Tendenz heraus, dass Personen mit liberaler Einstellung gegenüber Krankenstand auch weniger Präsentismus aufweisen (Johns 2011: 492), während konservativ geneigte ArbeitnehmerInnen („Krankenstand ist nur bei gravierenden Krankheiten notwendig“), eher häufiger krank in die Arbeit gehen (Hansen & Andersen 2008: 962). 4.1.1.2 Gesundheitsindikatoren Ein Großteil der Präsentismusstudien untersuchte neben verschiedenen Persönlichkeitsmerkmalen auch die individuelle gesundheitliche Verfassung der 60 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus ArbeitnehmerInnen und dessen Einfluss auf das Krankheitsverhalten (siehe Tabelle 9 - Tabelle 11). Hinsichtlich des Zusammenhangs von Gesundheit und Präsentismus ist allerdings vorweg anzumerken, dass Präsentismus „per definitionem“ nur dann vorliegen kann, „wenn eine Person Krankheitssymptome bzw. Befindensbeeinträchtigungen aufweist“ (Hägerbäumer 2011: 92). Je häufiger eine gesundheitliche Beeinträchtigung auftritt, umso öfter wird ein Entscheidungsprozess zwischen den beiden Handlungsoptionen Krankenstand und Präsentismus initiiert (Hägerbäumer 2011: 92). Nach Hägerbäumer erhöht sich folglich mit zunehmender Krankheitshäufigkeit auch die Entscheidungswahrscheinlichkeit für Präsentismus (2011: 92). Die kausale Richtung dieses Zusammenhangs ist allerdings umstritten, da auf Basis der Ergebnisse von Querschnittsstudien, diesbezüglich keine Schlussfolgerungen getroffen werden können. Folglich muss auch die Variante einer umgekehrten oder reziproken Wirkungsrichtung in Erwägung gezogen werden, d.h. dass eine beeinträchtigte Gesundheit auch die Folge von Präsentismus sein könnte und wiederum Präsentismus induzieren kann etc. Zur Untersuchung der Kausalität im Zusammenhang zwischen Gesundheit und Präsentismus, bedarf es der Durchführung von Längsschnittanalysen. Resultate entsprechender Langzeitstudien deuten darauf hin, dass die negative Beeinträchtigung der physischen und psychischen Gesundheit als Folgen des Präsentismus zu beobachten sind (Kivimäki et al. 2005: 101, Bergström et al. 2009b: 1184, Demerouti et al. 2009: 61, Taloyan et al. 2012: 4). Eine ausführlichere Zusammenfassung der Längsschnittstudienergebnisse ist in Kapitel 4.2 vorzufinden. Die folgenden Abschnitte zeigen einen Auszug an Querschnittstudien, die den Zusammenhang zwischen Gesundheitsindikatoren (Indikatoren der allgemeinen, physischen und psychischen Gesundheit) und Präsentismus thematisierten. 4.1.1.2.1 Allgemeiner Gesundheitszustand In Tabelle 9 sind mehrere Studienresultate angeführt, die über den Zusammenhang zwischen dem allgemeinen Gesundheitszustand und Präsentismus Aufschluss geben. 61 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Tabelle 9: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Allgemeiner Gesundheitszustand Variable Studie Sample Hypothese n= 722 AN Hägerbäumer 2011: 170 (regionale Business-Unit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) - PS (Subjektiver) Allgemeiner Gesundheitszustand (“employed graduates of a Canadian university business school”, nicht repräs.) Resultate bivariat Resultate multivariat Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) r= -.423* β= -.248* (Hägerbäumer 2011: 172) (Hägerbäumer 2011: 177) Bivariate Korrelation (r) n= 444 AN Johns 2011: 489 Statistische Analyse - Pf, - Ps Negative Binomiale Regression (B) Ordinary Least Squares Regression (β) Pf: r= ns. Ps: r= -17*. (Johns 2011: 490) Pf: B= ns. Ps: β= -.14* (Johns 2011: 492) “Variable/Rather poor/ Poor“: (+) OR= 3.32* Aronsson & Gustafsson 2005: 963 n= 3.136 AN (Statistics Sweden’s labor market survey) KI: 2.71-4.07 Pf Logistische Regression (OR) - Anmerkung: UV dichotom Ref.: „Good / Fairly good“ (Aronsson & Gustafsson 2005: 963) “Yes”: “Medical treatment” (+) Rosvold & Bjertness 2001: 72 OR= 2.19* n= 1.015 MedizinerInnen (“Norwegian Medical Association’s health survey”, nicht repräs.) KI: 1.38-3.48 Pf Chronische Krankheit (-) (regionale Business-Unit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) MacGregor et al. 2008: 610 (“Canadian public service”, “multiyear downsizing initiative”, nicht repräs.) - Anmerkung: UV dichotom Ref.: “No” (Rosvold & Bjertness 2001: 73) n= 722 AN Hägerbäumer 2011: 172 Logistische Regression (OR) - PS Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) Pf Bivariate Korrelation (r) r= -.284* β= -.149* (Hägerbäumer 2011: 172) (Hägerbäumer 2011: 177) n= 237 AN Chronische Krankheit (+) Rantanen & Tuominen 2011: 226 n= 272 AN (KrankenpflegerInnen & MedizinerInnen in Finnland, nicht repräs.) Pf Lineare Regression (β) „Hospitalized“ (+) MacGregor et al. 2008: 610 n= 237 AN (Canadian public service, multi-year downsizing initiative, nicht repräs.) Pf Bivariate Korrelation (r) Krankenstandstage im letzten Jahr (+) Hansen & Andersen 2008: 962 n= 12.935 AN (Danish core work force) Pf Logistische Regression (OR) r= .15* (MacGregor et al. 2008: 610) - - (Rantanen & Tuominen 2011: 228) β= .309* r= .27* (MacGregor et al. 2008: 610) - >10 Tage: - OR= 8.07* Anmerkung: UV polytom: 6 Aus- 62 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus präg. Ref.: 0 Tage (Hansen & Andersen 2008: 962) ≥ 2 Tage: Elstad & Vabo 2008: 472 n= 2.447 AN (Altenpflegerinnen, nicht repräs.) OR= 4.00* KI: 3.115.15 Anmerkung: Pf Logistische Regression (OR) - UV polytom: 3 Auspräg. Ref.: 0 Tage (Elstad & Vabo 2008: 472) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Die Studienresultate in Tabelle 9 verdeutlichen, dass ArbeitnehmerInnen mit schlechter Gesundheit und chronischen Erkrankungen eher Präsentismustage aufweisen, als Beschäftigte die eine gute allgemeine gesundheitliche Verfassung angeben (Hägerbäumer 2011: 177, Aronsson & Gustafsson 2005: 963, Johns 2011: 492, MacGregor et al.: 610, Rantanen & Tuominen 2011: 226). Hansen & Andersen (2008: 962) als auch Elstad & Vabo (2008: 472) verwenden die Summe der Krankenstandstage im letzten Jahr als Indikator für die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen. Beide Studien befanden, dass ArbeitnehmerInnen mit einer höheren Krankenstandshäufigkeit auch öfter krank in die Arbeit gehen, als Beschäftigte, die geringe Fehlzeiten aufweisen (Hansen & Andersen 2008: 962, Elstad & Vabo 2008: 472). Die Krankenstandshäufigkeit von ArbeitnehmerInnen als Abbild der allgemeinen Gesundheit der Betroffenen heranzuziehen, wird allerdings von Seiten der AutorInnen als kritische Herangehensweise betrachtet, da die Fehlzeitenfrequenz der Beschäftigten eine verkürzte Sichtweise auf das tatsächliche Wohlbefinden der Befragten bietet (Elstad & Vabo 2008: 474). MacGregor et al. berichten zudem in ihrer Studie, dass ArbeitnehmerInnen, die einen Krankenhausaufenthalt hinter sich haben, mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit in Verbindung stehen (2008: 610). Darüber hinaus gehen Personen die unter medikamentöser Behandlung stehen, auch häufiger krank in die Arbeit als Beschäftigte, die keine Arzneimittel einnehmen (Rosvold & Bjertness 2001: 73). Zusammenfassend geht aus den angeführten Studienergebnissen hervor, dass ein schlechter allgemeiner Gesundheitszustand mit einer erhöhten Anzahl an Präsentismustagen in Verbindung steht. Als weitere Indikatoren für eine angeschlagene Gesundheit wurden von Hansen & Andersen (2008: 962) und Elstad & Vabo (2008: 472) eine hoch ausgeprägte Krankenstandshäufigkeit, von MacGregor et al. die 63 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Häufigkeit der Krankenhausaufenthalte (2008: 610), sowie von Rosvold & Bjertness die Einnahme von Pharmazeutika (2001), herangezogen. Auch hier zeigt sich die Tendenz: je höher die jeweilige Ausprägung der Krankenstände, Krankenhausaufenthalte und Einnahme von Arzneimitteln, umso höher auch die Präsentismusfrequenz unter den Beschäftigten. 4.1.1.2.2 Indikatoren physischer Gesundheit Nachfolgende Tabelle 10 zeigt einen Auszug an körperlichen Krankheitssymptomen, die im Zusammenhang mit Präsentismus stehen. Tabelle 10: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Indikatoren physischer Gesundheit Variable Studie Sample Hypothese n= 268 AN Körperliche Gesundheit (+) Hägerbäumer 2011: 102 (Krankenhaus in NordrheinWestfalen, nicht repräs.) - PS Statistische Analyse Resultate bivariat Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) (Hägerbäumer 2011: 131) r= -.220* Resultate multivariat β= -.194* (Hägerbäumer 2011: 139) “some disease“: OR= 1.29* Anmerkung: Muskel-SkelettBeschwerden (+) Hansen & Andersen 2008: 962 n= 12.935 AN (“Danish core work force”) Pf Logistische Regression (OR) - UV dichotom: “some disease vs. no disease” Ref.: keine Beschwerden (Hansen & Andersen 2008: 962) n= 1.730 AN Rückenprobleme (+) Gosselin et al. 2013: 81 (Senior Executives, Public Service of Canada) Gosselin et al. 2013: 81 (Senior Executives, Public Service of Canada) Gosselin et al. 2013: 81 (Senior Executives, Public Service of Canada) B= .051* Pf Hierarchische Regression (B) - (Gosselin et al. 2013: 81) Pf Hierarchische Regression (B) - (Gosselin et al. 2013: 81) Pf Hierarchische Regression (B) - (Gosselin et al. 2013: 81) n= 1.730 AN Gastritis (+) B= .064* n= 1.730 AN Allergien (+) B= .064* *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Inwiefern Krankheitssymptome im Zuge von Präsentismus in die berufliche Tätigkeit integrierbar sind, ist auch im Kontext der beruflichen Anforderungen zu sehen. Han64 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus delt es sich etwa um erhebliche Einschränkungen des Bewegungsapparates, sind z.B. BauarbeiterInnen in ihren Arbeitsaufgaben eher eingeschränkt als Büroangestellte, die weniger körperlichen Einsatz zeigen müssen. Allgemein kann jedoch anhand der Studienergebnisse in Tabelle 10 angenommen werden, dass bestimmte Krankheitssymptome wie etwa Allergien, Muskel-Skelett-Beschwerden oder Gastritis, eher Präsentismus ermöglichen, da sie die Funktion der ArbeitnehmerInnen nicht vollständig einschränken (Hansen & Andersen 2008: 962, Gosselin et al. 2013: 81). Je seltener entsprechende Symptome auftreten und je besser die körperliche Gesundheit eingeschätzt wird, desto eher ist mit einer gering ausgeprägten Präsentismusfrequenz zu rechnen (Hägerbäumer 2011: 139). 4.1.1.2.3 Indikatoren der Stressexposition und psychischer Belastung Inwiefern die individuelle Stressexposition und psychische Belastung von ArbeitnehmerInnen mit dem jeweiligen Krankheitsverhalten korrespondieren, wird anhand folgender Studienresultate in Tabelle 11 veranschaulicht: Tabelle 11: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Indikatoren der Stressexposition und psychischer Belastung Variable “Life Events” (Todesfall in der Familie, Scheidung, Geburt, Adoption etc.) (+) Studie Sample Hypothese MacGregor et al. 2008: 610 Hägerbäumer 2011: 109 (Krankenhaus in NordrheinWestfalen, nicht repräs.) Emotionale Erschöpfung (+) Resultate multivariat (regionale Business-Unit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) + Pf + PS Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) + PS Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) + PS Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) r=.500* β= ns. + PS Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) (Hägerbäumer 2011: 172) (Hägerbäumer 2011: 177) n= 268 AN Hägerbäumer 2011: 109 (Krankenhaus in NordrheinWestfalen, nicht repräs.) Hägerbäumer 2011: 160 (regionale Business-Unit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) r= .18* Bivariate Korrelation (r) n= 722 AN Hägerbäume r 2011: 160 n= 722 AN Irritation (+) Resultate bivariat n= 237 AN (Canadian public service, multiyear downsizing initiative, nicht repräs.) n= 268 AN Depersonalisation (+) Statistische Analyse (MacGregor et al. 2008: 610) - r= .282* β= ns. (Hägerbäumer 2011: 131) (Hägerbäumer 2011: 139) r= .505* β= ns. (Hägerbäumer 2011: 172) (Hägerbäumer 2011: 177) r= .235* β= ns. (Hägerbäumer 2011: 131) (Hägerbäumer 2011: 139) 65 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus n= 268 AN Hägerbäume r 2011: 109 (Krankenhaus in NordrheinWestfalen, nicht repräs.) - PS Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) r= -.239* β= ns. (Hägerbäumer 2011: 131) (Hägerbäumer 2011: 139) Anmerkung: “some disease“: Psychische Gesundheit (+) Hansen & Andersen 2008: 962 n= 12.935 AN (“Danish core work force”) - Pf Logistische Regression (OR) OR= 0.98* - UV dichotom Ref.: “no disease“ (Hansen & Andersen 2008: 962) n= 3.825 AN Biron et al. 2006: 32 Psychischer Stress (+) (Canadian governmental Organisation) + Pp Lineare Regression (β) - β= ns. (Biron et al. 2006: 33) Pf Bivariate Korrelation (r) & Hierarchische Regression (β) r= .367* (Gosselin et al. 2013: 80) B= .271* (Gosselin et al. 2013: 81) n= 1.730 AN Gosselin et al. 2013: 80 (Senior Executives, Public Service of Canada) β= 0.69* Psychosomatische Beschwerden (+) n= 3.825 AN Biron et al. 2006: 32 (Canadian governmental Organisation) + Pp Psycho – vegetative Beschwerden (+) Hägerbäumer 2011: 160 MacGregor et al. 2008: 610 (Canadian public service, multiyear downsizing initiative, nicht repräs.) - (Biron et al. 2006: 33) n= 722 AN (regionale Business-Unit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) Lineare Regression (β) (“Predictor for short-term sickness”: ≤ 9 sick days) + PS Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) Pf Bivariate Korrelation (r) r= .549* β= ns. (Hägerbäumer 2011: 172) (Hägerbäumer 2011: 177) n= 237 AN Bedarf an psychologischer Hilfe (+) r= .23* (MacGregor et al. 2008: 610) - *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Anhand der Ergebnisse in Tabelle 11 ist ersichtlich, dass auch Indikatoren des Stresserlebens und der psychischen Belastung im Zusammenhang mit Präsentismus stehen. So korrespondieren psychische Erkrankungen, psychischer Stress, psycho-vegetative Beschwerden und der Bedarf an psychologischer Hilfe mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit (Gosselin et al. 2013: 80, Hägerbäumer 2011: 172, MacGregor et al. 2008: 610). Mit der Kontrolle weiterer Präsentismusdeterminanten in der multivariaten Zusammenhangsanalyse verfällt allerdings die signifikante Korrelation der genannten Determinanten (Hägerbäumer 2011: 177). Lediglich Gosselin 66 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus et al. berichten auch in der hierarchischen Regressionsanalyse, dass psychischer Stress mit einer erhöhten Präsentismusfrequenz im Zusammenhang steht (2013: 81). Zudem befinden Hansen & Andersen unter Kontrolle weiterer Einflussvariablen, dass Beschäftigte mit einem guten psychischen Gesundheitsstatus, seltener krank arbeiten als mental instabile ArbeitnehmerInnen (2008: 962). Je mehr psychosomatische Beschwerden berichtet werden, umso eher ist (bei Befragten mit weniger als 9 Krankheitstagen im Jahr) mit einer erhöhten Entscheidungswahrscheinlichkeit zu Präsentismus zu rechnen (Biron et al. 2006: 33). Auch sogenannte „Life Events“ (Todesfall in der Familie, Scheidung, Geburt, Adoption etc.) hinterlassen emotionale Spuren und korrespondieren in der bivariaten Korrelationsanalyse nach MacGregor et al., mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit (2008: 610f). Hägerbäumer untersuchte die Burnout-Indikatoren „Depersonalisation“, d.h. die mentale Distanzierung zum Arbeitsumfeld und der beruflichen Tätigkeit (Schaufeli & Enzmann 1998 zit. in Demerouti et al. 2009: 54), sowie die „emotionale Erschöpfung“ als potentielle Einflussfaktoren für das Verhalten, krank arbeiten zu gehen (2011: 109, 160). Dabei zeigte sich zwar, im Rahmen der bivariaten Korrelationsanalyse, für beide Burnout – Faktoren ein signifikanter Zusammenhang zu einer erhöhten Präsentismushäufigkeit (Hägerbäumer 2011: 131, 172) - im Zuge der linearen Regressionsanalyse konnten allerdings keine signifikanten Zusammenhänge bestätigt werden (Hägerbäumer 2011: 139,177). Als weiteren Indikator für das psychische Befinden untersuchte Hägerbäumer die „Irritation“ und deren Einfluss auf Präsentismus. „Irritation“ äußert sich kognitiv durch das Gefühl „nicht abschalten zu können“ und emotional „in Form von Gereiztheit und Nervosität“ (Hägerbäumer 2011: 160). Die Forschungsresultate zeigen, dass entsprechende Symptome mit Präsentismus korrelieren (ebd. 2011: 172), bei Kontrolle weiterer Untersuchungsvariablen, geht der Einfluss jedoch verloren (ebd. 2011: 177). Abschließend kann zusammengefasst werden, dass in der bivariaten Zusammenhangsanalyse häufig eine Verbindung zwischen schlechter psychischer Gesundheit und hoher Präsentismushäufigkeit festgestellt wurde. Bei Kontrolle weiterer potentieller Einflussfaktoren stellte sich dieser Zusammenhang allerdings meistens als nicht 67 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus signifikant heraus. Bestehen bleibt in der Regressionsanalyse eine Korrespondenz bei psychosomatischen Beschwerden und psychischen Stress zu einer höheren Präsentismusausprägung. Darüber hinaus zeigt sich in der logistischen Regression nach Hansen & Andersen, dass ArbeitnehmerInnen mit psychischen Beschwerden öfter krank in die Arbeit gehen, als Beschäftigte mit psychischer Gesundheit. Entsprechend den Zusammenhängen physischer und allgemeiner Gesundheitsindikatoren (siehe Abschnitt 4.1.1.2.1 und 4.1.1.2.2) kann also auch hier eine Korrelation zwischen psychischer Gesundheit und Präsentismushäufigkeit festgestellt werden. Die Wirkungsrichtung des Zusammenhangs geht aus den Ergebnissen der Querschnittsstudien nicht hervor. 4.1.1.3 Soziodemografische Faktoren Ob Präsentismus auch im Zusammenhang mit soziodemografischen Faktoren, wie etwa Geschlecht, Alter, Beziehungsstatus, Betreuungspflichten, Bildung und finanzielle Situation, steht, überprüften nachfolgend dargestellte Studienarbeiten. 4.1.1.3.1 Geschlecht Einige Studien zu Präsentismus beschäftigten sich mit der Forschungsfrage, ob das Geschlecht der Beschäftigten einen Unterschied im Krankheitsverhalten bewirkt. Die empirischen Befunde in Tabelle 12 veranschaulichen diesbezüglich eine ambivalente Ergebnislage: Tabelle 12: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Geschlecht Quelle Hägerbäumer 2011: 131 KrankenhausStudie Hägerbäumer 2011: 172 EnergieversorgerStudie Sample Hypothese n= 268 AN (Krankenhaus in NordrheinWestfalen, nicht repräs.) PS n= 722 AN (regionale BusinessUnit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) PS Statistische Analyse Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) Resultate bivariat Resultate multivariat r= ns. (1= weiblich, 2= männlich) (Hägerbäumer 2011: 131) β= ns. (Hägerbäumer 2011: 139) r= ns. (1= weiblich, 2= männlich) (Hägerbäumer 2011: 172) β= ns. (Hägerbäumer 2011: 177) weiblich: Hansen & Andersen 2008: 962 OR= ns. n= 12.935 AN (“Danish core work force”) Pf Logistische Regression (OR) - Anmerkung: UV dichotom Ref.: männlich (Hansen & Andersen 2008: 68 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus 962) männlich: n= 3.801 AN Aronsson et al. 2000: 506 (Statistic Sweden labour market survey) Pf Logistische Regression (OR) - OR= ns. Anmerkung: UV dichotom Ref.: weiblich (Aronsson et al. 2000: 506) weiblich: n= 1.015 MedizinerInnen Rosvold & Bjertness 2001: 72 (The Norwegian Medical Association’s health survey, nicht repräs.) OR= ns. Pf (“employed graduates of a Canadian university business school”, nicht repräs.) Gosselin et al. 2013: 80 Bivariate Korrelation (r) Pf, Ps Pf n= 1.996 MedizinerInnen Sendén et al. 2013: 2 (“HOUPE“ Daten aus 4 europ. Ländern: Schweden n= 1.031, Norwegen n=354, Island n= 242, Italien n=369; nicht repräs.) UV dichotom (Rosvold & Bjertness 2001: 73) n= 1.730 AN (Senior Executives, Public Service of Canada; nicht repräs.) - Ref.: männlich n= 444 AN Johns 2011: 490 Logistische Regression (OR) Anmerkung: Negative Binomiale Regression (B) Pf: r= ns. Ps: r= ns. Pf: B= ns. (1= männlich,, 2= weiblich) Ps: β= ns. Ordinary Least Squares Regression (β) (Johns 2011: 490) Bivariate Korrelation (r) & r= -.080* (0=weiblich, 1=männlich) hierarchische Regression (B) (Gosselin et al. 2013: 80) (Johns 2011: 492) B= ns. (Gosselin et al. 2013: 81) r= -.135* Pf Bivariate Korrelation (r) (n= Sample gesamt) hierarchische lineare Regression (β) (Frauen als Ref.) (Sendén et al. 2013: 3) β= .144* (n= Sample Schweden) (Männer als Ref.) (Sendén et al. 2013: 4) weiblich: OR = ns. Aronsson & Gustafsson 2005: 963 n= 3.136 AN (Statistics Sweden’s labor market survey) Pf Logistische Regression (OR) Anmerkung: UV dichotom Ref.: männlich (Aronsson & Gustafsson 2005: 963) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Während ein Großteil der angeführten Studien keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Geschlecht und Präsentismus findet (Hägerbäumer 2011: 131, 139, Hansen & Andersen 2008: 962, Aronsson et al. 2000: 506, Rosvold & Bjertness 2011: 73, Johns 2011: 490, Aronsson & Gustafsson 2005: 963), berichten Gosselin et al. (2013: 80) eine signifikante Korrelation zu Präsentismus bei weiblichen Beschäftigten. Sendén et al. bestätigen den Zusammenhang im Rahmen einer linearen Regressionsanalyse (2013: 3f). In beiden Studien handelt es sich allerdings um nicht 69 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus repräsentative Stichproben. Hägerbäumer postuliert diesbezüglich, dass der Geschlechtereffekt auf Präsentismus von der Stichprobenverteilung abhängig sein könnte (2011: 91). Zusammengefasst besteht hier, trotz erster Anzeichen eines Zusammenhangs zwischen Frauen und Präsentismus, weiterhin Forschungsbedarf, mit der Berücksichtigung einer repräsentativen Stichprobenkonstellation. 4.1.1.3.2 Alter Welche Bedeutung das Alter der Beschäftigten in der Entscheidung zwischen Krankenstand und Präsentismus aufweist, zeigen die Forschungsergebnisse in Tabelle 13. Tabelle 13: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Alter Quelle Sample Hägerbäumer 2011: 131 n= 268 AN KrankenhausStudie Hägerbäumer 2011: 172 EnergieversorgerStudie (Krankenhaus in Nordrhein-Westfalen, nicht repräs.) Hypothese PS n= 722 AN (regionale BusinessUnit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) PS Statistische Analyse Resultate bivariat Bivariate Korrelation (r) & (0= Jüngere <40 Jahre, Lineare Regression (β) (Hägerbäumer 2011: 131) Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) Resultate multivariat r= -.160* 1= Ältere >39 Jahre) r= ns. (Hägerbäumer 2011: 172) β= ns. (Hägerbäumer 2011: 139) β= .140* (20-29 Jahre) Ref.: 40-49 Jahre (Hägerbäumer 2011: 177) 50-59 Jahre: OR= 0,78* 60-64 Jahre: Hansen & Andersen 2008: 962 n= 12.935 AN (“Danish core work force”) Pf Logistische Regression (OR) OR= 0,64* - Anmerkung: UV polytom: 5 Ausprägungen Ref.: 19-29 Jahre (Hansen & Andersen 2008: 962) >35 Jahre, <25 Jahre: Aronsson et al. 2000: 506 n= 3.801 AN (Statistic Sweden labour market survey) Pf Logistische Regression (OR) OR= ns. Anmerkung: - UV polytom: 5 Ausprägungen Ref.: 25-35 Jahre (Aronsson et al. 2000: 506) Rosvold & Bjertness 2001: 72 n= 1.015 MedizinerInnen (The Norwegian Medical Association’s health Pf Logistische Regression (OR) 30-39 Jahre: - OR= 2.09* KI: 1.10-3.97 70 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Anmerkung: survey, nicht repräs.) UV polytom: 5 Ausprägungen Ref.: 60-69 Jahre (Rosvold & Bjertness 2001: 73) Anmerkung: 40 – 59 Jahre: n= 1.464 AN Vogt et al. 2009: 197 (repräs. Bevölkerungsquerschnitt Deutschland) OR= 0.58* Logistische Regression (OR) Pf UV polytom: 3 Ausprägungen - Ref.: 18-39 Jahre (Vogt et al. 2009: 197) Bivariate Korrelation (r) & n= 1.730 AN Gosselin et al. 2013: 78 (Senior Executives, Public Service of Canada) Pf hierarchische Regression (B) r= -.130* (Ref. Höheres Alter, keine genaueren Angaben von Alterskategorien) B= -.066** (Gosselin et al. 2013: 81) (Gosselin et al. 2013: 80) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Einige der in Tabelle 13 angeführten Studien zeigen, dass jüngere ArbeitnehmerInnen (unter vierzig Jahre) eher mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit in Verbindung stehen, während ArbeitnehmerInnen ab dem vierzigsten oder fünfzigsten Lebensjahr seltener krank in die Arbeit gehen (Hägerbäumer 2011: 131, 177, Hansen & Andersen 2008: 962, Rosvold & Bjertness 2001: 73, Vogt et al. 2009: 197, Gosselin et al. 2013: 80). Aronsson et al. fanden diesbezüglich keinen signifikanten Zusammenhang (2000: 506). 4.1.1.3.3 Beziehungsstatus und Betreuungspflichten Ob der Beziehungsstatus oder Betreuungsbedarf von Kindern einen Unterschied im Krankheitsverhalten von Beschäftigten ausmacht, untersuchten folgende Studien in Tabelle 14. Tabelle 14: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Beziehungsstatus und Betreuungspflichten Variable Quelle (unter Vormundschaft) Hypothese n= 1.730 AN Kinder <18 Jahren Sample Gosselin et al. 2013: 78 (Senior Executives, Public Service of Canada) Pf Statistische Analyse Bivariate Korrelation (r) & hierarchische Regression (B) Resultate bivariat Resultate multivariat r= .054* („children <18 years under custody“, 0= none, 1= one or more) B= ns. (Gosselin et al. 2013: 81) (Gosselin et al. 2013: 80) 71 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Bivariate Korrelation (r) n= 444 AN Kinder <6 Jahren Johns 2011: 489 (“employed graduates of a Canadian university business school”, nicht repräs.) Pf, Ps Gosselin et al. 2013: 78 Ps: r= ns. (Johns 2011: 490) Pf Ps: β= ns. (Johns 2011: 492) r= ns. Bivariate Korrelation (r) (Senior Executives, Public Service of Canada) Pf: B= .31* Pf: r= ns. Ordinary Least Squares Regression (β) n= 1.730 AN Beziehungsstatus Negative Binomiale Regression (B) hierarchische Regression (B) (0= single, 1= married) (Gosselin et al. 2013: 80) B= ns. (Gosselin et al. 2013: 81) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Johns befand in seiner Studie, dass insbesondere ArbeitnehmerInnen mit Kindern unter sechs Jahren mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit in Verbindung stehen (2011: 492). Gosselin et al. diagnostizieren bei Beschäftigten mit Kindern unter achtzehn Jahren, einen schwachen aber signifikant positiven Zusammenhang zur Präsentismusfrequenz (2013: 80). Ob sich berufstätige Personen in einer festen Beziehung befinden oder alleinstehend sind, spielt, nach der Studie von Gosselin et al.. keine signifikante Rolle in der Entscheidung zwischen Krankenstand und Präsentismus (2013: 80). Zusammengefasst zeichnet sich also eine Verbindung zwischen Betreuungspflichten von Kindern (insbesondere unter sechs Jahren) und einer erhöhten Präsentismusfrequenz ab. Hinsichtlich des Beziehungsstands von ArbeitnehmerInnen zeigt sich allerdings keine Relevanz in Bezug auf Präsentismus. 4.1.1.3.4 Bildung Die Relevanz des Bildungsgrads von ArbeitnehmerInnen in Bezug auf Präsentismus, untersuchten Aronsson et al. (2000: 963) und Preisendörfer (2010: 404). Die entsprechenden Ergebnisse sind in Tabelle 15 vorzufinden. Tabelle 15: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Bildung Variable Quelle Sample Bildung Aronsson et al. 2000: 506 (Statistic Sweden labour market survey) Hypothese Statistische Analyse Pf Logistische Regression (OR) Resultate bivariat Resultate multivariat “High school ≤ 2 years” n= 3.801 AN - OR= 1.28* KI: 1.03-1.59 Anmerkung: UV polytom: 5 Ausprägungen 72 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Ref.: “Compulsory school” (Aronsson et al. 2000: 506) n= 333 Personen Bildung in Jahren (+) Preisendörfer 2010: 404 (Quotenstichprobe nach Geschlecht, Alter, Schulbildung; Region in Deutschland) Pf Logistische Regression (OR) - B= -0.11* (Preisendörfer 2010: 407) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Die Untersuchungen des Zusammenhangs zwischen Bildung und Präsentismus (siehe Tabelle 15) zeigen mehrdeutige Ergebnisse: Aronsson et al. verglichen u.a. die Präsentismushäufigkeit von Beschäftigten, die eine zweijährige „High-School“ absolvierten, und jenen, die über einen Pflichtschulabschluss verfügen (2000: 506). Aus den Ergebnissen geht hervor, dass Personen mit High-School Abschluss häufiger Präsentismus aufzeigen, als ArbeitnehmerInnen mit Pflichtschulabschluss (ebd. 2000: 506). Daraus lässt sich die Annahme ableiten, dass bei Berufstätigen mit höherem Bildungsgrad eine erhöhte Präsentismusfrequenz auftritt. Im Gegensatz dazu kam Preisendörfer zu dem Ergebnis, dass ArbeitnehmerInnen mit längerem Bildungsweg, eine geringere Präsentismushäufigkeit aufzeigen (2010: 407). Als Fazit kann hier resümiert werden, dass weiterhin Forschungsbedarf besteht, um die widersprüchlichen Ergebnisse hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Bildung und Präsentismus zu ergänzen. 4.1.1.3.5 Finanzielle Situation Es wurde bereits in mehreren Studien angenommen, dass finanzielle Schwierigkeiten mit einem größeren Anwesenheits- und Leistungsdruck einhergehen, sodass sich betroffene ArbeitnehmerInnen häufiger für Präsentismus entscheiden würden (Hägerbäumer 2011: 91). Empirisch geprüft wurde dieser Zusammenhang allerdings erst selten (Hägerbäumer 2011: 91). Tabelle 16 zeigt einen Auszug an Studienergebnissen zur Wirkung der finanziellen Situation hinsichtlich der Präsentismushäufigkeit von ArbeitnehmerInnen. 73 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Tabelle 16: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Finanzielle Situation Variable Quelle Sample Hypothese Statistische Analyse Resultate bivariat Resultate multivariat “some problems in handling ongoing expenses”: n= 3.136 AN Aronsson & Gustafsson 2005: 963 Finanzielle Lage (-) (Statistics Sweden’s labor market survey) + Pf Logistische Regression (OR) OR= 1.68* KI:1.38-2.04 Anmerkung: - UV dichotom Ref.: “no problem in handling ongoing expenses” (Aronsson & Gustafsson 2005: 963) Hansen & Andersen 2008: 962 n= 12.935 AN (Danish core work force) + Pf OR= ns Anmerkung: Logistische Regression (OR) UV polytom: 4 Ausprägungen - Ref.: 1.Quartil (Hansen & Andersen 2008: 962) n= 3.801 AN Einkommen (+) Aronsson et al. 2000: 503 (Statistic Sweden labour market survey) - Pf Bivariate Korrelation (r) r= -0.22* (Aronsson et al. 2000: 507) - *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Aronsson & Gustafsson ermittelten in ihrer Studie, dass ArbeitnehmerInnen mit finanziellen Schwierigkeiten häufiger krank in die Arbeit gehen, als Beschäftigte die keine finanziellen Probleme aufweisen (2005: 963). Kongruent dazu, zeigt sich ein bivariater Zusammenhang zwischen hohem Einkommen und geringer Präsentismushäufigkeit (Aronsson et al. 2000: 507). Aufgrund der fehlenden Regressionsanalyse ist allerdings der Einfluss dritter Variablen (z.B. Arbeitsplatzunsicherheit) nicht auszuschließen (Hägerbäumer 2011: 92). Folglich bedarf es weiterhin einer genaueren Untersuchung des Zusammenhangs der finanziellen Situation und Präsentismus. Abgesehen davon sollten die Studienergebnisse mit Vorbehalt interpretiert werden, da die Entgeltsfortzahlung im Krankenstand länderspezifisch geregelt wird und sich folglich unterschiedliche finanzielle Schwierigkeiten, im Zuge einer krankheitsbedingten Abwesenheit, ergeben können (Hägerbäumer 2011: 91f, siehe dazu auch Abschnitt 3.4.4.4). 4.1.2 Arbeitsbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus Die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen arbeitsbezogenen Faktoren und Präsentismus beruht auf einem breiten Forschungsbestand. Eine strukturierte Darstellung entsprechender Studienresultate folgt in diesem Kapitel, unterteilt in die Themengebiete Arbeitsbedingungen, Merkmale der Arbeitszufriedenheit und 74 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus arbeitsstrukturelle Variablen. 4.1.2.1 Arbeitsbedingungen Inwiefern diverse Arbeitsbedingungen mit der Präsentismushäufigkeit korrespondieren, wird anhand der nachfolgend dargestellten Untersuchungen zur Wirkung von quantitativer & qualitativer Arbeitsbelastung, „Attendance Requirements“, Work – Life – Balance, sozialem Zusammenhalt, Interdependenzen sowie Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten im Beruf, dargestellt. 4.1.2.1.1 Quantitative Arbeitsbelastung Unter dem Begriff „quantitative Arbeitsbelastung“ subsumiert Hägerbäumer sämtliche tätigkeitsbezogene Faktoren, welche den Umfang und das Ausmaß an Arbeit thematisieren, die wiederum insgesamt eine Belastung für den einzelnen Beschäftigten darstellen können (2011: 83). Inwiefern Anzeichen dieser quantitativen Arbeitsanforderungen mit einer höheren Präsentismusfrequenz korrespondieren, überprüften nachfolgend dargestellte Forschungsarbeiten (siehe Tabelle 17). Tabelle 17: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Quantitative Arbeitsbelastung Variable Quelle „Quantitative Arbeitsbelastung“ (+) Hägerbäumer 2011: 103 Sample Hypothese n= 268 AN “Workload and time pressures” (+) (Krankenhaus in NordrheinWestfalen, nicht repräs.) + PS Statistische Analyse Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) Resultate bivariat r= .317* β= ns. (Hägerbäumer 2011: 131) (Hägerbäumer 2011: 139) β= .181* (“predictor for short-term sickness”: ≤9 sick days) n= 3.825 AN Biron et al. 2006: 31f (Canadian governmental Organisation) + Pp Schrittweise lineare Regression (β) Resultate multivariat - β= .100* (“predictor for long-term sickness”: >9 sick days) (Biron et al. 2006: 33) n= 722 AN Hägerbäumer 2011: 152 (regionale Business-Unit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) + PS Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) r= .284* β= ns. (Hägerbäumer 2011: 172) (Hägerbäumer 2011: 177) “Nearly all the time / About ¾ of the time / Half of the time”: Zeitdruck (+) Aronsson & Gustafsson 2005: 960 n= 3.136 AN (Statistics Sweden’s labor market survey) + Pf Logistische Regression (OR) OR= 1.83* - KI: 1.48-2.26 Anmerkung: UV dichotom Ref.: “Not at all / A little / about ¾ of the 75 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus time” (Aronsson & Gustafsson 2005: 963) “insufficient time”: Hansen & Andersen 2008: 957 n= 12.935 AN (Danish core work force) + Pf Logistische Regression (OR) OR= 1.30* Anmerkung: - UV dichotom Ref.: “sufficient time” (Hansen & Andersen 2008: 962) “number of times that a relatively high level of job stress was reported” “4”: Job Stress (+) Elstad & Vabo 2008: 468 n= 2.447 AN (Altenpflegerinnen, nicht repräs.) OR= 4.10* Pf Logistische Regression (OR) - KI: 2.84-5.91 Anmerkung: UV polytom: 4 Ausprägungen Ref.: “0” (Elstad & Vabo 2008: 472) “never / usually not”: OR= 1.66* „Resources for good performance of work tasks“ (+) Aronsson & Gustafsson 2005: 960 KI: 1.29-2.13 n= 3.136 AN (Statistics Sweden’s labor market survey) - Pf Logistische Regression (OR) Anmerkung: - UV dichotom Ref.: „always / usually“ (Aronsson & Gustafsson 2005: 963) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Anhand der angeführten Ergebnisse in Tabelle 17 kann resümiert werden, dass ArbeitnehmerInnen, die unter starkem Zeitdruck stehen, häufiger krank arbeiten als Beschäftigte, die nur einem geringen oder keinem zeitlichen Engpass am Arbeitsplatz ausgesetzt sind (Aronsson & Gustafsson 2005: 963, Hansen & Andersen 2008: 962). Zusätzlich zum Zeitdruck kann auch ein Übermaß an Arbeitsaufkommen dazu führen, dass ArbeitnehmerInnen häufiger Präsentismus aufzeigen (Biron et al. 2006: 33). Hägerbäumer bestätigt den Zusammenhang zwischen einer hohen quantitativen Arbeitsbelastung bzw. Zeitdruck und einer erhöhten Präsentismushäufigkeit. Die Autorin berichtet allerdings nur in der bivariaten Analyse von einem signifikanten Ergebnis (2011: 131, 172). Insofern kann hier der Einfluss dritter Variablen nicht ausgeschlossen werden. Elstad & Vabo befinden zudem in ihrer Studie, dass Berufstätige unter Arbeitsstress häufiger krank arbeiten, als ArbeitnehmerInnen die diesbezüglich keine Extremwerte 76 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus aufzeigen (2008: 472). Des Weiteren zeigt sich eine erhöhte Präsentismushäufigkeit bei Beschäftigten, die mit einem Mangel an Arbeitsressourcen konfrontiert sind, im Vergleich zu Berufstätigen, die über ausreichend Arbeitsmittel verfügen (Aronsson & Gustafsson 2005: 963). Zusammengefasst sind bei Faktoren der quantitativen Arbeitsbelastung, wie z.B. hohes Arbeitspensum, Zeitdruck, starker Stress und Mangel an Arbeitsressourcen, Zusammenhänge zu einer erhöhten Präsentismusfrequenz zu beobachten. 