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Werner Dieball
Prewest Verlag
Gerhard Schröder
Körpersprache
209
Wahrheit oder Lüge?
Sind die Unterschiede des äußeren Erscheinungsbilds zwischen den Interaktionspartnern zu groß, kann dies Spannungen
erzeugen und die Kommunikation erschweren.
Zwischenfazit der körpersprachlichen Alphabetisierung
Die aufgezeigten körpersprachlichen Elemente tragen
wesentlich zum Image der Menschen bei. Das gilt besonders für
das Image eines Politikers wie Bundeskanzler Gerhard Schröder. Um seine körpersprachliche Entwicklung und seine Imageveränderungen nachvollziehen zu können, sind die vorgestellten theoretischen Grundlagen von großer Bedeutung.
Sensibilisiert für die Palette nonverbaler Merkmale, können
wir jetzt darauf achten, wie Schröder beispielsweise einen Saal
betritt oder zu einem Rednerpult geht. Neben Gang spielen der
Gesichtsausdruck, der Blickkontakt, die Kopfhaltung, die Art seines Lachens, die Gestik ebenso wie der Klang der Stimme eine
aussagekräftige Rolle.Auch die Wahl der Kleidung ist ein bedeutender Faktor für die Imagebildung. Das äußere Erscheinungsbild, wozu Frisur, Brillengestell und Schmuck gehören, gibt Aufschluss über ein konservatives oder modisches Image. Dem
Betrachter und potentiellen Wählern fällt es auf, ob die Farben
der Krawatte im Trend liegen, ob Manschettenknöpfe getragen
werden oder ob ein Taschentuch in der linken oberen Sakkotasche zu sehen ist. All diese scheinbaren Kleinigkeiten formen
ein Image, das sich in den Köpfen der Menschen festsetzt.
Da die Medien bei der Imagebildung eines Politikers einen
hohen Stellenwert besetzen, werden wir nun am Beispiel der
Symbolischen Politik die Inszenierung und Personalisierung in
der Politik aufzeigen.
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Die Medien und ihr Einfluss auf die
Körpersprache in der Politik
Für viele Menschen spielt sich Politik im Kopf als eine Flut
von Bildern ab, mit denen Zeitungen, Illustrierte, Fernsehen und
politische Diskussionen sie überschütten. Diese Bilder, meint
M. Edelmann, schaffen ein bewegtes Panoptikum aus einer Welt,
zu der die Massen praktisch niemals Zutritt haben, die sie aber
schmähen oder bejubeln dürfen.
Zur Analyse dieser nonverbalen Kommunikation eignen sich
ganz besonders Fernsehdebatten. Denn anders als bei vorbereiteten Reden wie im Bundestag oder auf Parteitagen werden
Politiker in Fernsehdiskussionen häufiger mit unvorhergesehenen Fragen oder Argumenten konfrontiert. Aus solchen unvorbereiteten Situationen heraus agieren oder reagieren die
Diskussionsteilnehmer oft mit spontanen Gesten oder sie weisen ein unverfälschtes Mienenspiel auf. In diesen Fernsehbeiträgen besteht für die Zuschauer die Möglichkeit, genauere
Schlüsse vermittels der Körpersprache zu ziehen als bei einstudierten Redebeiträgen. Den Stressmomenten bei hitzigen Fernsehdebatten können auch mediengerecht geschulte Politiker
schwer entkommen, da in Stresssituationen körpersprachlich
jeder so handelt, wie er persönlich ist. Die bildhafte Darstellung
des Fernsehens eignet sich daher hervorragend, um viele Informationen über die Person, ihre Gefühle, ihre innere Haltung
und ihre Lebenserfahrung zu erhalten.
Bei den Fernsehdiskussionen geht es in erster Linie um die
Zielgruppe der Wähler, die erst während des Wahlkampfes eine
Entscheidung fällen und deren Stimmen oft ausschlaggebend
sind. Mit zunehmender Vermischung der Parteiprogramme und
Unübersichtlichkeit der Parteiziele und der ideologischen
Standpunkte hat sich die Anzahl der unentschlossenen Wähler
erhöht. Außerdem ist eine Lockerung der emotionalen Bindungen beträchtlicher Teile der Wähler an ihre Parteien festzustel55
fach „berieseln“ zu lassen, da sie nicht gezwungen werden,Wörter zu verstehen und richtig zu deuten.
