DA Galbacs - Hochschule für Musik | Detmold

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DA Galbacs - Hochschule für Musik | Detmold
Die Entstehung des Heavy Metal
in den 1970er Jahren
Diplomarbeit im Rahmen des Studiums
Musikübertragung / Tonmeister
an der Hochschule für Musik Detmold
Gutachter: Prof. Dr. Jürgen Arndt
Verfasser: Matthias Galbacs, 23.9.2010
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Der frühe Heavy Metal: Wurzeln und historische Ereignisse
- Begriffserklärung
- Allgemeine Charakteristika der Heavy-Metal-Musik
- Heavy-Metal-Outfits
- Musikalische Wurzeln und geschichtliche Entwicklung
- Die USA am Ende der 1960er Jahre: "things are getting heavy"
- Coven
- Black Sabbath
Die New Wave of British Heavy Metal - NWoBHM
- Punk
- Heavy Metal und Geschlechter
- DJ Neil Kay und der 'Bandwagon'
- Judas Priest
- Iron Maiden
- Motörhead
- Venom
Fazit
Quellen
-1-
Vorwort
Kein musikalisches Genre war seit seiner Entstehung und ist bis heute mehr öffentlicher
Negativkritik und Vorurteilen ausgesetzt wie der Heavy Metal. Er ist ein Außenseitergenre,
das augenscheinlich mehr visuelle als intellektuelle Reaktionen hervorruft und viele dazu
verleitet, ihn auf seine Äußerlichkeiten und Symbolik und damit verbundene subjektive
Assoziationen zu Okkultismus, Satanismus, Blasphemie, Heidentum, Sex, Gewaltverherrlichung, Verführung der Jugend, usw. zu reduzieren. Inbesonders christlich-fundamentalistische Prediger und Autoren, die sich mangels musikalischer, inhaltlicher und historischer
Sachkenntnis bezüglich Heavy Metal sowie unwissenschaftlicher Arbeitsmethoden oft zu
Polemikern disqualifizieren (z.B. Bäumer, Bañol), tragen zu falsifizierten Tatsachen einen
Großteil bei¹. Neben dem Üben in Kulturapokalyptik, der Gefahr der ewigen Verdammnis
durch Heavy Metal, usw., geht auch die Legende des "backward masking" auf das Konto von
christlichen Fundamentalisten (Wehrli 118 und 124-144).
Öffentliche Medien leisten ihren Beitrag dazu: eine Überschrift in der Newsweek vom
14.5.1990 lautet: "Is being a teenager still something to look forward to? Little kids think
teenagers are really cool. But how cool is it to come of age in the age of AIDS, crack and
heavy metal?" (Weinstein 3)
Vergleichsweise harmlos, dennoch fragwürdig erscheint der Fehlschluss von Fritz Quenstedt,
dass bei Heavy-Metal-Konzerten "ein 'Ausgrenzungsprozeß' von türkischen Jugendlichen
stattfindet [...]" (Nolteernsting 65). Im Vergleich dazu erscheint der (missglückte) Versuch
zweier US-Biologen der Northern Arizona University, von Schädlingen befallenes Holz mithilfe von Heavy- Metal-Musik zu vertreiben, fast schon amüsant (Spiegel 10/2010).
Der Heavy Metal hat keine intellektuelle Lobby hinter sich, die ihn in irgendeiner Form in
Schutz nehmen könnte; andererseits macht er aber keinen Anschein, als hätten ihm vier
Jahrzehnte der öffentlichen Ächtung etwas ausgemacht, da er immer noch an internationalem
Bestand und Aktualität nichts verloren hat - nur bekommt man davon als nicht in die HeavyMetal-Szene involvierte Person nicht viel mit.
Bevor man sich nun mit dem eigentlichen Thema, der Entstehung des Heavy Metal in den
1970er Jahren beschäftigt, bedarf es vorab einiger Erklärungen:
1. Der Heavy Metal - kurz: 'Metal' - ist ein musikalisches Genre, das eine Vielzahl von
Subgenres² beinhaltet. 'Heavy Metal' kann aber paradoxerweise auch als Subgenre seines
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¹ siehe hierzu Wehrli S. 145-208; ² z.B. Thrash Metal, Folk Metal, New Wave of British Heavy Metal
-2-
Selbst verstanden werden, unter welchem Bands der frühen Anfangszeit des Heavy Metal
(Genres) wie Black Sabbath und Led Zeppelin gemeint sind¹.
2. Die Begriffe 'Heavy Metal' und 'New Wave of British Heavy Metal' entspringen beide
journalistischer Feder und sind als Sammelbezeichnung zu verstehen: die Bands, die unter
diese Begriffe fallen, unterscheiden sich alle in Musik, Texten und Image voneinander und
entwickeln sich seit ihrer Gründung in ihrem Stil weiter. Daher ist es nicht ausreichend,
Feststellungen nur anhand der beiden Begriffe zu machen; die einzelnen Bands dürfen nicht
außer Acht gelassen werden.
3. Der Heavy Metal entwickelte sich, anders als andere Genres der Popularmusik Ende des
20. Jahrhunderts, seit seiner Anfangszeit permanent in enger Zusammenarbeit zwischen
Musikern und Fans größtenteils fern der Öffentlichkeit. Dieses Prinzip hat bis heute Bestand.
Trotz der internationalen kommerziellen Großerfolge einiger weniger Metal-Bands wie
Metallica, Rammstein, Iron Maiden und Nightwish (um nur die populärsten zu nennen) agiert
der Großteil der Bands außerhalb von Charts und öffentlichen Medien; deren Existenz wird
immer noch von den Fans getragen, die die favorisierten Bands unterstützen, indem sie Alben,
Fanartikel, Metal-Zeitschriften und Konzert- und Festivalkarten erwerben, sich journalistisch
mit Artikeln und Rezensionen in Metal-Zeitschriften (die wiederum von anderen Fans
erworben werden) betätigen, Labels betreiben, selbst eine Metal-Band gründen und den
Idolen nacheifern, und so weiter.
Aus wissenschaftlicher Sicht fällt es sichtlich schwer, das komplexe Gebilde des Genres zu
erfassen, um sich adäquat damit beschäftigen zu können; es kursieren viele Fehlinformationen
(auch innerhalb der großen Heavy-Metal-Szene), die aufgrund der häufigen Erwähnung
Referenzstatus in der Literatur erhalten haben². Außerdem liefern vier Jahrzehnte HeavyMetal-Geschichte, deren Entwicklung "zu allem Übel" auch bis heute noch nicht
abgeschlossen ist, eine Unmenge an szenespezifischen Termini und Fachwissen rund um den
Heavy Metal, die wegen dem spärlichen öffentlichen Erscheinen des Genres gar nicht alle
vollständig akademisch erfasst, diskutiert und mit gegenseitigem Konsens verifiziert werden
konnten; zudem sind - bis auf Walsers 'Running for the Devil' von 1993 - aus der für diese
Diplomarbeit ausgewählte Literatur inklusive des filmischen Quellmaterials (Dunn &
McFayden, Johnstone, Rodley & Cooper) erst nach der Jahrtausendwende erschienen, um die
30 Jahre nach Entstehung des Genres.
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¹ in dieser Arbeit ist mit 'Heavy Metal' fortan nur das musikalische Genre gemeint
² aus Gründen des themat. Zusammenhangs werden in dieser Arbeit nur wenige richtig gestellt
-3-
Langer Rede kurzer Sinn: summa summarum muss, auch meiner Auffassung nach - als
Student der Musikübertragung, als langjähriger Heavy-Metal-Fan, -Musiker und -Produzent hochwertiges Quellmaterial, das sich mit Heavy Metal auseinandersetzt, im regen und regelmäßigen Austausch mit den Musikern und Fans geschehen, in und außerhalb der Szene;
dieses Maß an Feldforschung ist notwendig, um beim Studieren der Literatur abwägen zu
können, welche Informationen wie wahrheitsgemäß, wie zu gewichten und wie zu bewerten
sind. Hinzu kommen das Studium der Medien bezüglich Heavy Metal wie Artikel und Rezensionen in Zeitschriften oder Dokumentationen, je nach gewähltem thematischen Schwerpunkt. Dann erst erfolgt die Auswahl an Quellen der aktuellen Forschung.
Zu keinem Thema in der Popularmusik gibt es so viele Unklarheiten und verbreitete Irrtümer
wie zum Heavy Metal. Einerseits mag dies daran liegen - so vermute ich naiv - dass sich noch
zu viele Menschen von "langhaarigen, schwarzgekleideten, böse aussehenden" Menschen mit
diversen okkulten Symbolen auf dem T-Shirt und / oder auf der Kutte in Kombination mit
brachialer Musik ehrlich fürchten, um sich nach eventueller Überwindung dieser Schwelle
darüber zu wundern, wie friedfertig das Miteinander unter den Heavy-Metal-Fans ist, selbst
auf dem größten Heavy-Metal-Festival der Welt, dem Wacken Open Air (siehe NDR-Aktuell
05.08.2010).
Dies bringt einen "zurück an den Schreibtisch" und zur Literatur, welche auszuwählen heavymetal-spezifisches Szene-Fachwissen erfordert, um nicht falsche Behauptungen noch weiter
zu wiederholen, z.B. dass man von 'Trash Metal' und 'Thrash Metal' liest und beide Male das
gleiche gemeint ist (trash: Müll, to thrash: dreschen, prügeln), Black Sabbath allein wegen
dem Okkulten in den Texten als erste Heavy-Metal-Band zählen, man über (ausschließlich)
einen existierenden Blastbeat liest, und so weiter - diese Irrtümer erkennt der eingefleischte
Heavy-Metal-Fan, wenn auch sehr oft ohne akademischen Hintergrund. Das Wissen und die
Fachbegriffe kommen wegen der Underground-Mentalität der Szene nur dann zutage, wenn
neu hinzugekommene Fans oder Interessierte Fragen stellen.
Deena Weinsteins 'Heavy Metal - The Music and its Culture' (2000) ist im Quellenverzeichnis
nahezu jeder aktuellen akademisch verfassten Literatur vorhanden. Sie formuliert den Aufwand für ihr Werk folgendermaßen:
"[...] This study of heavy metal is based on data drawn from a wide variety of sources based
on diverse kinds of methods. Among them are participant observation (backstage, in recording
studios, at basement rehearsals, on concert lines, in concert audiences, at record stores, on tour
buses, etc.); the use of key informants among the musicians, the audience, and those in the
-4-
media; unstructured interviews and questionnaire research; and nonparticipant field research
(observing and counting).
Also, the contributions of the scholarly literature and the media concerned with heavy metal
have been consulted and integrated into the discussion where appropriate. [...]" (zit. aus Weinstein 5). Sie setzt ihre Schwerpunkte auf historische und sozialklimatische Entwicklung, lässt
jedoch tiefergehende musikalische Aspekte weitestgehend aus, welche aber in Walsers
'Running with the Devil' und in Copes 'Black Sabbath and the Rise of Heavy Metal Music'
schwerpunktmäßig erfasst und diskutiert werden.
Weinstein zeigt zudem (in Bayer), auf welche Art sich die vorherrschende Männlichkeit im
britischen Heavy Metal von anderen unterscheidet und bildet bezüglich Musik und Geschlechterrollen ein solides Fundament.
Als Primärquellen nicht wegzudenken bieten 'Iron Maiden and the New Wave of British
Heavy Metal' (Johnstone), 'Heavy Metal Britannia' (Rodley&Cooper) und 'Metal: A Headbanger's Journey' (Dunn&McFayden) als Dokumentarfilme erstmalige Interviews mit
Musikern, Journalisten und Vermittlern, die an der Entwicklung des Heavy Metal in den
1970er Jahren selbst direkt beteiligt waren.
Moynihans und Søderlinds 'Lords of Chaos' liefert zahlreiche Interviews und Informationen
über sonst in Literatur größtenteils vernachlässigte Bands wie Coven und Venom, knüpft aber
sehr bald schon an das eigentliche Thema des Buches, den Black Metal an¹.
Nolteernsting lässt fast ausschließlich die Metal-Musiker verschiedenster Subgenres sprechen,
etwas einseitig ziehen sich Interview-Ausschnitte über 128 Seiten; von Interesse finden sich
gerade bei den Metal-Musikerinnen interessante Aussagen bezüglich der Geschlechter in der
Heavy-Metal-Szene.
Ein monumentales Ausnahmewerk, das sich fast ausschließlich mit Zensur von Heavy Metal
und auch von anderen "außermetallischen" Künstlern wie Prince, Madonna usw. beschäftigt,
ist Wehrlis 'Verteufelter Heavy Metal'. Außer, dass er sich mit christlich-fundamentalistischen
Schriften auseinandersetzt und die Psychologie der Autoren dieser Werke untersucht (96-116),
klärt er mittels psychologischer und statistischer Untersuchungen und Studien unter Berücksichtigung historischer Gegebenheiten, warum Rückwärtsbotschaften und Wahrnehmung auf
subliminaler Ebene in diesem Zusammenhang weder akustisch noch visuell Wahrheits- oder
Wirkungsgehalt haben; er gibt Aufschluss über die verschiedenen Arten der Zensur in den
USA Großbritannien, der BRD, Schweiz, Frankreich und Japan und erläutert dies anhand
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¹ der sich erst ab Mitte der 1980er Jahre in Norwegen entwickelte und nicht Teil dieser Arbeit ist
-5-
vieler Einzelfalldarstellungen von Musikern und Bands, auch außerhalb des Heavy-MetalGenres.
Eher für Fans und Interessierte verfasst scheint Christes (nicht "Christie" - siehe Cope) Werk,
größtenteils bildlich berichtend, was man bereits bei dem Titel 'Höllen-Lärm: Die komplette,
schonungslose, einzigartige Geschichte des Heavy Metal' (korrekt) vermuten kann.