4.1.2.1.2 Qualitative Arbeitsbelastung Neben der quantitativen Arbeitsbelastung können auch qualitative Aspekte der beruflichen Tätigkeit den Arbeitsalltag erschweren und mit Krankheit bzw. Präsentismus in Verbindung stehen (Hägerbäumer 2011: 104). Studien die einen entsprechenden Zusammenhang untersuchten, sind in Tabelle 18 ersichtlich. Tabelle 18: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Qualitative Arbeitsbelastung Variable Quelle Sample Hypothese Statistische Analyse Resultate bivariat Resultate multivariat “very demanding“: OR= 1.22* “Psychological Demands“ (+) Hansen & Andersen 2008: 959 n= 12.935 AN (Danish core work force) + Pf Logistische Regression (OR) Anmerkung: - UV dichotom Ref.: “non demanding” (Hansen & Andersen 2008: 962) n= 268 AN „Soziale Belastung“ (+) Hägerbäumer 2011: 105 (Krankenhaus in NordrheinWestfalen, nicht repräs.) + PS Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) r= .210* β= ns. (Hägerbäumer 2011: 131) (Hägerbäumer 2011: 139) “nearly all the time /about ¾ of the time”: OR= 1.59* “Conflicting Demands“ (+) Aronsson & Gustafsson 2005: 962 n= 3.136 AN (Statistics Sweden’s labor market survey) + Pf KI: 1.18-2.14 Logistische Regression (OR) Anmerkung: UV polytom: 4 Ausprägungen Ref.: “not at all“ (Aronsson & Gustafsson 2005: 963) n= 237 AN “Job Clarity” (+) Caverley et al. 2007: 309 (Canadian Personnel Corporation, - Pf Bivariate Korrelation (r) r= ns. (Caverley et al. 2007: 310) - 77 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus “involved in a multi-year downsizing initative“, nicht repräs.) n= 3.825 AN Biron et al. 2006: 32 (Canadian governmental Organisation) + Pp - (Biron et al. 2006: 33) n= 1.996 MedizinerInnen “Role conflict” (+) Sendén et al. 2013: 2 (“HOUPE“ Daten aus 4 europ. Ländern: Schweden n= 1.031, Norwegen n=354, Island n= 242, Italien n=369; nicht repräs.) + Pf n= 268 AN „Leistungs- und Erfolgsdruck“ (+) Schrittweise lineare Regression (β) β= .070* (“predictor for longterm sickness”: >9 sick days) Hägerbäumer 2011: 105 (Krankenhaus in NordrheinWestfalen, nicht repräs.) + PS Bivariate Korrelation (r) & Hierarchische Regression (β) Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) r= .214* (n gesamt) (Sendén et al. 2013: 3) β= .157* KI: 0.095-0.218 (n Schweden) (Sendén et al. 2013: 4) r= .202* β= ns. (Hägerbäumer 2011: 131) (Hägerbäumer 2011: 139) n= 237 AN Karriereoptionen (+) Caverley et al. 2007: 308 (Canadian Personnel Corporation, “involved in a multi-year downsizing initative“, nicht repräs.) - Pf Bivariate Korrelation (r) r= -.25* (Caverley et al. 2007: 310) - *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala An den angeführten Forschungsresultaten in Tabelle 18 ist abzulesen, dass ArbeitnehmerInnen, die einer hohen psychischen Belastung ausgesetzt sind, häufiger krank in die Arbeit gehen als Beschäftigte, die geringfügig psychisch herausgefordert werden (Hansen & Andersen 2008: 962). Hägerbäumer untersuchte zudem den Einfluss der sozialen Belastung am Arbeitsplatz mit der Hypothese, dass insbesondere „menschenorientierte“ Berufe im Zuge permanenter „Fürsorge- und Verantwortungspflicht“ (v.a. im Bildungs- und Gesundheitssektor) sozial beansprucht werden (Hägerbäumer 2011: 104f). Anhand der bivariaten Zusammenhangsanalyse kann abgeleitet werden, dass die soziale Belastung am Arbeitsplatz mit einer erhöhten Präsentismusfrequenz korrespondiert (ebd. 2011: 131). Die regressionsanalytische Prüfung des Zusammenhangs zeigte allerdings kein signifikantes Ergebnis (Hägerbäumer 2011: 139). 78 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Belastend können auch widersprüchliche Arbeitsaufgaben oder konträre Rollenerwartungen in der beruflichen Tätigkeit sein. Aronsson & Gustafsson (2005: 962), Biron et al. (2006: 33) und Sendén et al. (2013: 3) befanden in ihren Studien, dass gegensätzliche Arbeitsanforderungen und ambivalente berufliche Funktionen mit einer höheren Präsentismushäufigkeit zusammenhängen. Handelt es sich um ArbeitnehmerInnen, die aufgrund ihrer Arbeit einem starken Leistungs- und Erfolgsdruck ausgesetzt sind (z.B. MedizinerInnen) zeigt sich ebenfalls eine erhöhte Präsentismusfrequenz (Hägerbäumer 2011: 131). Die Signifikanz dieses Zusammenhangs verfällt allerdings unter Kontrolle weiterer Einflussvariablen (Hägerbäumer 2011: 139). Caverley et al. befanden zudem, dass ein breites Kontingent an Karriereoptionen mit einer geringeren Präsentismushäufigkeit korrespondiert (2007: 310). Hier mangelt es jedoch an einer multivariaten Prüfung der Korrelation. Faktoren der qualitativen Arbeitsbelastung zeigen mehrfach Korrelationen zu einer erhöhten Anzahl an Präsentismutagen unter den ArbeitnehmerInnen. Psychische Belastungsfaktoren, soziale Belastung im Zuge von Berufen im Bildungs- und Gesundheitssektor, berufliche Rollenkonflikte und widersprüchliche Arbeitsanforderungen, Leistungs- und Erfolgsdruck sowie ein Mangel an Karriereoptionen, stehen mit einer höheren Präsentismusfrequenz in Verbindung. 4.1.2.1.3 Ersetzbarkeit und „Attendance Requirements“ Folgende Studien in Tabelle 19 überprüften ob eine mangelnde Ersetzbarkeit und „Attendance Requirements“ (siehe Abschnitt 3.4.1) mit Präsentismus in Verbindung stehen: Tabelle 19: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Ersetzbarkeit und „Attendance Requirements“ Variable Quelle Sample Hypothese Statistische Analyse Resultate bivariat Resultate multivariat “Virtually all” OR= 1.34* KI: 1.08-1.65 Ersetzbarkeit (+) Aronsson & Gustafsson 2005: 963 n= 3.136 AN (Statistics Sweden’s labor market survey) - Pf Logistische Regression (OR) Anmerkung: - UV polytom: 4 Ausprägungen Ref.: “None or a small proportion“ (Aronsson & Gustafsson 2005: 962) 79 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Bivariate Korrelation (r) n= 444 AN Johns 2011: 485 (“employed graduates of a Canadian university business school”, nicht repräs.) - Pf, - Ps Negative Binomiale Regression (B) Ordinary Least Squares Regression (β) Pf: r= ns. Ps: r= -.11* (Johns 2011: 490) Pf: B= .17* Ps: β= ns. (Johns 2011: 492) “virtually all” OR= 2.29* KI: 1.79-2.93 Aronsson et al. 2000: 503 n= 3.801 AN (Statistic Sweden labour market survey) - Pf Logistische Regression (OR) Anmerkung: - UV polytom: 4 Ausprägungen Ref.: „Non or only a small proportion“ (Aronsson et al. 2000: 506) Marginal effect: -0.11* Böckerman & Laukkanen 2009: 44 Anmerkung: n= 725 AN (Central Organisation of Finnish Trade Unions) Pf Logistische Regression (OR) - UV dichotom Ref. “No replacement” (Böckerman & Laukkanen 2009: 45) Bivariate Korrelation (r) n= 444 AN “Task significance” (“dependency of external others e.g. clients and customers”) (+) Johns 2011: 484 (“employed graduates of a Canadian university business school”, nicht repräs.) + Pf, +Ps Ordinary Least Squares Regression (β) n= 1.730 AN Verantwortungsbereich (+) Gosselin et al. 2013: 80 (Senior Executives, Public Service of Canada) Negative Binomiale Regression (B) Pf Bivariate Korrelation (r) & Hierarchische Regression (B) Pf: r= ns. Ps: r= ns. (Johns 2011: 490) r= ns. (Gosselin et al. 2013: 80) Pf: B=.17* Ps: β= ns. (Johns 2011: 492) B= .060* (Gosselin et al. 2013: 81) “sick attender many times”: Frauen: „Attendance Requirements“ (+) Johansson & Lundberg 2004: 1859 n= 4.924 (EinwohnerInnen in Stockholm) + Pf Logistische Regression (OR) OR= 12* KI: 8.2-20 Männer: - OR= 18* KI: 10-31 Anmerkung: UV dichotom Ref.: „no sickness attendance“ (Johansson & Lundberg 2004: 80 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus 1865) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Anhand der Forschungsergebnisse in Tabelle 19 zeichnet sich die Interpretation ab, dass bei fehlender Ersetzbarkeit am Arbeitsplatz eher eine höhere Präsentismusfrequenz zu erwarten ist, als bei KollegInnen, denen ausreichend Vertretungsmöglichkeiten im Krankenstand zur Verfügung stehen (Aronsson et al. 2000: 506, Aronsson & Gustafsson 2005: 962, Johns 2011: 492, Böckerman & Laukkanen 2009: 45). Johns befindet hierzu allerdings in der Regressionanalyse, entgegen der Forschungshypothese, das Ergebnis, dass Personen die gut ersetzbar sind, häufiger krank arbeiten (2011: 491). Als Erklärungsansatz führt Johns hierzu an: „In this well educated sample, it is possible that the easily replaced were those holding lower status, less unique jobs and who thus lacked the social credits to take time off when sick“ (2011: 493). ArbeitnehmerInnen die gut ersetzbar sind, befinden sich möglicherweise in niedrigeren Jobpositionen – im entsprechenden beruflichen Kontext, sei es möglicherweise schwieriger, sich einen Krankenstand im Krankheitsfall leisten zu können (ebd. 2011: 493). Gosselin et al. beobachten zudem einen Zusammenhang zu einer erhöhten Präsentismusfrequenz bei ArbeitnehmerInnen mit großem Verantwortungsbereich am Arbeitsplatz (2013: 81). Darüber hinaus zeigt sich, dass auch die Verantwortungspflicht gegenüber PatientInnen, KlientInnen oder KundInnen einen Anwesenheitsdruck erzeugen kann, sodass betroffene Berufstätige (z.B. Ärzte und Ärztinnen) im Krankheitsfall häufiger krank arbeiten (Johns 2011: 492). Bei „Attendance requirements“ (siehe dazu auch Abschnitt 3.4.1) handelt es sich um berufliche Rahmenbedingungen wie z.B. zeitlichem Engpass oder mangelnde Vertretungsmöglichkeiten, die insgesamt einen Anwesenheitsdruck unter betroffenen ArbeitnehmerInnen erzeugen und mit einer erhöhten Präsentismusrate korrespondieren (Johansson & Lundberg 2004: 1865). Sowohl die fehlende Ersetzbarkeit im Beruf als auch Verantwortungspflichten gegenüber KundInnen, KollegInnen, MitarbeiterInnen etc. stehen größtenteils mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit in Verbindung. Auch sogenannte „attendance requirements“ erhöhen den Anwesenheitsdruck unter ArbeitnehmerInnen und korrelie81 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus ren mit der Präsentismushäufigkeit positiv. 4.1.2.1.4 Work-Life-Balance Die Verbindung von beruflichen Anforderungen und Familie gelingt nicht immer für berufstätige Väter und Mütter. Die fehlende Balance zwischen beruflicher und privater Sphäre kann eine substanzielle Belastung für Betroffene darstellen. Johns differenziert hierbei zwischen einem „Work to family conflict“ und „Family to work conflict“ (2011: 487). Im „Work to family conflict“ überwiegt die berufliche Belastung und grenzt den Handlungsspielraum im familiären Kreis ein, während im „Family to work conflict“ die privaten Verpflichtungen Überhand nehmen und den beruflichen Alltag erschweren (Johns 2011: 487). In Tabelle 20 sind Resultate aus Forschungsarbeiten aufgelistet, die das Verhältnis zwischen privater und beruflicher Sphäre im Zusammenhang mit Präsentismus untersuchten. Tabelle 20: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Work-Life-Balance Variable Quelle Sample Hypothese n= 722 AN Hägerbäumer 2011: 153 (regionale BusinessUnit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) + PS Statistische Analyse Resultate bivariat Resultate multivariat Bivariate Korrelation (r) u. Lineare Regression (β) r= .330* β= .120* (Hägerbäumer 2011: 172) (Hägerbäumer 2011: 177) “strongly agree”: OR= 2.94* n= 126 AN “Work-toPrivacy conflict” (+) Cicey 2012: 6 (“convenience sample“, Rumänische Organisationen, nicht repräs.) + Pf Logistische Regression (OR) KI: 1.69-5.14 Anmerkung: UV polytom: 5 Ausprägungen - Ref.: “strongly disagree” (Cicey 2012: 8) Bivariate Korrelation (r) n= 444 AN Johns 2011: 487 (“employed graduates of a Canadian university business school”, nicht repräs.) + Pf, + Ps Negative Binomiale Regression (B) Ordinary Least Squares Regression (β) Pf: r= ns. Ps: r= .26* (Johns 2011: 490) Pf: B= .18* Ps: β= .23* (Johns 2011: 492) Bivariate Korrelation (r) “Family to work conflict” (+) n= 444 AN Johns 2011: 487 (“employed graduates of a Canadian university business school”, nicht repräs.) - Pf, - Ps Negative Binomiale Regression (B) Ordinary Least Squares Regression (β) Pf: r= ns. Ps: r= ns. (Johns 2011: 490) Pf: β= ns. Ps: β= ns. (Johns 2011: 492) 82 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus “home more taxing than work”: OR= 1.40* Stress in privater Sphäre (+) Anmerkung: Hansen & Andersen 2008: 958 n= 12.935 AN (Danish core work force) + Pf Logistische Regression (OR) - UV dichotom Ref.: “home more taxing than work vs. home no more taxing” (Hansen & Andersen 2008: 962) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Hägerbäumer (2011: 172,177) als auch Johns (2011: 487) befanden in ihren Studien, dass die fehlende Balance zwischen beruflicher und privater Sphäre zu einer erhöhten Präsentismushäufigkeit führen kann (auch unter Kontrolle weiterer Einflussfaktoren). Auch Cicey (2012: 8) bestätigte einen gleichsinnigen Zusammenhang, verweist allerdings auf methodische Schwächen in ihrer Studie (z.B. keine Kontrolle der Gesundheitsvariable). Der Einfluss eines „Family-to-Work“ Konflikts konnte in der Untersuchung von Johns nicht bestätigt werden (2011: 490f). Hansen & Andersen befanden allerdings, dass ArbeitnehmerInnen, die ihr Privatleben im Vergleich zur beruflichen Tätigkeit als belastender empfinden, eine höhere Präsentismushäufigkeit aufweisen (2008: 962). Resümierend kann auf Basis der Studienergebnisse festgehalten werden, dass eine fehlende Balance zwischen Beruf und Privatleben, mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit korrespondiert. Hansen & Andersen deuten zudem darauf hin, dass auch eine höhere Stressbelastung in privater Sphäre als im Berufsleben, mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit in Verbindung stehen kann (2008: 962). 4.1.2.1.5 Soziale Beziehungen Der Abwägungsprozess zwischen Krankenstand und Präsentismus ist in ein Netzwerk an „sozialen Beziehungen am Arbeitsplatz“ eingebettet (Hägerbäumer 2011: 85). Ob die Beziehungsqualität unter KollegInnen und Vorgesetzten im Zusammenhang mit Präsentismus steht, untersuchten folgende Studien in Tabelle 21. 83 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Tabelle 21: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Soziale Beziehungen Variable Quelle Sample Hypothese Statistische Analyse Resultate bivariat - Pf Bivariate Korrelation (r) (Caverley et al. 2007: 310) Pf Bivariate Korrelation (r) & Hierarchische Regression (B) - Pf Bivariate Korrelation (r) Resultate multivariat n= 237 AN Caverley et al. 2007: 308f “Supervisor support” (+) (Canadian Personnel Corporation, “downsizing initative“, nicht repräs.) n= 1.730 AN Gosselin et al. 2013: 80 (Senior Executives, Public Service of Canada) r= -.21* - r= -.111* B= ns. (Gosselin et al. 2013: 80) (Gosselin et al. 2013: 81) n= 237 AN Caverley et al. 2007: 309 “Peer support” (+) (Canadian Personnel Corporation, “downsizing initative“, nicht repräs.) - Pf Bivariate Korrelation (r) & Hierarchische Regression (B) r= -.165* (Gosselin et al. 2013: 80) B= -.067* (Gosselin et al. 2013: 81) +Pp Schrittweise lineare Regression (β) - (Biron et al. 2006: 33) - Pf Bivariate Korrelation (r) (Caverley et al. 2007: 310) r= -.211* β= ns. - PS Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) (Hägerbäumer 2011: 172) (Hägerbäumer 2011: 177) n= 1.730 AN Beziehungsqualität zu KollegInnen (+) Gosselin et al. 2013: 80 (Senior Executives, Public Service of Canada) Biron et al. 2006: 32 (Canadian governmental Organisation) r= ns. (Caverley et al. 2007: 310) n= 3.825 AN β= ns. n= 237 AN Vertrauen zu KollegInnen (+) Caverley et al. 2007: 308 (Canadian Personnel Corporation, “involved in a multi-year downsizing initative“, nicht repräs.) n= 722 AN Soziale Rückendeckung (+) Hägerbäumer 2011: 156 (regionale Business-Unit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) r= -.24* - “low social support“ OR= 1.24* Anmerkung: “Social Support“ (-) Hansen & Andersen 2008: 957 n= 12.935 AN (Danish core work force) + Pf Logistische Regression (OR) UV dichotom Ref.: „high social support“ (Hansen & Andersen 2008: 962) n= 1.730 AN “Intragroup conflict” (+) Gosselin et al. 2013: 80 (Senior Executives, Public Service of Canada) Pf Bivariate Korrelation (r) & Hierarchische Regression (β) r= .134* B= ns. (Gosselin et al. 2013: 80) (Gosselin et al. 2013: 81) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala 84 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Wenn ArbeitnehmerInnen das Gefühl haben, ausreichend durch ArbeitskollegInnen unterstützt zu werden („peer support), gehen sie auch seltener krank in die Arbeit (Gosselin et al. 2013: 80). Mit diesem Ergebnis übereinstimmend, befinden Hansen & Andersen, dass Beschäftigte mit geringem sozialen Beistand, häufiger Präsentismus zeigen als jene, die sich auf Hilfestellungen aus ihrem sozialen Netzwerk verlassen können (2008: 962). Auch Hägerbäumer bestätigte eine Korrelation zwischen „sozialer Rückendeckung“ und einer geringeren Präsentismushäufigkeit (2011: 172). Die multivariate Korrelationsanalyse zeigte jedoch kein signifikantes Ergebnis (2011: 177). Caverley et al. befanden zudem, dass eine gute Vertrauensbasis zu KollegInnen mit einer reduzierten Präsentismusfrequenz korrespondiert (2007: 310). Der potentielle Einfluss weiterer Determinanten wurde dabei nicht untersucht. Nicht nur die Unterstützung und das Vertrauen von Seiten der KollegInnen, sondern auch der Beistand durch vorgesetzte Personen korreliert mit einer geringeren Präsentismusfrequenz (Caverley et al. 2007: 310, Gosselin et al. 2013: 80). Die Signifikanz des Zusammenhangs hält jedoch in der Regressionsanalyse nicht Bestand (Gosselin et al. 2013: 81). Ein Konflikt unter MitarbeiterInnen zeigt in der bivariaten Analyse eine erhöhte Präsentismusfrequenz (Gosselin et al. 2013: 80). Werden jedoch weitere Einflussvariablen kontrolliert, verfällt der signifikante Einfluss der Variable (ebd. 2013: 81). Zusammengenommen zeigt sich, dass die soziale Unterstützung durch KollegInnen und Vorgesetzte mit einer reduzierten Präsentismushäufigkeit in Verbindung steht. Zudem korrespondieren hohes Vertrauen und geringe Konflikthäufigkeit unter Beschäftigten, mit einer niedrigen Ausprägung an Präsentismustagen. 4.1.2.1.6 Interdependenzen Je frequentierter und enger die Teamzusammenarbeit am Arbeitsplatz, umso eher ist zu erwarten, dass sich die gegenseitige Abhängigkeit unter den Teammitgliedern verstärkt (Hägerbäumer 2011: 85). In den folgenden Präsentismusstudien wurde dementsprechend angenommen, dass mit zunehmenden Interdependenzen unter den ArbeitskollegInnen, ein gewisser Anwesenheitsdruck bzw. Präsentismus initiiert wird. Die entsprechenden Ergebnisse sind in Tabelle 22 angeführt. 85 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Tabelle 22: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Interdependenzen durch Teamarbeit Variable Quelle Sample Hypothese n= 268 AN Hägerbäumer 2011: 106 (Krankenhaus in NordrheinWestfalen, nicht repräs.) Hägerbäumer 2011: 153 (regionale Business-Unit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) Resultate bivariat Resultate multivariat r= .211* β= ns. + PS Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) (Hägerbäumer 2011: 131) (Hägerbäumer 2011: 139) r= .168* β= ns. + PS Bivariate Korrelation (r) & Lineare Regression (β) (Hägerbäumer 2011: 172) (Hägerbäumer 2011: 177) n= 722 AN „Kooperationsenge / Interdependenzen” (+) Statistische Analyse „high degree“: OR= ns. Anmerkung: Hansen & Andersen 2008: 959 n= 12.935 AN (Danish core work force) + Pf Logistische Regression (OR) - UV polytom: 3 Ausprägungen Ref.: low degree (Hansen & Andersen 2008: 962) Bivariate Korrelation (r) n= 444 AN “interdependent tasks” (+) Johns 2011: 485 (“employed graduates of a Canadian university business school”, nicht repräs.) + Pf, +Ps Negative Binomiale Regression (B) Ordinary Least Squares Regression (β) Pf: r= ns. Pf: B= ns. Ps: r= .15* Ps: β= .13* (Johns 2011: 490) (Johns 2011: 492) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Anhand der Studienergebnisse in Tabelle 22 ist ersichtlich, dass eine hoch ausgeprägte Teamarbeit bzw. Kooperationsenge am Arbeitsplatz mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit korrespondiert (Hägerbäumer 2011: 131, 172). Bei Kontrolle weiterer Einflussfaktoren verfällt allerdings die Signifikanz des Zusammenhangs (Hägerbäumer 2011: 139, 177). Johns befand hingegen auch in der linearen Regressionsanalyse, dass „interdependent tasks“ bzw. Arbeitsaufgaben die eine gegenseitige Zusammenarbeit abverlangen, die Tendenz zu Präsentismus im Krankheitsfall begünstigen (Johns 2011: 492). Im Rahmen der angeführten Studienresultate kann folglich resümiert werden, dass hohe Interdependenzen und Kooperationsenge unter ArbeitnehmerInnen mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit verbunden sind. 86 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus 4.1.2.1.7 Handlungs- und Gestaltungsspielraum Je nach Ausbildungslevel und Beschäftigungsform impliziert jede berufliche Tätigkeit einen gewissen Grad an Autonomie und Handlungsspielraum. Dieser determiniert die Gestaltungsmöglichkeiten der eigenen „Arbeitsschritte, -inhalte und – organisation“ (Hägerbäumer 2011: 155). Johansson & Lundberg bezeichneten jene „Bewegungsfreiheit“ im Beruf als „adjustment latitude“ und untersuchten diese erstmalig als potentiellen Einflussfaktor von Präsentismus (2004: 1859, siehe Tabelle 23). Die Hypothese bestand darin, dass mit zunehmenden „adjustment latitude“ mehr Möglichkeiten bestehen, die beruflichen Aufgaben an eine etwaige Krankheit anzupassen. Dementsprechend ging man davon aus, dass hoher „adjustment latitude“ zu mehr Präsentismus führt (Johansson & Lundberg 2004: 1859). Diese Hypothese konnte in der logistischen Regressionsanalyse, unter Kontrolle weiterer Einflussvariablen, allerdings nicht bestätigt werden (2004: 1865) (siehe dazu auch Abschnitt 3.4.1). Gegensätzlich zur Hypothese von Johansson & Gustafsson zeigt ein weiterer Befund in nachfolgender Tabelle 23, dass Berufstätige mit reduzierten Kontroll- und Handlungsmöglichkeiten, häufiger krank in die Arbeit gehen als Personen mit größerem Handlungsspielraum (Aronnson & Gustafsson 2005: 963). Äquivalent dazu berichten Vogt et al. in ihrer Studie, dass ArbeitnehmerInnen, die einen hohen Grad an Fremdbestimmung in der Arbeitsausführung erfahren, eine höhere Präsentismusfrequenz aufzeigen als jene, die eher autonom arbeiten (2009: 195). Tabelle 23: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren des Präsentismus: Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten Variable Quelle Sample Hypothese Autonomie (+) “Fremdbestimmung” (+) Vogt et al. 2009:195 (“employed graduates of a Canadian university business school”, nicht repräs.) Resultate bivariat Resultate multivariat Bivariate Korrelation (r) n= 444 AN Johns 2011: 485 Statistische Analyse + Pf, +Ps Negative Binomiale Regression (B) Ordinary Least Squares Regression (β) Pf: r= ns. Ps: r= ns. (Johns 2011: 490) Pf: B= ns. Ps: β= ns. (Johns 2011: 492) n= 1.464 AN hoch: (repräs. Bevölkerungsquerschnitt Deutschland) OR= 1.89* Pf Logistische Regression (OR) - Anmerkung: UV polytom: Skala 87 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Ref.: gering (Vogt et al. 2009: 197) n= 722 AN Handlungsspielraum (+) Hägerbäumer 2011: 155 (regionale Business-Unit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) - PS Bivariate Korrelation (r) u. Lineare Regression (β) r= ns. (Hägerbäumer 2011: 172) β= ns. (Hägerbäumer 2011: 177) “sick attender many times”: Frauen: OR= ns. „Adjustment Latitude“ (-) Johansson & Lundberg 2004: 1859 Männer: OR= ns. n= 4.924 (EinwohnerInnen in Stockholm) - Pf Logistische Regression (OR) - Anmerkung: UV polytom Ref.: “no sickness attendance” (Johansson & Lundberg 2004: 1865) „a little (perhaps 1/10 of the time) / Not at all”: OR= 1.43* “Control – determining pace of work“ (+) Aronsson & Gustafsson 2005: 960 KI: 1.16-1.76 n= 3.136 AN (Statistics Sweden’s labor market survey) + Pf Logistische Regression (OR) Anmerkung: - UV polytom: 3 Ausprägungen Ref.: “Nearly all the time /About ¾ of the time“ (Aronsson & Gustafsson 2005: 963) „low control“: OR= ns. “Control over work tasks“ (+) Hansen & Andersen 2008: 957 n= 12.935 AN (Danish core work force) Pf Logistische Regression (OR) Anmerkung: - UV dichotom Ref.: “high control” (Hansen & Andersen 2008: 962) “Work control” (+) Gosselin et al. 2013: 80 n= 1.730 AN (Senior Executives, Public Service of Canada) Pf Bivariate Korrelation (r) & Hierarchische Regression (B) r= -.158* (Gosselin et al. 2013: 80) B= ns. (Gosselin et al. 2013: 81) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Entgegengesetzt zur Hypothese von Johansson & Lundberg, Aronsson & Gustafsson zeigte sich, dass ein höherer Handlungs- und Gestaltungsspielraum im Beruf nicht zwingend mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit einhergehen muss. Anhand der angeführten Studienresultate in Tabelle 23 zeichnet sich hingegen die Beobachtung ab, dass Beschäftigte mit wenig Kontroll- und Steuerungsmöglichkeiten im Job häufiger krank arbeiten, als autonomere KollegInnen. Aronsson & Gustafsson erklären sich diese Korrelation damit, dass ArbeitnehmerInnen mit höherem „adjustment latitude“ meistens auch ein höheres Bildungslevel und 88 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus einen besseren allgemeinen Gesundheitszustand aufweisen, sodass sie insgesamt weniger Krankheitstage und damit auch weniger Präsentismus aufzeigen (2005: 964). Der positive Zusammenhang zwischen niedrigem Gestaltungsspielraum und Präsentismus blieb allerdings auch nach Kontrolle des allgemeinen Gesundzeitszustands in der logistischen Regressionsanalyse erhalten (Aronsson & Gustafsson 2005: 964). Als Fazit kann hier festgehalten werden, dass hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Autonomie im Beruf und Präsentismus, weiterhin Forschungsbedarf besteht. 4.1.2.2 Arbeitszufriedenheit Als weitere Ergänzung des Reviews, folgt im nachstehenden Kapitel eine Zusammenfassung an Forschungsarbeiten, welche die Wirkung von Arbeitszufriedenheit, Arbeitsfreude und „organizational commitment“ in Bezug auf Präsentismus untersuchten. Die jeweiligen Ergebnisse sind hierzu in folgender Tabelle 24 aufgelistet. Tabelle 24: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Arbeitszufriedenheit und „organizational commitment“ Variable Quelle Hägerbäumer 2011: 161 Sample Hypothese Statistische Analyse Resultate bivariat - PS Bivariate Korrelation (r) u. Lineare Regression (β) (Hägerbäumer 2011: 172) - Pf Bivariate Korrelation (r) Pf Bivariate Korrelation (r) u. Hierarchische Regression (B) Pf Lineare Regression (β) n= 722 AN (regionale BusinessUnit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) n= 237 AN Caverley et al. 2007: 309 Arbeitszufriedenheit (+) (Canadian Personnel Corporation, “involved in a multi-year downsizing initative“, nicht repräs.) Rantanen & Tuominen 2011: 226 (Senior Executives, Public Service of Canada) (Caverley et al. 2007: 310) - r= -.225* B= ns. (Gosselin et al. 2013: 80) (Gosselin et al. 2013: 81) - (Rantanen & Tuominen 2011: 228) n= 272 AN (KrankenpflegerInnen & MedizinerInnen in Finnland, nicht repräs.) β= ns. (Hägerbäumer 2011: 177) r= -.14* n= 1.730 AN Gosselin et al. 2013: 80 r= -.268* Resultate multivariat β= -.013* “extremely dissatisfied”: Arbeitszufriedenheit (-) Rosvold & Bjertness 2001: 72 OR= 1.03* KI: 1.01-1.05 n= 1.015 MedizinerInnen (The Norwegian Medical Association’s health survey, nicht repräs.) + Pf Logistische Regression (OR) Anmerkung: - UV polytom: 7 Ausprägungen Ref.: “extremely satisfied” (Rosvold & Bjertness 2001: 73) 89 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus „wenig Arbeitsfreude“: OR= 3.07* n= 1.464 AN Arbeitsfreude (-) Vogt et al. 2009: 196 (repräs. Bevölkerungsquerschnitt Deutschland) Pf n= 1.730 AN “Organizational Commitment” (+) Gosselin et al. 2013: 79 (Senior Executives, Public Service of Canada) Pf Anmerkung: Logistische Regression (OR) - Bivariate Korrelation (r) u. Hierarchische Regression (B) r= -.139* (Gosselin et al. 2013: 80) UV dichotom Ref.: „viel Arbeitsfreude (Vogt et al. 2009: 197) B= ns. (Gosselin et al. 2013: 81) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala ArbeitnehmerInnen, die von wenig Arbeitsfreude berichten, gehen im Vergleich zu arbeitsfreudigeren Beschäftigten häufiger krank in die Arbeit (Vogt et al. 2009: 197). Zudem zeigen Personen, die eine geringere Arbeitszufriedenheit aufweisen, eine erhöhte Präsentismushäufigkeit im Vergleich zu ArbeitnehmerInnen, die mit ihrer Arbeit äußerst zufrieden sind (Rosvold & Bjertness 2001: 71, Rantanen & Tuominen 2011: 228). Gosselin et al. befanden außerdem, dass ein Verbundenheitsgefühl mit dem jeweiligen Unternehmen („organizational commitment“) mit einer geringeren Präsentismusfrequenz korreliert (2013: 80). Die Regressionsanalyse zeigte diesbezüglich allerdings keinen signifikanten Zusammenhang (Gosselin et al. 2013: 81). Zusammengenommen zeichnet sich also die Tendenz ab, dass arbeitsfreudige bzw. arbeitszufriedene ArbeitnehmerInnen, die sich dem jeweiligen Unternehmen zugehörig fühlen, mit einer geringeren Präsentismushäufigkeit in Verbindung stehen. 4.1.2.3 Arbeitsstrukturelle Faktoren Als arbeitsstrukturelle Faktoren werden die Variablen Arbeitszeit, beruflicher Status, Beschäftigungsform und Arbeitsplatzunsicherheit subsumiert, da sie keine tätigkeitsspezifischen Anforderungen oder Eigenschaften beschreiben, sondern über die Rahmenbedingungen der Tätigkeit Auskunft geben. Nachfolgendes Kapitel gibt Auskunft über entsprechende Studienresultate hinsichtlich des Zusammenhangs zu Präsentismus. 90 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus 4.1.2.3.1 Arbeitszeit Hägerbäumer postuliert, dass ein hohes Ausmaß an Überstunden einerseits dafür sprechen kann, dass betroffene ArbeitnehmerInnen „sehr viel Zeit in ihre Arbeit investieren“ und „auch im Krankheitsfall dazu tendieren, ihren beruflichen Aufgaben höchste Priorität einzuräumen“ (2011: 106). Andererseits lassen permanente Überstunden auf einen hohen Anwesenheitsdruck durch quantitative Arbeitsbelastungen vermuten, wodurch wiederum ein Fernbleiben von der Arbeit bei Krankheit erschwert werden kann (Hansen & Andersen 2008: 957). Inwiefern Mehrarbeit, Schichtarbeit, Teilzeitarbeit, Vollzeitarbeit und das Verhältnis der gewünschten und tatsächlichen Arbeitszeit, eine Rolle für das Krankheitsverhalten spielt, überprüften folgende Studien in Tabelle 25. Tabelle 25: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Arbeitszeit Variable Quelle Sample Hypothese Statistische Analyse Resultate bivariat Resultate multivariat ”non standard worktime“: “NonStandard Worktime” (z.B. Schichtarbeit) (+) OR= 1.16* Hansen & Andersen 2008: 957 n= 12.935 AN (Danish core work force) + Pf Logistische Regression (OR) Anmerkung: - UV dichotom Ref.: “standard work time” (Hansen & Andersen 2008: 962) n= 272 AN “One-Shift work” (+) Rantanen & Tuominen 2011: 226 (KrankenpflegerInnen & MedizinerInnen in Finnland, nicht repräs.) Pf Lineare Regression (β) + Pf Bivariate Korrelation (r) + PS Bivariate Korrelation (r) u. Lineare Regression (β) β= .438* - (Rantanen & Tuominen 2011: 228) n= 237 AN Überstunden (+) Caverley et al. 2007: 309 (Canadian Personnel Corporation, “involved in a multiyear downsizing initative“, nicht repräs.) n= 268 AN Geleistete Überstunden (+) Hägerbäumer 2011: 107 (Krankenhaus in NordrheinWestfalen, nicht repräs.) r= .18* (Caverley et al. 2007: 310) r= .217* (Hägerbäumer 2011: 131) - β= ns. (Hägerbäumer 2011: 139) Marginal effect: 0.118* “regular overtime” (+) >45h / Woche (+) Böckerman & Laukkanen 2009: 44 Hansen & Andersen n= 725 AN (Central Organisation of Finnish Trade Unions) n= 12.935 AN (Danish core Pf Logistische Regression (OR) Anmerkung: - UV dichotom Ref.: “occasional or none” (Böckerman & Laukkanen 2009: 45) + Pf Logistische Regression - >45h: OR= 1.45* 91 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus 2008: 957 work force) Anmerkung: (OR) UV polytom: 3 Ausprägungen (<37h/37-45h/>45h) Ref.: <37h (Hansen & Andersen 2008: 962) Gosselin et al. 2013: 79 >48 h / Woche (+) Teilzeit (+) Böckerman & Laukkanen 2009: 44 Aronsson et al. 2000: 506 n= 1.730 AN (Public Service of Canada) Pf n= 725 AN (Central Organisation of Finnish Trade Unions) n= 3.801 AN (Statistic Sweden labour market survey) Pf Pf Bivariate Korrelation (r) u. Hierarchische Regression (B) Logistische Regression (Marginal Effect) Logistische Regression (OR) r= ns. (Gosselin et al. 2013: 80) B= ns. (Gosselin et al. 2013: 81) “Marginal effect”: 0.227* Anmerkung: - UV dichotom Ref.: “otherwise” (Böckerman & Laukkanen 2009: 45) OR= 1.26* KI: 1.05-1.52 Anmerkung: - UV dichotom Ref.: “Full time” (Aronsson et al. 2000: 506) Permanente Vollzeitarbeit (+) Böckerman & Laukkanen 2009: 44 n= 725 AN (Central Organisation of Finnish Trade Unions) Pf Logistische Regression (Marginal effect) Marginal effect: 0.109* Anmerkung: UV dichotom - Ref.: “fixed-term or part-time work” (Böckerman & Laukkanen 2009: 45) “Overall working-time balance”: “Desired and actual weekly working hours match” (+) Böckerman & Laukkanen 2009: 44 n= 725 AN (Central Organisation of Finnish Trade Unions) Pf Logistische Regression (Marginal effect) Marginal effect: -0.077* Anmerkung: - UV dichotom Ref.: “otherwise” (Böckerman & Laukkanen 2009: 45) Marginal effect: -0.085* (gesamt) Böckerman & Laukkanen 2010: 333 n= 884 AN (Central Organisation of Finnish Trade Unions) Pf Logistische Regression (Marginal effect) -0.196* (“poor health“) - Anmerkung: UV dichotom Ref.: “otherwise” (Böckerman & Laukkanen 2010: 334) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala ArbeitnehmerInnen mit atypischen Arbeitszeiten wie z.B. Schichtarbeit, zeigen, im Vergleich zu Berufstätigen mit Standard-Arbeitszeiten, eine erhöhte Präsentismusfrequenz (Hansen & Andersen 2008: 962, Rantanen & Tuominen 2011: 228). Böckerman & Laukkanen befanden zudem, dass ArbeitnehmerInnen, die regelmäßig Überstunden aufweisen auch häufiger krank in die Arbeit gehen als Beschäftigte, die nur gelegentlich oder gar keine Überstunden schreiben (2009: 45). Hägerbäumer 92 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus (2011: 131) und Caverley et al. (2007: 310) bestätigen diesbezüglich eine bivariate Korrelation zwischen einer erhöhten Anzahl an Überstunden und hoher Präsentismushäufigkeit. Bei einem Arbeitsstundenpensum von über fünfundvierzig Stunden pro Woche, ist nach den Ergebnissen von Hansen & Andersen (2008: 957) eine erhöhte Präsentismushäufigkeit zu erwarten, während bei Böckerman & Laukkanen (2009: 44) ein Arbeitsumfang von über achtundvierzig Wochenstunden mit einer höheren Anzahl an Präsentismustagen korrespondiert. Beschäftigte die über ein ausgewogenes Verhältnis zwischen der gewünschten und tatsächlichen Arbeitszeit berichten, gehen hingegen seltener krank in die Arbeit, im Vergleich zu ArbeitnehmerInnen deren Arbeitszeit nicht ihren Erwartungen („Working-Time-Balance“) entspricht (Böckermann & Laukkanen 2009: 45 u. 2010: 334). Aronsson et al. befinden zudem, dass auch Teilzeit-Beschäftigte häufiger krank arbeiten anstatt Krankenstand zu nehmen (2000: 506). Dieses Ergebnis steht allerdings im Widerspruch zum Forschungsresultat von Böckerman & Laukkanen, die bei Personen mit permanenter Vollzeitarbeit eine höhere Präsentismushäufigkeit beobachten als bei ArbeitnehmerInnen, mit befristeter oder Teilzeit-Beschäftigung (2009: 45). Böckerman & Laukkanen erklären sich diese Korrelation damit, dass Personen in dauerhafter Vollzeit-Beschäftigung meistens über mehr Handlungs- und Kontrollmöglichkeiten verfügen und damit schwieriger zu ersetzen sind als befristete Beschäftigte oder TeilzeitarbeiterInnen (2009: 45). Im Überblick der Studienergebnisse wird deutlich, dass atypische Arbeitszeiten in Form von Schichtarbeit sowie Überstunden und ein Wochenstundenpensum von über fünfundvierzig Stunden, mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit in Verbindung stehen. Inwiefern Teilzeitarbeit im Vergleich zur Vollzeitarbeit mit der Präsentismushäufigkeit im Zusammenhang steht, wird kontrovers diskutiert: Aronsson & Gustafsson berichten davon, dass ArbeitnehmerInnen in Teilzeit häufiger Präsentismus aufzeigen, während Böckerman & Laukkanen eine Verbindung zwischen Vollzeitarbeit und erhöhter Präsentismusfrequenz sehen. Letztere Autoren beobachten zudem, dass ein ausgewogenes Verhältnis an gewünschter und tatsächlicher Arbeitszeit, mit einer geringeren Präsentismushäufigkeit korrespondiert. 