Das Fernsehen stellt das Hauptinstrument für symbolische
Politik dar.
Symbolische Politik am Beispiel von „Brandts Kniefall“
Eine der Definitionen für symbolische Politik in der Mediendemokratie lautet: Symbolische Politik ist strategisches Handeln
zu politischen Zwecken; die Reinform symbolischer Politik ist
die symbolische Aktion. Das „Victory-Zeichen“ von Winston
Churchill im Zweiten Weltkrieg, Adenauer betritt den Teppich
auf dem Petersberg, Chruschtschow hämmert seinen Schuh auf
den Tisch oder Mitterand und Kohl Hand in Hand in Verdun sind
Beispiele für symbolische Politik. Die Handwaschung des Pilatus in Unschuld oder der Canossagang Heinrichs IV sind historische Beispiele.
Als Paradebeispiel für eine spontane emotionale Reaktion gilt
der Kniefall von Willy Brandt an der Gedenkstätte des Warschauer Ghettos im Jahre 1970. Der damalige Bundeskanzler
kommentierte: „Im Abgrund der deutschen Geschichte und
unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen
tun, wenn die Sprache versagt.“ Der Politikwissenschaftler
Walther Keim analysiert: „Diese Geste ist als formale Unterordnung und Demutshandlung gegenüber den Opfern zu interpretieren. Die versteifte und kerzengerade Körperhaltung demonstriert Würde, Kraft und geballte Energie.“ Der Kniefall des
Staatsmannes, der im Zweiten Weltkrieg selber ein Verfolgter
gewesen war. Eine Handlung als Symbol, „die einen Diskurs zu
einem anschaulichen Bild verdichtet, der so komplex und eindeutig zugleich kaum zu führen wäre“ (Th. Meyer). Diese Geste
ist symbolische Politik von oben und unten zugleich. Der Bundeskanzler hat seine Position genutzt, um mit einer Geste von
unten Nachdenklichkeit auf beiden Seiten freizusetzen. Die
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symbolische Aktion brachte Willy Brandt weltweite Anerkennung, weil sie authentisch beim Betrachter ankam. Wenn ein
Mensch kniefällig wird, zeigt er, dass er einen Augenblick nicht
durchstehen will oder kann. Brandt führte denen, die Schuld
trugen, und den Opfern gleichermaßen vor, welche Haltung
angesichts des Abgrunds allein angemessen wäre.
Es ist weiterhin kritisch zu verfolgen, auf welche Art und Weise symbolische Politik den Bürgern serviert wird. Einerseits
kann sie überwiegend für Unterhaltungsinteressen und eine
bewusst gefühlsbetonte, unpolitische Imagepflege eingesetzt
werden. Andererseits besteht durch symbolische Politik die
Möglichkeit der Informationsvermittlung und Problemorientierung.
Da die Menschen die politische Realität größtenteils symbolisch gesendet aufnehmen, sei es über Bilder, Sprache oder auch
über Gestik, ist die Einbeziehung der privaten Sphäre des darzustellenden Politikers ein effektives Instrument im Kampf um
Ansehen und Wählerstimmen. Der amtierende Bundeskanzler
Gerhard Schröder hat in seinem bisherigen Leben als Politiker
und Privatmann schon zahlreiche Rollen gespielt und diese
symbolisch instrumentalisiert.
Schröders „Privates Glück“ als politisches Stilmittel
Auf die Verknüpfung von Privatleben und Politik in der Öffentlichkeit, ausgedrückt durch die Medien, war und ist Gerhard
Schröder in vielen Fällen bedacht. Er posierte als Familienvater,
Freizeitsportler und Diskutant mit der Jugend, damit die Distanz
zu den Menschen auf der Straße, zum Volk verringert wird. Als
amtierender Bundeskanzler zeigte er sich im Mai und Juni 2001
über das ganze Gesicht strahlend in den Printmedien mit seinen
drei Cousinen aus dem Osten. „Keine Frage, das Private hat in
der Politik einen hohen symbolischen Identifikationswert“ (Der
Spiegel). Schwartzenberg bezeichnet dies als Familien-Strategie.