Nichtsdestotrotz bietet er außer der Empfehlung, sein Buch bei voller Lautstärke zu lesen
(394) einen historischen Überblick über den Heavy Metal ab dem Ende der 1970er bis 2001
mit tiefem Einblick in das Musikbusiness: welche Bands bei welchen Labels wann unterzeichneten, wer wann Silber, Gold oder Platin für welche Alben bekam, wie das Leben auf
Tour aus der Sicht der Musiker war, usw.
Ziel dieser Arbeit ist es, die Entstehung des Heavy Metal in den 1970er Jahren mit
größtmöglicher Eindeutigkeit darzustellen. Hier gehört auch die Frage beantwortet, wer die
erste Heavy-Metal-Band war, ob eine oder mehrere und warum es bisher nicht eindeutig war,
an welchen Prägnanzen man dies aus wissenschaftlichen Sichtweisen klar erläutern konnte.
Die zeitliche Grenze dieser Arbeit ist um das Jahr 1980, der räumliche Fokus ist auf Großbritannien gerichtet, da sich dort der Heavy Metal etabliert hatte und gefestigt wurde, bevor in
den USA die ersten Thrash-Metal-Bands emporkamen und in Norwegen der Black Metal sein
Unwesen trieb. Der gerade erst geborene Heavy Metal Großbritanniens und der Punk, der dort
Mitte der 1970er Jahre zur Mode wurde, fanden sich in der 'New Wave of British Heavy
Metal', abgekürzt mit 'NWoBHM' zusammen: in dieser Zeit sorgte die enge Kooperation von
Neil Kay, dem Betreiber des ersten Hardrock- und Heavy-Metal-Clubs, mit Geoff Barton,
dem Journalisten des 'Sounds Magazine' für die nationale Etablierung und die baldige
internationale Verbreitung des Heavy Metal. Die englischen Bands, die ihre Inspiration noch
von Black Sabbath und Hard-Rock-Bands wie Deep Purple oder Led Zeppelin bezogen und
sich innerhalb der NWoBHM bewegten, waren selbst Inspirationsquelle für nachfolgende
Bands, die für die Entstehung neuer Genres innerhalb des Heavy Metal maßgeblich waren.
Amerikanische Hard-Rock-Bands wie Led Zeppelin oder AC/DC aus Australien, die dem
Heavy Metal nahe stehen, werden aufgrund ihres Einflusses auf die sich in Großbritannien
entwickelnde Heavy-Metal-Szene tangiert; detaillierte Darstellungen sind Black Sabbath und
den wichtigsten Bands der New Wave of British Heavy Metal vorbehalten, da diese in
Großbritannien an deren Entwicklung und der letztendlichen Entstehung des Heavy Metal
direkt beteiligt waren.
-6-
Zu den angegebenen Quellen fließen meine langjährigen, bis heute bestehenden Kontakte zur
Heavy-Metal-Szene sowie die daraus resultierenden Erfahrungen hinzu.
Der frühe Heavy Metal: Wurzeln und historische Ereignisse
Begriffserklärung
'Heavy Metal' (engl. für 'Schwermetall') steht einerseits in der Chemie für Stoffe mit einer
Molekulardichte von über 5g/cm³, andererseits für einen musikalischen Genrebegriff innerhalb des weiten Feldes der Rockmusik.
Es herrscht bis zum heutigen Zeitpunkt keine Eindeutigkeit über einen klaren Genesebezug
für den 'Heavy Metal' in der Musik, dafür existieren aber viele Möglichkeiten. In fast jeder
Literatur findet man einen Bezug zur Textzeile "heavy metal thunder" im Song 'Born To Be
Wild' (1968) von der US-Band Steppenwolf (z.B. Weinstein 19, Walser 8), die - laut Mars
Bonfire, dem Songschreiber der Band - das dröhnende Geräusch von Autos oder Motorrädern
meint. Auch 'The Heavy Metal Kid' bietet eine Genesemöglichkeit: eine Figur aus William S.
Burroughs Science-Fiction-Roman 'Nova Express' von 1964, mit metallenem Gesicht und
Antennenarmen (Christe 22, Wehrli 16).
Fest steht lediglich, dass der amerikanische Journalist Lester Bangs den Begriff 'Heavy Metal'
in den frühen 1970er Jahren angewendet hat, bezogen auf Black Sabbath und Led Zeppelin
(Walser 8, Wehrli 16) - jedoch nicht als Erster, wenn man Jerry Ewing (Journalist bei Classic
Rock und Metal Hammer) Glauben schenken kann:
"[...] I've read music texts that described The Birds even as being so "heavy metal", which, I
mean, sounds absolutely proposterous. [...] " (zit. aus Johnstone Kap.2)
Alice Cooper, der Sänger der gleichnamigen Band hat 'Heavy Metal' in Verbindung zu ihm
und seiner Band "1971, 1972 oder 1976" (Dunn&McFayden) im Rolling Stones Magazine
gelesen.
Wenn man bei Ewings und Coopers Aussage den Fakt hinzunimmt, dass 'heavy metal' in der
englischen Sprache nicht nur in der Chemie, sondern auch medizinisch-diagnostisch
(Schwermetallvergiftung - "heavy metal poisoning"), figurativ (z.B. "a man of heavy metal"
meint einen Mann mit Stärke an Körper und Geist) und militärterminologisch (großkalibrige
Waffen und Geschosse bezeichnend) seit beinahe 200 Jahren gebräuchlich ist (The Oxford
English Dictionary in Walser 1, Wehrli 16), scheint die Unklarheit über die erste musikbezogene Anwendung dieses Begriffs nicht weiter verwunderlich.
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Als 'Heavy Metal' als Begrifflichkeit noch neu war, wussten weder Musiker noch Veranstalter
etwas damit anzufangen. Motörhead nutzten nie 'Heavy Metal', um ihre Musik zu
beschreiben, der Sänger Ian "Lemmy" Kilmister hasste diesen Begriff sogar: für ihn ist die
Musik Motörheads sehr schneller und sehr lauter Rock'n'Roll (Johnstone 2).
Toni Iommi von Black Sabbath zeigte sich ob des Begriffs auch verwundert (Dunn &
McFayden), ebenso wie Neil Kay, der dachte, dass mit 'Heavy Metal' etwas wie "high-energyrock" gemeint war (Johnstone 2).
Allgemeine Charakteristika der Heavy-Metal-Musik
Der Heavy Metal einen Kodex und eine besondere Geschichte, wie jedes musikalische Genre,
und besteht aus der Interaktion zwischen Schöpfern, Kennern, Vermittlern und Labels
(Weinstein in Bayer 20) - im Heavy Metal reduziert sich dies auf Bands und auf vielseitige
notwendige Arten unterstützende Fans bzw. Kenner und Labels (Johnstone). Der Codex
bestimmt die akustischen bzw. musikalischen, visuellen und verbalen Dimensionen und
erlaubt einem die Wiedererkennung und das Erschaffen von Dingen, die zu diesem Genre
gehören. Alle drei Dimensionen haben gemeinsam, dass sie Kraft ausdrücken; Weichheit,
Niedlichkeit oder Schüchternheit finden im Heavy Metal keinen Platz (Weinstein in Dunn &
McFayden).
Allgemeine musikalische Merkmale sind der fast ausschließlich vorherrschende 4/4-Takt, an
den Blues angelehnte pentatonische Harmoniefolgen, einfache, durch Wiederholen eingängige
Riffs und als zentrales Element eine hohe Lautstärke. Die Rock'n'Roll-Formation Buddy
Holly and The Crickets zählen als Erfinder der Standard-besetzung für Rock- und HeavyMetal-Bands:
Gesang, Lead- und Rhythmusgitarre, Bassgitarre, Schlagzeug (Wehrli 19). Fast unnötig zu
erwähnen ist, dass es sich im hierbei grundsätzlich um E-Gitarren und -Bassgitarren mit
massivem Korpus ("solid body") handelt. In der Rock- und Metalmusik haben sich die EGitarren mit Massivkorpusbauweise unter anderem deswegen durchgesetzt, weil sie weniger
rückkopplungsempfindlich (vom Verstärker zur Gitarre!) gegenüber ihren akustischen
Verwandten sind und von sich aus mehr Sustain ( = Ausklang) haben (Fletcher&Rossing 262).
Akustische E-Gitarren haben, wie auch Akustikgitarren mit aufgesetzten Tonabnehmern,
Schalllöcher; die Schallwellen des Verstärkers bringen den Korpus zum resonieren, was
wieder eine Rückkopplung ("feedback") auslöst, die sich in einem unkontrollierbaren
Dröhnen bemerkbar macht (Rebellius 109). Um das Problem zu beheben muss entweder die
Lautstärke des Verstärkers heruntergedreht werden, oder - was bei lautstarker Musik ange-8-
brachter ist - der Resonanzraum des Instruments wird elliminiert.
Die E-Gitarren werden im Heavy Metal und Hard Rock üblicherweise nicht clean gespielt.
Dies kann man dadurch erreichen, dass man den Verstärker ("amplifyer" oder kurz: "amp")
übersteuert, was man "overdrive" nennt. Einen Verstärker zu übersteuern hat zwei Haupteffekte: Harmonische Verzerrung und Signalkompression. Zu zweiterem kommt noch ein sehr
langes Sustain, fast ohne Verlust an Energie oder Lautstärke (Walser 42). Das im Heavy Metal
übliche Übersteuern der Vorstufe - Distortion - hebt zu der Verzerrung im Klang hochfrequente Teiltöne an, was die Präsenz des Klanges erhöht.
Üblich für E-Gitarristen sind Röhrenverstärker, da man diese auf hoher Lautstärke betreiben
kann, ohne dass sie - wie Transistorverstärker - schrill oder grell klingen. Das liegt daran, dass
Röhren als Bauteile dem Signal harmonische Teiltöne hinzufügen, je näher am Sättigungsbereich der Röhren, desto mehr. Das Transistormodell hat einen allgemein reineren Klang,
dafür klingt es bei Übersteuerung wegen Hinzufügung nichtharmonischer Teiltöne für das
Gehör unangenehm. Transistormodelle werden von Musikern gespielt, die einen unverfälschteren Sound aus ihrem Verstärker haben wollen, beispielsweise von Keyboardern und
allgemein von Musikern mit akustischen Instrumenten und aufgesetzten Tonabnehmern.
Die gebräuchlichen Powerchords - quintleere Klänge auf den untersten beiden Saiten der
Gitarre - ergeben zusammen mit den Verzerrungen und dem langen Sustain echten kraftvollen
Hard-Rock- bzw. Heavy-Metal-Gitarrensound (Walser 43).
Das Hauptmerkmal der Musik im Heavy Metal ist seine Kraft; Indikator Nummer eins dafür
ist die hohe Lautstärke (Weinstein 23), vergleicht man ihn mit Stilen wie Jazz, Blues oder mit
klassischer Musik. Eventueller Verwunderung vorzubeugen lässt sich dies durch musikalisches Denken elliminieren: betrachtet man die expresiven, absolut nicht jazz-ähnlichen
Spielweisen der Heavy-Metal-Drummer, müssen die restlichen Instrumente in der Lautstärke
angepasst sein, um nicht im Hintergrund zu verschwinden: das Gesangsmikrofon sowie EGitarren- und -Bassverstärker werden obligatorisch sowie eine angepasste, beachtliche
Lautstärke von Gesang, Gitarren und Bass. Es gilt tendenziell Gleichberechtigung für alle
beteiligten Instrumente und den Gesang, nur der Bass stellt eine Ausnahme dar. Er dient
einerseits als tiefe Oktavverdoppelung für die E-Gitarren, die frequenztechnisch in den tiefen
Mitten liegen und mit der Bass Drum bildet er das kraftvolle Bassfundament.
Bezüglich Schlagzeug und seiner "Hardware" gibt es nicht viele Veränderungen zu vorhergehenden Musikstilen wie Jazz oder Rock'n'Roll: es setzt sich allgemein aus Bass Drum,
Snare Drum, Hihat, Ridebecken, mehreren Tom-Toms (Hänge- und Standtoms) und CrashBecken zusammen, additional dazu Chinabecken, Splashbecken.
-9-
Im Gegensatz zum Jazz hat sich die Ästhetik etabliert, dass Bass Drum, Snare und Tom-Toms
mehr Anschlag ("attack") als nachklingenden Ton ("sustain") haben, weil Heavy-MetalDrummer stets kraftvoll spielen. Reduziert man den Nachklang der Bass Drum, Snare und
Tom-Toms, rückt der Anschlag in den Vordergrund. Darum haben die meisten für Hard Rock
und Heavy Metal geeigneten Bass Drums ein Loch im Resonanzfell (oder es wird einfach
abgeschraubt), bei Snare und Tom-Toms wird das Schlagfell abgeklebt, mit einfachen
Taschentüchern und Gaffa-Klebeband oder mit speziell dafür hergestellten Gel-Pads.
Der Gesangsstil hat im Heavy Metal einige Varianten: vom Falsettgesang über aggressives
Schreien ("shouting" - vorwiegend im Thrash Metal, Hardcore, Metalcore), Grunzen
("growling", "grunting" - im Death Metal) bishin zu kehligem Schreien ("screaming" - in
Black und Death Metal) ist an Ausdrucksmitteln alles vorhanden. Der Gesang ist in der Band
einerseits nicht eingeschränkt, andererseits dominiert er auch nicht das Geschehen wie beispielsweise im Pop oder im Schlager (Wehrli 20). Man kann die Anfangszeit des Heavy
Metal, d.h. von 1970 bis zur NWoBHM am Gesangsstil festmachen, da er in allen Bands
(außer evtl. bei Venom und Motörhead) in hoher Tenorlage ist und (noch) Melodien
beinhaltet.
