Träne im Sand
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Träne im Sand
BEILAGE VOM 21. Januar 2006 NUMMER 3/06 D i e O S T T H Ü R I N G E R Z e i t u n g z u m Wo c h e n e n d e Selten − aber auch der Saab fuhr sich mal im Wüstensand fest: Am Atlantikstrand in der Nähe von Tel Alloul kurz vor der Erg-Überquerung befreien die Jenaer Abenteurer den Wagen. (Foto: Rallyeteam) Träne im Sand Der Jenaer Falk Hänsel berichtet von einer Rallye mit drei Freunden auf den Spuren von Paris − Dakar D ie Hängematte wiegt im Takt des Meeres − Entspannen pur nach den anstrengenden und erlebnisreichen Tagen. Nur noch ein paar Stunden, dann heißt es Abschied nehmen. Nach 280 000 Kilometern und 14 Jahren trenne ich mich schweren Herzens von meinem VW Scirocco. Doch die letzten 9737 Kilometer auf den Spuren der Rallye Paris-Dakar waren die spannendsten überhaupt. Wir, Reiner Keilig und ich, folgen heute unseren beiden Teamkollegen Hendrik Merkel und Thomas Mansfeld in die Heimat. Sie hatten einen Flug ein paar Tage eher erwischt − wir sahen dafür die großen Vorbilder, die Fahrer der Rallye Dakar, durchs Etappenziel rollen. Aber auch unsere Wohltätigkeitsrallye von Plymouth nach Banjul hatte es in sich. Was war das doch für eine Tour, quer durch die Wüste. Diese begann in Mauretanien: Wir entscheiden uns gegen einen Führer und schließen uns mit zwei britischen Teams zusammen, um die 500 Kilometer lange Wüstenetappe zu bewältigen. Wir brauchen Essen für mindestens vier Tage, Kraftstoff für rund 1000 Kilometer auf Asphalt, weil die Autos auf den Pisten und Sandfeldern viel mehr schlucken. Rund 35 Liter Trinkwasser pro Fahrzeug gehören zum Gepäck. Auf dem Weg in die Wüste haben wir viele Straßenkontrollen zu passieren − überall wird freundlich, aber bestimmt nach Geschenken gefragt. Wir fahren parallel zur Erzeisenbahnlinie auf der kürzlich asphaltierten Piste gen Osten. So seltsam es klingt, aber zunächst war es schwierig, den Eingang in die Wüste zu finden. Den Abzweig in den Nationalpark haben die Einheimischen wohl zugeschoben. Also biegen wir einfach ab und verlassen uns aufs Satellitennavigationssystem. Das ist auch gleich der erste Test für unsere Autos: Luft aus den Reifen, vorausschauende Fahrweise und bloß nicht an einer Weichsandstelle stehen bleiben. Hinter einer Düne steht plötzlich ein Einheimischer mit Frau und Kind − er steckt mit seinem Allrad-Pickup fest. Wir helfen ihm. Er zeigt uns dafür den Weg. Schließlich stammen die aktuellsten verfügbaren Karten von 1969. Irgendwann erreichen wir eine Piste. Mit 60 bis 80 Sachen düsen wir über die Ebene − ein irres Gefühl. Wir erreichen das letzte Nachtlager, zumindest für 2005. Bei einem großen Lagerfeuer feiern wir gleich zweimal Neujahr. Einmal deutscher Zeit und einmal britischer Zeit. Vorbei an hunderten Flamingos und Pelikanen führt uns die Fahrt am Neujahrsmorgen. Nach zwei Stunden Graben, Schaufeln und Ziehen brechen wir den ersten Versuch der Erg-Querung ab. Im Fischerdorf Tel Alloul fragen wir nach dem Weg und bekommen zur Antwort, dass wir es mit unseren Wagen sowieso nicht zu versuchen brauchen. Dennoch probieren wir es. Der Erg-Einstieg liegt nur drei Kilometer hinter dem Ort. Wir ziehen alle Autos mit dem Rangerover auf das Hochplateau. Das ist noch eine kräftige Herausforderung zum Abend, aber zum Sonnenuntergang sind endlich alle oben. Inzwischen sind wir elf Personen ein eingespieltes Team. Am nächsten Tag erwarten uns weitere Weichsandfelder. Schaufeln, Schieben, Ziehen − einige Vollgasorgien und Winden-Einsätze später haben wir festeren Untergrund unter den Rädern und rollen Richtung Nouamghar. Auf der Wellblechpiste treffen wir andere Teilnehmer, die gerade am Auto und Anhänger basteln. Der Führer dieser Gruppe ist der selbe, der uns bereits an der mauretanischen Grenze fragte, ob wir keinen Führer hätten. Er will nicht glauben, dass wir allein die Route durch den Sand gefunden haben. Die Asphaltstraße in Richtung senegalesische Grenze ist so löchrig, dass Thomas mit dem Saab einige Vollbremsungen hinlegt, um nicht das Fahrwerk an den bis zu 30 Zentimeter tiefen Löchern zu ruinieren. Am Grenzübergang heißt es warten. Abgefertigt wird erst, wenn alle da Die Fahrt über den Gambiariver mit einer Fähre kostet die Teams, hier Falk Hänsel und Reiner Keilig, Zeit und Nerven. Typische Beladung eines LKW in Südmarokko nahe Dahkla − hoffentlich fällt nichts auf den Scirocco. Mister Dawda vom Lehrkrankenhaus Banjul freut sich über das Mikroskop, das Carl Zeiss Jena als Spende mitgab. sind! Also Kocher und Stühle ausgepackt und Mittag gekocht. Der Leiter der Grenzstation spricht Russisch und ist hoch erfreut, dass er mit Hendrik ein Weilchen plaudern kann. Die Ausreise kostet 30 Euro pro Auto, die Brückenpassage noch mal 10 Euro. Drüben angekommen, geht die Abzockerei weiter: 10 Euro pro Person, 30 Euro Versicherung und 50 Euro Zolleskorte für Senegal. 