dazu - Kalle der Rote

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Staatsaufbau 20.10.2008
BERLIN/JUBA (Eigener Bericht) - Unter den Augen deutscher Militärbeobachter rüstet
das südsudanesische Sezessionsregime seine Milizen mit schweren Waffen auf. Dies
bestätigen neue Berichte über die Lieferung von Kriegsgerät in den Südsudan,
nachdem bereits zuvor Juba als Zielort der Panzer auf einem vor Somalia gekaperten
Frachtschiff bekannt geworden war. Die Aufrüstungsschritte werden von den
Militärbeobachtern, die die UNO im Südsudan unterhält, hingenommen, obwohl sie
das Waffenstillstandsabkommen brechen. Zu dem Beobachterstab gehören
zahlreiche deutsche Soldaten. Hintergrund ist das für 2011 geplante Sezessionsreferendum, bei dem
mit einer Abspaltung des ressourcenreichen Südsudan gerechnet wird. Berlin stützt den Aufbau
staatlicher Strukturen in Juba schon jetzt mit sogenannten Entwicklungsorganisationen, Polizeiberatern
und Juristen. Die Abspaltung des Südsudan, zu deren militärischen Voraussetzungen die aktuellen
Waffenkäufe gehören, wird seit Jahren von Berlin begünstigt. Gemeinsam mit den USA will die
Bundesregierung den Einfluss des Islam am Horn von Afrika zurückdrängen und zu diesem Zweck die
Macht islamistischer Spektren in Somalia und in der sudanesischen Regierung brechen.
Panzer, Raketenwerfer
Bereits zu Monatsbeginn war bekannt geworden, dass das Kriegsgerät auf einem vor Somalia
gekaperten ukrainischen Frachtschiff für den Südsudan bestimmt ist. Dabei handelt es sich um 33
Panzer T-72, um Panzerfäuste, Flugabwehrgeschütze, Raketenwerfer, Ersatzteile sowie Munition.[1]
Die Lieferdokumente liegen inzwischen der BBC vor; sie enthalten das Kürzel "MOD/GOSS" und zeigen,
dass die Rüstungsgüter vom Verteidigungsministerium ("MOD", Ministry of Defence) der
südsudanesischen Sezessionisten ("GOSS", Government of South Sudan) bestellt worden sind. Der
Transport sollte über Kenia erfolgen. Während die kenianische Regierung noch behauptet, unter
"GOSS" firmiere seit neuestem ihr Verteidigungsministerium und die Waffen seien für Kenias Armee
gedacht, wird der Zielort Juba sonst von niemandem ernsthaft in Frage gestellt. Tatsächlich rüstet der
Südsudan jüngsten Berichten zufolge bereits seit 2007 in großem Stile auf.
Sturmgewehre
Demnach hat Juba nicht nur die 33 Panzer bestellt, die jetzt in den Besitz von Piraten gelangt sind.
Militärexperten beobachteten bereits im vergangenen November eine Panzerlieferung in den Südsudan.
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Zudem ist von über 100 Panzern der Modelle T-72 und T-55 die Rede, die in den letzten Monaten bei
Milizen im Sezessionsgebiet eingetroffen sein sollen.[2] Verdacht erregt auch ein merkwürdiger
kenianischer Deal. Obwohl die 20.000 Soldaten der kenianischen Armee über deutsche G3-Gewehre
verfügen und dafür Munition aus kenianischer Lizenzproduktion beziehen, hat Nairobi im letzten Jahr
40.000 ukrainische Sturmgewehre AK-47 gekauft - eine Maßnahme, die Rüstungsexperten zufolge
schwer nachvollziehbar ist.[3] Dass die nun vor der somalischen Küste gestoppte Panzerlieferung
ebenfalls über Kenia abgewickelt werden sollte, hat den auf Nairobi lastenden Verdacht gestärkt, die
südsudanesischen Sezessionisten mit Rüstungsgeschäften zu unterstützen. Das nötige Geld schafft
Juba jedenfalls beiseite: Der südsudanesische Finanzminister hat in der vergangenen Woche beantragt,
den aktuellen Haushaltsplan des Sezessionsregimes um rund zwei Drittel zu erhöhen - hauptsächlich
wegen des dramatisch steigenden Militäretats.[4]
Unter den Augen Berlins
Die Aufrüstung des südsudanesischen Sezessionistenregimes erfolgt unter den Augen der United
Nations Mission in Sudan (UNMIS), deren Aufgabe die Überwachung des Waffenstillstandsabkommens
ist. Erst vor wenigen Wochen hat der Deutsche Bundestag das Mandat für die Teilnahme der
Bundeswehr an UNMIS verlängert; zur Zeit sind rund 40 deutsche Soldaten im Rahmen von UNMIS im
Sudan unterwegs. Wie ihnen die umfangreiche Aufrüstung der UNMIS verborgen geblieben sein soll, ist
nicht ersichtlich, zumal enge Verbündete Berlins - die Vereinigten Staaten und Großbritannien - Jubas
Milizen ("Sudan People's Liberation Army", SPLA) unmittelbar unterstützen.[5] Militärfachleute gehen
davon aus, dass die SPLA die neuen Panzer an der Waffenstillstandslinie zwischen Norden und Süden
eingegraben hat, um sich systematisch auf bewaffnete Kämpfe nach dem Sezessionsreferendum im
Jahr 2011 vorzubereiten - offenbar unter Duldung durch UNMIS. Allgemein wird erwartet, dass die
südsudanesischen Separatisten bei dem Referendum die Mehrheit erhalten und das von ihnen
kontrollierte ressourcenreiche Gebiet danach endgültig abspalten.