In Texten von Heavy-Metal-Songs, betrachtet man sie allgemein, geht es meistens um
Themen, die in der öffentlichen Gesellschaft gerne unter den Teppich gekehrt oder als anstößig deklariert ignoriert oder gemieden werden. Sie decken ein weites thematisches Spektrum ab, das Selbstzweifel, Aufbruchsstimmung, Heuchlerei, metaphorische und / oder aus
größerem Blickwinkel betrachtete Sozialkritik, Provokation, Misanthropie, okkulte Thematik,
Mystik, Satanismus, Krieg und Sexualität in verschiedensten Formen und Varianten
beinhaltet. Jede Band hat andere thematische Schwerpunkte; daher kann man nicht oder nur in
den seltensten Fällen wie beispielsweise beim Black Metal klare Neigungen zu einem der
aufgeführten Themen ausmachen.
Heavy-Metal-Outfits
Der typische Heavy-Metal-Fan, so entspricht es nicht nur dem Klischee, hat zuallererst lange
Haare, trägt ein T-Shirt oder einen Kapuzenpullover genannt "Hoodie" (fast ausnahmslos) in
schwarzer Farbe mit dem Namen bzw. dem Logo einer seiner bevorzugten Bands auf der Vorderseite. Lederjacken - ebenfalls in schwarz - sind auch häufig zu sehen sowie die sogenannte
"Kutte":
In den 1970er Jahren kamen die Fans mit ihrer Arbeitskleidung zu Konzerten, die aus blauem
-10-
Jeansstoff hergestellt wurde. Die Kutte, eine Jeansweste oder Jeansjacke mit abgeschnittenen
Ärmeln und Aufnähern ("Patches") mit den Namen der favorisierten Bands, etablierte sich aus
diesem Hintergrund. Sie wird, je nach Temperatur, über einer Lederjacke, über einem
Bandshirt oder auf nacktem Oberkörper getragen. Zudem kann sie noch mit Ketten oder
Nieten verziert werden, ganz nach Geschmack und Empfinden des Individuums.
Man findet verbreitet auch T-Shirts ohne Bandnamen, dafür mit einem nicht selten komischen
Spruch darauf. Typische Beispiele: "Anti-Hiphop-Alliance", "Satan is coming (Vorderseite) Satan is going" (Rückseite), "I'm not a slave of a god that does not exist", "Duschen ist kein
Heavy Metal", "Hexenverbrennungen, Kreuzigungen, Inquisition - Wir wissen wie man feiert.
Ihre Kirche", "Schwarzes T-Shirt mit weißer Aufschrift", "Bitch", "Der Letzte macht das Licht
aus", uvm.
Unter dem Gürtel sind schwarze Hosen üblich, auch olivgrün oder mit Militärmuster und das
in kurzer oder langer Form, schwarze Röcke - sogenannte "Waffenröcke" mit oder ohne
Nieten bestückt - und Kilts findet man ebenfalls.
Weit verbreitet sind stabiles Schuhwerk wie Stiefel oder Schuhe mit Stahl- oder Kunststoffkappe (sog. "Springerstiefel" oder kurz "Springer"), die ebenfalls der Beschuhung der
Arbeiter entlehnt sind (und nicht, wie fälschlicherweise angenommen von Skinhead- oder
rechtsradikalen Gruppierungen), normale Alltagsschuhe, seltener Cowboystiefel.
Für Frauen gilt übrigens ähnliches: schwarze Bandshirts, allerdings als "Girlie" (für Frauenoberkörper zugeschnittenes T-Shirt), Lederjacke, seltener Kutte; dazu - je nach persönlichem
Geschmack - lange oder kurze Hose, Rock, Minirock, Kilt (obwohl dieser aus schottischer
Tradition Männern zugehörig ist), Strumpfhosen, Netzstrümpfe oder unbekleidete Beine,
schwarze Stiefel, Alltagsschuhe, Springer, High Heels.
Als Nickel- oder Silberschmuck um den Hals werden, je nach Individuum, ein Pentagramm
(mit einer oder zwei Spitzen nach oben), Thorshammer ("Mjölnir"), Wolfskreuz, inverses
Kreuz (das originale, wie man es von der katholischen und der evangelisch-reformierten
Kirche kennt, findet man im Metal kaum, dafür häufig in der Gothic-Szene), eine Axt, ein
Schwert, ein keltisches Symbol wie das Triskele oder der Lebensbaum getragen.
Für den Bereich zwischen Unterarm und Hand gibt es Schweißbänder mit Bandname und
-Logo oder ohne, Lederarmbänder mit und ohne Nieten - die, wenn sie den kompletten
Unterarm bedecken auch "Stulpen" genannt werden.
Musiker und Fans sind, was das Outfit angeht, annähernd gleich wie deren Fans gekleidet,
was visuell Zusammenhalt zwischen beiden suggeriert. Je nach Heavy-Metal-Subgenre und
unter folgenden Aspekten berücksichtigt, dass Musiker Arm- und Beinfreiheit beim Spielen
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ihrer Instrumente brauchen, dass unter dem Bühnenlicht meistens (auch bei Open Airs) hohe
Temperaturen herrschen und daher langärmlige Klamotten hinderlich sind, findet man am
häufigsten auch Bandshirts von anderen favorisierten Bands, was jedem etwaigen Konkurrenzgedanken zwischen Heavy-Metal-Bands untereinander entgegensteht, Lederkleidung,
selten Kutte (beispielsweise bei Bruce Dickinson von Iron Maiden). Ausnahmebands wie
Lordi oder Gwar performen in selbstgemachten Kostümen, und im Black-Metal-Bereich ist
das Tragen von spannenlangen Nieten an Armen und Beinen sowie das traditionell von KISS
entlehnte "Corpse Painting" (bezeichnet allgemein das Bemalen des Gesichts, nicht mit
schminken zu verwechseln) in vielen verschiedenen Versionen zu beobachten.
An dieser Stelle sei die KISS-Army erwähnt, die Fanhorde der Band, die wie ihre Vorbilder
Corpse Paint tragen und ihrer Band äußerlich so nahe wie möglich sein wollen, als deutlichstes Beispiel vom Zusammenhalt zwischen Fans und Musikern (Dunn&McFayden).
Musikalische Wurzeln und geschichtliche Entwicklung
Die direkten Vorbilder für Heavy-Metal-Musik liegen in Bluesrock, Psychedelic Rock,
Rock'n'Roll und - für die Bands der NWoBHM - auch im Punk Rock (Weinstein in Bayer 21,
Rodley&Cooper).
Ersterer findet seine Wurzeln im Blues der versklavten afroamerikanischen Bevölkerung der
Südstaaten der USA (Walser 57, Wehrli 16). Als weltlicher "Verwandter" der Gospels und
Spirituals fand der Blues in den 1930er Jahren den Weg von den Plantagen in Musikkneipen
und Hausfeiern, erfreute sich steigernder Beliebtheit und wurde zunehmend als Konkurrenz
für die Gospelmusik der Kirche gesehen. Die aus Afrika verschleppten Sklaven konvertierten
in den USA zwar zwangsläufig zum Christentum, doch vergaßen sie ihre traditionellen
Stammesreligionen nicht: Bluestexte stecken voller Hinweise auf Teufel, Dämonen und
Geister (Moynihan&Søderlind 20), auch der Voodoo wird thematisiert, ebenso wie weltliche
Ängste, Sexualthematiken, Glückserfahrungen durch Hedonismus und Freiheitsgedanken. Für
christliche Geistliche und ihre Hörigen jedoch bestand der einzig wirkliche Hoffnungsschimmer für ein besseres Leben im Aufsteigen in den Himmel nach dem Tode, und alles, was
diesen gefährden konnte, wurde gemieden; daher wurde der Blues gerne als "Teufelsmusik"
abgekanzelt. Blues ist in seiner Reinform immer die Musik der stolzen schwarzen Randgruppen geblieben; der Jazz war von Anfang an Musik für gut zahlendes städtisches Publikum
(Wehrli 17, Farley in Bayer 74-75).
Aus dem Klischee, mit dem Blues "Teufelsmusik" zu machen, verhalf sich besonders Robert
Johnson, anfangs ein Durchschnittsgitarrist, zu Reichtum und Erfolg. Als ursprünglich armer
-12-
Plantagenarbeiter spielte er mit Johnny Shines, Willie Brown, Son House und Charlie Patton,
verschwand für ein Jahr spurlos, um dann als begnadeter Musiker wieder zu erscheinen. Als
Mensch und Musiker schon suspekt verbreitete er noch das Gerücht, er hätte an einer Wegkreuzung irgendwo im Mississippi-Delta einen Pakt mit dem Teufel geschlossen, der ihm für
seine Seele musikalische Virtuosität und Ruhm verlieh. Satan scheint seinen Teil des Paktes
eingehalten zu haben: 1936 und 1937 nahm Johnson 29 Songs auf, die bekanntesten sind
'Crossroad Blues', 'Me and the Devil Blues' und 'Hellhound on my Tail', verdiente so viel Geld
wie in seinem vorhergegangenen Leben nicht und hatte in jeder Stadt, in der er auftrat, mindestens eine ihm zu Füßen liegende Frau (Farley in Bayer 75). Hieraus jedoch abzuleiten,
Johnson sei ein Satanist gewesen, würde die Wahrheit verfehlen - er schien eher dem Voodoo
zugeneigt, dessen heidnische Gottheiten aus christlicher Sicht pauschal mit dem Teufel
identifiziert wurden. Johnson mied jedenfalls keine ekklesiastischen Einrichtungen:
er trat 1937 in Detroit regelmäßig mit einem Pastor an seiner Seite live und im Radio auf.
(Wehrli 292).
Im Jahre 1938 endete seine Karriere mit nur 27 Jahren abrupt: nach einem Auftritt wurde er
vergiftet, wahrscheinlich wegen seiner Affäre mit der Frau des Clubbesitzers, und es dauerte
mehrere schmerzvolle Tage, bis er starb. Johnsons Musik verschwand, bis ein Re-Release
seiner Songs in den 60er Jahren auf LP die Bluesrock-Musikern der Zeit inspirierte
(Moynihan&Søderlind 20).
Mit Rock'n'Roll assoziiert man gerne zuerst Elvis "The Pelvis" Presley und seine zahllosen
schmissigen Hits wie 'Jailhouse Rock', 'Tutti Frutti' und 'Burning Love'.
Möchte man jedoch vom Rock'n'Roll sprechen, darf man Little Richard (eigentlich Richard
Penniman) auf keinen Fall übergehen. Als Erfinder des Rock'n'Roll gilt er unter anderem, weil
er das Bluestempo beträchtlich erhöhte, zu seiner Musik mit unglaublicher Bewegungsenergie auf der Bühne performte und sich regelmäßig vor dem tobenden Publikum die Kleider
vom Leib riss. Drogen und Sex mit beiden Geschlechtern sowie schlüpfrige Texte sorgten für
Furore in den USA der 1950er Jahre (Wehrli 298-308). Elvis Presley und Pat Boony, ebenfalls
Rock'n'Roll-Ikonen, coverten Little Richards "Tutti Frutti" mit entschärftem textlichem Inhalt
(im Originaltext ging es darum, "Gleitmittel zu benutzen anstatt 'es' reinzuzwängen", was eine
Sendung in öffentlichen Medien in dieser Zeit undenkbar machte), deren Versionen von "Tutti
Frutti" wurden ein Hit in den USA und beide mit der Goldenen Schallplatte belohnt.
Angemerkt sei an dieser Stelle, dass zu dieser Zeit und schon davor in den rassistischen USA
weiße Künstler bevorzugt von den Rundfunkstationen gespielt und die schwarzen gerne
-13-
übergangen wurden (Wehrli 300).
In Little Richards Begleitband spielte ein Maurice James die Rhythmusgitarre, der später als
Jimi Hendrix als "the most virtuosic rock guitarist of the 1960s" (Walser 9) mit seiner FenderE-Gitarre, dem auf Anschlag hochgedrehten Verstärker und seinen unglaublichen Soli für den
Sound aller folgenden Hard-Rock- und Heavy-Metal-Bands maßgeblich war. Auch seine
Spieltechniken und die schrillen Interpretationen des Blues, mit dem er groß wurde, machten
ihn als Virtuosen und Vorbild einzigartig. Hendrix' Inspirationsquellen kamen von Little
Richard, B.B.King, Sam Cooke und Solomon Burke, seine Musik reflektiert typische Bluesthematik wie z.B. in 'Voodoo Child (Slight Return)' (Farley in Bayer 77-78).
E-Gitarren-Virtuosen wie Jimi Hendrix und Eric Clapton holten die E-Gitarre ganz vorne ins
Bild der Band und rückten somit von vorhergehenden Klangvorstellungen, beispielsweise des
Pop, weiter weg (Johnstone). Als Verbindungsglied zwischen Bluesrock-Künstlern und den
ersten Heavy-Metal-Bands fungierten außer Clapton Jeff Beck und Jimmy Page von Led
Zeppelin (Weinstein 16).
Elemente von Bands aus dem Psychedelic-Rock-Genre im Heavy Metal finden sich bei
britischen Formationen wie Cream und deren "screaming vocals" und bei der weniger
bekannten Edgar Broughton Band, deren Songs sehr gitarrenbasiert und für die Zeit mit
"harten" Vocals und Drums ausgestattet waren.
Weiteren Einfluss auf frühe Heavy-Metal-Bands aus dem Rockbereich hatten Bands wie
Uriah Heep mit härteren Gitarrenriffs, und Steppenwolf offerierte mit dem berühmten Song
"Born to be Wild" eine Genesemöglichkeit für den später vom Journalisten Lester Bangs
verwendeten Begriff 'Heavy Metal' (Rodley&Cooper).
Die USA am Ende der 1960er Jahre: "things are getting heavy"
Mit der Gründung der Church of Satan am 30.4.1966 durch Anton Szandor LaVey begann das
öffentliche Erscheinen des Satanismus in den USA. Zwei Jahre später publizierte LaVey die
Satanic Mass, eine Schallplatte mit dem Mitschnitt einer Satanischen Messe, wieder ein Jahr
darauf die Satanic Bible, die leicht erhältlich war und vielen prominenten Rockmusikern als
Inspiration diente. Satanismus war Trend in den USA: 1968 und 1973 kamen die Horrorfilme
'Rosemary's Baby' und 'The Exorcist' in die Kinos, Prominente aus Hollywood traten der
jungen Glaubensrichtung bei, der Presserummel wollte nicht enden
(Moynihan&Søderlind 27-28).