93 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus 4.1.2.3.2 Beruflicher Status Der berufliche Status geht mit unterschiedlichen Arbeitsbedingungen einher. Je weiter ArbeitnehmerInnen in der Hierarchie einer Organisation nach oben rücken, umso eher ist damit zu rechnen, dass sich der Verantwortungsbereich, der Grad an Autonomie und der Handlungsspielraum erweitert (Hägerbäumer 2011: 83). Hansen & Andersen nahmen folglich an, dass sich der berufliche Status auch auf das Krankheitsverhalten auswirken könnte (siehe Tabelle 26) und kamen zu dem Ergebnis, dass Berufstätige mit Vorgesetztenstatus eine höhere Präsentismushäufigkeit aufweisen, als ArbeitnehmerInnen ohne Führungsfunktion (2008: 962). Tabelle 26: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Beruflicher Status Variable Quelle Sample Hypothese Statistische Analyse Resultate bivariat Resultate multivariat “supervisor”: OR= 1.26* Anmerkung: “Supervisory Status” (+) Hansen & Andersen 2008: 957 n= 12.935 AN (Danish core work force) + Pf Logistische Regression (OR) - UV dichotom Ref.: “not supervisor” (Hansen & Andersen 2008: 962) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala 4.1.2.3.3 Beschäftigungsform und Arbeitsplatzunsicherheit Die jeweilige Beschäftigungsform kann mit dem Gefühl der Arbeitsplatzunsicherheit in enger Verbindung stehen. Insbesondere befristete Arbeitsverträge oder Probeanstellungen bedeuten ein prekäres Arbeitsverhältnis für betroffene ArbeitnehmerInnen (Hägerbäumer 2011: 237). Arbeitsplatzunsicherheit erzeugt wiederum einen Anwesenheitsdruck unter den Beschäftigten - vor allem dann, wenn das finanzielle Einkommen dringend benötigt wird. Auch organisationale Umstrukturierungen wie z.B. „Downsizing“ – Initiativen können involvierte ArbeitnehmerInnen verunsichern, sodass sich diese im Krankheitsfall möglicherweise eher für eine Arbeitsanwesenheit entscheiden, anstatt Krankenstand zu nehmen (Caverley et al. 2007: 315). Hägerbäumer unterscheidet zwischen qualitativer und quantitativer Arbeitsplatzunsicherheit (2011: 154). Mit quantitativer Arbeitsplatzunsicherheit ist die „Angst vor dem Wegfall der gesamten Arbeitsstelle“ gemeint, während die qualitative Arbeitsplatzun94 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus sicherheit hingegen dann besteht, „wenn Beschäftigte um wertgeschätzte Merkmale ihrer Arbeit fürchten (wie z.B. den Arbeitsort, die Gehaltsentwicklung oder die Art der Tätigkeit)“ (ebd. 2011: 154). Inwiefern sich die Arbeitsplatzunsicherheit oder die jeweilige Beschäftigungsform auf Präsentismus auswirkt, untersuchten nachfolgende Studien in Tabelle 27. Tabelle 27: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Beschäftigungsform und Arbeitsplatzunsicherheit Variable Quelle Sample Hypothese Statistische Analyse Resultate bivariat Resultate multivariat “fixed – term“: OR= ns. Befristeter Vertrag (+) Hansen & Andersen 2008: 958 n= 12.935 AN (Danish core work force) + Pf Logistische Regression (OR) Anmerkung: - UV dichotom Ref.: “tenure“ (Festanstellung) (Hansen & Andersen 2008: 962) Permanente Beschäftigung (+) n= 3.825 AN Biron et al. 2006: 32 (Canadian governmental Organisation) - Pp Schrittweise lineare Regression (β) β= -.101* - (“permanent vs. temporary: contractual / part time”) (Biron et al. 2006: 33) OR= ns. Anmerkung: n= 3.801 AN Anstellung auf Probe (+) Aronsson et al. 2000: 506 (Statistic Sweden labour market survey) Pf Logistische Regression (OR) UV polytom: 7 Ausprägungen - Ref. “permanent in preferred occupation and desired workplace” (Aronsson et al. 2000: 506) “job insecurity”: OR= 1.19* Arbeitsplatzunsicherheit (+) Hansen & Andersen 2008: 958 n= 12.935 AN (Danish core work force) + Pf Logistische Regression (OR) Anmerkung: - UV dichotom Ref.: “no job insecurity“ (Hansen & Andersen 2008: 962) n= 333 Personen Angst vor Arbeitslosigkeit (+) Preisendörfer 2010: 404 (Quotenstichprobe nach Geschlecht, Alter, Schuldbildung; Region in Deutschland) + Pf Logistische Regression (OR) - Pf Bivariate Korrelation (r) - Pf, - Ps Bivariate Korrelation B= 0.64* - (Preisendörfer 2010: 407) n= 237 AN Arbeitsplatzsicherheit (+) Caverley et al. 2007: 310 Johns 2011: 487 (Canadian Personnel Corporation, “involved in a multi-year downsizing initative“, nicht repräs.) n= 444 AN r= -0.31* (Caverley et al. 2007: 310) - Pf: r= -.11* Pf: B= -.31* 95 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus (“employed graduates of a Canadian university business school”, nicht repräs.) (r) Ps: r= ns. Ps: β= ns. Negative Binomiale Regression (B) (Johns 2011: 490) (Johns 2011: 492) Ordinary Least Squares Regression (β) Qualitative Arbeitsplatzunsicherheit (+) n= 722 AN Hägerbäumer 2011: 155 (regionale Business-Unit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) + PS Bivariate Korrelation (r) u. Lineare Regression (β) r= .349* (Hägerbäumer 2011: 172) β= .188* (Hägerbäumer 2011: 177) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Hinsichtlich der Beschäftigungsform ist anhand der Ergebnisse in Tabelle 27 anzunehmen, dass permanent angestellte ArbeitnehmerInnen in geringerem Maße zu Präsentismus neigen, als Berufstätige die auf befristeter Vertragsbasis arbeiten (Biron et al. 2006: 32). Die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust, steht hingegen mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit in Verbindung (Preisendörfer 2010: 404, Hansen & Andersen 2008: 962), während das Gefühl der Arbeitsplatzsicherheit mit einer reduzierten Präsentismusfrequenz korreliert (Johns 2011: 490). Darüber hinaus zeigt sich im Zuge der Befürchtung, in Zukunft auf wertgeschätzte Merkmale der beruflichen Tätigkeit verzichten zu müssen, („qualitative Arbeitsplatzunsicherheit“) eine erhöhte Präsentismushäufigkeit – auch unter Kontrolle weiterer Einflussfaktoren (Hägerbäumer 2011: 177). Resümierend kann festgehalten werden, dass permanente Beschäftigung im Vergleich zu befristeten Arbeitsverhältnissen, mit einer geringeren Präsentismushäufigkeit korrespondiert. Die Angst den Arbeitsplatz gänzlich zu verlieren ist hingegen mit einer erhöhten Präsentismusfrequenz verbunden. Auch die qualitative Arbeitsplatzunsicherheit, d.h. die Befürchtung um den Verlust qualitativ hochwertiger Arbeitsstrukturen oder -ressourcen, steht mit ausgeprägtem Präsentismus im Zusammenhang. 4.1.3 Organisationsbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus Neben tätigkeitsbezogenen oder personalen Determinanten können auch organisationale Determinanten, wie etwa die Organisationskultur (Betriebsklima, Gesund96 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus heitsförderung etc.), organisationsspezifische Regelungen (ärztliche Attestpflicht) oder die Organisationsstruktur (Unternehmensgröße, Branchenzugehörigkeit), auf das Krankheitsverhalten der Beschäftigten einwirken. Im folgenden Kapitel wird ein Querschnitt an Studien vorgestellt, welche den Zusammenhang organisationsbezogener Determinanten und Präsentismus untersuchten. 4.1.3.1 Organisationskultur Vecchio (2006) definierte Organisationskultur als "the shared values and norms that exist in an organization and that are taught to incoming employees" (zit. in Bormann & Rowold 2013: 51). Der Terminus impliziert demnach sämtliche Wertehaltungen und Rahmenbedingungen einer Organisation. Häufig wird der Begriff „Organisationsklima“ synonym dazu verwendet (Bormann & Rowold 2013: 52). Folgende Studien in Tabelle 28 untersuchten den Einfluss der jeweiligen Unternehmenskultur auf Präsentismus. Faktoren wie z.B. der Konkurrenzdruck im Unternehmen, die wahrgenommene Fairness oder der proklamierte Stellenwert von Gesundheit, dienten dabei als Untersuchungsmerkmale des Betriebsklimas. Tabelle 28: Organisationsbezogene Einflussfaktoren: Organisationskultur Variable Quelle Sample Hypothese Statistische Analyse Resultate bivariat Resultate multivariat Bivariate Korrelation (r) u. r= -.178* (n= gesamt) KI: -0.134-(0.011) Hierarchische Regression (β) (Sendén et al. 2013: 3) n= 1.996 MedizinerInnen “Organizational Care“ (+) Sendén et al. 2013: 2 (“HOUPE“ Daten aus 4 europ. Ländern: Schweden n= 1.031, Norwegen n=354, Island n= 242, Italien n=369; nicht repräs.) β= -.07* - Pf n= 722 AN Gesundheitskultur (+) Hägerbäumer 2011: 158 (regionale BusinessUnit eines Energiekonzerns, nicht repräs.) - PS Bivariate Korrelation (r) u. Lineare Regression (β) r= -.259* (Hägerbäumer 2011: 172) (n= Schweden) (Sendén et al. 2013: 4) β= ns. (Hägerbäumer 2011: 177) „gutes Betriebsklima“: OR= 0.75* Anmerkung: n= 1.464 AN Betriebsklima (+) Vogt et al. 2009: 195 (repräs. Bevölkerungsquerschnitt Deutschland) Pf Logistische Regression (OR) - UV polytom: Skala Ref.: „schlechtes Betriebsklima“ (Vogt et al. 2009: 197) Wettbewerbsklima (+) Biron et al. 2006: 32 n= 3.825 AN (Canadian governmental Organisation) + Pp Schrittweise lineare Regression (β) β= ns. - (Biron et al. 2006: 33) 97 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus n= 1.996 MedizinerInnen Wettbewerbsklima (“Published articles”) (+) Sendén et al. 2013: 2 (“HOUPE“ Daten aus 4 europ. Ländern: Schweden n= 1.031, Norwegen n=354, Island n= 242, Italien n=369; nicht repräs.) + Pf (n= gesamt) Hierarchische Regression (β) (Sendén et al. 2013: 3) Bivariate Korrelation (r) u. r= .225* (n= gesamt) Hierarchische Regression (β) (Sendén et al. 2013: 3) n= 1.996 MedizinerInnen Wettbewerbsklima: (Urlaub bei Krankheit) (+) Sendén et al. 2013: 2 (“HOUPE“ Daten aus 4 europ. Ländern: Schweden n= 1.031, Norwegen n=354, Island n= 242, Italien n=369; nicht repräs.) + Pf r= .098* Bivariate Korrelation (r) u. β= .071* KI: 0.012-0.132 (n= Schweden) (Sendén et al. 2013: 4) β= .187* KI: 0.129-0.245 (n= Schweden) (Sendén et al. 2013: 4) Marginal effect: 0.076* Böckerman & Laukkanen 2009: 44 Anmerkung: n= 725 AN (Central Organisation of Finnish Trade Unions) Pf Logistische Regression (OR) UV dichotom - Ref.: “otherwise” (Böckerman & Laukkanen 2009: 45) Leistungsorientierung (+) Marginal effect: 0.085* (gesamt) Böckerman & Laukkanen 2010: 333 0.107* (“good health“) n= 884 AN (Central Organisation of Finnish Trade Unions) Pf Logistische Regression (OR) Anmerkung: - UV dichotom Ref.: “otherwise” (Böckerman & Laukkanen 2010: 334) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Im Rahmen einer internationalen Befragung von MedizinerInnen, zeigt sich ein Zusammenhang zwischen „organizational care“ (Fürsorge und Verantwortung von Unternehmerseite gegenüber dem Personal) und einer reduzierten Präsentismushäufigkeit (Sendén et al. 2013: 3f). Handelt es sich um eine Organisation, in der die Gesundheit von MitarbeiterInnen wertgeschätzt und gefördert wird, zeigt sich ebenfalls eine niedrig ausgeprägte Präsentismusfrequenz (Hägerbäumer 2011: 172). Die Signifikanz des Zusammenhangs hält in der Regressionanalyse allerdings nicht Bestand (Hägerbäumer 2011: 177). Nicht nur eine Gesundheitskultur, sondern auch ein positives Betriebsklima steht mit einer geringeren Präsentismusprävalenz in Verbindung (Vogt et al. 2009: 197). Je stärker allerdings der Wettbewerb zwischen den Beschäftigten und die Leistungsorientierung im Unternehmen, desto eher ist mit einer stärkeren Ausprägung von Präsentismus zu rechnen (Sendén et al. 2013: 3f, Böckerman & Laukkanen 98 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus 2010: 334). Insgesamt kann hinsichtlich der Organisationskultur resümiert werden, dass ein positives Betriebsklima, organisationale Fürsorge, z.B. in Form von Gesundheitsförderung, mit einer niedrigeren Präsentismusfrequenz unter den ArbeitnehmerInnen korrespondiert. Unternehmen mit ausgeprägtem Wettbewerb unter den Beschäftigten und starker Leistungsorientierung, stehen hingegen mit einer höheren Präsentismushäufigkeit im Zusammenhang. 4.1.3.2 Organisationsspezifische Regelungen Eine organisationsspezifische Regelung, deren Wirkung auf Präsentismus untersucht wurde, betrifft die ärztliche Attestpflicht in Unternehmen. Das entsprechende Ergebnis folgt im nachstehenden Abschnitt. 4.1.3.2.1 Ärztliche Attestpflicht Böckerman & Laukkanen nahmen an, dass im Krankheitsfall auch die institutionelle Regelung bezüglich der ärztlichen Attestpflicht eine Rolle darin spielt, ob die Entscheidung im Krankheitsfall für oder gegen Präsentismus getroffen wird (2009: 44). Das Studienresultat in Tabelle 29 deutet darauf hin, dass Beschäftigte, die erst nach drei Krankenstandstagen eine ärztliche Bestätigung der Krankheit vorlegen müssen, auch seltener Präsentismus zeigen als Angestellte, die bereits früher einen entsprechenden Nachweis vorlegen müssen (ebd. 2009: 45). Tabelle 29: Organisationsbezogene Einflussfaktoren: Ärztliche Attestpflicht Variable Quelle Sample Hypothese Statistische Analyse Resultate bivariat Resultate multivariat Marginal effect: -0.075* Ärztliche Attestpflicht: “Three days’ rule” (+) Böckerman & Laukkanen 2009: 44 Anmerkung: n= 725 AN (Central Organisation of Finnish Trade Unions) Pf Logistische Regression (OR) - UV dichotom Ref.: “otherwise” (Böckerman & Laukkanen 2009: 45) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala 99 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus 4.1.3.3 Organisationsstruktur Als Variablen der Organisationsstruktur wurden die Faktoren Unternehmensgröße und Branchenzugehörigkeit eines Betriebs zusammengefasst. Studienergebnisse hinsichtlich des Zusammenhangs zum Arbeiten trotz Krankheit, werden im nächsten Absatz dargestellt. 4.1.3.3.1 Unternehmensgröße und Branche Ob die Größe des Unternehmens oder die Branchenzugehörigkeit der Organisation eine Wirkung auf Präsentismus im Personal aufzeigt, untersuchten folgende Studien in Tabelle 30: Tabelle 30: Organisationsbezogene Einflussfaktoren: Unternehmensgröße und Branche Variable Quelle Sample Hypothese Statistische Analyse Resultate bivariat Resultate multivariat 0-10 AN: Größe des Unternehmens (-) Hansen & Andersen 2008: 957 n= 12.935 AN (Danish core work force) + Pf Logistische Regression (OR) OR= 1.49* Anmerkung: - UV polytom: 3 Ausprägungen Ref.: >250 AN (Hansen & Andersen 2008: 962) Branche: Pflegeund Sozialwesen (+) Branche: Bildung (+) Aronsson et al. 2000: 503 Aronsson et al. 2000: 503 n= 3.801 AN (Statistic Sweden labour market survey) + Pf - + Pf Logistische Regression (OR) OR= 2.16* KI: 1.32-3.55 Anmerkung: - Rosvold & Bjertness 2001: 72 (The Norwegian Medical Association’s health survey, nicht repräs.) UV dichotom Ref.: „Managers“ (Aronsson et al. 2000: 506) “Clinicans outside hospital” (z.B. Privatpraxis) n= 1.015 MedizinerInnen “Clinicans outside hospital” (+) UV dichotom Ref.: „Managers“ (Aronsson et al. 2000: 506) n= 3.801 AN (Statistic Sweden labour market survey) Logistische Regression (OR) OR= 1.93* KI: 1.2-3.11 Anmerkung: OR= 1.67* KI: 1.02-2.74 Pf Logistische Regression (OR) Anmerkung: - UV polytom: 3 Ausprägungen Ref.: “Other Positions” (Rosvold & Bjertness 2001: 73) *: p<0.05; p<0.01; p<0.001; ns.: nicht signifikant, Pf: Präsentismusfrequenz, Ps: Präsentismus subjektiv, Pp: Präsentismuswahrscheinlichkeit, PS: Präsentismusskala Hansen & Andersen bestätigen mit ihrem Studienergebnis die Hypothese, dass ein 100 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus kleineres Unternehmen mit geringerer MitarbeiterInnenanzahl (bis zu zehn Beschäftigte) eine höhere Präsentismusfrequenz aufzeigt, als größere Betriebe (mit über zweihundertfünfzig ArbeitnehmerInnen) (2008: 962). Bezüglich der Branchenzugehörigkeit befanden Aronsson et al., dass Beschäftigte im Bildungs-, Pflege- und Sozialwesen, häufiger krank in die Arbeit gehen als ArbeitnehmerInnen im Managementsektor (2000: 506). Rosvold & Bjertness kamen in der Befragung von norwegischen MedizinerInnen zu dem Ergebnis, dass Ärzte und Ärztinnen die außerhalb des Krankenhauses beschäftigt sind (z.B. in selbstständiger Praxis) eine erhöhte Präsentismushäufigkeit vorweisen (2001: 73). Eine stärkere Ausprägung der Präsentismusfrequenz ist, auf Basis der angeführten Studienresultate, in kleineren Betrieben (bis zu zehn MitarbeiterInnen), im Bildungs-, Pflege- und Sozialwesen sowie bei ÄrztInnen in selbstständiger Praxis zu beobachten. 4.2 Review zu den Folgen des Präsentismus Als Ergänzung zum bisherigen Review folgt im nachstehenden Kapitel eine Zusammenfassung an Längsschnittanalysen hinsichtlich individueller Folgen von Präsentismus. Im Vergleich zum angeführten Forschungsstand an Querschnittsstudien zu den Einflussfaktoren von Präsentismus, handelt es sich hierbei um ein deutlich kleineres Repertoire an Studienarbeiten. Die Längsschnittstudien differenzieren sich im Wesentlichen durch den Fokus auf „negative“ und „positive“ Folgen des Präsentismus, wobei sich die meisten Forschungsarbeiten auf die pathogenen (gesundheitlich negativen) Konsequenzen des Krankheitsverhaltens fokussieren. Weitere Arbeiten nehmen dabei außerdem die Wirkung von Präsentismus auf einen späteren Krankenstand mit ins Zentrum der Untersuchung. Zudem bestehen theoretische Annahmen hinsichtlich sozialer und praktischer Konsequenzen im Zuge des Arbeitens trotz Krankheit. Als Kehrseite dazu, untersuchen vereinzelte Studien die positiven bzw. salutogenen (gesundheitsförderlichen) Folgen von Präsentismus. Diesbezüglich stehen allerdings kaum repräsentative Forschungsresultate zur Verfügung. Eine Studie wird hierzu komprimiert dargestellt. 101 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus 4.2.1 Negative Folgen des Präsentismus Neben den negativen gesundheitsbezogenen Konsequenzen des Präsentismus untersuchten weitere Längsschnittstudien, inwiefern sich die Entscheidung, krank in die Arbeit zu gehen, auf einen späteren Absentismus auswirkt (Steinke & Badura 2011: 71). Darüber hinaus werden die sozialen und praktischen Folgen des Präsentismus thematisiert. 4.2.1.1 Gesundheitsschädigende Konsequenzen des Präsentismus Eine häufig zitierte Längssschnittanalyse zu den gesundheitlichen Folgen des Präsentismus stammt von Kivimäki et al. (2005) (zit. in Steinke & Badura 2011: 2005, Biron 2009: 80, Bergström et al. 2009a & 2009b: 1180, Demerouti et al. 2009: 54, Hansen & Andersen 2009: 397). Die Studie basiert auf einer Untersuchungspopulation, die dem Screening der Whitehall-Studie-II (1985 – 1988) entnommen wurde und besteht ausschließlich aus männlichen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in London (n=5071) (Kivimäki et al. 2005: 98). Die Forschungsarbeit zielte darauf ab herauszufinden, ob das Risiko für Herzerkrankungen durch das Arbeiten trotz Krankheit erhöht wird (Kivimäki et al. 2005: 98). Über einen dreijährigen Zeitraum wurden dafür alle verfügbaren Absentismusdaten der ausgewählten Untersuchungspersonen gesammelt (Kivimäki et al. 2005: 98) und über „eine Zeitspanne von durchschnittlich neun Jahren“ wurde die Prävalenz von koronaren Erkrankungen ermittelt (Steinke & Badura 2011: 71). Jene Arbeitnehmer, die im Zuge des Screenings ihren Gesundheitszustand als schlecht einschätzten und in den vergangenen Jahren keine Fehlzeiten aufzeigten, wurden von den StudienautorInnen als Präsentisten eingestuft (ebd. 2005: 99). Diese Gruppe an Präsentisten wurde mit jenen Beschäftigten verglichen, die ebenfalls von einer beeinträchtigten Gesundheit berichteten, aber ein moderates Level an Absentismus (>0-14 Krankenstandstage) aufwiesen (ebd. 2005: 101). Aus diesem Vergleich bei gleichzeitiger Kontrolle weiterer potentieller Einflüsse, resultierte letztlich das Ergebnis, dass für die als Präsentisten kategorisierten Arbeitnehmer, ein signifikant höheres Risiko für spätere koronare Erkrankungen besteht, als für Beschäftigte, die im Krankheitsfall zu Krankenstand tendieren (RR=1.97) (Kivimäki et al. 2005: 100). Die Resultate der Forschungsarbeit von Kivimäki et al. deuten folglich darauf hin, 102 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus dass das wiederholte Arbeiten trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung zu einem erhöhten Risiko für schwere Herzerkrankungen führen kann. Die Generalisierbarkeit der Studienergebnisse ist allerdings limitiert - schließlich beschränken sich die Ergebnisse der Forschungsarbeit lediglich auf männliche Befragte der WhitehallStudie-II (ebd. 2005: 101f), weibliche Beschäftigte blieben dabei unberücksichtigt. Darüber hinaus ist anzumerken, dass Präsentismus in der Erhebung nicht direkt erfragt wurde, sondern durch die Zuteilung der Krankenstands- und Gesundheitsangaben „indirekt erschlossen“ wurde (Steinke & Badura 2011: 71). Zudem berücksichtigten die Studienautoren nicht die gesamte Bandbreite an möglichen koronaren Erkrankungen (Kivimäki et al. 2005: 101). Eine weitere Langzeitstudie die sich mit den gesundheitlichen Auswirkungen des Präsentismus befasste, stammt von Bergström et al. (2009b). In dieser Forschungsarbeit wurden zwei verschiedene Untersuchungspopulationen über eine „Follow-Up“-Periode von drei Jahren (T1= nach achtzehn Monaten, T2= nach drei Jahren) befragt (Bergström et al. 2009b: 1181). Ein Großteil der StudienteilnehmerInnen stammte aus dem öffentlichen Sektor (n=6901), während die restlichen Befragten aus dem privaten Sektor ausgewählt wurden (n=2682). Im Zuge entsprechender Mitarbeiterbefragungen wurde einerseits die Präsentismusfrequenz als Prädiktorvariable und andererseits die Einschätzung der allgemeinen gesundheitlichen Verfassung als „Outcome“-Variable gemessen (Bergström et al. 2009b: 1182). Als Konfundierungsvariablen wurden z.B. der aktuelle Gesundheitsstatus, demografische Hintergründe oder arbeitsbezogene Variablen angenommen (Bergström et al. 2009b: 1182). Aus den Studienergebnissen geht hervor, dass Präsentismus einen Risikofaktor für die zukünftige Gesundheit der ArbeitnehmerInnen darstellt (ebd. 2009b: 1184). Dieses Ergebnis wurde bei beiden „Follow-Ups“ (nach achtzehn Monaten und drei Jahren), unter Kontrolle weiterer potentieller Einflussvariablen, bestätigt (Bergström et al. 2009b: 1187). Daraus folgt, dass PräsentistInnen (>5 Präsentismustage) sowohl nach achtzehn Monaten, als auch nach drei Jahren, ihre Gesundheit schlechter einstufen, als Personen, die in diesem Zeitraum so gut wie keinen Präsentismus aufzeigten (Bergström et al. 2009b: 1187). Die Ergebnisse variieren allerdings danach, ob ArbeitnehmerInnen zum Zeitpunkt 103 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus der ersten Erhebung einen schlechten oder guten Gesundheitsstatus angaben. Für PräsentistInnen, die im öffentlichen Bereich zum Erhebungsstart eine gute Gesundheit aufzeigten, ergibt sich in den darauffolgenden Jahren ein erhöhtes Gesundheitsrisiko (RR= 2.12 KI: 1.60-2.82, RR= 1.90 KI: 1.49-2.44) – dies trifft allerdings nicht für jene PräsentistInnen im öffentlichen Sektor zu, die zum Anfangszeitpunkt bereits von einem schlechten Gesundheitszustand berichteten. Im privaten Bereich ist diesbezüglich kein Unterschied vorzufinden (ebd. 2009b: 1187). Entsprechende ArbeitnehmerInnen weisen, bei schlecht bewerteter Gesundheit zum Anfangszeitpunkt, nach achtzehn Monaten (RR= 1.50 KI: 1.13-1.98) und nach drei Jahren (RR= 1.71 KI: 1.25-2.35) zusätzliche Gesundheitsrisiken auf. Das gleiche Muster zeichnet sich bei einem anfangs gut bewerteten Gesundheitsstatus ab („18-month follow up“: RR= 2.08 KI: 1.47-2.94, „3-year follow up“: RR= 1.79 KI: 1.30-2.45). Bergström et al. erklären sich entsprechende Inkonsistenzen in der Ergebnislage durch die „Drop-Out-Rates“ zwischen den Follow-Up-Erhebungen bzw. durch Unterschiede in den Gesundheitsangaben zwischen den beiden Untersuchungspopulationen (2009b: 1188). Darüber hinaus ist bei der Interpretation der Ergebnisse zu berücksichtigen, dass der männliche Anteil der Befragten, im Vergleich zum Frauenanteil der Untersuchungspopulation, deutlich kleiner war (ebd. 2009b: 1188). Zudem ist die Veränderung der Untersuchungspopulation, aufgrund Ausfälle an Befragungen zwischen den drei Erhebungszeitpunkten, zu beachten. Dennoch kann insgesamt festgehalten werden, dass die Ergebnisse von Bergström et al. auf einen kausalen Zusammenhang zwischen Präsentismus und einem beeinträchtigten Gesundheitszustand hinweisen. Demerouti et al. überprüften die Folgen von Präsentismus auf die psychische Gesundheit von Betroffenen. Die Forschungsarbeit wurde innerhalb eines Zeitraums von eineinhalb Jahren (drei Messzeitpunkte), mit einer Untersuchungspopulation von zweihundertachtundfünfzig KrankenpflegerInnen durchgeführt (Demerouti et al. 2009: 55). Das Forschungsziel der Studie bestand darin, den Zusammenhang zwischen Arbeitsanforderungen, Burnout (erfasst durch die beiden Faktoren: emotionale Erschöpfung & Depersonalisation) und Präsentismus zu untersuchen (Demerouti et al. 2009: 50). Dabei wurde einerseits angenommen, dass ArbeitnehmerInnen mit hohen Arbeitsanforderungen und einer hohen emotionalen Erschöpfung, häufiger krank in 104 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus die Arbeit gehen. Je öfter sich entsprechend belastete Personen für Präsentismus entscheiden würden, desto eher rechne man mit einer negativen Rückwirkung auf die emotionale Erschöpfung der ArbeitnehmerInnen (Demerouti et al. 2009: 54). Demerouti et al. nahmen demzufolge eine reziproke (wechselseitige) Beziehung zwischen den Variablen emotionaler Erschöpfung und Präsentismus an (2009: 54). Überdies prüften die StudienautorInnen die Frage, ob und inwiefern Präsentismus die Depersonalisation betroffener ArbeitnehmerInnen begünstigt (Demerouti et al. 2009: 50). Depersonalisation stellt neben der emotionalen Erschöpfung einen wesentlichen Indikator für Burnout dar und äußert sich dadurch, dass sich ArbeitnehmerInnen von ihrem Arbeitsumfeld zunehmend emotional distanzieren und minimalen Aufwand betreiben, um ihre Arbeitsaufgaben zu erfüllen (ebd. 2009: 61). Die Resultate der Studie bestätigten den hypothesierten wechselseitigen Zusammenhang zwischen der emotionalen Erschöpfung der ArbeitnehmerInnen und Präsentismus: Je erschöpfter berufstätige Personen sind (z.B. aufgrund einer hohen Arbeitsbelastung), desto eher ist mit einer erhöhten Präsentismusfrequenz zu rechnen, wodurch sich wiederum der Erschöpfungszustand verschlechtert (Demerouti et al. 2009: 61). Daraus folgt eine „loss-spiral“ bzw. eine Abwärtsspirale, die sich durch eine zunehmende emotionale Belastung und Präsentismus fortsetzt (Hobfoll & Freedy 1993 zit. in Demerouti et al. 2009: 64). Präsentismus begünstigt aber nicht nur die Progression des Erschöpfungszustands, sondern auch die Depersonalisation von betroffenen ArbeitnehmerInnen. Eine umgekehrte Wirkung der Depersonalisation auf Präsentismus wurde diesbezüglich nicht festgestellt (Demerouti et al. 2009: 61). Zusammengefasst kann also, auf Basis der Langzeitstudienergebnisse nach Demerouti et al., davon ausgegangen werden, dass Präsentismus langfristig gesehen zu einem erhöhten Burnout Risiko beiträgt, das sich durch eine zunehmende Depersonalisation und emotionale Erschöpfung der ArbeitnehmerInnen manifestiert (Demerouti et al. 2009: 50). Die Generalisierbarkeit der Studienergebnisse ist dennoch begrenzt, da z.B. die Stichprobe der Forschungsarbeit als nicht repräsentativ zu bewerten ist. Gustafsson & Marklund (2011) untersuchten die Langzeitwirkung von Präsentismus und Absentismus auf die Gesundheit, die Arbeitsfähigkeit und die zukünftige Entwicklung der Krankenstands- oder Präsentismusfrequenz (Gustafsson & 105 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Marklund 2011: 154). Die Studie basiert auf einer Zufallsstichprobe (n= 2181) aus dem Datensatz der “Swedish Working Life Cohort“ aus den Jahren 2004, 2005 und 2006 (Gustafsson & Marklund 2011: 155). Die Untersuchungspopulation setzt sich zusammen aus ArbeitnehmerInnen im Alter zwischen fünfundzwanzig und fünfzig Jahren (Stand aus dem Jahr 2004) (Gustafsson & Marklund 2011: 155). Aus den Studienresultaten geht hervor, dass ArbeitnehmerInnen, die im Jahr 2005 häufiger als fünf Mal krank in die Arbeit gingen, im darauffolgenden Jahr 2006 einen schlechteren allgemeinen Gesundheitszustand (OR= 2.53 KI: 1.47-4.21), häufigere physische Beschwerden (OR= 2.67 KI: 1.65-4.30) und psychische Belastungen (OR= 2.56 KI: 1.63-4.03), eine eingeschränktere Arbeitsfähigkeit (OR= 3.28 KI: 2.005.37) sowie eine höhere Krankenstandshäufigkeit (OR= 2.90 KI: 1.80-4.66) angaben als Beschäftigte, die keine Präsentismustage berichteten (Gustafsson & Marklund 2011: 160). Dieser negative Effekt blieb auch unter Konstanthaltung weiterer Einflussvariablen bestehen. ArbeitnehmerInnen die nur gelegentlich oder selten krank in die Arbeit gingen, wiesen keine signifikanten Langzeitfolgen auf (ebd. 2011: 160). Aus den Studienresultaten nach Gustafsson & Marklund kann folglich konkludiert werden, dass sich vor allem häufiger Präsentismus (mehr als fünf Präsentismustage im Jahr) auf spätere negative gesundheitliche Konsequenzen, sowie auf zukünftigen Absentismus, auswirken kann. 4.2.1.2 Krankenstand als Folge von Präsentismus Folgende Langzeitstudien fokussierten sich auf den kausalen Zusammenhang zwischen Präsentismus und der darauffolgenden Krankenstandshäufigkeit. Bergström et al. untersuchten in einer weiteren Studie, ob und inwiefern das Arbeiten trotz Krankheit eine erhöhte Krankenstandsfrequenz zu einem späteren Zeitpunkt bewirkt (Bergström et al. 2009a: 629, Steinke & Badura 2011: 76). Darüber hinaus interessierte die StudienautorInnen die Frage: Falls Präsentismus einen späteren Absentismus verursacht, inwiefern macht es einen Unterschied, ob die StudienteilnehmerInnen zum Startpunkt der Erhebung eine gute oder schlechte Gesundheit angaben (Bergström et al. 2009: 630)? Aus den Studienergebnissen geht hervor, dass eine hohe Präsentismusfrequenz (mehr als fünf Präsentismustage) während des vergangenen Jahres, einen Risikofaktor für einen zukünftigen Langzeitkrankenstand (mehr als dreißig Krankenstands106 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus tage) innerhalb der darauffolgenden nächsten zwei Jahre, darstellen kann (ebd. 2009: 635). Dies betrifft sowohl die Untersuchungspopulation des öffentlichen (weiblich dominierten) Sektors (RR= 1.40, KI: 1.17-1.69, n=3.757) als auch die Befragten im privaten (männlich dominierten) Sektor (RR= 1.51, KI: 1.10-2.08, n=2.485) (Bergström et al. 2009: 634). Bergström et al. berichten zudem, dass die Studienergebnisse nicht danach differieren, welchen Gesundheitszustand die Befragten zu Anfang der Erhebung berichteten: „Taken together, RRS of the same directions as for the total study population were found for those with fair/poor health and those with good/excellent health“ (ebd. 2009: 635). Der Langzeiteffekt des Präsentismus auf den späteren Absentismus, bleibt auch unter Kontrolle weiterer potentieller Einflussvariablen, wie z.B. gesundheitsrelevante Lebensstilfaktoren, demografische oder tätigkeitsbezogene Variablen, erhalten (Bergström et al. 2009: 634). Bergström et al. liefern also mit ihrer Studie einen essentiellen Hinweis darauf, dass Präsentismus einen signifikanten Risikofaktor für eine spätere erhöhte Krankenstandsfrequenz darstellt. Inwiefern Präsentismus die Auftrittswahrscheinlichkeit für einen späteren Langzeitkrankenstand (mehr als zwei Wochen Krankenstand) beeinflusst, untersuchten auch Hansen & Andersen (2009) anhand einer umfangreichen Stichprobe von dänischen ArbeitnehmerInnen (n=11.838). Beschäftigte die im Jahr vor dem ersten Erhebungszeitpunkt länger als zehn Wochen in Krankenstand waren, wurden aus der Untersuchungspopulation exkludiert (Hansen & Andersen 2009: 397). Folglich postulierten Hansen & Andersen, dass es sich bei den StudienteilnehmerInnen um vorwiegend gesunde ArbeitnehmerInnen handle (ebd. 2009: 397). Im Zuge der Follow-Up Erhebung nach eineinhalb Jahren, konnte ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Präsentismushäufigkeit und einem späteren Langzeitkrankenstand (mindestens zwei Wochen) festgestellt werden (Hansen & Andersen 2009: 402). Insbesondere ArbeitnehmerInnen, die mehr als sechs Präsentismustage angaben, wiesen ein deutlich höheres Risiko für einen Langzeitkrankenstand auf, als Beschäftigte, die keinen oder maximal einen Präsentismusfall aufzeigten (RR= 1.53, KI= 1.26-1.87) (Hansen & Andersen 2009: 400). Dieser Zusammenhang blieb auch nach Kontrolle weiterer Einflussvariablen bestehen (ebd. 2009: 402). 107 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Taloyan et al. setzten sich die Forschungsziele, die Wirkung des Präsentismus auf die zukünftige subjektive Gesundheitseinschätzung, sowie auf die spätere Krankenstandshäufigkeit zu ermitteln (2012: 2). Die Untersuchungspopulation (n=7.445) stammt aus der Umfrage “Swedish Longitudinal Occupational Study of Health“ (SLOSH), die ab dem Jahr 2006 mit “Follow-Ups“ im Jahr 2008 und 2010 durchgeführt wurde (Taloyan et al. 2012: 2). Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass das vermehrte Arbeiten trotz Krankheit (>7 Präsentismustage im Jahr 2008) nach einem zeitlichen Abstand von zwei Jahren (2010), eine schlechter bewertete subjektive Gesundheit (OR= 1.64 KI: 1.30-2.06) und eine höhere Krankenstandsfrequenz (OR= 1.46 KI: 1.15-1.86) zur Folge hat, im Vergleich zu jenen ArbeitnehmerInnen die keinen Präsentismus im Jahr 2008 angaben (Taloyan et al. 2012: 6). Dabei wurde der Einfluss potentieller Drittvariablen kontrolliert (ebd. 2012: 6). Taloyan et al. fügen diesbezüglich hinzu: “These associations seem largely to be mediated by an increased risk of emotional exhaustion at followup (2010) among those who had attended work despite illness“ (2012: 4), d.h. die Wirkung des Präsentismus auf eine schlechtere Gesundheitsbewertung und eine erhöhte Krankenstandsfrequenz wird vor allem durch eine zunehmende emotionale Erschöpfung unter den PräsentistInnen mediiert. In Übereinstimmung mit den bisher zitierten Studienergebnissen befinden also auch Taloyan et al., dass Präsentismus einerseits die spätere subjektive Gesundheitswahrnehmung negativ beeinträchtigen kann und andererseits, das Risiko für zukünftige Krankenstände erhöht, insbesondere bei psychisch belasteten ArbeitnehmerInnen (2012: 7). 4.2.1.3 Soziale und praktische Folgen Hägerbäumer weist darauf hin, dass die Entscheidung zu Präsentismus in einem „sozialen Kontext“ getroffen wird – insofern sei auch eine „soziale Reaktion von Kunden, Klienten, Kollegen und Vorgesetzten“ im Zuge von Präsentismus zu erwarten, die den betroffenen Arbeitnehmer / die betroffene Arbeitnehmerin „direkt oder indirekt“ betrifft (2011: 243, siehe auch Johns 2010 Abschnitt 3.4.3.3). Auch praktische Folgen des Präsentismus sind im sozialen Umfeld anzunehmen, wie z.B. eine erhöhte Ansteckungsgefahr zu KollegInnen oder eine höhere Fehleranfälligkeit aufgrund krankheitsbedingter „Leistungseinschränkungen“ am Arbeitsplatz (Hägerbäumer 2011: 243). Empirische Studienresultate die einen entsprechenden 108 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Zusammenhang überprüften, konnten bis Dato nicht gefunden werden. Insofern handelt es sich dabei einstweilen um theoretische Annahmen, die auch von Johns (2011: 536f) postuliert wurden (Hägerbäumer 2011: 243). 4.2.2 Positive Folgen des Präsentismus Ein Großteil der Langzeitstudien geht im Wesentlichen von negativen Folgen des Präsentismus aus. Demgegenüber sind kaum repräsentative Forschungsarbeiten vorzufinden, die etwaige positive Folgen des Präsentismus in ihren Studienresultaten annehmen und bestätigen können. Sanderson et al. (2008) liefern allerdings Hinweise dafür, dass Präsentismus bei psychisch erkrankten ArbeitnehmerInnen eine salutogene Wirkung aufzeigen kann, mit der Bedingung, dass es sich um ein Arbeitsumfeld handelt, das auf die Bedürfnisse der betroffenen Personen eingeht und eine gesundheitsförderliche Anpassung der Arbeitsbedingungen ermöglicht (zit. in Biron 2009: 80). 4.3 Zusammenfassung des Reviews Im Anschluss folgt eine Zusammenfassung der Resultate des Reviews. Diese werden unterteilt nach Ergebnissen hinsichtlich personenbezogener, arbeitsbezogener und organisationsbezogener Einflussfaktoren (siehe Abschnitt 4.3.1.). Zudem folgt ein Resümee der Studienergebnisse zu den Folgen von Präsentismus (siehe Abschnitt 4.3.2). 4.3.1 Zusammenfassung Einflussfaktoren des Präsentismus Die Studienresultate zu den Einflussfaktoren des Präsentismus werden in Form von Übersichtstabellen zusammengefasst: Dabei sind jene Variablen, die mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit in Verbindung stehen, in den Tabellen Orange markiert. Grün markierte Variablen sind demgegenüber als Determinanten zu interpretieren, die mit einer reduzierten Präsentismusfrequenz korrespondieren. Eine violette Markierung deutet auf Widersprüche in der Ergebnislage der Studien hin – in diesem Fall ist anhand der Forschungsresultate nicht einheitlich abzuleiten, ob die Variable mit einer erhöhten oder reduzierten Präsentismushäufigkeit korreliert. Zudem werden die Zusammenhänge separat in Resultate der bivariaten und multivariaten Korrelationsanalyse dargestellt. 109 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Ein Großteil der angeführten Studien verwendete die „Präsentismusfrequenz“ als abhängige Untersuchungsvariable. Etwaige Ausnahmen wie z.B. in der Studie von Biron et al. (Präsentismuswahrscheinlichkeit als abhängige Variable) werden gesondert mit einem * gekennzeichnet und entsprechend in der Interpretation berücksichtigt. 