Öffentliche Verwaltung
Den Aufbau der notwendigen staatlichen Infrastruktur treiben deutsche Stellen kräftig voran. Das
Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) stellt inzwischen dem Südsudan wieder
Mittel zur Verfügung (nicht jedoch der konkurrierenden Zentralregierung in Khartum). So leitet die
Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) im Auftrag des BMZ ein Projekt unter dem Titel
"Unterstützung des Staatsaufbaus im Süd-Sudan" an. Es wird in Kooperation mit dem "Präsidialamt"
des Südsudan durchgeführt, dient dem Aufbau der kompletten öffentlichen Verwaltung und erstreckt
sich "auf drei Ebenen: Landkreise, Bundesländer und Government of South Sudan (GoSS)".[6] Es ist
langfristig angelegt und endet erst 2017. Die GTZ übernimmt im Südsudan - teilweise im Auftrag
anderer Institutionen - eine Reihe weiterer Aufgaben und ist damit de facto eine der einflussreichsten
Organisationen im Sezessionsgebiet. Sie betreibt nicht nur ein Programm zur Rückführung von
Flüchtlingen, sondern kümmert sich auch um die Wasserversorgung und den Straßenbau einschließlich
Ausbildung der benötigten Arbeiter. Nebenbei hat die GTZ auch deutsche Polizisten bei der Beschaffung
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von Ausstattungsteilen für die südsudanesischen Polizeiwachen unterstützt. Diese waren damit im
Rahmen von UNMIS befasst.
Verfassung und Justiz
Zentraler Bezugspunkt aller Tätigkeiten im Südsudan ist das Sezessionsreferendum im Jahr 2011. Bis
dahin müssten die Sezessionisten "unter Beweis gestellt haben, dass sie willens und fähig sind,
grundlegende Aufgaben und Verantwortungen einer Regierung wahrzunehmen", heißt es in der
Zeitschrift der GTZ.[7] Zu diesem Ziel tragen auch deutsche Juristen bei - von der Erstellung der
südsudanesischen Verfassung bis zur Beratung für Gesetzgebung und Justiz. Die Arbeiten wurden vom
Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg übernommen, in
ersten Ansätzen schon 1998, in größerem Umfang ab 2002. So werden nicht nur südsudanesische
(und, um offene Provokationen zu vermeiden, in gewissem Umfang auch nordsudanesische)
Gesetzgeber und Richter von deutschem Personal geschult; auch ist die südsudanesische Verfassung,
die zunächst ergänzend zur gesamtsudanesischen konzipiert worden ist und mit den Worten "We, the
people of Southern Sudan" beginnt, in Süddeutschland entworfen worden. Damit sind hinreichende
Voraussetzungen gegeben, um einem neuen Staat "Südsudan" zumindest den Anschein von
Rechtsstaatlichkeit zu verleihen.
Kein Rückzugsraum
Die Abspaltung des Südsudan wird seit Jahren von Berlin unterstützt.[8] Ursache sind deutschamerikanische Bestrebungen, den Einfluss des Islam am Horn von Afrika zurückzudrängen und zu
diesem Zweck die Macht islamistischer Spektren in Somalia sowie in der sudanesischen Regierung in
Khartum zu brechen. Ziel ist es, den in Teilen christlich geprägten Südsudan von Khartum zu trennen
und damit zugleich die umfangreichen Ressourcen des Südens islamischem Zugriff zu entziehen. Die
Maßnahmen sind Teil einer strategischen Orientierung, die in der ersten Hälfte der 1990er Jahre von
der US-Regierung eingeleitet worden ist [9] und die westliche Kontrolle über die Rohstoffe am
Persischen Golf sowie in den unmittelbar und mittelbar angrenzenden arabisch-islamisch geprägten
Gebieten sichern soll. Zu diesem Zweck wird antiwestlichen Opponenten der Rückzugsraum in
Nordostafrika reduziert, während Parteigänger mit den nötigen Insignien versehen werden: Mit einer
öffentlichen Verwaltung, einer Verfassung - und mit Kriegsgerät.
Weitere Informationen zur deutschen Sudan-Politik finden Sie hier: Die Bahn zur Unabhängigkeit ,
Keimzelle , Deutsche Geschäfte , Soldaten für Ostafrika , Heißer Frieden , Schweißtechnik ,
Nation building , Großer Befürworter , New Sudan , "Wie im Kongo" , Überall dabei , Sudan: Die
Anti-Khartum-Front , Sudan: Das linke Deckmäntelchen , Mit Rebellen gegen Khartum , Geteilte
Menschenrechte , Sudan: Zerfall nicht ausgeschlossen , Zerschlagen und neu aufbauen ,
Transatlantische Front und Instrument westlicher Machtpolitik .
[1] Verwirrung um Kenyas Waffenimporte; Neue Zürcher Zeitung 08.10.2008
[2] Hijacked tanks "for South Sudan"; BBC 07.10.2008
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Verwirrung um Kenyas Waffenimporte; Neue Zürcher Zeitung 08.10.2008
South Sudan seeks budget hike after army overspend; Reuters 15.10.2008
Pirates reveal Sudan's precarious peace; BBC 07.10.2008
Unterstützung des Staatsaufbaus im Süd-Sudan; www.gtz.de/de/weltweit/afrika/20998.htm
Nach neuen Prinzipien; akzente 3/2008
s. dazu Keimzelle , Nation building und Zerschlagen und neu aufbauen
s. dazu Sudan: Die Anti-Khartum-Front , Mit Rebellen gegen Khartum und Transatlantische
Front
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