Zu dem Satanstrend begannen sich ab 1968 die Zeiten, in der die Ideale von Frieden, Liebe
und Gerechtigkeit von einer Reihe an katastrophalen Ereignissen überhäuft wurden, langsam
-14-
aufzulösen. Martin Luther King und John F. Kennedy wurden in diesem Jahr erschossen, die
Polizei griff mit großen Aufgeboten immer härter in Friedensdemonstrationen ein, besonders
brutal in Chicago (Ohio). Das Jahr 1969 bot mit dem Woodstock Open Air im August ein
letztes großes Event für die alten utopischen Ideale, doch mit dem Tod von Janis Joplin, Jimi
Hendrix und Jim Morrison, die alle an einer Überdosis Drogen starben, mit den CharlesManson-Morden und ganz besonders mit den Gewaltexzessen im Dezember beim Altamont
Speedway Open Air, auf dem unter anderem die Rolling Stones spielten, schien es mit Liebe
und Frieden vorbei zu sein.
Die Katastrophe von Altamont kündigte sich bereits vor Beginn mit zwanzig Verkehrsunfällen
und wild parkenden Teilnehmern sowie liegengebliebenen Autowracks an. Außer, dass massenhaft Leute wegen Drogenentzugserscheinungen und Opfern von Schlägereien behandelt
werden mussten, nahmen die Hell's Angels an dem Konzert teil, indem sie sich betrunken mit
den Fans von Anfang an Schlägereien lieferten, Leute von der Bühne warfen und sogar den
Sänger von Jefferson Airplane besinnungslos schlugen. Als die Rolling Stones auftraten,
verschlimmerten sich die Schlägereien zwischen Fans und Hell's Angels noch mehr.
Beim Song 'Sympathy for the Devil' begann dann die eigentliche Katastrophe: Meredith
Hunter, ein Farbiger, wurde von einem Mitglied der Hell's Angels erstochen, nachdem er
einen Revolver gezogen hatte. Zwei Jugendliche starben, als sie in ihren Schlafsäcken
überfahren wurden, ein weiterer ertrank in einem Bewässerungsgraben (Moynihan&Søderlind 21, Wehrli 335-338).
Zu dem ganzen Übel gaben die Beatles 1970 ihre Auflösung bekannt, was sowohl in der
musikalischen Welt als auch bei den Jugendlichen, für deren Generation die Beatles das
Sprachrohr waren, eine weitere Lücke hinterließ. Im Jahre 1960 gegründet wurden sie wie
keine Band im Musikbusiness derart kultisch verehrt, abgesehen von Elvis Presley (Wehrli
315). Es war eindeutig, dass die Zeit für etwas neues gekommen war.
Die Flower-Power-Zeit war gerade für die Jugendlichen eine Zeit, in der sie sich von
christlichen Traditionen zu befreien und nach neuem mystischen und kultischen Ersatz
suchten, der passend für sie schien, besonders aus dem indisch-asiatischen Raum. So kam es,
dass auch die Schriften von Aleister Crowley (*1875, †1947), einem englischer Magier, der
mit Sexualmagie und Tieropfern praktizierte, am Ende der 60er Jahre in großem Stil zum
Thema wurde.
Filmregisseure wie Kenneth Anger ließen sich von seinen Büchern inspirieren sowie auch
Musiker wie die Beatles (auf deren Albumcover zu 'Sgt. Pepper's Lonely Heart Club Band' ist
-15-
Crowley abgebildet) (Farley in Bayer 78), die Rolling Stones und Led Zeppelin. Mick Jagger
von den Rolling Stones und Jimmy Page, der Gitarrist von Led Zeppelin schrieben beide für
Angers 'Invocation of my Demon Brother' und 'Lucifer Rising' den Soundtrack (Moynihan&
Søderlind 21).
Für Jimmy Page, der ein leidenschaftlicher Sammler von Bluesschallplatten war, war Crowley
mehr als nur eine zeitweilige Inspiration: er besaß von ihm eine Sammlung originaler Bücher,
Manuskripte und Artefakte, war finanziell am Equinox-Buchladen beteiligt (der nach dem
Magick-Journal Crowleys benannt ist) und erwarb das Anwesen Boleskine am Loch Ness,
welches Crowley besessen hatte. Unter Pages Besitz hatte das Anwesen einen sehr schlechten
Ruf, da viele seiner Verwalter in die Anstalt kamen oder Selbstmord begingen. Page dementierte Gerüchte, und er bezeichnete, so wie Crowley seinerzeit, Boleskine lediglich als 'alte
Schweinefarm' (Moynihan& Søderlind 22).
In Led Zeppelins Alben sind Spuren von Crowleys Schriften wie von angelsächsischer und
nordisch-heidnischer Folklore; auch J.R.R.Tolkiens Werke dienten als Inspiration.
Weitere Okkultismus-Schlagzeilen machten Led Zeppelin damit, dass sie nach einer
Plattenveröffentlichung eine Party in unterirdischen Höhlen feierte, in Form einer nachgestellten Schwarzen Messe. Robert Plant, deren Sänger, unternahm eine Pilgerreise nach
Clarksdale in Mississippi und klopfte zufällig an irgendwelche Türen, um einen überlebenden
Verwandten von Robert Johnson zu finden (Farley in Bayer 78).
Ein Gerücht besagte, dass Plant auch einen Glaskrug besaß, der Erde von der Wegkreuzung
beinhaltete, an der Robert Johnson seinen Pakt mit dem Teufel schloss. Einen solchen sollen
Led Zeppelin im Jahre 1968 angeblich auch unterschrieben haben; alle bis auf den Bassisten
Paul Jones, der sich weigerte dies zu tun. Als John Bonham, der Schlagzeuger der Band im
Jahre 1980 an seinem eigenen Erbrochenen erstickte, munkelte man ebenfalls, dass dies
wegen Experimenten von Page mit Schwarzer Magie geschehen sei - Gerüchte über Gerüchte,
die von den früheren Mitgliedern von Led Zeppelin vertuscht wurden.
Coven
Um das Jahr 1967, etwa zwei Jahre bevor sich Black Sabbath in Birmingham
zusammenfanden, gründeten Esther "Jinx" Dawson (Gesang), Mike "Oz" Osbourne (Bass)
und Steve Ross (Schlagzeug) in Chicago (Ohio) die Psychedelic-Rock-Band Coven (engl. für
Hexenzirkel). Ihr Debütalbum 'Witchcraft: Destroys Minds & Reaps Souls' von 1969 sorgte
für viel Aufhebens, da es als Zusatztitel zu den Songs eine vertonte dreizehnminütige
Schwarze Messe enthält. Zudem ist auf einer Seite des Klappcovers, auf dessen Front die
-16-
Musiker mit inversen Kruzifixen zu sehen sind, ebenso eine Schwarze Messe als Foto
abgebildet, bei der ein nacktes Mädchen einen lebendigen Altar darstellt. Auf dem Backcover
zeigen Osbourne und Ross die 'Horns', die Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger und kleinem
Finger, verbreitet zu lesen als 'Teufelsgruß' oder 'Teufelszeichen'.
(Coven sind somit die ersten, die das 'Teufelszeichen' in den Zusammenhang mit Musik
bringen. Ronny James Dio gilt bis heute als Erster, der die 'Horns' Ende der 1970er bei einem
Konzert zeigte; was von den Fans adaptiert und bald als Standardgruß von Heavy-MetalBands und -Fans wurde, doch in keinem religiösen Kontext und aus einem völlig anderen
Hintergrund als Coven. In Italien nennt man das Zeichen 'Mano cornuta' (gehörnte Hand), die
Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger und kleinem Finger und dem Handrücken zur Zielperson gerichtet, und ist als Beleidigung zu verstehen Die Banngeste gegen das 'malocchio',
bei dem die Finger von vorne sichtbar sind, bewahrt einen vor dem 'bösen Blick', was Dio als
kleiner Junge seiner italienischen Großmutter abgeschaut und an die Metal-Fans weitergegeben hat (Dunn & McFayden, Christe 363).)
Im Klappcover des 'Witchcraft'-Albums vorhanden ist folgender Text zum Zusatztrack:
"Unseres Wissens ist dies die erste Schwarze Messe, die je vertont wurde. Sie ist so authentisch, wie Hunderte von Stunden der Erforschung jeder bekannten Quelle sie machen
könnten. Wir raten jedem von ihrem Gebrauch ab, der nicht gewissenhaft Schwarze Magie
studiert hat und sich nicht der Risiken und Gefahren bewußt ist."
(zit.n. Moynihan&Søderlind 24)
Coven praktizierten auch bei ihren Auftritten Schwarze Messen. Mike Osbourne berichtet in
einem Interview von 1996:
"[...] Hinter der Bühne hatten wir einen Altar und darauf etwas, was wir christliches Kreuz
nannten; einer unserer Roadies war daran während der ganzen Show als Jesus festgebunden.
Naturgemäß war unsere Bühne mit viel rot beleuchtet, und wir hatten viele Kerzen und
ähnliches. Dann spielten wir das ganze Material des Albums und anderes, das interessante
Geschichten zum Thema Hexenwesen beitrug. Natürlich waren wir alle kostümiert ... am
Ende des Sets spielten wir einen äußerst passenden Procol Harum-Titel namens 'Walpurgis'.
Und mittendrin gingen wir ins 'Ave Maria' über. Zu diesem Punkt sprach Jinx den Segen der
Schwarzen Messe aus und rezitierte in Latein, gefolgt von "Do what thou wilt shall be the
whole of the law", was von Crowley ist ... Sie zitierte also Crowley und grüßte den Satan,
drehte sich um und rief "Hail Satan!" in Richtung des Kreuzes und des Altars, woraufhin der
Typ (Jesus) seine Arme vom Kreuz losriß, herabstieg, das Kreuz zum satanischen Symbol
umdrehte und tanzend von der Bühne abging, während die Musik noch weiterspielte." (zit.n.
-17-
Moynihan&Søderlind 25)
Das Label Covens, Mercury Records, zeigte sich angesichts der satanischen Aufmachung
etwas bestürzt, doch das 'Witchcraft'-Album geriet bald in Vergessenheit, da es, weil Coven in
Verbindung mit den Manson-Morden gebracht wurde, von Mercury Records aus dem Verkehr
genommen und von Händlern boykottiert wurde.
Neben ihrem Aufsehen satanischer Natur landeten Coven Anfang der 1970er mit der Single
'One Tin Soldier (The Legend of Billy Jack)' für Tom Laughlins Film 'Billy Jack' einen
einmaligen Erfolg; der Song blieb zwei Jahre in den Billboard Hot 100 vertreten und erreichte
dort Platz 26. Im Jahre 2007 wurde eine Compilation veröffentlicht, die aus unveröffentlichten Aufnahmen von Coven besteht, mit den Gastmusikern Michael Monarch (ex-Steppenwolf), Glen Gormick (ex-Jethro Tull) und Tommy Bolin (ex-Deep Purple).
Eine Parallele zwischen Coven und der Band Black Sabbath ist sichtbar, aber bisher von
keiner Seite bestätigt: der erste Song auf dem 'Witchcraft'-Album heißt 'Black Sabbath', wie
das Album der gleichnamigen Band mit Ozzy Osbourne von 1970, über welches das Rolling
Stones Magazine ein kurzes Statement abgab: "Englands Antwort auf Coven" (Coven).
Black Sabbath
John 'Ozzy' Osbourne (Gesang), Toni Iommi (E-Gitarre und Songschreiber), Terry 'Geezer'
Butler (E-Bass) und Bill Ward (Schlagzeug), alle in den Jahren 1948 bzw. 1949 geboren und
in den Trümmern des von den Nationalsozialisten stark zerbombten Birmingham aufgewachsen, gründeten im Jahre 1969 die Blues-Band Earth. Alle vier Bandmitglieder kamen aus
Aston, einem Vorort des industriellen Birmingham, wohnten in unmittelbarer Nähe zueinander und kamen ohne Ausnahme aus Familien der Arbeiterklasse (Farley in Bayer 79, Christe
13). Im gleichen Jahr noch benannten sie sich um, nach Mario Bavas Horrorfilm 'Black
Sabbath' mit dem italienischen Originaltitel 'I tre volti della paura' (1963) (Wehrli 359), da
schon eine andere Band mit dem Namen Earth existierte und man Verwirrungen vermeiden
wollte. Toni Iommi wunderte sich nach dem Kinobesuch von Bavas 'Black Sabbath': "Isn't it
strange that people pay money to see scary films? Perhaps we should start writing scary
music." (zit.n. Farley in Bayer 80). Kurz danach schrieb Butler den Song 'Black Sabbath' und
aus Earth wurden kurzerhand ebenfalls Black Sabbath. Musikalisch distanzierten sie sich von
der Gospel- und Soulmusik, die in vielen Clubs gespielt wurde und orientierten sich eher an
Jimi Hendrix, Uriah Heep und Deep Purple, Cream, The Yardbirds und Ten Years After
(Farley in Bayer 80). Außermusikalische Inspirationsquellen hatten die Mitglieder von Black
Sabbath quasi vor der Türe: den grauen Arbeiteralltag in Birminghams Vorort Aston. Iommi
-18-
beschreibt Aston im Interview folgendermaßen: "A shithole, basically, very rough, not a good
area. It got just running down, you know, and I hated it living there first, because my parents
moved there and I was with them, and I think that influenced our music [...]"
(zit.aus Dunn&McFayden).
Mit den Geschehnissen in den USA Ende der 1960er Jahre zusammen und mit einem Faible
für Horrorfilme der 1960er Jahre begann sich das Image der Band aufzubauen. Der typische
Black-Sabbath-Sound kam aufgrund eines Arbeitsunfalls des vormaligen Elektromonteurs
Toni Iommi zustande, nach welchem die zwei mittleren Finger seiner linken Hand verkürzt
waren. Da Iommi Linkshänder war und die Gitarre mit der lädierten Hand anzupfen musste,
stimmte er die Saiten um einen Halbton tiefer und verringerte somit die Saitenspannung und
die daraus resultierende Anstrengung, die Gitarre zu spielen.