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Die politisch gesehen ungünstigen Aufstiegschancen als
Oppositionspolitiker in Bonn nahm er zum Anlass, sich noch im
selben Jahr als Nachfolger Ravens um das Amt des SPD-Spitzenkandidaten von Niedersachsen zu bewerben. Schröder wurde
aber nicht wie in der SPD sonst üblich für den Posten vorgeschlagen, sondern er brachte sich selbst durch ein Zeitungsinterview ins Gespräch. Diese forsche Vorgehensweise nach dem
Motto: „Allein gegen die Parteispitze“ sorgte bei den brüskierten führenden Parteigenossen für Handlungsbedarf. So musste
sich Schröder sowohl mit dem Landtagsvizepräsidenten Helmuth Bosse als auch mit der ehemaligen Bundesministerin für
Jugend, Gesundheit und Familie Anke Fuchs auseinandersetzen.
Trotz der innerparteilichen Konkurrenzkämpfe wurde Schröder, als Vorsitzender des SPD-Bezirks Hannover, am 7. 7. 1984
offiziell zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl 1986
ernannt.
In Graws Schröder-Biographie wird dieses Ereignis so kommentiert: „Durch seine Wahl wird er omnipräsent.“ Doch trotz
erheblicher Stimmengewinne der SPD unterlag Schröder 1986
dem amtierenden CDU-Ministerpräsidenten Ernst Albrecht.
Schröder machte für die Wahlniederlage seine Unschlüssigkeit
in der Koalitionsfrage mit den Grünen verantwortlich.
Im Bundestagswahlkampf 1986 leistete sich Schröder gegen
den SPD-Spitzenkandidaten Johannes Rau einen verbalen Fauxpas. In einem missverständlichen Zeitungsinterview räumte er
Rau im Wahlkampf gegen Kohl keine Chance ein und kündigte
voraussehend Oskar Lafontaine als kommenden Mann in der
SPD an. Diese Äußerung führte zu lang anhaltenden Spannungen zwischen Rau und Schröder.Trotz der Rückschläge und Kritik verbuchte Schröder 1986 parteipolitische Erfolge. Er wurde
zum neuen Fraktionsvorsitzenden von Niedersachsen und in
den Parteivorstand gewählt.
Kölner Parteitag 1983
Nach dem konstruktiven Misstrauensvotum gegen Helmut
Schmidt, das am 1. 10. 1982 zur Wahl Helmut Kohls zum Bundeskanzler einer konservativ- liberalen Koalition führte, und
nach der Niederlage des Kanzlerkandidaten Hans-Jochen Vogel
bei den Bundestagswahlen vom 6. 3. 1983 waren die folgenden
Jahre der SPD durch eine generelle Neuorientierung gekennzeichnet. So bestimmte von nun an der linke Parteiflügel die
Geschicke der SPD, was auf dem Kölner Parteitag im November
1983 durch die Beschlüsse bestätigt wurde. In Köln wurde die
Nachrüstung und Stationierung von Mittelstreckenraketen abgelehnt. Mit diesem Beschluss distanzierte sich die SPD von der
eigenen Regierungstätigkeit der siebziger Jahre. Außerdem
debattierte man intern über Friedenspolitik, Strategien zur
Sicherheitspolitik und Umweltschutz.
➠ Abb. 13
84
Bundestagswahl 1980
85
Reportagen: Der Herausforderer; Die Kampagne des
Gerhard Schröder; Der Kandidat; Vom Kandidaten zum
Kanzler (I. Teil)
Der Dokumentarist Thomas Schadt begleitet in dem Filmbericht „Der Kandidat“ über ein halbes Jahr lang den Kanzlerkandidaten der SPD, Gerhard Schröder, während des Bundestagswahlkampfes bis hin zur Wahlnacht. Der Film dokumentiert den
hektischen Alltag des Wahlkampfes: Arbeitsabläufe, Wahlauftritte, Besprechungen, Dienstfahrten. Er blickt hinter die
Kulissen und zeigt auch scheinbar Nebensächliches, das in der
aktuellen politischen Berichterstattung keinen Platz findet.
Schröders nonverbale Kommunikation kommt in dieser und
auch in den anderen Reportagen vielfältig und prägnant zum
Ausdruck. Die in den Dokumentationen zusammengeschnittenen Momentaufnahmen betrachten wir auch weiterhin unter
den fünf vorgegebenen körpersprachlichen Komponenten.