140 Euro für jedes Team, rund 7000 Euro lassen die Rallye-Teilnehmer ohne Quittung hier. Weiteres Ärgernis: Die Idee mit Saab, Scirocco und Toyota von der Zebrabar nach Dakar zu fahren, zerschlägt sich. Die Autos bleiben in Quarantäne, keine Chance mit ihnen das Camp zu verlassen. Während wir den Scirocco reparieren, startet Hendrik mit den Chemnitzern per Taxi nach Dakar. Später berichtet er uns von einer lebhaften, bunten Stadt, die Kolonialstil und Moderne verbindet. Die letzte Etappe der offiziellen Rallye wird chaotisch. Eine klare Ansage zur Startzeit fehlt. Wir kommen extrem langsam voran, allein das Tanken dauert zwei Stunden. Der Konvoi ist einfach zu groß. Gegen Mitternacht brechen wir ab. Am nächsten Tag gegen 18 Uhr haben wir den Kampf an der Grenze und an der Fähre über den Gambiariver überstanden und rollen in den Parkplatz des Safari Garden Hotel, dem offiziellen Ziel der Tour. „Falk, komm’ wir müssen packen“, brüllt Reiner. Ich erschrecke. War ich wirklich eingeschlafen? Mensch, wir müssen doch noch den Scirocco ausladen und unser Material in den Rucksäcken verstauen. Reiner erzählt mir von einer Nachricht, die er von Hendrik und Thomas bekommen hat. Beide brachten das Zeiss-Mikroskop in ein Krankenhaus, während wir uns zur Verlängerung der Tour aufmachten. „Soll ziemlich chaotisch gewesen sein, überhaupt einen Termin zu bekommen“, erzählt mein Begleiter. Das Gerät, das uns die Carl Zeiss Jena GmbH als Spende mit auf den Weg gab, arbeitet künftig in einem Labor des örtlichen Lehrkrankenhauses. Die Mitarbeiter freuten sich riesig über das Geschenk. Die technische Ausstattung ist eigentlich gar nicht so schlecht. Allerdings fehlt es an kleinen Ersatzteilen wie beispielsweise Lämpchen, um alles in Gang zu setzen. Wenn wir das früher gewusst hätten. Nach dem Rückflug von Hendrik und Thomas nutzten wir die verbliebene Zeit, seltene Tiere rund um den Kiang West Nationalpark anzuschauen. Außerdem besuchten wir die Rallye Dakar, was mit List glückte: Am Eingang des Flughafens werden wir zurückgeschickt. Wir stellen den Gelände-Scirocco ab und laufen zum Fahrerlager. Zwar tragen wir keine orangefarbenen oder neongrünen Armbändchen, doch ordentliche bedruckte T-Shirts und ein bestimmtes Auftreten überzeugen das Militärpersonal. Als erster Fahrer kommt Luc Alphand, gefolgt von drei VW Touareg. Eine halbe Stunde später erreichen die Motorräder das Ziel. Die Kisten bekommen ’nen Service, die Motorradfahrer Druckluft zur ersten Reinigung, damit sie bei den Interviews perfekt aussehen. Der Abend bricht langsam herein, die Temperaturen sinken unter 40 Grad. Der Scirocco ist übersäht mit tausenden Finger- und Nasenspuren − die Fahrt bei Dunkelheit wird so beinahe unmöglich. Am nächsten Morgen an der Rallyestrecke hält Dirk von Zitzewitz mit der 309 extra für ein Foto an. Die Rückfahrt gen Banjul wird noch einmal nervig. Überall wollen die Posten Schmiergeld, T-Shirts oder Warnwesten abstauben. Selbst Jugendliche beschimpfen uns, ob wir nichts für Gambia übrig hätten, als wir nichts geben. Inzwischen rollen wir zum Hotel Safari Garden. Verschiedenen Kaufangeboten zum Trotz bringen wir meinen Wagen zur Auktion. Am 21. und 26. Januar kommen die Fahrzeuge der Tourteilnehmer unter den Hammer − für einen guten Zweck. Als ich den Schlüssel abgebe, wird mir mulmig. Was hab’ ich nicht alles erlebt mit dem Scirocco. Im Stich gelassen hat uns der Wagen trotz einiger Reparaturen nicht. Das verbindet. Aber es gibt kein Zurück. In vier Stunden startet unser Flieger in Richtung Heimat. In wenigen Stunden werden wir die Strecke überfliegen, für die wir Wochen brauchten. Ein letzter Blick. Eine Träne rollt mir über die Wange − die längste Abschiedstour meines Lebens ist zu Ende. Notiert von Tino Zippel