Der fahle, vibratolose, hohe Gesang Ozzy Osbournes, die tiefergestimmte Gitarre (& der
tiefergestimmte Bass) und das expressive Spiel Bill Wards' am Schlagzeug bildeten den
einzigartigen Gesamtklang von Black Sabbath, der fast ausnahmslos für alle nachfolgenden
Heavy-Metal-Bands prägend war (was man Interviews der Musiker entnehmen kann, siehe
z.B. Dunn&McFayden).
Der erste Blastbeat¹ wurde übrigens - um eines der populärsten Irrtümer auszuräumen - von
Bill Wards gespielt, live, innerhalb der letzten Minute des Outros von 'War Pigs' (Black
Sabbath: Live in Paris, 20.12.1970), und ist damit keine Neuerung der NWoBHM (wie Cope
irrtümlich angibt, 100) oder gar eine Erfindung des Death Metal, wie es weit verbreitet zu
lesen steht.
Black Sabbath füllten die Lücke, die die 60er-Jahre-Ikonen wie Jimi Hendrix und die Beatles
hinterließen und machten zusätzlich zu ihrem individuellen Sound mit okkult anmutenden
Bühnenshows auf sich aufmerksam und zogen - nicht nur wegen des Bandnamens - kirchliche
und politische Empörung an. Dass alle Bandmitglieder (nicht inverse) Kreuze um den Hals
trugen, die ihnen ein Bekannter "for protection" (Dunn&McFayden) geschenkt hatte, spielte
augenscheinlich keine große Rolle, ebenso mangelte es den Kritikern, was den Bandnamen
angeht, offenbar auch an musikalisch-kultureller Bildung, welche dafür wichtig gewesen
___________________________________________________________________________
¹ Beim Blastbeat werden Bassdrum und Snare abwechselnd in schnellen Sechzehnteln gespielt,
dazu in Achteln jeweils auf den geraden Schlag Ride, Hihat, China oder seltener Crashbecken.
In der heutigen Zeit gibt es viele verschiedene praktizierte Blastbeat-Varianten, welche hier aber
wegen des thematischen Zusammenhangs nicht weiter erläutert werden. Für ein paar Beispiele
zum Blastbeat siehe Cope 95 und 99-101.
-19-
wäre, dass der Begriff 'Black Sabbath' weder als Name für einen Horrorfilm, noch als Bandname, noch als Album- oder Songtitel eine schockierende Neuerung mit okkulten Verbindungen darstellte: im neunzehnten Jahrhundert nannte Hector Berlioz den fünften Satz
seiner 'Sinfonie fantastique' (Larghetto-Allegro) "Songe d'une nuit du Sabbat" - eben
Hexensabbat - den Gedanken ausgesprochen impliziert dies ebenfalls das Absprechen des
Kunstanspruchs für die Band. Black Sabbath provozierten deshalb bewusst:
Der britischen Presse wurde die Band auf einer Party vorgestellt, auf der ein halbnacktes
Mädchen zeremoniell "geopfert" werden sollte (Wehrli 359), das Titelbild des Albums
'Sabbath, Bloody Sabbath' (1973) zeigt, wie schlafende Menschen von Dämonen überfallen
werden und Ozzy Osbourne schrieb in seiner folgenden Solokarriere den Song "Mr Crowley",
eine Hymne für den Sexualmagier.
Obwohl Black Sabbath weder von den Medien noch von der Öffentlichkeit unterstützt
wurden, spielten sie international in vollen Stadien, erhielten für ihren Erfolg in den USA
mehrere Goldene Schallplatten und waren von Gegnern ob ihrer Popularität nicht
kleinzukriegen. Ihr zweites Album 'Paranoid' (1970) gilt weit verbreitet als erstes HeavyMetal-Album überhaupt. Damit wären Black Sabbath ebenfalls die erste Heavy-Metal-Band,
doch das wird in der Literatur (und auch in der Metalszene) nicht genauso gesehen:
Led Zeppelin wird dieser Status ebenfalls vermehrt zugesprochen (Earl in Bayer 36-37,
Weinstein 14-15).
Cope (49) zeigt mittels musikalisch-statistischer Untersuchung der ersten sechs Alben von
Led Zeppelin (1969-1975), dass 53% der Songs dem Rock oder Bluesrock zugehörig sind;
von diesen sind 27% entweder Blues Covers oder stark von Merkmalen aus dem Blues und /
oder Rock'n'Roll geprägt. 26% bleiben übrig, die als echte Rock-Songs betrachtet werden
können. Black Sabbath hingegen schöpfen aus den strukturierten Instrumentalparts des
Progressive Rock (Pink Floyd, Genesis, Gentle Giant; eventuell aus den USA Iron Butterfly,
Blue Cheer, the Grateful Dead, the Mothers of Invention, Mountain) und schauten sich die
langen improvisierten Solos der Band Cream ab, nutzen als Intervalle bevorzugt den Tritonus
sowie die kleine Sekunde. Die von Beginn an um einen Halbton tiefergestimmte Gitarre gibt
dem Klang ein anderes Timbre.
Geezer Butler war der Haupttexter und verantwortlich für die Einführung neuer Themen in
Texten und Bild: antichristliche, nonkonforme, religiöse Bilderwelten und Krieg. Er entfernte
sich von konventionellen Geschlechterängsten und misogynen Themen des Blues und des
Hard Rock. Noch wichtiger war die Zusammenarbeit zwischen Butler und Iommi, hier am
Beispiel des Songs 'Black Sabbath': Butlers Texte zielten darauf, dämonische Angst zu
-20-
erzeugen, die man in Horrorfilmen findet und die bereits im frühen Christentum benutzt
wurde, um die Menschen von den Sünden fernzuhalten. Iommi schrieb dazu für seine Gitarre
ein Tritonus-Ostinato: der Tritonus gilt seit dem Mittelalter als "Teufelsintervall".
Die Kombination von düsteren Texten mit düsterem Sound wurde zum Hauptmerkmal der
Musik Black Sabbaths und findet sich in der Arbeit späterer Heavy-Metal-Bands wie Judas
Priest, Venom, Metallica, Slayer, Immortal uvm. wieder (Cope 33).
In ähnlicher Form, wenn auch nicht so detailliert wie Cope, gibt dies Jerry Ewing (in Johnstone 2) wieder:
"Black Sabbath are looked down, in these days, as the first band. [...] I think, with the name
and just the way history straighted them [Black Sabbath], they become the archetype, as it
were. [...] If you want to look around for something, to pinpoint heavy metal, Sabbath are not
just as good, they brought it better and most [...]"
Hinzu kommt, dass nahezu jede Band aus dem heuer sehr großen Heavy-Metal-Genre mindestens einen Song von Black Sabbath live gespielt haben oder sogar im Studio aufgenommen, was einerseits Tribut an Black Sabbath ist und andererseits die Aussagen der Musiker im
Interview bezüglich Vorbild für alle nachfolgenden Heavy-Metal-Bands deutlich unterstreicht.
Obwohl okkulte und satanische Thematik keine Neuigkeit für die Öffentlichkeit waren und
Bands wie Coven diese exzessiver und ernsthafter nutzten, standen Black Sabbath gerade
allein wegen ihrer Popularität vor allem in den USA im Kreuzfeuer der Kritik. Geezer Butler
zeigte sich darüber verwundert:
'The whole Satanism thing was a big surprise for us when we came to America. The people in
England, they don't care about that sort of stuff; it is hard to shock people in that regard in
England. Of course, if we'd been putting cats and dogs down, then we would have shocked
some English people, but with Satan, you just get laughed at." (zit.n. Farley in Bayer 80)
Butler erzählt außerdem in einem Interview, was es mit ihm und Okkultem auf sich hat:
"Ich war daran wirklich interessiert, denn ich bin katholisch erzogen worden. Als Kind war
ich von Religion besessen. Ich liebte alles, was irgendwie mit Religion und Gott zu tun hatte.
Als Katholik hörst du jede Woche, was der Teufel vollbringt, Satan hier, Satan dort, und du
glaubst dann wirklich daran. Was mein Interesse entfachte, war meine Zeit in London um
1966-67. Dort entwickelte sich eine ganz neue Kultur, und ein Typ verkaufte Zeitschriften
über Schwarze Magie. Ich las darin und dachte "Oh ja, so habe ich es noch nie gesehen" eben Satans Sicht der Dinge. Ich begann mehr und mehr zu lesen; ich las eine Menge Dennis
Wheatley, Bücher über Astralebenen. Ich hatte als Kind viele solcher Erfahrungen, und
endlich fand ich etwas, das sie mir erklären konnte. Das brachte mich dazu, mehr über das
-21-
Ganze zu lesen - Schwarze Magie, Weiße Magie, jede erdenkliche Art von Magie. Ich fand
heraus, daß es den Satanismus noch vor dem Judentum oder dem Christentum gab. Es ist ein
unglaublich interessantes Thema. Ich gelangte irgendwie mehr zur schwarzen Seite und
hängte umgedrehte Kreuze auf. Ich strich mein Appartment schwarz. Ich geriet wirklich tiefer
hinein, und dann begannen lauter schreckliche Dinge zu passieren. Du kommst an einen
Punkt, wo du die Linie überschreitest und dem Pfad folgst und jeden Gedanken an Gott und
Jesus vergißt. "Wirst du das machen? Ja oder nein?" Nein, ich glaube nicht."
(zit.n. Moynihan&Søderlind 23)
Black Sabbath tourten viel in den USA - ihre ersten Konzerte zogen Krawalle von Fans nach
sich, die ihren Ärger während den Auftritten entluden, ein Polizeiwagen wurde angezündet,
eine Kirche brannte (ohne das Zutun der Band) ab, und christliche Gegner waren auf der
Palme ganz obenauf. Nach und nach machten sie sich einen Namen beim US-amerikanischen
Publikum und waren weitestgehend bei Vietnam-Veteranen sehr beliebt, die in ihren
Rollstühlen einen großen Teil der Fangemeinde auf Konzerten ausmachte.
Bill Ward erzählt (in Rodley&Cooper) von einem Konzert in den USA, bei dem ebenfalls
viele Veteranen anwesend waren. Als 'War Pigs' gespielt wurde, erhoben sich diese ergriffen
aus ihren Rollstühlen, da der Song textlich quasi eine raue Anti-Kriegs-Hymne ist und diese
den Veteranen augenscheinlich aus der Seele sprach. Dieses Bild, so Ward, werde er in seinem
Leben nie vergessen.
Mit der Zeit machten der Band Drogenprobleme zu schaffen, die das Bewusstsein der
Musiker veränderte und die Band kurz vor Ende der 1970er Jahre in eine Rezession brachte.
1979 kam für Ozzy Osbourne Ronny James Dio als Sänger in die Band, der das 'Teufelszeichen', so nennen es christliche Gegner, unter die Heavy-Metal-Fans brachte (siehe Coven).
-22-
Die New Wave of British Heavy Metal - NWoBHM
Punk
In der Mitte der 1970er Jahre befand sich Großbritannien in einer Rezession. Die 'ThatcherÄra' kennzeichnete sich durch hohe Arbeitslosigkeit, Inflation und Lebensbedingungen, die
seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr so schlimm waren.
Inmitten dieser Krise kam von der derzeit im Trend liegenden Punk-Bewegung die Philosophie, dass man auch ohne große Investition Erfolge haben kann; in der Musik heißt das
konkret, dass jeder, der ein Instrument besitzt und in Grundzügen beherrscht, auf die Bühne
gehen und spielen oder eine Plattenfirma gründen kann (Christe 42).
Die Musik des Punk Rock beinhaltet zunächst Texte, die im Gegensatz zum Heavy Metal von
Themen handeln, welche im Alltag passieren; größtenteils sind diese in aggressiver Form
sozialkritisch, gesellschaftsablehnend und - typisch für die Punk-Bewegung - anarchistisch.
Die größte und berüchtigste Punk-Rock-Band waren die Sex Pistols, auf die das punktypische
Pogotanzen und das sich-durch-die-Nase-Stechen einer Sicherheitsnadel zurückgeht.
Musikalisch gesehen spielten sie "dreckigen" Rock'n'Roll, sangen aber von Anarchie,
Abtreibung, Gewalt, Faschismus und Gleichgültigkeit (Wehrli 393). Die Öffentlichkeit war
größtenteils entsetzt über den explodierenden aggressiven Punktrend, aber von Seiten der
Heavy-Metal-Musiker an sich wurde der Punk nicht, wie fälschlicherweise behauptet, mit
allgemeiner Ablehnung entgegengetreten und musikalisch eine Gegenbewegung zu ihm
etabliert, ganz im Gegenteil: viele Musiker schätzten gerade die Kraft, das Rebellische, die
Aggressivität und die Brutalität des Punk Rock (Johnstone 4).
Konkrete musikalische Neuerungen in der NWoBHM sind vorrangig an der Erhöhung des
Spieltempos sowie der Melodien und Motive auszumachen: Doppelkickfiguren im
Schlagzeug, 16tel-Gitarrenrhythmen und tollwütige Vocals. Die wichtigsten Bands der
NWoBHM sind Judas Priest, Iron Maiden, Diamond Head, Motörhead und Venom (Cope 96).
Das Do-It-Yourself-Image des Punk sollte Bands mit ebendem helfen, selbst auf die Beine zu
kommen und sich zu etablieren.
-23-
Heavy Metal und Geschlechter
Dem Punk ist es ebenfalls zu verdanken, dass gerade in seiner Hochphase Mitte der 1970er
Jahre in Großbritannien Rockbands mit Musikerinnen auf der Bühne auftraten (was nicht
bedeutet, dass sie vorher nicht die Möglichkeit dazu gehabt hätten, Anm.), frei nach dem
Motto "jeder, der ein Instrument spielen kann, kann auftreten". Girlschool war die erste
Rockband, die ausschließlich aus Frauen bestand und regelmäßig mit Motörhead auf Tour
spielte. Auf der gemeinsam aufgenommenen 'St Valentine's Day Massacre' coverten die
beiden Bands gegenseitig Songs voneinander (Christe 51).