HALTUNG UND MOTORIK
Bei seinen Wahlkampfreden läuft Schröders motorisches Programm meist ähnlich ab, wie die folgende körpersprachliche
Zirkulation beschreibt: Zu Beginn der Reden ist sein Oberkörper noch statisch, und nach einigen Sätzen setzt er ihn zur
Begleitung der Worte mit ein, indem er sich bei gleichzeitiger
Steigerung seiner Stimme über das Rednerpult nach vorne
beugt (Abb. 21). Möchte er seinen Forderungen mehr Nachdruck verleihen, geht er in die Knie und federt sich selbst ab.
Manchmal haben seine relativ kurzen Beine Schwierigkeiten,
den im Vergleich dazu großen und breiten Oberkörper zu halten. Die Folge der Unproportionalität ist, dass die Beine nachgeben können, wenn er gewichtige Argumente präsentiert. Dabei
schiebt sich sein Becken nach hinten, der Oberkörper biegt
sich nach vorn, als wollte er sich gleich verbeugen.
Abb. 21
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Schröder SPD-Kanzlerkandidat, Bundestagsdebatte zur Euro-Währung 23. 4. 1998. –
„Drehender Schnabel“
➠
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verhandlungen (Abb. 30) mit Bündnis 90/Die Grünen, in deren
Zentrum die Auseinandersetzungen um die Atompolitik und die
Ökosteuer standen.
Nachdem am 11. 3. 1999 Bundesfinanzminister und SPD-Parteivorsitzender Lafontaine auch von allen Parteiämtern zurücktrat, wurde Schröder am 12. 4. 1999 zum Parteivorsitzenden der
SPD gewählt. Mit knapp 76% der Stimmen erzielte er das
schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte.
Bei seiner ersten Auslandsrede als Bundeskanzler in Birmingham tänzelt Schröder auf seinen Füßen hin und her. Seine Oberkörperhaltung divergiert von seiner sonst üblichen statischen
Haltung und ist lockerer. Er greift sich während der Rede mit
dem Zeigefinger an die Nase und gestikuliert überwiegend mit
der rechten Hand. Dies offenbart, dass seine Emotionen von der
Ratio beherrscht werden.
GESTIK
Reportagen: Die ersten 100 Tage; Der Kanzler der
neuen Mitte; Vom Kandidaten zum Kanzler (II. Teil)
Anhand dreier Reportagen betrachten wir die ersten Monate
der neuen Regierung Schröder. Es heißt bekanntlich, in den
ersten 100 Tagen werden die Weichen für die zukünftige Politik
gestellt.
HALTUNG UND MOTORIK
In einem Interview mit Dieter Schröder, dem Herausgeber
der „Berliner Zeitung“, sitzt Gerhard Schröder ruhig zurückgelehnt in einem Stuhl. Während sein Oberkörper statisch wirkt,
begleitet er seine Worte durch seine Kopfhaltung intensiv. Beim
Zuhören nickt er zustimmend und hält den Kopf manchmal
schräg. Während des Sprechens schiebt er den Kopf nach vorne, zieht die Augenbrauen hoch und legt die Stirn in Falten.Als
er sagt: „Ich will Erfolg und denke deshalb nicht über ein Scheitern der Koalition nach.“, zieht er gleichzeitig die linke Fußspitze nach oben, um solch unangenehme Gedanken und Fragen
„abzubremsen“.Auch als er auf die großen Schwierigkeiten der
ehemaligen SPD-Bundeskanzler Willy Brandt (Guillaume-Affaire) und Helmut Schmidt (Nachrüstungsbeschluss und Haushaltspolitik) angesprochen wird, hebt er die Fußspitze an und
blickt parallel hilfesuchend nach oben.
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Als Schröder am 27. 10. 1998 von den Abgeordneten des Bundestages zum Bundeskanzler gewählt wird, wirkt er trotz der
eindeutigen Rot-Grün-Mehrheit angespannt. Seine Nervosität
macht sich im Vokabular der Körpersprache bemerkbar: Sein
unsteter Blick schweift durch den Saal, er schaut zwei Mal hinauf zur Gästetribüne des Bundestages, dorthin, wo seine Ehefrau Doris Platz genommen hat.
Im Vergleich zu den vorbeschriebenen Szenen ist die Haltung
seines Torsos verändert. So belegt er seine Sitzfläche nur teilweise mit leicht gebückter Oberkörperhaltung. Dies ist ein
Indiz für fehlendes Vertrauen und ein Gefühl der Bedrohung.