4.3.1.1 Zusammenfassung personenbezogene Faktoren Zusammengefasst kann hinsichtlich der personalen Faktoren festgehalten werden, dass besonders gewissenhafte ArbeitnehmerInnen, denen es schwer fällt „Nein“ zu sagen, zu einer Über-Identifizierung mit ihrem Beruf neigen oder eine konservative Einstellung gegenüber Krankenstand verfolgen, häufiger krank in die Arbeit gehen. Darüber hinaus zeigt sich eine Verbindung zwischen exzessivem bzw. zwanghaftem Arbeitsstil und einer erhöhten Präsentismushäufigkeit. Personen, die eine hohe emotionale Labilität aufweisen, eine internale Kontrollüberzeugung hinsichtlich ihrer Gesundheit angeben und gegenüber Krankenstand liberal eingestellt sind, weisen eine niedrigere Präsentismusfrequenz auf. Zum Zusammenhang zwischen Gesundheit und Präsentismus kann festgehalten werden, dass eine gute Gesundheit jeweils mit einer geringeren Präsentismushäufigkeit in Verbindung steht. Die Kausalität des Zusammenhangs kann auf Basis der Ergebnisse aus Quertschnittsstudien nicht festgestellt werden. Im Allgemeinen zeichnet sich die Tendenz ab, dass mit geringerer Anzahl an Krankheitssymptomen physischer oder psychischer Art, auch eine geringere Anzahl an Präsentismustagen einhergeht. Anzumerken ist hierbei, dass die Präsentismushäufigkeit im Allgemeinen von der Krankheitshäufigkeit bzw. -anfälligkeit (Vulnerabilität) einer Person beeinflusst wird. Je vulnerabler eine Person ist, umso häufiger werden Entscheidungsprozesse zwischen Krankenstand und Präsentismus initiiert. Das Ausmaß an Präsentismustagen steht also mit der Vulnerabilität einer Person in enger Verbindung. Aus den Untersuchungen soziodemografischer Faktoren kristallisiert sich heraus, dass Frauen im Vergleich zu Männern, häufiger Präsentismus aufweisen. Bezüglich dem Alter von ArbeitnehmerInnen zeichnet sich im Wesentlichen ab, dass jüngere ArbeitnehmerInnen (unter 40 Jahren) häufiger krank arbeiten als ältere Arbeitskolle110 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus gInnen (über 40 oder 50 Jahre). Darüber hinaus stehen Berufstätige mit Betreuungspflichten und finanziellen Schwierigkeiten mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit in Verbindung. Die Überprüfung des Zusammenhangs zwischen dem Bildungsgrad von ArbeitnehmerInnen und der Präsentismushäufigkeit, ergab unterschiedliche Resultate: Aronsson et al. (2000) befinden einen Zusammenhang zwischen mittlerem Bildungsgrad und erhöhter Präsentismushäufigkeit, während Preisendörfer (2010) zu dem Ergebnis kommt, dass mit längerem Bildungsweg eine niedrigere Präsentismushäufigkeit einhergeht. Die Resultate der personenbezogenen Zusammenhänge zu Präsentismus, sind in nachfolgender Tabelle 31 dargestellt: 111 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Tabelle 31: Zusammenfassung Resultate personenbezogene Faktoren Dimension Personale Faktoren Faktor Variable Zusammenhang Quelle Bivariat Multivariat Preisendörfer 2010: 407 Johns 2011: 490, 492 Charaktereigenschaften Gewissenhaftigkeit Neurotizismus + + - Internale Kontrollüberzeugung Internal Health Locus of Control - - Johns 2011: 490, 492 Exzessiver Arbeitsstil Zwanghafter Arbeitsstil Individual Boundarylessness Over – Commitment Liberale Einstellung gegenüber Krankenstand Konservative Einstellung gegenüber Krankenstand + + + + Hägerbäumer 2011: 131 Hägerbäumer 2011: 131 Aronsson & Gustafsson 2005: 960 Hansen & Andersen 2008: 962 - Johns 2011: 490, 492 + Hansen & Andersen 2008: 960 - + + + Hägerbäumer 2011: 172, 177; Johns 2011: 490, 492 Aronsson & Gustafsson 2005: 963 Rosvold & Bjertness 2001: 73 Hägerbäumer 2011: 172, 177 Arbeitsstil Arbeitsverhalten Bewertung von Krankenstand (Subjektiver) Allgemein guter Gesundheitszustand - Medical Treatment Allgemeiner Gesundheitszustand Chronische Erkrankungen + Gesundheit - MacGregor et al. 2008: 610 Rantanen & Tuominen 2011: 228 MacGregor et al. 2008: 610 Hansen & Andersen 2008: 962, Elstad & Vabo 2008: 472 Hägerbäumer 2011: 131, 139 + Hansen & Andersen 2008: 962 + Gosselin et al. 2013: 81 + Krankenhausaufenthalt + Häufiger Krankenstand Physische Gesundheitsindikatoren Körperliche Gesundheit Muskel – Skelett – Beschwerden Rückenprobleme + - 112 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Indikatoren der Stressexposition und der psychischen Belastung Gastritis Allergien Life Events Emotionale Erschöpfung Depersonalisation Irritation Psychische Gesundheit Psychischer Stress Psychosomatische / Psychovegetative Beschwerden Bedarf an psychologischer Hilfe Geschlecht: Frauen + + + + + + + + + + + + + + + + Alter: Jüngere AN (unter 40 Jahre) Demografischer Hintergrund Soziodemografische Faktoren + + Beziehungsstand Betreuungspflichten von Kindern + + + + Bildung1 Schlechte finanzielle Lage 1 MacGregor et al. 2008: 610 Hägerbäumer 2011: 131, 172 Hägerbäumer 2011: 131 Hägerbäumer 2011: 172 Hägerbäumer 2011: 131 Hansen & Andersen 2008: 962 Gosselin et al. 2013: 80, 81 Biron et al. 2006: 33 Hägerbäumer 2011: 172 MacGregor et al. 2008: 610 Gosselin et al. 2013: 80 Sendén et al. 2013: 3f Hägerbäumer 2011: 131 Hägerbäumer 2011: 177 Hansen & Andersen 2008: 962, Rosvold & Bjertness 2001: 73, Vogt et al. 2009: 197, Gosselin et al. 2013: 81 Gosselin et al. 2013: 80 + Gosselin et al. 2013: 78 Johns 2011: 492 Aronsson et al. 2000: 506 Preisendörfer 2010: 407 Aronsson & Gustafsson 2005: 963 Aronsson et al. 2000: 507 Höhere Bildungsabschluss als Pflichtschule 113 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus 4.3.1.2 Zusammenfassung arbeitsbezogene Faktoren Als Resümee der Studienergebnisse zu den arbeitsbezogenen Faktoren kann festgehalten werden, dass ArbeitnehmerInnen mit ausgeprägter quantitativer oder qualitativer Arbeitsbelastung, häufiger krank in die Arbeit gehen. Biron et al. (2006) zeigen diesbezüglich auf, dass hoher Zeitdruck und Arbeitsumfang, mit einer erhöhten Präsentismuswahrscheinlichkeit einhergehen. Zusammenhänge zu einer erhöhten Präsentismushäufigkeit sind zudem bei Job Stress, Ressourcenmangel in der Ausführung der Arbeitsaufgaben, bei psychischer und sozialer Belastung, widersprüchlichen Anforderungen und Rollenkonflikten, Leistungs- und Erfolgsdruck sowie bei einem Mangel an Karriereoptionen festzustellen. Auch Berufstätige mit hohen Verantwortungspflichten gegenüber KollegInnen, KundInnen oder MitarbeiterInnen, korrespondieren mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit. Johansson & Lundberg (2004) fassen Faktoren, die einen Anwesenheitsdruck am Arbeitsplatz erzeugen, als „attendance requirements“ zusammen und weisen ebenso einen signifikanten Zusammenhang zu einer höheren Präsentismusfrequenz auf. Weitere Arbeitsbedingungen, die mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit korrespondieren, stellen eine mangelnde Work-Life-Balance bzw. Stress in privater Sphäre, interne Konflikte, Kooperationsenge und Interdependenzen zu ArbeitskollegInnen (bzw. verflochtene Arbeitsaufgaben) sowie Fremdbestimmung in der Arbeitsgestaltung dar. Korrelationen zu einer reduzierten Ausprägung von Präsentismus zeigen sich hingegen bei starker Unterstützung durch das soziale Umfeld (Peer Group, KollegInnen und Vorgesetzte) sowie bei ausgeprägtem Vertrauen zu KollegInnen. Darüber hinaus zeigt sich anhand zweier Studien, dass Handlungs- und Gestaltungsspielraum am Arbeitsplatz mit geringer Präsentismushäufigkeit korreliert. Arbeitszufriedenheit, Arbeitsfreude und ein starkes Verbundenheitsgefühl zur Organisation weisen ebenfalls einen Zusammenhang zu einer geringen Präsentismusausprägung auf. Mehrfach belegt wurde außerdem der Zusammenhang zwischen hoher Ersetzbarkeit am Arbeitsplatz und geringerer Präsentismusprävalenz. Demzufolgen gehen Personen, die über genügend Vertretungsmögilchkeiten verfügen, seltener krank in die 114 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Arbeit. Johns zeigte dem entgegen allerdings auch das Ergebnis auf, dass hohe Ersetzbarkeit mit einer erhöhten Präsentismusfrequenz korrelieren kann. Als Erklärung wird hierzu angenommen, dass Personen, die gut ersetzbar sind, sich in einer niedrigeren Jobposition befinden, dementsprechend schlechtere Jobkonditionen aufweisen und es sich in diesem Kontext schlechter leisten können in Krankenstand zu gehen (Johns 2011: 493). Hinsichtlich der Arbeitsstruktur kann resümiert werden, dass atypische Arbeitszeiten (z.B. Schichtarbeit), Überstunden sowie ein Wochenpensum von über 45 Arbeitsstunden, mit erhöhter Präsentismusfrequenz korrespondieren. Korrelationen zu einer verstärkten Präsentismushäufigkeit wurden allerdings auch für ArbeitnehmerInnen in Teilzeit und permanenter Vollzeitarbeit gefunden. Besteht eine Balance zwischen gewünschter und tatsächlicher Arbeitszeit, zeigt sich eine niedrigere Präsentismushäufigkeit. Hansen & Andersen (2008) befanden außerdem, dass Führungskräfte häufiger Präsentismus aufweisen als ArbeitnehmerInnen ohne Vorgesetztenstatus. Betrachtet man die Beschäftigungsform und Arbeitsplatzunsicherheit, ist festzuhalten, dass nicht nur die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, sondern auch die Angst vor dem Verlust qualitativer Merkmale (z.B. Firmenauto), mit einer höheren Präsentismusausprägung korrespondiert. Permanente Beschäftigungsformen korrelieren mit einer geringen Präsentismuswahrscheinlichkeit, vergleicht man diese mit prekären Arbeitsverhältnissen. Tabelle 32 zeigt die Ergebnisse der arbeitsbezogenen Faktoren. 115 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Tabelle 32: Zusammenfassung Resultate arbeitsbezogene Faktoren Dimension Faktor Variable Quantitative Arbeitsbelastung „Workload and time pressures“ Quantitative Arbeitsbelastung Zusammenhang Bivariat Multivariat + +* + Zeitdruck + Job Stress + + Ressourcenmangel + Psychische Belastung Soziale Belastung + + Widersprüchliche Anforderungen + Rollenkonflikt + + Qualitative Arbeitsbelastung Arbeitsbedingungen Leistungs- und Erfolgsdruck Mangel an Karriereoptionen + + + Gute Ersetzbarkeit - Ersetzbarkeit, Verantwortung, Attendance Requirements Work – Life – Balance + - Task Significance Verantwortungsbereich + + „Attendance Requirements“ + Work – to – Privacy conflict + + + Quelle Hägerbäumer 2011: 131 Biron et al. 2006: 33 Hägerbäumer 2011: 172 Aronsson & Gustafsson 2005: 963 Hansen & Andersen 2008: 962 Elstad & Vabo 2008: 472 Aronsson & Gustafsson 2005: 963 Hansen & Andersen 2008: 962 Hägerbäumer 2011: 131 Aronsson & Gustafsson 2005: 963 Biron et al. 2006: 33 Senden et al. 2013: 3f Hägerbäumer 2011: 131 Caverley et al. 2007: 308 Aronsson & Gustafsson 2005: 962 Aronsson et al. 2000: 506 Johns 2011: 490,492 Böckerman & Laukkanen 2009: 45 Johns 2011: 490, 492 Gosselin et al. 2013: 81 Johansson & Lundberg 2004: 1865 Hägerbäumer 2011: 172, 177 Cicey 2012: 6 116 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus + + Johns 2011: 490, 491 Hansen & Andersen 2008: 958 Caverley et al. 2007: 310 Gosselin et al. 2013: 80 Gosselin et al. 2013: 80, 81 Caverley et al. 2007: 310 Hägerbäumer 2011: 172 Hansen & Andersen 2008: 962 Gosselin et al. 2013: 80 + Hägerbäumer 2011: 139, 177 Stress in privater Sphäre Supervisor support Soziale Beziehungen Teamarbeit / Interdependenzen Handlungs- und Gestaltungsspielraum Arbeitszufriedenheit Arbeitszufriedenheit, Arbeitsfreude und „organizational commitment“ Peer support Vertrauen zu KollegInnen Soziale Rückendeckung Social Support Intragroup Conflict Kooperationsenge / Interdependenzen interdependent tasks Fremdbestimmung “Control – determining pace of work” “Work control” Arbeitszufriedenheit Arbeitsfreude „Organizational Commitment“ „Non Standard Worktime“ (z.B. Schichtarbeit) „One-Shift Work“ Arbeitsstrukturelle Faktoren Arbeitszeit Überstunden - + + - - + + + - - Johns 2011: 490, 492 Vogt et al. 2009: 197 Aronsson & Gustafsson 2005: 963 Gosselin et al. 2013: 81 Hägerbäumer 2011: 172 Caverley et al. 2007: 310 Gosselin et al. 2013: 80 Rantanen & Tuominen 2011: 228 Rosvold & Bjertness 2001: 73 Vogt et al. 2009: 197 Gosselin et al. 2013: 80 + Hansen & Andersen 2008: 962 + Rantanen & Tuominen 2011: 228 Caverley et al. 2007: 310 Hägerbäumer 2011: 131 Böckerman & Laukkanen 2009: 45 Hansen & Andersen 2008: 962 Böckerman & Laukkanen 2009: 45 + + + > 45h / Woche + > 48 h / Woche + 117 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Teilzeit + + + + Aronsson et al. 2000: 506 Böckerman & Laukkanen 2009: 45 Böckerman & Laukkanen 2009: 45 Böckerman & Laukkanen 2010: 334 Hansen & Andersen 2008: 962 Biron et al. 2006: 33 Hansen & Andersen 2008: 962 Preisendörfer 2010: 407 Caverley et al. 2007: 310 Johns 2011: 490, 492 Permanente Vollzeitarbeit + + + Hägerbäumer 2011: 172, 177 „Working – Time – Balance“ Beruflicher Status Beschäftigungsform und Arbeitsplatzunsicherheit „Supervisory Status“ Permanente Beschäftigung (Quantitative) Arbeitsplatzunsicherheit Qualitative Arbeitsplatzunsicherheit + + + 118 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus 4.3.1.3 Zusammenfassung organisationsbezogene Faktoren Hinsichtlich der Organisationskultur zeigt sich, dass ein positives Betriebsklima, Fürsorge gegenüber den MitarbeiterInnen und gesundheitsfördernde Initiativen, mit einer geringeren Präsentismushäufigkeit verbunden sind. Organisationen mit starker Leistungsorientierung und ausgeprägtem Wettbewerbsklima korrelieren hingegen mit einer erhöhten Präsentismusfrequenz unter den ArbeitnehmerInnen. In Bezug auf die ärztliche Attestpflicht als organisationsspezifische Regelung zeigt sich, dass liberalere Kontrollansprüche (ärztliche Attestpflicht nach drei Krankenstandstagen), im Vergleich zu restriktiveren Ansätzen (ärztliche Attestpflicht nach einem Krankenstandstag), mit einer höheren Präsentismusprävalenz korrespondieren. Zudem kann in Bezug auf organisationale Rahmenbedingungen resümiert werden, dass kleinere Unternehmen (weniger als 10 MitarbeiterInnen) im Vergleich zu größeren Betrieben, eher von hohen Präsentismushäufigkeiten betroffen sind. Zusammenhänge zu höheren Präsentismusraten sind zudem bei Unternehmen in der Gesundheits- und Bildungsbranche vorzufinden. Die zusammengefasste Übersicht der Ergebnisse organisationsbezogener Faktoren ist in nachfolgender Tabelle 33 ersichtlich. 119 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus Tabelle 33: Zusammenfassung Ergebnisse organisationsbezogene Faktoren Dimension Faktor Fürsorge durch die Organisation Gesundheitsförderung Organisationsklima Betriebsklima Organisationale Regelungen Organisationale Rahmenbedingungen Variable Zusammenhang Bivariat Multivariat „Organizational Care“ - Gesundheitskultur Positives Betriebsklima Wettbewerbsklima + + Leistungsorientierung + Ärztliche Attestpflicht „Three days‘ rule“ - Unternehmensgröße und Branchenzugehörigkeit Unternehmensgröße: Geringe Anzahl an Mitarbeiter (10 AN) Branche: Pflege- und Sozialwesen Branche: Bildung „Clinicans outside hospital“ + + + + Quelle Senden et al. 2013: 3f Hägerbäumer 2011: 172 Vogt et al. 2009: 197 Senden et al. 2013: 4 Böckerman & Laukkanen 2009: 45, 2010: 334 Böckerman & Laukkanen 2009: 45 Hansen & Andersen 2008: 962 Aronsson et al. 2000: 506 Aronsson et al. 2000: 506 Rosvold & Bjertness 2001: 73 120 4 Review empirischer Befunde zu den Einflussfaktoren und Folgen des Präsentismus 4.3.2 Zusammenfassung: Folgen des Präsentismus Die angeführten Längsschnittanalysen stützen einerseits die Annahme, dass sich insbesondere häufiger Präsentismus negativ auf die zukünftige Gesundheit auswirkt (Kivimäki et al. 2005, Bergström et al. 2009b, Demerouti et al. 2009, Taloyan et al. 2012, Gustafsson & Marklund 2011, Taloyan et al. 2012) und späteren Absentismus induziert (Bergström et al. 2009, Hansen & Andersen 2009, Gustafsson & Marklund 2011, Taloyan et al. 2012). Andererseits liefern Sanderson et al. (2008 zit. in Biron 2009) Hinweise dafür, dass Präsentismus unter gesundheitsförderlichen Arbeitsbedingungen, eine positive Wirkung auf die Gesundheit psychisch erkrankter ArbeitnehmerInnen aufzeigen kann. Die Präsentismusfolgen auf das soziale Umfeld sind, aus aktueller Sicht der Autorin, bislang unerforscht. Hägerbäumer hypothesiert diesbezüglich, dass z.B. negative oder positive Reaktionen (von KollegInnen, Vorgesetzten oder KundInnen) eine reziproke Wirkung auf das zukünftige Krankheitsverhalten hervorrufen können (Hägerbäumer 2011: 243f, siehe auch Präsentismusmodell Hägerbäumer in Kapitel 3.4.4). Abschließend ist festzuhalten, dass weiterhin großer Forschungsbedarf an Längsschnittanalysen besteht, um die genauen kausalen Zusammenhänge zwischen Präsentismus und Gesundheit, Krankenstand und weiteren soziale Folgen, aufzuklären. Die bisherigen Resultate der Längsschnittanalysen lassen darauf schließen, dass Präsentismus physische und psychische Gesundheitsbeeinträchtigungen, sowie (Langzeit-) Krankenstand zur Folge haben kann. 121 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Im zweiten Teil dieser Diplomarbeit folgen weitere Analysen zu den Einflüssen von Präsentismus. Die Basis stellt hierfür eine oberösterreichische Erhebung dar, die als Kooperationsprojekt der Johannes Kepler Universität und der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse (OÖGKK), im Rahmen der Lehrveranstaltung „Praxisfeld Gesundheit“, im Jahr 2013 durchgeführt wurde. Dabei beteiligten sich, unter der Leitung von Mag. Dr. Joachim Gerich, 16 Studentinnen der Johannes Kepler Universität. Die Erhebung basiert auf einer Zufallsstichprobe von versicherten ArbeitnehmerInnen der OÖGKK, woraus 2976 Personen als Untersuchungspopulation resultierten und postalisch befragt wurden. Die Rücklaufquote betrug circa 31 Prozent – damit basieren die nachfolgenden Datenanalysen auf 930 auswertbaren Fragebögen. Ziel dieser Studie ist es, Faktoren zu identifizieren, welche die Entscheidung zu Präsentismus begünstigen oder reduzieren. 122 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ 5.1 Untersuchungsmodell Das Untersuchungsmodell der Studie ist in nachfolgender Abbildung 8 dargestellt. Determinanten des Entscheidungsverhaltens Allgemeine Gesundheit Präsentismushäufigkeit Entscheidungsprozess Health Events p: PRÄSENTISMUS – NEIGUNG 1-p: ABSENTISMUS – NEIGUNG Krankenstandshäufigkeit Vulnerabiltätsdeterminanten Abbildung 8: Untersuchungsmodell oberösterreichische Studie (Gerich 2014: 35) Ausgangspunkt des Entscheidungsmodells ist der allgemeine Gesundheitszustand einer Person. Dieser wird durch verschiedene Vulnerabilitätsdeterminanten beeinflusst. Dabei handelt es sich um Belastungs- oder Schutzfaktoren, welche die Verwundbarkeit einer Person bedingen (siehe dazu auch Kapitel 2.2). Je nach Gesundheitsstatus bzw. Einflusswirkung der Vulnerabilitätsfaktoren, resultiert eine Summe an Tagen, an denen eine gesundheitliche Beeinträchtigung auftritt. Entsprechende Krankheitstage werden im Untersuchungsmodell als „Health Events“ bezeichnet (siehe auch Modell nach Johns 2010, Abschnitt 3.4.3) und geben den Impuls zum Entscheidungsprozess zwischen Präsentismus und Absentismus. Health Events können je nach Stärke und Auftrittshäufigkeit variieren. Handelt es sich z.B. um ein mäßig beeinträchtigendes Health Event, das aus Sicht des / der Betroffenen die Leistungsfähigkeit nicht gänzlich einschränkt (z.B. leichte Migräne), ergibt sich ein 123 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ breiterer Entscheidungsspielraum zwischen Präsentismus und Krankenstand als bei gravierenderen Krankheiten. Zudem wird angenommen, dass sich vulnerablere (häufiger kranke) ArbeitnehmerInnen auf einer anderen Entscheidungsgrundlage bewegen, als Beschäftigte, die mit maximal einer Krankheitsepisode pro Jahr konfrontiert werden. Je häufiger eine Person erkrankt bzw. je höher die Anzahl der Health Events ist, umso öfter muss eine Entscheidung zwischen Krankenstand und Präsentismus getroffen werden. In der Folge zeigt sich bei höherer Krankheitshäufigkeit eine größere Varianz im Entscheidungsverhalten. ArbeitnehmerInnen, die z.B. maximal einmal im Jahr an einer Grippe erkranken, entscheiden sich eher gänzlich für oder gegen einen Krankenstand bzw. Präsentismus – sie variieren ihre Entscheidung im Zuge der geringeren Krankheitshäufigkeit seltener. Initiiert durch ein entsprechendes Health Event erfolgt ein Entscheidungsprozess zwischen Präsentismus und Krankenstand, welcher durch eine Vielzahl an Einflussgrößen in unterschiedlichen Dimensionen beeinflusst wird. Ausgehend von bisherigen Studienergebnissen wurde angenommen, dass die Handlungsweise im Krankheitsfall durch personale, tätigkeitsbezogene, organisationale, soziodemografische und arbeitsstrukturelle Variablen determiniert wird. Vergleichbar zu bisherigen Präsentismusstudien, werden auch in diesem Modell, die Präsentismus- und Absentismusfrequenz als Outcome – Variablen des Entscheidungsprozesses festgelegt. Die Präsentismushäufigkeit ist allerdings nicht als Antagonismus zur Krankenstandsfrequenz zu verstehen. Mehrere Studien kamen bereits zu dem Ergebnis, dass die Präsentismus- und Absentismushäufigkeit durch ähnliche Einflussfaktoren begünstigt wird (wie z.B. Job Stress, Arbeitsplatzsicherheit, Arbietszufriedenheit) (Elstad & Vabo 2008, Caverley et al. 2007 zit. in Leineweber et al. 2012: 906). Zudem wurde eine positive Assoziation zwischen den beiden Variablen festgestellt, die darauf schließen lässt, dass beide Größen nicht gegenteilig gegenüber stehen, sondern dass mit höherer Anzahl an Präsentismustagen auch eine erhöhte Krankenstandsfrequenz einhergeht (Aronsson & Gustafsson 2005, Aronsson et al. 2000, Hansen & Andersen 2008 zit. in 124 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Leineweber et al. 2012: 906). In dieser Studie wird angenommen, dass sowohl die Absentismus – als auch die Präsentismusfrequenz im Wesentlichen durch die Vulnerabilität einer Person determiniert wird, wodurch sich der Ursprung des Zusammenhangs beider Variablen erklären lässt. Beide Outcomevariablen stellen damit lediglich die Verwundbarkeit bzw. die gesundheitliche Anfälligkeit der Arbeitskräfte dar. Die Aussagekraft der Variable Präsentismushäufigkeit ist folglich beschränkt. Sie gibt in erster Linine Auskunft darüber, welche Personengruppen besonders gesundheitsgefährdet sind bzw. zu gewissen „Risikogruppen“ für eine höhere Vulnerabilität und damit häufigeren Präsentismus und Krankenstand zählen (Gerich 2015a: 49). Die Frage, welche Determinanten das Entscheidungsverhalten zwischen Krankenstand und Präsentismus – unabhängig vom individuellen Gesundheitsstatus einer Person – beeinflussen, kann durch diese Variable nicht vollständig beantwortet werden. Ziel der Untersuchung ist es demzufolge eine alternative Größe zur Präsentismushäufigkeit zu berechnen, welche konkret das Entscheidungsverhalten der ArbeitnehmerInnen adressiert und nicht vorrangig durch die gesundheitliche Verfassung beeinflusst wird. Diese Rolle soll eine weitere abhängige Variable erfüllen, die als „Präsentismusneigung“ bezeichnet und durch folgende Formel geschätzt wird: Präsentismus Häufigkeit p ≈ Health Events (Gerich 2015a: 47) Die Anzahl der Präsentismustage, dividiert durch die Summe an Health Events (Präsentismustage + Krankenstandstage) ergibt die Wahrscheinlichkeit (in Prozent), zu der eine Person trotz Krankheit in die Arbeit geht. Als Pendant dazu, kann auch die Absentismuswahrscheinlichkeit berechnet werden (1-p). Die Einflussfaktoren bzw. Ursachen des Präsentismus sollen folglich mit zwei verschiedenen abhängigen Variablen berechnet werden: 125 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ der Präsentismushäufigkeit und der Präsentismusneigung. Etwaige Assoziationen zwischen den einbezogenen personalen, tätigkeits- und organisationsbezogenen Faktoren und der Präsentismushäufigkeit, würden einerseits darauf hindeuten, dass betroffene Personen zu einer Risikogruppe für erhöhten Präsentismus zählen. Andererseits kann dies auch bedeuten, dass es sich hierbei um Personengruppen handelt, welche eine höhere Vulnerabilität (und daher mehr Health Events) aufweisen. Jene unabhängigen Variablen, die einen entsprechenden Einfluss auf die Präsentismushäufigkeit bewirken, könnten folglich auch als Risikofaktoren für die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen berücksichtigt werden (Gerich 2015a: 48, Gerich 2015b: 16). Ein Zusammenhang zur Präsentismuswahrscheinlichkeit würde hingegen bedeuten, dass entsprechende ArbeitnehmerInnen, unabhängig von der Häufigkeit der Health Events, im Krankheitsfall eher zu Präsentismus als zu Krankenstand tendieren. Jene Einflussgrößen der Präsentismusneigung können ergo als Risikofaktoren für Präsentismusneigung identifiziert werden (Gerich 2015a: 49, Gerich 2015b:16). Beide Variablen werden als plausible Messvariablen für Präsentismus verwendet um auch etwaige Unterschiede hinsichtlich der verschiedenen Einflussfaktoren herauszuarbeiten. Als Ergänzung zu den Präsentismusvariablen wird auch die Krankenstandshäufigkeit als abhängige Variable hinzugefügt. Schließlich beinhaltet die Präsentismuswahrscheinlichkeit bereits Informationen über die Absentismusneigung (äquivalente Größe), die Faktoren der Präsentismusfrequenz sind allerdings nicht konsequent ident mit jenen der Krankenstandsfrequenz. Daher wird diese als separate abhängige Variable erhoben. 5.1.1 Zentrale Forschungsziele Die folgende Forschungsarbeit basiert damit auf zwei wesentlichen Untersuchungszielen: 126 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Einerseits soll die Präsentismusprävalenz der Befragten ermittelt werden. Daneben gilt es jene Determinanten herauszufiltern, welche zu einer Erhöhung der Präsentismusfrequenz (und Krankenstandsfrequenz) beitragen. Anhand entsprechender Resultate können Risikogruppen für eine erhöhte Präsentismusprävalenz identifiziert werden. Jene Ergebnisse können zudem darauf hindeuten, welche Determinanten zu einer Erhöhung der Health Events beitragen und damit etwaige Gesundheitsrisiken für ArbeitnehmerInnen darstellen. Andererseits gilt es jene Einflussfaktoren aufzudecken, welche das Entscheidungsverhalten im Krankheitsfall beeinflussen und die Entscheidungstendenz zu Präsentismus begünstigen oder reduzieren. Dabei ist vorweg anzumerken, dass Personen, die aufgrund bestimmter Einflussfaktoren mit einer erhöhten Präsentismuswahrscheinlichkeit in Verbindung stehen, nicht zwingend eine höhere Präsentismushäufigkeit aufweisen. Eine Person, die z.B. selten krank ist, die sich allerdings im Krankheitsfall mit hoher Wahrscheinlichkeit für Präsentismus entscheidet, kann im Zuge der geringen Krankheitshäufigkeit, eine geringe Anzahl an Präsentismustagen (bei gleichzeitig hoher Präsentismuswahrscheinlichkeit) aufweisen. 5.2 Methodische Vorgangsweise Die Untersuchungspopulation setzt sich aus 930 Versicherten der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse zusammen, die infolge einer Zufallsstichprobe (n= 2976, Rücklaufquote ≈ 31%) im Jahr 2013 postalisch befragt wurden. Bezüglich der Stichprobenverteilung ist anzumerken, dass die Befragten durchschnittlich 43,5 Jahre alt sind (Untergrenze beträgt 16 Jahre, Obergrenze 64 Jahre). Der Anteil an weiblichen (50,1 %) und männlichen (49,9 %) Befragten ist relativ ausgewogen. 5.2.1 Messvariablen Die Präsentismushäufigkeit wurde anhand der offenen Fragestellung „Wie viele Tage sind Sie ungefähr im letzten Jahr zur Arbeit gegangen, obwohl es Ihr Gesundheitszustand eigentlich gerechtfertigt hätte, Krankenstand zu nehmen?“ erhoben. Darüber hinaus wurde die Krankenstandsfrequenz mit der Frage „Wie viele Tage waren Sie 127 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ ungefähr im letzten Jahr aus gesundheitlichen Gründen im Krankenstand?“ ermittelt. Die folgende Tabelle 34 zeigt die personalen, tätigkeitsbezogenen, organisationalen und demografischen Determinanten welche als Analysevariablen in der Studie berücksichtigt wurden. Bezüglich der Unterteilung der Variablen ist hinzuzufügen, dass eine eindeutige Kategorisierung teilweise nicht möglich ist wie z.B. bei Arbeitszufriedenheit – dabei handelt es sich zwar um ein individuelles Merkmal, das womöglich auch mit der Charakterstruktur einer Person in Verbindung steht, bezieht sich allerdings auf die berufliche Tätigkeit. Die Zuordnung der Determinanten ist folglich nicht zwingend, wurde aber dennoch zur besseren Übersicht der Faktoren umgesetzt. Für die Regressionsanalyse wurden folgende Faktoren als Kontrollvariablen herangezogen: Geschlecht, Alter und beruflicher Status. Tabelle 34: Unabhängige Analysevariablen Variable Items Fragestellung und Ausprägungen MW SD „Es fällt mir schwer, Anderen einen Wunsch abzuschlagen.“ (1=gering, 4=hoch) 3,00 0,70 2,99 0,54 2,00 0,86 2,86 0,37 Personenbezogene Einflussfaktoren Individual Boundarylessness 1 „Eine berufliche Tätigkeit ist nur ein Mittel, um Geld zu verdienen“. „Ich würde auch dann gerne berufstätig sein, wenn ich das Geld nicht bräuchte.“ „Arbeit finde ich grundsätzlich mühsam“. Arbeitsorientierung 5 „Was man arbeitet ist nicht so wichtig im Leben.“ „Ich mag Tätigkeiten mit schwierigen Aufgaben – das ist eine Herausforderung für mich.“ (1=gering, 4= hoch) Angst vor Arbeitsplatzverlust 1 „Inwieweit machen Sie sich Sorgen über einen möglichen Verlust Ihres Arbeitsplatzes?“ (1=gering, 4=hoch) „Ich habe einen wirklich interessanten Beruf“. „Mein Beruf macht mir Spaß“. Arbeitszufriedenheit 5 „Wenn ich könnte, würde ich gerne den Beruf wechseln“. „Mit meiner derzeitigen Arbeit bin ich ganz zufrieden“. „Ich langweile mich oft bei der Arbeit“. 128 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ (1=gering, 4=hoch) „Jemand, der krank zur Arbeit geht, hat bessere Aufstiegschancen“. „Häufiger Krankenstand ist ein Zeichen für geringe Motivation“. Präsentismus als Zeichen für Leistung 4 „Menschen, die oft im Krankenstand sind, sind zumeist etwas überempfindlich“. 2,57 0,59 3,41 0,54 2,32 0,65 MW SD 2,56 0,84 3,04 0,97 2,34 0,85 2,18 0,98 3,28 0,80 „Wenn man trotz Beschwerden in die Arbeit geht, zeigt das Leistungsbereitschaft“. (1= keine Zustimmung, 4=hohe Zustimmung) „Jemand, der krank zur Arbeit geht, vernachlässigt seine Gesundheit“. Präsentismus als Gefährdung 2 „Jemand, der krank zur Arbeit geht, gefährdet andere“. (1= keine Zustimmung, 4=hohe Zustimmung) Liberale Einstellung gegenüber Krankenstand „Es ist völlig akzeptabel, wenn man hin und wieder im Krankenstand ist“. 2 „Es ist gerechtfertigt, sich hin und wieder einen Krankenstand zu gönnen“. (1= keine Zustimmung, 4=hohe Zustimmung) Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren „In meiner beruflichen Tätigkeit können nur wenige Personen meine Aufgabe übernehmen“. Ersetzbarkeit 4 „Wenn ich ein paar Tage im Krankenstand bin, müssen andere meine Arbeit zusätzlich übernehmen“. „Außer mir wissen nur wenige Personen, wie meine Aufgaben zu erledigen sind“. „Bei wichtigen Entscheidungen kann mich schwer jemand anderer vertreten“. (1=gering, 4=hoch) Zusätzliche Belastung Anderer 1 „Wenn ich ein paar Tage im Krankenstand bin, müssen andere meine Arbeit zusätzlich übernehmen“.(1=selten, 4=oft) „Wenn Sie sich unwohl fühlen oder einmal nicht ganz fit sind: Haben Sie dann die Möglichkeit, Ihre Arbeit an Ihre Leistungsfähigkeit anzupassen?“ Adjustment Latitude 2 „Wenn Sie sich gesundheitlich beeinträchtigt fühlen, können Sie bestimmte Tätigkeiten auf einen anderen Zeitpunkt verschieben?“ (1=gering, 4=hoch) „Meine Tätigkeit ist körperlich belastend (z.B. Schweres heben oder tragen). „Bei meiner Tätigkeit muss ich lange stehen“. Physische Beanspruchung 4 Bei meiner Tätigkeit bin ich Einflüssen wie z.B. Lärm, Hitze, Kälte ausgesetzt“. „Bei meiner Tätigkeit ist handwerkliche Geschicklichkeit gefragt“. (1=gering, 4=hoch) „Meine Tätigkeit erfordert, dass ich viel mit Kollegen/innen zusammen arbeite“. Teamarbeit 1 (1=gering, 4=hoch) 129 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ „Bei meiner Tätigkeit stehe ich häufig unter Stress“. Stress 1 3,07 0,78 2,66 0,69 MW SD (1=gering, 4=hoch) „In meiner Arbeit erhalte ich ausreichend Lob oder Zuspruch“. Gratifikation 2 „Ich erhalte für meine Arbeit eine angemessene Entlohnung“. (1=gering, 4=hoch) Organisationsbezogene Einflussfaktoren Strenge ärztliche Attestpflicht 1 Gesundheit wird im Betrieb ernst genommen 1 Work-Life-Balance wird beachtet „Ab wann fordert Ihr/e Arbeitgeber/In eine ärztliche Bestätigung?“ 0,55 (1=ab dem ersten Tag, 0= später, weiß nicht) „Haben Sie das Gefühl, dass in dem Unternehmen, in dem Sie tätig sind, die Gesundheit der Mitarbeiter/innen ernst genommen wird? 0,73 (1=eher ja, 2= eher nein, 3= weiß ich nicht; dichotomisiert in 1=ja, 0=nein) 1 “Wird in dem Unternehmen, in dem Sie tätig sind, darauf geachtet, dass das Arbeits- und Privatleben in Einklang gebracht werden kann? 0,67 (1=eher ja, 2=eher nein, 3=weißt nicht; dichotomisiert in 1=ja, 0=nein) Demografische Faktoren: Personenbezogen Geschlecht (Kontrollvariable) Alter (Kontrollvariable) Beruflicher Status (Kontrollvariable) Finanzielle Zufriedenheit Betreuungspflichten MW 1 weiblich (versus männlich) 0,50 1 Jahre 43,1 Ungelernte ArbeiterInnen 0,13 FacharbeiterInnen 0,20 Angestellte 0,45 Leitende Angestellte 0,22 SD 10,4 1 „Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie mit Ihrer derzeitigen finanziellen Lage?“ 1 2,85 0,66 (1=gering, 4=hoch) 1 „Haben Sie Betreuungs- oder Aufsichtspflichten für andere Personen (z.B. kinder oder ältere Personen)?“ 0,44 (1=ja, 0=nein) Bildungsstatus 1 Pflichtschule 0,08 Lehre 0,41 Mittlere Schule ohne Matura 0,24 130 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Matura 0,16 Universität 0,11 Demografische Faktoren: Arbeitsstrukturelle Determinanten Tätigkeitsdauer 1 MW SD 15,3 10,18 2,66 1,08 „Wie viele Stunden pro Woche arbeiten Sie ungefähr im Durchschnitt (inklusive Mehr- und Überstunden)?“ (Stunden, maximal 60/Woche) 37,7 9,82 Schichtarbeit 0,12 Gleitzeitregelung 0,35 Arbeit auf Abruf 0,05 Turnusdienst 0,06 „Wie lange arbeiten Sie bereits im derzeitigen Unternehmen?“ (Jahre) „Wie viele Mitarbeiter/innen sind in Ihrem Unternehmen (an Ihrem Standort) tätig?“ Betriebsgröße 1 (1= Bis 9 Mitarbeiter/innen; 2= 10 bis 49 Mitarbeiter/innen; 3= 50 bis 249 Mitarbeiter/innen; 4= 250 oder mehr Mitarbeiter/innen) Wochenstunden Arbeitszeitregelung 1 1 Befristetes Dienstverhältnis 1 „Ist Ihr derzeitiges Dienstverhältnis befristet?“ (1=ja, 0=nein) 0,97 Branche 1 Gesundheitsbranche (1=ja, 0=nein) 0,18 Gesundheitsindikator und Symptome im Krankheitsfall Subjektiver Gesundheitszustand Symptome im Krankheitsfall 1 „Wenn Sie den besten denkbaren Gesundheitszustand mit 10 Punkten bewerten und den schlechtesten mit 0 Punkten: Wie viele Punkte würden Sie für Ihren derzeitigen allgemeinen Gesundheitszustand vergeben?“ MW SD 7,09 1,86 (0=schlecht, 10= sehr gut) Erkältungssymptome (z.B. Grippe) 0,85 Migräne / Kopfschmerzen 0,32 Depressive Verstimmungen, „Burnout“, Angstzustände 0,16 1 MW= Mittelwert, SD= Standardabweichung 131 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ 5.3 Resultate 5.3.1 Präsentismus, Absentismus und Gesundheit Die durchschnittliche Angabe der Präsentismus- und Absentismusfrequenz im vergangenen Jahr, als auch die Verteilung der Präsentismusneigung wird im folgenden Abschnitt dargestellt. Zudem werden etwaige Assoziationen zwischen Präsentismus, absentismus und Gesundheit erläutert. 5.3.1.1 Prävalenz Präsentismus Anhand der Verteilung der Präsentismusfrequenz in Tabelle 35 ist ersichtlich, dass der Großteil der Befragten (75,6%) mindestens an einem Tag im Jahr krank in die Arbeit gingen. Dies war bei 24,4% der Befragten nicht der Fall. Durchschnittlich liegt die Präsentismusfrequenz bei 7,4 Tagen (SD= 8.4) im Jahr. Die Häufigkeitskategorien wurden auf maximal 60 Tage beschränkt d.h. etwaige Ausreißer von über 60 Präsentismustagen (trifft in 31 Fällen zu) wurden in der weiteren Analyse ausgeschlossen, um Verzerrungen durch Extremwerte (z.B. Langzeiterkrankungen) zu vermeiden. Tabelle 35: Präsentismustage im vergangenen Jahr Kategorien / Anzahl Präsentismustage Prozent 0 Tage 24,4 1 – 5 Tage 33,7 6 – 10 Tage 22,2 11 – 15 Tage 9,1 16 – 20 Tage 5,6 21 – 25 Tage 1,2 26 – 30 Tage 2,4 31 – 60 Tage 1,4 Spaltenweise Prozentuierung Anzahl gültiger Fälle (Prozentuierungsbasis)=909 Fälle. 5.3.1.2 Prävalenz Absentismus Hinsichtlich der Angabe der Krankenstandstage ergab sich ein Mittelwert von 6,2 Tagen 132 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ (SD= 9,6). Durchschnittlich gingen die Befragten also häufiger krank in die Arbeit als in Krankenstand. 65 Prozent der Befragten nahmen sich im Jahr 2012 mindestens einen Tag Krankenstand. Größtenteils beläuft sich die Absentismusfrequenz zwischen den Kategorien 1-5 Tage und 6-10 Tage. Immerhin 35 Prozent der Befragten nahmen sich innerhalb von 12 Monaten keinen einzigen Tag Krankenstand. Personen, die mehr als 60 Krankenstandstage angaben (31 Fälle), wurden wiederum aus der Analyse ausgeschlossen, um Verzerrungen aufgrund Extremwerte (z.B. Langzeitkrankenstände) zu vermeiden. Die genaue Aufschlüsselung der Krankenstandsverteilung ist in nachfolgender Tabelle 36 ersichtlich. Tabelle 36: Krankenstandstage im vergangenen Jahr Kategorien / Anzahl Krankenstandstage Prozent 0 Tage 35,0 1 – 5 Tage 34,3 6 – 10 Tage 14,8 11 – 15 Tage 6,6 16 – 20 Tage 2,5 21 – 25 Tage 1,9 26 – 30 Tage 1,6 31 – 60 Tage 3,3 Spaltenweise Prozentuierung Anzahl gültiger Fälle (Prozentuierungsbasis)=915 Fälle. 5.3.1.3 Prävalenz Health Events und Präsentismus- / Absentismusneigung Die Gesamtzahl der Health Events wird anhand der berichteten Absentismus- und Präsentismustage geschätzt. Zur Ermittlung der Präsentismusneigung, wird die entsprechende Summe an Health Events (Absentismus- und Präsentismustage zusammengefasst) mit der Präsentismushäufigkeit der Befragten in Beziehung gesetzt (siehe Formel S. 125). Auf diesem Weg wird ermittelt, mit welcher Wahrscheinlichkeit sich die Befragten bei einer gesundheitlichen Beeinträchtigung für Präsentismus oder Absentismus entscheiden. Die Berechnung der Präsentismus- oder Absentismusneigung bedarf also 133 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ zunächst einer Addition der berichteten Präsentismus- und Absentismustage um die Anzahl der Health Events zu ermitteln. Die Verteilung entsprechender Health Events ist in folgender Tabelle 37 ersichtlich: Tabelle 37: Verteilung der Health Events Kategorien Health Events Prozent 0 Tage 13,1 1 – 10 Tage 41,9 11 – 20 Tage 24,8 21 – 30 Tage 9,6 31 – 40 Tage 4,0 41 – 50 Tage 3,8 51 – 60 Tage 1,8 61 – 70 Tage 0,8 71 – 80 Tage 0,2 Spaltenweise Prozentuierung Anzahl gültiger Fälle (Prozentuierungsbasis)=899 Fälle. 13,1 Prozent der Befragten berichten keinen einzigen Tag, an dem eine gesundheitliche Beeinträchtigung auftrat bzw. an dem eine Entscheidung zwischen Präsentismus oder Krankenstand getroffen werden musste. 