Die Vorbilder der Musikerinnen von Girlschool waren Led Zeppelin, Black Sabbath, Alice
Cooper und auch Glamrocker David Bowie. Girlschool sprachen im Interview davon, dass sie
der Punk und seine "can-do"-Einstellung und den berühmten drei Akkorden zusammen mit
den Erfahrungen in der Rockmusik, die sie mit Motörhead auf Tour machten, sehr geprägt hat
(Johnstone 4).
Blickt man allerdings aus der heutigen Zeit auf den Anteil der Musikerinnen im Heavy Metal,
muss man feststellen, dass man die berühmtesten Metal-Frauen auf der Bühne mit den
Sängerinnen Angela Gossow (Arch Enemy), Doro Pesch (Doro), Sabina Classen (Holy Moses)
und der Bassistin Karin Axelsson (Sonic Syndicate) an einer Hand abzählen kann. Wieviel
Prozent der Heavy-Metal-Fans weltweit weiblich sind, wird man in Zahlen schwerlich genau
sagen können; jedoch ist davon auszugehen, dass sie sich in klarer Minderheit befinden.
Weinstein (104) stellt die These auf, dass Heavy Metal nicht nur männlich, sondern maskulinistisch ist, was nicht mit maskulistisch (dem Gegenteil von feministisch) zu verwechseln ist.
Ersteres meint die Überzeugung, dass bestimmte männliche Eigenschaften naturbedingt
überlegen sind. Weinstein geht auch so weit, die Heavy-Metal-Subkultur als chauvinistisch
und frauenfeindlich zu bezeichnen, was sie an der Reaktion der Männer festmacht, wie die
jeweiligen Frauen gekleidet sind: Frauen in Jeans und schwarzen Bandshirts werden
willkommener geheißen als solche, die nicht so angezogen sind. Frauen in beispielsweise
Miniröcken und mit High Heels werden entweder als Schlampen bezeichnet, die nur mit der
Band Sex haben wollen, oder als anstößig angesehen (105).
Zu letzterem ist aus persönlicher Eigenerfahrung zu sagen, dass es weder eine Seltenheit,
noch etwas besonderes ist, Frauen in Miniröcken und High Heels zu sehen, nicht seitdem die
Gothic-Kultur Anfang der 1990er Jahre in die Heavy-Metal-Szene mit Bands wie Moonspell,
Tiamat, Umbra et Imago u.v.a. Einzug hielt. Mit den Gothic-Rock- und -Metal-Bands kamen
auch mehr weibliche und für Männer aufgrund ihres knappen Outfits attraktiv wirkende Fans
-24-
zur großen Heavy-Metal-Gemeinde hinzu. Eventuell sind Weinsteins Informationen nicht
aktuell, doch das bleibt hier offen. Zudem wage ich die These, dass es Frauen in Miniröcken
und High Heels in der Öffentlichkeit ebenso ergehen kann, dass sie als Schlampen verrufen
oder als unanständig gekleidet böse Blicke auf sich ziehen und dass dies wahrscheinlicher ist,
als wenn sie sich auf ein Heavy-Metal-Konzert begeben.
Weinsteins rein binäre Darstellungsweise scheint andere Möglichkeiten auszuschließen.
Zudem werden Männer und Frauen, was das nächste Manko ist, in eine klischeebehaftete
Schublade gesteckt und es wird augenscheinlich nicht mit dem Gedanken gespielt, dass
verschiedene Männer völlig unterschiedlich auf verschiedene Frauen reagieren könnten, was
die Gesamtargumentation recht banal erscheinen lässt.
Das gleiche Urteil meinerseits in puncto Darstellungsweise gilt auch für die erste These, dass
Frauen ohne heavy-metal-typische Kleidung weniger willkommen sind, wobei ich diese
These im Ansatz als pauschal wahr einstufe, jedoch unabhängig vom Geschlecht. Bandshirts,
Lederkleidung, Nietenschmuck usw. gehören, wie Weinstein feststellt, zum visuellen Kodex
der Szene dazu (29); "verstößt" man gegen diesen, wird man sich der Logik nach mit
Konsequenzen - hier mit weniger Beachtung durch die Heavy-Metal-Fans - zufrieden geben
müssen.
In Dunn&McFayden, sechs Jahre später, drückt sie sich bezogen auf Männlichkeit gemäßigter
aus: "If you want to call it sexist, you could, but you'll be missing something. Masculine in
western culture means freedom and women are always trying to tie them down and
domesticate them, so that's part of the masculinity element."
Drei Jahre darauf (in Bayer 19) spricht Weinstein, bezogen auf "British Heavy Metal" von
kultureller Männlichkeit anstelle von Chauvinismus oder Maskulinismus, welche nicht den
Vergleich mit Frauen beinhaltet.
Die Problematik dieser Darstellungsweise liegt in der Auslassung des Individualitätsgedankens von Männern und Frauen innerhalb der Heavy-Metal-Szene, was Pauschalisierung und
klischeebehaftete Urteile nach sich zieht. Hinzu kommt, dass man zwischen Musiker und Fan
ebenfalls unterscheiden muss, da die Ansprüche ganz andere sind. Unwidersprochen maskulin
bleiben jedoch heavy-metal-typische Figuren wie Monster, Krieger und Darstellungen des
Teufels in Form einer gehörnten Ziege sowie Lederjacken, Nietenschmuck und die phallische
Assoziation bezüglich der E-Gitarre (in Bayer 24-26).
Jedoch stellt sich offen die Frage, ob Farben oder Lautstärke einem Geschlecht zugeordnet
werden können. Lautstärke jedenfalls heißt Schalldruckpegel und ist messbar, und bei
Konzerten bewegt sich dieser zwischen 95 und 110 dB(A), abhängig von der Größe und Art
-25-
des Veranstaltungsortes und von dem Veranstalter im Konsens mit den vorgegebenen gesetzlichen Normen (Möser 154); die Lautstärke variiert nicht mit der Musikrichtung, um noch
einen verbreiteten Irrtum zu korrigieren.
Es besteht aber durchaus die Möglichkeit, dass an kleineren Veranstaltungsplätzen wie Pubs
oder Clubs auf engem Raum eine leistungsstarke Anlage steht, mit der die Musiker die Gäste
mit mehr als 110dB zudröhnen.
Die These der kulturellen Männlichkeit trifft am ehesten auf den Heavy Metal generell zu.
Frauen wurden im Heavy Metal seit Beginn nie aus der Heavy-Metal-Szene ausgegrenzt; das
entspricht nicht der Mentalität des Heavy Metal als Zufluchtsort für die Arbeiterklasse,
desillusionierte Jugendliche und versehrte amerikanische Vietnam-Veteranen. Ab 1970 bis zur
NWoBHM ist der Heavy Metal in Großbritannien eine Bewegung der arbeitenden
Unterschicht gewesen, die bei Konzerten dem grauen und unbedeutenden Alltag entflohen
und den angestauten Frust durch Headbanging "von sich abzuschüttelten".
Frauen waren meistens nur als Begleitung von Fans und Musikern da, was sich mit dem Punk
änderte (s.o.). Als Metal-Musikerin muss man sich, wie die männlichen Kollegen auch, durchbeißen und Stärke zeigen können, und zusätzlich Vorurteilen stellen. Heute noch existiert der
weit verbreitete Spruch unter männlichen Heavy-Metal-Fans, dass Frauen "nicht rocken
können" (Nolteernsting 85); dies reduziert sich jedoch auf die persönliche (undifferenzierte)
Meinung und auf den Geschmack des Einzelnen, aber oft lassen es Bands mit Frontfrauen
(beispielsweise Lacuna Coil, Nightwish, Doro) im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen
aus gleichen oder ähnlichen Subgenres oft an musikalischer Härte fehlen, was einerseits - wie
im Klischee - mehr weibliche Fans in die Szene holt, sich andererseits aber die männlichen
Fans eher den härteren Artgenossen des gleichen Geschlechts widmen. Angela Gossow als
Frontfrau von Arch Enemy stellt eine Ausnahme dar: ihre 'growls' (Grunzen) klingen derart
durchdringend, dass man als Mann vor ihr sprichwörtlich Angst bekommen kann.
Doro Pesch und Angela Gossow belegen in Interviews, dass sie Stärke zeigen müssen (Dunn
& McFayden), dies gilt auch für selbstbewusstes Ignorieren sexistischer Sprüche, die sie auf
der Bühne von Einzelnen entgegengebracht bekommen.
Den Heavy Metal dafür generell als maskulinistisch und seine männlichen Fans als Sexisten
bzw. Chauvinisten abzukanzeln, liegt der Wahrheit, wie man sehen kann, nicht nahe. Weitere
Punkte für die Betrachtung der Rollen zwischen Mann und Frau hängen zudem von dem jeweiligen Land ab, in welchem man sich befindet, von dessen allgemeiner Mentalität und von
der Umgebung des Individuums; Israelische Metal-Fans verhalten sich anders als britische,
-26-
und diese anders als brasilianische, usw. Da der Heavy Metal internationalen Bestand hat und
sich die Heavy-Metal-Fans und -Musiker auch im öffentlichen Leben bewegen, was sie als
Person ebenfalls beeinflusst, muss dieser Punkt ebenfalls ins Auge gefasst werden, was
einigen Aufwand verursachen dürfte.
Fest steht, dass im Heavy Metal Männer wie Frauen Stärke zeigen müssen, unabhängig vom
Geschlecht und dass dies den Männern augenscheinlich leichter fällt, weil sie das Genre
dominieren und an gewünschter Härte für die sich in Überzahl befindenenden männlichen
Hörer mehr liefern können, mit Ausnahmen: softe Männer existieren wie auch harte Frauen,
sowohl in der Heavy-Metal-Szene als auch in der Öffentlichkeit.
Heavy-Metal-Musikerinnen ziehen als Vorbild mehr weibliche Fans an, aber nicht ausschließlich. Würde es keine Männer im Heavy Metal geben, die "softeren" Metal wie den von
Nightwish beispielsweise hören würden, müssten sich diese Bands finanziell Sorgen machen,
was nicht der Fall ist, betrachtet man deren jahrelange Existenzen.
DJ Neil Kay und der 'Bandwagon'
Paul DiAnno (Sänger von Iron Maiden von1978-81) berichtet (in Johnstone 1) von der trüben
Lage für Jugendliche in London. Man konnte in eine Gang eintreten, Fußball spielen, boxen,
oder in einer Band spielen. Lemmy Kilmister (Sänger, Bassist und Gründer von Motörhead)
erzählt von seiner Jugend, dass man sich allabendlich um die Telefonzelle versammelte, da
diese die einzige Lichtquelle im Dorf war und man sich dort schmutzige Geschichten erzählte
(Dunn&McFayden).
Während Led Zeppelin und Black Sabbath Tourneen im restlichen Europa und in den USA
hatten und in Stadien vor mehreren 10.000 Menschen spielten, mangelte es an Auftrittsmöglichkeiten für die jüngeren Bands in Großbritannien, bis auf wenige Pubs, in denen man als
Band mit Chart- und Coverbands auftreten konnte.
Um 1977 wurde Neil Kay, der zu dieser Zeit Möbel für eine Londoner Firma lieferte und
seinem Job als Rock-DJ nicht mehr nachging, von einem seiner Arbeitskollegen zu einer
Rocknacht in das 'Bandwagon Soundhouse' eingeladen, einen Musikclub in London, in dem
auch Bands live auftraten. Dort war Kay zuerst verblüfft von der riesigen Sound-Anlage, die
dort stand. Nach einiger Zeit im Club wurde eine Ansage gemacht, dass jeder, der sich als DJ
versuchen möchte, auf die Bühne kommen darf, woraufhin Kay das Angebot wahr nahm, den
Job bekam und ein Mal in der Woche seiner ehemals aufgegebenen Arbeit als DJ nachging.
Durch einen für ihn glücklichen Zufall ergab sich später, dass er sechs statt nur einen Tag
arbeiten durfte: im Bandwagon gab es auch Soul Nights, in denen Jugendliche merklich
-27-
zuviel Alkohol tranken und deren Veranstalter den Bandwagon wegen gesetzlichen
Unstimmigkeiten verlassen musste.
Im Grunde genommen war der Bandwagon trotz der großen Sound-Anlage nicht mehr als ein
großes Hinterzimmer eines Pubs, in dem Neil Kay Musik auflegte und für die Band-Beschallung sorgte. Mit der Zeit traten unter DJ Neil Kay auch bekanntere Bands wie Ted Nugent auf,
Rock- und Heavy-Metal-Fans hatten jetzt einen festen Ort, zu dem sie regelmäßig hingehen
konnten und DJ Neil Kay bildete den Vermittler zwischen Bands und Fans, der beide im
Bandwagon vereinte.
Im Jahre 1977 verlor der Punk langsam an Status, die Sex Pistols lösten sich als größte PunkBand auf; dafür kamen mehrere neue Hard-Rock- und Heavy-Metal-Bands in Großbritannien
ans Tageslicht, unter ihnen Def Leppard und Tygers of Pan Tang.
1978, im selben Jahr als Judas Priests Album 'Stained Class' in die Top 30 der UK-Charts
aufgenommen wurde und Motörhead bei Top of the Pops spielten, schrieb DJ Neil Kay, der
mehr und mehr Demokassetten von Bands zugeschickt bekam, einen Brief an den Journalisten
Geoff Barton mit folgendem Text:
"Geoff, I have got a serious music house here.The Bandwagon heavy metal sound house is a
heavy metal discotheque with a serious, non-discotheque sound system that will blow you or
your allies in your office from here across the channel to France. It is populated by the greatest bunch of loonies you've ever seen. Please come down and give them your time. They are
more than worthy of it." (zit. aus Johnstone 6)
Barton zeigte sich zögerlich und brauchte eine lange Zeit, bis er sich zu einem Besuch überwand, aus welchem er dann als Resultat eine Doppelseite über das Bandwagon Soundhouse
im Musikmagazin 'Sounds' herausbrachte. Nach dem Erscheinen des Bandwagon in der
Musikpresse wuchs die Anzahl der Besucher mehr und mehr, viele junge Bands begannen,
ihre Demokassetten an Neil Kay und Geoff Barton zu versenden, die sich regelmäßig über das
erhaltene Material austauschten.