Seine linke Gefühls-Hand liegt über seiner rechten Ratio-Hand
und bedeckt symbolisch den Verstand. Mit dem linken Daumen
streicht er nervös über das rechte Handgelenk. In dieser Situation ist Schröder eindeutig von Emotionen bestimmt. Nachdem
das für ihn positive Ergebnis verkündet wird und er die Wahl
zum Bundeskanzler angenommen hat, löst er seine Anspannung
auf, indem er sich erst an sein Sakko und dann hilfesuchend an
die Nase greift.
Als Kohl ihm im Bundestag gratuliert, reichen sich die Kontrahenten die Hände, und Schröder „ankert“ an Kohls Unterarm, d. h., er verschafft sich die Geste eingeübter Vertrautheit.
Bei der Übergabe des Kanzleramts halten sowohl Kohl als auch
Schröder eine kurze Rede. Schröder hört Kohl mit strahlendem
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Gesicht zu und bedankt sich erneut mit einem „Ankern“ an
Kohls Unterarm. Im Anschluss daran richtet er einige Worte an
Kohl: „Ich will mich bei Ihnen, Herr Kohl, bedanken.“ Er leckt
sich dabei genussvoll über die Oberlippe, um den offiziell
bestätigten Wahlsieg symbolisch nachzuschmecken und auszukosten. Nach seiner Rede berührt er erneut seine Nase, auf die
sich seine Verlegenheit überträgt. Kurz vor der ersten Kabinettssitzung begrüßt er seinen Stellvertreter und künftigen
Außenminister Josef „Joschka“ Fischer per Handschlag und
„ankert“ auch an dessen Arm.
Nach der erfolgten Wahl zum Bundeskanzler wird gezeigt,
wie Schröder von Genossen und politischen Gegnern per Händedruck beglückwünscht wird. Schröder gibt energisch, selbstbewusst seine rechte Hand. „Er gibt gern die Hand, hat eine
kraftvolle Hand. Er drückt zu.“ Er nimmt mit der rechten Hand
die Glückwünsche entgegen und berührt mit seiner linken
Hand die Gratulanten am Oberarm.Auch als er von Bundespräsident Roman Herzog die Ernennungsurkunde zum Bundeskanzler erhält, „ankert“ er bei ihm durch eine kurze Berührung
am Oberarm. Diese Art von Händedruck gehört zu Schröders
neuem nonverbalen Standard-Repertoire. Mit festem Augenkontakt und starkem Händedruck vollzieht er diese Manipulationsbewegung. Er schränkt damit die Bewegungsfreiheit seines
Gegenübers ein und kann so mit seiner linken Hand den Weg
bestimmen. Das Ankern deutet seine Gefühlsoffenheit an, aber
zugleich möchte er die Reaktionen des anderen lenken.
Bei dem Interview mit der „Berliner Zeitung“ ist seine Gestik
sehr sparsam.Als er über eine Antwort etwas länger nachdenkt,
fasst er sich mit der Hand an sein Kinn.Ansonsten hält er seine
Hände im Schoß. Dabei streckt er die Finger der rechten und
linken Hand so weit aus, dass die Fingerkuppen der beiden Hände sich in Pyramidenform berühren. Durch diese Suche nach
Berührungspunkten wägt er gedanklich verschiedene Argumente ab und signalisiert dem Gesprächspartner die Bereitschaft zur Übereinstimmung.
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MIMIK
Zwischen einzelnen Passagen ist zu beobachten, wie Schröder seinen Worten nachschmeckt und genüsslich die Zunge
über die Oberlippe gleiten lässt. In dem Interview entsteht der
Eindruck, er habe ständig ein leichtes Schmunzeln auf den Lippen. Doch dies ist eine Täuschung, die durch die Schiefheit seines Mundes hervorgerufen wird.
Als Schröder der Presse den zukünftigen Wirtschaftsminister
Werner Müller vorstellt, lacht er in die Kameras und ist sichtlich
erleichtert, einen Ersatzmann für den zurückgetretenen Jost
Stollmann gefunden zu haben.
KLANG DER STIMME
Während des Interviews mit der „Berliner Zeitung“ wirkt
Schröders Stimme noch ruhiger und gelassener als sonst. Durch
die Ausgeglichenheit der Stimme demonstriert er, dass er mit
der Regierungsverantwortung souverän umgehen will.
ÄUSSERES ERSCHEINUNGSBILD
Bei der Wahl zum Bundeskanzler ist Schröder in einen dunklen Anzug mit Krawatte und ein helles Hemd mit Manschettenknöpfen gekleidet. Außerdem ist das schwarze Armband seiner Uhr zu sehen.