86,9 Prozent der Befragten berichteten hingegen von mindestens einem Health Event innerhalb des Beobachtungszeitraums. Durchschnittlich ergibt sich unter den Befragten ein Mittelwert von 13,5 Health Events (SD= 13,98). Werden nun bei jeder Person die Präsentismusfrequenzen mit den Health Events in Relation gesetzt, resultiert eine durchschnittliche Präsentismuswahrscheinlichkeit von 59 Prozent unter den Befragten (siehe Tabelle 38). Tabelle 38: Präsentismus- und Absentismusneigung Präsentismusneigung Absentismusneigung 134 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Mittelwert 0,59 0,41 Standardabweichung 0,34 0,34 n (gültige Fälle) 781 798 Im Falle einer gesundheitlichen Beeinträchtigung tendieren damit die Befragten durchschnittlich mit einer Wahrscheinlichkeit von 59 Prozent zur Entscheidung für Präsentismus. Die Gegenwahrscheinlichkeit bzw. die Neigung sich im Krankheitsfall für einen Krankenstand zu entscheiden beträgt hingegen 41 Prozent. Zusammengefasst kann also festgehalten werden, dass die Befragten im Durchschnitt mit einer etwas höheren Wahrscheinlichkeit zu Präsentismus als zu Krankenstand tendieren. Hinsichtlich der Berechnung der Präsentismus- oder Absentismusneigung ist zu ergänzen, dass Personen, die weder Krankenstands- noch Präsentismustage bzw. keine Health Events angaben, in der Evaluierung der Präsentismus- / Absentismuswahrscheinlichkeit ausgeschlossen wurden. Infolgedessen basiert die Präsentismus- und Absentismusneigung auf einer geringeren Fallzahl (zwischen 781 und 798 Befragten). Betrachtet man in nachfolgender Abbildung 9 die Verteilung der Präsentismusneigung, sticht eine deutliche Konzentration bei den Werten 0 und 1 hervor: Abbildung 9: Verteilung der Präsentismusneigung 135 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ In etwa 38 Prozent der Befragten weisen entweder einen Maximalwert von 1 oder Minimalwert von 0 bei der Präsentismusneigung auf. Berücksichtigt man in der Verteilung der Präsentismuswahrscheinlichkeit die jeweilige Angabe an Health Events unter den Befragten, ist ersichtlich, dass insbesondere Personen, mit weniger als zehn Health Events, entsprechende Extremwerte bei der Ausprägung 0 und 1 aufweisen (siehe Abbildung 10): Abbildung 10: Verteilung der Präsentismusneigung bei Health Events ≤10 Vergleicht man dies mit der Verteilung der Präsentismuswahrscheinlichkeit bei ArbeitnehmerInnen, die mehr als zehn Health Events angaben, zeigt sich eine höhere Varianz in der Entscheidungsfindung zwischen Präsentismus und Absentismus (siehe Abbildung 11): 136 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Abbildung 11: Verteilung der Präsentismusneigung bei Health Events > 10 Die unterschiedliche Verteilung der Präsentismuswahrscheinlichkeit, je nach Anzahl der Health Events, lässt sich dadurch erklären, dass Personen mit häufigeren Krankheitsfällen eine andere Ausgangslage für die Entscheidung im Krankheitsfall besitzen, als ArbeitnehmerInnen, die nur selten mit Health Events konfrontiert werden. Beschäftigte mit seltenen Health Events erleben vermutlich oftmals nur eine Krankheitsepisode im Jahr und entscheiden sich in diesem Fall eher gänzlich für einen Krankenstand oder Präsentismus. Die Varianz der Entscheidung ist folglich bei selten kranken Arbeitnehmerinnen wesentlich geringer als bei Personen, die im Zuge höherer Krankheitsanfälligkeit mit häufigeren Entscheidungssituationen konfrontiert werden. In der Folge ergibt sich bei weniger vulnerablen ArbeitnehmerInnen, eine höhere Verteilungskonzentration bei den Extremwerten 1 und 0 der geschätzten Präsentismusneigung. Beschäftigte die mehr als zehn Krankheitstage im Jahr aufweisen, variieren ihre Entscheidung im Krankheitsfall zwischen Präsentismus und Absentismus häufiger. Aufgrund der geringeren Varianz der Entscheidungsresultate bei Personen mit seltenen Health Events wird vermutet, dass die Schätzung der Präsentismusneigung bei entsprechenden ArbeitnehmerInnen mit höheren Ungenauigkeiten einhergeht. Die bivariaten und multivariaten Zusammenhangsanalysen, zwischen Präsentismus und den je137 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ weiligen unabhängigen Determinanten, werden daher getrennt, nach geringen (≤ 10 Health Events) und hohen Health Events (> 10 Health Events), durchgeführt, um die unterschiedliche Entscheidungsgrundlage von vulnerableren und weniger vulnerablen ArbeitnehmerInnen zu berücksichtigen. 5.3.1.4 Zusammenhänge zwischen Präsentismus, Absentismus und Gesundheit Wie bereits in der Erläuterung des Untersuchungsmodells erwähnt wurde, besteht die Vermutung, dass die Anzahl der Präsentismus- und Absentismustage, in erster Linie Auskunft darüber gibt, wie es um die Gesundheit der Befragten steht. Im folgenden Abschnitt wird daher anhand einer bivariaten und multivariaten Zusammenhangsanalyse überprüft, inwiefern die Präsentismus- und Absentismushäufigkeit als Erklärung für den subjektiv eingeschätzten Gesundheitszustand der Befragten herangezogen werden kann. Tabelle 39 zeigt die entsprechenden Ergebnisse: Tabelle 39: Zusammenhang zwischen Präsentismus / Absentismus und Gesundheit Präsentismushäufigkeit Krankenstandshäufigkeit Bivariater Zusammenhang zur Gesundheit Multivariater Zusammenhang zur Gesundheit -0.46** -0.41** (902) (892) -0.30** -0.20** (906) (892) R2 0,24 (gültige Fälle in Klammern); *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p>0.05. Wie erwartet korrespondieren sowohl die Präsentismushäufigkeit, als auch die Krankenstandshäufigkeit, negativ mit der subjektiv eingeschätzten Gesundheit der befragten ArbeitnehmerInnen. Je mehr Präsentismustage und Krankenstandstage berichtet werden, umso schlechter wird auch der allgemeine Gesundheitsstatus bewertet. Bezüglich der Stärke der Zusammenhänge ist ersichtlich, dass die Präsentismushäufigkeit einen besseren Gesundheitsindikator (r= -0,46) darstellt, als die Absentismusfrequenz (r= 0.30). Zusammengenommen erklären beide Größen in der multivariaten Analyse 24 Prozent der Varianz der subjektiv bewerteten Gesundheit der Befragten. Auch in der 138 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Regressionsanalyse liefert die Präsentismusfrequenz einen deutlich höheren Beitrag zur Erklärung des Gesundheitszustands als die Krankenstandshäufigkeit. Daraus kann abgeleitet werden, dass Krankenstandsdaten in geringerem Ausmaß prognostizieren können, wie es um die Gesundheit der ArbeitnehmerInnen steht. Insbesondere für das betriebliche Gesundheitsmanagement bedeutet dies, dass sich Präsentismusdaten als bessere Gesundheitsindikatoren im Vergleich zu Fehlzeitenstatistiken eignen. Der Zusammenhang zwischen Präsentismusneigung und subjektiver Gesundheit ist nicht signifikant bzw. in der Korrelationsberechnung nach Pearson äußerst gering (TauB r= -0.05 ns.; r= -0.07, p< 0.05). Folglich kann die Annahme bestätigt werden, dass die Präsentismusneigung, unabhängig vom Gesundheitszustand der Befragten, Auskunft darüber gibt, mit welcher Wahrscheinlichkeit erkrankte ArbeitnehmerInnen Präsentismus aufzeigen. Eine hohe Präsentismushäufigkeit kann also darauf zurückgeführt werden, dass betroffene ArbeitnehmerInnen eine höhere gesundheitliche Vulnerabilität aufzeigen – die geschätzte Präsentismuswahrscheinlichkeit kann hingegen unabhängig vom Gesundheitsstatus der Befragten interpretiert werden. Zeigt also ein Arbeitnehmer / eine Arbeitnehmerin eine geringe Präsentismusneigung auf, kann es sich dabei um eine besonders stabile aber auch besonders labile Person handeln. Die Präsentismusneigung gibt keinen Aufschluss darüber, wie es um die Gesundheit der Befragten steht, sondern wie stark die Entscheidungstendenz zu Präsentismus im Krankheitsfall ausgerichtet ist. 5.3.1.5 Zusammenhang zwischen Präsentismus und Absentismus Betrachtet man den Zusammenhang zwischen Präsentismus und Krankenstand, könnte intuitiv angenommen werden, dass sich die beiden Handlungsoptionen bipolar gegenüber stehen (mit der Annahme, dass geringe Fehlzeiten mit einer höheren Präsentismusfrequenz einhergehen und umgekehrt). Folglich müsste in der bivariaten Zusammenhangsanalyse eine negative Korrelation aufgezeigt werden. Die Ergebnisse in Tabelle 40 präsentieren das Gegenteil. Die Präsentismushäufigkeit korrespondiert mit der Krankenstandshäufigkeit mit einer Stärke von r= 0.23 signifikant 139 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ positiv. Dies bedeutet, dass eine höhere Anzahl an Präsentismustagen mit einer erhöhten Krankenstandsfrequenz korrespondiert. Folglich ist im Rahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements davon auszugehen, dass ausgeprägte Fehlzeiten im Personal auch mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit in Verbindung stehen. Tabelle 40: Bivariater Zusammenhang zwischen Präsentismus und Absentismus Krankenstandshäufigkeit 0.23** Präsentismushäufigkeit (899) (gültige Fälle in Klammern); *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p>0.05. Dieser Befund der positiven Korrelation zwischen der Präsentismus- und Krankenstandshäufigkeit wird auch durch Studienergebnisse von Leineweber et al. (2012: 908), Hansen & Andersen (2008: 963), Aronsson & Gustafsson (2005: 964), Caverley et al. (2007: 311) bestätigt. 5.3.2 Präsentismusgründe Inwiefern die Befragten ihre Entscheidung zu Präsentismus selbst begründen, wurde in Anlehnung an Hägerbäumer (2011: 137) erfragt. Entsprechende Fragestellungen sowie die Auswertung der Ergebnisse sind in Tabelle 41 vorzufinden. Die Beweggründe wurden als Index unterteilt in „Soziale Präsentismusgründe“ (Rücksicht auf KollegInnen, Vermeidung von Unannehmlichkeiten für Andere, schlechter Eindruck auf Andere, Anpassung an das Verhalten der KollegInnen) und „Pragmatische Gründe“ (Vermeidung von Einschränkungen in der Freizeit und ärztliche Attestpflicht). Darüber hinaus wurden auch dynamische Beweggründe wie z.B. ein vorangegangener Krankenstand oder häufiger Pflegeurlaub, als potentielle Präsentismusgründe berücksichtigt: Tabelle 41: Begründungen für Präsentismus Rang 1 Begründungen für Präsentismus Präsentismus aus sozialen Gründen 4 „Ich bin krank in die Arbeit gegangen,… … weil meine Kolleg/innen das auch häufig tun.“ MW SD N 2,00 0,75 543 140 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ … weil ein Krankenstand keinen guten Eindruck macht.“ … weil es Unannehmlichkeiten verursacht, wenn man in Krankenstand geht.“ … damit meine Kolleg/innen nicht meine Arbeit übernehmen müssen.“ (4=oft, 1=nie) „Ich bin krank in die Arbeit gegangen,… 2 Präsentismus aus pragmatischen Gründen 2 …weil ich in der Freizeit keine Einschränkungen haben wollte“. …damit ich kein ärztliches Attest bringen musste“. 1,38 0,63 541 1,19 0,38 541 (4=oft, 1=nie) 3 Triggerpoints: Präsentismus als Folge früheren Krankenstands oder Pflegeurlaubs „Ich bin krank in die Arbeit gegangen,… 2 …weil ich davor schon oft im Krankenstand war.“ … weil ich ohnehin häufig in Pflegeurlaub war.“ (4=oft, 1=nie) MW= Mittelwert, SD= Standardabweichung Am Häufigsten wurden soziale Beweggründe für Präsentismus (MW=2,00) genannt, während die pragmatischen Begründungen (MW=1,38) auf Platz zwei rangieren und eher selten angegeben werden. Eine ebenfalls durchschnittlich niedrige Wertung erfolgt bei den sogenannten Triggerpoints bzw. Begründungen für Präsentismus aufgrund früheren Krankenstands oder Pflegeurlaubs (MW=1,19). Insgesamt kann anhand der selbstberichteten Gründe für Präsentismus festgehalten werden, dass die Befragten eher selten aus pragmatischen Motiven oder aufgrund früheren Krankenstands bzw. Pflegeurlaubs krank in die Arbeit gingen. Soziale Beweggründe wie z.B. die Vermeidung von negativen Folgen für Andere bzw. von Unannehmlichkeiten durch Krankenstand, wurden durchschnittlich häufiger genannt. Zu beachten ist hierbei, dass es sich um selbst berichtete Präsentismusgründe der Befragten handelt. Das Risiko etwaiger Antwortverzerrungen (aufgrund sozialer Wünschbarkeit) sollte folglich berücksichtigt werden. 5.3.3 Präsentismusdeterminanten Das folgende Kapitel widmet sich den bivariaten und multivariaten Zusammenhangsanalysen zwischen den angenommenen Einflussfaktoren und Präsentismus. In Anlehnung an bisherige Studienergebnisse (siehe Review Kapitel 4) wurden hierfür personale, tätigkeitsbezogene sowie organisationsbezogene Determinanten angenommen (siehe Auflistung unabhängige Variablen in Tabelle 34). Im Unterschied zu den angeführten Forschungsarbeiten, werden die Faktoren allerdings nicht nur auf einen 141 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Zusammenhang zur Präsentismus- und Absentismushäufigkeit geprüft, sondern auch in Bezug auf die Präsentismuswahrscheinlichkeit untersucht. Darüber hinaus, erfolgt eine Gewichtung der Präsentismuswahrscheinlichkeit nach der Krankheitshäufigkeit bzw. Vulnerabilität der Befragten. Folglich wird die Präsentismusneigung nicht nur gesamt betrachtet, sondern auch nach ArbeitnehmerInnen mit häufiger (mehr als 10 Health Events) und geringer (weniger als 10 Health Events) Anzahl an Health Events berechnet. Somit können Zusammenhänge zur Präsentismusneigung nach Personen mit hoher und geringer Vulnerabilität verglichen werden. 5.3.3.1 Bivariate Zusammenhangsanalyse Die bivariaten Zusammenhänge wurden als Produkt-Moment-Korrelationen (Pearson) berechnet. Darüber hinaus basieren die nachfolgenden Berechnungen auf Daten von Befragten, die mindestens ein Health Event im Beobachtungszeitraum angaben. Dementsprechend verkleinerte sich die Stichprobengröße auf 773 StudienteilnehmerInnen. 5.3.3.1.1 Tätigkeitsbezogene Faktoren Im folgenden Abschnitt werden die Ergebnisse der bivariaten Zusammenhangsanalyse zwischen tätigkeitsbezogenen Faktoren (Adjustment Latitude, Ersetzbarkeit, Zusätzliche Belastung des Umfelds, Gratifikation, Teamarbeit, physische Beanspruchung, Stressbelastung) und den abhängigen Variablen, Präsentismus- bzw. Absentismushäufigkeit und Präsentismusneigung, präsentiert und analysiert. Tabelle 42 und Tabelle 43 zeigen die Resultate der entsprechenden Korrelationen. Tabelle 42: Bivariate Korrelationen zwischen tätigkeitsbezogenen Merkmalen und Präsentismus/Krankenstandsfrequenz Präsentismushäufigkeit Absentismushäufigkeit Adjustment Latitude -0.27** -0.12** Ersetzbarkeit 0.10** 0.18** Zusätzliche Belastung Anderer Gratifikation -0.27** 142 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Teamarbeit 0.10** Physische Beanspruchung 0.28** Stress 0.17** 0.18** *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. In Tabelle 42 ist ersichtlich, dass die Tätigkeitsmerkmale geringer Handlungs- und Entscheidungsspielraum (Adjustment Latitude), hohe Ersetzbarkeit durch KollegInnen und hohe physische Beanspruchung, sowohl mit einer erhöhten Präsentismus- als auch Absentismusfrequenz assoziiert sind. Dies deutet darauf hin, dass es sich dabei im Wesentlichen um Faktoren handelt, die mit einem schlechteren Gesundheitsstatus und einer erhöhten Anzahl an Health Events korrespondieren. Weitere tätigkeitsbezogene Determinanten, die lediglich mit einer erhöhten Präsentismusfrequenz in Verbindung stehen, sind geringe Gratifikation und hohe Stressbelastung. Stark ausgeprägte Teamarbeit im Beruf korrespondiert mit einer erhöhten Absentismusfrequenz. Für die Variable „Zusätzliche Belastung Anderer“ wurde kein Zusammenhang zur Präsentismus- und Absentismusfrequenz gefunden. Inwiefern das Entscheidungsverhalten im Krankheitsfall durch entsprechende Tätigkeitsmerkmale beeinflusst wird, zeigt folgende Tabelle 43: Tabelle 43: Bivariate Korrelationen zwischen tätigkeitsbezogenen Merkmalen und Präsentismusneigung Präsentismusneigung Gesamt Seltene Health Events Adjustment Latitude -0.14** -0.22** Ersetzbarkeit -0.10** Häufige Health Events -0.10* 143 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Zusätzliche Belastung Anderer 0.10** 0.14** Gratifikation -0.13** -0.15** Teamarbeit -0.08* Physische Beanspruchung Stress -0.15** -0.16** 0.11* 0.15** 0.14** 0.18** *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. Seltene Health Events: Health Events <=10. Häufige Health Events: Health Events >10. Die Ergebnisse in Tabelle 43 zeigen eine erhöhte Präsentismuswahrscheinlichkeit, wenn die berufliche Tätigkeit mit geringem Adjustment Latitude verbunden ist (äquivalent zu den Korrelationsergebnissen der Präsentismus- und Absentismushäufigkeit) und eine geringe Ersetzbarkeit durch KollegInnen besteht (im Unterschied zu den Ergebnissen der Präsentismus- und Absentismushäufigkeit). Sollten im Falle eines Krankenstands KollegInnen zusätzliche Arbeit übernehmen müssen, korrespondiert dies ebenfalls positiv mit einer erhöhten Präsentismuswahrscheinlichkeit. Dies trifft auch bei einer geringen Gratifikation, gering ausgesprägter Teamarbeit als auch bei hoher Stressbelastung zu. Die Ergebnisse der Präsentismusneigung variieren allerdings je nach Ausprägungshäufigkeit der Health Events. ArbeitnehmerInnen mit weniger als zehn Krankheitstagen im Jahr zeigen unter Arbeitsbedingungen wie z.B. hoher physischer Beanspruchung, geringem Adjustment Latitude und Zusatzbelastung von KollegInnen im Falle eines Krankenstands, eine erhöhte Präsentismusneigung, während ArbeitnehmerInnen mit mehr als zehn Krankheitstagen, diesbezüglich keine signifikanten Korrelationen aufweisen. Bei Berufstätigen mit häufigen Krankheitsfällen (mehr als zehn Health Events) korrespondieren hingegen eine hoch ausgesprägte Teamarbeit und Ersetzbarkeit beide Male negativ mit der Präsentismusneigung, während Personen mit seltenen Health Events diesbezüglich keine Korrelation aufweisen. Die Korrelationsergebnisse der Präsentismusneigung bei seltenen und häufigen Health Events, unterstützen die Annahme, dass eine unterschiedliche Ausgangsbasis für Ar144 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ beitnehmerInnen mit seltenen und häufigen Krankheitstagen besteht – die untersuchten Tätigkeitsmerkmale wirken sich dementsprechend unterschiedlich auf das Entscheidungsverhalten aus. Daraus ergeben sich folgende Interpretationsmöglichkeiten: Für Personen die häufig krank sind, ist vor allem die Vertretungsmöglichkeit durch KollegInnen, in Form von Teamarbeit oder Ersetzbarkeit, für eine reduzierte Präsentismusneigung relevant. ArbeitnehmerInnen die selten krank sind, benötigen hingegen kaum Vertretungspersonen – damit übereinstimmend erweist sich der Faktor Ersetzbarkeit hinsichtlich der Entscheidungstendenz zu Präsentismus als nicht signifikant. Die zusätzliche Belastung Anderer, sowie die physische Beanspruchung am Arbeitsplatz, stellen jedoch Faktoren dar, die bei selten krank ArbeitnehmerInnen mit einer erhöhten Präsentismuswahrscheinlichkeit korrespondieren. Bei ausgeprägtem Handlungs- und Entscheidungsfreiheit zeigt sich ein Zusammenhang zu einer reduzierten Präsentismuswahrscheinlichkeit. Ein Mangel an Gratifikation sowie hohe Stressbelastung, fördert die Präsentismusneigung für ArbeitnehmerInnen sowohl mit seltenen als auch mit häufigen Health Events in vergleichbarer Stärke. Zusammengefasst kann hinsichtlich der bivariaten Korrelationen der tätigkeitsbezogenen Merkmale und Präsentismus festgehalten werden, dass geringer Handlungs- und Entscheidungsspielraum, eine hohe Stressbelastung als auch ein Mangel an Gratifikation, sowohl mit einer erhöhten Präsentismus- und Absentismusfrequenz, als auch mit einer erhöhten Präsentismusneigung in gleicher Richtung korrelieren. Dies bedeutet, dass jene Ausprägungen nicht nur einen Zusammenhang mit einer erhöhten Vulnerabilität (hohen Frequenz an Präsentismus- und Krankenstandstagen) aufweisen – sie sind auch mit einer erhöhten Entscheidungswahrscheinlichkeit zu Präsentismus, unabhängig von der Vulnerabilität der jeweiligen Person, assoziiert. Gegensätzliche Zusammenhänge ergeben sich bei der Variable Ersetzbarkeit: Diese korrespondiert mit einer erhöhten Präsentismus- und Absentismushäufigkeit und einer 145 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ reduzierten Präsentismusneigung. ArbeitnehmerInnen, denen mehrere Vertretungsmöglichkeiten im Krankheitsfall zur Verfügung stehen, stehen folglich mit mehr Health Events in Verbindung – sie sind möglicherweise vulnerabler als Berufstätige, die schlechter ersetzbar sind. Gleichzeitig zeigt sich bei mehreren Vertretungsmöglichkeiten, eine reduzierte Präsentismuswahrscheinlichkeit. Darüber hinaus ist auffällig, dass die zusätzliche Belastung von KollegInnen (im Krankenstandsfall) mit einer erhöhten Präsentismusneigung korreliert – nicht aber mit der Präsentismushäufigkeit. Bei differenzierter Betrachtung der Anzahl an Health Events, zeigt sich dieser Zusammenhang zur Präsentismusneigung, lediglich bei ArbeitnehmerInnen mit geringer Anzahl an Krankheitstagen (≤ 10 Health Events). Teamarbeit kann gleichbedeutend sein für eine enge Interaktion und Abhängigkeit unter ArbeitskollegInnen, kann aber auch darauf hinweisen, dass mehrere Vertretungsmöglichkeiten durch Teammitglieder bestehen. Die bivariate Zusammenhangsanalyse zeigt diesbezüglich keine Relevanz hinsichtlich der Auftrittshäufigkeit von Präsentismustagen. Es ist allerdings ein signifikanter Zusammenhang zu einer reduzierten Präsentismusneigung bei vulnerableren ArbeitnehmerInnen vorzufinden. Folglich könnte hypothesiert werden, dass Teamarbeit nicht zwingendermaßen mehr Abhängigkeiten sondern mehr Vertretungsmöglichkeiten durch KollegInnen schafft, wodurch mehr Freiraum für Krankenstände (vor allem für vulnerablere ArbeitnehmerInnen) möglich ist. Physische Beanspruchung am Arbeitsplatz korrespondiert hingegen nicht nur mit einer erhöhten Vulnerabilität (Präsentismus- und Absentismustage) sondern auch mit einer erhöhten Präsentismusneigung (bei ArbeitnehmerInnen mit seltenen Health Events). Befragte mit häufigen Health Events weisen diesbezüglich keine signifikante Korrelation auf. 5.3.3.1.2 Personale Faktoren Als personale Faktoren wurden die Variablen Arbeitszufriedenheit, Individual Bounda146 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ rylessness, die individuelle Arbeitseinstellung, die subjektive Bewertung von Präsentismus und Absentismus sowie die Angst vor dem Jobverlust kategorisiert. Diese werden im Folgenden hinsichtlich ihrer bivariaten Korrelation zur Präsentismus- und Absentismushäufigkeit als auch zur Präsentismusneigung (unterteilt nach seltenen und häufigen Health Events) analysiert. Tabelle 44: Bivariate Korrelation zwischen personenbezogenen Merkmalen und Präsentismus/Krankenstandsfrequenz Präsentismushäufigkeit Absentismushäufigkeit Arbeitszufriedenheit -0.20** -0.12** Individual Boundarylessness 0.11** Positive Arbeitsorientierung -0.10** Präsentismus als Leistung 0.11** Präsentismus als Gefährdung -0.16** 0.14** Liberale Absentismushaltung Angst vor Jobverlust 0.22** 0.12** *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. Die bivariaten Korrelationen in Tabelle 44 zeigen zunächst eine positive Korrelation zur Präsentismusfrequenz bei Personen mit der Charaktereigenschaft „Individual Boundarylessness“ (fehlende Fähigkeit „Nein“ zu sagen), wenn Präsentismus als Leistungsindikator bewertet wird und bei Angst vor Jobverlust. Personale Determinanten wie etwa eine positive Arbeitsorientierung und eine ausgeprägte Arbeitszufriedenheit korrespondieren mit der Präsentismushäufigkeit signifikant negativ. Zusammenhänge zu einer erhöhten Krankenstands- und Präsentismusfrequenz (bzw. zu einer erhöhten Anzahl an Health Events) sind bei ArbeitnehmerInnen mit geringer Arbeitszufriedenheit, negativer Arbeitsorientierung und Angst vor Jobverlust festzustellen. Aufgrund der Korrelationen in gleicher Richtung, sowohl zur Absentismushäufigkeit als auch zur Präsentismushäufigkeit, wird vermutet, dass es sich hierbei in erster Linie um Gesundheitsdeterminanten handelt. 147 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Die Bewertung von Präsentismus als gefährdendes Verhalten korreliert lediglich mit einer erhöhten Krankenstandshäufigkeit. Für die Variable „Liberale Absentismushaltung“ ergaben sich keine signifikanten Korrelationen. Wird der Fokus auf jene personalen Determinanten gelegt, welche die Entscheidungstendenz zu Präsentismus begünstigen oder reduzieren, stehen die folgenden Zusammenhänge in Tabelle 45 im Vordergrund. Tabelle 45: Bivariate Korrelation zwischen personenbezogenen Merkmalen und Präsentismusneigung Präsentismusneigung Gesamt Seltene Health Events Häufige Health Events 0.11** 0.13* 0.24** 0.30** 0.18** -0.16** -0.16** -0.14** Arbeitszufriedenheit Individual Boundarylessness Positive Arbeitseinstellung Präsentismus als Leistung Präsentismus als Gefährdung Liberale Absentismushaltung Angst vor Jobverlust *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. Seltene Health Events: Health Events <=10. Häufige Health Events: Health Events >10. 148 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Im Unterschied zu den Ergebnissen aus Tabelle 44, weisen weder die Determinanten Arbeitszufriedenheit, positive Arbeitseinstellung noch die Angst vor Jobverlust eine signifikante Korrelation zur Präsentismusneigung auf. Folglich ist davon auszugehen, dass entsprechende Variablen eher als gesundheitsrelevante Faktoren einzuordnen sind, die mit der Prävalenz der Health Events, aber nicht mit der Entscheidungswahrscheinlichkeit zu Präsentismus in Verbindung stehen. Individual Boundarylessness zeigt hingegen auch zur Präsentismusneigung eine positive Korrelation. Unter Berücksichtigung der Anzahl an Health Events, trifft dies insbesondere für ArbeitnehmerInnen mit seltenen Health Events zu. Berufstätige mit häufigeren Krankheitsepisoden weisen hier keinen signifikanten Zusammenhang zur Präsentismusneigung auf. Die positive Bewertung des Präsentismus als Leistung, korrespondiert positiv mit der Präsentismusneigung, sowohl bei ArbeitnehmerInnen mit seltenen als auch mit häufigen Health Events. Wird Präsentismus hingegen als gefährdendes Krankheitsverhalten bewertet, zeigt sich ein Zusammenhang zu einer reduzierten Präsentismustendenz. Die getrennte Analyse zwischen häufig und selten kranken ArbeitnehmerInnen zeigt diesbezüglich keinen Unterschied. Resümierend kann hinsichtlich der Korrelationen der personalen Determinanten festgehalten werden, dass insbesondere die positive Bewertung des Präsentismus mit einer erhöhten Neigung zu Präsentismus korrespondiert. Die Einschätzung des Präsentismus als gefährdendes Verhalten korreliert hingegen eher mit der Entscheidung zu Krankenstand. Die persönliche Wertung des Verhaltens im Krankheitsfall, scheint folglich eine hohe Relevanz in der Entscheidung zwischen Krankenstand und Präsentismus zu besitzen. ArbeitnehmerInnen denen es schwer fällt „Nein“ zu sagen, tendieren im Krankheitsfall eher zu Präsentismus – dieser Zusammenhang zeigt sich jedoch lediglich bei Beschäftigten mit seltenen Krankheitsepisoden. Das Gefühl der Arbeitsplatzunsicherheit, eine negative Arbeitseinstellung und mangelnde Arbeitszufriedenheit korreliert mit einer erhöhten Anzahl an Krankenstands- und Präsentismustagen (bzw. mit einer erhöhten Vulnerabilität), weist aber keinen Zusam149 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ menhang zum Entscheidungsverhalten auf. 5.3.3.1.3 Organisationsbezogene Faktoren Organisationsbezogene Determinanten, wie etwa die ärztliche Attestpflicht, die Berücksichtigung einer Work-Life-Balance und die Förderung einer gesundheitsfreundlichen Arbeitsatmosphäre, wurden hinsichtlich ihres Zusammenhangs zur Präsentismus- und Absentismushäufigkeit als auch zur Präsentismusneigung untersucht. Die entsprechenden Ergebnisse sind in Tabelle 46 und Tabelle 47 vorzufinden. Tabelle 46: Bivariate Korrelation zwischen organisationsbezogenen Merkmalen und Präsentismus - / Absentismushäufigkeit Präsentismushäufigkeit Absentismushäufigkeit Gesundheit wird durch den Betrieb ernst genommen -0.23** -0.09* Work – Life – Balance wird beachtet -0.26** -0.08* Strenge Attestpflicht 0.11** 0.08* *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. Befinden die befragten ArbeitnehmerInnen, dass ihre Gesundheit und Work-LifeBalance durch das Unternehmen Berücksichtigung findet, zeigt sich ein Zusammenhang zu einer reduzierten Präsentismus- und Absentismusfrequenz unter den Befragten (siehe Tabelle 46), während eine strenge Attestpflicht (ärztlicher Attest nach einem Krankenstandstag) mit einer erhöhten Präsentismus- und Absentismushäufigkeit assoziiert ist. Vergleicht man entsprechende Korrelationen mit jenen der Präsentismusneigung in Tabelle 47 zeigen sich diesbezüglich etwas unterschiedliche Ergebnisse. Die ärztliche Attestpflicht scheint lediglich mit einer erhöhten Krankheitshäufigkeit (Präsentismus- und Krankenstandstage) der ArbeitnehmerInnen zu korrespondieren, nicht aber mit der Entscheidungstendenz im Krankheitsfall. Die Berücksichtigung der Work-Life-Balance unter den ArbeitnehmerInnen korreliert 150 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ hingegen nicht nur mit den Health Events einer Person negativ, sondern auch mit dem Entscheidungsverhalten zu Präsentismus im Krankheitsfall. Sollten zudem, von Unternehmerseite, die Gesundheitsbedürfnisse der ArbeitnehmerInnen ernstgenommen werden, ergibt sich ein signifikanter Zusammenhang zu einer reduzierten Präsentismusneigung. Auf Personen mit häufigen Health Events trifft diese Korrelation allerdings nicht zu. Tabelle 47: Bivariate Korrelation zwischen organisationsbezogenen Merkmalen und Präsentismusneigung Präsentismusneigung Gesamt Seltene Health Events Gesundheit wird durch den Betrieb ernst genommen -0.08* -0.13* Work – Life – Balance wird beachtet -0.13** -0.19** Häufige Health Events -0.11* Strenge Attestpflicht *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. Seltene Health Events: Health Events <=10. Häufige Health Events: Health Events >10. Eine strenge ärztliche Attestpflicht scheint in erster Linie mit der Vulnerabilität einer Person in Verbindung zu stehen, da kein Zusammenhang zur Präsentismusneigung gefunden wurde. Die mangelnde Berücksichtigung der Work-Life-Balance und Gesundheit der Beschäftigten, korrespondiert hingegen nicht nur mit einer erhöhten Anzahl an Präsentismusund Krankenstandstagen, sondern steht auch im Zusammenhang mit einer erhöhten Entscheidungstendenz zu Präsentismus. 5.3.3.1.4 Soziodemografische Faktoren Die bivariaten Zusammenhänge zwischen soziodemografischen Variablen wie Geschlecht, Alter, Betreuungspflichten, finanzielle Zufriedenheit, beruflicher Status und Bildungslevel und den abhängigen Variablen Präsentismus- und Absentismushäufigkeit 151 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ und Präsentismuswahrscheinlichkeit, wird im folgenden Abschnitt in Tabelle 48 und Tabelle 49 dargestellt. Tabelle 48: Bivariate Korrelationen zwischen soziodemografischen Merkmalen und Präsentismus/ Absentismushäufigkeit Präsentismushäufigkeit Absentismushäufigkeit 0.07* -0.07* Geschlecht weiblich Alter 0.08* Betreuungspflichten Beruflicher Status Finanzielle Zufriedenheit -0.24** -0.08* Ungelernte ArbeiterInnen 0.07* 0.11** FacharbeiterInnen 0.10** 0.11** Angestellte Leitende Angestellte -0.07* -0.09* Pflichtschule Lehre Bildungsstatus -0.11** 0.09** 0.12** Mittlere Schule 0.06* -0.06* ohne Matura Höhere Schule mit Matura -0.07* Universität -0.11** -0.08** *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. In Tabelle 48 ist ein signifikanter Zusammenhang zwischen weiblichen Befragten und einer erhöhten Präsentismushäufigkeit bzw. einer reduzierten Krankenstandshäufigkeit ersichtlich. Ältere ArbeitnehmerInnen stehen mit einer erhöhten Krankenstandshäufigkeit in Verbindung. Finanzielle Zufriedenheit scheint hingegen mit der gesundheitlichen Stabilität der ArbeitnehmerInnen zu korrespondieren – dies zeigt sich in dem signifikanten Zusammenhang zu einer reduzierten Präsentismus- und Krankenstandshäufigkeit. ArbeitnehmerInnen, die auf einer niedrigeren beruflichen Hierarchieebene arbeiten (ungelernte ArbeiterInnen und FacharbeiterInnen), weisen eine Korrelation zu einer erhöhten Präsentismus – und Absentismusfrequenz auf, während Berufstätige in höheren 152 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ beruflichen Positionen, eine geringere Krankheitshäufigkeit aufweisen. Folglich könnte hypothesiert werden, dass Befragte mit niedrigerem Berufsstatus mit einer höheren Vulnerabilität assoziiert sind, als ArbeitnehmerInnen in höheren Positionen. Darüber hinaus, ist hinsichtlich des Bildungslevels ersichtlich, dass ArbeitnehmerInnen mit niedrigerem Bildungsstatus (Pflichtschule, Lehre) mit einer höheren Anzahl an Health Events (Krankenstands- und Präsentismustage) in Verbindung stehen, während Berufstätige mit höherem Bildungsgrad (Mittlere Schule, Matura, Universität) mit einer geringeren Präsentismus- und Krankenstandsfrequenz korrespondieren. Inwiefern entsprechende soziodemografische Merkmale eine Rolle im Entscheidungsverhalten zwischen Präsentismus und Absentismus spielen, zeigt sich in nachfolgender Tabelle 49: Tabelle 49: Bivariate Korrelationen zwischen soziodemografischen Merkmalen und Präsentismusneigung Präsentismusneigung Gesamt Geschlecht weiblich Seltene Häufige Health Events Health Events 0.10** 0.11* Betreuungspflichten 0.11** 0.11* Finanzielle Zufriedenheit -0.08* -0.11* Alter 0.11* Ungelernte ArbeiterInnen Beruflicher Status FacharbeiterInnen Angestellte Leitende Angestellte Pflichtschule -0.08** -0.14** Lehre Bildungsstatus Mittlere Schule ohne Matura 0.07* Höhere Schule mit Matura Universität -0.09** -0.12* *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. Seltene Health Events: Health Events <=10. Häufige Health Events: Health Events >10. 153 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Weibliche Beschäftigte weisen nicht nur eine Verbindung zu einer erhöhten Präsentismusfrequenz auf, sondern korrespondieren auch mit der Präsentismuswahrscheinlichkeit positiv. Unter Berücksichtigung der Anzahl an Health Events zeigt sich bei selten kranken weiblichen Beschäftigten ein Zusammenhang zu einer höheren Präsentismuswahrscheinlichkeit. Zudem korrespondiert die Variable „Betreuungspflichten“ mit einer erhöhten Präsentismusneigung. Der berufliche Status korreliert zwar mit der Präsentismus- und Absentismushäufigkeit positiv, zeigt allerdings hinsichtlich des Entscheidungsverhaltens keinen signifikanten Zusammenhang. Der Bildungsstand berufstätiger Personen weist in der Varianzanalyse einen signifikanten nicht – linearen Zusammenhang (Eta= 0,16, p<0.01) zur Präsentismuswahrscheinlichkeit auf. Aus Tabelle 50 geht allerdings hervor, dass bei Personen mit mittlerem Bildungsgrad (Mittlere Schule ohne Matura) die höchste Präsentismustendenz auftritt, während bei Befragten mit höherem Bildungsabschluss (Universitätsabschluss) und niedrigerem Bildungslevel (Pflichtschule) die Präsentismusneigung abnimmt. Tabelle 50: Varianzanalyse Bildungsstand und Präsentismusneigung Bildungsstand Mittelwert N Standardabweichung Pflichtschule .48 63 .34 Lehre .60 317 .34 Mittlere Schule ohne Matura .64 188 .31 Höhere Schule mit Matura .60 120 .35 Universität .48 85 .35 Insgesamt .59 773 .34 Unterteilt in den verschiedenen Bildungskategorien ist auch aus der bivariaten Zusammenhangsanalyse ersichtlich, dass ArbeitnehmerInnen mit niedrigerer Bildung (Pflichtschule) und höherem Bildungsabschluss (Universität) mit einer reduzierten Präsentismusneigung verbunden sind, während Beschäftigte in der mittleren Bildungskategorie 154 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ (Mittlere Schule ohne Matura) mit einer erhöhten Präsentismuswahrscheinlichkeit assoziiert sind. Als Resümee kann hinsichtlich der soziodemografischen Variablen festgehalten werden, dass Frauen eher mit der Entscheidung zu Präsentismus in Verbindung stehen als Männer. Zudem erweisen sich die Variablen Betreuungspflichten, finanzielle Unzufriedenheit und mittlerer Bildungsstatus (mittlere Schule ohne Matura) als relevante demografische Größen für das Entscheidungsverhalten zugunsten Präsentismus. Aus den bivariaten Korrelationen zur Präsentismus- und Absentismusfrequenz kann zusammenfassend abgeleitet werden, dass die finanzielle Unzufriedenheit, eine niedrige berufliche Position, niedriges Bildungslevel und höheres Alter im Zusammenhang mit einer höheren Vulnerabilität (Präsentismus- und Absentismustage) steht. 