1978 erschien auch Steve Harris, der Bassist der noch unbekannten Band Iron Maiden bei
Neil Kay, um ihm bei einer seiner Veranstaltungen im Bandwagon eine Demokassette in die
Hand zu drücken und um eine Chance zu bitten (Johnstone 6). Neil Kay hielt große Stücke
auf die junge Band, Erfolge blieben nicht aus:
1979 nahmen Iron Maiden ihre erste Demo-LP im Studio auf, die sie "The Soundhouse EP"
nannten. Noch im gleichen Jahr nahm sie das Majorlabel EMI unter Vertrag, und Iron Maiden
spielten ihr Debüt bei der Radio One Rock Show.
Um diese Zeit brachte Geoff Barton im 'Music Machine Magazine' einen Artikel über die
-28-
Bands Iron Maiden, Angel Witch und Samson heraus, in dessen Standfirst (journ. für einführenden Absatz oder Abschnitt, Anm.) der Begriff "New Wave of British Heavy Metal" zum
ersten Mal zu lesen war. Tatsächlich war es nicht Barton selbst, sondern der Subeditor Alan
Lewis vom 'Sounds'-Magazin, der Barton auf die Verwendung dieses Begriffs brachte.
Im gleichen Jahr passierte der kommerzielle Durchbruch: Motörhead veröffentlichten zwei
Top-30-Alben, Judas Priest kam mit der Single 'Take On The World' in die Top 20, und die
australischen Hardrocker AC/DC schafften es mit 'Highway to Hell' sogar in die Top 10.
Trotz des Desinteresses der Musikpresse begannen Hard Rock und Heavy Metal, den
Mainstream zu infiltrieren.
1980 kam die Single 'Running Free' von Iron Maiden auf Platz 34 der UK-Charts; die Band
selbst spielte bei Top of the Pops widerwillig Playback im Fernsehen. Im gleichen Jahr meldete sich das Label EMI bei Neil Kay, bei dem Iron Maiden unter Vertrag waren, mit der Idee,
einen Sampler herauszubringen, auf dem die besten Bands des Bandwagon Soundhouse
vertreten sein sollen, sozusagen als Schnappschuss der Szene. Das Ergebnis war 'Metal for
Muthas' mit unter anderem zwei Tracks von Iron Maiden und mehreren Bands der NWoBHM,
die noch bei keinem Label unter Vertrag waren.
Ohne Kays und Bartons Engagement und ohne die Do-It-Yourself-Mentalität des Punk, mit
denen sich die jungen Bands der NWoBHM durchbissen, selbst Geld zusammensparten, um
in günstigen Studios mit 8-Spur-Bandmaschinen Aufnahmen zu machen und diese dann als
Demo in Form der gepressten LP oder als Kopie auf MC für Bewerbungen zu nutzen.
Auf diese Art schafften viele Bands wie auch Saxon den Sprung, um von ihrer Musik letztendlich leben zu können. Der Bandwagon war zum Sprungbrett für emporkommende Bands
geworden und Kay und Barton waren mit großem Eifer bei der Sache.
Judas Priest
Eigentlich sind Judas Priest Zeitgenossen mit Black Sabbath, doch früher als in der Mitte der
1970er Jahre etablierten sie sich nicht. Der Name der Band entspringt Bob Dylans Song 'The
Ballad of Frankie Lee and Judas Priest', nicht wie oft fälschlicherweise angenommen und
doch naheliegend aus christlichen Gefilden (Wehrli 366).
Judas Priest gründeten sich als Duo 1969 und wurden erst zwei Jahre später zu dem berüchtigten Quintett mit Frontmann und Sänger Rob Halford, von dem man es gewohnt war, dass er
mit einer Harley Davidson auf die Bühne bretterte. Die Musiker der Band trugen bei ihren
Auftritten mit Nieten bestückte Lederkluft, was den Anschein weckt, dass sie diese eher von
den Insignien des Sadomaso als von für das Motorradfahren übliche Lederjacken abgeschaut
-29-
hatten (Weinstein in Bayer 27). Ihre Outfits, die verglichen mit Black Sabbath - streng metronomische Musik mit den virtuosen Glenn Tipton und K.K.Downing an den Gitarren und die
theatralische Stimme Rob Halfords strotzten geradezu vor Männlichkeit; Frauen bekamen
allenfalls Gastauftritte in Videoclips. Diese Aufmachung, besonders die nietenbesetzte
Lederkluft, sollte Pioniersarbeit von Judas Priest für Bands aus nach der NWoBHM folgenden Metal-Stilen werden; daran änderte auch Halfords Bekenntnis 1997 zur Homosexualität
nichts (Wehrli 366, Christe 32).
Cope dementiert die allgemeingültige Motorrad- und Lederaufmachung: er beschreibt Judas
Priest bei einem von ihm besuchten Live-Auftritt 1976 als "a well respected hard rock band at
that time with no sign of the leather image that was to come; rather, they were dressed
according to the norms of mid-1970s rock culture, that is, jeans, flares, velvets, platforms, full
sleeves, tassels, and so on." (zit. aus Cope 109)
Iron Maiden
Ende 1975 (Johnstone 3), 1976 (Cope 118) oder 1977 (Wehrli 411) gründete der Bassist Steve
Harris in Leyton im Osten Londons die Band Iron Maiden. Die "Eiserne Jungfrau" bezeichnet
ein mittelalterliches Folter- und Hinrichtungsinstrument, einen metallenen Sarkophag und
einem Deckel mit spitzen Dornen, welche sich beim Zuklappen in die oder den Gefolterten
hineinbohrten. "Iron Lady" wurde allerdings Margaret Thatcher genannt; den Spitznamen
erhielt sie 1976 aus Moskau, als Reaktion auf scharfe Kritik an der Sowjetunion.
Iron Maiden gelten seit 1980 als Aushängeschild der NWoBHM, ihre Texte handeln von
apokalyptischen Schlachten zwischen Gut und Böse, teuflischen Terror und kosmische
Katastrophen (Wehrli 411), aber auch von radikaler Kritik am Krieg ('The Trooper'), von der
Schilderung des nuklearen Holocaust ('2 Minutes to Midnight') oder vom Völkermord an den
Indianern Nordamerikas ('Run to the Hills') (418). Ihr bekanntester Song vom gleichnamigen
Album ist 'The Number of the Beast' von 1982 und ebenfalls der am meisten in religiöse
Kritik geratene: es wurde außer den üblichen plumpen Satanismusvorwürfen das Gerücht
verbreitet, dass die Elektronik bei den Aufnahmen für dieses Album kaputt ging und für
£666,66 repariert werden musste (415).
Einzigartig und noch nicht dagewesen war die Einführung des Maskottchens "Eddie", einer
dämonisch anmutenden Mumie, die viele Albumcover Iron Maidens ziert und in einer
mehrere Meter großen Robotervariante bei Bühnenshows für zusätzliche visuelle Unterhaltung sorgte. Entworfen wurde "Eddie" von den Zeichnern Derek Riggs und Melvyn Grant.
Mit "Eddie" hatte der Heavy Metal jetzt auch eine Figur und einen versinnbildlichten
-30-
Repräsentanten: fratzenhaft, dämonisch, untot, welcher aber trotzdem von Iron Maiden als gut
und das Böse bekämpfend dargestellt wird (siehe Albumcover 'Run to the Hills': Eddie schlägt
mit einem Tomahawk auf einen Dämon ein).
Motörhead
Eine Ausnahmeformation bildet das Trio um Motörhead, das ebenfalls unter den Begriff
NWoBHM fällt und dieses Subgenre um ein weiteres ob seiner Diversität kennzeichnet. Der
Sänger und Bassist, Ian "Lemmy" Kilmister, ist für seine Äußerung bekannt, Motörhead nicht
als Heavy Metal zu bezeichnen, er verachtet diesen Begriff sogar (Johnstone 2). Wenn er
Motörhead auf der Bühne ankündigt, sagt er jedes Mal "We're Motörhead, and we play
Rock'n'Roll!" Er selbst wurde am 24.12.1945 in Stoke-on-Trent geboren, kam also aus der
gleichen Generation wie die Musiker von Black Sabbath, doch Motörhead wurden erst 1975
gegründet und ab dann konnten sich Lemmys Ansichten von Rock'n'Roll innerhalb der Band
verwirklichen. Lemmy war maßgeblich für den Sound der Band, der sich erst nach ihrem
Debütalbum mit 'Ace of Spades' (engl. für Pik-Ass) 1979 und 'Overkill' (1980) deutlich
zeigte: extreme Tempi und Rhythmen, extrem aggressiv in Sachen Performance,
Doppelkickfiguren, frühe Formen des Blastbeats, sehr schnelle 16tel-Riffs auf der Gitarre.
Wenn Black Sabbath im Tempo allgemein gemächlichere Vorstellungen hatten, sind
Motörhead innerhalb des Heavy Metal dieser Zeit mehr oder minder ein völliger Kontrast.
Äußere Umstände haben sicherlich auch bei Motörhead als nichtmusikalische Elemente
Einzug in ihre Musik gehalten. Dazu kann man sich die Jugendzeit von Lemmy Kilmister vor
Augen führen:
als er geboren wurde, wurden er und seine Mutter von seinem Vater, der bei der Royal Air
Force arbeitete, verlassen Die Schule, auf die er in den 1950er Jahren ging, war allgemein für
schwierige Kinder, Gewalt und Verbrechen bekannt. In dieser Zeit heiratete seine Mutter zum
zweiten Mal, dieses Mal einen professionellen Fußballer, und zogen von dem tristen Ort, in
dem Lemmy seine Kindheit verbrachte nach Wales, auf die Isle of Anglesey, wo er übrigens
seinen Spitznamen "Lemmy" erhielt (Cope 98).
Trotz besserer Umgebung blieb sein Verhalten in der Schule höchst problematisch und von
Aggression gekennzeichnet; dies ging sogar so weit, dass er mehrere Male Dynamit stahl, um
damit Teile der Küste in die Luft zu sprengen.
Dies spiegelt sich als Inspiration, sehr realitätsnahe, in Motörheads Musik wieder, und von
1979 bis heute haben sie ihren Stil nicht geändert. Die Band wird unter Heavy-Metal-Fans als
"immer gleich klingend" betrachtet, was schon sehr nahe an Wahrheit und Wirklichkeit liegt.
-31-
Diese Konsequenz verhalf Motörhead zu einem Ausnahmestatus sowohl innerhalb der
NWoBHM als auch in der heutigen Heavy-Metal-Szene, da sich ausnahmslos alle Bands bis
zur NWoBHM im Stil weiterentwickelten; besonders auffällig ist das in Bands, die den
Sänger wechselten (z.B. kam 1979 zu Black Sabbath nach Ozzy Osbournes Austritt Ronny
James Dio, Bruce Dickinson ersetzte um 1981 bei Iron Maiden Paul DiAnno).
Lemmy war, außer ein hartes Stück Arbeit für sein schulisches Umfeld, Roadie bei der Jimi
Hendrix Experience und Mitglied der Spacerocker Hawkwind. Sein Charisma und seine
Schlagfertigkeit kennzeichneten ihn als einzigartig, genau wie sein Outfit, bestehend aus
Patronengürteln, Lederjacke, Cowboyhemd, von vielen Fans imitiert wird (Christe 41-42).
Noch eine Besonderheit bei Motörhead ist Lemmys einzigartige rauchige Stimme, die er
größtenteils melodisch zum Ausdruck bringt, aber auch in Form von Grunzen oder Brüllen,
und dies zu der grimmig-aggressiven Instrumentalmusik Motörheads.
Das konsequente Beibehalten ihres Stils ist kein Indikator für etwaige altmodische Ansichten
oder etwa für Entwicklungsstagnation: Motörhead traten regeläßig mit der Rock-Band
Girlschool auf, die (s.o.) nur aus Muikerinnen bestand. Lemmys für die Zeit und für die
Umgebung durchaus moderne Philosophie zeigte deutlich, dass er Frauen als Rockmusiker
sehr respektierte, insbesondere die von Girlschool: " ... I liked the idea of girls being in a
band ... I wanted to stick it up those pompous bastard guitarists' asses because Girlschool
guitarist, Kelly Johnson, was as good as any guitarist I've ever seen in my life. The nights she
was really on, she was as good as Jeff Beck." (zit.n. Cope 99).
Dies deckt sich mit seiner Aussage in Dunn&McFayden, wo er scherzhaft und etwas resigniert hinzufügt: "[...] and they [Girlschool] can drink you under the table. [...]"
Lemmy unterstützte neben Girlschool auch weniger bekannte weibliche Rockbands wie
Speed Queen, Skew Sistin and the Plasmatics, spricht von ihnen respektvoll als sehr
musikalisch und sehr begabt in Sachen Performance und stellt sie in vielerlei Hinsicht auf die
Stufe seiner eigenen Band.
Motörheads schnelles und aggressives Spiel, gerade in Hinsicht auf Schlagzeug und die
Doppelkick-Figuren sowie die Rock-Backbeats in raschem Tempo ließen die rebellischaggressive Musik des Punk Rock alt aussehen und waren Vorbild für das Schlagzeugspiel
vieler Thrash-Metal-Bands Anfang der 1980er in den USA, z.B. Slayer.