In dem Interview trägt er einen dunklen Anzug, ein weißes
Hemd und eine helle modische Krawatte. Seine Augen wirken
nicht mehr so hellblau wie in der Vergangenheit. Ein möglicher
Grund dafür könnte sein, dass er auf den Lidstrich verzichtet
hat. Die Augenbrauen sind nun in demselben dunkelbraunen
Farbton der Haare. Er trägt wie schon 1978 als Juso-Vorsitzen157
der einen Ehering am Ringfinger, dem Gefühlsfinger. „Die Konvention hat hier ihren Ursprung“ (Molcho).
FAZIT
Die politischen Ereignisse des ersten Regierungsjahres wie
der Rücktritt des Finanzministers Lafontaine im März, der Kosovo-Krieg, massive Politik-Vermittlungsdefizite in den Unterbezirken und Kreisverbänden, das Schröder-Blair-Papier in Verbindung mit dem miserablen Ergebnis der Europawahlen (die SPD
erhielt mit 30,7% der Stimmen das schlechteste Ergebnis seit
1979), die Verknüpfung des Sparpakets mit der Rücknahme der
Rentenversprechen wirkten sich auf die nonverbale Kommunikation des Bundeskanzlers aus. Hinzu kam, dass der einstige
Medienliebling Schröder durch die Personalisierung und ständige Medienpräsenz zeitweilig drohte, deren Opfer zu werden.
Der Wahlkampfmanager Peter Radunski erkannte bereits 1980,
dass überspitzte Personalisierung in Wahlkampagnen leicht zur
Etikettierung der Politiker führen kann. Die ständige Medienpräsenz eines Politikers könnte zur Folge haben, dass er als leerer Stereotyp, fast als Karikatur, vor dem Wähler auftaucht. Als
Paradebeispiel kann Schröders Situation 1999 herangeführt
werden. Zu diesem Zeitpunkt stand er als „junger“ Bundeskanzler in der Kritik. In TV- und Printmedien erschienen zahlreiche Beiträge, die seine häufigen Medienauftritte ironisierten.
Der einstige Medienstar Schröder lief in dieser Zeit Gefahr, zu
einem „Medienkasper“ zu verkommen. Tyll Schönemann
beschreibt die Situation: „Zigarre, Rotwein und Brioni verfestigten das Image des Luftikus, der nicht mehr zur Bewältigung beizutragen hat als gute Laune.“
Die Schröder-Biographin Krause-Burger fasst Schröders Situation treffend zusammen: „Spätestens als deutsche Soldaten in
Kampfhandlungen geschickt wurden, fiel das Lebemännische
von ihm ab, begann er sich zu verändern. Während der ersten
schweren Monate, als er völlig unerwartet aus dem Himmel der
politischen Lieblinge des Landes in den Hades der Unpopularität abstürzte, sah man den sonst so lockeren und lebensfrohen
Schelm Schröder nur noch marionettenhaft auf den Bühnen der
Politik. Plötzlich fehlte ihm die Leichtigkeit, die Souveränität.
Schröder schaute in den Abgrund und erst mit der CDU-Spendenaffäre, dem Sparpaket von Finanzminister Hans Eichel, dem
sogenannten Zukunftsprogramm und der Rettung des Holzmann-Konzerns folgte die Wende. Er redet in einer ernsthafteren Sprache, verzichtet auf populistische Sprüche.“ Auch Keim
konstatiert, dass Schröder sich nach acht Monaten im Amt insbesondere in Mimik und Haltung verändert habe. Seine Körpersprache offenbare häufig: „Ich muss mich gegen den Willen anderer behaupten.“
Im Gegensatz zu dem grellen, lauten und telegenen „Krönungsparteitag“ im April 1998 in Leipzig, warten in Berlin eher
Skeptiker als Jubler auf ihn, schreibt Der Spiegel im Dezember
1999.
Berliner Parteitag 1999
Auf dem Berliner Parteitag 1999 hält Bundeskanzler Gerhard
Schröder eine Laudatio auf die SPD-Historie und zieht ein Resümee des ersten Regierungsjahres.
HALTUNG UND MOTORIK
Die Medienkritik in dem Zusammenhang mit den politischen
Vorkommnissen übertrug sich auf sein „körpersprachliches
Management“ und führte zu einer Zäsur in Sachen Selbstdarstellung.