5.3.3.1.5 Arbeits- und organisationsstrukturelle Faktoren Arbeits- und organisationsstrukturelle Faktoren, wie etwa die jeweilige Tätigkeitsdauer, die Wochenstunden, das Dienstverhältnis, die Betriebsgröße und Branchenzugehörigkeit des Unternehmens, sowie die Arbeitszeitregelungen, wurden im folgenden Abschnitt hinsichtlich bivariater Zusammenhänge zur Präsentismus- und Absentismushäufigkeit, sowie zur Präsentismusneigung untersucht. Entsprechende Resultate sind in Tabelle 51 und Tabelle 52 ersichtlich. Tabelle 51: Bivariate Korrelationen zwischen arbeits- und organisationsstrukturellen Merkmalen und Präsentismus- / Absentismushäufigkeit Präsentismushäufigkeit Absentismushäufigkeit Tätigkeitsdauer Betriebsgröße 0.06* Wochenstunden Befristetes Dienstverhältnis Gesundheitsbranche 155 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Arbeitszeitregelung Schichtarbeit 0.12** Gleitzeitregelung -0.13** Arbeit auf Abruf 0.10** 0.11** Turnusdienst *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. Ein signifikant positiver Zusammenhang besteht zwischen der Variable „Betriebsgröße“ und Krankenstandshäufigkeit. Hinsichtlich der Branchenzugehörigkeit, Tätigkeitsdauer, Dienstverhältnis und Wochenstundenpensum zeigt sich keine Verbindung zur Anzahl der Präsentismus- und Absentismustage. Bezüglich der Arbeitszeitregelung ist allerdings ersichtlich, dass Schichtarbeit und Arbeit auf Abruf mit einer erhöhten Anzahl an Health Events korrespondieren. Gleitzeit im Beruf ist hingegen mit einer niedrigeren Anzahl an Präsentismustagen verbunden. Korrelationen zu einer erhöhten Präsentismusneigung sind bei ArbeitnehmerInnen, die bereits eine längere Tätigkeitsdauer aufweisen und in der Gesundheitsbranche tätig sind, festzustellen. Bei höherer Anzahl an MitarbeiterInnen (Betriebsgröße) und Gleitzeit als Arbeitszeitregelung, zeigt sich hingegen ein Zusammenhang zu einer reduzierten Präsentismuswahrscheinlichkeit. Tabelle 52: Bivariate Korrelationen zwischen arbeits- und organisationsstrukturellen Merkmalen und Präsentismusneigung Präsentismusneigung Gesamt Tätigkeitsdauer 0.08* Betriebsgröße -0.06* Seltene Health Events Häufige Health Events Wochenstunden Befristetes Dienstverhältnis Gesundheitsbranche Arbeitszeitregelung 0.10** 0.19** Schichtarbeit 156 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Gleitzeitregelung -0.08* -0.11** Arbeit auf Abruf Turnusdienst *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. Seltene Health Events: Health Events <=10. Häufige Health Events: Health Events >10. Insgesamt geht aus den Korrelationen der arbeits- und organisationsstrukturellen Faktoren hervor, dass Arbeitszeitregelungen wie etwa Schichtarbeit und Arbeit auf Abruf zwar mit der Anzahl an Health Events korrespondieren, dass sie aber nicht mit dem Entscheidungsverhalten im Krankheitsfall in Verbindung stehen. Die Möglichkeit Gleitzeit zu arbeiten, korreliert hingegen mit der Präsentismusneigung als auch mit der Präsentismusprävalenz negativ, d.h. die Arbeitszeitregelung Gleitzeit, steht sowohl mit einer geringeren Krankheitshäufigkeit, als auch mit einer reduzierten Entscheidungstendenz zu Präsentismus im Zusammenhang. Hinsichtlich der Branchenzugehörigkeit kann festgehalten werden, dass ArbeitnehmerInnen in der Gesundheitsbranche eher zu Präsentismus neigen – dieser Befund wurde auch bereits durch Aronsson et al. (2000: 506) postuliert. Die Betriebsgröße (Anzahl an Mitarbeitern) steht nur in schwachem Zusammenhang mit einer reduzierten Präsentismusneigung und leicht erhöhten Krankenstandsfrequenz. Darüber hinaus zeigt sich eine schwache Korrelation zwischen einer längeren Tätigkeitsdauer und einer erhöhten Präsentismusneigung. 5.3.3.1.6 Subjektive Gesundheit und Symptome im Krankheitsfall Der Zusammenhang zwischen subjektiver Gesundheit und Präsentismus-/ Absentismushäufigkeit (siehe Tabelle 53) bzw. Präsentismusneigung (siehe Tabelle 54) wird im folgenden Abschnitt erneut dargestellt, wobei im Unterschied zu den Berechnungen in Abschnitt 5.3.1.4, eine kleinere Stichprobengröße (Befragte mit mindestens einem Health Event) herangezogen wurde. Darüber hinaus wurde untersucht, ob und inwiefern ausgewählte Krankheitssymptome (Erkältungssymptome, Migräne, psychische Erkrankungen) mit Präsentismus verbunden sind. 157 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Tabelle 53: Bivariate Korrelationen zwischen Gesundheit / Symptome im Krankheitsfall und Präsentismus- / Absentismushäufigkeit Symptome im Krankheitsfall Präsentismushäufigkeit Absentismushäufigkeit Subjektive Gesundheit -0.42** -0.26** Erkältungssymptome 0.11** Migräne / Kopfschmerzen 0.20** Depressive Verstimmungen, Burnout, Angstzustände 0.23** 0.10** *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. Wie bereits in Abschnitt 5.3.1.4 dargestellt, zeigt sich in Tabelle 53 der bisher stärkste Zusammenhang zwischen der subjektiven Gesundheit und der Präsentismus- und Absentismusfrequenz: die positive Einschätzung der Gesundheit korrespondiert mit einer geringeren Vulnerabilität bzw. Angabe an Health Events (Präsentismus- und Krankenstandstage). Umgekehrt korrelieren Krankheitssymptome, wie grippale Infekte oder Migräne, mit einer erhöhten Präsentismusfrequenz. Depressive Verstimmungen, Anzeichen von Burnout oder Angstzustände stehen ebenfalls im Zusammenhang mit einer erhöhten Präsentismus- und Krankenstandshäufigkeit. Die Korrelationen zur Präsentismusneigung in Tabelle 54 zeigen einen deutlich schwächeren aber signifikant negativen Zusammenhang zur subjektiven Gesundheit auf. Demnach korrespondiert eine geringere Präsentismuswahrscheinlichkeit mit einem besseren Gesundheitszustand. Dieser Zusammenhang verstärkt sich erwartungsgemäß bei Personen mit seltenen Health Events, Darüber hinaus ist ersichtlich, dass Krankheitssymptome, wie Migräne, Erkältungskrankheiten oder Depressionen, insbesondere bei Personen mit häufigen Krankheitsepisoden mit einer erhöhten Präsentismusneigung verbunden sind, während ArbeitnehmerInnen mit seltenen Health Events diesbezüglich keine signifikanten Korrelationen aufzeigen. Tabelle 54: Bivariate Korrelationen zwischen Gesundheit / Symptome im Krankheitsfall und Präsentismusneigung Präsentismusneigung 158 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Symptome im Krankheitsfall Gesamt Seltene Health Events Subjektive Gesundheit -0.07* -0.12* Erkältungssymptome 0.14** 0.16** Migräne / Kopfschmerzen 0.09* Depressive Verstimmungen, Burnout, Angstzustände Häufige Health Events 0.13* 0.17** 0.11* *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. Seltene Health Events: Health Events <=10. Häufige Health Events: Health Events >10. Insgesamt ist festzuhalten, dass die subjektive Gesundheit erwartungsgemäß stark mit der Vulnerabilität (Präsentismus- und Absentismustage) der ArbeitnehmerInnen korreliert. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass ein schlechteres subjektives Wohlbefinden mit einer höheren Anzahl an Health Events verbunden ist. Ein deutlich schwächerer Zusammenhang zeigt sich diesbezüglich zwischen der subjektiven Gesundheit und der Präsentismusneigung. Entsprechende Korrelationen lassen erneut darauf schließen, dass insbesondere die Präsentismusfrequenz als Indikator für die subjektive Gesundheit von ArbeitnehmerInnen geeignet ist. Demgegenüber zeigt sich nur ein geringfügiger Zusammenhang zwischen der subjektiven Gesundheit und einer reduzierten Präsentismusneigung. Krankheitssymptome, die bei vulnerableren (häufiger kranken) ArbeitnehmerInnen mit der Entscheidung zu Präsentismus korrelieren, sind Migräne, Erkältungskrankheiten und psychische Belastungen wie z.B. Depressionen. Dabei handelt es sich erwartungsgemäß auch um Krankheiten, die aufgrund ihrer Symptomatik in den meisten Fällen ein Weiterarbeiten praktisch ermöglichen. 5.3.3.2 Regressionsanalyse Im Anschluss zur bivariaten Zusammenhangsanalyse, folgt im nachstehenden Kapitel die Regressionsanalyse der Determinanten. Zur besseren Übersicht werden dabei lediglich Zusammenhänge zur Präsentismusneigung (gesamt und getrennt nach häufigen und selten kranken Befragten) berücksichtigt. 159 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Die Berechnungen erfolgen zunächst in Form von Teilregressionsmodellen zu folgenden Determinanten: soziodemografische, tätigkeitsbezogene, personale, organisationsbezogene und arbeitsstrukturelle Faktoren. Als Kontrollvariablen werden dabei die demografischen Faktoren Geschlecht, Alter und beruflicher Status (mit der höchsten Kategorie „leitende Angestellte“ als Referenzkategorie) fixiert. Abschließend folgt ein Gesamtmodell, in dem alle unabhängigen Variablen hinzugefügt werden. Als problematisch ist dabei die Kumulation fehlender Werte zu sehen, wodurch sich die Fallzahl der Befragungen reduziert. Daher wird auch ein reduziertes Gesamtmodell berechnet, in dem lediglich jene Variablen mit einbezogen werden, die bereits in den Teilregressionsmodellen signifikante Zusammenhänge zur Präsentismusneigung aufzeigten. Die Berechnungen basieren auf den Angaben von Befragten, die von mindestens einem Health Event im Beobachtungszeitraum berichteten. 5.3.3.2.1 Teilmodell soziodemografische Determinanten Im Folgenden wird die Teilregressionsberechnung zwischen den soziodemografischen Determinanten und der Präsentismusneigung dargestellt. Tabelle 55 zeigt die entsprechenden Resultate. Insgesamt können auf Basis der soziodemografischen Variablen fünf Prozent der Präsentismusneigung der Befragten erklärt werden. Dieser Erklärungsanteil erhöht sich leicht, wenn die ArbeitnehmerInnen nach geringen und häufigen Health Events getrennt analysiert werden. Im Hinblick auf die Zusammenhänge ist auffällig, dass insbesondere Frauen eine erhöhte Präsentismuswahrscheinlichkeit aufzeigen. Dieser Effekt zeigt auch keine Abweichungen, wenn die Arbeitnehmerinnen häufiger oder selten krank sind. Darüber hinaus weisen ArbeitnehmerInnen mit Betreuungspflichten eine signifikant 160 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ stärkere Präsentismusneigung auf. Hinsichtlich der finanziellen Zufriedenheit zeigt sich, dass diese mit einer reduzierten Präsentismusneigung einhergeht. In Bezug auf den beruflichen Status ist ersichtlich, dass ungelernte ArbeiterInnen, die selten krank sind, im Krankheitsfall auch seltener zu Präsentismus tendieren. Bezüglich des Bildungsstatus bestätigt sich anhand der Regressionsergebnisse ein nicht-linearer Zusammenhang zur Präsentismuswahrscheinlichkeit: ArbeitnehmerInnen mit niedrigem Bildungsstatus (Pflichtschulabschluss) und höherem Bildungsgrad (Universität) entscheiden sich bei Krankheit seltener für Präsentismus. Ein mittlerer Bildungsabschluss erscheint hingegen als nicht-signifikanter Einflussfaktor in den Resultaten des Teilregressionsmodells. Tabelle 55: Teilregressionsmodell soziodemografische Faktoren Soziodemografische Präsentismusneigung Präsentismusneigung Präsentismusneigung Faktoren β Gesamt β HE ≤ 10 β HE > 10 Geschlecht weiblich 0.13** 0.15** 0.13* Alter Betreuungspflichten Finanzielle Zufriedenheit 0.08* -0.09* Ungelernte -0.20** ArbeiterInnen Beruflicher Status FacharbeiterInnen Angestellte Leitende Angestellte (Referenzkategorie) Bildungsstatus -0.15** Pflichtschule - - - -0.23** Lehre 161 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Mittlere Schule ohne Matura - - Universität -0.15** -0.19** R2 0.05 0.09 0.07 N 706 358 348 (Referenzkategorie) - Matura *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. HE ≤ 10: Seltene Health Events. HE >10: Häufige Health Events Zusammenfassend kann hinsichtlich der demografischen Merkmale festgehalten werden, dass trotz Kontrolle weiterer Einflussvariablen, insbesondere das Geschlecht einen signifikanten Einfluss auf die Präsentismusneigung im Krankheitsfall ausübt. Frauen scheinen demnach eher zur Krankheit am Arbeitsplatz zu tendieren, als Männer. Diese Tendenz zeigt sich sowohl bei häufig kranken Arbeitnehmerinnen als auch bei geringer Krankheitshäufigkeit unter den Frauen. Relevant sind zudem etwaige Betreuungspflichten, als auch finanzielle Unzufriedenheit als Treiber für die Entscheidung zu Präsentismus. Hinsichtlich des beruflichen Statusses und des Ausbildungslevels zeigt sich eine reduzierte Präsentismusneigung bei ungelernten ArbeiterInnen sowie bei ArbeitnehmerInnen mit Pflichtschul- oder Universitätsabschluss. Aus der getrennten Analyse nach Krankheitshäufigkeiten geht hervor, dass für selten kranke ArbeitnehmerInnen die Faktoren finanzielle Zufriedenheit, hoher Bildungsabschluss oder niedriger beruflicher Status eine reduzierte Präsentismuswahrscheinlichkeit bewirken, während ArbeitnehmerInnen mit häufigen Health Events, diesbezüglich keine Zusammenhänge zur Präsentismusneigung aufzeigen. Demgegenüber zeigt sich bei vulnerableren (häufiger kranken) ArbeitnehmerInnen mit niedrigem Bildungsniveau (Pflichtschulabschluss) eine geringere Präsentismuswahrscheinlichkeit. 162 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ 5.3.3.2.2 Teilmodell tätigkeitsbezogene Determinanten In Tabelle 56 ist ersichtlich, dass die tätigkeitsbezogenen Determinanten, unter Einbezug der Kontrollvariablen Geschlecht, Alter und beruflicher Status („Leitende Angestellte“ als Referenzkategorie), insgesamt neun Prozent der Entscheidungstendenz zu Präsentismus erklären. Unter Konstanthaltung der Kontrollvariablen, erklären die tätigkeitsbezogenen Variablen sieben Prozent der Präsentismusneigung. Durch die getrennte Analyse der Präsentismusneigung nach geringen und häufigen Health Events, erhöht sich die erklärte Varianz der Präsentismusneigung durch die tätigkeitsbezogenen Variablen. Tabelle 56: Teilregressionsmodell tätigkeitsbezogene Determinanten Tätigkeitsbezogene Präsentismusneigung Präsentismusneigung Präsentismusneigung Faktoren β Gesamt β HE ≤ 10 β HE > 10 Ersetzbarkeit -0.16** -0.17** -0.14* Adjustment Latitude -0.12** -0.22** Physische Beanspruchung 0.11* 0.15* Teamarbeit -0.10* -0.18** Zusätzliche Belastung Anderer Stress 0.15** Gratifikation -0.13* R2 0.09 0.13 0.11 R² 0.07 0.09 0.09 N 680 337 342 *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. HE ≤ 10: Seltene Health Events; HE >10: Häufige Health Events Zusätzliche Kontrollvariablen: Geschlecht weiblich, Beruflicher Status, Alter Aus den Ergebnissen des Teilregressionsmodells der tätigkeitsbezogenen Faktoren geht hervor, dass ArbeitnehmerInnen, die in ihrer Tätigkeit durch Andere ersetzbar sind, eine signifikant geringere Präsentismuswahrscheinlichkeit im Krankheitsfall aufweisen. 163 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Auch die differenziertere Gewichtung der Präsentismusneigung nach seltenen und häufigen Health Events, zeigt keine gröberen Unterschiede in der Interpretation des Zusammenhangs. Des Weiteren reduziert sich die Präsentismustendenz, bei beruflichen Tätigkeiten, die einen breiten Handlungs- und Entscheidungsspielraum (Adjustment Latitude) implizieren. Diese Wirkung bestätigt sich insbesondere bei ArbeitnehmerInnen, die eher selten krank sind. Ein reduzierender Effekt auf die Entscheidungswahrscheinlichkeit zu Präsentismus ergibt sich zudem durch stark verankerte Teamarbeit im beruflichen Alltag. Vor allem ArbeitnehmerInnen die häufig krank sind, können sich durch die Zusammenarbeit im Team im Krankheitsfall eher für einen Krankenstand als für Präsentismus entscheiden. Beschäftigte die entsprechend häufige Erkrankungsepisoden aufweisen, zeigen außerdem eine geringere Präsentismustendenz, wenn sie mit den Gratifikationsformen in der beruflichen Tätigkeit zufrieden sind. Stress in der Arbeit steht hingegen mit einer erhöhten Präsentismuswahrscheinlichkeit im Zusammenhang, allerdings lediglich im Falle häufiger Health Events. Bei starker physischer Beanspruchung am Arbeitsplatz zeigt sich ebenso eine erhöhte Präsentismustendenz gesamt und bei Beschäftigten mit häufigeren Erkrankungen im Jahr. Zusammengefasst erweisen sich hohe Ersetzbarkeit im Beruf, Adjustment Latitude und Teamarbeit als Faktoren, welche die Entscheidungstendenz zu Präsentismus reduzieren, während die hohe physische Beanspruchung am Arbeitsplatz eher die Präsentismuswahrscheinlichkeit erhöht. Die differenzierte Betrachtung von ArbeitnehmerInnen mit geringer und starker Krankheitshäufigkeit zeigt auf, dass Beschäftige mit höherer Vulnerabilität, eher krank in die Arbeit gehen, wenn die Stressbelastung und physische Beanspruchung hoch ist und Teamarbeit und Gratifikation schwach ausgeprägt sind. Für ArbeitnehmerInnen mit seltenen Health Events sind die Faktoren hohe Ersetzbarkeit und hoher Adjustment Latitude relevante Faktoren, welche die Entscheidungstendenz zu Präsentismus verringern. 164 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ 5.3.3.2.3 Teilmodell personale Determinanten Das Teilregressionsmodell der personalen Determinanten ist in Tabelle 57 ersichtlich. Insgesamt erklären die berechneten personalen Variablen dreizehn Prozent (bei Konstanthaltung der Kontrollvariablen: elf Prozent) der Varianz der Präsentismusneigung. Im Vergleich zu den tätigkeitsbezogenen Faktoren handelt es sich folglich um einen höheren Erklärungsanteil der Präsentismuswahrscheinlichkeit. Dieser erhöht oder reduziert sich geringfügig durch die getrennte Analyse nach häufigen und seltenen Health Events. Als relevante personenbezogene Determinanten der Präsentismusneigung kristallisieren sich die „Individual Boundarylessness“ als auch die Bewertungshaltungen des Präsentismus heraus. ArbeitnehmerInnen denen es schwer fällt einen externen Wunsch mit „Nein“ abzulehnen, tendieren im Krankheitsfall zu einer insgesamt leicht erhöhten Präsentismuswahrscheinlichkeit. Eine vergleichsweise stärkere Wirkung auf eine erhöhte Präsentismusneigung zeigt sich bei Beschäftigten, die das Präsentismusverhalten als Leistungsindikator bewerten. Dieser Zusammenhang bleibt auch bei getrennten Analysen nach geringen und häufigen Health Events bestehen. Wird hingegen Präsentismus als gefährdendes Verhalten bewertet, reduziert dies die Entscheidungswahrscheinlichkeit zu Präsentismus signifikant. Dies trifft vor allem auf ArbeitnehmerInnen zu, die häufige Krankheitsepisoden aufweisen. Tabelle 57: Teilregressionsmodell Personale Determinanten Personale Präsentismusneigung Präsentismusneigung Präsentismusneigung Faktoren β Gesamt β HE ≤ 10 β HE > 10 0.32** 0.22** Individual Boundarylessness 0.07* Positive Arbeitsorientierung Angst vor Arbeitsplatzverlust Arbeitszufriedenheit Präsentismus als Zeichen von Leis- 0.27** 165 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ tung Präsentismus als Gefährdung -0.11* -0.17* Liberale Einstellung gegenüber Krankenstand R2 0.13 0.15 0.12 R² 0.11 0.13 0.09 N 648 324 324 *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. HE ≤ 10: Seltene Health Events; HE >10: Häufige Health Events Zusätzliche Kontrollvariablen: Geschlecht weiblich, Beruflicher Status, Alter Insgesamt weist unter den personalen Faktoren die individuelle Bewertung des Präsentismus die stärkste Wirkung auf das Entscheidungsverhalten auf. Wird Präsentismus als positives Verhalten bzw. als Leistungsindikator konnotiert, verstärkt dies die Präsentismsuwahrscheinlichkeit signifikant. Demgegenüber steht die Bewertung des Präsentismus als gefährdendes Verhalten mit einer reduzierenden Wirkung auf die Präsentismustendenz. Fällt es einem Arbeitnehmer / einer Arbeitnehmerin schwer „Nein“ zu sagen, spiegelt sich dies ebenfalls in einer signifikant erhöhten Präsentismusneigung. 5.3.3.2.4 Teilmodell organisationsbezogene Determinanten Das Teilregressionsmodell der organisationalen Determinanten in Tabelle 58 weist einen Erklärungsanteil von fünf Prozent (unter Konstanthaltung der Kontrollvariablen: zwei Prozent) der Präsentismusneigung auf. Wird die abhängige Variable Präsentismuswahrscheinlichkeit nach geringen Health Events gewichtet, erklären die organisationalen Determinanten neun Prozent (bzw. fünf Prozent) der Präsentismuswahrscheinlichkeit. Bei ArbeitnehmerInnen mit häufigeren Health Events wird die Präsentismustendenz zu vier Prozent (bzw. zwei Prozent) durch organisationsbezogene Faktoren determiniert. Betrachtet man die einzelnen organisationsbezogenen Variablen, sticht der Faktor „Work-Life-Balance“ als einzige signifikante Determinante der Präsentismusneigung hervor. Die Resultate zeigen diesbezüglich, dass die Berücksichtigung eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen privater und beruflicher Sphäre durch das Unternehmen, 166 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ die Präsentismusneigung der ArbeitnehmerInnen signifikant reduziert. Dieser Einfluss bleibt auch bei ArbeitnehmerInnen mit geringen und häufigen Health Events in ähnlicher Stärke bestehen. Tabelle 58: Teilregressionsmodell organisationale Determinanten Organisationale Präsentismusneigung Präsentismusneigung Präsentismusneigung Faktoren β Gesamt β HE ≤ 10 β HE > 10 Work – Life - Balance wird beachtet -0.16** -0.18* -0.16* R2 0.05 0.09 0.04 R² 0.02 0.05 0.02 N 673 331 342 Strenge ärztliche Attestpflicht Gesundheit wird im Betrieb ernst genommen *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. HE ≤ 10: Seltene Health Events; HE >10: Häufige Health Events Zusätzliche Kontrollvariablen: Geschlecht weiblich, Beruflicher Status, Alter 5.3.3.2.5 Teilmodell strukturelle Merkmale Die Resultate der Teilregressionsberechung auf Basis von arbeits- und organisationsstrukturellen Merkmalen ist in nachfolgender Tabelle 59 dargestellt. Daraus geht hervor, dass insgesamt fünf Prozent (bei Konstanthaltung der Kontrollvariablen: zwei Prozent) der Präsentismuswahrscheinlichkeit durch die verschiedenen strukturellen Merkmale erklärt werden können. Bei selten kranken ArbeitnehmerInnen stellt sich die berufliche Tätigkeit in der Gesundheitsbranche als signifikanter Präsentismustreiber heraus. Zudem ergibt sich in der Gesamtberechnung bei zunehmender Tätigkeitsdauer eine höhere Wahrscheinlichkeit für Präsentismus. 167 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Tabelle 59: Teilregressionsmodell strukturelle Merkmale Strukturelle Merkmale Präsentismusneigung Präsentismusneigung Präsentismusneigung β Gesamt β HE ≤ 10 β HE > 10 Betriebsgröße Gesundheitsbranche Tätigkeitsdauer 0.15* 0.11* Wochenstunden Befristetes Dienstverhältnis Schichtarbeit Turnusdienst Arbeit auf Abruf Gleitzeitregelung R2 0.05 0.08 0.05 R² 0.02 0.05 0.03 N 692 346 346 *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. HE ≤ 10: Seltene Health Events; HE >10: Häufige Health Events Zusätzliche Kontrollvariablen: Geschlecht weiblich, Beruflicher Status, Alter Zusammengefasst erweisen sich die berufliche Zugehörigkeit zur Gesundheitsbranche sowie die zunehmende Tätigkeitsdauer als signifikante Determinanten für eine erhöhte Präsentismustendenz. 5.3.3.2.6 Gesamtmodell Im Anschluss zu den dargestellten Teilregressionsmodellen werden im Folgenden die Resultate des Gesamtmodells angeführt, welches sämtliche unabhängige Einflussvariablen in die Regressionsanalyse miteinbezieht. Aufgrund der hohen Anzahl an unabhängigen Determinanten ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich somit die Häufigkeit an fehlenden Werten kumuliert und die Fallzahl der Stichprobe entsprechend reduziert wird. In Tabelle 60 ist das Gesamtmodell ersichtlich, wobei lediglich die signifikanten Einflüs- 168 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ se der untersuchten Einflussfaktoren der Präsentismusneigung dargestellt sind. 2 Aus der errechneten Gesamtvarianz geht hervor, dass 23 Prozent der Präsentismusneigung durch die untersuchten Faktoren determiniert werden. Dieser Erklärungsanteil der Varianz erhöht sich geringfügig bei getrennter Analyse nach Krankheitshäufigkeit der befragten ArbeitnehmerInnen. Tabelle 60: Regression: Gesamtmodell Dimensionen Soziodemografische Faktoren Gesamtmodell Präsentismusneigung Präsentismusneigung Präsentismusneigung β Gesamt β HE ≤ 10 β HE > 10 Geschlecht 0.11* Betreuungspflichten 0.09* Beruflicher Status: Ungelernte ArbeiterInnen1 0.18* -0.23** Bildung: Pflichtschule2 Bewertung von Präsentismus -0.23** Bildung: Universität2 -0.10* Präsentismus als Leistungsindikator 0.22** Präsentismus als Gefährdung -0.14** 0.19** 0.18** -0.20** Personale Faktoren Arbeitsorientierung Tätigkeitsbezogene Faktoren Ersetzbarkeit Stress 0.14* Strukturelle Tätigkeitsdauer 0.15* 0.14* -0.11* 2 Weitere Kontrollvariablen im Gesamtmodell waren: Individual Boundarylessness, Angst vor Arbeitsplatzverlust, Arbeitszufriedenheit, Liberale Einstellung gegenüber Krankenstand, Andere müssen zusätzlich übernehmen, Adjustment Latitude, Physische Beanspruchung, Teamarbeit, Gratifikation, Strenge ärztliche Attestpflicht, Gesundheit wird im Betrieb ernst genommen, Work-Life-Balance wird beachtet, Alter, Finanzielle Zufriedenheit, Betriebsgröße, Arbeitszeitregelung, Befristetes Dienstverhältnis, Gesundheitsbranche. 169 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Merkmale Wochenstunden 0.15* R2 0.23 0.30 0.28 N 556 282 274 *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. HE ≤ 10: Seltene Health Events. HE >10: Häufige Health Events 1 Beruflicher Status „Leitende Angestellte” als Referenzkategorie 2 Bildungsstatus „Mittlere Schule ohne Matura“ als Referenzkategorie Zusammengenommen ist aus den Ergebnissen in Tabelle 60 ersichtlich, dass auch unter Konstanthaltung aller weiteren potentiellen Einflussfaktoren, Frauen eine signifikant höhere Präsentismuswahrscheinlichkeit aufweisen als ihre männlichen Arbeitskollegen. Eine signifikant erhöhte Präsentismusneigung zeigt sich auch bei Arbeitnehmerinnen mit Betreuungspflichten. Eine relativ starke Wirkung auf das Entscheidungsverhalten zugunsten Präsentismus ist zudem unter den Einstellungsfaktoren zu Präsentismus festzustellen. Befragte, die Präsentismus als Zeichen der Leistung werten, gehen im Krankheitsfall mit erhöhter Wahrscheinlichkeit arbeiten. Im Gegenzug zeigt sich eine signifikant reduzierte Präsentismusneigung bei Berufstätigen, die das Arbeiten trotz Krankheit als gefährdendes Verhalten einschätzen. Hinsichtlich der soziodemografischen Faktoren zeichnet sich ab, dass ArbeitnehmerInnen mit geringer Krankheitshäufigkeit und niedrigem beruflichen Status (ungelernte ArbeiterInnen), sowie vulnerablere Beschäftigte mit geringem Bildungslevel (Pflichtschulabschluss) in ihrem Krankheitsverhalten eher zum Krankenstand als zu Präsentismus tendieren. Diese Entscheidungstendenz zum Absentismus zeigt sich auch im Falle eines höheren Bildungsabschlusses (Universitätsabschluss). Sind Beschäftigte in ihrer Tätigkeit gut ersetzbar, ist mit einer geringeren Präsentismusneigung zu rechnen. Werden lediglich ArbeitnehmerInnen mit häufigen Erkrankungen in ihrem Entscheidungsverhalten betrachtet, kann auf Basis des berechneten Gesamtmodells zusam170 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ mengefasst werden, dass Frauen mit einer positiven Arbeitseinstellung, hoher Stressbelastung im Beruf, längerer Tätigkeitsdauer, einer hohen Anzahl an Wochenstunden, leistungsorientierter Bewertung von Präsentismus und niedrigem Bildungsstatus, eher zu Präsentismus neigen. Jene Arbeitskräfte, die eine geringere Anzahl an Health Events angeben, weisen eine reduzierte Präsentismusneigung auf, wenn der berufliche Status niedrig ist. Die Präsentismuswahrscheinlichkeit erhöht sich hingegen, wenn Präsentismus als Zeichen von Leistung interpretiert wird. Als Resümee der Ergebnisse der Gesamtregression kann festgehalten werden, dass Frauen, ArbeitnehmerInnen mit Betreuungspflichten sowie auch Beschäftigte mit leistungsbezogener Bewertung von Präsentismus, im Krankheitsfall eher zur Arbeitsanwesenheit tendieren als zu Krankenstand. Die Entscheidungsneigung zum Absentismus ist hingegen eher bei Beschäftigten gegeben, die einen hohen Bildungsstatus aufweisen, Präsentismus als gefährliches Verhalten bewerten und in ihren beruflichen Aufgaben gut ersetzbar sind. 5.3.3.2.7 Reduziertes Gesamtmodell Als Ergänzung zur bereits angeführten Gesamtregression, wird im folgenden Abschnitt ein weiteres Gesamtmodell vorgestellt, welches lediglich unabhängige Variablen berücksichtigt, die bereits in den Teilregressionen signifikante Zusammenhänge zur Präsentismusneigung aufzeigten. Anhand dieser Selektionsweise konnte die Fallzahl der Berechnung erhöht werden (N= 701), wodurch wiederum genauere Resultate als im oben dargestellten Gesamtmodell erzielt werden können. Die Ergebnisse der reduzierten Gesamtregression sind in Tabelle 61 angeführt. Hinsichtlich der Gesamtvarianz zeigt sich, dass rund 20 Prozent der Präsentismusneigung anhand der angeführten unabhängigen Variablen erklärt werden können. Durch die getrennte Analyse der Präsentismusneigung nach seltenen und häufigen Health Events erhöht sich der Erklärungsanteil der Determinanten leicht. 171 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Tabelle 61: Regression: Reduziertes Gesamtmodell Dimensionen Soziodemografische Faktoren Bewertung von Präsentismus Personale Faktoren Tätigkeitsbezogene Faktoren Reduziertes Gesamtmodell Präsentismusneigung Präsentismusneigung Präsentismusneigung β Gesamt β HE ≤ 10 β HE > 10 Geschlecht 0.12** Betreuungspflichten 0.12** 0.16** 0.12* 0.10* Finanzielle Zufriedenheit Bildung: Pflichtschule1 -0.16** Bildung: Universität1 -0.09* Präsentismus als Leistungsindikator 0.22** 0.20** 0.20** Präsentismus als Gefährdung -0.14** -0.14** -0.15** 0.07* 0.11* Adjustment Latitude -0.10* -0.17** Ersetzbarkeit -0.14** -0.12* Physische Beanspruchung 0.09* -0.23** Individual Boundarylessness 0.17** Teamarbeit Organisationale Faktoren Work-LifeBalance Strukturelle Merkmale Tätigkeitsdauer -0.16** -0.10* -0.08* -0.12* R2 0.19 0.23 0.20 N 701 342 359 *:p<0.05; **:p<0.01. Dargestellt sind nur Korrelationen mit p<0.05. HE ≤ 10: Seltene Health Events. HE >10: Häufige Health Events 1 Bildungsstatus „Mittlere Schule ohne Matura“ als Referenzkategorie 172 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Auch im reduzierten Gesamtmodell (Tabelle 61) ist ersichtlich, dass Frauen zu einer höheren Präsentismuswahrscheinlichkeit neigen als Männer. Diese Korrelation tritt, in noch stärkerer Form, bei Arbeitnehmerinnen mit häufigen Health Events auf. Darüber hinaus, gehen Beschäftigte mit Betreuungspflichten im Krankheitsfall eher arbeiten als in Krankenstand. Dieser Effekt verändert sich kaum bei getrennter Analyse nach häufig und selten kranken Beschäftigten. Ein konsequent starker und signifikanter Präsentismustreiber ergibt sich durch die positive Bewertung von Präsentismus als Zeichen von Leistung. Wird das Arbeiten trotz Krankheit als positiver Arbeitseinsatz interpretiert, begünstigt dies die Entscheidungstendenz zu Präsentismus signifikant. Diesbezüglich zeigen sich auch keine Unterschiede hinsichtlich der Krankheitshäufigkeit der Befragten. Im Hinblick auf persönliche Charakteristika ist festzustellen, dass eine fehlende Abgrenzung zu den Wünschen und Anforderungen Anderer bzw. die mangelnde Fähigkeit „Nein“ zu sagen („individual boundarylessness“), die Präsentismusneigung signifikant begünstigt. Aus der getrennten Analyse der Health Events geht hervor, dass insbesondere selten kranke ArbeitnehmerInnen, im Zuge einer ausgeprägten „individual boundarylessness“, zu Präsentismus tendieren. Darüber hinaus sind Beschäftigte, die einer hohen physischen Beanspruchung in der beruflichen Tätigkeit ausgesetzt sind, eher zu Präsentismus geneigt. Vor allem häufig kranke ArbeitnehmerInnen zeigen, bei hoher physischer Beanspruchung, eine erhöhte Präsentismuswahrscheinlichkeit. Eine reduzierte Präsentismusneigung ist hingegen bei ArbeitnehmerInnen mit Pflichtschul- oder Universitätsabschluss ersichtlich – d.h. sowohl Beschäftigte mit hohem als auch mit niedrigem Bildungslevel sind, im Krankheitsfall, eher zu Absentismus geneigt als zu Präsentismus. Eine erhöhte Absentismus- bzw. reduzierte Präsentismusneigung ist zudem bei Beschäftigten festzustellen, welche das Arbeiten trotz Krankheit als gefährdendes Verhalten einschätzen. Die Bewertung des Krankheitsverhaltens spielt folglich eine essentielle 173 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Rolle in der Entscheidung zwischen Krankenstand und Präsentismus. Hinsichtlich der tätigkeitsbezogenen Faktoren zeigt sich, dass mit zunehmenden Handlungsspielraum die Tendenz zu Präsentismus sinkt. Kranke ArbeitnehmerInnen neigen darüber hinaus eher zur Entscheidung für Krankenstand, wenn die beruflichen Aufgaben durch KollegInnen übernommen werden können. Mit diesem Ergebnis übereinstimmend, weisen auch häufig kranke ArbeitnehmerInnen, im Rahmen ausgeprägter Teamarbeit, eine reduzierte Präsentismuswahrscheinlichkeit auf. Je eher außerdem die Work – Life – Balance der ArbeitnehmerInnen durch das Unternehmen respektiert und gefördert wird, desto eher ist auch von einer geringen Präsentismuswahrscheinlichkeit auszugehen. Dies trifft, bei getrennter Analyse nach Health Events, lediglich auf selten kranke Beschäftigte zu. Als Präsentismustreiber sind zusammengefasst soziodemografische, personale, tätigkeitsbezogene als auch organisationale Determinanten identifizierbar: So tendieren insbesondere Frauen, Beschäftigte mit Betreuungspflichten, ArbeitnehmerInnen mit positiver Einstellung zu Präsentismus, Beschäftigte denen es schwer fällt „Nein“ zu sagen und physisch geforderte Berufstätige, eher zur Entscheidung für Präsentismus. Eine erhöhte Absentismusneigung zeigt sich hingegen bei ArbeitnehmerInnen mit niedrigem oder hohem Bildungsniveau, bei Beschäftigten die Präsentismus als gefährliches Verhalten erachten, bei Berufstätigen mit großem Handlungs- und Entscheidungsspielraum und guter Ersetzbarkeit, bei vulnerableren Beschäftigten mit häufiger Teamarbeit und bei ArbeitnehmerInnen innerhalb von Organisationen, die auf die Work-LifeBalance ihrer Mitarbeiter achten. 174 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ 5.4 Zusammenfassung der Studienergebnisse Die angeführten Studienergebnisse basieren auf einer standardisierten, postalischen Befragung, mit einer Zufallsstichprobe von 2976 Versicherten der OÖGKK, aus dem Jahr 2013. Der Rücklauf der Befragung betrug ca. 31 %. Folglich standen 930 auswertbare Fragebögen zur Verfügung. 13,1 % der Befragten berichteten weder einen Krankenstands- noch einen Präsentismustag im Beobachtungszeitraum (Jahr 2012). Jene Personen die kein Health Event angaben, wurden für die Berechnungen der Zusammenhangsanalysen exkludiert, sodass hierfür eine Untersuchungspopulation von 773 StudienteilnehmerInnen resultierte. Ziel der Untersuchung war es einerseits, Risikofaktoren für eine erhöhte Präsentismusund Absentismushäufigkeit zu ermitteln und andererseits Variablen zu identifizieren, welche die Entscheidung zu Präsentismus begünstigen. Folglich wurden zwei abhängige Variablen – die Präsentismushäufigkeit und Präsentismusneigung – im Zuge der Studie untersucht, wobei der Fokus auf der Analyse der Präsentismusneigung und entsprechender Einflussfaktoren lag. Dies stellt einen wesentlichen Unterschied zu den bisherigen Präsentismusstudien dar, die in der Regel die Präsentismushäufigkeit als abhängige Variable verwendeten. Die Konzentration auf die Präsentismusneigung als zentrale abhängige Untersuchungsvariable resultiert daraus, dass die Messung der Variable Präsentismushäufigkeit mit methodischen Problemen einhergeht. Diese bestehen darin, dass die Präsentismushäufigkeit im Wesentlichen durch die Krankheitsanfälligkeit einer Person bestimmt wird. Entsprechende Schlussfolgerung basiert auf den Ergebnissen der bivariaten und multivariaten Zusammenhangsanalysen zwischen der Gesundheit und der Präsentismusfrequenz (siehe Abschnitt 5.3.1.4, S. 138). Dabei stellte sich die Präsentismushäufigkeit als besserer Gesundheitsindikator heraus, als die Krankenstandshäufigkeit. Zudem wurde ein positiver Zusammenhang zwischen der Präsentismus- und Absentismusfrequenz festgestellt (siehe Abschnitt 5.3.1.5, S. 139). ArbeitnehmerInnen mit erhöhter Präsentismushäufigkeit, weisen folglich meistens auch eine erhöhte Krankenstandshäufigkeit auf. Beide Größen stellen somit kein Gegenteil zueinander dar, sondern stehen 175 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ miteinander im Zusammenhang und werden im Wesentlichen durch die Gesundheit der Befragten determiniert. Je höher also die Krankheitsanfälligkeit (Vulnerabilität) einer Person, desto eher ist mit einer erhöhten Präsentismus- und Krankenstandshäufigkeit (Anzahl an Health Events) zu rechnen. Um jedoch herauszufinden, welche tätigkeitsbezogenen, personalen, soziodemografischen und organisationalen Bedingungen die Entscheidung zu Präsentismus begünstigen (unabhängig von der Krankheitsanfälligkeit einer Person) wurde eine alternative Präsentismusgröße geschätzt: die Präsentismuswahrscheinlichkeit (siehe Kapitel 5.1, S.125). Diese steht nur in einem vernachlässigbar, geringem Zusammenhang zur Gesundheit. Die Präsentismusfrequenz gibt folglich Informationen darüber, an wie vielen Tagen pro Jahr eine Person krank zur Arbeit geht. Die Präsentismusneigung sagt wiederum aus, mit welcher Wahrscheinlichkeit eine Person, im Falle eines Health Events (ein Tag mit gesundheitlicher Beeinträchtigung), krank arbeitet. In der Folge sind Zusammenhänge zur Präsentismus- und Absentismushäufigkeit als Faktoren zu subsumieren, die in erster Linie mit einer erhöhten Krankheitshäufigkeit in Verbindung stehen. Korrelationen zu einer erhöhten Präsentismuswahrscheinlichkeit weisen hingegen auf Bedingungen hin, welche die Entscheidung zur Arbeit trotz Krankheit begünstigen. Die Kausalität entsprechender Korrelationen kann, im Zuge des Forschungsdesigns einer Querschnittsstudie, nicht erklärt werden. Die Verteilung der Präsentismushäufigkeit zeigt auf, dass die Befragten (im Beobachtungszeitraum) durchschnittlich häufiger krank in die Arbeit gingen, als in Krankenstand. Aus der Verteilung der Präsentismusneigung geht hervor, dass ArbeitnehmerInnen im Durschnitt mit höherer Wahrscheinlichkeit zu Präsentismus tendieren als zu Absentismus. 176 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Außerdem zeigte sich bei häufiger kranken Personen eine stärkere Streuung der Entscheidung zwischen Präsentismus und Absentismus, als bei ArbeitnehmerInnen, die seltener krank sind (siehe Abschnitt 5.3.1.3, S. 133). Dementsprechend wurden die Zusammenhangsanalysen zur Präsentismusneigung nach häufig und selten kranken ArbeitnehmerInnen separiert. Bezüglich der selbstberichteten Präsentismusgründe kann resümiert werden, dass soziale Beweggründe wie z.B. die Vermeidung negativer Folgen für Andere, durchschnittlich am Häufigsten genannt wurden. Um eine komprimierte Ergebnisübersicht der Zusammenhangsanalysen zu ermöglichen, folgt in nachstehender Tabelle 62 eine Zusammenfassung der bivariaten und multivariaten Korrelationen zwischen soziodemografischen, tätigkeits-, personen- und organisationsbezogenen Faktoren, der Präsentismusfrequenz und der Präsentismusneigung (gesamt bzw. nicht nach Health Events gewichtet). Zusammenhänge, welche mit einer reduzierten Präsentismusfrequenz einhergehen, sind in grüner Farbe hinterlegt, während Korrelationen zu einer erhöhten Präsentismushäufigkeit in oranger Farbe markiert sind. Faktoren, die im Rahmen der Regressionsanalyse mit einer erhöhten Präsentismusneigung in Verbindung stehen, sind in roter Farbe gefärbt. Jene Variablen, die mit einer reduzierten Präsentismuswahrscheinlichkeit zusammenhängen, sind in dunkelblauer Farbe markiert. 