-32-
Venom
Die extremste Band der NWoBHM wurde 1979 von Conrad Lant, Jeff Dunn und Tony Bray
in Newcastle upon Tyne gegründet. Die Musiker gaben sich als Künstlernamen "Cronos"
(Lant), "Mantas" (Dunn) und "Abaddon" (Bray), hatten auf ihren Albumcovern Bocksfratzen
und inverse Kreuze abgebildet, sie wandelten in ihren Texten den biblischen Satanismus von
Black Sabbath in heroische Satansverehrung um (Cope 104) und putschten ihre Live-Shows,
die sie erst ab 1984 hatten, mit Lichtorgien, Pyromanie, Luftalarmsirenen, Kirchenglocken
und Grunzen aus Lautsprechern auf (Wehrli 452). Ihre tiefergestimmten zermahlenden
Gitarrenriffs und der bellende Gesang wurde mit rapidem Tempo zu einer stärkeren
Aggression in der Musik als die vorher beschriebene von Motörhead; ihr Sound zusammen
mit dem großspurig satanischen Image machten Venom zum Gründer des satanischen Thrash
Metal sowie zum Vorreiter des Black Metal, der nach ihrem zweiten gleichnamigen Album
(1982) benannt ist. Zu ihren musikalischen Einflüssen sagte Abaddon im Interview:
"Ich war um die neunzehn. Wir standen alle auf das ältere Zeug - Judas Priest, Deep Purple,
Motörhead, Black Sabbath. Mantas war immer ein riesiger KISS-Fan. Wir ließen uns von
diesen Bands inspirieren. Wir nahmen etwas von den diabolischen Inhalten von Black
Sabbath, mischten das mit der Bühnenpräsenz von KISS und mit der Originalität von Deep
Purple. Und so kamen wir zu Venom. Venom sollte niemals eine schwärzere Version von Iron
Maiden sein oder so; wir schauten wirklich in die Richtung der älteren Bands und überlegten,
was wir von diesen Bands nacheifern wollten." (zit.n. Moynihan&Søderlind 28)
Der Satanismus, den Venom thematisieren, wird als 'Kultursatanismus' bezeichnet, da er als
Mittel des Protests oder zur Erhöhung der öffentlichen Interesses benutzt wird (Fromm 163).
Für die Musikmedien stellte sich jedoch keine Frage, dass Venom nicht ernstzunehmen waren:
auf dem Album 'At War with Satan' (1984) war der Song 'Aaaaaarrghh', eine Eigenpersiflage,
und die Musiker gaben ebenfalls das Statement ab, dass es sich bei ihrem zur Schau getragenen Satanismus lediglich um Unterhaltung handele (Wehrli 451).
Den Ruf als echte Untergrund-Band haben sie sich dadurch verdient, dass sie sich stets
weigerten, bei großen Labels unter Vertrag zu gehen. Lant arbeitete bei dem IndependentLabel 'Neat Records' und besorgte der Band die notwendigen Kontakte, um Studioaufnahmen
machen zu können.
Anfang der 1980er Jahre entfernten sich die Szenen des Punk und der NWoBHM immer mehr
voneinander. Venom sprachen mit ihrer direkten Blasphemie viele Jugendliche an, die vom
christlichen Umfeld um sie herum nichts wissen wollten, und der Band war es egal, wer im
-33-
Publikum stand, wie Abaddon erklärt:
"Wir spielten vor Skinheads, Punks und Mattenträgern - vor allen. Während ein Typ mit
langen Haaren nicht zu einem Punk-Konzert gehen konnte, war es auf einmal für jeden cool,
zu einem Venom-Gig zu gehen. Deshalb wuchs das Publikum so schnell und wurde zu einer
starken Fangemeinde; sie standen immer mit religiöser Anhänglichkeit hinter Venom, und
daran hat sich nichts geändert." (zit.n. Moynihan&Søderlind 29)
Tatsächlich verkauften sich auch die Alben 'Welcome to Hell' (1981), 'Black Metal' (1982)
und 'At War with Satan' (1983) mit der Zeit hunderttausendfach und bescherten der Band,
wenn auch nicht in kommerziell erfolgreicher Form, großen Erfolg.
Fazit
Man kommt nicht um die Äußerlichkeiten herum, will man von Heavy Metal sprechen.
Die seit dem Blues erhobenen Vorwürfe von Gegnern aus der Öffentlichkeit und besonders
aus kirchlichen Einrichtungen mehr oder weniger fundamentalistischer Art bezüglich
Okkultismus, Satanismus und Teufelsmusik ziehen sich wie ein roter Faden durch die
verschiedenen Rock-Stile bis zum Heavy Metal der heutigen Zeit.
Ginge man in die Zeit zurück, als Instrumentalmusik generell "des Teufels" war und die
menschliche Stimme allein Gott gefällig sein konnte und hätte aus den Fehlschlüssen der
damals noch mächtigen und einflussreichen Kirche gelernt, dann wäre es zu dem Großmaß an
haltloser Kritik nicht gekommen, wie sie gegen den Heavy Metal formuliert wurde.
Ein Teil des immer noch währenden Erfolgs der Heavy-Metal-Musik liegt allerdings in dem
permanenten Beschuss durch christliche Fundamentalisten und um das Allgemeinwohl
besorgte Politiker und, so paradox das klingen mag, diese Gegner halfen bei der Entwicklung
des von ihnen gewählten Feindes mit, indem sie ihn bekämpften. Seit 1970 gab es vierzig
Jahre lang immer wieder Zensur von Bands und deren Alben, öffentliche Diffamierung und
Polemik als Resultat nichtwissenschaftlichen Reflektierens und Hetzschriften anstelle von
akademischem Diskurs. Die Schlagzeilen allein weckten schon die nötige Aufmerksamkeit in
der Bevölkerung, um Zustimmung, Ablehnung oder Gleichgültigkeit als Resultat zu ernten.
Das wichtigste hierbei war, dass das kontroverse Objekt 'Heavy Metal' im Gespräch blieb, um
Neugierige als potentielle Fans anzuwerben; auf diese Art konnte der Heavy Metal seine
Existenz als permanenter Außenseiter in der populären Musik des 20. / 21. Jahrhunderts
erhalten.
-34-
Mit dem Blues der afroamerikanischen Sklaven wurde der Grundstein für die Musik der
Unterdrückten gelegt, die tagtäglich unter der harten Arbeit zu leiden hatten. Die arbeitende
Unterschicht suchte eine Möglichkeit, mit ihrer aus naheliegenden Vorbildern generierten
Musik die Möglichkeit zu bekommen, dem grauen Alltag wenigstens für eine kurze Zeit
innerhalb des Tages zu entfliehen und eine musikalische Welt generieren, in der man
gemeinsam mit anderen, die ein ähnliches Leben zu führen haben, bedeutsam werden konnte.
Diesen Gedanken weiterführend ist der Heavy Metal eine über den Bluesrock weiterentwickelte musikalische Form, die seit der Sklaverei in den USA ihren Anfang fand.
Betrachtet man die Umstände, mit denen die Flower-Power-Bewegung ihr jähes Ende fand, so
stellt man weiterhin fest, dass der Heavy Metal keine Gegenreaktion auf die Hippie-Generation darstellt; es war viel mehr die schiere vielseitige Gewalt in der Öffentlichkeit, die die
naiven Idealvorstellungen von Liebe und Frieden ziemlich ernüchternd zunichte machte.
Black Sabbath als Archetyp des Heavy Metal machten den Verlust wieder wett, indem sie bewusst die Seiten des Lebens in ihr Image und in die Musik aufnahmen, vor denen man im
Regelfall Angst haben sollte: Okkultistisches, Satanisches, von Horrorfilmen inspiriertes
thematisches Material, das gerade die negativen Seiten in den Vordergrund stellte, denen man
sich sonst zu entfliehen gedachte.
Die Entstehung des Heavy Metal erfolgte ab 1969 über einen Zeitraum von knapp zehn
Jahren, mit Black Sabbath als Archetyp und Vorbild für alle nachfolgenden Bands. Deren
düsteres Image kombiniert mit der einzigartigen Musik, die auf Image und Texte
zugeschnitten war, stellte die Regen für alle nachfolgenden Heavy-Metal-Bands auf.
Die New Wave of British Heavy Metal ist die Entwicklung und Weiterführung des Gedankens
von Black Sabbath mit Einfluss des Punk Rock und seiner rebellisch-aggressiven Attitüde.
DJ Neil Kay ermöglichte der jungen Heavy-Metal-Szene mit seinem unermüdlichen
Engagement im 'Bandwagon', Bands und Fans zusammenzuführen und ihnen ein Fundament
an Möglichkeiten zur Weiterentwicklung zu sichern. Kays Kontakt zu Geoff Barton, dem
Journalisten des 'Sounds-Magazine' sowie Bartons Hilfe und journalistische Arbeit legten den
Grundstein für den Heavy Metal, seine jungen Bands und die Fans, von welchem sie sich
weiterentwickeln konnten und brachten ihn als gereifte Szene an die Öffentlichkeit.
Die Bands der NWoBHM setzten musikalische Fundamente, indem sie den Stil von Black
Sabbath als Inspiration nahmen und unter dem Einfluss des Punk weiterentwickelten: das
schnelle Spiel auf der Bass Drum, frühe Formen des Blastbeats, virtuosere Riffs auf der
Gitarre, aggressiverer Gesang; das alles sollte später im Thrash Metal mit Bands wie Exodus,
Metallica und Megadeth übernommen und umgeformt werden.
-35-
Das übertrieben satanische Image Venoms und vor allem ihr Album 'Black Metal' dient als
Grundlage für die späteren Black-Metal-Bands, die in den 1980er Jahren in Norwegen
gegründet werden. Iron Maiden sind Vorbild und Wegbereiter für Power-Metal-Bands wie
Hammerfall und Blind Guardian, und Judas Priest setzten in puncto Outfit Maßstäbe für die
Subgenres Thrash, Death und Black Metal - die erste Entwicklungsstufe des Heavy Metal ist
mit der New Wave of British Heavy Metal erreicht worden.
-36-
QUELLEN
Literatur:
Bäumer, Ulrich: 'Wir wollen nur deine Seele. Rockszene und Okkultismus: Daten - Fakten Hintergründe'. Bielefeld: CLV Christliche Literatur-Verbreitung e.V., 1984
Bañol, Fernando Salazar: 'Die okkulte Seite des Rock'. München, Hirthammer-Verlag, 1993
Bayer, Gerd (editor); Bardine, Bryan A.; Campbell, Iain; Dee, Liam; Earl, Benjamin; Farley,
Helen; Moore, Ryan M.; Nilsson, Magnus; Taylor, Laura Wiebe; Weinstein, Deena
(Contributors): 'Heavy Metal Music in Britain'. Farnham, Ashgate Popular and Folk
Music Series, 2009
Christe, Ian: 'Höllen-Lärm: Die komplette, schonungslose, einzigartige Geschichte des
Heavy Metal.' Höfen, Verlagsgruppe Koch GmbH/Hannibal, 2004
Cope, Andrew L.: 'Black Sabbath and the Rise of Heavy Metal Music'. Farnham, Ashgate
Popular Music and Folk Music Series, 2010
Fletcher, Neville H. & Rossing, Thomas D.: 'The Physics of Musical Instruments'.
Second Edition, New York, Springer Science+Business Media, 1998
Fromm, Rainer: 'Satanismus in Deutschland. Zwischen Kult und Gewalt'.
München, Olzog 2003
Möser, Michael: 'Messtechnik der Akustik'. Berlin, Auflage 1, Springer 2010
Moynihan, Michael; Søderlind, Didrik: 'Lords of Chaos. Satanischer Metal: Der blutige
Aufstieg aus dem Untergrund'. Zeltingen-Rachtig, 7. Auflage, ProMedia, 2005
Nolteernsting, Elke: 'Heavy Metal: Die Suche nach der Bestie'.Berlin, Originalausgabe,
Verlag Thomas Tilsner, 2002
-37-
Rebellius, Heinz (Hrsg.);Day, Paul; Waldenmaier, André:
'E-Gitarren - Alles über Konstruktion und Historie'. München, 2. Aufl., GC Carstensen, 2007
Der Spiegel: 'Rock und Heavy Metal gegen Borkenkäfer'. Magazin 10/2010
Walser, Robert: 'Running With The Devil - Power, Gender and Madness in Heavy Metal
Music'.Hanover (NH), Wesleyan University Press, 1993
Wehrli, Reto: 'Verteufelter Heavy Metal. Skandale und Zensur in der neueren
Musikgeschichte'. Münster, Erweiterte Neuausgabe, Telos, 2005
Weinstein, Deena: 'Heavy Metal. The Music and its Culture'.
New York, Revised Edition, Da Capo Press, 2000
Filmisches Quellmaterial:
Black Sabbath: Live in Paris, 20.12.1970
Dunn, Sam & McFayden, Scott (dirs.): 'Metal: A Headbanger's Journey. Warner 2006
Johnstone, Rob (prod.): 'Iron Maiden and the New Wave of British Heavy Metal'.
Chrome Dreams Media Ltd. 2008
NDR-Aktuell 05.08.2010: 'Wacken im Ausnahmezustand'
http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/ndr_aktuell/media/ndraktuell3074.html
Rodley, Chris (dir.) & Cooper, Marc (prod.): 'Heavy Metal Britannia'
Ausgestrahlt am 5.,6.,7. und 8. März 2010 auf BBC Four.
Aus der "Britannia"-Reihe der BBC, 90 Min.
http://www.bbc.co.uk
-38-
Internet:
Cadwallader, Stuart & Campbell, Prof. Jim (The National Academy for Gifted and Talented
Youth at the University of Warwick): 'Gifted Students Beat The Blues With Heavy Metal'
http://www2.warwick.ac.uk/newsandevents/pressreleases/gifted_students_beat/
Coven auf Wikipedia: http://de.wikipedia.org/wiki/Coven_(Band)
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Eidesstattliche Erklärung:
Hiermit erkläre ich, dass ich die Arbeit selbstständig verfasst und Zitate
unter Angabe der Quelle kenntlich gemacht habe.
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