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Schröder ist während seiner Lobrede auf die Geschichte der
Sozialdemokratie bemüht, eine situativ angemessene, würdevolle Haltung einzunehmen. Er stützt sich mit beiden Armen aus159
178
– präsentiert sich als
würdevoller Staatsmann
– situativ angepasste
Körpersprache
Fazit
– Wort, Stimme und
Körpersprache
asynchron
– zeigt sich als
Medienprofi
– distinguierter Stil
– Brille
– geschminkt
– Kerbe, senkrechte Falte
– Frisur ungepflegt
– konventioneller Stil
– geschminkt
– Kerbe ausgeprägt
Äußeres
Erscheinungsbild
– Frisur ungepflegt
– nonchalant
– keine Krawatte
– leichte Kerbe
– italienische Anzüge
– Cohiba-Zigarre
– geschminkt
– Kerbe voll ausgeprägt
– klare Artikulation
– gravitätisch
– emotionslos
– energisch
– sonor
Klang der Stimme
– gleichbleibend laut
– leichtes Lispeln
– Modulation
– jovial
– Lecken, Schmecken
– Lecken, Schmecken
– ernster
– ständiger Blickkontakt
– freundlicher
– ständiger Blickkontakt
– häufiges Lächeln
– Lecken, Schmecken
– permanentes Lächeln
– aktives Mienenspiel
Schröder, der „Medienkanzler“ – ein Muster
für die Zukunft?
Die empirische Analyse der körpersprachlichen Entwicklung
Gerhard Schröders vom Juso-Vorsitzenden zum „Medienkanzler“ ergibt zusammengefasst folgende Erkenntnisse:
– ernst, angespannt
– Blick unruhig
– kein Lächeln
– Lecken, Schmecken
Mimik
– Verlegenheitsgesten
– Ratio bestimmt Emotion
– sparsame Gestik
– ankert
– Verlegenheitsgesten
– Verlegenheitsgesten
– Verlegenheitsgesten
– Ratio bestimmt Emotion – Ratio bestimmt Emotion – Ratio bestimmt Emotion
– verschlossen
– Dominanzgesten
– engagiert, kämpferisch
– raumgreifend
Gestik
– statisch
– raumgreifende Schritte
– tänzelnd
– offensiv
– lässig, entspannt
– aktive Kopfhaltung
Haltung und Motorik
– wirkt arrogant
– sucht Schutz
1998–2001
1998
1987–1997
1978–1986
Zeitzone III Zeitzone IV
Zeitzone II
Zeitzone I
Abb. 47 Tabelle Analyseergebnis
Schlussbetrachtung
In der ersten Zeitzone (1978–1986) – vom Juso-Vorsitzenden
zum SPD-Spitzenkandidaten Niedersachsens – war es ein
besonderes Merkmal, dass Schröder den Kopf nach oben richtet
und sein Kinn vorschiebt, wodurch er beim Empfänger der körpersprachlichen Botschaft den Eindruck der Arroganz hinterlässt. Durch Verschlossenheits- und Schutzgesten wie verschränkter Armhaltung und Zurückziehen des Oberkörpers erscheint
er in Verbindung mit seiner lauten, selbstbewusst klingenden
Stimme asynchron.Auch zu beobachten war, dass seine Gesten
häufig ihre Wirkung verfehlen, da er sie nicht immer in
Brusthöhe einsetzt. Sein Mienenspiel ist meistens durch
Anspannung und Verkrampfung gekennzeichnet, und ein Lächeln ist bei dem analysierten Material nicht anzutreffen.
Äußerlichkeiten wie lange Haare und Rollkragenpullover waren
einerseits eine Modeerscheinung und sind ihm andererseits ein
Mittel der Provokation.
Diese nonverbalen Vokabularien, die bei den Empfängern
negative Assoziationen hervorriefen, gehören in der zweiten
Zeitzone (1987–1997} – vom Verfolger zum Nachfolger – nicht
mehr zu seinem körpersprachlichen Repertoire. In dieser Phase
gewinnt Schröder mit einem medienwirksamen Lächeln, lässiger Körperhaltung und sonorer Stimme vor allem in Talkshows
Sympathien in der Bevölkerung. In diesem Abschnitt muss er
aber auch Niederlagen sowie herbe Kritik von seiten der
Genossen hinnehmen (1988 scheitern des Misstrauensvotums;
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