177 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Tabelle 62: Zusammenfassung Studienergebnisse "Präsentismus am Arbeitsplatz" Präsentismus- Absentismus- Präsentismuswahrscheinlichkeit3 frequenz frequenz Multivariat4 Adjustment Latitude - - - Ersetzbarkeit + + - Gratifikation - Dimension Tätigkeitsbezogene Faktoren Determinante Teamarbeit Physische Beanspruchung + + Stress + Arbeitszufriedenheit - Individual Boundarylessness Positive Personenbezogene Arbeitsorientierung Faktoren Präsentismus als Leistung - Faktoren + - + + + Gefährdung Angst vor Jobverlust + + Geschlecht: Frauen + - Alter Betreuungspflichten 3 Präsentismusneigung gesamt (keine Gewichtung nach Anzahl der Health Events) 4 Ergebnisse der reduzierten Gesamtregression + - + Präsentismus als Soziodemografische + - + + + 178 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Finanzielle Zufriedenheit Beruflicher Status: ungelernte ArbeiterInnen Beruflicher Status: Leitende Angestellte - - + + - - 5 Bildung: Pflichtschule 5 - Erkältungssymptome + Migräne / Kopfschmerzen + Bildung: Universität Symptome im Krankheitsfall + - - - Depressive Verstimmungen, Burnout, + + Angstzustände Betriebsgröße (+) + Arbeits- und organisations- Schichtarbeit + strukturelle Faktoren Gleitzeitregelung - Arbeit auf Abruf + Gesundheit wird im Betrieb - - Work – Life – Balance - - Strenge Attestpflicht + + Organisationsbezogene ernst genommen Faktoren 5 + - „Mittlere Schule ohne Matura“ als Referenzkategorie 179 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ In Tabelle 62 ist zu erkennen, dass die verschiedenen Determinanten nicht konsequent mit beiden Präsentismusvariablen verbunden sind. Bei einigen Faktoren, sind sowohl Zusammenhänge zur Präsentismushäufigkeit als auch zur Absentismushäufigkeit in gleicher Richtung festzustellen, die aber keine Wirkung in Bezug auf die Präsentismuswahrscheinlichkeit aufzeigen. Dies betrifft z.B. die Variablen Arbeitszufriedenheit, positive Arbeitsorientierung, Angst vor Jobverlust, finanzielle Zufriedenheit, beruflicher Status etc. Demgegenüber können Determinanten identifiziert werden, die lediglich mit der Präsentismuswahrscheinlichkeit zusammenhängen, wie etwa bei Berufstätigen mit Betreuungspflichten. Die meisten Faktoren stehen jedoch in gleicher Richtung sowohl zur Präsentismushäufigkeit als auch zur Präsentismuswahrscheinlichkeit im Zusammenhang: wie z.B. Adjustment Latitude, Physische Beanspruchung, Individual Boundarylessness, Bewertung von Präsentismus als Leistung etc. Beim Faktor „Ersetzbarkeit“ zeigt sich allerdings eine unterschiedliche Zusammenhangsstruktur zwischen den beiden Präsentismusvariablen: ArbeitnehmerInnen, die in ihrem Beruf gut ersetzbar sind, gehen zwar mit geringerer Wahrscheinlichkeit krank in die Arbeit, weisen allerdings eine höhere Präsentismusund Absentismusfrequenz auf. Aus diesem Ergebnis kann abgeleitet werden, dass gut ersetzbare ArbeitnehmerInnen eine höhere Vulnerabilität (höhere Anzahl an Health Events) aufweisen, da sie möglicherweise auch unter prekäreren Arbeitsverhältnissen arbeiten. Kommt es zu einem Krankheitsfall, besteht im Zuge der besseren Vertretungsmöglichkeiten eine höhere Entscheidungswahrscheinlichkeit zum Krankenstand. Der Großteil der weiteren Determinanten zeigt ähnliche Zusammenhangsstrukturen zur Präsentismushäufigkeit und Präsentismuswahrscheinlichkeit auf. Wird der Fokus auf jene Faktoren gelegt, welche die Entscheidungstendenz im Krankheitsfall begünstigen, können soziodemografische, personale, tätigkeitsbezogene und organisationsbezogene Präsentismustreiber identifiziert werden: So tendieren insbesondere Frauen, Beschäftigte mit Betreuungspflichten und mittlerem 180 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Bildungsstatus, ArbeitnehmerInnen, denen es schwer fällt „Nein“ zu sagen und Präsentismus als Zeichen von Leistung bewerten, sowie physisch geforderte Beschäftigte, mit höherer Wahrscheinlichkeit zur Entscheidung für Präsentismus. Weitere bivariate Zusammenhänge, die mit einer erhöhten Präsentismusneigung einhergehen, wurden bei den Faktoren, zusätzliche Belastung von KollegInnen (im Zuge eines Krankenstands), hohe Stressbelastung, längerer Tätigkeitsdauer im Beruf, bei Migräne, sowie in der Gesundheitsbranche, festgestellt. Unter Konstanthaltung weiterer Einflussfaktoren, verloren die Zusammenhänge allerdings an Signifikanz. Hinsichtlich des bivariaten Zusammenhangs zwischen Krankheitssymptomen und Präsentismuswahrscheinlichkeit kann resümiert werden, dass häufiger kranke Arbeitnehmerinnen bei Symptomen wie Migräne, Erkältungskrankheiten und psychischen Belastungen wie z.B. Depressionen, mit einer erhöhten Präsentismuswahrscheinlichkeit verbunden sind. Im Vergleich zu anderen Krankheiten, handelt es sich dabei erwartungsgemäß auch um Symptome die ein Weiterarbeiten praktisch ermöglichen. Im Gegensatz zu den angeführten Präsentismustreibern, zeigt sich eine erhöhte Absentismuswahrscheinlichkeit bei ArbeitnehmerInnen mit großem Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum im Beruf, bei guter Ersetzbarkeit, bei Beschäftigten, die Präsentsimus als gefährdendes Verhalten einstufen, sowie bei Organisationen, die auf die Work – Life – Balance ihrer Mitarbeiter achten. Bivariate Zusammenhänge zu einer reduzierten Präsentismusneigung, zeigten sich zudem bei hoher Gratifikation und Teamarbeit im Beruf, bei finanzieller Zufriedenheit, bei größeren Betrieben, bei Berufen mit Gleitzeitregelung sowie bei Organisationen, welche die Gesundheit ihrer MitarbeiterInnen ernst nehmen. Entsprechende Zusammenhänge gingen in der Regressionsanalyse allerdings verloren. Aus der getrennten Analyse der Präsentismusneigung nach der Anzahl an Health Events kann zusammengefasst werden, dass die Entscheidungsgrundlage bzw. der Einfluss der Faktoren, danach variieren kann, wie häufig jemand krank ist bzw. wie vulnerabel eine Person ist. So zeigte sich z.B. beim Faktor Teamarbeit eine reduzierte Präsentismuswahrscheinlichkeit bei häufiger kranken ArbeitnehmerInnen (mehr als 10 181 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Health Events im Beobachtungszeitraum), während bei seltener kranken Befragten (weniger als 10 Health Events) diesbezüglich kein Effekt festgestellt wurde. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass Teamarbeit für vulnerablere ArbeitnehmerInnen mehr Arbeitsaufteilungen und Vertretungsmöglichkeiten ermöglicht, sodass sich die Entscheidungswahrscheinlichkeit für Krankenstand erhöht. Für seltener kranke ArbeitnehmerInnen stellt der Faktor Teamarbeit keine Relevanz im Entscheidungsprozess zwischen Präsentismus und Krankenstand dar, da sie ohnehin weniger Vertretungsmöglichkeiten benötigen. Darüber hinaus zeigt sich eine erhöhte Präsentismusneigung bei vulnerableren Frauen sowie bei häufiger kranken ArbeitnehmerInnen, die einer hohen physischen Belastung am Arbeitsplatz ausgesetzt sind und einen niedrigeren Bildungsgrad aufweisen. ArbeitnehmerInnen die seltener krank sind, zeigen diesbezüglich keinen Effekt in der Entscheidungstendenz auf. Umgekehrt gehen weniger vulnerable ArbeitnehmerInnen eher krank Arbeiten, wenn es ihnen schwer fällt „Nein“ zu sagen. Daneben ist ein ausgeprägter Handlungs – und Gestaltungsspielraum, sowie eine gute Work – Life – Balance für weniger kranke ArbeitnehmerInnen relevant, um sich im Krankheitsfall eher für Krankenstand zu entscheiden. Für vulnerablere ArbeitnehmerInnen sind entsprechende Faktoren im Entscheidungsprozess irrelevant. Folgende Faktoren zeigen sowohl für vulnerablere als auch für gesündere ArbeitnehmerInnen einen Einfluss auf die Entscheidungstendenz im Krankheitsfall auf: die Bewertung von Präsentismus als Leistung oder Gefährdung, Betreuungspflichten sowie die Ersetzbarkeit im Beruf. Bei allen anderen Variablen der Regressionsanalyse zeigen sich, je nach Vulnerabilität der Person, unterschiedliche Einflüsse auf die Präsentismuswahrscheinlichkeit. Wird der Forschungsfokus danach ausgerichtet, welche Faktoren mit einer erhöhten Krankheitshäufigkeit bzw. Präsentismus- und Absentismusfrequenz verbunden sind, lassen sich folgende Resultate zusammenfassen: 182 5 Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“ Bivariate Zusammenhänge zu einer erhöhten Präsentismus- und Absentismushäufigkeit sind bei einer ausgeprägten Ersetzbarkeit und hoher physischer Belastung im Beruf, Angst vor Jobverlust, niedrigem beruflichen Status, psychischen Belastungssymtpomen, Schichtarbeit, sowie bei strenger Attestpflicht zu finden. Jene Faktoren können im Wesentlichen als Gesundheitsrisiken subsumiert werden. Geringere Präsentismus- und Absentismusfrequenzen zeigen sich demgegenüber bei hoher Adjustment Latitude, hoher Arbeitszufriedenheit und positiver Arbeitsorientierung, bei finanzieller Zufriedenheit, bei hohem beruflichen Status und hoher Bildung (Universitätsabschluss), sowie in Organisationen, die auf die Gesundheit und Work – Life – Balance ihrer ArbeitnehmerInnen achten. Entsprechende Variablen können im weiteren Sinne als Schutzfaktoren der Gesundheit zusammengefasst werden. Im Rückblick auf den Forschungsfokus der Studie kann abschließend festgehalten werden, dass die persönliche Bewertung von Krankenstand und Präsentismus, in allen Zusammenhangsanalysen den stärksten Einfluss auf das Entscheidungsverhalten im Krankheitsfall darstellt. ArbeitnehmerInnen, die Präsentismus als Zeichen besonderer Leistungsbereitschaft bewerten, weisen eine signifikant höhere Entscheidungstendenz zum Präsentismus auf. Umgekehrt gehen Personen, die Präsentismus als gesundheitsgefährdendes Verhalten einstufen, mit signifikant geringerer Wahrscheinlichkeit krank in die Arbeit. 183 6 Resümee und Schlussfolgerungen 6 Resümee und Schlussfolgerungen Die vorliegende Diplomarbeit befasst sich mit dem Forschungsgegenstand Präsentismus. Dies ist das Verhalten von ArbeitnehmerInnen, trotz Krankheit zu arbeiten, anstatt Krankenstand zu beanspruchen. Bisherige Studien zu Präsentismus können in verhaltensorientierte und produktivitätsorientierte Forschungsarbeiten unterteilt werden (siehe Kapitel 3.1): Der verhaltensorientierte Forschungsstrang besteht aus sozial- und gesundheitswissenschaftlichen Studien, die sich auf die Untersuchung mehrdimensionaler Ursachen, sowie auf die gesundheitlichen Konsequenzen des Präsentismus fokussieren. Studien aus dem produktivitätsorientierten Forschungsstrang zielen hingegen darauf ab Leistungseinbußen im Zuge von Präsentismus zu quantifizieren und Krankheiten zu identifizieren, die beim Arbeiten trotz Krankheit, die höchsten Kosten verursachen. Die vorliegende Diplomarbeit orientiert sich an einem verhaltensorientierten Verständnis von Präsentismus, um folgende Forschungsfragen zu beantworten: Welche Einflussfaktoren begünstigen oder reduzieren die Entscheidungstendenz zu Präsentismus? Wie wirkt sich Präsentismus auf die Gesundheit betroffener ArbeitnehmerInnen aus? Zur Beantwortung der Forschungsfragen, wird zunächst das Thema Gesundheit und Krankheit aufgegriffen, um ein grundsätzliches Verständnis für die Komplexität des Krankheitsverhaltens bzw. für das Phänomen Präsentismus zu schaffen (siehe Kapitel 2.2). Hierzu folgt eine Diskussion von Leitlinien und Definitionen zum Verständnis von Gesundheit und Krankheit, sowie von Konzepten zur subjektiven Gesundheitswahrnehmung. Darüber hinaus werden Operationalisierungsmethoden der subjektiven Gesundheit thematisiert. Die Kernaussage dieser ersten Einführung ist, dass Gesundheit und Krankheit als komplexe Phänomene zu verstehen sind, die sich durch das Zusammenwirken von Schutz – und Risikofaktoren immer wieder neu konstruieren. Im Unterschied zum 184 6 Resümee und Schlussfolgerungen institutionalisierten dichotomen Gesundheitskonzept (Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit) wird Gesundheit als dynamisches, subjektives Wohlbefinden verstanden, das sich in vielen Übergangsstadien und Grauzonen zwischen Gesundheit und Krankheit variabel ausdrücken kann. Teilzeitkrankenstand stellt ein alternatives Handlungsmodell zum Vollzeit-Krankenstand dar, das in manchen Ländern (z.B. Schweden, Schweiz) bereits Anwendung findet. Die Idee des Teilzeitkrankenstands besteht darin, das Weiterarbeiten trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen, durch eine Modifikation von Arbeitsbedingungen und – aufgaben, zu ermöglichen. Hierbei werden insbesondere ältere ArbeitnehmerInnen oder Personen mit chronischen oder psychischen Krankheitssymptomen adressiert. Zudem soll es eine Wiedereinstiegsvariante nach Langzeitkrankenständen darstellen. Die Thematik Teilzeitkrankenstand löst allerdings kontroverse Diskussionen aus. Einerseits wird befürchtet, dass Teilzeitkrankenstand das Modell Vollzeit – Krankenstand, aufgrund geringerer Kosten und Leistungsdruck, verdrängt, sodass gesundheitsrelevante Regenerationsphasen, ohne zu Arbeiten, seltener in Anspruch genommen werden. Andererseits bietet das Modell Teilzeitkrankenstand eine Handlungsalternative für sogenannte Grauzonen an Krankheitsstadien, in denen weder ein Vollzeit-Krankenstand noch Vollzeit – Präsentismus geeignete Optionen darstellen. Als Fazit kann diesbezüglich festgehalten werden, dass aktuell keine Forschungsresultate zu den Konsequenzen des Teilzeitmodells bekannt sind. Insofern besteht hier weiterhin Forschungsbedarf, um die tatsächlichen Folgen des Teilzeitkrankenstands benennen zu können. Des Weiteren geht aus den Inhalten dieses Kapitels hervor, dass Gesundheit und Krankheit individuell wahrgenommen werden. Das individuelle Verständnis von Gesundheit basiert auf einem subjektiven Gesundheitskonzept, das sich aus multiplen Einflussfaktoren im Rahmen der biographischen Entwicklung konstruiert. Dabei wird angenommen, dass Personen, die der Gesundheit einen hohen subjektiven Stellenwert zuschreiben und ein mehrdimensional orientiertes Gesundheitskonzept internalisiert haben, Präsentismus eher als gefährdendes Verhalten interpretieren, als z.B. Berufstätige, die ein leistungsorientiertes Gesundheitsverständnis, nach dem Prinzip „Arbeiten bis zum Umfallen“, vertreten. In Bezug auf die Operationalisierungsmethoden von Gesundheit kann resümiert 185 6 Resümee und Schlussfolgerungen werden, dass die Selbsteinschätzung der Gesundheit durch Befragte, eine Methode darstellt, die zwar Verzerrungsrisiken (z.B. durch Einflüsse aus dem sozialen Umwelt) birgt, die aber bereits durch mehrere Studienergebnisse als zuverlässige Messvariante der Gesundheit hervorgestrichen wurde. Anschließend zur Einführung in die Thematik Gesundheit und Krankheit, folgt eine Übersicht zum Forschungsstand von Präsentismus, sowie zu Präsentismusdefinitionen und Operationalisierungsvarianten. Darüber hinaus wird ein Auszug an Erklärungsmodellen zu Präsentismus dargestellt. Die unterschiedlichen Forschungsstränge zu Präsentismus verfolgen heterogene Definitionen und Messvarianten von Präsentismus: Studien des verhaltensorientierten Forschungsstrangs definieren Präsentismus in der Regel als „Arbeitswesenheit trotz Krankheit, die einen Krankenstand rechtfertigen würde“, während produktivitätsorientierte Studien Präsentismus als „Produktivitätseinbußen durch anwesende, jedoch kranke ArbeitnehmerInnen“ erklären. Die vorliegende Diplomarbeit fokussiert sich auf ein verhaltensorientiertes Verständnis von Präsentismus. Das Arbeiten trotz Krankheit wird in diesem Forschungsstrang in der Regel durch die Variable „Präsentismushäufigkeit“ erfasst. Zur Erhebung der Präsentismushäufigkeit wird in Rahmen von Befragungen darum gebeten, die Anzahl an Tagen innerhalb eines bestimmten Zeitraums (z.B. 12 - 6 Monate) zu schätzen, an denen man krank in die Arbeit ging. Hierbei wird es als wichtig erachtet, keine Antwortkategorien (nie, 1 Mal / 2 – 5 Mal / etc.) vorzugeben, um indirekte Informationen zu durchschnittlichen Werteangaben und potentielle Verzerrungen (z.B. durch soziale Wünschbarkeit) in der Selbsteinschätzung zu vermeiden. Im Zuge dessen, empfiehlt es sich, offene Fragestellungen in der Erhebung von Präsentismus einzusetzen. Die angeführten Erklärungsmodelle von Präsentismus überschneiden sich in folgenden Aspekten: Präsentismus wird als Ergebnis eines restringierten Entscheidungsprozesses gesehen. Ausschlaggebend für die Abwägung zwischen Krankenstand und Präsentismus, ist eine gesundheitliche Beeinträchtigung, die unterschiedliche Auftrittsformen annehmen kann 186 6 Resümee und Schlussfolgerungen (akut, chronisch, episodisch) und durch den allgemeinen Gesundheitszustand bzw. die Krankheitsanfälligkeit einer Person beeinflusst wird. Der initiierte Entscheidungsprozess zwischen Krankenstand und Präsentismus steht unter dem Einfluss mehrdimensionaler Faktoren. Zusammengefasst können diese unterteilt werden nach arbeitsbezogenen, personenbezogenen und organisationsbezogenen Faktoren, welche die Entscheidung zu Präsentismus begünstigen oder reduzieren können. Fällt die Entscheidung auf Präsentismus, werden gesundheitliche, soziale, leistungs- und karrierebezogene Konsequenzen für den / die Betroffenen angenommen, die sich wiederum auf den allgemeinen Gesundheitszustand auswirken können. Für eine genaue Aufschlüsselung der Einflussfaktoren und Folgen von Präsentismus, folgt, im Anschluss zur theoretischen Einführung des Forschungsgegenstands, ein ausführlicher Review an internationalen Studien. Daraufhin wird eine oberösterreichische Erhebung aus dem Jahr 2013 hinsichtlich der Determinanten von Präsentismus analysiert. In der Gegenüberstellung der Ergebnisse des Reviews und der oberösterreichischen Präsentismusstudie, stechen wesentliche Aspekte hervor, die im folgenden Abschnitt resümiert werden: Die Operationalisierung von Präsentismus, durch die Schätzung der Anzahl an Präsentismustagen (innerhalb eines bestimmten Zeitraums), geht mit methodischen Schwierigkeiten einher. Bivariate und multivariate Zusammenhangsanalysen zwischen der Gesundheit und Präsentismushäufigkeit zeigen, dass die Häufigkeit an Präsentismustagen im starken Zusammenhang zur allgemeinen Gesundheit einer Person steht. Je öfter eine Person krank in die Arbeit geht, umso schlechter ist der allgemeine Gesundheitszustand des / der Betroffenen einzuschätzen. Die gleiche Zusammenhangsstruktur wird für die Krankenstandshäufigkeit gefunden: Je höher die krankheitsbedingten Fehlzeiten von ArbeitnehmerInnen, desto schlechter ist die Gesundheit der Berufstätigen einzuschätzen. Im Vergleich der befundenen Zusammenhänge zeigt sich eine stärkere Verbindung 187 6 Resümee und Schlussfolgerungen zwischen der Präsentismushäufigkeit und Gesundheit der Befragten, als zwischen Krankenstand und Gesundheit. Daraus folgt, dass die Anzahl an Tagen, an denen eine Person krank arbeitet, einen besseren Gesundheitsindikator darstellt, als die Krankenstandshäufigkeit. Diese starke Verbindung zwischen Gesundheit und Präsentismushäufigkeit lässt auch darauf schließen, dass Einflussfaktoren der Präsentismushäufigkeit, auch gleichzeitig Determinanten der Gesundheit darstellen. Ein weiteres zentrales Ergebnis betrifft die Beziehung zwischen den Variablen Krankenstand und Präsentismus: Viele der untersuchten Einflussfaktoren der oberösterreichischen Präsentismusstudie weisen sowohl einen Zusammenhang zur Präsentismushäufigkeit, als auch zur Krankenstandshäufigkeit, in gleicher Wirkungsrichtung, auf. Zudem zeigt sich in der Korrelationsanalyse eine positive Verbindung zwischen den beiden Variablen. Im Zuge dessen kann geschlussfolgert werden, dass mit höherer Krankenstandshäufigkeit, eine höhere Präsentismushäufigkeit korrespondiert. ArbeitnehmerInnen die häufig krank arbeiten, gehen auch häufiger in Krankenstand. Faktoren, welche mit erhöhtem Präsentismus verbunden sind, sind daher in der Regel nicht zugleich solche, welche entgegen Krankenstandshäufigkeiten korrespondieren. Vielmehr sind jene Faktoren, die mit erhöhter Präsentismushäufigkeit korrelieren, meist gleichzeitig Variablen, die mit erhöhten Krankenstandshäufigkeiten verbunden sind. Zusammengenommen resultiert aus der Summe der Krankenstands- und Präsentismustage, die geschätzte Anzahl an Krankheitstagen, innerhalb eines bestimmten Zeitraumes. Im Rahmen der oberösterreichischen Studie und in Anlehnung an Johns (2010) werden diese Krankheitstage als „Health Events“ bezeichnet. Je mehr Health Events auftreten, umso höher ist die Vulnerabilität – d.h. die Verwundbarkeit bzw. Krankheitsanfälligkeit – einer Person. Mit höherer Anzahl an Präsentismusund Krankenstandstagen (=Health Events), ist demnach davonauszugehen, dass es sich um vulnerablere (krankheitsanfälligere) ArbeitnehmerInnen handelt. Faktoren, die mit einer hohen Präsentismus- und Absentismushäufigkeit verbunden 188 6 Resümee und Schlussfolgerungen sind, werden in der Folge als Determinanten interpretiert, die auf eine höhere Vulnerabilität der Person schließen lassen. Im weiteren Sinne, lassen sich jene Variablen als relevante Risikofaktoren der Gesundheit zusammenfassen, die auch z.B. im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung berücksichtigt werden können. Eine Zusammenfassung entsprechender Determinanten, die sowohl im Zuge des Reviews, als auch im Rahmen der Studie gefunden wurden, sind in den folgenden Tabellen (Tabelle 63, Tabelle 64, Tabelle 65) grob zusammengefasst: Tabelle 63: Arbeitsbezogene Zusammenhänge zur Vulnerabilität Arbeitsbezogene Faktoren, die mit einer erhöhten Vulnerabilität verbunden sind Physische Beanspruchung am Arbeitsplatz, Stress, Zeitdruck, Ressourcenmangel, Hoher Workload, Psychische & Soziale Belastung am Arbeitsplatz, Rollenkonflikte, Leistungs- und Erfolgsdruck, Fehlende Aufstiegschancen, Hoher Verantwortungsbereich, Leitende Funktion, Anwesenheitsdruck, Fehlende Work – Life - Balance, Konflikte im Team, Interdependenzen zu KollegInnen, Hohe Fremdbestimmung, Hohe Ersetzbarkeit (Studie OÖ) vs. Fehlende Ersetzbarkeit (Review), Überstunden, Mehr als 45 Stunden Arbeitszeit, Schichtarbeit, Arbeit auf Abruf, Teilzeit, Permanente Vollzeit, Quantitative & Qualitative Arbeitsplatzunsicherheit Arbeitsbezogene Faktoren, die mit einer geringen Vulnerabilität verbunden sind Hoher Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum, Gratifikation, Arbeitszufriedenheit, Positive Arbeitseinstellung, Unterstützendes soziales Netzwerk, Organizational Commitment, Working – Time – Balance, Permanente Beschäftigung Die Ergebnisse in Tabelle 63 geben Auskunft darüber, welche arbeitsbezogenen Variablen mit einer erhöhten oder reduzierten Präsentismushäufigkeit korrespondieren und somit einen Zusammenhang zur Vulnerabilität einer Person aufweisen. Hinsichtlich der Variable „Ersetzbarkeit“ ist hinzuzufügen, dass sich der Großteil der Ergebnisse des Reviews und der oberösterreichischen Studie konträr gegenüberstehen: gering ersetzbare ArbeitnehmerInnen weisen, nach den meisten Review – Resultaten, eine höhere Präsentismushäufigkeit auf, während die Ergebnisse der oberösterreichischen Studie dafür sprechen, dass eine hohe Ersetzbarkeit bei Befragten mit hoher 189 6 Resümee und Schlussfolgerungen Krankheitsanfälligkeit bzw. hoher Anzahl an Präsentismustagen auftritt – dieser Befund wird auch durch Johns (2011: 492) bestätigt. Diese Differenz in Bezug auf die Variable „Ersetzbarkeit“ ist vermutlich auf Unterschiede hinsichtlich der Operationalisierung der Variable zurückzuführen: während in vielen Studien die Variable Ersetzbarkeit mit der Verfügbarkeit an Vertretungspersonen gleichgesetzt wird, wird die Variable im Zuge der oberösterreichischen Studie und auch bei Johns (2011: 488) eher in Bezug auf Übernahmemöglichkeiten von Verantwortungsbereichen, speziellen Aufgabebereichen und Expertenwissen gesehen. Darüber hinaus können Unterschiede in der Stichprobenverteilung eine Erklärung für entsprechend heterogene Studienrestultate liefern. Tabelle 64: Personenbezogene Zusammenhänge zur Vulnerabilität Personenbezogene Faktoren, die mit einer erhöhten Vulnerabilität verbunden sind Individual Boundarylessness, die persönliche Bewertung von Präsentismus als Leistung, Konservative Einstellung gegenüber Krankenstand, Gewissenhaftigkeit, Emotionale Labilität, Exzessiver & Zwanghafter Arbeitsstil, Over – Commitment Soziodemografische Faktoren: Frauen, Jüngere ArbeitnehmerInnen, Betreuungspflichten, Niedrigere Bildung, schlechte finanzielle Lage, Niedriger beruflicher Status Indikatoren schlechter Gesundheit Personenbezogene Faktoren, die mit einer geringen Vulnerabilität verbunden sind Die persönliche Bewertung von Präsentismus als gefährdendes Verhalten, „Internal Health Locus of Control“, Liberale Einstellung gegenüber Krankenstand Soziodemografische Faktoren: Finanzielle Zufriedenheit, Höhere Bildung, Höherer beruflicher Status Indikatoren guter Gesundheit Tabelle 64 fasst die personenbezogenen Zusammenhänge zur Krankheitsanfälligkeit oder Gesundheit zusammen. Es sind keine Differenzen zwischen den Ergebnissen des Reviews und der oberösterreichischen Erhebung erkennbar. Vielmehr überschneiden 190 6 Resümee und Schlussfolgerungen sich die Resultate in vielen Aspekten. Tabelle 65: Organisationsbezogene Zusammenhänge zur Vulnerabilität Organisationsbezogene Faktoren, die mit einer erhöhten Vulnerabilität verbunden sind Leistungsorientierung, Wettbewerbsklima, Strenge ärztliche Attestpflicht, Geringe Mitarbeiteranzahl, Branchenzugehörigkeit zum Pflege- / Sozial - / Bildungsbereich Organisationsbezogene Faktoren, die mit einer geringen Vulnerabilität verbunden sind Gesundheitsförderung, Gesundheitskultur, Positives Betriebsklima Organisationssrelevante Faktoren, die einen Zusammenhang zur. Krankheitsanfälligkeit aufweisen, sind in Tabelle 65 zusammengefasst. Die Ergebnisse des Reviews und der oberösterreichischen Studie, überschneiden sich auch in diesen Punkten. Als Fazit kann festgehalten werden, dass arbeits-, personen- und organisationsbezogene Variablen, die im Zusammenhang mit der Präsentismushäufigkeit stehen, in erster Linie als mehrdimensionale Aspekte gesehen werden können, die mit einer erhöhten oder reduzierten Krankheitsanfälligkeit einer Person korrespondieren. Entsprechende Faktoren, die mit einer erhöhten Präsentismushäufigkeit verbunden sind, korrelieren in der Regel auch in gleicher Richtung mit der Krankenstandshäufigkeit einer Person. Als Grund wird hierfür gesehen, dass sich beide Variablen, primär aus der Vulnerabilität der Befragten zusammensetzen. In zweiter Linie sind beide Variablen als Output des Entscheidungsverhaltens von ArbeitnehmerInnen zu verstehen (Gerich 2015a: 49). Um die Forschungsfrage der Diplomarbeit zu beantworten, welche Faktoren die Entscheidung zu Präsentismus begünstigen oder reduzieren, empfiehlt es sich eine andere Präsentismusvariable einzusetzen, die nicht vordergründig durch die Vulnerabilität einer Person beeinflusst wird. Im Rahmen der oberösterreichischen Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“, wird 191 6 Resümee und Schlussfolgerungen hierfür eine weitere Variable geschätzt: die Präsentismuswahrscheinlichkeit (siehe Kapitel 5.1). Diese berechnet sich aus der Präsentismushäufigkeit, die in Relation zur gesamten Anzahl der Krankheitstage (Health Events) gesetzt wird (siehe S.125). Daraus resultiert die geschätzte Wahrscheinlichkeit einer Person, trotz Krankheit in die Arbeit zu gehen. Um zu prüfen, inwiefern die Gesundheit von Beschäftigten mit der Präsentismuswahrscheinlichkeit korrespondiert, werden auch hierfür Zusammenhangsanalysen durchgeführt. Die Ergebnisse daraus zeigen, dass Gesundheit in vernachlässigbar geringer Korrelation zur Präsentismusneigung steht (siehe Abschnitt 5.3.1.4, S.138). Infolgedessen sind Variablen, die im Zusammenhang zur Präsentismuswahrscheinlichkeit stehen, als Determinanten festzuhalten, welche im Krankheitsfall die Entscheidungstendenz einer Person beeinflussen und nicht vordergründig darauf zurückzuführen sind, wie vulnerabel der Arbeitnehmer / die Arbeitnehmerin ist. In nachfolgender Abbildung 12 sind Faktoren eingezeichnet, welche die Entscheidung zu Präsentismus begünstigen (Ergebnisse der reduzierten Gesamtregression der Studie "Präsentismus am Arbeitsplatz“, siehe Tabelle 61, S.172). 192 6 Resümee und Schlussfolgerungen Abbildung 12: Einflüsse auf die Entscheidungstendenz zu Präsentismus Arbeitsbezogene Faktoren Personenbezogene Faktoren & demografischer Hintergrund Fehlender Handlungs- & Gestaltungsspielraum Bewertung von Präsentismus als Zeichen von Leistung Fehlende Ersetzbarkeit Nicht „Nein“ sagen können (Individual Boundarylessness) Physische Beanspruchung Organisationsbezogene Faktoren Fehlende Work –Life - Balance Frauen Betreuungspflichten Mittlere Bildung Entscheidungstendenz zu Präsentismus Allgemeine Gesundheit Präsentismushäufigkeit Vulnerabilität Die Wahrscheinlichkeit, krank in die Arbeit zu gehen, erhöht sich bei ArbeitnehmerInnen, die im Beruf wenig Handlungs- und Gestaltungsspielraum besitzen, die während eines Krankenstands nicht vertreten werden können oder in ihrer Tätigkeit stärker physisch beansprucht werden. Besteht ein unausgewogenes Verhältnis zwischen dem Berufs- und Privatleben, kann ebenfalls davon ausgegangen werden, dass betroffene Personen zum Arbeiten trotz Krankheit tendieren. 193 6 Resümee und Schlussfolgerungen Auch Personen, die kaum einen Wunsch abschlagen können, neigen mit höherer Wahrscheinlichkeit zu Präsentismus. Hinsichtlich der soziodemografischen Daten einer Person, zeigt sich, dass Frauen im Vergleich zu Männern, eher zum Arbeiten trotz Krankheit tendieren. Eine erhöhte Präsentismusneigung ist außerdem bei ArbeitnehmerInnen mit mittlerem Bildungsstand und Betreuungspflichten in privater Sphäre zu finden. Der stärkste Zusammenhang zu einer erhöhten Präsentismustendenz ergibt sich aber vor allem für Beschäftigte, die Präsentismus als Zeichen besonderer Leistungsbereitschaft interpretieren. Wird das Arbeiten trotz Krankheit hingegen als gefährdendes Verhalten (für sich Selbst und Andere) bewertet, besteht eine höhere Entscheidungswahrscheinlichkeit zum Krankenstand. Betrachtet man die Varianz der Präsentismustendenz unter den Befragten der oberösterreichischen Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“, ist ersichtlich, dass im Zuge höherer Krankheitshäufigkeit (mehr als 10 Krankheitstage im Jahr) die Entscheidung zwischen Präsentismus und Krankenstand öfter variiert wird, als bei Personen, die seltener krank sind (weniger als 10 Krankheitstage im Jahr) und dementsprechend seltener eine Entscheidung zwischen Krankenstand und Präsentismus treffen müssen (siehe Abbildung 9, S.135). Mit höherer Krankheitshäufigkeit steigt somit die Varianz der Entscheidung zwischen Krankenstand und Präsentismus. Berufstätige mit schlechterer Gesundheit, profitieren vor allem durch Teamarbeit, indem Arbeitsaufgaben zwischen Teammitgliedern aufgeteilt werden können, um somit Vertretungsmöglichkeiten im Krankheitsfall zu schaffen. Unter entsprechenden Rahmenbedingungen kann bei häufiger kranken Personen, eine reduzierte Präsentismuswahrscheinlichkeit beobachtet werden. Umgekehrt zeigt sich für weniger vulnerable bzw. seltener kranke ArbeitnehmerInnen, dass sich z.B. die persönliche Eigenschaft nicht „Nein“ sagen zu können, begünstigend auf die Entscheidung zu Präsentismus auswirkt, während häufiger kranke ArbeitnehmerInnen diesbezüglich keinen Effekt aufweisen. Die Präsentismuswahrscheinlichkeit und der Einfluss der Determinanten, kann also danach variieren, wie oft jemand mit gesundheitlichen Einschränkungen konfrontiert wird. 194 6 Resümee und Schlussfolgerungen Die Entscheidungstendenz zu Präsentismus resultiert letztlich in einer bestimmten Anzahl an Tagen, an denen man krank arbeitet – die Präsentismushäufigkeit. Diese steht wiederum in Verbindung zum allgemeinen Gesundheitszustand und der Vulnerabilität einer Person (siehe Abbildung 12). Die zweite Forschungsfrage der Diplomarbeit bezieht sich auf die Folgen des Präsentismus. Diese werden anhand einer Zusammenfassung ausgewählter Längsschnittanalysen dargestellt (siehe Kapitel 4.2, S.101). Zusammengenommen geht aus den Ergebnissen der Langzeitstudien hervor, dass Präsentismus gesundheitliche Risiken (Herzerkrankungen, psychische Krankheiten wie z.B. Burn-Out) und Langzeitkrankenstände zur Konsequenz haben kann. Präsentismus ist somit als Warnsignal für spätere Langzeiterkrankungen oder Langzeitkrankenstände ernst zu nehmen. Zur genaueren Überprüfung der kausalen Zusammenhänge zwischen Gesundheit und Präsentismus, besteht allerdings weiterhin Forschungsbedarf. 6.1 Implikationen für das betriebliche Gesundheitsmanagement Für das betriebliche Gesundheitsmanagement können folgende Schlussfolgerungen und Handlungsempfehlungen abgeleitet werden: Anwesende ArbeitnehmerInnen sind nicht immer gesund. Das Arbeiten trotz Krankheit wird durchschnittlich sogar häufiger praktiziert, als Krankenstand (siehe Studie „Präsentismus am Arbeitsplatz“, Tabelle 35, S.132). Die Krankenstands- und Präsentismushäufigkeiten im Personal resultieren primär aus der Krankheitsanfälligkeit der ArbeitnehmerInnen und sind sekundär als Resultate eines restringierten Entscheidungsprozesses zu sehen. Je schlechter der Gesundheitszustand und je höher die Vulnerabilität der Belegschaft ausgeprägt ist, desto eher ist von hohen Krankenstands- und Präsentismuszahlen auszugehen. Im Umkehrschluss können sowohl die Krankenstandshäufigkeit, als auch die Präsentismusfrequenz als Gesundheits- und Vulnerabilitätsindikatoren im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements herangezogen werden. Dabei ist anzumerken, dass sich die 195 6 Resümee und Schlussfolgerungen Präsentismusfrequenz als besserer Gesundheitsindikator eignet als die Krankenstandshäufigkeit. Insbesondere im Falle niedriger Fehlzeiten empfiehlt es sich die Präsentismushäufigkeit als zusätzliche Größe heranzuziehen, um differenziertere Informationen über die Gesundheit des Personals zu erhalten (Gerich 2015c: 44). Für das betriebliche Gesundheitsmanagement kann folglich abgeleitet werden, dass sowohl die Fehlzeitenstatistiken als auch die Präsentismushäufigkeit als relevante Größen in der Analyse der Gesundheit berücksichtigt werden sollten. Die alleinige Betrachtung der Fehlzeitenstatistiken vermittelt hingegen ein unvollständiges Abbild der Gesundheit der ArbeitnehmerInnen. Langzeitstudien zeigen, dass das Arbeiten trotz Krankheit gravierende gesundheitliche Konsequenzen sowie Langzeitkrankenstände zur Folge haben kann (siehe Kapitel 4.2). Demzufolge ist Präsentismus als riskantes Krankheitsverhalten zu bewerten, welches mit erheblichen Langzeitfolgen für ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen einhergehen kann. Um eine erhöhte Präsentismus- und Krankenstandshäufigkeit zu reduzieren, gilt es jene Faktoren zu beachten, die mit einer erhöhten Präsentismus- und Krankenstandshäufigkeit korrespondieren. Diese können im Wesentlichen als gesundheitsrelevante Determinanten zusammengefasst werden, die in der Regel bereits in Programmen der betrieblichen Gesundheitsförderung bekannt sind. Für die Frage, wie die Entscheidungswahrscheinlichkeit zu Präsentismus reduziert werden kann, empfiehlt es sich jene Aspekte zu berücksichtigen, die mit einer erhöhten Präsentismusneigung korrespondieren (siehe Abbildung 12). Als vergleichsweise stärkster Einflussfaktor hinsichtlich der Entscheidung zu Präsentismus, stellt sich dabei die Bewertung von Präsentismus und Krankenstand heraus. Wird das Arbeiten trotz Krankheit als Zeichen besonderer Leistungsbereitschaft assoziiert, besteht eine signifikant höhere Wahrscheinlichkeit dafür, trotz Krankheit zu arbeiten, anstatt in Krankenstand zu gehen. Umgekehrt kann die negative Bewertung von Präsentismus (als riskantes bzw. gefährdendes Verhalten) entsprechende 196 6 Resümee und Schlussfolgerungen Entscheidungstendenzen reduzieren. Die Wertehaltung gegenüber dem Umgang mit Gesundheit und Krankheit spielt folglich eine entscheidende Rolle darin, wie sich eine Person im Krankheitsfall entscheidet. Soll also die Entscheidungstendenz zu Präsentismus reduziert werden, gilt es als nicht empfehlenswert, MitarbeiterInnen als besonders leistungsbereit einzustufen und zu belohnen, wenn sie trotz Krankheit arbeiten. Zudem kann das „Vorleben“ von Präsentismus durch Führungskräfte und KollegInnen, entsprechenden Anwesenheits- und Leistungsdruck an die MitarbeiterInnen suggerieren. Etwaige Rationalisierungsmaßnahmen oder organisationale Umstrukturierungen im Zuge von Downsizing – Initiativen können Leistungsorientierung und Konkurrenzdenken zusätzlich verstärken. Auch die Bewertung von Krankenständen, als Zeichen geringerer Leistungsbereitschaft oder fehlender Motivation, kann die Präsentismustendenzen unterstützen. Die Förderung eines mehrdimensionalen Gesundheitsbewusstseins unter den MitarbeiterInnen kann hingegen die Präsentismuswahrscheinlichkeit reduzieren. D.h. den subjektiven Stellenwert von Gesundheit zu erhöhen, positives Bewusstsein für physische und psychische Gesundheit zu vermitteln oder etwa der Versuch ein dichotomes Verständnis von Gesundheit aufzubrechen, können Ansätze darstellen, um die Präsentismuswahrscheinlichkeit von ArbeitnehmerInnen zu verringern. Hinsichtlich der arbeits- und organisationsbezogenen Faktoren kann zusammengefasst werden, dass positive Qualitätsmerkmale im Beruf, wie z.B. Handlungs- und Gestaltungsspielraum in der Ausführung beruflicher Aufgaben, ausreichend Vertretungsmöglichkeiten, ein niedriger Grad an physischer Beanspruchung sowie eine stabile Work – Life – Balance, mit einer reduzierten Präsentismuswahrscheinlichkeit einhergehen. Eine Optimierung entsprechender qualitativer Berufsaspekte kann die Präsentismusneigung verringern. In Bezug auf Persönlichkeitsmerkmale neigen MitarbeiterInnen, denen es schwer fällt „Nein“ zu sagen und zur Grenzenlosigkeit tendieren („individual boundarlylessness“), eher zu Präsentismus. Als Interventionsmaßnahme bietet sich hierzu an, betroffene ArbeitnehmerInnen und das soziale Umfeld hinsichtlich gesundheitlicher Konsequenzen des Präsentismus zu sensibilisieren und ein Bewusstsein für gesundheitsförderliches Arbeitsverhalten aufzubauen. 197 6 Resümee und Schlussfolgerungen Faktoren wie etwa Betreuungspflichten und mittlerer Bildungsgrad können zudem als demografische Indikatoren einer erhöhten Präsentismusneigung herangezogen werden. Darüber hinaus sind Frauen, im Vergleich zu Männern, geneigter trotz Krankheit zu arbeiten. Hierzu besteht allerdings weiterhin Forschungsbedarf um spezifische Handlungsmaßnahmen ableiten zu können. 6.2 Implikationen für die verhaltensorientierte Präsentismusforschung Für die zukünftige verhaltensorientierte Präsentismusforschung kann aus den Ergebnissen der Diplomarbeit abgeleitet werden, dass sich die Schätzung der Präsentismuswahrscheinlichkeit dafür eignet, um die Einflüsse in der Entscheidung zu Präsentismus zu erfassen. Die abhängige Variable Präsentismushäufigkeit gibt, gemeinsam mit der Krankenstandsfrequenz, hingegen primär Auskunft darüber wie vulnerabel eine Person ist. Determinanten der Präsentismusfrequenz können folglich als Faktoren subsumiert werden, die mit einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit verbunden sind. Der Forschungsbestand an Langzeitstudien ist innerhalb des verhaltensorientierten Forschungsstrangs relativ gering. Infolgedessen besteht weiterhin Bedarf an Langzeituntersuchungen, um die genaue Wirkung zwischen dem Arbeiten trotz Krankheit und Gesundheit aufzuklären. 198 7 Literaturverzeichnis 7 Literaturverzeichnis 1. Aronsson G., Gustafsson K. (2005): Sickness presenteeism: Prevalance, attendance-pressure factors, and an outline of a model for research. Journal of Occupational and Environmental Medicine 47: 958 – 966. 2. Aronsson G., Gustafsson K., Dallner M. (2000): Sick but yet at work. An empirical study of sickness presenteeism. Journal of Epidemiology and Community Health, 54: 502-509. 3. Ashby K., Mahdon M. (2010): Why do employees come to work when ill? An investigation into sickness presence in the workplace. AXA PPP http://www.theworkfoundation.com/Reports/242/Why-Do-Employees-Come-to-WorkWhen-Ill-An-investigation-into-sickness-presence-in-the-workplace (dl. am 29.07.2014) 4. Badura B. (2002): Betriebliches Gesundheitsmanagement – ein neues Forschungsund Praxisfeld für Gesundheitswissenschaftler. Zeitschrift für Gesundheitswiss., 10 (2): 100 – 188. 5. Badura B., Hehlmann T. (2003): Betriebliche Gesundheitspolitik. Der Weg zur gesunden Organisation. Berlin, Heidelberg, New York: Springer Verlag. 6. Bergström G., Bodin L., Hagberg J., Aronsson G., Josephson M. (2009a): Sickness Presenteeism Today, Sickness Absenteeism Tomorrow? A Prospective Study on Sickness Presenteeism and Future Sickness Absenteeism. Journal of Occupational and Environmental Medicine, 51: 629 – 638. 7. Bergström G., Bodin L., Hagberg J., Lindh T., Aronsson G., Josephson M. (2009b): Does sickness presenteeism have an impact on future general health? International Archives of Occupational and Environmental Health, 82: 1179 – 1190. 199 7 Literaturverzeichnis 8. Biron C., Brun J., Ivers H., Cooper C.L. (2006): At work but ill: psychosocial work environment and well-being determinants of presenteeism propensity. Journal of pubicl mental health, 5,(4): 26 – 37. 9. Biron C. (2009): Sickness Presenteeism and Attendance Pressure Factors: Implications for Practice. In: Cooper C.L., Quick J.C., Schabracq M. (Hrsg.): Work and Health Psychology: The Handbook. 3. Auflage. John Wiley & Sons, 77 – 96. 10. Bormann K.C., Rowold J. (2013): Organisationskultur. In: Rowold J. (Hrsg.): Human Resource Management. Lehrbuch für Bachelor und Master. Berlin Heidelberg: Springer, 51 – 57. 11. Böckerman P., Laukkanen E. (2009): What makes you work while you are sick? Evidence from a survey of workers. European Journal of Public Health 20 (1): 43 – 46. 12. Böckerman P., Laukkanen E. (2010): Predictors of sickness absence and presenteeism: Does the pattern differ by a respondent’s health? Journal of occupational and environmental medicine 52 (3): 332 – 335. 13. Brandenburg U., Nieder P. (2009): Betriebliches Fehlzeiten-Management. Instrumente und Praxisbeispiele für erfolgreiches Anwesenheits- und Vertrauensmanagement. Wiesbaden: Gabler. 2. Auflage. 14. Bruns W. (2013): Gesundheitsförderung durch soziale Netzwerke. Wiesbaden: Springer. 15. Burton W. N., Conti D. J., Chin-You C., Schultz A. B., Edington D. W. (1999): The Role of Health Risk factors and Disease on Worker Productivity. Journal of Occupational & Environmental Medicine. 200 7 Literaturverzeichnis 16. Caverley N., Cunningham J.B., MacGregor J.N. (2007): Sickness Presenteeism, Sickness Absenteeism, and Health Following Restructuring in a Public Service Organization. Journal of Management Studies 44 (2): 304 – 319. 17. Cicey C.C. (2012): Examining the effects of work-family conflict. An exploratory study on sickness presenteeism. Romanian Journal of Experimental Applied Psychology 3 (1): 4 – 9. 18. Collins J.J., Baase C. M., Sharda C.E., Ozminkowski R.J., Nicholson S., Billotti G.M., Turpin R.S., Olson M., Berger M.C. (2005): The assessment of chronic health conditions on work performance, absence, and total economic impact for employers. Journal of Occupational and Environmental Medicine 47 (6): 547 – 557. 19. Der Standard Online (2014): „Lösung für Teilzeit-Krankenstand gesucht“ http://derstandard.at/2000004208351/Loesung-fuer-Teilzeit-Krankenstand-gesucht (Zugriff am 11.08.2014) 20. Demerouti E., Le Blanc P.M., Bakker A.B., Schaufeli W.B., Hox J. (2009): Present but sick: a three-wave study on job demands, presenteeism and burnout. Career Development International 14 (1): 50-68. 21. Dew K., Taupo T. (2009): The moral regulation of the workplace: presenteeism and public health. Sociology of Health & Illness 31 (7): 994 – 1010. 22. Elstad J.I., Vabo M. (2008): Job stress, sickness absence and sickness presenteeism in Nordic elderly care. Scandinavian Journal of Public Health 36: 467 – 474. 23. Emmermacher A. (2008): Gesundheitsmanagement und Weiterbildung: Eine praxisorientierte Methodik zur Steuerung, Qualitätssicherung und Nutzenbestimmung. 201 7 Literaturverzeichnis Wiesbaden: Gabler GWV Fachverlage GmbH. 24. Erhart M., Wille N., Ravens-Sieberer U. (2009): Die Messung der subjektiven Gesundheit. Stand der Forschung und Herausforderungen. In: Richter M., Hurrelmann K. (Hrsg.): Gesundheitliche Ungleichheit. Grundlagen, Probleme, Perspektiven. 2. aktualisierte Auflage. Wiesbaden: VS. 25. Faltermaier T. (1994): Gesundheitsbewusstsein und Gesundheitshandeln. Weinheim: Beltz. 26. Faltermaier T. (1998): Subjektive Konzepte und Theorien von Gesundheit. Begründung, Stand und Praxisrelevanz eines gesundheitswissenschaftlichen Forschungsfeldes. In: Flick U. (Hrsg.): Wann fühlen wir uns gesund? Subjektive Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit. Weinheim und München: Juventa. 70-86. 27. Flick U. (1998): Subjektive Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit. Überblick und Einleitung. In: Flick U. (Hrsg.): Wann fühlen wir uns gesund? Subjektive Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit. Weinheim und München: Juventa. 7-30. 28. Franke, A. (2012): Modelle von Gesundheit und Krankheit. Bern: Hans Huber. 3. überarbeitete Auflage. 29. Gerich J. (2014): Präsentismus – krank und doch in der Arbeit? Wirtschafts- und Sozialpolitische Zeitschrift 37 (2): 31-49. 30. Gerich J. (2015a): Sick at work: methodological problems with research on workplace presenteeism. Health Services and Outcomes Research Methodolgy 15 (1): 37-53. 31. Gerich J. (2015b): Determinants of Presenteeism Prevalence and Propensity: Two 202 7 Literaturverzeichnis Sides of the same Coin? Archives of Environmental and Occupational Health (in press). 32. Gerich J. (2015c): Krankenstand und Präsentismus als betriebliche Gesundheitsindikatoren. Zeitschrift für Personalforschung 29 (1): 31-48. 33. Gosselin E., Lemyre L., Corneil W. (2013): Presenteeism and Absenteeism: Differentiated Understanding of Related Phenomena. Journal of Occupational Health Psychology 18 (1): 75-86. 34. Gustafsson K., Marklund S. (2011): Consequences of sickness presence and sickness absence on health and work ability: a Swedish prospective cohort study. International Journal of Occupational Medicine and Environmental Health 24 (2): 153 165. 35. Hägerbäumer M. (2011): Ursachen und Folgen des Arbeitens trotz Krankheit. Implikationen des Präsentismus für das betriebliche Fehlzeiten- und Gesundheitsmanagement. Inauguraldissertation Universität Osnabrück. https://repositorium.uos.de/bitstream/urn:nbn:de:gbv:700201112158616/1/thesis_haegerbaeumer.pdf (dl. am 04.07.2014). 36. Hansen C.D., Andersen J.H. (2008): Going ill to work – what personal circumstances, attitudes and work – related factors are associated with sickness presenteeism? Social Science & Medicine 67: 956 – 964. 37. Hansen C.D., Andersen J.H. (2009): Sick at work – a risk factor for long-term sickness absence at a later date? Journal of Epidemiology and Community Health 63: 397 – 402. 38. Hurrelmann K. (2010): Gesundheitssoziologie. Eine Einführung in sozialwissen203 7 Literaturverzeichnis schaftliche Theorien von Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung. Weinheim und München: Juventa. 7. Auflage. 39. Johansson G., Lundberg I. (2004): Adjustment Latitude and attendance requirements as determinants of sickness absence or attendance. Empirical tests of the illness flexibility model. Social Science & Medicine 58: 1857-1868. 40. Johns G. (2009): Presenteeism in the workplace: A review and research agenda. Journal of Organizational Behavior, 31: 519 – 542. 41. Johns G. (2011): Attendance Dynamics at Work: The Antecedents and Correlates of Presenteeism, Absenteeism, an Productivity Loss. Journal of Occupational Health Psychology 16 (4): 483 – 500. 42. Jylhä M. (2009): What is self-rated health and why does it predict mortality? Towards a unified conceptual model. Soc Sci Med, 69: 307–316. 43. Kausto J., Miranda H., Martimo K.P., Viikari-Juntura E. (2008): Partial sick-leave – review of ist use, effects and feasibility in the Nordic countries. Scandinavian Journal of Work, Environment & Health, 34 (4): 239 – 249. 44. Kivimäki M., Head J., Ferrie J.E., Hemingway H., Shipley M.J., Vahtera J., Marmot M.G. (2005): Working while ill as a risk factor for serious coronary events: the Whitehall II study. American Journal of Public Health, 95: 98 – 102. 45. MacGregor J.N., Cunningham J.B., Caverley N. (2008): Factors in absenteeism and presenteeism: life events and health events. Management Research News 31 (8): 607 – 615. 46. Molarius A., Janson S. (2002): Self-rated health, chronic diseases, and symptoms 204 7 Literaturverzeichnis among middle-aged and elderly men and women. Journal of Clinical Epidemiology 55: 364 – 370. 47. Naidoo J., Wills J. (2010): Lehrbuch der Gesundheitsförderung. Überarbeitete, aktualisierte und durch Beiträge zum Entwicklungsstand in Deutschland erweiterte Neuauflage. Köln: BZgA. 48. Peter R. (2010): Von Handlungs- und Entscheidungsspielräumen, Belohnen und betrieblicher Gerechtigkeit. Die Modelle Demand – Control und berufliche Gratifikationskrisen. In: Faller G. (Hrsg.): Lehrbuch Betriebliche Gesundheitsförderung. Bern: Hans Huber, 105 – 111. 49. Preisendörfer P. (2010): Präsentismus. Prävalenz und Bestimmungsfaktoren unterlassener Krankmeldungen bei der Arbeit. Zeitschrift für Personalforschung 24 (4): 401 – 408. 50. Rantanen I., Tuominen R. (2011): Relative magnitude of presenteeism and absenteeism and work-related factors affecting them among health care professionals. International Archives of Occupational and Environmental Health 84 (2): 225-230. 51. Rosvold E.O., Bjertness E. (2001): Physicians who do not take sick leave: hazardous herous? Scandinavian Journal of Public Health 29 (71): 71 – 75. 52. Rumpelsberger K. (2013): Gesund ist, wer nicht krank ist? Subjektive Gesundheitsvorstellungen oberösterreichischer Hausärzte und ihre gegenwärtige und zukünftige Rolle. In: Weidenholzer J. (Hrsg.): „Gesundheitswissenschaften“. Band 44. Johannes Kepler Universität Linz & Oberösterreichische Gebietskrankenkasse. 53. Judge T.A., Higgins C.A., Thoresen C.J., Barrik M.R. (1999): The big five personality traits, general mental ability, and career success across the life span. Personnel 205 7 Literaturverzeichnis Psychology 52: 621 – 652. 54. Schultz A. B., Edington D. W. (2007): Employee Health and Presenteeism: A Systematic Review. Journal of Occupational Rehabilitation, 17: 547 – 579. 55. Schwarz N., Hippler H-J., Deutsch B., Strack F. (1985): Response Scales: Effects of Category Range on Reported Behavior and Comparative Judgements. The Public Opinion Quarterly 49 (3): 388 – 395. 56. Sendén M. G., Løsveth L.T., Schenk-Gustafsson K., Fridner A. (2013): What makes physicians go to work while sick: a comparative study of sickness presenteeism in four European countries (HOUPE). Swiss Medical Weekly 143, 13840, 1-6. http://www.smw.ch/content/smw-2013-13840/ (dl. am 17.12.2014). 57. Sieurin L., Josephson M., Vingard E. (2009): Positive and negative consequences of sick leave for the individual, with special focus on part-time sick leave. Scandinavian Journal of Public Health 37: 50 – 56. 58. Steinke M., Badura B. (2011): Präsentismus. Ein Review zum Stand der Forschung. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. 59. Taloyan M., Aronsson G., Leineweber C., Hanson L.M., Alexanderson K., Westerlund H. (2012): Sickness presenteeism predicts suboptimal self-rated health and sickness absence: a nationally representative study of the Swedish working population. Plos One, 7 (9): 1 – 8. 60. Ulich E., Strasser P. (2010): Präsentismus. Journal Psychologie des Alltagshandelns 3 (1): 51 – 55. 61. Ulich E., Wülser M. (2012): Gesundheitsmanagement in Unternehmen. Arbeitspsy206 7 Literaturverzeichnis chologische Perspektiven. 5. Überarbeitete und erweiterte Auflage. Wiesbaden: Springer. 62. Vogt J., Badura B., Hollmann D. (2009): Krank bei der Arbeit: Präsentismusphänomene. In: Böcken J., Braun B., Landmann J. (Hrsg.): Gesundheitsmonitor 2009. Gesundheitsversorgung und Gestaltungsoptionen aus der Perspektive der Bevölkerung. Bertelsmann Stiftung, 179-202. 63. Waller H. (2006): Gesundheitswissenschaften. Eine Einführung in die Grundlagen und Praxis. Stuttgart: Kohlhammer. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. 64. Winter L. Lawton M.P., Langston C.A., Ruckdeschel K., Sando R. (2007): Symptoms, Affects, and Self-Rated Health: Evidence for a Subjective Trajectory of Health. Journal of Aging and Health, 19 (3): 453 – 469. 65. World Health Organization (1946): Preamble to the Constitution of the World Health Organization as adopted by the International Health Conference, New York, 19 – 22 June, 1946. 66. World Health Organization (1986): Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung. http://www.euro.who.int/de/publications/policy-documents/ottawa-charter-for-healthpromotion,-1986 (dl. am 28.01.2015) 67. Wu S., Wang R., Zhao Y., Ma X., Wu M., Yan X., He J. (2013): The relationship between self-rated health and objective health status: a population-based study. BMC Public Health, 13, 320 – 329. http://www.biomedcentral.com/1471-2458/13/320 (dl. am 25.09.2014) 207 8 Abbildungsverzeichnis 8 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Faktoren des subjektiven Gesundheitskonzepts (eigene Darstellung nach Faltermaier 1994: 165ff) ................................................................................................ 19 Abbildung 2: Illness Flexibility Modell nach Johansson & Lundberg (2004: 1858) ........ 36 Abbildung 3: Modell nach Aronsson & Gustafsson (2005: 964) .................................... 37 Abbildung 4: Modell nach Johns (2010: 532) ................................................................ 40 Abbildung 5: Präsentismusmodell nach Hägerbäumer 2011: 234 ................................. 43 Abbildung 6: Gliederung Review Einflussfaktoren des Präsentismus ........................... 51 Abbildung 7: Gliederung Review Folgen des Präsentismus .......................................... 52 Abbildung 8: Untersuchungsmodell oberösterreichische Studie (Gerich 2014: 35) ..... 123 Abbildung 9: Verteilung der Präsentismusneigung ...................................................... 135 Abbildung 10: Verteilung der Präsentismusneigung bei Health Events ≤10 ................ 136 Abbildung 11: Verteilung der Präsentismusneigung bei Health Events > 10 ............... 137 Abbildung 12: Einflüsse auf die Entscheidungstendenz zu Präsentismus ................... 193 9 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Typen subjektiver Gesundheitskonzepte (Faltermaier 1994 zit. in Hägerbäumer 2011: 20) ................................................................................................ 19 Tabelle 2: Definitionen von Präsentismus (vgl. Hägerbäumer 2011: 65ff) ..................... 28 Tabelle 3: Messung von Präsentismus in verhaltensorientierten Studien (vgl. Hägerbäumer 2011: 65ff) .............................................................................................. 31 Tabelle 4: Beispiel 1 - Ausprägungsrichtung der unabhängigen Variable „Gewissenhaftigkeit“ ...................................................................................................... 55 Tabelle 5: Beispiel 2 - Ausprägungsrichtung der unabhängigen Variable „Finanzielle Lage“ ............................................................................................................................. 55 Tabelle 6: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Charaktereigenschaften und Kontrollüberzeugung ....................................................... 56 Tabelle 7: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Individuelles Arbeitsverhalten und Arbeitseinstellung ........................................................................ 58 Tabelle 8: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Individuelle 208 9 Tabellenverzeichnis Einstellung gegenüber Krankenstand............................................................................ 60 Tabelle 9: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Allgemeiner Gesundheitszustand...................................................................................................... 62 Tabelle 10: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Indikatoren physischer Gesundheit .................................................................................................. 64 Tabelle 11: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Indikatoren der Stressexposition und psychischer Belastung ................................................................ 65 Tabelle 12: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Geschlecht ......... 68 Tabelle 13: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Alter ................... 70 Tabelle 14: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Beziehungsstatus und Betreuungspflichten................................................................................................ 71 Tabelle 15: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Bildung ............... 72 Tabelle 16: Personenbezogene Einflussfaktoren von Präsentismus: Finanzielle Situation ........................................................................................................................ 74 Tabelle 17: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Quantitative Arbeitsbelastung ......... 75 Tabelle 18: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Qualitative Arbeitsbelastung ............ 77 Tabelle 19: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Ersetzbarkeit und „Attendance Requirements“ ............................................................................................................... 79 Tabelle 20: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Work-Life-Balance........................... 82 Tabelle 21: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Soziale Beziehungen....................... 84 Tabelle 22: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Interdependenzen durch Teamarbeit ...................................................................................................................................... 86 Tabelle 23: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren des Präsentismus: Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten ......................................................................................... 87 Tabelle 24: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Arbeitszufriedenheit und „organizational commitment“ ......................................................................................... 89 Tabelle 25: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Arbeitszeit ....................................... 91 Tabelle 26: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Beruflicher Status ............................ 94 Tabelle 27: Tätigkeitsbezogene Einflussfaktoren: Beschäftigungsform und Arbeitsplatzunsicherheit ................................................................................................ 95 Tabelle 28: Organisationsbezogene Einflussfaktoren: Organisationskultur ................... 97 209 9 Tabellenverzeichnis Tabelle 29: Organisationsbezogene Einflussfaktoren: Ärztliche Attestpflicht ................ 99 Tabelle 30: Organisationsbezogene Einflussfaktoren: Unternehmensgröße und Branche .................................................................................................................................... 100 Tabelle 31: Zusammenfassung Resultate personenbezogene Faktoren .................... 112 Tabelle 32: Zusammenfassung Resultate arbeitsbezogene Faktoren ........................ 116 Tabelle 33: Zusammenfassung Ergebnisse organisationsbezogene Faktoren ........... 120 Tabelle 34: Unabhängige Analysevariablen ................................................................ 128 Tabelle 35: Präsentismustage im vergangenen Jahr .................................................. 132 Tabelle 36: Krankenstandstage im vergangenen Jahr ................................................ 133 Tabelle 37: Verteilung der Health Events .................................................................... 134 Tabelle 38: Präsentismus- und Absentismusneigung.................................................. 134 Tabelle 39: Zusammenhang zwischen Präsentismus / Absentismus und Gesundheit 138 Tabelle 40: Bivariater Zusammenhang zwischen Präsentismus und Absentismus ..... 140 Tabelle 41: Begründungen für Präsentismus .............................................................. 140 Tabelle 42: Bivariate Korrelationen zwischen tätigkeitsbezogenen Merkmalen und Präsentismus-/Krankenstandsfrequenz....................................................................... 142 Tabelle 43: Bivariate Korrelationen zwischen tätigkeitsbezogenen Merkmalen und Präsentismusneigung .................................................................................................. 143 Tabelle 44: Bivariate Korrelation zwischen personenbezogenen Merkmalen und Präsentismus-/Krankenstandsfrequenz....................................................................... 147 Tabelle 45: Bivariate Korrelation zwischen personenbezogenen Merkmalen und Präsentismusneigung .................................................................................................. 148 Tabelle 46: Bivariate Korrelation zwischen organisationsbezogenen Merkmalen und Präsentismus - / Absentismushäufigkeit...................................................................... 150 Tabelle 47: Bivariate Korrelation zwischen organisationsbezogenen Merkmalen und Präsentismusneigung .................................................................................................. 151 Tabelle 48: Bivariate Korrelationen zwischen soziodemografischen Merkmalen und Präsentismus- / Absentismushäufigkeit....................................................................... 152 Tabelle 49: Bivariate Korrelationen zwischen soziodemografischen Merkmalen und Präsentismusneigung .................................................................................................. 153 Tabelle 50: Varianzanalyse Bildungsstand und Präsentismusneigung ....................... 154 210 9 Tabellenverzeichnis Tabelle 51: Bivariate Korrelationen zwischen arbeits- und organisationsstrukturellen Merkmalen und Präsentismus- / Absentismushäufigkeit ............................................. 155 Tabelle 52: Bivariate Korrelationen zwischen arbeits- und organisationsstrukturellen Merkmalen und Präsentismusneigung ........................................................................ 156 Tabelle 53: Bivariate Korrelationen zwischen Gesundheit / Symptome im Krankheitsfall und Präsentismus- / Absentismushäufigkeit................................................................ 158 Tabelle 54: Bivariate Korrelationen zwischen Gesundheit / Symptome im Krankheitsfall und Präsentismusneigung ........................................................................................... 158 Tabelle 55: Teilregressionsmodell soziodemografische Faktoren ............................... 161 Tabelle 56: Teilregressionsmodell tätigkeitsbezogene Determinanten........................ 163 Tabelle 57: Teilregressionsmodell Personale Determinanten ..................................... 165 Tabelle 58: Teilregressionsmodell organisationale Determinanten ............................. 167 Tabelle 59: Teilregressionsmodell strukturelle Merkmale ............................................ 168 Tabelle 60: Regression: Gesamtmodell ...................................................................... 169 Tabelle 61: Regression: Reduziertes Gesamtmodell .................................................. 172 Tabelle 62: Zusammenfassung Studienergebnisse "Präsentismus am Arbeitsplatz" .. 178 Tabelle 63: Arbeitsbezogene Zusammenhänge zur Vulnerabilität .............................. 189 Tabelle 64: Personenbezogene Zusammenhänge zur Vulnerabilität .......................... 190 Tabelle 65: Organisationsbezogene Zusammenhänge zur Vulnerabilität ................... 191 211 10 Fragebogen 10 Fragebogen 1. Waren Sie das gesamte letzte Jahr erwerbstätig? ja nein → wenn nein: Wie viele Monate waren Sie im vergangenen Jahr erwerbstätig? _______Monate 2. Ist Ihr derzeitiges Dienstverhältnis befristet? ja nein 3. Treffen eine oder mehrere der folgenden Arbeitszeitregelungen auf Sie zu? (Mehrfachnennungen möglich) Schichtarbeit Arbeit auf Abruf Turnusdienst Gleitzeitregelung keine dieser Regelungen 4. Wie viele Stunden pro Woche arbeiten Sie ungefähr im Durchschnitt (inklusive Mehrund Überstunden)? ca.______Stunden pro Woche 5. Wie viele Tage waren Sie ungefähr im letzten Jahr aus gesundheitlichen Gründen im Krankenstand? ca. ________ Tage 6. Wie viele Tage sind Sie ungefähr im letzten Jahr zur Arbeit gegangen, obwohl es Ihr Gesundheitszustand eigentlich gerechtfertigt hätte, Krankenstand zu nehmen? ca. ________ Tage 212 10 Fragebogen 7. Wie viele Tage gab es ungefähr im vergangenen Jahr, an denen Sie aufgrund von Krankheitssymptomen Urlaub bzw. Zeitausgleich genommen haben? ca. ________ Tage 8. Wenn Sie an die zuvor genannten Tage denken, an denen Sie im Krankenstand waren, oder trotz Beschwerden zur Arbeit gegangen sind: Um welche der folgenden Symptome hat es sich dabei gehandelt? (Sollte es bei Ihnen keine solchen Tage gegeben haben, bitte diese Frage überspringen) Nein Ja, leichte Beschwerden Ja, starke Beschwerden (z.B. Atemwegsbeschwerden, Gehörbeeinträchtigung, Heiserkeit…) Migräne / Kopfschmerzen (z.B. Blutdruckprobleme, Schwindel, Gefäßerkrankungen…) Augenbeschwerden Neurologische Beschwerden Erkältungssymptome (z.B. "Grippe", grippaler Infekt…) Magen-Darm-Beschwerden (z.B. Bauchschmerzen, Übelkeit, Gastritis…) Muskel- oder Skelett-Beschwerden (z.B. Rückenbeschwerden, Gelenksbeschwerden, Muskelzerrung…) HNO-Beschwerden Hauterkrankungen (z.B. Juckreiz, Ausschläge…) Herz-Kreislauf-Beschwerden (z.B. Nervenentzündung) Depressive Verstimmungen, "Burnout", Angstzustände Konzentrationsprobleme, Erschöpfung, Schlafstörungen Andere körperliche Beschwerden Andere psychische Beschwerden 213 10 Fragebogen 9. Wenn Sie den besten denkbaren Gesundheitszustand mit 10 Punkten bewerten und den schlechtesten mit 0 Punkten: Wie viele Punkte würden Sie für Ihren derzeitigen allgemeinen Gesundheitszustand vergeben? 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 10. Wenn Sie an Tage denken, an denen Sie trotz gesundheitlicher Beschwerden zur Arbeit gegangen sind: Inwiefern treffen dabei folgende Aussagen bei Ihnen zu oder nicht zu? (Wenn es bei Ihnen keine solchen Tage gegeben hat, bitte diese Frage überspringen.) Ich bin krank in die Arbeit gegangen, … … weil ich davor schon oft im Krankenstand war. … weil meine Kolleg/innen das auch häufig tun. … weil ein Krankenstand keinen guten Eindruck macht. … weil es Unannehmlichkeiten verursacht, wenn man in Krankenstand geht. … weil ich in der Freizeit keine Einschränkungen haben wollte. ... damit ich kein ärztliches Attest bringen musste. … damit meine Kolleg/innen nicht meine Arbeit übernehmen müssen. … weil ich ohnehin häufig in Pflegeurlaub bin. oft manchmal selten nie 11. Ab wann fordert Ihr/e Arbeitgeber/in eine ärztliche Bestätigung? ab dem ersten Krankheitstag nur bei längerer Krankheit ab dem zweiten Krankheitstag in der Regel muss ich keine ärztliche Bestätigung ab- ab dem dritten Krankheitstag geben weiß ich nicht 214 10 Fragebogen 12. Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie mit dem allgemeinen Betriebsklima in Ihrem Unternehmen? sehr zufrieden eher zufrieden eher unzufrieden sehr unzufrieden 13. Haben Sie das Gefühl, dass in dem Unternehmen, in dem Sie tätig sind, die Gesundheit der Mitarbeiter/innen ernst genommen wird? eher ja eher nein weiß ich nicht 14. Wird in dem Unternehmen, in dem Sie tätig sind, darauf geachtet, dass das Arbeitsund Privatleben in Einklang gebracht werden kann? eher ja eher nein weiß ich nicht 15. Inwieweit machen Sie sich Sorgen über einen möglichen Verlust ihres Arbeitsplatzes? gar keine Sorgen kaum Sorgen etwas Sorgen starke Sorgen 16. Wenn Sie ein paar Tage im Krankenstand sind: Hat das Auswirkungen auf Ihr Gehalt / Ihren Lohn? ja nein 17. Inwiefern treffen folgende Aussagen auf Sie zu oder nicht zu? In meiner Arbeit erhalte ich ausreichend Lob oder Zuspruch. Ich erhalte für meine Arbeit eine angemessene Entlohnung. Ich habe einen wirklich interessanten Beruf. Mein Beruf macht mir Spaß. Wenn ich könnte, würde ich gerne den Beruf wechseln. Mit meiner derzeitigen Arbeit bin ich ganz zufrieden. Ich langweile mich oft bei der Arbeit. trifft voll zu trifft eher zu trifft eher nicht zu trifft gar nicht zu 215 10 Fragebogen 18. Inwiefern trifft Folgendes auf Ihre Tätigkeit zu oder nicht zu? In meiner beruflichen Tätigkeit können nur wenige Personen meine Aufgaben übernehmen. Wenn ich ein paar Tage im Krankenstand bin, müssen andere meine Arbeit zusätzlich übernehmen. Außer mir wissen nur wenige Personen, wie meine Aufgaben zu erledigen sind. Bei wichtigen Entscheidungen kann mich schwer jemand anderer vertreten. Wenn ich ein paar Tage im Krankenstand bin, muss ich die Arbeit später wieder aufholen. trifft voll zu trifft eher zu trifft eher nicht zu trifft gar nicht zu 19. Wenn Sie sich unwohl fühlen oder einmal nicht ganz fit sind: Haben Sie dann die Möglichkeit, Ihre Arbeit an Ihre Leistungsfähigkeit anzupassen? oft manchmal selten nie 20. Wenn Sie sich gesundheitlich beeinträchtigt fühlen, können Sie bestimmte Tätigkeiten auf einen anderen Zeitpunkt verschieben? oft manchmal selten nie 21. Geben Sie bitte an, inwieweit folgende Aussagen auf Sie zutreffen oder nicht zutreffen: trifft voll trifft trifft trifft gar zu eher zu eher nicht zu nicht zu Es fällt mir schwer, Anderen einen Wunsch abzu schlagen. Eine berufliche Tätigkeit ist nur ein Mittel, um Geld zu verdienen. Ich würde auch dann gerne berufstätig sein, wenn ich das Geld nicht bräuchte. Arbeit finde ich grundsätzlich mühsam. Was man arbeitet ist nicht so wichtig im Leben. Ich mag Tätigkeiten mit schwierigen Aufgaben – das ist eine Herausforderung für mich. 216 10 Fragebogen 22. Welche der folgenden Arbeitsanforderungen treffen bei Ihnen zu oder nicht zu? trifft voll zu trifft eher zu trifft eher nicht zu trifft gar nicht zu Meine Tätigkeit ist körperlich belastend (z.B. Schweres heben oder tragen). Bei meiner Tätigkeit muss ich lange stehen. Bei meiner Tätigkeit bin ich Einflüssen wie z.B. Lärm, Hitze, Kälte ausgesetzt. Bei meiner Tätigkeit wird erwartet, dass ich konzentriert arbeite. Bei meiner Tätigkeit muss ich viel sprechen. Ich habe regelmäßig Kundenkontakt. Meine Tätigkeit erfordert, dass ich viel mit Kollegen/innen zusammen arbeite. Bei meiner Tätigkeit ist es erforderlich gute Laune und Freundlichkeit zu zeigen. Bei meiner Tätigkeit gefährde ich andere, wenn mir Fehler unterlaufen. Bei meiner Tätigkeit ist handwerkliche Geschicklichkeit gefragt. Bei meiner Tätigkeit habe ich hohe Verantwortung zu tragen. Während meiner Tätigkeit ist es nur schwer möglich, kurze Pausen einzulegen. Wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme, kann ich gut "abschalten". Bei meiner Tätigkeit stehe ich häufig unter Stress. 217 10 Fragebogen 23. Geben Sie bitte an, inwieweit Sie persönlich folgenden Aussagen zustimmen oder nicht: stimme voll zu stimme eher zu stimme eher nicht zu stimme gar nicht zu Jemand, der krank zur Arbeit geht, vernachlässigt seine Gesundheit. Jemand, der krank zur Arbeit geht, hat bessere Aufstiegschancen. Häufiger Krankenstand ist ein Zeichen für geringe Motivation. Jemand, der krank zur Arbeit geht, gefährdet andere. Es ist völlig akzeptabel, wenn man hin und wieder im Krankenstand ist. Menschen, die oft im Krankenstand sind, sind zumeist etwas "überempfindlich". Krankenstand sollte man nur dann nehmen, wenn es wirklich nicht mehr anders geht. Wenn man trotz Beschwerden in die Arbeit geht, zeigt das Leistungsbereitschaft. Es ist gerechtfertigt, sich hin und wieder einen Krankenstand zu "gönnen". Zum Abschluss noch einige Fragen zu Ihrer Person: 24. Sind Sie: männlich weiblich 25. Wie alt sind Sie? _______Jahre 26. Haben Sie Betreuungs- oder Aufsichtspflichten für andere Personen (z.B. Kinder oder ältere Personen)? ja nein 27. Wie lange arbeiten Sie bereits im derzeitigen Unternehmen? seit _________Jahren 218 10 Fragebogen 28. Wie zufrieden oder unzufrieden sind Sie mit Ihrer derzeitigen finanziellen Lage? sehr zufrieden eher zufrieden eher unzufrieden sehr unzufrieden 29. Was ist Ihr höchster Bildungsabschluss? Pflichtschule Berufsreife-/ Studienberechtigungsprüfung Lehre Höhere Schule mit Matura Höhere Schule ohne Matura / Meisterprü- Universität / Fachhochschule / Akademie fung 30. In welcher der folgenden Branchen ist das Unternehmen, in dem Sie arbeiten, vorwiegend tätig? (gegebenenfalls mehrere Kategorien auswählen) Chemie, Kunststoff, Erdöl, Gas Metall, Bergbau, Energie Bauwesen, Stein-, Holzverarbeitung Gesundheit, Pflege, Betreuungsdienstleistungen Handel Informationstechnologie / Telekommunikation Produktion von Nahrungs-/ Genussmittel Bildung Öffentlicher Dienst Güterbeförderung, Transporte Gastronomie, Herbergen, Reinigung Geld, Kredit, Versicherungen Papier, Druckerei, Verlag Sonstiges 31. Wie viele Mitarbeiter/innen sind in Ihrem Unternehmen (an Ihrem Standort) tätig? Bis 9 Mitarbeiter/innen 10 bis 49 Mitarbeiter/innen 50 bis 249 Mitarbeiter/innen 250 oder mehr Mitarbeiter/innen 32. Welche Tätigkeit üben Sie derzeit vorwiegend aus? Lehre / in Ausbildung Arbeiter/in, angelernte Tätigkeit / Hilfstätig- Vorarbeiter/in, Meister/in, Polier Angestellte/r oder Beamter/in, nicht leitende keit Facharbeiter/in Tätigkeit Angestellte/r oder Beamter/in, leitende Tätigkeit Sonstiges 219